UP #697: Neustart (Juni 2019)

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UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT DER UNIVERSITÄT SALZBURG — #697 Juni 2019 —

Neustart


Foto: Peter Hauser

27.9. POETRY SLAM 27.9. Scarabæusdream 10.10. Science Busters 12.10. Angela Aux | Awkward i 18.10. Blank Manuskript feat. Vokalensemble St. Ursula 9.11. Vivin 22.11. Hazel Brugger 29.11. Ankathi Koi Support: Maraskino 6.12. Austrofred 13.12. Ebow Support: Mascha

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IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Carolina Forstner / Layout: Michael Seifert / Lektorat: Christoph Baumann & Die Redaktion/ Anzeigen und Vertrieb: Carolina Forstner Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Carolina Forstner, Kay-Michael Dankl, Carlos P. Reinelt, Kati Thiele, Christof Fellner, Christoph Würflinger, Hannah Wahl, Marion Sauer, Claas Relotius, Bernhard Landkammer, Cesar H. Espiguellos. Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 8.000. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors/der Autorin und nicht immer die Sichtweise der Redaktion wieder.


EDITORIAL

Carolina Forstner

Hannah Wahl

Carlos Reinelt

Michael Seifert

Christoph Würflinger

Liebe LeserIn „Wer hätte das für möglich gehalten?“ Ein Satz der wohl einigen von uns in den letzten Wochen häufig über die Lippen gekommen ist. Von einem Höhepunkt zum nächsten – von schmerbäuchigen Politikern die gerne Österreich an Oligarchennichten verscherbeln wollten, zum Misstrauensantrag, einer Bundeskanzlerin und Neuwahlen im Herbst. Die österreichische Innenpolitik ließ uns die letzten Wochen kaum eine Verschnaufpause.

ren sein Amt an Hendrik Lehnert übergeben. Im Zuge dessen haben wir gemeinsam mit Heinrich Schmidinger über seine Zeit als Rektor gesprochen und ihn natürlich – ganz dem investigativen Stil unseres Magazins treu bleibend, nicht ohne wichtige Fragen wie:“Mozartkugel oder Tiroler Knödl?“ gehen lassen. Doch lest selbst! Im Herbst dann in alter Frische und mit neuem Rektor, ob unser konservatives Städtchen so viel Veränderung aushält?

Wahlen über Wahlen, zuletzt die ÖH-Wahl die den GRAS einen Erdrutschsieg bescherte. Ganz im Zeichen dieser Umbrüche haben wir den Schwerpunkt unserer Ausgabe gestaltet, denn auch an der Universität Salzburg wird sich ab dem Herbst so einiges ändern: Rektor Heinrich Schmidinger wird nach 18 Jah-

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen! Deine Redaktion Fragen, Wünsche, Anregungen, Kritik wie immer an presse@oeh-salzburg.at

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INHALT

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Natürlich lese ich uni:press Ein Interview mit Heinrich Schmidinger 18 Jahre Rektor Schmidinger: Eine Bilanz aus studentischer Sicht Hendrik, Hendrik, who the F* is Hendrik? Ein Porträt des neuen Rektors NEUSTART hilft Interview Whoah! We're going to Ibiza! Eine Analyse der Redaktion

Schöne neue Welt.

Fellner'sche Weisheiten 1919 - die kleinen Revolutionen Der Vorsitz im Gespräch Eine Bilanz der letzten ÖH-Jahre

UNI & LEBEN

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Gegendarstellung zum Beitrag der uni:press Dezember 2018 Seite 32 und 33 gemäß § 13 MedienG Kampfbegriff Exzellenz

Stellungnahme zu „Freunderlwirtschaft im Hörsaal“


INHALT

POLITIK & GESELLSCHAFT

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Wo steht China 30 Jahre nach dem Tiananmen-Massaker?

Tipps für die Expertenregierung Der Klagsverband im Porträt „Der Motor dahinter ist die Suche nach Gerechtigkeit“ Frauen an der "Macht"? Kein Vergeben. Kein Vergessen. Eine digitale Reise durch Salzburgs jüngere Geschichte Dark Tourism Eine neue Art der Spezies Mensch

KULTUR & MENSCHEN

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ver/sus Scooter

Die Ibiza-Salzburg Connection

Schon gesehen? Die uni:press Filmschmankerl

A Song of Scheiß and Fire

Der ultimative uni:press Beisltest Teil 10 - Gnigl zeitmaschine neu!

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"Natürlich lese ich uni:press" Heinrich Schmidinger blickt auf eine 18-Jährige Amtszeit als Rektor der Universität Salzburg zurück. Die uni:press hat im Gespräch mit dem scheidenenden Rektor seine Amtszeit Revue passieren lassen. Von Carolina Forstner und Kay-Michael Dankl

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aum sitzen wir auf unseren Stühlen im Büro des Rektors, füllen unsere Wassergläser und nippen am Kaffee, beginnt dieser gleich, während er einen Stapel Dokumente hin-und herrückt, zu erzählen wie es eigentlich dazu kam, dass er 2001 Rektor wurde. „Ich war zuvor als Dekan der Theologischen Fakultät tätig und hatte, so wie es im damaligen System noch üblich war, eine gesamtuniversitäre ‚Agenda‘ zugeteilt bekommen – Budget und Personal. Dann wurde ich Vizerektor für Ressourcen, und als die zweite Amtszeit meines Vorgängers frühzeitig endete, hieß es: ‚Du hast das ja eh schon gemacht‘, und so wurde ich 2001 Rektor. Rektor zu werden war nicht in meiner Lebensplanung, es hat sich einfach ergeben.“ uni:press: Wie erklären Sie sich Ihre außergewöhnlich lange Amtszeit? Schmidinger: Da müssen Sie wahrscheinlich Andere fragen, aber vielleicht hat eine Rolle gespielt, dass ich schon seit Beginn versucht habe, große Maßnahmen durchzuführen, und die gab es in meiner Amtszeit zuhauf. Zum Beispiel die Einführung des UG 2002*, welches die Universitätswelt auf den Kopf stellte. Dabei mag es mir zwar nicht immer gelungen sein, es war jedoch immer mein Bestreben, solche großen Umwälzungen in einem möglichst kommunikativen Prozess stattfinden zu lassen. Darüber hinaus setzt man in Zeiten großer Umstellungen gerne auf Beständigkeit. Man wusste bei mir wohl, woran man ist. uni:press: Sie wurden 2001 zum Rektor gewählt, kurz vor der Umstellung des Universitätsgesetzes 2002, haben somit noch das alte System mitgestaltet. Das neue UG ist seit nun circa 16 Jahren einge-

setzt. 16 Jahre danach – wie beurteilen Sie dieses Modell und seine Folgen für die Universitäten? Schmidinger: Ich glaube nicht, dass das UG 2002 die universitäre Demokratie automatisch ausschaltet. Es ist innerhalb des Gesetzes viel Gestaltungsfreiheit und Spielraum gegeben, so dass man demokratische Strukturen auch erhalten und pflegen kann. Das Ganze ist eine Frage der Handhabung. Ich will aber nicht bestreiten, dass das Gesetz, wie es geschrieben ist, es anders vorsieht. Wir haben beispielsweise das alte Fakultätskollegium in den neuen Fakultätsrat übergeführt und darauf geachtet, dass es bis auf der Ebene der Fachbereiche überhaupt Gremien gibt. Die Themen, die in den Gremien besprochen wurden, bzw. die Positionen, die sich in ihnen ergaben, haben wir in aller Regel respektiert. Grundsätzlich meine ich, dass sich das UG 2002 bewährt hat. Die Universitäten haben ein erhebliches Ausmaß an Autonomie gewonnen. Die hat es früher einfach nicht gegeben. Vor dem UG 2002 war die Uni eine nachgeordnete Dienststelle des Bundes. Alles wurde im Ministerium entschieden. Jede Personalentscheidung war diesem vorzulegen, und auch in Budgetfragen musste zu jedem Detail um Erlaubnis gebeten werden. Man durfte nicht einmal zwischen den diversen Budgetpositionen hin- und herschieben. Dergleichen hemmte die Universitäten in ihrer eigenständigen Entwicklung erheblich. Diese Einschränkung wurde durch das UG 2002 aufgehoben, und das betrachte ich als Fortschritt. Die beachtliche Entwicklung der Universitäten in Österreich ist meiner Meinung nach diesem Gesetz zu verdanken. Grundsätzlich also halte ich das UG 2002 für gut, aber ich will nicht leugnen, dass es – wie jedes Gesetz – auch problematisch angewendet werden kann. Die Verantwortungsträger haben Macht. Macht kann man gut gebrauchen, aber natürlich auch weniger gut.


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uni:press: Stichwort „Macht kann auch missbraucht werden“: In Ihrer Amtszeit als Rektor, Sie waren einer der Ersten, der die Verstrickung geehrter Persönlichkeiten in der nationalsozialistischen Zeit aufgerollt hat. Inklusive der Aberkennung bei Konrad Lorenz, was von großen Teilen begrüßt, aber vom Boulevard mit einer ‚erwartbaren Watschn‘ gestraft wurde. Würden Sie rückblickend, trotz des heftigen Gegenwindes, gerade aus den Reihen der Kronen Zeitung, diesen Kurs einschlagen? Schmidinger: Natürlich. Vielleicht darf ich hier kurz ausführen, wie es überhaupt zu diesen Aberkennungen gekommen ist. Gerhart Harrer, Leiter der Salzburger Forensischen Psychiatrie* vor langer Zeit, war 2011 mit über 90 verstorben, und wir hatten keinerlei Ahnung, um wen es sich handelte. Die Universität schaltete die übliche Parte, die ein ehrendes Gedächtnis des Verstorbenen festhält. Nach der Veröffentlichung derselben erhielt ich Post von Opfern des nationalsozialistischen Terrors. Dabei wurde mir klar, dass die Uni ihre Gründungsgeschichte, dazu gehören auch die Ehrungen, aufarbeiten müsse. Solche Fehler wie im Fall Harrer dürfen einfach nicht passieren. Ein „Ich hab‘ das nicht gewusst“ gilt nicht. In Abstimmung mit dem Senat kam ein eigenes Forschungsprojekt zustande, das mit der Untersuchung und Aufarbeitung der ganzen Geschichte betraut wurde. Daraus ergab sich: Hätten wir einer Person wie Konrad Lorenz ob seiner großen Prominenz das Ehrendoktorat nicht entzogen, wären wir unglaubwürdig geworden. Wenn man sich der Vergangenheit stellen will, kann man es nicht nur dabei belassen, sie historisch aufzuarbeiten, man muss auch gegebenenfalls Konsequenzen ziehen, die weh tun. Nicht allein die heimische Boulevardpresse griff uns an, auch internationale Medien berichteten unfreundlich. Dabei wurde übersehen, dass die Universität sich selbst vorwarf, ihre eigenen Regeln nicht eingehalten, sondern wissentlich übersehen zu haben. uni:press: Wie würden Sie Ihre Amtszeit Revue passieren lassen – sowohl Positives als auch Dinge, die Sie anders handhaben würden? Schmidinger: Eine große Frage, die ich nur differenziert beantworten kann. Ich möchte meine Amtszeit nicht als reine Erfolgsstory verkaufen. Es hat beides gegeben, Erfolge, aber auch Dinge,

die mir nicht gelungen sind. Die Herausforderungen des UG 2002 und die damit verbundenen Umbrüche stehen wohl für meine Amtszeit. Was ich mit Sicherheit nicht geschafft habe, ist aus Salzburg eine Studierendenstadt zu machen. Das bedauere ich sehr. Das hat natürlich mit der Besonderheit des Standortes Salzburg zu tun. Man darf nicht unterschätzen, dass die Universität erst 1962 wieder ihre Toren öffnete. Davor hatten sich Land und Stadt nicht in Richtung Universität entwickelt. Dazu kommt, dass man sich bei der Wiedererrichtung zu wenige Gedanken über die genaue Ausrichtung derselben machte. Hauptsache man hatte wieder eine Universität. Die Universität wurde in eine Szene hineinversetzt, die alles andere als eine akademische war. Zwar gibt es heute mehrere hochschulische und universitäre Einrichtungen, trotzdem hat sich Salzburg nicht zu einer Studierendenstadt entwickelt, wie zum Beispiel Innsbruck oder Graz. Das hängt mit ihrer Entstehungsgeschichte zusammen. Eine Universitätsstadt ist für mich eine Stadt der Studierenden, und das ist Salzburg leider noch nicht. Was unsere Universität betrifft, so wäre sie für Studierende attraktiv aufgrund der guten Betreuungsverhältnisse, auch aufgrund der guten Infrastruktur. Es braucht aber eben mehr. Ich hoffe, dass meinen Nachfolgern diesbezüglich mehr gelingt als mir. uni:press: Die Universitätsverwaltung erschwert aber auch einiges: Studierendenfeste, wie es sie in früheren Jahren gab, finden so nicht mehr statt, Veranstaltungen wie das vom VSSTÖ ausgerichtete ‚Überraschungskino‘ kämpft immer wieder gegen Widerstände aus der Verwaltung an. Es scheint für Studierende schwieriger geworden zu ein, universitäre Räume zu nützen. Schmidinger: Früher hat es die sogenannten NAWI-Feste gegeben. Mit diesen haben wir uns wohl einige Probleme eingehandelt. Ich halte diesen Punkt aber nicht für einen Hauptfaktor. Sicherlich fehlt es auch manchmal an Flexibilität. uni:press: Zum Thema Studienplatzfinanzierung* – für diese haben Sie sich ja ganz klar eingesetzt. Wie sahen Sie Ihre Rolle? Einerseits gab und gibt es inneruniversitäre Stimmen, die sich gegen diese aussprechen, die auch gehört werden sollen, andererseits sind Sie ja auch als Vertreter der Universität nach außen. Wie sahen Sie Ihre Rolle? Schmidinger: Als Vorsitzender der Universi-


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tätenkonferenz (uniko) war ich bei den meisten Verhandlungen, die die Studienplatzfinanzierung betrafen, anwesend, habe mich für diese auch starkgemacht, weil ich sie für einen guten Ansatz zur Budgetierung der Universitäten halte. Man orientierte sich bei der Entwicklung des Modells zuerst an den Fachhochschulen, die ja so budgetiert werden. Bei den Universitäten finanziert freilich nur der Bund, bei den Fachhochschulen spielen auch die Länder eine Rolle. Um hier anzugleichen und darüber hinaus den Universitäten zu einem höheren Budget zu verhelfen, kam man auf die Studienplatzfinanzierung. Für mich ist freilich entscheidend: Nach welchen Kriterien bzw. Indikatoren errechnet sich diese? Ein springender Punkt ist beispielsweise, ob und wie man die AbsolventInnen-Zahlen gewichtet. Je nachdem tun sich Fächer, die wenige AbsolventInnen haben, leichter oder schwerer. Werden sie aufgrund dieses Indikators finanziell gering bemessen, so erhält die Universität für sie immer weniger Geld – eine unheilvolle Entwicklung. Ganz zu schweigen von den inneruniversitären Verteilungskämpfen, die sich dadurch abzeichnen. Ich sehe diese Gefahr und habe mich mehrmals dazu geäußert. Aber – das Eine ist die Studienplatzfinanzierung, die ich für einen richtigen Ansatz halte, das Andere sind die Indikatoren, nach denen diese Studienplatzfinanzierung funktioniert. Ich empfinde es als meine Aufgabe, auch nach meiner Zeit als Rektor, falls ich gefragt werde, darauf hinzuweisen. Mir geht es nicht allein um die kleinen Fächer, die sogenannten Orchideenfächer, sondern um den Geist der Universität. Wenn diese nicht mehr Fächer oder Studien anbieten kann, die allein wegen ihres jeweiligen Inhalts essentiell sind, führt das zu ihrer Selbstaufgabe. Der ökonomische Gesichtspunkt darf letztendlich nicht ausschlaggebend sein. Wenn das nicht sichergestellt wird, bringt man eine Universität um. Ihr Nachfolger hat medial schon angekündigt, dass er sich auf einige drittmittelrelevante Schwerpunkte konzentrieren will. Nach dem Motto: „Mehr Konkurrenz in- und außerhalb der Universität.“ Hier schwingt doch ein Geist der „deutschen Exzellenzinitiative“ mit. Dieser neue Ansatz scheint im Kontrast zum Tenor der letzten Jahre zu stehen – mehr Druck und Stress im Alltag, mehr Wettbewerb zwischen Fakultäten, Forscherinnen und Forschern scheint der angestrebte Kurs zu sein. Was sagen Sie zu dieser Stoßrichtung, die ja doch wie ein ziemlicher Bruch klingt?

Schmidinger: Ich muss sagen, dass ich es etwas anders interpretiere als Sie. Ich habe es natürlich gelesen und zur Kenntnis genommen. Man muss diese Äußerungen im Kontext mit anderen, die Herr Lehnert ebenfalls getätigt hat, sehen: Ihm ist bewusst, dass die Universität einen großteils geisteswissenschaftlichen, buchwissenschaftlichen Charakter hat, und er will sich um die kleineren Fächer besonders kümmern. Wenn er diese Aussagen ernst meint – daran habe ich keinen Zweifel –, wird er kleine Fächer nicht einem Konkurrenzdruck aussetzen, den sie nicht bestehen können. uni:press: In einem Interview meinte Hendrik Lehnert, dass die öffentliche Finanzierung der Universität vollkommen ausreiche, aber der Anteil der Drittmittel verdoppelt werden soll. Wie soll das funktionieren? Schmidinger: Da müssen Sie ihn selbst fragen. Ich weiß nicht, ob es so einfach ist bei einer Universität unserer Struktur und Aufstellung. Wir sind nun mal überwiegend buchwissenschaftlich orientiert. Ob sich da die Zahl der Drittmittelzahl so erhöhen lässt? Wir haben uns diesbezüglich in den letzten Jahren sehr angestrengt. 2004 hatten wir Einnahmen aus Drittmitteln von circa 9 Millionen Euro, heute liegen sie bei über 20 Millionen, und die halten wir nun schon seit einiger Zeit. Ich bin skeptisch, ob diese Zahlen beliebig steigerbar sind. Der Versuch ist es jedenfalls wert. uni:press: Die Frage ist auch, welche Instrumente muss man anlegen, um den Druck auf die Fachbereiche aufzubauen, um dieses Ziel zu erreichen? Schmidinger: Es braucht im Drittmittelbereich letztendlich die Forscherinnen und Forscher, die Anträge schreiben und sich um Projekte bewerben. Alleine Anträge zu stellen, ist eine Herausforderung, die immens viel Arbeit bedeutet. Dazu muss man vor allem motivieren. uni:press: Sie haben vorher bereits davon gesprochen, dass die Universität nicht nach ökonomischen Gesichtspunkten gemessen werden soll. Wie geht man mit den Erwartungen der Politik an die Universitäten um? Schmidinger: Das kann ich Ihnen an einem Beispiel erläutern. Das Fach Altgriechisch gehört zu den Fächern, die sehr wenige Studier-

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ende haben. Wir standen vor mehr als zehn Jahren vor der Entscheidung, ob Altgriechisch nachbesetzt werden sollte. Es gab schon damals wenige Studierende, und es wurden wenige Drittmittel eingeworben. Ausschlaggebend war das inhaltliche Argument. In der Gefahr mich zu wiederholen: An solchen inhaltlichen Entscheidungen wird eine Universität gemessen. Altgriechisch ist eine Fundamentaldisziplin einer geisteswissenschaftlichen Fakultät, und gerade an einer Universität, an der Sprachen eine große Rolle spielen, ist es einfach nicht möglich, auf ein so basales Fach wie Altgriechisch zu verzichten. Dieses inhaltliche Argument war ausschlaggebend für den Weiterbestand. Beim UniRat, der damals schon von Personen aus Wirtschaft und Industrie besetzt war, hatten wir keine Schwierigkeiten. Mühsamer wurde die Angelegenheit im Senat, wo große Fächer verständlicherweise nicht einsahen, warum wir solche „Orchideenfächer“ weiterführen wollten. Altgriechisch existiert bis heute. Studierendenzahlen und Abschlüsse dürfen nicht die alleinigen Kriterien für die Studienangebot einer Universität sein. Es muss möglich bleiben, Entscheidungen zu treffen, die auf Inhalten fußen.

den. Wenn wir, wie jüngst in Österreich, von einem Innenminister hören müssen, dass Politik vor dem Recht komme, sollten die Alarmglocken schrillen. Darüber können die Universitäten nicht zur Tagesordnung übergehen, darüber haben sie einen Diskurs herzustellen. Universitäten besitzen eine eminente demokratiepolitische Verantwortung, davon bin ich fest überzeugt. uni:press: Weil Sie gerade von der Verbindung Wissenschaft und Demokratie sprachen. Wie sehen die Verbindung Wissenschaft und Religion? Wie sehen Sie die Rolle der Religion an einer öffentlichen Universität? Schmidinger: Ich habe Theologie studiert, darin das Bakkalaureat gemacht. Die Beschäftigung mit dem Phänomen „Religion“ halte ich für ganz entscheidend. Religion ist von größter gesellschaftlicher Bedeutung. Natürlich nicht mehr unter einseitig katholischer Vorherherrschaft, so kann und soll es heutzutage nicht mehr gehen. Deswegen wurden an unserer Theologischen Fakultät die „Religious Studies“ eingeführt. Religion hat sich an einer Universität jedenfalls dem gleichen argumentativen Diskus zu stellen, wie wir es zuvor im Hinblick auf die politische Szene angesprochen haben.

uni:press: Die Universität ist eingebettet in die Gesamtgesellschaft. Wie sehen Sie die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Österreich, die wir alle aktuell erleben?

uni:press: Um zum Abschluss zu kommen: Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich von den Studierenden wünschen?

