Uni:Press #674 (Oktober 2013)

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SCHEITERN

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m Studienjahr 2012/13 fand eine ungewöhnliche Lehrveranstaltungsreihe am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst statt: „Über die Notwendigkeit des Scheiterns in der Kunst- und Kulturproduktion“. Der erste Teil der Lehrveranstaltung behandelte das Scheitern im Rahmen der Erstellung einer TVProduktion. Im zweiten Teil durften die Studierenden quasi die „unerträgliche Leichtigkeit des Scheiterns“ während einer Ausstellungskonzeption über sich ergehen lassen. Die beiden Lehrveranstaltungsleiter Florian Bettel und Günther Friesinger beschreiben die Notwendigkeit des Scheiterns in der Kunstproduktion folgendermaßen: „Das Scheitern wird in der künstlerischen Produktion auf vielfältige Weise in den Schaffensprozess eingebunden. Großen Triumphen muss oftmals eindrucksvolles Scheitern vorausgehen, damit der Erfolg noch glanzvoller erscheinen kann.“ Auf die Frage, was die Chancen des Scheiterns sein können, antwortet Günther Friesinger: „Für mich ist [der Begriff des Scheiterns] nicht negativ behaftet. Ich sehe es sogar sehr positiv. Es gibt mittlerweile auch eigene Managementkurse wie ‚Erfolgreich Scheitern‘ und Ratgeber wie zum Beispiel ‚Wie kann ich erfolgreich scheitern?‘. Man kann nicht immer nur erfolgreich sein. Das kann nicht funktionieren. Man kann nicht immer nach oben gehen. Irgendwann muss es auch nach unten gehen und das ist auch gut so. Denn an dem Nachuntengehen kannst du dich wieder aufrichten und wieder etwas Neues entwickeln. Alles andere wäre auch Stillstand und das ist sowieso tötend. Du musst schauen, dass du immer nach vorne hängst und dich weiterentwickelst.” Des Weiteren bemängelt er Praxisnähe an der Universität: „Das was man nicht an der Universität lernt ist, da dort alles theoretisch ist, selbst mal in den Projekten drinnen zu sein und auf die Schnauze zu fallen. Und das ist sehr wichtig, weil du dabei sehr viel lernst. Man muss sich das vorstellen wie ein kleines Kind, das das Gehen lernt. Es fällt immer wieder hin, hunderte, vielleicht tausende Male, und es versucht es trotzdem immer wieder. Irgendwann steht es dann und das Wunder ist geschehen: Es kann gehen! (…) Du entwickelst dich an dem [Scheitern], du arbeitest dich an dir selbst ab, kommst auf eine innere Ruhe, wirst entspannter, auch wenn Dinge nicht ad hoc funktionieren. Das ist etwas, was Studierende lernen sollten.” Tatsächlich ist es aber so, dass immer mehr Druck auf den Studierenden lastet. „Bologna” ist das Schlagwort, das sie wahrscheinlich des letzten Funkens an Flexibilität in ihrem Studium beraubt hat. Das System verlangt, dass sich Studierende bereits vor dem Antritt des Studiums ein möglichst klares Bild über ihren zukünftigen „Berufswunsch” machen und sich in ein entsprechen-

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des Studium inskribieren, um dann dieses so schnell wie möglich durchzuprügeln. Neben dem erfolgreichen Absolvieren der Lehrveranstaltungen werden selbstverständlich auch Praktika und Auslandserfahrungen erwünscht. Das alles sollen Studierende innerhalb kürzester Zeit schaffen, ohne zu scheitern. Diejenigen, die sich keine Ausbildung, sondern Bildung wünschen und im Laufe ihres Studiums neue Dinge ausprobieren, neue Interessen entdecken und diesen auch nachgehen wollen, sind die VerliererInnen dieses Systems. Und dürfen aufgrund ihrer Ideale auch noch wortwörtlich „draufzahlen”, sobald sie die Mindeststudienzeit überschreiten. Noch kurioser ist, dass die österreichische Bildungspolitik diesen „Luxus” des gebührenfreien Studierens in der Mindeststudienzeit, wie sie ihn offenbar betrachtet, nur EU-BürgerInnen gewährt. Studierende aus Drittstaaten müssen von Anfang an doppelt und dreifach zahlen und dürfen, falls sie selber erwerbstätig sein wollen, nur ein geringfügiges Gehalt verdienen. Klingt wie ein schlechter Witz, ist aber wahr: Nur reiche Personen können sich das Scheitern leisten! Das Scheitern (nicht zuletzt) finanziell benachteiligter Personen ist dann kein Scheitern mehr. Es ist Kapitulation, Niederlage und vielleicht sogar Untergang. Daher ist es keine Überraschung, dass psychische Krankheiten unter Studierenden stark im Anstieg sind. Stress aufgrund von Abgabeterminen, Voraussetzungsketten im Curriculum, sowie die daraus resultierende Prüfungsangst sind starke Risiken und Nebenwirkungen der Bildungsreform. Diese treten oft in Kombination mit Depressionen und Existenzängsten auf, wobei die Grenzen verschwimmen. Die psychologische Studierendenberatung in Wien schätzt, dass im Jahr 2011 jede/r fünfte Studierende psychisch schwer belastet war. Außerdem beweisen Studien, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen finanziellen Mitteln und psychischen Krankheiten besteht. Damit wird auch die Streichung der Familienbeihilfe ab dem 24. Lebensjahr zur zusätzlichen Belastung für Studierende in Österreich. Bologna, der Ausbildungswahn, die Angst vor dem Scheitern im Studium und die vielen psychischen Belastungen sind jedenfalls nicht mehr getrennt voneinander zu denken. Es braucht starke Stimmen, Ausdauer und viel Willenskraft, um die Universität entgegen der neoliberalen Tendenzen wieder zu einem Ort freier Bildung zu machen. Das, was in diesem Diskurs aber meistens vergessen, verdrängt oder gar verachtet wird, ist, dass Bildung schlicht und einfach ein Menschenrecht ist – egal ob für ÖsterreicherInnen, EU BürgerInnen oder „Drittstaatsangehörige”. Auch ist klar: Menschen brauchen Räume zum Scheitern. Besonders Studierende.

Um die Situation psychisch belasteter Studierende an der Uni Salzburg zu erforschen, wird an der ÖH Salzburg gerade an einem Fragebogen gearbeitet. Auch gibt es die „Mut zur Angst” - Gespräche in Kooperation mit der psychologischen Studierendenberatung in Salzburg, wo betroffene Studierende sich untereinander austauschen können. Falls du auch betroffen bist oder Fragen hast kannst du die psychologische Studierendenberatung kontaktieren! Weiterführende Informationen findest du unter studierendenberatung.at


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