hoch³ #4/2017

Page 7

Verbinden

Seite 7   Technische Universität Darmstadt  |  hoch3  |  Juli 2017

Beschwerliche Route zum Frieden Bild: Claus Völker

Unterstützung für Wissenschaftler aus dem Jemen

Professor Hussain Al-Towaie ist im Rahmen der Philipp SchwartzInitiative für gefährdete Wissenschaftler für zwei Jahre am Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften zu Gast. Der aus dem Jemen stammende Ingenieur forscht gemeinsam mit Professor Wilhelm J. F. Urban zur Wasseraufbereitung mit erneuerbarer Energie. Wenn Hussain Al-Towaie über den Moment spricht, als er in der deutschen Botschaft in Oman sein Visum für Deutschland in den Händen hielt, beginnen seine Augen zu leuchten. Hinter ihm und seinen beiden Töchtern liegt eine lange Reise hinaus aus dem kriegsgeschüttelten Jemen. Bis 2013 war Al-Towaie Maschinenbau-Professor an der Universität von Aden im Bereich der Energietechnik. In seinen Veröffentlichungen und Aktivitäten warnte er immer wieder vor der Wasserknappheit und den daraus resultierenden sehr ernsten Konsequenzen für die jemenitische Bevölkerung. Die Regierung reagierte auf eine solche Kritik derart, dass Al-Towaie zur unerwünschten Person erklärt wurde. 2013 wurde er in den Ruhestand versetzt, was im Jemen unüblich ist und in der Regel nur auf eigenen Antrag geschieht. Deshalb suchte er nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten für sich und seine beiden Töchter außerhalb des Jemen. MIT DEUTSCHLAND VERBUNDEN

Dass Deutschland das Ziel der Reise werden soll, war Al-Towaie schon früh klar: Bereits von 1983 bis 1987 lebte er in Deutschland und promovierte in Dresden zum Thema Klimatisierung mit Solarenergie. Seit dieser Zeit war er regelmäßig zu Forschungsaufenthalten in Deutschland, 2007 begegnete er auf einer Konferenz

Prof. Dr. Hussain Al-Towaie (rechts) forscht für zwei Jahre gemeinsam mit Prof. Wilhelm J.F, Urban (links)

Professor Wilhelm J. F. Urban, dem Leiter des Fachgebiets Wasserversorgung und Grundwasserschutz am Institut IWAR der TU Darmstadt. Gemeinsam beantragten sie ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdiensts, das Al-Towaie 2009 an die TU Darmstadt führte. Sie blieben in Kontakt, Al-Towaie machte bei seinen Aufenthalten in Deutschland regelmäßig Station in Darmstadt. Als sich die politische Situation durch den bewaffneten Konflikt verschiedener Parteien um die Vorherrschaft im Jemen seit 2015 weiter zuspitzte, entschieden die beiden Kollegen, sich um ein Forschungsstipendium zu bemühen, das es Al-Towaie ermöglichen würde, bei Urban in Darmstadt zu forschen. Mit Unterstützung des Welcome Centres am Dezernat Internationales der TU Darmstadt stellten sie den Antrag auf ein

Stipendium der Philipp Schwartz-Initiative, die gefährdeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen zweijährigen Forschungsaufenthalt in Deutschland finanziert. KRÄFTEZEHRENDE AUSREISE

Als nach einer abschlägig beschiedenen Bewerbung im zweiten Anlauf endlich die Zusage kam, stand die schwierige Ausreise aus dem Jemen an. Denn aufgrund des Bürgerkriegs gibt es im Jemen seit Jahren keine deutsche Botschaft mehr, und die Grenzen zu den jemenitischen Nachbarländern sind geschlossen. Nur durch die Unterstützung von Freunden gelang es Al-Towaie, für sich und seine beiden Töchter – der andere Teil seiner Familie lebt weiterhin im Jemen – ein Visum für das Nachbarland Oman zu bekommen. Nach einer über zwei Wochen langen Reise erreichte er

mit seinen Töchtern endlich Maskat in Oman. »Dort haben wir erst einmal Ruhe gebraucht. Von der Reise waren wir seelisch und körperlich sehr erschöpft«, erinnert sich Al-Towaie. Die nächste Schwierigkeit bestand darin, für seine beiden volljährigen Töchter ein Visum für Deutschland zu bekommen, denn sein Stipendium ist nur für die Finanzierung seines eigenen Aufenthalts vorgesehen. Zwei Freunde aus Deutschland bürgten schließlich für die Töchter, Ulrike Buntenbruch, die Leiterin des TU Welcome Centre, half bei den Anträgen. Fünf Wochen nach ihrer Ankunft in Oman konnten die Al-Towaies endlich ein Flugzeug nach Deutschland besteigen. bettina bastian Ausführlichere Fassung des Berichts online: bit.ly/2pOciN2