Schmidinger: Die sehe ich sehr kritisch. Das hat natürlich mit den vorherrschenden politischen Verhältnissen zu tun. Altbundespräsident Heinz Fischer sprach mir bei einem Vortrag vor kurzem aus der Seele, als er die Tendenzen anprangerte, die unseren Rechtsstaat gefährden. Diesbezüglich mache mich mir wirklich Sorgen. Gerade in dieser Situation sind die Universitäten gefragt. Meine Überzeugung war immer, dass Wissenschaft und Demokratie viel miteinander zu tun haben. Die gesellschaftliche Freiheit, also die Demokratie, ist essentiell mit der Freiheit der Wissenschaft verbun-

Schmidinger: Ich würde mir mehr Engagement und Teilnahme am universitären Leben wünschen. Sodann hätte ich gerne, dass die Studierenden ihr Studium nicht nur als Ausbildung, sondern als Chance zur Bildung betrachteten. Damit hängt nicht zuletzt zusammen, dass ich mir mehr Kritik erwarten würde. Als ich in den 70er Jahren studiert habe – damit will ich auf keinen Fall sagen, dass früher alles besser war, keineswegs – gaben die Studierenden gesellschaftspolitische Themen vor, mit denen sich die Universität zu befassen hatte. Wir wollten uns nicht berieseln lassen,


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sondern von uns aus Themen propagieren. Auch in der Theologie. Man glaubt es heute kaum mehr, aber die kritischen Fragen an die Theologie kamen zu meiner Zeit gerade auch aus den Reihen der Studierenden. uni:press: Sie haben Ihrer 18-Jährigen Amtszeit sicher einiges von der ÖH mitbekommen… Schmidinger: Was ich mitbekommen habe? Zu wenig. uni:press: Okay. Dennoch, was war Ihre „Lieblingsaktion?“ Schmidinger: (Überlegt kurz) Sie werden es nicht glauben, aber das war gleich im Anschluss an uni brennt, als wir uns alle zusammengesetzt und diskutiert haben, was gemeinsam gemacht werden könnte, um die Bedingungen für die Studierenden an der Universität zu verbessern. Diese Nachbesprechungen von uni brennt sind mir in guter Erinnerung. uni:press: Was ist Ihnen negativ an der ÖH aufgestoßen in all den Jahren? Schmidinger: Ich hatte zu wenig Kontakt. Wobei ich betonen darf, dass es meinerseits etliche Angebote gab, die einfach nicht auf Resonanz stießen. Wir planten sogar einen regelmäßigen Jour fix, dazu ist es schlicht nicht gekommen. Ich will damit freilich keine einseitigen Schulzuweisungen machen. uni:press: In eigner Sache: Lesen Sie die uni:press und was halten Sie von ihr? Schmidinger: Selbstverständlich lese ich die uni:press. Auch da möchte ich nicht pauschalisieren. Den einen oder anderen Beitrag konnte ich nicht wirklich nachvollziehen, gestehe ich ganz offen, manches wiederum hat mir auch gefallen. Ich bin jedenfalls froh, dass es sie gibt, das möchte ich betonen. Es würde etwas fehlen, wenn es sie nicht gäbe.

WordRap Humboldt oder Bologna? Eindeutig Humboldt. Ministrieren oder Demonstrieren? Also ... Ministrieren nicht mehr Mozartkugel oder Tiroler Knödel? Eindeutig Tiroler Knödel Ruhestand oder Freizeitstress? Da nehmen wir schon den Ruhestand, bitte 1622 oder 1962? 1962 Gutes Leben für Alle oder Erlösung im Jenseits? Auf jeden Fall gutes Leben für Alle Mindestzeit oder Bummelstudent? Hmm … hier habe ich Schwierigkeiten mit der Formulierung. Wenn sie Bummelstudent mit einem anderen Wort ersetzen würden, so wüsste ich, was ich wählen würde, aber so ist die Alternative ja nicht positiv, meiner Ansicht nach. Ein anderes Wort aber Ja, also? Ja. Mhm. Ja. Studienbeitrag oder Kirchenbeitrag? (lacht) sagen Sie Kirchenbeitrag

Carolina Forstner studiert Jüdische Kulturgeschichte und ist neben ihrer Tätigkeit als Studienassistentin seit Anfang 2016 im Pressereferat aktiv. Kay-Michael Dankl (Jus und Politikwissenschaft) ist aktiv im Netzwerk Kritischer Studierender Salzburg und in den Studienvertretungen Politikwissenschaft und Doktorat KGW.


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Eine Bilanz aus studentischer Sicht:

18 Jahre Rektor Schmidinger Seit ihrer Gründung 1962 hatte die Uni Salzburg ganze 22 Rektoren. Von diesen 57 Jahren entfällt ein sattes Drittel auf die Amtszeit von Heinrich Schmidinger. Er wurde 2001 Rektor und füllt dieses Amt noch bis zur Stabübergabe im Herbst aus. Grund zu fragen: Warum war Schmidinger so lange Rektor? Was hat sich in der Zeit für die Studierenden geändert? Und was bleibt für die Zukunft? Von Kay-Michael Dankl

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enn am 1. Oktober der neue Rektor Hendrik Lehnert sein Büro in der Kapitelgasse bezieht, kommen gleichzeitig Erstsemestrige an die Universität, bei deren Geburt Heinrich Schmidinger schon Rektor war. An anderen Universitäten sind RektorInnen üblicherweise ein, zwei, vielleicht drei Perioden zu je vier Jahren im Amt. Wie kann man sich den Salzburger Sonderfall erklären? Zumindest zwei Faktoren spielen bei der Amtsdauer von fast biblischem Ausmaß

mit: Erstens Schmidingers Bereitschaft, wiederholt diese Funktion anzustreben, die wenig Raum für die wissenschaftliche Karriere oder das Privatleben lässt. Viele wollen sich das schlicht nicht zwei Jahrzehnte lang antun. Der zweite, wohl gewichtigere Grund ist, dass Schmidinger es verstand, sich uni-intern wenige Feinde zu machen. Er gilt als jemand, der in Konflikten moderiert, Zurückhaltung übt und auf Verständigung setzt. Seine verbindliche Art ist ebenso authentisch wie eine effektive Art, die Uni zu regieren.


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Licht KritikerInnen sagen, unter Rektor Schmidinger und seiner auf Ausgleich bedachten Amtsführung hätten die großen Würfe gefehlt. Die Uni habe sich zu wenig weiterentwickelt. Dabei lohnt sich eine Nachfrage: In welche Richtung hätte sich die Uni verändern sollen? Ganz im Zeichen der Zeit, hin zu einer „Elite-Uni“, die dem neoliberalen Mythos „Exzellenz“ nachhechelt? Die Ellbogen-Ausfahren und gnadenlosen Egoismus zur neuen Maxime erhebt? Eine, welche die Fächervielfalt, den Freiraum für kritisches Hinterfragen und das Streben nach Erkenntnis abseits wirtschaftlicher Verwertbarkeit verwirft, zu Gunsten engstirniger Rechen-Spielchen, die vorgeben, Lernen, Erkenntnisse und Bildung auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung buchhalterisch korrekt zu messen? Gerade der Kontrast zum zukünftigen Rektor Lehnert – der bereits vor Amtsantritt ankündigte, die Universität im Sinne einer viel beschworenen, selten definierten „Exzellenz“ umbauen zu wollen – macht deutlich, dass Schmidingers humanistisch geprägte Idee von Universität heutzutage nicht selbstverständlich ist. Auch die Einbindung vieler Uni-Angehöriger in Entscheidungsprozesse, die über das beschämend niedrige, gesetzlich notwendige Mindestmaß hinausgeht, könnte in Zukunft ein Ende finden. Manager-artiges Durchregieren von oben war Rektor Schmidingers Sache nicht.

„MANAGER-ARTIGES DURCHREGIEREN VON OBEN WAR REKTOR SCHMIDINGERS SACHE NICHT.“ Schmidinger hat fortschrittliche Uni-politische Vorstellungen glaubwürdig vertreten: dass eine breite Bildung mehr sein kann als ein bloßes Ausbilden auf einen Beruf; dass der demokratische Geist, den unsere Gesellschaft heutzutage so bitter nötig hat, nur in einer demokratisch geführten Institution sich entfalten kann; dass nicht Sponsoren und Firmen mit ihren „Drittmitteln“ per Daumen hoch oder runter entscheiden sollen, was an der Uni geforscht und gelehrt wird.

Unter Rektor Schmidinger stellte sich die Universität in wichtigen Bereichen den dunkelsten Flecken ihrer Vergangenheit: Ehrungen für Personen, die mit dem Nationalsozialismus verstrickt waren. Als die Uni Salzburg 2015 die Ehrung für Konrad Lorenz aufgrund seiner NS-Nähe widerrief, erntete die Universität einen Sturm empörter Reaktionen von Boulevard-Medien bis zu Lorenz-Fans. Auch die Restitution mehrerer Werke aus den Beständen der Universitätsbibliothek war ein wichtiger Schritt. Schatten Ungeachtet dessen hat die Uni Salzburg auch in den letzten 18 Jahren große Rückschritte in diese Richtung erlebt: die Zerschlagung der demokratischen Mitbestimmung von Studierenden und Bediensteten bei den großen Uni-internen Entscheidungen, das Aufstellen von immer mehr Zugangshürden für neue Studierende, schwere finanzielle Belastungen wie Studiengebühren und Kurs-Gebühren, die Verschulung der Studienpläne im Zuge der Bologna-Reform mit mehr Vorgaben und einem Studium, das zu einem Scheine-Sammeln verkommt. Zu den weniger rühmlichen Stunden zählte die skurrile Episode rund um „autonome Studiengebühren“ im Jahr 2012. Hintergrund: Aus formalen Gründen hatte der Verfassungsgerichtshof jene Teile des Universitätsgesetzes aufgehoben, die die viel kritisierten Studiengebühren regelten. Die schwarz-rote Bundesregierung fand keine Einigung über eine Nachfolgeregelung, so dass die SPÖ argumentierte, es gäbe keine Studiengebühren mehr, während die ÖVP meinte, es stünde den Unis jetzt frei, den Studierenden eigenmächtig, also „autonom“, Studiengebühren aufzubrummen. Trotz gewichtiger Warnungen machten einige Rektoren die Probe aufs Exempel und führten an ihren Unis Studiengebühren ein. Auch Rektor Schmidinger, damals Vorsitzender der RektorInnen-Lobby „uniko“, machte mit. Nach scharfen Protesten der ÖH und vielfältigen Einwänden erteilte der Senat der Uni Salzburg – in dem 26 Profs, Mittelbau-Angehörige, Studierende und nicht-wissenschaftliche Bedienstete sitzen – dem Vorhaben mit knapper Mehrheit eine Absage. Das Rektorat war zerknirscht. Ein Jahr später erkannte der Verfassungsgerichtshof die „autonomen Studiengebühren“ als illegal. Wermutstropfen für die damaligen Studierenden: Jene, die die rechtswidrigen „autonomen“ Gebühren gezahlt hatten, bekamen sie wegen eines neuen Gesetzes nicht zurückerstattet. Den Salzburger Studierenden blieb dieser illegale Aderlass von über einer Million Euro (!) dank des erfolgreichen Widerstands von Studierenden und Lehrenden erspart.

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Heute steht die Universität vor einer anderen Mammut-Aufgabe: Das neue Modell der Uni-Finanzierung, die sogenannte „Studienplatzfinanzierung“, droht das budgetäre Gefüge der Uni grob zu zerreißen. Indem die Finanzierung von Fachbereichen und Instituten von der Zahl „prüfungsaktiver“ Studierender und der AbsolventInnen abhängig gemacht wird, stehen Teile der Uni vor massiven Einschnitten. Gerade viele Kultur- und Gesellschaftswissenschaften sowie die Rechtswissenschaften müssen zittern. Pikant ist dabei, dass Heinrich Schmidinger als uniko-Vorsitzender und Rektor, der die Stimme der Universität nach außen ist, jahrelang für die Studienplatzfinanzierung eintrat. Jetzt kommt ein Studienplatzfinanzierungs-Modell – und die Fachbereiche und Studierenden müssen jetzt ausbaden, was auch Rektor Schmidinger einforderte und mitlegitimierte.

„NICHT ALLES, WAS IN DER REKTORATSZEIT SCHMIDINGERS UNGLÜCKLICH VERLIEF, IST IHM DIREKT ZUZUSCHREIBEN.“ Vor zehn Jahren klang das noch anders. Bei der großen Protest- und Hörsaalbesetzungs-Bewegung “Unibrennt” im Jahr 2009 hat sich Schmidinger von anderen Rektoren hervorgetan, indem er die Proteste tausender Studierender ausdrücklich begrüßte. Als vor zehn Jahren am 27. Oktober die GesWi am Rudolfskai von hunderten Studierenden besetzt wurde, hielt Schmidinger Grußworte. Er begrüße den studentischen Protest, vor allem in Bezug auf die Geldnot an den Unis und die Forderung nach einer ausreichenden Uni-Finanzierung. In den Folgemonaten waren Schmidinger und sein Team von VizerektorInnen offen für Verhandlungen mit den Unibrennt-AktivistInnen, die für mehr Freiheiten in den Studienplänen, vielseitige und kritische Lehre, Aufenthaltsmöglichkeiten an der Uni und mehr demokratische Mitbestimmung eintraten. Freilich: Nicht alles, was in der Rektoratszeit Schmidingers unglücklich verlief, ist ihm direkt zu-

zuschreiben. So war die Einführung des neuen Lehramtsstudiums 2013 mit vielen hausgemachten Mängeln verbunden. Die Uni Salzburg preschte vor und wechselte ein Jahr vor den anderen Hochschulen vom Diplom- auf das Bachelorstudium Lehramt. Die Motivation des zuständigen Vizerektors war nicht, die Inhalte des Lehramtsstudiums genau anzuschauen und zu qualitativ zu verbessern, sondern „Erster zu sein“. Die übereilte Umstellung mag zum Macht- und Standortwettbewerbsdenken passen und die eine oder andere Karriere beflügelt haben, aber die Studierenden blieben oft auf der Strecke: von Unklarheiten über den Master über etliche offene Fragen bis zur Tatsache, dass hunderte Studierende um die Berechtigung zittern mussten, nach dem Studienabschluss unterrichten zu dürfen, was erst durch ein Sondergesetz des Nationalrats möglich wurde. Rektor Schmidinger hat sich aus diesem Prozess weitgehend herausgehalten, wo es notwendig gewesen wäre, Verantwortung zu übernehmen. Uni Salzburg - eine Studierenden-Uni? Es spricht Bände, dass jetzt, beim Wechsel des Rektorats, viel davon die Rede ist, dass es nicht gelungen sei, Salzburg zu einer Studierendenstadt zu machen. Das stimmt, aber warum schweigt man sich über die Universität selbst aus? War es nicht die Universitätsleitung, die schrittweise alle Uni-Festl abgedreht hat? Zuerst die legendären Parties an der GesWi am Rudolfskai, dann an der NaWi, zuletzt auch am Unipark? War es nicht die Uni, die den großen studentischen Kino-Abenden am Unipark den Garaus machen wollte - mit dem Hinweis, dass Populärkultur an der Uni nichts verloren habe? Und war es nicht die Universitätsleitung, die es bei Neubauten wie den Unipark, aber auch bei den älteren Gebäuden verabsäumt, jene Frei- und Aufenthaltsräume zu schaffen, die soziale Treffpunkte und ein Entstehungsort für Neues sein könnten? Wer die teuren Wohnkosten, die teuren, langsamen Öffis und das abgehobene Selbstbild der Stadt als Zentrum der Hochkultur anschaut, kann dem Befund, dass Salzburg keine Studierendenstadt ist, nur zustimmen. Wie das neue Rektorat etwas daran ändern will, bleibt im Dunkeln. Ohne Strategie verkommt die Forderung, Salzburg müsse Studierendenstadt werden, schnell zu einer Floskel. Bemerkenswert ist, dass dem ein Schweigen und eine Sprachlosigkeit darüber gegenüberstehen, wie Studierende das Studium heute anders erleben. Bei allen Lippenbekenntnissen zu freier, humanistischer Bildung hat die Universität die Verschulung des Studiums doch nach Punkt und


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Beistrich mitgetragen und durchgesetzt. Über das gehetzte Jagen nach ECTS-Punkten, eine Unkultur des schnellen Lernens und schnellen Vergessens, den wachsenden Stress und die Zunahme psychischer Erkrankungen findet man bei den feierlichen Rückblicken kein Wort. Auch in Heinrich Schmidingers Bericht zur Rektoratsperiode 2001-2019 (online abrufbar) sucht man vergebens eine Einschätzung, wie sich die Studienpläne, die Lehrangebote, die Universitätskultur und die Wahrnehmung des Studiums durch die Studierenden verändert haben – und welche Herausforderungen sich dabei für die Zukunft ergeben. Zukunft Vieles auf der To Do-Liste einer progressiven Uni-Politik bleibt für Schmidingers Nachfolger. Da wäre etwa die längst überfällige Gleichberechtigung des akademischen Mittelbaus. Während die knapp 150 „Professoren“ im eigentlichen Sinn massiv pri-

vilegiert werden, zählt die große Mehrheit der rund 1.800 Lehrenden und Forschenden zum akademischen „Mittelbau“. Obwohl sie oft die gleiche Arbeit leisten, haben sie weniger Mitsprache in der Uni und schlechtere Dienstverhältnisse. Eine Gleichberechtigung nach internationalem Vorbild wäre höchst an der Zeit – und bleibt doch noch ferne Zukunftsmusik. Es braucht dafür Gesetzesänderungen, die nur kommen, wenn der Druck größer wird als die Interessen der aktuell Privilegierten. Abzuwarten ist, ob das neue Rektorat, das die liberale Kampfansage „Leistung“ und „Exzellenz“ trommelt, sich politisch dafür einsetzen wird, das konservative Relikt der Spaltung der wissenschaftlichen Bediensteten in zwei Gruppen zu überwinden - oder ob ständische Hierarchien doch ganz gut mit neoliberalem Wissenschaftsbetrieb harmonisieren. Baustellen für den neuen Rektor gibt es zuhauf. Und die Latte nach 18 Jahren Heinrich Schmidinger ist durchaus hoch.

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Hendrik, Hendrik, who the Fuck is Hendrik?

Hendrik Lehnert ist ab Herbst der neue Rektor der Universität Salzburg. Der renommierte Mediziner konnte sich (in einem – wie mehrfach kritisiert – durchaus fragwürdigem Prozess) gegen Hauskandidat Rudolf Mosler durchsetzen. Vielen ist der Deutsche kein Begriff, wir wollen Licht ins Dunkle bringen. Kreatives Copy und Paste durch Carlos P. Reinelt

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ie Rektorwahl an der Uni Salzburg endete mit einer Überraschung: Mit Hendrik Lehnert ist erstmals ein Kandidat von außen zum Rektor gewählt worden. Der deutsche Mediziner hat sich gegen den erstgereihten Hauskandidaten, den Arbeitsrechtler und ehemaligen Vizerektor Rudolf Mosler, durchgesetzt. Die Wahl lief alles andere als glatt über die Bühne. Erste Aufregung gab es bereits, weil die Studierenden beim Hearing der neun Kandidaten dezidiert nicht erwünscht waren. Der vom Senat erstellte Dreiervorschlag stand ebenso in der Kritik. Ex-Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) wehrte sich gegen ihre Nichtnominierung und wandte sich an den Arbeitskreis für Gleichbehandlung der Uni Salzburg. Der erste Wahltermin des Unirats musste verschoben werden, weil stattdessen eine Schiedskommission tagte. Ihrer Beschwerde wurde jedoch nicht stattgegeben. Dann wurde die zweitgereihte Kandidatin Brigitte Hütter Rektorin an der Kunstuniversität Linz. Der Dreiervorschlag zerbröselte, nachdem sie ihre Bewerbung zurückgezogen hatte. Damit konnte der Rat nur noch zwischen Lehnert und Mosler wählen. Schließlich hielt der siebenköpfige Universitätsrat den Termin für die Wahl auch noch geheim. Der Universitätsrat habe diesen Weg gewählt, der eine weitere Verfahrensverzögerung vermeide und "damit die Universität schützt", hieß es in der Bekanntgabe der Entscheidung, die per E-Mail an alle Universitätsangehörigen erging. Diese Vorgehensweise sei mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung abgestimmt gewesen und für rechtmäßig erachtet worden.

Ungeachtetet dieser durchaus fragwürdigen und von uns auch scharf kritiesierten Prozedur stellt sich nun die Frage, Hendrik, who the fuck are you? Hendrik Lehnert ging im Ruhrgebiet zur Schule, 1972 machte er Abitur am Gymnasium Petrinum Recklinghausen. Anschließend studierte er Psychologie sowie Humanmedizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Nach der Promotion forschte er 1982/83 als DFG-Stipendiat am Laboratory of Neuroendocrine Regulation am Massachusetts Institute of Technology und am Cardiovascular Laboratory der Harvard School of Public Health und war bis 1986 an der Universitäts-Poliklinik Münster tätig. Danach wechselte er an die Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der Universitäts-Klinik Mainz, wo er als Facharzt für Innere Medizin tätig war und sich 1991 an der Universität Mainz für das Fach Innere Medizin habilitierte. Von 1994 bis 2005 war er Direktor der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, 2005 wechselte er dann an die Medical School der University of Warwick. Seit 2007 ist er Direktor der I. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, mit Unterbrechung von 2014 bis 2017. In dieser Zeit fungierte er als Präsident der Universität zu Lübeck. Im Mai 2018 wurde er außerdem in den Vorstand der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) gewählt. Lehnert veröffentlichte über 600 Arbeiten in Fachzeitschriften und ist Herausgeber von mehr als zehn Büchern, darunter Lehrbücher des Faches Innere Medizin sowie Endokrinologie und Stoffwechsel und der Fachzeitschrift Der Internist.

