turi2 edition #18 Kapital – Geld. Arbeit. Sinn. Was uns antreibt

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Geld die größte Religion | Ist der Welt, Ursula Ott?

Marco Klewenhagen ist Geschäfts­ führer des Magazins „Sponsors“

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kriege | Wie ich andere

Fotos: Alex v. Spreti, PR, Katrin Binner

dazu, mir 10 Millionen zu geben, Marco Klewenhagen? Bei „Sponsors“ berichten wir zwar immer wieder über derlei Summen, aber mich als Unternehmer betreffen sie bisher nicht. Schlicht, weil an einer Kapitalaufnahme bisher kein Bedarf beziehungsweise an einem Verkauf kein Interesse bestand. Das „Wie“ der Frage beschäftigt mich gar nicht so sehr: Wer mir Geld gibt, möchte dafür in der Regel einen Gegenwert in Sach- oder Geldleistung erhalten, der die Chance bietet, das Kapital über Marktzinsniveau zu vermehren. Charme und Überzeugungskraft reichen da kaum. Der Geldgeber wird Finanzdaten und Marktkenntnisse nutzen, um das Wirtschaftsgut zu bewerten. Doch ein anderer Aspekt beschäftigt mich deutlich mehr. Von wem und zu welchen Bedingungen würde ich 10 Millionen Euro überhaupt annehmen wollen? Habe ich mit dem Geldgeber danach zu tun? In welcher Form? Wie oft? Anders gefragt: Wie frei bin ich danach noch? Wie bedeutsam die Antworten auf diese Fragen sind, lässt sich nur individuell bewerten. Für mein Wohlbefinden ist es von größter Bedeutung, möglichst selbstbestimmt zu agieren. Diese Freiheit aufgeben? Tja, kommt auf die Bedingungen an. Eventuell sind 10 Millionen Euro auch zu wenig.

Ihre Frage ist nicht ganz neu. „Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“ Das schrieb Martin Luther 1529 und ätzte: „Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles zur Genüge, wenn er Geld und Gut hat; er verlässt sich darauf und brüstet sich damit so steif und sicher, dass er auf niemand etwas gibt. Sieh, ein solcher hat auch einen Gott: der heißt Mammon.“ Hätten Sie Ihre Frage am Anfang dieses Jahrtausends gestellt, hätte sie ins Schwarze getroffen. In den 2000ern wurde bisweilen gepredigt über Menschen, für die „der Kontoauszug zur Bibel“, der „Quartalsbericht zur Offenbarung“ und die „Lektüre der Aktienkurse zur täglichen Andacht“ wurde. Und in Teilen Südamerikas und im südlichen Afrika gibt es bis heute regelrechte „Geldreligionen“. Sie werben für sich mit der Frage: „Woran sieht man, dass Gott mich segnet? An meinem Wohlergehen.“ Damit ist tatsächlich oft viel Geld oder ein dickes Auto gemeint. Aber hier und heute nehme ich eine andere Stimmung wahr. „Investieren klingt doch voll nach ‚jeder nur für sich‘“, sagt ein Fußballer im Werbespot der Deka-Bank, die neuerdings um „Sinnvestoren“ wirbt. Selbst die Superreichen wollen mit ihren Milliarden vor allem etwas bewirken. Elon Musk sucht politischen Einfluss, Jeff Bezos will den Klimawandel stoppen, Bill Gates

Ursula Ott ist

Chefredakteurin des evangelischen Monatsmagazins „Chrismon“

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am liebsten alle Krankheiten der Welt heilen. Machen Sie doch mal den Test in Ihrem Bekanntenkreis. Wer ist der interessanteste Gesprächspartner auf einer Party? Der Kollege mit dem SUVDienstwagen? Die Schwägerin mit den Aktiengewinnen? Die Zeiten sind doch längst vorbei. In der Partyküche schart man sich eher um die Freundin, die morgens früh in der Tafel Essen ausgibt. Den jungen Vater, der das Kinderzimmer frei geräumt hat für ukrainische Flüchtlinge. Die haben was zu erzählen. Ich glaube, die größte Bewegung ist die von Menschen, die für andere und für sich etwas bewirken wollen.


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