Wie tut mir so wohl der selige Frieden! „In der Entfernung erfährt man nur von den ersten Künstlern, und oft begnügt man sich mit ihren
Namen;
wenn
man
aber
diesem
Sternenhimmel
näher
tritt und die von der zweiten und dritten Größe nun auch zu flimmern anfangen, und jeder auch als zum ganzen Sternbild gehörend hervortritt, dann wird die Welt weit und die Kunst reich.“ (Goethe, Italienische Reise) Kaum eine Epoche ist öfter abschätzig beurteilt worden als das „Biedermeier“. Was tief, groß, wichtig war, wurde der Romantik zugeordnet; das Kleingeistige, Provinzielle, Spießbürgerliche hingegen dem Biedermeier. Karl Gottfried Ritter von Leitner gilt ebenso als ein typischer Vertreter dieser Epoche wie die meisten Komponisten, die seine Lyrik vertont haben: Anselm Hüttenbrenner, Sigismund Thalberg, Franz Lachner und Albert Stadler. Und sie alle stammen aus Österreich, der „Heimat“ des Biedermeier. Werke dieser Musiker finden erst jetzt ihren Weg zurück in die Konzertsäle; und das nur langsam. Leitners Lyrik, Novellen und Dramen sind seit vielen Jahrzehnten im Handel nicht mehr erhältlich. Umso mehr überrascht es, dass seine Gedichte im 19. Jahrhundert in sehr viele maßgebliche Anthologien des gesamten deutschsprachigen Raumes aufgenommen wurden, d. h. sie waren für Herausgeber und Leser jahrzehntelang Bestandteile des „literarischen Kanons“. Dichter wie Friedrich Hebbel, Franz Grillparzer, Justinus Kerner, Theodor Storm, Nikolaus Lenau, Karl von Holtei, Peter Rosegger und Robert Hamerling, um hier nur einige zu nennen, schätzten Leitners Dichtungen außerordentlich. Dass Kunstwerke vergessen werden, hat keinesfalls notwendigerweise mit ihrer minderen künstlerischen Qualität zu tun. Die Kriterien, die der Kanonisierung ganzer Epochen und Werkbestände zugrunde liegen, werden immer häufiger hinterfragt und diskutiert. Zu oft hat eine hierarchisierende Musik- bzw. Literaturgeschichtsschreibung krasse Fehleinschätzungen gezeitigt. Dies trifft besonders auf die Autoren und Komponisten des Biedermeier zu. Aufgrund welcher Kriterien andererseits das Gesamtwerk Franz Schuberts, obgleich es derselben Epoche und demselben Kulturraum entstammt, keineswegs dem verpönten Biedermeier, sondern in toto entweder der Klassik oder der Romantik zugeordnet wurde und wird, ist ebenso wenig nachzuvollziehen. Schubert hat elf Lieder nach Gedichten Leitners komponiert, auch wenn es nie zu einer persönlichen Begegnung der beiden Künstler kam; acht dieser Werke wurden vollendet. Bei Schuberts einzigem öffentlichem Konzert, das am 26. März 1828 im Saal des Wiener Musikvereins (unter den Tuchlauben) stattfand, standen lediglich vier Klavierlieder auf dem Programm. Es ist bemerkenswert, dass es sich bei zweien