Carlos P. Reinelt ist Schriftsteller und Philosoph und studiert Germanistik in Salzburg. 2006 gewann er den Kängurutest der Mathematik in Vorarlberg.


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hilft

In Schallmoos, unweit des Rockhouse befindet sich der Verein NEUSTART. NEUSTART hilft SalzburgerInnen. Wir haben mit dem Leiter Johannes Bernegger gesprochen. Von Carolina Forstner und Christoph Baumann uni:press: Seit wann gibt es den Verein NEUSTART in Salzburg und welche Tätigkeiten fallen in Ihren Zuständigkeitsbereich? Johannes Bernegger: Der Verein NEUSTART hieß nicht immer so. Vor der Namensänderung 2002 hießen wir „Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit“. Der Verein geht zurück auf das Jahr 1957. Da unser Arbeitsfeld mittlerweile viel mehr umfasst als „nur“ Bewährungshilfe, benannten wir uns um. Wir versuchen jedem Menschen, ob Haftentlassen, oder jemandem der durch einen Tatausgleich zu uns gelangt, Täter oder Opfer, nach dem Ereignis einer Straftat und deren folgen einen Neustart zu ermöglichen, das ist unser Auftrag. 1952 fand in Österreich die erste und bislang einzige Gefängnisrebellion von Jugendlichen in Haftanstalten statt. Diese Jugendlichen saßen ihre Strafen unter menschenunwürdigen Bedingungen ab. Die Revolte führte zu einem öffentlichen Aufschrei. Sepp Schindler der in Kaiserebersdorf als Psychologe arbeitete und später an

der Universität Salzburg lehrte, war einer der ersten, der eine Veränderung im Umgang mit jugendlichen StraftäterInnen forderte und gründete daraufhin die Bewährungshilfe in Österreich. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen, wie etwa die sinkende Akzeptanz von Gewalttaten, setzten sich gegen das Wegsperren durch. Dieser Entwicklung folgte der Versuch weniger anzuzeigen, auch wenn Konflikte strafrechtlich relevant sind. So wurde der sogenannte Tatausgleich entwickelt. Eine Art der Konfliktregelung, wo sich TäterInnen und Opfer in unseren Räumen treffen, um einen Ausgleich zu finden. Der/die TäterIn muss nicht verurteilt werden und das Opfer erhält emotionalen und materiellen Ausgleich, während es bei gerichtlichen Verhandlungen zwar eine Verurteilung für den/ die TäterIn gibt, das Opfer aber meist keine „echte“ Entschuldigung, sondern ein reumütiges Geständnis und nur den Zuspruch einer Teilsumme des Schmerzensgeldes erhält, den Rest müsste der/die Betroffene zivilrechtlich einholen.


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uni:press: Und dieser erwähnte Tatausgleich funktioniert? Bernegger: (lacht) Ja. Wir haben eine sehr positive Abschlussrate. Natürlich ist das nicht uns, sondern dem Übereinkommen von Täter und Opfer geschuldet. Unsere Erfolgsquote in Salzburg beträgt circa 80 Prozent bei etwa 3.500 Fällen im Jahr. Die Methode geht originär auf uns zurück und wurde europaweit adaptiert. Die eben erwähnte gesellschaftliche Sensibilisierung gegenüber der Reduktion und dem Versuch weniger Verurteilungen zustande kommen zu lassen, sondern außergerichtliche Lösungen zu finden, auch in Fällen wo es nicht „nicht wirklich ein Opfer gibt“ – Sachbeschädigungen oder Ähnlichem. Hier wurde ein System der symbolischen Vergütung durch soziale Arbeit in Einrichtungen wie Altersheimen etabliert. Wir betreuen auch TäterInnen die Fußfesseln tragen, eine weitere Methode, die sich in den letzten Jahren etabliert hat: Hier werden TäterInnen nicht aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, müssen aber trotzdem Schadensersatzszahlungen leisten und werden durch die Fußfessel überwacht und von uns betreut. Seit wann ist die Praxis der Fußfessel im Einsatz und wie viele Fälle betreuen Sie in Salzburg? Bernegger: Seit Oktober 2010. Seit 2010 haben wir etwa 400 Fälle betreut, aktuell circa 15 Fälle. uni:press: Wie liegt Salzburgim Bundesländervergleich? Sei es nun Bewährungshilfe, bedingte Haftentlassung oder Fußfessel? Bernegger: Ein nicht so einfacher Vergleich, weil die Anzahl der Zuweisungen und Häufungen auch oft mit der Nähe von Oberlandesgerichten zu tun hat. Wir liegen aber auf jeden Fall vor Westösterreich. Wir haben sehr viele Fälle, die wir durch den Tatausgleich betreuen. Salzburg liegt aber durchaus im oberen Drittel, wenn wir die Häufung unserer Zuweisungen betrachten. uni:press: Weil Sie die ganze Zeit von Tätern sprechen: Wie ist‘s eigentlich um die Geschlechterverteilung bei Straftaten bestellt? Bernegger: Die Verwendung des generischen Maskulinums ist hier nicht ganz unberechtigt. Interessant: In der Rechtsprechung sind circa 85 Prozent männlich. Bei den Zuweisungen die dazu uns gelangen sind es fast noch mehr Männer – hier sprechen wir von fast 90 Prozent.

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uni:press: An welchen Fakten kann man diese erhöhte Zahl festmachen? Bernegger: Das hängt wahrscheinlich mit der erhöhen Anzahl von Jugendlichen ab, die wir betreuen und die sind noch verstärkter männlich als weiblich. In der Fußfessel wiederrum haben wir einen höheren Frauenanteil, weil Frauen, die eine unbedingte Haftstrafe antreten müssen, bessere Strukturen für die elektronische Hausüberwachung mitbringen. Man benötigt eine Wohnung, eine Arbeit, eine geregelte Tagesstruktur. Bei Männern bricht das soziale Gefüge viel eher zusammen als bei Frauen. Hier kann man natürlich auch die Korrelation zur Obdachlosigkeit ziehen – Männer rutschen viel häufiger in die Wohnungslosigkeit als Frauen, obwohl jüngste Untersuchungen zeigen, dass auch die Zahlen der Frauen die obdachlos sind im Steigen begriffen sind1. Prinzipiell leiden aber viel mehr Frauen als Männer unter „verdeckter Obdachlosigkeit“ und kommen, oft unter widrigsten Umständen und unter großen Abhängigkeitsverhältnissen, bei Bekannten unter. uni:press: Weil wir jetzt immer von Täterinnen und Tätern gesprochen haben: Was wären für Sie wirksame Präventionsmaßnahmen damit diese gar nicht zu solchen werden? Bernegger: Ich halte mich da ganz an den Ausspruch: „Die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik.“ Präventiv arbeiten heißt zum Beispiel mit den Mitteln der Schulsozialarbeit an Schulen tätig zu sein. Es ist essentiell zu lernen, dass Konflikte entstehen können und dürfen, aber auch dass mit diesen konstruktiv umgegangen werden muss. Das machen wir an 46 Schulen in Österreich. Wir arbeiten mit strafmündigen Jugendlichen, also Jugendliche ab dem vollendeten 14. Lebensjahr. Mit der Schulsozialarbeit knüpfen wir an ganz wichtige soziale Strukturen an: dem familiären Umfeld. Wir versuchen mit straffällig gewordenen Jugendlichen, die nun mal oft aus prekären familiären Situationen kommen und Probleme dann in ihrer Schulklasse austragen, gemeinsam zu arbeiten. Jugendliche Überschreitungen sind notwendig um Grenzen zu erfahren, diese haben wir alle auf die eine oder andere Art ausgelotet. Diese Taten gehören dazu, aber nicht, wenn sie strafrechtlich relevant werden. Hier kommen dann wir ins Spiel und leisten nach der primären Schulsozialarbeit Hilfe. Natürlich gibt es auch andere Maßnahmen der offenen Jugendhilfe, etwa Jugendzentren oder familientherapeutische Hilfe. Auf uns entfällt die Bewährungshilfe. Diese sekundäre Präventionsarbeit zieht sich natürlich weiter ins Erwachsenenleben, wobei man sagen muss dass der Peak der Straffälligkeit bei 25 Lebensjahren liegt, danach geht sie zurück.

1 Immer mehr Frauen in Salzburg sind obdachlos: Während die Zahl der Wohnungslosen in Salzburg leiht gesunken ist, ist der Anteil der wohnungslosen Frauen ist um fünf Prozentpunkte gestiegen. 1.539 Menschen in Salzburg sind wohnungslos, 352 davon obdachlos. Der Anteil der Frauen liegt bei 35 Prozent. Motiv über den Anstieg müssen erst analysiert werden, dass die Dunkelziffer durchaus höher ist, ist jedoch anzunehmen: Viele Frauen leben in verdeckter Armut und prekären Lebenssituationen. (Quelle: https://derstandard. at/2000102614504/Immermehr-Frauen-in-Salzburgsind-obdachlos)


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uni:press: Kann man sagen wie viel jugendliche StraftäterInnen wieder rückfällig werden und wie knüpft man bei solchen Fällen an? Bernegger: Bei solchen Fällen, die einen relativ stabilen sozialen und familiären Background haben, weisen unabhängige Studien die wir in Auftrag gegeben haben, eine 90-Prozentige Erfolgsquote auf. Weniger als 10 Prozent der Jugendlichen werden nach der Arbeit mit uns wieder straffällig. Diese Gruppe wird durch punktuelle Maßnahmen wie etwa den Tatausgleich von uns betreut. Bei den jugendlichen StraftäterInnen,, die durch gröbere Vergehen durch von Bewährungshilfe von uns betreut werden habe ich jetzt keine exakten Zahlen, aber prinzipiell wird dauert diese drei Jahre angeordnet. Manchmal länger, manchmal kürzer. Wenn wir von den durchschnittlichen drei Jahren ausgehen, haben wir eine Rückfallrate, von 40 Prozent. Das heißt: 60 Prozent gehen ohne wieder rückfällig zu werden aus der Bewährungshilfe. uni:press: Weil es medial in den letzten Wochen so oft besprochen wurde: Wie stehen Sie zu den sogenannten Time-out-Klassen? Bernegger: Der Vorschlag fußt auf zwei Wurzeln: Zum einen ist das Modell dieser Räume an Sonderschulen s Usus. Es gibt auch andere Schulformen, die mit solchen eigenen Räumen arbeiten, wo ein Lehrer das Kind, das aus dem Unterricht verwiesen

wurde, betreut. Für eine kurze Zeiteinheit, um somit die Situation zu beruhigen. Man kann so Spitzen und schwierige Situationen abfangen, das halte ich noch für einigermaßen sinnvoll. Zum anderen hat sich das Bildungsministerium hier die Schweiz zum Vorbild genommen. Hier gibt es schon solche Klassensysteme, wo SchülerInnen dauerhaft in andere Klassen kommen. Diesem zweiten Ansatz stehe ich sehr skeptisch gegenüber, weil diese Räume eine Notlösung sind. Wir treten für den Ausbau von Prävention und Schulsozialarbeit ein. Ich behaupte, dass ein Vorfall wie der vielbesprochene Fall der HTL in Ottakring, an einer Schule wo Schulsozialarbeit mit ausreichend Stunden implementiert ist, nicht aufgetreten wäre. uni:press: An welchen aktuellen Projekten arbeiten sie gerade? Bernegger: „Dialog statt Hass“ ist ein Projekt das ab Juli in den Regelbetrieb übergehen wird. Hasskriminalität hat stark zugenommen in den letzten Jahren. In der Regel handelt es sich bei solchen „HassposterInnen“ um ältere Menschen, zwischen 40 und 60 Jahren, meist nicht vorbestraft. Wo bei allen anderen Delikten die Straffälligkeit abnimmt, nimmt sie hier exponentiell zu. 30 Prozent der TäterInnen sind weiblich, eine Zahl die bei allen anderen Strafdelikten viel geringer ist. Was macht mit Menschen die auf sozialen Medien Hetze betreiben? Welche Alternative gibt es zu Verurteilungen? Diese TäterInnengruppe versteht schlicht und einfach nicht warum sie ein-


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er Straftat belangt werden. Geldstrafen würden sich auch kontraproduktiv auswirken, da sie sich meistens in einer benachteiligten, ja fast diskriminierten Rolle sehen und sich durch solche Strafen in ihrer Opferrolle nur bestätigt fühlen würden. Unsere Idee war es, mit diesen Menschen intensiv an fünf Themen zu arbeiten: Zu einen klären wir über die Rechtslage auf und vermitteln, warum ich Verhalten im Internet zu einer Anzeige führt und welche Postings strafrechtlich verfolgt werden. Wir leisten keine Gesinnungsarbeit, sondern Normenverdeutlichung. Wir arbeiten aber auch an der eigenen Diskriminierungsgeschichte der TäterInnen. Nach diesem Schritt erzeugen wir einen bewussten Perspektivenwechsel und lassen sie sich in ihre Opfer, gegen die sich gehetzt haben, einfühlen. Das Ziel ist nicht nur die Erkenntnis der rechtlichen Strafübertretung, sondern wir versuchen auch den Ursachen nachzuforschen: Wie kam es zu diesem Posting? In welcher Verfassung war ich als ich die Zeilen abtippte? Nebenher arbeiten wir auch noch an der Medienkompetenz, um soziale Medien und ihre Mechanismen zu verstehen. Diese Projektdurchführung zeigte sich als sehr erfolgreich, weil die Menschen mit einem Lerneffekt gehen, ohne sich benachteiligt oder diskriminiert zu fühlen. Wir helfen weiter, ohne dass die Personen vorbestraft werden und bieten ihnen auch so einen Neustart an. Zu Ende des Gesprächs erklärt uns Johannes Bernegger noch was es mit dem gerahmten Manuskript, dass uns schon seit Beginn des Interviews aufgefallen ist.

Neu start NEUSTART bekennt sich in seinem Leitbild zu einem Umgang mit Kriminalität, der nicht die Abschreckung in den Mittelpunkt stellt, sondern die Bearbeitung von Kriminalitätsursachen. Wir fühlen uns einem humanistischen Weltbild, hoher fachlicher Professionalität und anhaltendem Engagement für die sozial Schwachen verpflichtet. Der SAFTLADEN ist eine Tagesaufenthaltseinrichtung in Salzburg für Menschen mit verschiedenen Problemlagen. Neben den klassischen Benachteiligungen wie Haftentlassung und Vorstrafen, Arbeitslosigkeit, fehlende oder mangelhafte Wohnversorgung sowie diverse Suchtkrankheiten sind es auch zunehmend psychische Erkrankungen. Auch Menschen, die an der Armutsgrenze leben, nicht in ein Familiensystem oder einen Freundeskreis eingebettet sind und von Vereinsamung bedroht sind, frequentieren den SAFTLADEN.

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© CHR!S - Wikipedia

Whoah! We're going to Ibiza

Seit 18. Mai ist in Österreichs Innenpolitik kein Stein auf dem anderen geblieben. Die innenpolitische Bombe platzte in Form des skandalösen Ibiza-Videos. Ein unvollständiger Abriss der uni:press

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einz-Christian Strache, damals Vizekanzler, wurde nicht zum ersten und wohl nicht zum letzten Mal von seiner Vergangenheit eingeholt. Zusammen mit Parteichef Johann Gudenus wird Strache in einem heimlich im Sommer 2017 auf Ibiza aufgenommenen Video gezeigt, wie er einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte gegen illegale Parteispenden und parteiische Berichterstattung öffentliche Aufträge in Aussicht stellt. Lange hat es gedauert, bis sich Bundeskanzler Sebastian Kurz zu diesen Unflätigkeiten äußerte und die Koalition beendete. Seither gab es

gleich mehrere Neustarts. Nach Ende der Koalition rief Kurz Neuwahlen aus. Innenminister Herbert Kickl wurde abgesetzt, worauf alle übrigen FPÖ-MinisterInnen zurücktraten. Kurz kündigte an, mit einer ExpertInnen-Regierung neu zu starten. Daraufhin wurde ihm nach der EU-Wahl vom Nationalrat das Vertrauen entzogen, er als Kanzler entmachtet und seine Übergangsregierung nach nur fünf Tagen im Amt abserviert. Bundespräsident Alexander Van der Bellen ernannte eine interimistische Bundeskanzlerin samt ExpertInnenregierung – bislang der letzte Neustart bis zur Neuwahl.


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Eine Analyse der Redaktion Was heißt das „Bundeskanzlerin“? Seit 1919 dürfen Frauen in Österreich wählen. Bislang gab es in nunmehr 100 Jahren weder eine Bundeskanzlerin, noch eine Bundespräsidentin. Wenn von Bundeskanzlerin die Rede ist, denkt jedeR sofort an die scheidende deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Das Wort existiert in Österreich schlicht nicht. Folglich ist es wichtig und richtig, dass die Übergangsregierung von einer Frau als Kanzlerin in Form der quer über alle Parteien angesehenen Verfassungsgerichtshofpräsidentin Brigitte Bierlein angeführt wird. Der Bundespräsident beweist nicht nur ob ihrer fachlichen Kompetenz, ihrer Integrität und ihr alle Parteigrenzen umspannendes Ansehen ein geschicktes Händchen. Ob nach der Wahl weiterhin eine Frau an der Spitze stehen wird? Wenig Optimismus scheint angebracht. Bereits vor dem drohenden Wahlkampf haben sich Alpha-Männer als Spitzenkandidaten bei ÖVP, FPÖ und LISTE JETZT in Stellung gebracht und die SPÖ-Frontfrau vermag die Partei nicht recht hinter sich zu einen. Zudem stoßen Frauen öfter gegen eine gläserne Decke, denn sie stehen viel seltener ganz oben am Wahlzettel auf den aussichtsreichsten Plätzen, sowohl auf Landes-, als auch auf Bundeslisten.1 Zack, zack, zack! Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung veröffentlichten das viel zitierte Ibiza-Video. Die FPÖ kündigte umgehend juristische Konsequenzen an. Doch dadurch, dass das Video Medien zugespielt und von diesen publiziert wurde, greift der Quellenschutz. Die Redaktionen sind dank des Redaktionsgeheimnisses nicht dazu verpflichtet, die Namen der UrheberInnen zu nennen. Eine FPÖ-Anzeige verläuft so gegen unbekannt. Genau hier zeigt sich, wie essentiell die Massenmedien für die Demokratie sind. Ein Whistleblower überlegt es sich zweimal, ob er/sie mit seinen/ ihren Informationen an die Öffentlichkeit geht, wenn womöglich dafür Gefängnis droht. Wäre das Video auf Facebook oder Youtube aufgetaucht, würde den SchöpferInnen bereits ein juristisches Nachspiel blühen, da hier betreffende Passagen des Mediengesetzes nicht greifen. Welches Medien-Bild die FPÖ hat, zeigte sich bereits zuhauf, etwa bei den unzähligen FPÖ-Gängelungsversuchen des ORF und beim Medienerlass Kickls, der vorsieht „unliebsamen“ Medien weniger Informationen zukommen zu lassen. Auch

Straches Vorschlag an die vermeintliche Oligarchin bei der Kronen Zeitung einzusteigen und „zack, zack, zack“ kritische Stimmen durch FPÖ-nahe JournalistInnen zu ersetzen, zeichnet ebendieses Bild. Wer zahlt, schafft an Der eigentliche Sinn der in Österreich vergleichsweise üppigen Parteienfinanzierung ist, dass Politik unabhängig von GroßspenderInnen sein soll.2 Trotzdem boomt gerade das Aufbessern der Wahlkampfkasse durch Privatspenden. So hatte die Kurz-ÖVP im Wahlkampf 2017 die gesetzliche Obergrenze von sieben Millionen Euro um stattliche sechs Millionen Euro gesprengt und auch die FPÖ lag deutlich darüber. Doch woher kommt das Geld? Strache nennt im Video Konzerne und Privatpersonen wie Novomatic, Glock und Heidi Horten (alle dementieren), die allesamt über einen privaten Verein vorbei am Rechnungshof an die FPÖ spenden würden. Dieses Quid pro quo würde dazu führen, dass gegen finanzielle Zuwendungen Gesetze im Interesse des Spendengebenden beschlossen werden. Dadurch werden zentrale demokratische Grundpfeiler wie one person – one vote ausgehebelt. Was droht, wäre eine Oligarchie, oder heute wohl eher eine Diktatur der Konzerne, die sich durch ihren immensen Ressourcenvorteil eine bevorzugte Behandlung vor dem Gesetz erkaufen können. Zugleich läge ein weiterer demokratischer Grundsatz, wonach alle StaatsbürgerInnen vor dem Gesetz gleich sind, in Trümmern. Was bleibt von den Neustarts Die vergangenen EU-Wahlen haben gezeigt, dass Die Grünen wohl bereit für einen Neustart und den Wiedereinzug in den Nationalrat sind. Was bleibt, von den durch das Skandal-Video ausgelösten politischen Umbrüchen, sind vor allem Fragen. Wie können unabhängige Medien gestärkt werden, die durch wirtschaftliche Schieflagen, etwa durch einseitige Inserate-Politik und Direktwerbung der Parteien auf sozialen Netzwerken immer weniger in der Lage sind, ihre Rolle als Watchdog und vierte Gewalt im Staat wahrzunehmen? Wie soll es mit den bestehenden Regelungen zur Parteienfinanzierung in Anbetracht der größeren Bedeutung von privaten Spenden weitergehen? Und: wann wird endlich eine von den WählerInnen gewählte Frau Bundeskanzlerin von Österreich? Die Antwort lautet: es ist Zeit, denn jetzt erst recht!

