Die ersten 10 Jahre

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Philosophie

Rechtliche Vorschriften und soziale Kon­ trolle haben die Stabilität dieser beiden Ehemodelle gesichert. Und als im zwan­ zigsten Jahrhundert, nach dem Zweiten Weltkrieg, sich die Ehemotivation erneut veränderte, wandelte sich auch das Fami­ liensystem entsprechend. Denn diesem Familienmodell lag eine kindzentrierte Motivation zugrunde: man heiratete, um ein Kind zu bekommen. Das Kind als Freude, als Erfüllung mit Sinn stiftender Funktion für das Leben, für Mütter und Väter in gleicher Weise. Damit einher ging aber auch eine Instabilität in diesem Familienmodell. Die Scheidungsrate stieg und ihr folgten vielfach neue Familien­ formen. Seit geraumer Zeit vollzieht sich ein weiterer Wandel im Familiensystem: die Hauptmotivation, eine Beziehung einzugehen und evtl. zu heiraten, ist nicht mehr primär das Kind, sondern die Maximierung des individuellen Glücks in der Beziehung. Damit verändern sich die Koordinaten im Familiensystem: war in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr­ hunderts die Eltern-Kind-Beziehung die tragende Säule des Familiensystems, so ist es gegenwärtig die Qualität der Part­ nerschaft. Aus Daten, die aus diesem Subsystem gewonnen werden, kann eine zuverlässige Prognose über die sozi­ ale Entwicklung des Kindes, die Stabilität der Partnerschaft, das Auftreten famili­ aler Gewalt und über die Bereitschaft des Mannes, die Geburt eines weiteren Kindes zu befürworten, getroffen wer­ den. Diese Veränderung der Koordina­ ten fordert derzeit die Familienpolitik in besonderer Weise heraus. Wir sind, was die gesellschaftliche Entwicklung anbetrifft, an einem Punkt angelangt,

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der deutlich erkennen lässt, dass sozialer Zusammenhalt nicht mehr primär durch soziale Kontrolle, durch die Instrumente der Rechtsordnung oder durch soziale Konstruktionen (etwa von Partnerschaft und Elternschaft) reguliert werden kann. Vielmehr ist Partnerschaft und familiale Stabilität zur individuellen Herausforde­ rung geworden. Die vorhandenen poli­ tischen Konzepte erweisen sich hierfür dabei als wenig geeignet. Vielmehr wird man durch Stärkung der individuellen Kompetenzen (am besten früh, über reformierte Bildungspläne) diesen Pro­ zess der Partnerschaftsqualität begleiten und unterstützen wollen, weniger durch Maßnahmen von außen. Hier zeigt sich eindrucksvoll, wie Bildungspolitik und Familienpolitik auf das Engste verknüpft sind. Neue Rollenbilder zur Gleichstellung der Geschlechter Neben neuartigen Einstellungen betref­ fend Partnerschaft lassen sich weitere gesellschaftliche Veränderungen beob­ achten, die qualitative Auswirkungen auf das Familiensystem mit sich bringen. So hat sich die Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft gewandelt. Auch wenn Gleichstellung noch nicht in allen Berei­ chen erreicht werden konnte, ist erfreuli­ cherweise dieser Trend nicht mehr rück­ gängig zu machen. Dennoch bedarf es weiterer Anstrengungen, um den Frauen faire Chancen bei der Gleichstellung der Geschlechter anbieten zu können. Auch die Rolle des Vaters mit Blick auf die kindliche Entwicklung wurde in den letzten Jahren neu bewertet. Nachdem die Väter selbst erkannten, wie wichtig


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