Essay
Bleibt die hohe Inflation? Nach vielen ruhigen Jahren hat sich die Entwertung des Geldes seit letztem Jahr wieder beschleunigt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Was diese Entwicklung bremsen kann.
Text: Sarah Lein
I Sarah Lein ist Professorin für Makroökonomie an der Universität Basel. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen monetäre Ökonomie, Konjunktur und internationale Makroökonomie.
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nflation wird immer wieder mit hohen Preisen verwechselt, bezeichnet aber die Wachstumsrate des Preisniveaus. Steigt etwa ein Preis in einem Jahr von 10 auf 15 Franken und bleibt dann so, liegt die Inflation im ersten Jahr bei 50 Prozent und dann bei 0 Prozent. Auch wenn der Preis permanent höher ist, ist die Inflation nur temporär. Hohe Inflation bedeutet also, dass Preise kontinuierlich stark ansteigen. Drei Faktoren bestimmen die Inflation Erstens gibt es sogenannte Angebotsschocks, die Preise ansteigen lassen, weil es zu einer Verknappung von bestimmten Gütern kommt. Dies führt zu höheren Inflationsraten und erhöht die Lebenshaltungskosten. Beispiele dafür haben wir jüngst gesehen: Der Anstieg des Erdölpreises im Jahr 2021 erhöhte die Produktions- und Transportkosten und damit die Preise für Güter – eine Entwicklung, die der Krieg in der Ukraine noch verschärfte. Auch Engpässe und Unterbrüche in den Lieferketten haben zu Preisanstiegen geführt. Zweitens gibt es eine konjunkturelle Komponente: In einem Boom steigt die Nachfrage schneller als das Angebot und führt damit zu schneller wachsenden Preisen. Umgekehrt sieht das Bild übrigens für Rezessionen aus. Hier nimmt die Nachfrage schneller ab, als das Angebot gesenkt werden kann. Das Überangebot führt zu stagnierenden oder sogar fallenden Preisen.
UNI NOVA
139 / 2022
Drittens gibt es die Inflationserwartungen der Wirtschaftsteilnehmenden. Diese sind relevant, weil Preise und Löhne typischerweise nicht von Tag zu Tag neu gesetzt werden, sondern für längere Zeitperioden. Dabei zählen auch die Erwartungen für diese Zeitspanne. So überlegen Firmen beispielsweise, wie sich ihre Produktionskosten und die Preise ihrer Konkurrenten entwickeln, wenn sie ihre Preise bestimmen. In Lohnverhandlungen gehen ebenfalls Erwartungen darüber ein, wie stark sich die Kaufkraft durch Inflation abschwächen wird. Die Erwartungen über die künftige Inflation beeinflussen somit die heute festgesetzten Preise und Löhne, die somit die heutige Inflation bestimmen. Was ist die Rolle der Zentralbank? Die Zentralbank soll Preisstabilität gewährleisten. Bei Preisanstiegen aufgrund von Angebotsschocks, die durch Pandemie oder Krieg entstanden sind, kann die Zentralbank wenig tun, um diese Schocks direkt abzumildern. Hebel ansetzen kann sie nur bei der konjunkturellen Komponente und den Inflationserwartungen. Bei Ersterer, indem sie die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen drosselt (und damit die Wirtschaft insgesamt), indem sie beispielsweise die Zinsen anhebt. Der Zusammenhang ist allerdings ein relativ komplexer und indirekter. Mit dem Anstieg der Zinsen werden Kredite teurer und damit Investitionen weniger attraktiv. Bei höheren Zinsen wird auch mehr gespart und damit