1 Sarah C. Dingler/Corinna Kroeber (2018). "Why the zipper does not close the gender gap. An analysis of women's representation in the Austrian parliament". JBZ Arbeitspapiere 46. 2 Hubert Sickinger (2009). Politikfinanzierung in Österreich. Wien: Czernin-Verlag.


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Schöne

neue Welt.

Das Leben vieler ist geprägt von Misserfolgen, durchzogen mit schlechtem Karma und einer wagen Vorstellung von der Zukunft. Da bietet sich so ein „Neustart“ doch super an, oder nicht? Von Kati Thiele

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ir würden praktisch bei Null anfangen, würden jedoch unsere bereits erworbenen Skills vollkommen verlieren. Das könnte Fluch und Segen gleichermaßen sein. Doch wofür würde sich die Masse, das Kollektiv entscheiden? Bedeutet eine „Wiederherstellung“, dass unser aller Probleme gelöst wären? Der Mensch ist seit jeher auf Jagen und Sammeln ausgerichtet. Was in der frühen Steinzeit begonnen hat, zieht sich bis heute durch wie ein roter Faden. Länder wurden erforscht, erobert und eingenommen. Das Universum wurde entdeckt, Religionen, Sprachen und Zivilisationen wurden geboren und wieder zerstört. Menschen „entwickeln“ sich weiter und merken dabei nicht, dass sie um ihrer eigenen Lebensqualität Willens, die Ressourcen der Erde komplett aufbrauchen.

Sehr früh haben wir gelernt uns selbst zu heilen und aufzurichten (im wahrsten Sinne des Wortes). Wir haben uns genommen, wovon wir dachten, es wäre unser Recht damit zu tun und zu lassen, was wir wollen und haben dabei viel von uns selbst und das Ziel aus den Augen verloren. Und das nicht zum ersten Mal. Wir werden immer schnelllebiger, als würden wir im Hyperloop durch das Universum rasen. Erst lernten wir noch von der Natur und Zack sind wir im 21. Jahrhundert angelangt. Neue Technologien wohin das Auge reicht, der Mensch größer und wichtiger als je zu vor und dennoch winzig klein. Wir ignorieren die grausame Wahrheit, dass wir lediglich Gast auf diesem Planeten sind, uns aber bald die Erde unter den Füßen weggerissen wird. Den Prognosen zufolge wird die Welt einen noch


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rasanteren Zuwachs erfahren, obwohl wir jetzt schon drei zusätzliche „Erden“ bräuchten, um den enormen Bedarf liefern zu können. Um die Masse sättigen zu können mit ALLEM: Essen, Jobs, Wohnungen, Kleidung, Technologie, Energie. Es ist aber bereits fünf nach zwölf und der Grundbedarf, nämlich Wasser ist nahezu ausgeschöpft. Wir schlittern unserem Ende entgegen und (fast) niemanden juckt's. Wir leben in einer Gesellschaft, in der selbst kranke Kinder missbraucht werden für die Machenschaften der korrupten und geldgeilen „Erwachsenen“ und Politiker! Uncle Trump soll in seinen Märchenstunden ruhig weiter erzählen, dass der Klimawandel nicht existiert. Und so sitzen wir weiterhin auf unserer großen, stinkenden Müllhalde und bedienen uns an Hashtags um darauf aufmerksam zu machen, dass wir auf einem großen Müllberg leben. Poor world. Einige Wenige sind auf einem guten Weg die vorhandenen Energien und ihre eigenen sinnvoll zu nutzen und umzuwandeln. Sie Verlassen das Schauspiel, blicken der Realität ins Auge und besinnen sich auf das, was wir schon mal konnten. Überleben. Und vor allem mit dem leben, was uns zur Verfügung steht. Der große Rest lässt mit sich spielen, sich lenken, wie Marionetten. Ich höre oft, wie sich Menschen über dies und jenes beklagen und frage mich: „Warum, zur Hölle, machst du es dann?“ Des Geldes wegen? Weil es sich in deinem Lebenslauf besser macht? Weil man nur so zu Ruhm und Anerkennung kommt? Hätte ich ein perfektes Leben nach geraden Linien gehabt, würde mir jetzt der Lerneffekt fehlen. Die Skills, von denen ich zu Beginn sprach, ihr erinnert euch? Die hätte ich alle nicht gehabt. Im Laufe meiner Jahre ist mir sehr stark bewusst geworden, dass die Welt sich tatsächlich um mich dreht! (Oh! Was ein Wunder, oder?) Wenn ich nicht glücklich bin, wie können es dann andere in meinem Umfeld sein? Wenn ich nur jammere, wie kann ich dann erwarten, dass was anderes zurückkommen würde? Wenn mich eine Beziehung oder Freundschaft unglücklich macht, warum verlasse ich sie nicht einfach? Wenn wir zurück zum Beginn dieses Tatsachenberichtes kommen, erkennen wir:

„Boah, ich hab Mist gebaut, kann ich mal kurz auf Pause drücken“ funktioniert nicht. Und seine eigene Negativität nach außen zu strahlen bringt´s hald auch nicht. Während wir mit diesen Gedanken spielen ersticken wir in einer Wolke aus Bad Vibes. Ein ganz schöner Teufelskreis, was? Aber es gibt tolle Nachrichten! Was komplett esoterisch und für viele weit hergeholt klingt aber einfach nur genial und extrem simpel ist: Man kann neu starten und zwar sofort! Das was die Menschheit verloren hat, ist die Kraft an sich selbst zu glauben. Aber der Mensch ist ein Rudeltier. Er folgt lieber der Masse, als seinem Kopf und Verstand nachzugehen. Schnelllebigkeit und das Gefühl des Untergehens sind vorherrschend. Alle sehen gleich aus. Alles ist austauschbar. Auch wir Menschen. Kein Wunder! Wir müssen nicht mehr denken, nicht mehr fühlen. Nicht mehr lieben. Hachja! Die Liebe ist das einzige individuelle, das uns bleibt. Liebe ist eine Kuriosität. Sie lässt sich nicht reduzieren auf #relationshipgoals oder in Schubladen zwängen. Sie ist für jeden anders und braucht keine Regeln. Die essentielle Frage ist, was erwarten wir von der Liebe, oder, was sind wir bereit dafür zu geben? Wir sollten nicht vergessen dass sie Allgegenwärtig ist. Sie spiegelt sich in den verschiedensten Arten und Weisen wieder. Freundschaften, Beziehungen, Familie… Liebe kann alles sein. Allen voran schreitet aber unsere Liebe zum Leben. Unbeschwertheit, Leichtsinnigkeit, Freiheit und Frieden. Wir wollen es alle. Den heißersehnten Frieden können wir aber nicht finden, wenn wir vergessen weswegen wir „hier“ sind. Wir wollen noch so viel erleben, sehen, spüren, aber vergessen dabei, dass wir auf dem besten Weg sind alles zu vernichten. Wir wollen nicht irgendwas sein, dass hier seine Zeit absitzt, wir wollen entscheidend sein. Und dennoch leben wir in einer Welt die wegsieht. Also seien wir ehrlich, wollen wir unseren Kindern wirklich diesen Planeten hinterlassen? Diese Müllhalde? Was können wir also tatsächlich verändern und lohnt es sich überhaupt? Das ist wohl die Frage die jede*r für sich entscheiden muss. Und wir können nun damit beginnen, unseren eigenen Verlauf neu zu schreiben…

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fellner ’sche weis heiten

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Die kleinen Revolutionen

Das Motto dieser uni:press lautet Neustart. Bekanntlich wohnt jedem neuen Anfang ein gewisser Zauber inne. Das gilt wohl ganz besonders für das Jahr 1919. Gerade war der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen, und in vielen Ländern Europas muss die Veränderung spürbar in der Luft gelegen sein. War es Freude, würden sich nun endlich lang gehegte Träume erfüllen, war es Furcht, würden nun die Alpträume früherer Zeiten doch noch Realität werden? Von Christof Fellner


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eine Artikel in den den vergangenen uni:press-Ausgaben haben sich mit den großen, bedeutenden, die Gesellschaft umwälzenden Revolutionen der Zeit vor etwa 100 Jahren befasst. Heute jedoch soll es um die kleine Revolutionen gehen. Jene Veränderungen im tagtäglichen Leben, die diese großen Revolutionen mit sich gebracht haben, die uns heute vielleicht als selbstverständlich erscheinen mögen, die es aber eben nicht sind, zumindest nicht für unsere Urgroßeltern und all jene die die Zeit des Umsturzes vor 100 Jahren tatsächlich erlebt haben. Mit dem Zusammenbruch der Alten Monarchie zerbrach nicht nur ein Staat, es zerfiel auch die Gesellschaftspyramide. Jene schichten, die vor dem Krieg das Sagen gehabt hatten, Adel, Militär, Kirche und das gehobene Bürgertum verloren an Bedeutung. Durch das Adelsaufhebungsgesetz verschwanden die politischen Vorrechte des Adels, jedoch keineswegs ihre ökonomische Stärke (Hierbei etwa unterschied sich Österreich von der Tschechoslowakei, die auch den Adel enteignete, und nicht nur das ehemalige Herrscherhaus). Die konkreteste, für uns bis heute spürbare Veränderung dieser Zeit bekommen wir wohl immer dann mit, wenn man tagtäglich mit uns spricht. „Herr und Frau ÖsterreicherIn“ heißt es dann. Doch dieser Titel war einst nur den „eigentlichen“, den adligen und geistlichen Herren zugänglich. Nicht von ungefähr gibt es in Wien und anderen Landeshauptstädten „Herrengassen“ bzw. Herrenstraßen, denn eben dort an diesen Straßen saßen diese einst in ihren Landtagen und Stadtpalästen und residierten neben den Herrschern. Mitbestimmung galt nur für sie, aber keineswegs für eine breite Masse. Nach dem Ende der Monarchie wurden diese Titel für uns alle zugänglich, aus den simplen und austauschbaren Männern und Frauen Hans und Maria wurden die Herren Fellner oder Frau Müller. Aus er/sie wurde nur mehr Sie. Der pluralis Majestatis verschwand von der Bildfläche, ebenso der „g'schamster Diener Gnä Frau“. Freilich, der Respekt vor der Obrigkeit ist geblieben, manchmal zu sehr, denn allzu gerne genießen wir es in Internet und Fernsehen die devoten Umgangsformen von Downton Abbey oder dem Hotel Sacher zu sehen, aber im Großen und Ganzen haben wir heute durchaus den Mut die „die das Sagen haben“ zu kritisieren, Der Krieg hatte gezeigt, wie wenige „Heldenhaft“

das Militär eigentlich war, und dass der Tod fürs Vaterland nichts süßes oder gar wünschenswertes an sich hat. Eine Folge des Vertrages von Saint Germain war die Einführung eines Berufsheeres, welches eine Stärke von 30.000 Mann nicht überschreiten durfte. Faktisch freilich aber waren in Österreich durch die privaten Wehrverbände der Parteien weitaus mehr Menschen unter Waffen als es der Vertrag eigentlich erlaubte. Da sie sich aber nicht gegen das Ausland sondern gegeneinander richteten tolerierte man das. Einige Jahre später nutzte die Regierung Italiens diese Österreich interne Mobilisierung um das Land für seine Interessen zu unterwerfen, mit Hilfe und auf Nachfrage ihrer österreichischen Kollegen. Erst nach dem zweiten Weltkrieg war die Idee der privaten oder gar parteipolitischen Militarisierung endgültig gestorben. Im Jahre 1919, im Februar hatte die damalige provisorische Nationalversammlung beschlossen auch den Frauen das Wahlrecht zu erteilen. Die Männer, übrigens in allen damals existenten Parteien waren dem lange skeptisch gegenübergestanden. Man (in dem Fall die Sozialdemokratie) befürchtete etwa, dass die Frauen zu willfährigen Werkzeugen der Pfarrer und Prälaten würden und sah sich damit um mögliche Erfolge an den Urnen betrogen. Andere (in dem Fall die Christliche Soziale Partei) dagegen setzen auf genau diesen Effekt, fürchteten aber anderseits wohl auch um ihre Macht. Um dieses überprüfen zu können, wurde beschlossen die Wahlzettel der Frauen anders als die der Männer zu färben, um ihr Stimmverhalten separat auswerten zu können. Für die heutige Statistik und Politikwissenschaft ein unvergleichlicher Schatz. Wie müssen sich unsere Urgroßmütter gefühlt haben als sie zum ersten Mal ihre Stimme bei einer Wahl abgeben konnten. Freilich, vieles von dem was man damals heraufdämmern sah dauerte noch Jahrzehnte, etwa die Abschaffung der Strafbarkeit von Abtreibung oder eine geschäftliche Unabhängigkeit vom Ehemann. Letztlich haben sich viele politische oder gesamtgesellschaftliche Träume von 1919 nicht erfüllt, vieles kam ganz anders, und auch nur manche private Vorstellungen sind Realität geworden. Wie auch heute. Ziehen wir daraus die Lehre uns zu bemühen eine Gesellschaft zu schaffen, in der für die größtmögliche Anzahl von uns die Verwirklichung unserer Vorstellungen vom idealen Leben durchführbar ist.

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Die ÖH-Bilanz nach 2 Jahren:

der Vorsitz im Gespräch

Die drei Studierenden Felix, Wiebke und Alex wurden 2017 als Vorsitzteam der ÖH Salzburg gewählt. Heute, zwei Jahre und tausende Stunden ehrenamtlicher Arbeit später, blicken sie zurück auf das, was ihnen in der Zeit gelungen ist und was sie ihren Nachfolger*innen weitergeben, die am 1. Juli ihr Amt antreten.


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uni:press: Als ÖH-Vorsitzteam leitet ihr seit zwei Jahren eine Organisation mit rund 350 Ehrenamtlichen und einem Jahresbudget von rund 620.000 Euro. Wie kann man sich euren Arbeitsalltag vorstellen?

Der „Steuerlöscher“ informiert über Möglichkeiten, sich einen Teil der Steuern zurückzuholen. Was auch intensiv genutzt wird, ist der ÖH-Plagiatscan, um vor der Abgabe einer Hausarbeit zu schauen, was teils irrtümlich als Plagiat markiert wird.

Felix: Man ist rund um die Uhr im Einsatz: von Uni-Sitzungen über Büroarbeit bis zu Gesprächen mit Studierenden und StudienvertreterInnen. Und man ist immer erreichbar. Wenn eine Zeitung anruft um die ÖH-Meinung zu erfahren, beispielsweise beim Skandal, dass am Juridicum eine große Prüfung als ungültig erklärt wurde, muss man auch aus dem Seminar raus oder eine Nachtschicht schieben. Wiebke: Ich finde der Alltag ist sehr abwechslungsreich. Als ÖH-Vorsitz hat man mit unglaublich vielen Leuten zu tun. Kommunikation, Koordination und Projektmanagement sind bei einer so großen Organisation wie der ÖH Kernaufgaben. Und neben Studium und teils Lohnarbeit ist es auch einfach zeitintensiv. In den heißen Phasen ging wenig unter 30-50 Stunden die Woche. Alex: Das Motivierende ist, dass man in der ÖH viel Freiraum hat, sich konsequent für Studierende einzusetzen. Wir sind ausschließlich den Studierenden und den politischen Anliegen verpflichtet – aber keinem Sponsor, keinem Chef und nicht der Uni-Leitung. Diese Möglichkeiten, sich selbstbestimmt zu engagieren, gibt es nicht oft im Leben. Man sieht Ergebnisse und kann konkret was bewegen.

uni:press: Die politischen Gruppen, die bei der ÖH-Wahl eine sehr enge Vorstellung von Interessensvertretung propagiert haben, wurden ja deutlich abgestraft. Was habt ihr in den letzten zwei Jahren unter guter Vertretung verstanden?

uni:press: Zwei Drittel der Studierenden müssen arbeiten. Viele leiden unter Geldsorgen. Der Druck im Studium wächst und wächst. Angesichts dieser Probleme: Was kann guter Service für Studierende eigentlich sein? Felix: Der beste Service ist eine starke politische Vertretung. Wenn eine neue Bundesregierung im Herbst Studiengebühren von tausend Euro im Jahr einführt, kann die ÖH gar nicht so viele gratis Kaffees ausschenken, um das wettzumachen. Man muss die Probleme also an der Wurzel packen und langfristig politisch lösen. Wiebke: Gleichzeitig braucht es im Hier und Jetzt eine Unterstützung für Studierende. Klassiker ist die Beratung. Vom ersten Semester bis zum Studienabschluss tauchen Fragen auf, die von der ÖH oft leicht beantwortet werden können. Beim ÖH-Beratungszentrum haben wir das Team aufgestockt. Für Erstsemestrige haben wir die „How to: Uni“-Weeks eingeführt.

Wiebke: Zu einem guten Studium gehört viel dazu. Von vielseitigen Studienplänen, die auch Freiraum für eigene Interessen geben, über leistbares Leben damit man finanziell nicht ins Strudeln kommt bis hin zu einem guten gesellschaftlichen Klima. Niemand kann in Ruhe studieren, wenn man sich ständig Sorgen machen muss, sei es um das Geld oder weil man im Bus wegen der Hautfarbe oder dem Geschlecht blöd angeredet und belästigt wird. Ein gutes Studieren ist nur in einer guten Gesellschaft möglich. Alex: Wir haben in den letzten zwei Jahren bewusst versucht, Studierende als das zu vertreten, was sie sind: Menschen, die nicht nur im Hörsaal und in der Bib leben, sondern die auch wohnen, arbeiten, ein Kultur- und Freizeitleben führen, die sich über die Zukunft Gedanken machen, sei es bezüglich der Arbeitswelt, der Klimakrise, die Demokratie oder der sozialen Absicherung wenn sie mal in Notlagen geraten. Eine ehrliche, gute ÖH-Vertretungsarbeit nimmt Studierende in allen ihren Lebenslagen ernst. uni:press: Was heißt das konkret? Felix: Die ÖH hat im Kulturbereich neben den Kooperationen und vergünstigten Tickets für Kultur-Einrichtungen wie das Rockhouse auch viele studentische Eigeninitiativen gefördert. Mit den „ÖHClubs“ kann man ganz einfach Mitstudierende finden und sich zusammentun, um eine Gruppe rund um ein Hobby oder ein Anliegen zu gründen. Das reicht vom Schachclub bis zu Theaterclub. Alex: Hinzu kommen neue Angebote wie der ÖH-Flohmarkt und die richtig guten, großen und niederschwelligen Parties – die billig, aber nicht trashig sind. Da kann man Leute zusammenbringen. Wichtig waren uns möglichst freie Räume ohne Konsumzwang, wo man selbstverwaltet oder zumindest mit offenen Beteiligungsmöglichkeiten sich mit anderen zusammentun und was schaffen kann.

