Allgäuer Wirtschaftsmagazin_Juni 2014

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Der Charlottenburger wird aus einem bedruckten 80x80 cm großen Tuch gebunden und enthält Unentbehrliches wie Arbeits- und Wechselkleidung sowie Werkzeug. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wird im Freiheitsschacht gelebt. „Wir alle seins Brüder, wir alle seins gleich“ ist die Maxime eines jeden Fremden Freiheitsbruders.

abgeschlossene Ausbildung in einem Bauhandwerk vorweisen kann, wer jünger als 30 Jahre, unverheiratet, kinderlos, nicht vorbestraft und schuldenfrei ist. Während der Walz ist es Pflicht, einen Bannkreis von fünfzig Kilometern um den Heimatort einzuhalten. EC-Karte und Handy bleiben zu Hause, denn gelebt wird vom Lohn oder dem Wegegeld (in der Regel 10 Euro), das nach einem zünftigen Vorsprechen vom Bürgermeister eines Ortes erbeten werden kann. Als Fortbewegungsmittel dienen in erster Linie die eigene Füße oder der Daumen. Eine Unterbrechung der Wanderschaft gilt übrigens als unehrbar und führt zum Ausschluss aus dem Schacht.

Bei einigen der Mitglieder liegt die Walz mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Bis heute scheuen sie keine Mühen, um zu Treffen anzureisen. Im Bild: Wolfgang Steggewentze und Reiner Dörr aus Saarbrücken, Gerhard Schön (Hannover), Dieter Steinhauer (Hagen) sowie der 81-jährige Fritz Deeg aus Saarbrücken, der dem Fremden Freiheitsschacht seit über 60 Jahren angehört.

Der Schacht - eine Bruderschaft auf Lebenszeit Nach der Walz bleiben die meisten Gesellen dem Schacht treu verbunden, auch um dafür zu sorgen, dass das Brauchtum am Leben erhalten wird. Nachwuchssorgen plagen die Schächte erstaunlicher Weise nicht. Die Fremden Freiheitsbrüder zählen rund 250 aktive Mitglieder. Fünfzig befinden sich derzeit auf Wanderschaft, darunter auch zwei Allgäuer. Insgesamt sind zurzeit um die 900 Gesellen auf der Walz.

überhaupt die Meisterprüfung antreten zu können“, erklärt er. Erst mit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert verlor die Wanderschaft nach und nach an Bedeutung. Mitte des 19. Jahrhunderts, nach der Zerschlagung der Zünfte, wurden die ersten Schächte als Verbund von Gesellen gegründet. Der „Fremde Freiheitsschacht“, dem Schönborn und seine „Brüder“– so nennen sich die Mitglieder untereinander – angehören, wurde am 1. Mai 1910 in Bern aus der Taufe gehoben. Heute existieren in Deutschland sieben Schächte.

Sabine Stodal

Lothar Buzengeiger betrieb während des Kongresses zusammen mit seiner Frau Margarete eine Waffelbude. Für deren Aufbau hatte der Zimmerermeister aus Heimenkirch, wie er sagt, „Zehntausend Einzelteile eingepackt“.

Die strengen Regeln der Wanderschaft „Der Schacht ist ein Bund, dem man sein Leben lang angehört“, erläutert Schönborn. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist, dass man mindestens drei Jahre und einen Tag auf der Walz war. Reisen darf, wer eine Allgäu Wirtschaftsmagazin

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Die Walz als Lebensschule So ziehen die Gesellen, oftmals zu zweit, durch die Lande, schlafen notfalls unter freiem Himmel und suchen Arbeit in verschiedenen Betrieben ihrer Wahl, wobei die Arbeit nach Tariflohn bezahlt wird. Ziel der Wanderschaft ist es, breit gefächerte berufliche Fähigkeiten zu erwerben, sowie andere Orte, Länder und Menschen kennen zu lernen. Während der Reisezeit kann sich der Wandergeselle auf ein funktionierendes Netzwerk verlassen. Er steht regelmäßig mit seinen „Brüdern“ in Kontakt und kann im Notfall an zahlreichen Anlaufstellen im In- und Ausland Hilfe und Unterstützung erhalten.

Bilder: Stodal

Zimmerer, diesmal nicht in, sondern auf ihrem Element, dem Holz.

Zur Not tut es für einen Zimmerer auch ein gemütliches Plätzchen auf dem Dach.

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