ZEITMASCHINE Josef Ganz: Miterfinder des VW Käfers

Im August 2017 jährt sich der 50. Todestag von Josef Ganz. Dieser Name ist außerhalb der Automobilbranche nicht sehr bekannt und vermutlich auch nicht an der TU Darmstadt. Josef Ganz wurde am 1. Juli 1898 in Budapest in einem jüdischen Elternhaus geboren. Bereits als zwölfjähriger Gymnasiast wurde ihm ein Patent für eine Schutzvorrichtung für elektrische Straßenbahnen in Wien erteilt. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil und studierte drei Semester an der Technischen Hochschule in Wien. Im März 1927 erhielt er nach neun Semestern an der Technischen Hochschule Darmstadt sein Diplom in Maschinenbau von Professor Wagenbach. Ganz arbeitete danach bei unterschiedlichen Autoherstellern, wie beispielsweise Adler, DaimlerBenz, BMW und dem Motorradhersteller Ardie. Sein Automobilwissen machte ihn zum Chefredakteur des Fachmagazins »Motor-Kritik«. Zudem beteiligte er sich an der Arbeit des Magazins

Bild: Motor-Kritik X, Nr. 18, September 1930, S.390

Bis heute ist der VW Käfer eines der meistverkauften Fahrzeuge der Welt. Als sein Erfinder wird meist Ferdinand Porsche genannt. Die Erfindung des VW Käfers lässt sich aber nicht auf einen einzigen Erfinder festlegen. Josef Ganz, ein Alumnus der Technischen Hochschule Darmstadt, legte durch sein Design und das Konzept eines Prototypen den Grundstein des VW Käfers.

»Klein Motorsport«. Insgesamt konstruierte er 30 Kleinwagen, darunter auch den Prototyp namens »Maikäfer«. Diesen bauten 1930 die Nürnberger Ardie-Werke. Ab 1932 stellte die Ludwigsburger Standard Fahrzeugfabrik seinen »Maikäfer« her. Josef Ganz war anfangs sehr enthusiastisch über das Vorhaben Hitlers, die Motorisierung Deutschlands voranzutreiben. 1933 wurde das Automobil in einer überarbeiteten Version als »Standard Superior« auf der »Internationalen Automobilund Motorradausstellung« in Berlin der Automobilbranche vorgeführt. In der Branche wurde der Viersitzer als »Volkswagen« beworben.

Nach der Automobilausstellung wurde Josef Ganz von der Gestapo verhaftet, sein Büro in Frankfurt am Main durchsucht und zahlreiche Dokumente konfisziert. Nach seiner Freilassung wurde der jüdische Ingenieur als Chefredakteur der »Motor-Kritik« abgesetzt, vermehrt an seiner Arbeit gehindert und schikaniert. Adolf Hitler wollte seinen eigenen Namen mit der »Volkswagen-Idee« verewigen und alle jüdischen Verbindungen mit dem »Volkswagen« beseitigen. Alle Veröffentlichungen von Josef Ganz wurden verboten. Ferdinand Porsche, der zu dieser Zeit einzige unabhängige namhafte Konstrukteur in

der Branche, erhielt 1934 von Hitler den Auftrag, einen »Volkswagen« zu konstruieren. Um Patentstreite musste sich Porsche keine Sorgen machen, denn Hitler befahl der deutschen Autoindustrie, alle ihre Patente dem »Volkswagen-Projekt« zur Verfügung zu stellen. So konnte Porsche die besten Ideen seiner Berufskollegen kostenlos weiterverwenden. Im März 1934 floh Ganz über Liechtenstein in die Schweiz. Dort arbeitete er für die Firma Rapid in Dietikon und konstruierte den »Schweizer Volkswagen«. Er wurde jedoch von seinen Feinden aus Deutschland und antisemitisch gesinnten Schweizer Polizeibeamten tyrannisiert. Nach dem Krieg hatte Ganz Probleme mit den Schweizer Behörden, sodass er aus der Schweiz ausgewiesen wurde. Über Paris wanderte Josef Ganz 1951 nach Australien aus, wo er bis zu seiner Pensionierung für den Autohersteller »Holden«, der zu »General Motors« gehört, arbeitete. Er starb 1967 verarmt und vereinsamt in Australien. Ferdinand Porsche hätte ohne die Vorarbeit von Josef Ganz den VW Käfer nicht bauen können. simon götz universitätsarchiv der tu darmstadt


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
hoch³ #4/2017 by TU Darmstadt - Issuu