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NEUSTART

uni:press: Auf Studierende wirkt die Uni ja oft wie ein neutraler Ort, wo rein sachlich und wissenschaftlich gearbeitet wird, manchmal vielleicht etwas eingeschlafen - aber nicht als Ort, wo gestritten und Interessengegensätze ausgetragen werden. Wie habt ihr das erlebt? Wiebke: Auch an der Uni Salzburg mit ihren tausenden Studierenden und Mitarbeiter*innen gibt es Interessengegensätze, die sich nicht “neutral” lösen lassen. Da geht es z.B. um die Privilegien der Professor*innen gegenüber der großen Mehrheit der Lehrenden und Forschenden, dem sogenannten “Mittelbau”. Oder um die Versuche von Rektorat und Bundespolitik, mit der neuen Uni-Finanzierung flächendeckende Zugangsbeschränkungen einzuführen und vorzugeben, wer was studieren darf. Oder um knallharte Verteilungskämpfe: Welcher Fachbereich, welche Forschungsgruppe bekommt wie viel an Budget, Räumen und Infrastruktur? Felix: Als Studierende stecken wir mitten drin in diesen Auseinandersetzungen. Hinzu kommen Studierenden-spezifische Fälle, beispielsweise als beim neuen Lehramtsstudium gehudelt wurde und hunderte Studierende mangels gesetzlicher Regelung davor standen, ihr Studium abzuschließen - aber nicht arbeiten zu dürfen! Auch das Juridicum, wo eine große Prüfung so mir nichts, dir nichts als ungültig erklärt und gekübelt wurde, hat für Konflikte gesorgt. Und auch bei der Kür des neuen Rektors musste die ÖH dafür kämpfen, dass Studierende überhaupt an den Kandidat*innen-Hearings teilnehmen durften! An anderen Unis ist das eine Selbstverständlichkeit. Da sind wir von einer echten, demokratischen Wahl noch weit entfernt. uni:press: Die letzten zwei Jahre waren ja auch politisch brisant: Die Bildung der zweiten Schwarz-Blauen Regierung und große Demon-

strationen im ganzen Land, die Salzburger Landtags- und Gemeinderatswahlen, Proteste gegen die Klimakrise, der Zerfall der rechten Bundesregierung. Was hatte das mit euch zu tun? Felix: All diese politischen Ereignisse betreffen Studierende massiv. Beispielsweise wollte die – jetzt zerbröselte – schwarz-blaue Bundesregierung den dritten Prüfungstermin abschaffen, Studiengebühren von rund tausend Euro pro Jahr einführen und die ÖH mundtot machen. Solche Angriffe auf Studierende müssen abgewehrt werden. Als ÖH haben wir viel Informationsarbeit geleistet und die Proteste gegen diese zukunftsfeindliche Politik mitgetragen. Wiebke: Studierende sind erfahrungsgemäß eine Bevölkerungsgruppe, die politisch interessiert ist und für ihre Interessen auch auf die Straße geht. Zu einem vielseitigen Studierendenleben zählen eben nicht nur Parties, sondern auch Diskussionen, Initiativen und Aktionen, kritisches Nachdenken und Aktiv-sein. Als ÖH haben wir das unterstützt. Wir haben viele Vorträge, eine eigene Ringvorlesung über Soziale Bewegungen, Diskussionsrunden zu Salzburger Wahlen, Workshops und vielfältige Schulungen organisiert. Felix: Wichtig war uns auch die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, von der Plattform Menschenrechte über Solidarisches Salzburg bis hin zur Arbeiterkammer. Als Studierende müssen wir uns Bündnispartner suchen, die auch für eine soziale, solidarische und ökologische Zukunft arbeiten. Man muss das Rad nicht neu erfinden, kann voneinander lernen und sich wechselseitig unterstützen. uni:press: Wo kann man eigentlich ansetzen, wenn man uni-politisch etwas zum Positiven verändern will? Felix: Eine starke uni-politische Vertretung muss vor Ort verwurzelt sein. Bei mir war es vor allem


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die Studienvertretung Psychologie. Es braucht auch eine starke Uni-Ebene – und darüber hinaus. Ich bin selbst auch bundesweit aktiv, als Internationaler Referent der ÖH, und bringe mich auch europaweit bei Projekten und Veranstaltungen der Europäischen Studierendenvereinigung ein. Je stärker all diese Ebenen sind, desto mehr können wir insgesamt erreichen. Wiebke: Auch Studierende mit wenig Zeit können wertvolle Beiträge leisten. Wir haben die Team-Strukturen in der ÖH geöffnet, damit sich mehr Menschen einbringen können. Auch zwischen den ÖH-Wahlen gibt es immer die Möglichkeit, in der ÖH mitzumachen – sei es in der Studienvertretung des eigenen Studiums, in der Bildungsarbeit oder bei Kampagnen und Aktionen. uni:press: Im Alltag ist ÖH-Arbeit auch viel Verwaltungsaufwand: Formulare, Anträge, Buchungen. Für das brennen nur die wenigsten. Was habt ihr getan um da nicht „unterzugehen“ in Bürokratie? Alex: Wir haben die gesamten Verwaltungsabläufe der ÖH Salzburg neu organisiert. Mit über 300 ehrenamtlichen Aktiven ist die ÖH Salzburg ja eine große, komplexe Organisation. Vieles läuft jetzt digital. Auf der Plattform meine.oeh-salzburg.at können alle Studierenden ganz einfach die Anträge auf finanzielle Hilfe in Notlagen, Unterstützung bei Fahrtkosten oder Kinderbetreuung, Kultur- und Projektförderung stellen. Auch den ÖH-Freiraum in der Kaigasse 17 kann man schnell und unkompliziert buchen. Angebote wie den Skripten-Verteiler können schrittweise aufgebaut werden. Das ganze System ist für Studierende, für Antragsteller*innen transparenter und nachvollziehbarer geworden. Wiebke: Auch den unbeliebten Themen im Hintergrund haben wir uns gewidmet. Die Buchhaltung ist

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auf neuen Stand gebracht, die Gebarungsordnung überarbeitet. Unser Ziel war, gezielt in die Organisationsentwicklung zu investieren, damit ehrenamtlich aktive Studierende in der ÖH zukünftig mehr Zeit für die uni-politische Arbeit nutzen können anstatt für Papierkram. uni:press: Was möchtet ihr uns zum Abschluss noch mitgeben? Felix: Wir bedanken uns bei allen, die sich in den letzten zwei Jahren in der ÖH eingebracht haben: den Mitarbeiter*innen im Sekretariat, Buchhaltung und Beratungszentrum, den ehrenamtlich Aktiven in der Universitätsvertretung, allen Studien- und Fakultätsvertretungen, den Heimvertreter*innen in Studierendenheimen, allen, die sich bei ÖH-Clubs und Projekte eingebracht haben, sowie den vielen Leuten, die auf andere Weise die gemeinsame Vertretung gestärkt haben. Gerade in Zeiten wie diesen braucht es viele, die für ein besseres Studium und eine bessere Zukunft aufstehen. Wiebke: Das wichtigste ist eine konsequente, starke Vertretung. Statt voreiligem Gehorsam oder fauler Kompromisse gegenüber Autoritäten wie Rektorat, Medien oder Regierungen braucht es eine selbstbewusste, inhaltlich fundierte Interessenvertretung. Neben Gesprächen muss man auch bereit sein, für sein Anliegen zu protestieren und auf die Straße zu gehen. Wenn Interessen aufeinanderprallen, braucht man viele Leute, die zusammen für etwas eintreten. Alex: Ich glaube ich spreche da nicht nur für mich – aber die ÖH-Arbeit ist unglaublich bereichernd. Ich habe mehr gelernt und nehme mir mehr für die Zukunft mit an Erfahrungen und Skills, als ich durch mein Studium hätte erlernen können. Daher kann ich allen nur empfehlen, sich auch mal in der ÖH einzubringen und diese schöne Erfahrung zu machen.

Felix Klein (27), studiert Psychologie und European Union Studies im Master und engagiert sich seit 2013 in der ÖH. Wiebke Fischbach (22), studiert Philosophie im Bachelor und startete 2016 als ÖH-Vorsitzende. Alex Schlair (23), studiert Kommunikationswissenschaften im Bachelor und startete sein Engagement 2016 in der StV Politikwissenschaften.


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UNI & LEBEN

uni & leben

Gegendarstellung zum Beitrag der uni:press Dezember 2018 Seite 32 und 33 gemäß § 13 MedienG: Dr. Stan Nadel hat für seine Vortragstätigkeit im Zuge der Ringvorlesung „Politics, History and Culture – Austria in the 21 Century“ kein Honorar erhalten und wird auch kein Honorar dafür erhalten. Herr Dr Stan Nadel ist ein renommierter Historiker, der über eine 40-jährige Lehrerfahrung an US und europäischen Universitäten verfügt. Auch und gerade seine Publikationstätigkeit in den letzten 15 Jahren und die Beschäftigung mit der österreichischen Geschichte macht ihn zu einem Experten, der für das Thema der Ringvorlesung hervorragend qualifiziert ist.

Sehr geehrtes Redaktionsteam von uni:press, betr. den Artikel von Christoph Würflinger im Uni-Press Nr. 695 Dez. 2018 („Freunderlwirtschaft im Hörsaal“) möchten wir im Namen der Fachbereichsleitung und der Leitung der Curricular-Kommission des Fachbereiches Geschichte der Universität Salzburg feststellen, dass der Beitrag eine persönliche Stellungnahme des Autors darstellt. Für die Fachbereichsleitung: Laurence Cole, Martin Knoll, Angela Schottenhammer Für die CuKO-Leitung: Alfred Stefan Weiß


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KAMPFBEGRIFF EXZELLENZ Seit der Rektorswahl ist ein Begriff wieder in aller Munde: Exzellenz. Allen KandidatInnen war es ein Anliegen, aus der Universität Salzburg eine “exzellente” Uni zu machen. Aber was bedeutet eigentlich Exzellenz? Von Christoph Würflinger

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in erster Instinkt wird den meisten Leuten vermutlich sagen, dass Exzellenz doch nur etwas Gutes sein kann. Exzellenz bedeutet hervorragende Leistungen, Spitzenforschung und Stärkung der “internationalen Wettbewerbsfähigkeit”, und wer kann schon ernsthaft gegen Forschung auf allerhöchstem Niveau sein? Schaut man jedoch genauer hin, wird die Angelegenheit problematisch. Als Vorbild wird meist die 2005 gestartete, sogenannte “Exzellenzinitiative” in Deutschland genannt. Sie ist ein Finanzierungsprogramm, dessen Ziel ein verstärkter Wettbewerb zwischen den Universitäten ist, um den Wissenschaftsstandort (und damit den Wirtschaftsstandort) Deutschland zu stärken. In der Theorie läuft das folgendermaßen: Universitäten bewerben sich, damit sie mehr Geld bekommen, um das Exzellenz-Etikett. Nach einer Bewertung durch externe GutachterInnen wird entschieden, welche Uni mehr Geld erhält und welche nicht. Nun gab es damals durchaus interessante Ideen, etwa die Auflockerung des stark auf die Professur aus-

gerichteten Systems. Stattdessen wurde aber der Wettbewerb unter den Unis erzwungen und der Professur als einzig unbefristeter Stelle quasi ein Machtmonopol zugewiesen. Die Hochschulen konnten sich in jeder Antragsrunde erneut um das Exzellenz-Etikett bewerben, dieses aber auch wieder verlieren. Problematisch, denn: Was macht man mit hervorragend ausgebildeten WissenschaftlerInnen, wenn auf einmal keine Mittel mehr da sind? Richtig: Man überlässt sie sich selbst. Ein weiteres, grundlegendes Problem: Wer die Politik kennt, weiß, dass es diese Mittel nicht zusätzlich zu einer anständigen Basisfinanzierung geben wird. Sie wird diese ersetzen. Es gibt dann eine, zwei, vielleicht drei “exzellente” Unis in Österreich, die genug Geld für Spitzenforschung bekommen. Dem Rest werden Gelder weggenommen. Man wird also einen Budgettopf in die Mitte stellen, um den sich die finanziell ausgehungerten Unis prügeln dürfen. In der Praxis bedeutet das nicht nur eine erdrückende Bürokratie und durch abgelehnte Anträge massenhaft nicht abgeschlossene Forschung, sondern auch eine


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UNI & LEBEN

Verschwendung von geschaffener Infrastruktur: Diese wird mit “Exzellenz”-Mitteln aufgebaut und liegt dann brach, wenn das Geld in der nächsten Antragsrunde einer anderen Uni zugeteilt wird. Wer entscheidet eigentlich, was als “exzellent” gefördert wird? Schon jetzt gibt es in der Wissenschaftswelt einen Wettkampf um sogenannte Drittmittel, also Gelder, die zusätzlich zur Grundfinanzierung von dritter Seite in der Regel für befristete Projekte an Universitäten und Forschungseinrichtungen ausbezahlt werden. Beim Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung - in Österreich die zentrale Einrichtung zur Förderung von Grundlagenforschung - läuft das folgendermaßen: Man reicht ein Projekt ein, wird von internationalen GutachterInnen in einem anonymen Verfahren bewertet und bekommt dann die beantragten Mittel entweder bewilligt oder eben nicht. Die Bewilligungsquote liegt bei etwa 20 Prozent. Das liegt nicht daran, dass die anderen 80 Prozent der Anträge schlecht wären - es ist schlicht viel zu wenig Geld da. Das bedeutet, dass

hervorragende Projektanträge regelmäßig abgelehnt werden müssen. Als exzellent gilt Forschung nicht in erster Linie dann, wenn sie bahnbrechende Ergebnisse liefert, sondern vor allem, wenn sie oft zitiert wird. Das bedeutet, dass WissenschaftlerInnen gezwungen sind, möglichst viele Publikationen rauszupressen. Wer nicht auf Englisch veröffentlicht, hat von vornherein verloren. Für gute Lehre ist in diesem System ohnehin kein Platz. Die Folge des “Exzellenz”-Wahns ist eine Ausweitung der finanziellen Friss-oder-Stirb-Mentalität in der Wissenschaft. Wer “exzellent” sagt, meint: Ellbogen raus, gnadenloser Wettbewerb, nicht die besten werden gefördert, sondern die, die sich auf das System einstellen und Glück haben. Die anderen bleiben auf der Strecke. Bevorzugt wird dann Forschung, die “etwas bringt” (nämlich der Wirtschaft). Besonders die Kultur- und Gesellschaftswissenschaften werden darunter leiden. “Exzellenz” ist ein neoliberaler Kampfbegriff. Wer ihn verwendet, beweist, dass er es mit der Universität nicht gut meint.


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STELLUNGNAHME ZU

„FREUNDERLWIRTSCHAFT IM HÖRSAAL“

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ür viel Wirbel hat der Artikel „Freunderlwirtschaft im Hörsaal“ von Christoph Würflinger gesorgt. Zuallererst möchten wir festhalten: Unser Redakteur hat sauber recherchiert, kein Wort daran ist nicht durch Rechercheergebnisse belegt. Dennoch folgen wir dem Rat der ÖH-Juristen und veröffentlichen die Gegendarstellung, die Stan Nadel von uns verlangt. Nicht, weil wir meinen, einen Fehler gemacht zu haben, sondern um uns die Mühen zu ersparen, die ein etwaiges Gerichtsverfahren mit sich bringen würde. Wir möchten aber im Sinne der Transparenz offenlegen, wie unser Redakteur im Fall Stan Nadel recherchiert hat: 1. Online-Recherche: Abgesehen von der privaten Verbindung zu Vizerektorin Hahn war uns der Name Stan Nadel kein Begriff. Im Zuge einer Online-Recherche konnten wir einen zweifelhaften Eintrag im Salzburg-Wiki, eine wenig aussagekräftige Academia-Seite und einen Lebenslauf aus den frühen Nullerjahren (vermutlich 2002 oder 2003) finden. Letzterer beinhaltet eine relativ kurze Publikationsliste, die von einem Thema dominiert wird: Deutsche Emigration in die USA. Eine kleine Auswahl: “Little Germany: Ethnicity, Religion and Class in New York City, 1845-1880“, “The German-American Left“, “Germans in New York“, From the Barricades of Paris to the sidewalks of New York: German Artisans and the European Roots of American Labor Radicalism“, “Jewish Race and German Soul in Nineteenth Century America“ etc. Dazu kommen Vorträge zu Themen wie “A Forgotten Crime Wave: Infanticide in Mid-19th Century New York City”, “Enemy Agents? The Opposition to the Vietnam War and the Loyalty Issue” oder “Choosing Death in the Victorian Metropolis: Gender

and Suicide in New York and London”. Man erkennt bereits: es handelt sich dabei nicht unbedingt um Themen, die direkt mit der österreichischen Geschichte zwischen 1933 und 1945 in Verbindung stehen. 2. Literaturrecherche: Da der letzte auffindbare Lebenslauf also bereits etwas älter ist, wurde eine ausführliche Literaturrecherche vorgenommen: Ergebnis: Neben einer Handvoll Artikel zur Migrationsgeschichte und einigen Rezensionen hat Stan Nadel 2005 ein Buch veröffentlicht: „Ein Führer durch das jüdische Salzburg“ bzw. “Salzburg and the Jews: A Historical Walking Guide“. Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich dabei nicht um ein zeitgeschichtliches Standardwerk, sondern um einen populärwissenschaftlichen Reiseführer durch das jüdische Leben in Salzburg im Laufe der Jahrhunderte. 3. Gespräche mit ZeithistorikerInnen: Um das Bild zu vervollständigen, haben wir mit mehreren österreichischen ZeithistorikerInnen gesprochen, die zu den Themen der beiden Vorträge forschen. Sie haben unsere Vermutungen bestätigt: Stan Nadel gilt ihnen zufolge weder als Experte für das Thema Austrofaschismus noch für die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich. Er hat dazu nichts Nennenswertes publiziert und er wird in der einschlägigen Fachliteratur und in Handbüchern nicht zitiert. Wir folgen – wie bereits erwähnt – der Empfehlung der Juristen und veröffentlichen die Gegendarstellung. Wie die hier knapp zusammengefassten Recherchen zeigen, gibt es keine öffentlich verfügbaren Anhaltspunkte, dass Stan Nadel ein Experte für die erwähnten Vortragsthemen wäre, auch wenn er sich selbst dafür hält. Die uni:press-Redaktion


politik & gesellschaft

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POLITIK & GESELLSCHAFT

WO STEHT CHINA 30 JAHRE NACH DEM TIANANMENMASSAKER? ÖH-Parteien sind nicht die einzigen, die sich Politik-freie Student/-innen und weniger Demos wünschen. Die chinesische Diktatur sieht das genauso, für diesen Zweck haben sie vor 30 Jahren mehrere hundert (wenn nicht tausende) protestierende Student/-innen ermordet. Auch heute stehen sie noch hinter ihrem Vorgehen und rücken keinen Millimeter von ihrer restriktiven Politik ab. Reportage aus dem Taiwan-Urlaub von Carlos P. Reinelt

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hinas Verteidigungsminister hat das blutige Niederschlagen der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor 30 Jahren als richtige Entscheidung gerechtfertigt. In einer seltenen Äußerung eines chinesischen Politikers zu den Vorkommnissen von damals auf dem Tiananmen-Platz in Peking sagte Wei Fenghe am Sonntag auf einer Sicherheitskonferenz in Singapur, die Proteste seien politische Unruhen gewesen, die die Regierung habe bezwingen müssen, „Deshalb ist China stabil. “. Er könne nicht verstehen, wieso China noch immer vorgeworfen werde, „den Vorfall nicht korrekt gehandhabt zu haben“. Wei äußerte sich beim Shangri-La-Dialog, für den jedes Jahr Verteidigungsminister und hochrangige Militärs aus aller Welt nach Singapur reisen. Die von Studenten angeführten Proteste für Frieden und Pressefreiheit auf dem Platz des Himmlischen Friedens waren vom chinesischen Militär in der Nacht zum 4. Juni 1989 mit Waffengewalt niedergeschlagen worden. Menschenrechtsorganisationen sprechen von hunderten, vielleicht sogar tausenden Toten. Die chinesische Regierung erklärte Ende Juni 1989, bei der Unterdrückung der „konterrevolutionären Aufstände“ seien 200 Zivilisten und mehrere Dut-

zend Sicherheitskräfte getötet worden. Die Führung in Peking lässt bis heute keine Aufarbeitung der Vorfälle zu, Berichte über das Blutbad werden zensiert. Anspruch auf Taiwan Weiterhin kritisierte Wei die Unterstützung der Vereinigten Staaten für den von China beanspruchten Inselstaat Taiwan. China werde bis zum Ende kämpfen, wenn jemand versuche, Taiwan von China „abzuspalten“, sagte er. „Jede Einmischung in die Taiwan-Frage ist zum Scheitern verurteilt.“ Wei wiederholte damit bekannte Standpunkte der chinesischen KP. Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte Anfang Januar explizit Gewalt nicht ausgeschlossen, um Taiwan unter Kontrolle zu bringen. Das demokratische Taiwan war nie unter Kontrolle der Volksrepublik. Das politische System dort hat seinen Ursprung in der nationalchinesischen Republik, die 1949 auf dem Festland im Bürgerkrieg den Kommunisten unterlegen war. Zwar sind die Vorfahren der meisten Taiwaner irgendwann aus China eingewandert, doch eine überwältigende Mehrheit lehnt einen Anschluss an die Volksrepublik unter dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“, wie Peking es fordert, ab.

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Tipps für die Expertenregierung Mindestgeschwindigkeit 140 auf Autobahnen

Rauchpflicht in Restaurants

Annexion von Ibiza (als 10. Bundesland)

Gründung eines Kavallerie-Bataillons im Bundesheer


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Der Nationalrat hat unsere glorreiche Regierung aus dem Amt gejagt, bevor sie ihr ambitioniertes Reformprogramm durchziehen konnte. Aber müssen die nächsten drei Monate bis zur Wahl Stillstand bedeuten? Nein! Wir haben die besten Tipps für das ExpertInnen-Kabinett, um den eingeschlagenen Reformkurs erfolgreich fortzusetzen.

Verbot von arabischen Ziffern

© GEPA

Steuersenkungen für Superreiche

Artillerieunterstützung für die Polizei bei Demos

Mindestarbeitsdauer 60 Stunden pro Woche

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„Der Motor dahinter ist die Suche nach Gerechtigkeit“ DER KLAGSVERBAND IM PORTRÄT

Vergangenes Jahr erfuhr der Klagsverband durch seine bedrohte Existenz vermehrte mediale Aufmerksamkeit. Völlig unerwartet strich das Frauenministerium der FPÖ-ÖVP-Regierung dem Verein zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern ganze 30.000€. Die Zivilgesellschaft machte durch seine Spenden und zahlreiche Solidaritätsbekundungen deutlich, dass die Arbeit des Klagsverbandes für sie unverzichtbar ist. Von Hannah Wahl


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“Bei vielen Vereinen ist in den letzten Jahren massiv gekürzt geworden” Der Klagsverband ist keine typische NGO und in seiner Konstruktion als Dachverband, der alle in Österreich rechtlich anerkannte Diskriminierungsfälle abdeckt, EU-weit einzigartig. Wer aufgrund aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, sexuelle Orientierung und Alter diskriminiert wird, kann prinzipiell vor Gericht ziehen. Doch die etwa 60 verschiedenen betroffenen Gesetze machen es vielen kleinen beratenden Vereinen und Selbstvertretungsorganisationen, die oft selbst keine juristische Fachkraft beschäftigen können, schwer, Rechtsansprüche durchzusetzen. Und auch “Privatpersonen klagen kaum”, weiß Generalsekretär des Klagsverbandes, Volker Frey. “Wenn so ein Individualbeschwerdeverfahren über einen Anwalt läuft, dann kostet das schnell mal ein paar Zehntausend Euro.” Aus diesem Grund entstand die Idee, den Klagsverband ins Leben zu rufen, der mittlerweile seit 15 Jahren seine Mitgliedsvereine in ihrer Expertise juristisch unterstützt und auch Einzelpersonen vor Gericht vertritt. Aus den ursprünglich drei Gründungsvereinen - ZARA, BIZEPS und der HOSI Wien - wurden mittlerweile rund 53 Mitgliederorganisationen. Der plötzliche Wegfall des zweitgrößten Förderers hat den Verband, der auch auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen ist, getroffen: “Wir haben immer gesagt wir machen trotzdem keine zweite große Spendenaktion. Wir wollen besonders unseren kleinen Mitgliedsvereinen nicht ihre Spenden wegnehmen.”, so Frey. Mit Nachdruck für das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe Das nur dreiköpfige Team hat allein im im vergangenen Jahr 108 Anfragen zur Rechtsdurchsetzung bearbeitet, drei Gerichtsverfahren abgeschlossen und ein großes Individualbeschwerdeverfahren auf UN-Ebene zum positiven Abschluss gebracht. Ein blinder Mann klagte gemeinsam mit dem Klagsverband die Linz Linien wegen mangelnder Barrierefreiheit, da die neuen Stationen einer Straßenbahnlinie nicht mehr mit einer Sprachausgabe ausgestattet wurden. Für den Linzer eine massive Verschlechterung. Trotzdem wurde die Klage in zwei instanzen abgewiesen, der Fahrgast könne sich ja vor Fahrtantritt im Internet informieren. Nachdem in Österreich alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft waren, meldete der Klagsverband die Menschenrechtsverletzung der UNO. Diese sprachen eine nachdrückliche Empfehlung aus, die umfassende Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr sicherzustellen, damit auch Menschen mit Behinderungen teilhaben können. Die internationale Rüge führte schließlich dazu, dass im Juni 2018 die Straßenbahnverordnung entsprechend novelliert wurde. Nicht nur ein Erfolg für den Kläger und sein Unterstützerteam, sondern für die ganze Zivilgesellschaft, die das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe einmal mehr einforderte.


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Andrea Ludwig

© Johannes Zinner

Empowerment Daniela Almer unterstützt den Klagsverband in der Öffentlichkeitsarbeit. Für sie war schnell klar, dass es nach dem Studium mehr als nur irgendein Job sein muss: “Ich will jeden Tag heimkommen und sagen: Ja, ich habe heute etwas für eine bessere Welt gemacht.” Nach dem Studium in Romanistik und Gender Studies arbeitete sie bei den autonomen Frauenhäusern, im Verlagswesen und als freie Journalistin, bis sie sich auf eine freie Stelle beim Klagsverband bewarb, die sie bis heute erfüllt: “Der Klagsverband ist für die Zivilgesellschaft sehr wichtig. Menschen bekommen so Unterstützung von Personen, die ohne unsere Hilfe kaum einen Zugang zu ihrem Recht bekommen und sonst immer auf der VerliererInnenseite stehen würden. Zum Empowerment beizutragen, das ist mir sehr wichtig. Und selbst, wenn Klägerinnen und Kläger verloren haben, sind sie oft happy, weil sie gemerkt haben, dass sie Rechte haben und sie eingefordert haben.”

Volker Frey

© Johannes Zinner

Daniela Almer

© Ulrike Wieser

“Man weiß, man macht das Richtige” Die Rechtsdurchsetzung ist das Spezialgebiet von Juristin Andrea Ludwig. Zuvor hatte sie in einer “klassischen Kanzlei” für Arbeits- und Unternehmensrechts gearbeitet: “Irgendwann war da so die Überlegung. Mach ich das für immer? Und dann hat mir eine Freundin die Stellenanzeige gestellt und ich dachte mir: Woah, da kannst du wirklich wichtige Klagen führen.” Und das tut Andrea Ludwig nun schon seit 10 Jahren beim Klagsverband. Einen typischen Arbeitstag hat sie seitdem nicht mehr, denn man wisse nie, wer kurzfristig eine juristische Einschätzung benötigt. Die Fälle, die die 42-jährige begleitet, sind für sie alle sehr mitreißend: “Man tauscht von Anfang an sehr Persönliches aus und begleitet die Personen auch sehr lange. Oft lernt man Familienangehörige oder die ganze Familie kennen.” Und auch wenn nicht jeder Diskriminierungs-Fall gewonnen werden kann, jedes Verfahren sei wichtig. “Beeindruckt haben mich immer Personen am meisten, die das nicht nur für sich machen, sondern sagen: Ich mach das jetzt, auch wenn es mich belastet, um für die Zivilgesellschaft als Ganzes was zu erreichen. Im Antidiskriminierungsrecht da bekomm ich meistens nur Schadensersatz, an der Situation ändert sich selten etwas. Wenn ich solche Verfahren führe dann weiß ich, die stehen dahinter, die kommen zur Verhandlung, zu jedem anderen Termin, sind erreichbar; Da wird man von der Energie erfasst und man weiß, man macht das Richtige.”, erklärt Andrea Ludwig.


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ERGEBNISSE DER ÖH-WAHL 2019 UNIVERSITÄTSVERTRETUNG 37,05%

23,75%

14,82%

14,51%

6,96%

2,91% GRAS

AG

VSSTÖ

LUKS

JUNOS

Danke für eure Stimmen! Leider war auch in diesem Jahr die Wahlbeteiligung mit ca. 19% relativ klein. Eine starke ÖH bringt euch nicht nur die uni:press, sondern auch viele weitere Vorteile wie Stipendien, ein günstigeres Öffi-Ticket, interessante Veranstaltungen und mehr. Geht bei der nächsten Wahl 2021 also wählen! Eure Stimme zählt!

RFS


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? T H C A M

FRAUEN AN DER

Die letzten Wochen waren politisch höchst turbulent. Wenn die uni:press erscheint. könnten theoretisch noch so einige geheime Videos aus spanischen Inseln auftauchen. Im Lichte des EU-Wahlkampfes und der „Instabilität“, die von Altkanzler Kurz als solche märtyrerhaft gemeistert wurde, tritt eine hässliche Fratze, die eh eigentlich nie ruht, zu Tage, die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in Führungspositionen. Von Carolina Forstner

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or ein paar Tagen saß ich in einem Seminar welches sich mit einer bestimmten biblischen Geschichte auseinandersetzt, der Erzählung von Esther. Angestrengt versuchten wir im Plenum herauszufinden ob in den Versen irgendwo eine female voice, eine weibliche Stimme, die hinter der Redaktion dieses Buches stehen könnte, herauszufiltern. Schreiben Frauen so? Oder wie schreiben Frauen eigentlich, Fragen, die die feministische Forschung seit den 1970er Jahren auch an historische Dokumente wie es eben jenes Esther-Buch der Hebräischen Bibel ist. Im Plenum entscheiden wir, dass wir uns einfach nicht sicher sein können, weil, und hier zieht unsere Professorin drei Werke der einschlägigen Fachliteratur in Anspruch, weibliche Autorenschaft schlicht und ergreifend nicht wirklich umfassend untersucht wurde. In einem anderen Kurs wird aus einem dreiseitigen Vorwort einer Frau gelesen, die im 18. Jahrhunderts eines der ersten Gebetsbücher für jüdische Frauen verfasste. Eine erstaunliche Leistung, die vielleicht doch ein bisschen geschmälert wird, weil sie in eben erwähntem Vorwort ihr eigenes Werk sichtbar schmälert, um eine Lobeshymne an ihren Mann zu formulieren. Die renommierte britische Historikerin Mary Beard beschreibt in ihrem Werk Frauen & Macht treffend das Systematische verstummen weiblicher Stimmen und das Zurückhalten weiblicher Diskurspositionen seit der Antike. Perfide Mechanismen, die angewandt wurden um

Frauen seit Jahrhunderten vom Schalten und Walten abzuhalten, diese wirken bis heute. Eine Frau in einer Führungsposition – aber bitte nur wenn der Hut brennt! Wenn sie dann mal an den Schaltmechanismen sitzen, dann oft nur weil sie den Karren aus dem Dreck holen müssen oder es halt ein schönes Bild hergibt. Pamela Rendi-Wagner und Brigitte Bierlein sind das beste Beispiel für eine Hypothese, die auch durch zahlreihe wissenschaftliche Studien bestätigt wurde: Frauen dürfen nur in Krisensituationen ran. Die gebeutelte SPÖ, die sich von ihrem Abwärtskurs nicht mehr zu erholen scheint, die österreichische Republik die sich, so malte es jedenfalls Sebastian Kurz in den buntesten Farben, in einer schweren Stabilitätskrise befand – Pamela Rendi-Wagner und auch Brigitte Bierlein sitzen in nicht gerade beneidenswerten Positionen, wobei Zweitere mit Sicherheit mehr Raum hat sich „freizuspielen“. International fällt der/dem BeobachterIn sofort die, zum damaligen Zeitpunkt 2016, vor dem Brexit-Referendum relativ unbekannte britische Abgeordnete namens Theresa May ein, welche, als wirklich kein Mann in einer solch brenzligen Situation Premierminister werden wollte, das Amt der Premierministerin antrat. Wenn der Hut brennt, holt man sich eben eine Frau zum Löschen. Oder um es noch metaphorischer auszudrücken, stehen Frauen wie Theresa


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© BR / Vera Gasber

May oder auch Pamela Rendi-Wagner an einer „glass cliff“, einer gläsernen Klippe, ein Begriff den die Wissenschaftler Michelle Ryan und Alex Haslam 2005 in einer Studie der University of Exeter prägten und erwähntes Phänomen beschreibt: "women and other minority group members are over-represented in leadership roles that are risky and precarious”. Beispiele aus der Wirtschaft zeigen auch hier wer verlieren kann und darf. Männliche Unternehmer, die ihre Unternehmen in den Ruin treiben oder gefeuert werden, gelingt es viel häufiger wieder einzusteigen. Frauen, wie etwa Carol Bartz, die als Yahoo-CEO Karriere machte, wurde abgelöst und fand bis heute keinen Weg zurück in eine Führungsposition. Lasso: Frauen in Machtpositionen sind keine Selbstverständlichkeit, sie werden noch immer schonungsloser als Männer infrage gestellt. Glass cliff vs. Old boys club Wer die Regeln macht, bestimmt auch deren Ausführung und gerade in Führungspositionen in Wirtschaft und Politik funktionieren nach eigenen Regeln. Obwohl Frauen in Österreich über 51 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, ist von den 183 Abgeordneten im Parlament nur ein gutes Drittel weiblich. “Barriers women face are, for the most part, because they are not members of the same group as those in charge – and the old boys club are not just boys, they are also likely to be white, to be straight, to be able-bodied, and to be of a certain agar. Thus, anyone who isn’t part of this group is likely to face additional barriers.”, sagt die Forscherin Michelle Ryan. Die Mechanismen der “glass cliff” funktionieren durch Gender-Stereotype und dem „schlichten Schutz“ der „in-group“ vor Versagen. Natürlich lassen sich auch Erfolgsstories schreiben, Angela Merkel ist wohl ein Paradebeispiel für eine solche. „Eine Merkel macht noch keine Moderne“, wie die Journalistin Cerstin Gammerlin vor kurzem in einem Kommentar über das Ausscheiden der SPD Parteichefin Andrea Nahles, schrieb. Als politische Führungskraft in schwierigen Zeiten zu bestehen ist belastend, doch noch um ein vielfaches zehrender, wenn einem das Image der Ersten einer Zunft umgehängt wird. Laut waren die Jubelrufe als Brigitte Bierlein als Bundeskanzlerin angelobt wurde – Wir haben eine

Bundeskanzlerin! Der/die Leserin soll mich an dieser Stelle nicht falsch verstehen, auch ich habe einen gewissen Hang für Symbolpolitik du ihre Kraft sich realpolitische Wirkungskräfte zu entfalten, aber: Brigitte Bierlein ist „nur“ interimistisch Bundeskanzlerin. Ihre Geschlechtsgenossinnen, wie etwa eine Pamela Rendi-Wagner die, so fällt es der/dem aufmerksamen ZuhörerIn auf, in bestimmten Gesprächssituationen von ihren männlichen Gesprächspartnern gerne einfach nur „Rendi“ genannt wird, eine Form sie medial in eine Rolle der Ehefrau des Botschafters Michael Rendi zu zwängen und ihren zweiten Namen, den Nachnamen den sie in die Ehe mitbrachte, verschwinden zu lassen. Artikel über Artikel analysieren ihre rhetorischen Mängel und werfen ihr gar vor, dass sie ihre Rolle als Oppositionschefin nur spiele, auch die parteiinternen Rufe nach einer Ablösung scheinen nicht zu verstummen, während Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz ihre Niederlagen „stemmen“. Bei Ersterem ist es nicht so unwahrscheinlich, dass er vielleicht schon im Herbst sein politisches Comeback feiern wird. Die Chancen für eine Frau an der Spitze einer kommenden Regierungskoalition stehen denkbar schlecht: Frauenpolitik nimmt seit Jahren keinen wichtigen Platz in der österreichischen Politiklandschaft an. Keine Partei sticht hier durch besonderes Engagement hervor, im Gegenteil: Unter Türkis-Blau wurden fühlbare Verschlechterungen getätigt. Dass sich Frauen- und Familienressort unter einem Dach befinden, gilt als Symbol dieses Rollbacks. Im damaligen Regierungsprogramm wurden Frauen nur als Mütter oder mit Integrationsdefizit sichtbar. Die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings, Sonja Ablinger, konstatierte vor kurzem: "Die Fortschritte sind gering, jetzt geht es aber klar um Rückschritte". Dass in den ehemaligen Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ eine Frau an die Parteispitze gelangen könnte ist mehr als unrealistisch, in der SPÖ wird fleißig intern am Rendi-Wagner Stuhl gesägt, Liste Jetzt und die Grünen befinden sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses in Besprechungen über eine eventuelle gemeinsame Zukunft, aber auch hier steht der Kurs eher auf einen Mann: Werner Kogler. Einzig die NEOS können mit Beate Meinl-Reisinger eine Frau an vorderster Front aufweisen, aber ja: Wir haben eine Bundeskanzlerin!

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POLITIK & GESELLSCHAFT

KEIN VERGEBEN. KEIN VERGESSEN.

EINE DIGITALE REISE DURCH SALZBURGS JÜNGERE GESCHICHTE Mit dem Projekt “Ansichtssache” macht der KZ-Verband die nationalsozialistische Vergangenheit Salzburgs sichtbar und hilft damit, dass auch dieser bedrückende Teil unserer Geschichte niemals in Vergessenheit gerät. Von Hannah Wahl


POLITIK & GESELLSCHAFT

„K

ein Vergeben - kein Vergessen”, lautet eine Losung der Antifaschist*innen, die in Anbetracht der aktuellen politischen Lage nicht unwesentlicher geworden ist. Das Projekt „Ansichtssache” bringt das Erinnern und Mahnen aus den Museen raus, zu den Orten, die tief mit den historischen Geschehnissen verwurzelt sind. Sowohl an den jeweiligen Orten als auch auf Ansichtssachen-Karten wurden mit dem Smartphone scanbare QR-Codes angebracht, die direkt zu den zugehörigen Informationen führen. Die auf 22 Postkarten abgedruckten Motive nehmen dabei Bezug auf Ereignisse und Menschen, Widerstandskämpfer*innen und NS-Gegner*innen, aber auch Täter*innen und NS-Befürworter*innen, die durch ihr Tun Teil der Salzburger Geschichte geworden sind. So sieht man auf einer Ansichtskarte eine oft übersehene Erinnerungstafel für 28 antifaschistische Eisenbahner*innen - übrigens eine der aktivsten Gruppen in Salzburg im Kampf gegen den Nationalsozialismus - am Aufgang vom Lokalbahnhof. „Der Nationalsozialismus hat das Schlimmste im Menschen Realität werden lassen, hat aber im Widerstand gegen den Faschismus auch jenes Beste hervorgebracht, das stets auch bereit ist die menschliche Kultur vor der Barbarei zu verteidigen.“, heißt es auf der Internetpräsenz des Projektes. Eine andere Karte nimmt Bezug auf zwei Skulpturen „Kopernikus“ und „Paracelsus“ von „Hitlers Lieblingsbildhauer“ Josef Thorak, die nach langer Zeit endlich mit einem kleinen Hinweis zum NS-Bezug im Mirabellgarten bzw. im Kurgarten versehen wurden. Deutlich wird dabei, dass das nationalsozialistische Gedankengut nicht mit dem Ende des Krieges plötzlich ausgemerzt war. 1950 fand im Zuge der Salzburger Festspiele eine Thorak-Ausstellung statt, die etwa 22.000 Besucher*innen zählte. Das Projekt Ansichtssache stellt mit seiner digitalen Bilderreise eine interaktive Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Salzburg NS-Vergangenheit für Schüler*innen dar. Darüber hinaus bietet der KZ-Verband für angehende Geschichtslehrer*innen und andere studentische und nicht-studentische Interessierte eine Ansichtssachen-Stadtführung durch Salzburg an. Kontaktaufnahme via salzburg@kz-verband.at

www.ansichtssache.at

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POLITIK & GESELLSCHAFT

EINE NEUE ART DER SPEZIES MENSCH "Sie besuchen Slums und Armenviertel, Gedenkstätten, die an brutale Menschenrechtsverbrechen erinnern, oder reisen sogar in Gebiete, in denen Konflikte stattfinden oder stattgefunden haben."1 – die Dark Tourists, wie diese eigentümliche Sorte Mensch zu nennen ist. Hierbei handelt es sich um eine eher neuere Form der Spezies Mensch, die sich scheinbar besonders zu Katastrophengebieten oder dergleichen hingezogen fühlt, um, teils exzessiven, Voyeurismus betreiben zu können. Hier sollte jedoch angemerkt werden, dass bereits Exemplare völlig gegenteiligen Charakters bei solchen Verhaltensmustern beobachtet werden konnten. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass der Wunsch nach Verständnis und Authentizität vorherrschend ist und diese spezielle Untergruppe zu ihrem Handeln animiert. Eine Glosse von Marion Sauer

U

m den Ursprung beziehungsweise die Entwicklung dieser neuen Art verstehen zu können, sollte man sich vor Augen führen, weshalb diese Individuen zu einem solch, für die Spezies Mensch im Normalfall völlig untypischen, Verhalten neigen. Wie bereits erwähnt muss hier zwischen zwei Untergruppen unterschieden werden – jene, die das Reiseziel der Schaulust wegen wählen (hier Voyeuristen genannt) und jene, die ein Bewusstsein für die Situation anderer entwickeln wollen (hier Authentisten genannt). Die erste Gruppe bevorzugt Kriegs- und Krisengebiete, an denen noch deutliche Spuren des Vorgefallenen sichtbar sind. Darauf zu achten ist jedoch auch, dass die Krisensituation bereist zu großen Teilen bewältigt ist, um die eigene Sicherheit bestmöglich gewähren zu können. Meist sind Voyeuristen an einer Fotokamera, die durchgehend in Gebrauch zu sein scheint, zu erkennen, um all die Eindrücke festzuhalten und sie anderen Vertretern dieser Untergruppe stolz präsentieren zu können.


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Wahlweise werden auch, allem Anschein nach völlig wertlose Gegenstände als Souvenirs mitgenommen, wie etwa Steine aus einer Ruine, die früher einmal die Behausung eines vor Ort lebenden menschlichen Individuums dargestellt hatte. Dies könnte nun als Geste der Hilfsbereitschaft seitens der Voyeuristen gesehen werden, die dies als Versuch sehen, all das Geröll und den Schutt abzutragen, der durch die vorangegangene Zerstörung entstanden ist. In diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass der Rest der Spezies Mensch diesem Unternehmen, dem Vorfall in Machu Picchu ähnlich, in naher Zukunft Einhalt gebieten wird, um auch den darauffolgenden Besuchern die Möglichkeit einer Besichtigung zu geben. Denn, so umstritten diese Schaulustigkeit unter den einzelnen Individuen auch sein mag, scheint sie dennoch für das Phänomen der sogenannten „Wirtschaft“, das bei allen Vertretern der Spezies offenbar hoch geschätzt wird, enorm förderlich zu sein, weshalb sie bis zu einem gewissen Grad durchaus toleriert wird. Zurück in der sicheren Heimat, werden in vielen Fällen diese gesammelten „Beweisstücke“ im Rahmen eines gemütlichen, entspannten Treffens bei Kaffee (ein äußerst beliebtes Heißgetränk von brauner Farbe, dass einen bitteren Nachgeschmack aufweist und zusammen mit ethanolhaltigen Getränken in erheblichen Mengen bei Zusammenkünften konsumiert wird) und Kuchen (eine essbare Mischung aus wenigen Grundzutaten, die durch beliebig viele Zusätze ergänzt und variiert werden kann) vorgelegt, begleitet von ausschweifenden Berichten über das Erlebte. Zudem folgt im Nachhinein oftmals eine hitzige Diskussion, wo mit, wie angenommen wird geheucheltem Mitgefühl das umstrittene Verhalten gerechtfertigt werden kann, um das Ansehen ob des unpassenden Handelns bewahren zu können. Auch wird vermutet, dass sie die mitgebrachten Souvenirs in eigens dafür vorgesehenen Räumen ausstellen, um weniger wohlhabenden Vertretern die Möglichkeit zu bieten, zumindest einen Teil des Gesehenen selbst zu erleben, auch wenn die betroffene Region dafür nicht besucht werden kann. Die zweite Untergruppe ist im Gegensatz zu den Voyeuristen meist in Slums oder anderen Siedlungen ärmerer Vertreter der Spezies Mensch anzutreffen, denn Authentisten bevorzugen ein weniger risikoreiches und sensationsträchtiges Gebiet. Dies kann in dem Wunsch zu helfen und zu verstehen begründet sein, da an solchen Orten eine genaue und eingehende Auseinandersetzung des vorherrschenden Problems möglich, wenn nicht sogar notwendig ist. Hierzu sind Vertreter dieser Subgruppierung wahlweise auch an Gedenkstätten zu finden, die für eher weniger engagierte Exemplare eine gute Alternative darstellen. Der

Drang etwas zu bewirken scheint dieser Untergruppe überaus wichtig zu sein, da es sich bei den Vertretern der Authentisten meist, wenn auch nicht ausschließlich, um Mitglieder höhere Bildungsschichten handelt, die auch in ihrem sonstigen Verhalten eine überaus sozial-extrovertierte Tendenz aufweisen. Jener Charakterzug wird auch bei den Erzählungen des Erlebten erkennbar, die zum größten Teil aus Hilfsvorschlägen für das zu diskutierende Problem bestehen, hin und wieder unterbrochen von Schilderungen neuer Freundschaften, die während des Aufenthalts geschlossen wurden. Dennoch muss bei eingehender Studie dieser Gruppe darauf geachtet werden, die tatsächlichen Authentisten von jenen Vertretern zu differenzieren, deren Hauptmotivation offenbar die, durch ihr scheinbar selbstloses Handeln erreichte Anerkennung seitens anderer Individuen der Spezies Mensch ist. Wo die Authentisten als Bereicherung des gewissenhaften Denkens der Spezies fungieren, ist den Voyeuristen skeptisch gegenüber zu treten, sind jene Exemplare doch vorwiegend an der Aufmerksamkeit, die ihnen entgegengebracht wird, interessiert. Diese Untergruppe weist stark egoistische Züge auf, die sich auf ein Vergrößern der Beliebtheit bei anderen Vertretern der Spezies Mensch zu konzentrieren scheinen. Erzählungen von leidenden Menschen, zerstörten Häusern aus Kriegsgebieten und offensichtlich geheucheltes Mitleid, das von anderen jedoch nur selten bemerkt zu werden scheint, erweist sich hier als überaus wirksames, für das soziale Zusammenleben einer Spezies jedoch nicht unbedingt förderliches Mittel. Um das Erhalten der Spezies zum Zweck zukünftiger Studien gewährleisten zu können, ist den Verantwortlichen anzuraten, einen, zumindest teilweise stattfindenden, Umdenkprozess der Voyeuristen zu bewirken. Dies kann beispielsweise durch Gespräche zwischen den beiden Subgruppierungen erreicht werden, wobei es nicht nötig erscheint, das Verhalten der Voyeuristen völlig zu unterbinden. Vielmehr sollte man sich um das Eindämmen jenes Benehmens bemühen, da, so verwerflich die Intentionen auch sein mögen, auch das Handeln der Voyeuristen einen gewissen Nutzen birgt. So konnte beobachtet werden, dass Authentisten jenen voyeuristischen Berichten ebenfalls Aufmerksamkeit schenkten und so Problemsituationen wahrgenommen wurde, die andernfalls unbemerkt geblieben wären. Dies scheint vor allem an der bereits angesprochenen Neigung der Authentisten zu liegen, unmittelbare Krisengebiete wegen des erhöhten Gefahrenrisikos zu vermeiden. So ist die Meinung in der neusten Forschung die, dass beide Seiten, so gegensätzlich sie auch sein mögen, voneinander profitieren können, solange eine gegenseitige Bereitschaft besteht, der anderen Subgruppierung mit Respekt zu begegnen und ihr zuzuhören.

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1 Holzmann, Nora: Dark Tourism, Urlaub in der Wirklichkeit. Der Standard, 2013, https://derstandard. at/1369363313163/Dark-Tourism-Urlaub-in-der-Wirklichkeit (01.05.2019)

Marion Sauer studiert zur Zeit im zweiten Semester Kunstgeschichte und schreibt schon immer sehr gerne. "Am allerliebsten habe ich sarkastische oder satirische Texte, wahrscheinlich weil meine gesamte Persönlichkeit so ist. Außerdem liebe ich es, Menschen zu beobachten und zu analysiere, auch wenn ich darin wahrscheinlich nie so gut werde wie Sherlock."


kultur & menschen ver sus

CONTRA von Hannah Wahl

“W

isst ihr was ur schön wär‘? Ein ganz simpel geschriebenes Graffiti an einer grauen Wiener Hauswand mit den Worten: FICK DIE ROLLER”, postete Stefanie Sprengnagel auf ihrem Facebook-Profil und sprach mir damit aus dem Herzen. Ich pendle seit einigen Monaten beruflich und studienbedingt zwischen Wien und Salzburg hin und her. Es gibt viel, was mich in Wien innerlich zum Eskalieren bringt: Die Hunde(?)-Piss-Spuren alle 2 Meter am Gehsteig, der unsägliche hurrikaneartige Wind, der mir jeden Tag mitten in die Fresse weht und die super nervtötenden E-Scooter, die mich jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit auf dem Gehsteig fast niedermähen. Vielleicht für manche noch unverständlich, doch bald wird die E-Scooter-Plage auch in unserer Touristadt angekommen sein. Immerhin hat sich die schon in Linz über die komplette Landstraße ausgedehnt. Kaum auszudenken, wie viele Unfälle mit asiatischen oder amerikanischen Reisegruppen es pro Tag in Salzburg zu verzeichnen geben wird. Und überhaupt: Wenn schon Scooter, wieso nicht der gute alte 90ies Scooter, mit dem sich noch brav mit eigener Körperkraft von A

nach B rollt? Vermutlich würden dann die unzähligen ,überwiegend männlichen, Geschäftsleute, die jeden Tag arschknapp an mit vorbei zischen, dann zu spät zum superwichtigen Meeting kommen. Was uns als Zukunft der Mobilität verkauft wird, ist, kombiniert mit der tief verwurzelten Rücksichtlosigkeit der Österreicher*innen nur eine Plage: Schneidiges Fahren und das beinahe Umnieten eines kleinen Kindes, mit über 30km/h durch die Fußgängerzone blasen oder die E-Scooter einfach mit mitten auf dem Gehweg oder den Blindenleitsystemen zurücklassen - alles schon erlebt. Erstaunlich wie lange die Scooter-Anarchie im überregulierten Österreich um sich greifen konnte: Erst ab Juni soll es nun die für E-Scooter-Hasser*innen lang ersehnte einheitlichen Regelungen geben. Endlich werden die E-Scooter von den Gehsteigen und Fußgängerzonen verbannt. Radfahrer*innen können sich dann mit den Dingern abärgern, denn festgeschrieben wird, dass bei Vorhandensein eines Fahrradstreifens dieser benutzt werden muss. Um unseren Hass gegen die E-Scooter-Plage zu bündeln, schlage ich einstweilen vor unter dem Hashtag #fickdieroller dem Hass freien Lauf zu lassen. Have fun!


KULTUR & MENSCHEN

SCOOTER FLUCH ODER SEGEN? PRO von Carlos P. Reinelt

ka-Bull-mein-Nazivater-grad-gestorben-schoarfe-Russin-Situation nicht, rechtfertigt eine derartig diskreditierende, abartig-scheußlich, linkisch-weibische Aussage wie Scheiß Scooter. Sind wir uns ehrlich: Es ist sinnlos, eine Grenze zwischen dem Frontsänger und der Band zu ziehen. Scooter ist H.P. Baxxter und H.P. Baxxter ist Scooter. Davon können auch Solo-Alben und solidarische Interviews nicht darüber hinwegtäuschen. Deutschland war schon seit eh und je eine Quelle des kreativen Ursprungs elektronischer Musik. Was bei den Pionieren von Kraftwerk begann, wurde von dem kongenialen H. P. weitergetragen, in eine subtil diminuierende Omegawelle transzendentaler Entzückung. Unterlegt werden diese ASMR-ähnliche, Orgasmen-auslösende Beats von der beeindruckendsten Lyrik des 21.Jahrhunderts. Ingeborg Bachmann würde sich für ihre „Gedichte“ schämen ob der in Worte gebrachte Essenz des Lebens wie How much ist the fish, oder the question is what ist he question. Und das meine ich mitnichten ironisch. Es gibt wenige Phrasen, die sich derartig in unser kollektives kulturelles Gedächtnis eingeprägt haben, wie erstgenannter Titel. Das ist Magie, das ist Hyper. Das es nun Kritik aller Art gibt, die versuchen, derartige Größe ob ihrer eigenen Minderwertigkeitskomplexe klein zu reden, ist nur natürlich. Auch Mozart wurde zu Lebzeiten nicht als das Genie anerkannt, das er war. Deshalb, Achtung: Ich prophezeie, dass noch zu Ende dieses Jahrhunderts die ostfriesische Stadt Leer von abermillionen Schlitzaugen überschwemmt wird, die vor H. P.-Statuen Baxxter-Kugeln in ihren Wanzt schlingen und Fotos im Dauerfeuer schießen! © Hannah Wahl

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cooter ist, war, und wird immer eine zentrale Figur deutschsprachiger Musik und Lyrik gewesen sein. Das kann nicht kleingeredet werden. Wer dem widerspricht, hat nicht nur kein Sinn für Kunst und Kultur, sondern ist ein von Grund auf schlechter Mensch. Es wird ja oft behauptet, die zentralistisch-kommunistisch geführte Redaktion der uni:press erlaube keine Meinungsverschiedenheiten. Das ist natürlich Unsinn, zumal mit Silberstein und Soros selbst zwei höchst konträre Personen die Zeitung finanzieren. Es mag stimmen, dass wir uns ab und zu in relativ kontroversen Fragen einig sind. Faschismus find ma nicht so geil, Helene Fischer auch nicht und Wolf Haas wird überschätzt. Aber eins nach dem andern. Wenn nicht gerade die Diskussion im Haus steht, ob der grandiose Ausnahmekünstler Jim Carrey oder die billige Witzfigur Nicholas Cage der bessere Schauspieler sei, herrscht Harmonie im Hause der Redaktion. Das änderte sich schlagartig letzte Woche, als unsere Behinderten-Beauftragte Hanna Wahl verschwitzt und gestresst in das Redaktionsbüro stürmte, und schrie: „Scheiß Scooter!!!“ Nun bin ich ja ein Mensch der Toleranz. Wer gerne zu Jordan-Peterson-Videos masturbiert, der soll das tun. Oder Hentais. Und wenn einer nach dem 5. Bier mir im Vertrauen erzählt, dass die Juden eigentlich doch selbst am Schuld Holocaust seien, werde ich Woltär zitieren, dass ich seine Meinung zwar teile, aber ein Scheißdreck dafür tun werde, dass er sie äußern darf. Im Namen der Intoleranz dürfe man die Toleranz schließlich nicht intolerieren, sagte schon der Popeye. Aber nichts, keine psychotopen-Substanzen-Wod-

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Die Ibiza-Salzburg-

CONNECTION!

Die uni:press Salzburg ist exklusiv an weiteres Material der Ibiza-Aufnahmen gekommen. Der Paukenschlag: Die Krone war offenbar nicht das einzige Printmedium, auf das man es abgesehen hatte. Ganz im Gegenteil: Die neuesten Enthüllungen zeigen, wie man nach der Wahl aus der uni:press eine Zeitschrift „ohne den Carlos Marx und pfui Teifl Weltrevolution“ kreieren wolle. Transkribiert durch Carlos P. Reinelt und Claas Relotius


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Die Russin verlässt das Zimmer Strache: Wenn de wida kimmt, miass ma no üba a onders Problem reden… Gudenus: Die Juden?

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Strache: Du, Russin, mia missn no wos verhondeln. Obwoi, viel verhondeln miass ma ned. Schließlich bims I, da HC, der erste meiner Initialien, Votta der Wodkabulls, Sprenger der Nicht-Kettenraucher, König der Facebookposter und Bürgerkanzler über olle ocht Bundesländer! (trinkt ein Wodkabull auf ex und raucht währenddessen durch die Nasenlöcher)

Strache: Na geh, über die redet ma eh scho gnua. Gudenus: Ocht? Gudenus: Aber mei Papa hot imma gsogt… Strache: I waß eh, Gott hab ihn seelig. Aber du waßt scho, die andern.

Strache: Ka Mensch brocht de Grün-wählenden Voradlberger. Schweizer sand des! Wia brauchn ka zwates Wien!

Gudenus: Die Kommunisten?

Gudenus: Jawoi!

Strache: Jo, genau de, Joschi!

Strache: Jawoi!

Frau Gudenus:

-

Gudenus: Südtirol is ned Italien!

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Strache: Mallorca is ned Spanien! Gudenus: Freilich! Und die Intellektelellen ers! Fr. Gudenus: Strache: Jawoi, jedem Student ane in die Zent! Also, wos i sogen woit. Die Unizeitschrift in Soizburg, deren Redaktion, die saudepatte Partie, die muss weg, zack.zack.zack. Gudenus: Wos willst lei mochen, an AGent hinschicken der sich drum kimmert? Strache: Sei ned lächerlich.

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Strache: Ajo genau, oiso: In da Soizburger uni:press, liebe Russin, do sitzn nua Kommunisten. Wir woin owa a Unizeitschrift ohne Karl Marx und Weltrevolution! Ohne kritische Artikel und Bildung! Gudenus: Jowoi, wer braucht scho Politik, Kunst und Gesellschaft, wenn ma an Artikel über Kaffetrinken und Steckdosen schreiben kennen! Füa de Studenten.

Strache: No, des is aba nid Oligarchinnenlike! Heast de brunzn? Des is o Folle!

Strache: Jawoi, und wia ma in dritte Weltländer a Exkursion mocha ko, Mojitos sauft und jo ned nua a Sekundn sich Gedonkn über deren Missstände und Ausbeutung mocht!

Gudenus: Des is ka Falle! Gib zua, bei so ana würdest eh gern drunter stehn.

Gudenus: Und Werbung für die Partei. Gonz viel Werbung.

Strache: Zers an Geldregen, donn a goldene Dusche! Des warats!

Strache: Mo, des warrats, des war a richtige Studentenzeitung.

Gudenus: Haha, du sogst as! Ma di dat i a gern!

Gudenus: Und am besten nua digital. Domit sich die Augen ned erholen kennen, nochdem se da gonzen Tog am Novomatic-Automaten gsessn sind.

Im Hintergrund hört man Pinkelgeräusche der Russin

Fr. Gudenus:

, !!!1!

Strache: Jetzt erst recht, Joschi!

Strache: Des is es! An feichta Traum, fost scho zu schen um woahr zum sein…

Die schoafe Russin kommt wieder ins Zimmer

Gudenus: A geh!

1 Da es sich bei Fr. Gudenus um keine Person des öffentlichen Interesses handelt, hat sich die uni:press dazu entschieden, ihre Beiträge unkenntlich zu machen.


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uni: pressfilm tipps

SCHON GESEHEN? DIE UNI:PRESS FILMSCHMANKERL


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Das “echte” Leben einfangen - hautnah, authentisch - ein Anspruch, der die Rezeptur für eine vermeintlich perfekte Dokumentation ergeben soll. Doch auch Non-Fiction trägt Fiction in sich und stellt eine Art der Inszenierung dar. Jede Geschichte die erzählt wird, jedes Faktum, das vermittelt wird, ist von zahlreichen Faktoren beeinflusst. So kann einerseits ein ideologischer Kontext, der nicht bewusst transportiert werden soll, doch in all dem was wir tun mitschwingt, Einfluss nehmen. Doch auch eine Kamera, die nur durch ihre Anwesenheit die Situation verändert, oder der Schnitt, der immer auch mit Selektion verbunden ist, kann nicht neutral gewertet werden. Das soll allerdings keine Warnung vor Dokus sein, die uns kritische Aufklärung oder objekte Wissensvermittlung suggerieren und damit wertlose Zeitverschwendung darstellen. Ist man sich all dem bewusst, kann man dieses Genre richtig genießen und sich fragen: Was sagt diese Dokumentation über die Zeit, in der wir leben aus? In welchem gesellschaftspolitischen Kontext entstand dieser Film? Mit welchen Elementen wird gearbeitet, dass wir emotional so von einem Film mitgerissen werden? Von Hannah Wahl und Bernhard Landkammer 1. Pumping Iron (USA, 1977) Social Media hat im 21. Jahrhundert eine neue Welle an Körperkult hervorgebracht, der einen essentiellen Bestandteil einer neoliberal geprägten und erwünschten Selbstoptimierung darstellt. Die Konsequenz dieser Entwicklung finden sich in den überzeichneten, skurril überformten muskulösen Körper des Bodybuildings. Kaum ein Film führt diese Welt so stilvoll und faszinierend vor Augen wie “Pumping Iron” aus dem Jahr 1977, der Arnold Schwarzeneggers Weg zum dritten Mr.-Universe-Titel beleuchtet. Von einer homoerotischen Spannung untermalt, ignorieren die Protagonisten diese Ebene nicht nur, sondern verhöhnen diese regelrecht durch übertriebenen Machismo. Die Kamera kann hiervon allerdings nicht getäuscht werden und durchleutet diese Strukturen kritisch. Die Dokumentation ist ein Dokument einer schwer zu fassenden Körperlichkeit, einer auf Narzissmus und Perfektion getrimmten Einstellung, zwischen Absurdität und beinaher schmerzhafter Ernsthaftigkeit.

3. Jiro Dreams Of Sushi (USA/JAP, 2011) Essen und seine Zubereitung kann Kunst sein. Selten konnte man diese Aussage besser nachverfolgen wie in David Gelbs Dokumentation “Jiro Dreams Of Sushi”. Das Lokal von Jiro Ono bietet lediglich Platz für zehn Gäste und befindet sich in einer U-Bahn-Station in Tokio. Die Hingabe, mit welcher der 1924 geborene Meister Sushi perfektioniert hat, brachte ihm drei Michelin-Sterne ein. In extrem hellen, scharfen Bildern fängt die Kamera die Kunst der Sushi-Zubereitung ein, und folgt den Protagonisten auf den weltgrößten Fischmarkt Tsukiji. Sehr nahe und oft bewusst artifiziell gehaltene Kameraeinstellungen wechseln sich mit einer fast schon intimen Nähe ab, die einem westlichen Publikum Einblicke in die japanische Kultur bieten. Die darin betonte Disziplin und Tradition mögen befremdlich, einige Charaktereigenschaften verschroben wirken. Dennoch sind alle Protagonisten sympathisch und man fühlt sich schnell mit ihnen verbunden - und hat nach dem Filmgenuss definitiv Hunger.

2. Searching for Sugar Man (SWE/GBR, 2012) Es ist eine unglaubliche Geschichte, die Regisseur Malik Bendjelloul völlig zurecht den Oscar für die beste Dokumentation 2013 eingebracht hat. Sixto Rodriguez, ein US-amerikanischer Singer-Songwriter aus der Arbeiterklasse, veröffentlicht in den 1970er Jahren zwei Alben. Obwohl die Musikkritik ihn für sein ausgesprochenes Talent schätzt, bleibt sein Erfolg in den USA aus. Daraufhin arbeitet Rodriguez wie zuvor als Bauarbeiter. Was er nicht weiß: Auf einer Kassette gelangen seine Lieder zufällig nach Südafrika. Dort werden seine kritischen Lieder zum Soundtrack der Anti-Apartheid-Bewegung und Rodriguez zum Superstar. “Searching for Sugar Man” handelt von der Suche nach dem Ausnahmekünstler, der wie vom Erdboden verschluckt ist und nie von seinem Durchbruch in Südafrika erfuhr. Eine berührende Dokumentation, untermalt durch kräftiges Bildmaterial und Musik von Sixto Rodriguez, die einem nicht so schnell wieder los lässt.

4. Die Kraft der Schwachen (Kuba/BRD 2014) Die Dokumentation von Tobias Kriele und Martin Broschwitz erzählt die Geschichte von Jorge Jérez Beliasario aus Camagüey, einem kubanischen Aktivisten, der sich mit Nachdruck für die Freilassung der Cuban Five einsetzte. Obwohl der unpassende Titel auf eine stereotype Darstellung des jungen Journalisten mit Behinderungen deuten lässt, scheint beim Dreh schnell deutlich geworden zu sein: Jorgito lässt sich nicht schubladisieren - er lebt selbstbestimmt und ist selbstverständlich ein Teil der kubanischen Gesellschaft. Obwohl die Doku für Linke mit seiner Lobeshymne auf das sozialistische Bildungs- und Gesundheitssystem wohl keine News enthält, hat der Film viel zu bieten: Eine Reise in ein romantisches Kuba und eine riesige Portion Motivation und Mut für all jene, die ihren politischen Aktivismus schon begraben hatten. Wir hängen uns einer Aussage an: “Ihr solltet einen anderen Titel für euren Film suchen.”

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a song of scheiss and fire

vorwurfsvoll blickt drache drogon jon snow an, der soeben daenerys targaryen ermordet hat.

zugegeben: dieser titel ist plump, flach und schlecht gekünstelt, in anbetracht des staffelfinales von „game of thrones“ würdigt er die serie aber angemessen genug. was 2011 wie ein fulminantes fest für augen und nervenkorsett der zuseher*innen begann, verpuffte diesen märz wie ein ranziger schas eines zu schön gesoffenen one-night-stands am morgen danach. die gründe für das scheitern des wohl größten serienhypes aller zeiten sind ideologischer natur, natürlich. wer dieses staffelfinale gut fand, ist ein faschist. ein raunzer von cesar h. espiguellos

m

an darf und soll den hype durchaus mitmachen. wer sich aus prinzip vor der serie abschottet ist asozial und dumm. man kann es sich nicht leisten das zu analysieren, was millionen mitmenschen bewegt (so muss man es übrigens auch mit der „kronenzeitung“ halten). warum? so verbaut man sich gedanklich und im handeln jedwede möglichkeit, um in der zukunft gestalterisch tätig zu sein. das geht ja alleine bekanntlich nicht. GoT ist ein massenphänomen, punkt. ferner ist es ignorant und dumm die serie trotzig zu boykottieren, weil man sich aus erstunkenen gründen für etwas besseres hält. selbst die sich als solche imaginierenden bildungsbürger müssen sich nämlich spätestens nach zwei staffeln eingestehen: da gibt es viel bekanntes zu entdecken!

sämtliche erzählstoffe der welt wurden hier durch den popkulturellen fleischwolf gedreht. es ist ein grund zur freude, wenn shiva auf parzival trifft und diese ein rendezvous auf dem parkett des alten testaments haben! game of thrones ist ein epos des 20. jahrhunderts und verdrängte endlich tolkiens romantisches exil namens mittelerde, wo ein relativ simples gut:böse-schema einbetoniert ist. während bei tolkien faschistische elben gegen fortschrittliche orks kämpfen (vgl. „the last ringbearer“ von kirill eskov), findet bei g.r.r. martin ein wesentlich komplexerer tanz um die frage schwarz oder weiß statt. game of thrones als produkt der 90er jahre widersetzt sich tolkien’schen mittelalterromantik, die wie ein lähmender fluch über die von der zeitgeschichte sich anekelnden menschheit hing. die flucht ins mittelalterliche wird ja be-


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kanntlich gerne angetreten, wenn die realität allzu komplex wird. sinnvoll ist das nicht ganz. der wichtige dabei bruch zwischen Mittelerde und GoT ist: hier wird kein verkitschtes mittelalter gezeigt, denn das mittelalter wird psychologisch und sozial authentischer interpretiert (minus drachen und magie selbstverständlich). es ist ein bisschen so, als ob man englische königschroniken von einem machiavelli erzählen lässt, der nachhilfeunterricht von shakespeare erhalten hat und noch humanist werden möchte. angesiedelt ist das ganze in einer dichotomie zwischen ost- und west, wie sie nur der kalte krieg im 20. jahrhundert hervorbringen konnte.

„DIE FLUCHT INS MITTELALTERLICHE WIRD JA BEKANNTLICH GERNE ANGETRETEN, WENN DIE REALITÄT ALLZU KOMPLEX WIRD.“ zur erinnerung: in westeros bekriegen sich die adeligen häuser bis aufs blaue blut –kollateralschäden spielen nur in der verflixten letzten staffel eine rolle. warum? die vornehmen häuser wetteifern um den eisernen thron der sieben westlichen königsreiche. aber nicht schlimm genug: eine eine zombieseuche aus dem norden wird zunächst als ammenmärchen empfunden, dann aber immer konkreter der menschheit an den kragen geht. so viel zu „winter is coming“... ein schelm ist, wer dabei an den klimawandel in der echten welt denkt (übrigens: wann fliegt greta thunberg endlich ihre drachen gen washington?). aber zurück zur fiktiven welt g.r.r. martins: in essos (also im osten) muss sich eine exilierte dynastie namens targaryen, die den rechtmäßigen anspruch auf den thron in den sieben königreichen im westen hat, neu erfinden. dabei befreit sie die unterdrückten völker essos‘, entwickelt atombomb... äh drachen! ... und möchte den anspruch auf den thron in westeros wieder wahrnehmen. das gezetere funktioniert über sieben staffeln lang sehr gut, warum kackt also die letzte staffel ab? achtung an alle noch-immer-aussenseiter: spoiler-alert! es ist erbärmlich und moralisch nur mit der exkommunikation von der gattung „homo sapiens sapiens“ zu rechtfertigen, dass im staffelfinale die sorgsam aufgebaute komplexität des erzählstoffes auf das niveau eines rosamunde-pilcher-romans heruntergekotzt wird. das mag daran liegen, dass g.r.r. martin das epos

in buchform noch nicht fertig geschrieben hat und nur einige outlines an die regisseure, deren namen ich erfolgreich für alle ewigkeit aus dem gedächtnis verbannt habe, weitergegeben hat. diese notizen können nichts anderes als ein letzter böser scherz sein. man muss doch inbrünstig hoffen, dass der autor die welt verarscht und ein gänzlich anderes buch als diese jammerlappen-vorlage zur verfilmung schreiben wird. was haben die regisseure-deren-namen-nicht-genannt-werden-sollen, nun gemacht? der plot wurde inhaltlich wie ästhetisch darauf reduziert, dass eine erbfolgemonarchie durch eine wahlmonarchie ersetzt wird, während die welt in trümmern liegt. das ist in etwa so fortschrittlich, wie wenn man jemanden von syphillis heilt, dabei aber gleichzeitig mit tripper plus hepatitis-c ansteckt und beide beine bricht. daenarys targaryen wird als üble diktatorin – inklusive kameratechnischen riefenstahl-zitat – inszeniert, die schlussendlich von ihrem lover und neffen jon snow ermordet wird. dem vorausgegangen war die einnahme und verwüstung von king’s landing, der hauptstadt westeros’. im dialog vor der ermordung offenbart sich das reaktionäre an dem immerdummen jon snow, der mit diesem frauenmord sämtliche emanzipatorische errungenschaften rückgängig macht. danarys targaryen: “It’s not easy to see something that has never been before, a good world.” jon snow: “How do you know? How do you know it will be good?” danarys targaryen: “Because I know what is good and so do you.” jon snow kann sich nichts besseres vorstellen als das schlechte jetzt und will auch nicht daran arbeiten. er macht ein dummes gesicht und danach schmusen sie, er rammt ihr ein messer in den bauch und daenarys’ drache entwickelt urplötzlich intelligenz und zerstört den eisernen thron, nimmt ihre leiche und fliegt weg. die einschmelzung des machtsymbols wird durch einen rollstuhl ersetzt: eine cloudlike google-datenkrake namens bran stark wird zum könig gewählt. nachdem bran allwissend alles, vom drachenholocaust bis zur zombieinvasion, alles geschehen lassen hat, ohne zu intervenieren und verantwortung für dieses wissen zu übernehmen, ist dieses selbstitulierte „i’m something else now“ nichts anderes als ein internationaler kriegsverbrecher. dabei ist daenarys targaryen ist die einzige figur, die in game of thrones so etwas wie eine progressive „entwicklung“ durchmacht: von der naiven schönheit, die

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für pferde und vergewaltigungen an einen mongolen... äh... dothrakistamm verschachert wurde, hat sie es zur regierungsfähigen frau gebracht, die kein mitleid braucht und will. sie erarbeitet sich alles aus eigener kraft und lernt dazu. hier liegt wohl der unterschied zu sansa stark, die im finale nun das nördliche königreich abstaubt. sansa ist immer auf männer – wechselweise ned, jon, littlefinger oder der würstel-theon – an ihrer seite angewiesen, um auch nur ansatzweise überleben zu können.

„WARUM HAB ICH SO VIEL LEBENSZEIT VERSCHWENDET, UM MIR DERART INS GESICHT FURZEN ZU LASSEN? “ aber okay, selbstbestimmte frauen... nö, das geht ja nicht! und people of color? schon gar nicht, die heerscharen an daenarys’ unsullied und dothraki fahren

selbstverständlich nach dem mord ihrer befreierin zurück in den osten und machen den weißen menschen platz... an dieser stelle muss man sich doch die militärdiktatur wünschen! stattdessen bleibt am ende ein sadistischen könig, der gerne zusieht wie alles den bach runtergeht und seine berater, die jetzt – oh gott sei dank! – endlich politically correcte sachen diskutieren. tyrion, shame on you! summa summarum wurde durch dieses ende das schlechte alte in westeros bewahrt und dem schlechten neuen vorgezogen. das ist feig, das bringt die helden der geschichte nur auf blöde gedanken. ah ups, diese sind ja noch zu allen überdruss angedeutet worden: arya stark wird westlich von westeros segeln und „unzivilisierte“ mit ihrer fabelhaften zivilisation und deren kultur der freundschaft bekannt machen, jon snow kolonialisiert den norden, um ein reich aus seinem analfixierten traditionsbewusstsein heraus zu begründen. das ist landgrabbing auf übel und inzest. die spin-offs kann man sich sparen. kackschniedelwutzscheisse, warum hab ich so viel lebenszeit verschwendet, um mir derart ins gesicht furzen zu lassen?

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DER ULTIMATIVE UNI:PRESS

BEISLTEST FORTGEHEN ABSEITS DES (STUDENTISCHEN) MAINSTREAMS TEIL 10 - GNIGL Rudolfskai, Gstättengasse, Bergstraße oder Imbergstraße – das sind die Topadressen des Salzburger Nachtlebens. Topadressen? Wirklich? Wir haben uns schick gemacht und für euch Lokale abseits des studentischen Nachtlebens getestet, damit ihr ein Refugium findet, wenn euch die Segabar zu fad wird.

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ie Gnigl ( ja, wirklich: feminin!) ist der Salzburger Stadtteil (oder sagt man dann die Stadtteilin?) mit dem wohl seltsamsten Namen (knapp gefolgt von Morzg und Parsch). Je öfter man ihn hintereinander ausspricht, desto komischer wird er. Probiert es selbst: Gnigl, Gnigl, Gnigl, Gnigl, … Witzig, nicht? Wie dem auch sei: Der Name Gnigl stammt vom keltischen Wort Glanicle und bedeutet klares Wasser (übrigens selbe Wortherkunft wie beim Fluss Glan). Gemeint ist damit wohl der Alterbach. Die Gnigl liegt im Nordosten der Stadt, begrenzt von Kühberg und Heuberg im Osten, besagtem Alterbach im Norden, den Bahngleisen im Westen sowie der Neuhauser Straße und Anton-Graf-Straße im Süden. Auf rund 150 Hektar leben hier ca. 6.000 Menschen.

„DIE GNIGL IST DER SALZBURGER STADTTEIL MIT DEM WOHL SELTSAMSTEN NAMEN.“ Im Gegensatz zu allen anderen Stadtteilen besitzt die Gnigl zwei getrennte historische Siedlungskerne: Das alte Mühlendorf Obergnigl entlang der Grazer Bundesstraße an der alten Eisenstraße in die Steiermark und das Handwerker- und Kleinbauerndorf Niedergnigl an der Linzer Bundesstraße. 1935 wurde die Gnigl in die Landeshauptstadt eingemeindet. Zugegeben, so richtig vertraut waren wir mit der Gnigl nicht. Wir kannten das Viertel in erster Linie vom Durchfahren und wussten höchstens, dass es hier eine

Obuskehre gibt. Dieser Mangel an Wissen ist zwar einerseits schlecht, vor allem in Kombination mit unseren Recherchegewohnheiten ; andererseits spricht es für den Stadtteil, dass man über ihn keine Raub- und Mordgeschichten kennt. Wir ziehen also unvorbereitet, aber auch unaufgeregt in die Schlacht, die da heißt: Beisltest. Die Regeln: wie immer ein Bier und ein Schnaps pro Lokal, dann folgt die nächste Station. Gnigler Stub’n Erste Station des Abends ist die Gnigler Stub’n in der Linzer Bundesstraße. Für den kleinen Gastgarten vor dem Beisl ist es am Testtag leider zu nass. Wir betreten die Stub’n daher durch den Haupteingang und gelangen direkt in den voll besetzten Raucherbereich, in dem sich auch die Bar befindet. Hinter einer Glaswand befindet sich der großzügige, jedoch komplett leere Nichtraucher-Bereich. Dem Namen des Lokals entsprechend fühlt man sich hier angesichts der Einrichtung sofort so als wäre man bei Oma zu Besuch. Nachdem wir das bestellte Bier bekommen haben, lassen wir uns von der Wirtin die ausführliche, aber für Laien nicht immer auf den ersten Blick verständliche Schnapskarte erklären. Bestellt wird dann Zirbenschnaps - einer tanzt aus der Reihe und trinkt einen “Oachkatzlschwoaf” (Wafferl in Stamperlform, innen Schoko, gefüllt mit Toffee-Likör, gekrönt mit Schlag). In der zweiten Runde wagt wieder ein Teilnehmer ein Experiment und bestellt Weichsel-Chili-Schnaps - empfehlenswert! Wie in vielen anderen Beisln hängen auch in der Gnigler Stub’n zahlreiche Urkunden, die in einer exotischen Sportart erkämpft wurden: Asphaltschießen. Auch im Lokal selbst soll das sportliche Vergnügen nicht zu kurz

1 Wir recherchieren vor Beisltests prinzipiell nicht.


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kommen: Im Raucherbereich steht der Nagelstock, auf dem allerdings wohl keine offiziellen Wettkämpfe ausgetragen werden - zumindest wäre das nicht durch irgendwelche urkundenartigen Dokumente belegt. Die sauberen Toiletten sind übrigens sowohl diesseits als auch jenseits der Glaswand erreichbar. Auch essenstechnisch hat das Lokal einiges zu bieten; voller Neid blicken wir gen Raucherbereich, wo Grillwürstel serviert werden. Den Geschmack können wir nicht beurteilen, aber zumindest optisch sind sie top. Kurz vor Redaktionsschluss hätte die Gnigler Stub’n beim Testteam beinahe für den einen oder anderen Herzinfarkt gesorgt. Samstag, später Nachmittag, ideale Beislzeit - zugesperrt. Der Gastgarten: abgebaut. Schock! Hat der Beislfluch , von dem wir glauben, besessen zu sein, etwa schon wieder zugeschlagen? Wir können zumindest vorerst Entwarnung geben: Die Gnigler Stub’n dürfte noch immer geöffnet sein.

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„FÜR LAIEN NICHT IMMER AUF DEN ERSTEN BLICK VERSTÄNDLICHE SCHNAPSKARTE.“ Country Saloon Nächste Station und gleichzeitig in vielerlei Hinsicht Highlight des Abends ist der Country Saloon in der Schillinghofstraße. Man betritt das Grundstück stilecht wie im Wilden Westen durch eine Schwingtür. Drinnen angekommen fühlt man sich regelrecht erschlagen von all den Gegenständen, die da an den Wänden hängen oder von der Decke baumeln. Der Saloon ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt, weshalb wir uns mit einem Mi-

2 RIP Joe’s Garage, No-Hau, Platzhirsch & Johanna’s Secession.


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ni-Tisch begnügen müssen. Freundliche Mitgäste sorgen aber immerhin dafür, dass niemand von uns stehen muss und überlassen uns netterweise ihren Jacken-Ablage-Sessel. Für kurzzeitiges Amüsement sorgen die vielen Täfelchen mit lustigen Bürosprüchen à la “Ich brauche keinen Sex. Das Leben fickt mich jeden Tag!”.

Bar!). Zurück zum Positiven: Bestellt man hier Tequila, so wird dieser von einem Mini-Zug geliefert, der die Wände entlangfährt. Einzige Schwierigkeit dabei: Die Gleise verlaufen so hoch oben, dass die Mindestgröße für den Schnapskonsum 1,85 beträgt. Dass der Country Saloon ein Raucherlokal ist, fällt dank der guten Lüftung fast nicht auf.

„BESTELLT MAN HIER TEQUILA, SO WIRD DIESER VON EINEM MINI-ZUG GELIEFERT, DER DIE WÄNDE ENTLANG FÄHRT. “

Cafe Laganini Etwas enttäuschend verlief unser Besuch im Cafe Laganini in der Linzer Bundesstraße, nur wenige Meter von der Gnigler Stub’n entfernt. Just am Tag unserer Beisltour fand hier ein Konzert statt - die zehn Euro Eintritt wollte die Mehrheit der BeisltouristInnen nicht berappen. Die halbe Minute, die wir im Lokal verbracht haben, war aber durchaus vielversprechend, ein Besuch könnte sich also lohnen. Hier dürfte es regelmäßig Karaokeabende und Auftritte diverser No-Name-Bands geben. Insider-Infos zufolge dürfte das Lokal außerdem öfter den Namen wechseln (vormals: “Atemlooos”).

Weniger spaßig ist die restliche Wanddeko: Eine Konföderiertenflagge, ein Marterpfahl, FC Red Bull-Hooligan-Utensilien und mehrere ausgestopfte Tiere. Sind wir hier etwa in Gefahr? Sicherheitshalber reden wir nur mehr über das Wetter und nicht mehr über unsere politischen Umsturzpläne, zumal hinter der Bar zahlreiche Aufnäher und Aufkleber verschiedener internationaler Polizeieinheiten hängen (oh Gott, eine Cop-

Gasthaus zu den Sieben Schwaben Letzte Station unserer Gnigl-Expedition ist das Gasthaus zu den Sieben Schwaben in der Fürbergstraße am Schallmooser Ende der Schwabenwirtsbrücke. Halt,


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Moment!, wird jetzt der eine oder andere sagen, das liegt doch nicht in der Gnigl, sondern schon in Schallmoos. Der Einwand ist zwar durchaus berechtigt, allerdings gehört zur Katastralgemeinde Gnigl auch ein Teil von Schallmoos. Zudem ist ein Beisltest auch keine exakte Wissenschaft, also alles im grünen Bereich. Von außen handelt es sich bei den Sieben Schwaben um ein unscheinbares Lokal. Innen ist es modern und gemütlich eingerichtet. Die Speisen sollen hier hervorragend schmecken und auch nicht zu teuer sein; wir kommen an diesem Tag leider zu spät, die Küche hat

schon zu. Die Junggebliebenen unter uns geben sich mit einem Lutscher zufrieden. Zur Sperrstunde werden wir schließlich hinaus gebeten und beenden damit unseren Ausflug in die Gnigl. Wie immer erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Über Anregungen und Geheimtipps für kommende Kontrolltouren freut sich die Redaktion außerordentlich (presse@oeh-salzburg.at). Prost!

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Disclaimer: Der Test wurde in unserer Freizeit durchgeführt, dadurch keine Studierendeninteressenvertretungsarbeit vernachlässigt. Es wurden keine ÖH-Mittel aufgewendet. Es gab keinerlei finanzielle Zuwendungen seitens der Beisl-InhaberInnen.


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zeit masch ine Interessantes, Kurioses und Schockierendes in alten uni:press-Ausgaben, entdeckt und ausgegraben von Christoph Würflinger

neu! Die Amtszeit von Heinrich Schmidinger als Rektor der Universität Salzburg geht in wenigen Monaten zu Ende. Mittlerweile studieren an unserer Uni Menschen, die im Jahr seiner Amtsübernahme zur Welt gekommen sind. Rektor der Uni Salzburg, Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schmidinger, 47 WAS WAR IHRE MOTIVATION, SICH FÜR DIESES AMT ZU BEWERBEN? Meine Hauptmotivation ist die Universität Salzburg, die ich sehr schätze und an der ich mich sehr wohl fühle. Es bedeutet mir viel, mich für sie einsetzen zu können. Und da wir gegenwärtig vor großen Herausforderungen stehen, möchte ich meine Erfahrungen einbringen und an unserer Zukunftsgestaltung mitwirken. WELCHE ZIELE HABEN SIE SICH FÜR IHRE AMTSPERIODE GESTECKT? WO LIEGEN KÜNFTIGE SCHWERPUNKTE IHRER ARBEIT? Mein wichtigstes Ziel ist die Schwerpunktsetzung. Mit ihr soll die Universität an Profil und Attraktivität gewinnen. Abgesehen davon kann heute keine Universität mehr im nationalen und internationalen Kontext bestehen, die nicht ein unverwechselbares Gesicht hat.


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WELCHE VOR- UND NACHTEILE SEHEN SIE IN DER (GEPLANTEN) VOLLRECHTSFÄHIGKEIT? Vorteile: a) daß die Uni in einem Ausmaß rechtsfähig wird, wie nie zuvor, b) daß sie endlich zu einer zeitgemäßen Budgetierung ihrer Ressourcen kommt. Unklar ist für mich: a) die Finanzierung des neuen Gesetzes, da es zumindest am Anfang hohe Mehrkosten mit sich bringen wird; b) wie sich die zukünftige (unabdingbare) Mitbestimmung der Angehörigen der Uni gestalten kann. WIE BEWERTEN SIE DIE EINFÜHRUNG DER STUDIENGEBÜHREN? Studiengebühren waren für mich nie ein Tabu. Es gibt sie in so vielen Ländern der Welt. Warum soll man darüber nicht auch in Österreich reden dürfen? Nicht glücklich war ich letztes Jahr über die Art der Einführung. Ebensowenig überzeugt mich die gegenwärtige staatliche Verwendung der Studiengebühren. WAS HALTEN SIE VOM NEUEN DIENSTRECHT (F. UNIVERSITÄTSLEHRENDE)? Darauf kann ich in wenigen Worten nicht antworten. Die Absicht, mehr Flexibilität in die Personalstrukturen der Universität zu bringen, halte ich für gut und richtig. Ob jedoch das beschlossene Modell im Sinne der Förderung von Wissenschaft realistisch und für den wissenschaftlichen Nachwuchs attraktiv ist, wird die Zukunft weisen. WIE SEHEN SIE DAS THEMA FRAUEN IN DER WISSENSCHAFTLICHEN ARBEITSWELT? Seitdem ich mit den Finanzen der Universität betraut bin, habe ich mich sehr dafür eingesetzt, daß die verschiedenen Frauen-Einrichtungen von uns unterstützt werden und daß der Anteil der Frauen im gesamten Personalstand der Universität wächst. Daß natürlich noch mehr getan werden muß, ist für mich keine Frage.

© APA (NEUMAYR FRANZ)

AUS WELCHER/N PARTEI/EN WÜRDE SICH IHRE WUNSCH-(KOALITIONS-)REGIERUNG IN ÖSTERREICH ZUSAMMENSETZEN? Ich bin ein Verfechter der großen Zusammenarbeit. Zum einen ist es gut, wenn Parteien, die eine bestimmte Größenordnung erreicht haben, in die Regierungsverantwortung eingebunden werden, weil dadurch eine Opposition um ihrer selbst Willen ausgeschlossen wird; umgekehrt ist es für einen Staat auf die Dauer nicht gut, wenn allzu kleine Parteien eine ausschlaggebende Rolle spielen. ZULETZT GEKAUFTE CD (TONTRÄGER)? (TITEL UND INTERPRET) Die Filmmusik zu „Der König tanzt“ – Barockmusik aus der Zeit Ludwigs XIV. uni:press 620 (2001)



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