TRAILRUNNING SZENE - September/Oktober 2015

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Hasen“ abgefangen. Ein Läufer mit Erfahrung, der von Start bis Ziel konstant seine Leistung bringt. Der nichts überstürzt, der dafür aber auch nicht einbricht. Von Dienten bis zum höchsten Punkt des Rennens, dem Startzerhaus, wird es dann auch zu einer Probe für Kopf und Körper. Ich bin ohne Laufstöcke unterwegs und der Aufstieg ist endlos. Die Hitze immer drückender, das Startzerhaus nicht und nicht in Sicht. Fast 11 Stunden sind seit dem Startschuss vergangen.

überholt! oder...? Und da passiert es: Zwei Läufer eilen an mir vorbei. Schnell, agil, frisch. Das war es also mit dem Sieg. So musste es ja kommen. Aber weshalb sind die beiden noch so schnell, denke ich immer wieder, ehe sie hinter dem nächsten Kamm verschwinden. Plötzlich schaltet sich mein Verstand wieder ein. Das waren keine Teilnehmer der Endurance Distanz. Das waren die Führenden der 46 Kilometer Marathon-Meisterschaft, die sich den letzten Streckenabschnitt mit dem Endurance Trail teilt! Ich bin immer noch in Führung! Bis zum Startzerhaus quetsche ich alle Reserven aus meinem Körper. Völlig geschwächt erreiche ich es nach 80 Kilometern, lasse mich auf den Verpflegungstisch fallen und frage, wann es denn nun endlich bergab gehe. Die Antwort ist zermürbend. Noch 15 Kilometer. Fünfzehn? Kinder, ich habe bereits 80 Kilometer hinter mir! In 7 Kilometern, von mir aus 10 Kilometern – Verlaufen inkludiert –, wollte ich doch das Ziel erreichen. Nein. 15 Kilometer. Dafür nur mehr ein kleiner Gipfel! Sei’s drum. Weiter! Auf dem Weg zum vermeintlich letzten

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Gipfel, dem Schönwieskopf, sind meine Reserven dann endgültig verbraucht. Ich kann die Beine nicht mehr heben, stürze über einen Stein und komme zu Fall. Anstatt aufzustehen, bleibe ich reglos im Moos liegen, blicke zurück in Richtung Startzerhaus. Es ist still. Und niemand zu sehen. Ich möchte liegen bleiben. Für immer. Dann meldet sich mein Kopf. Aufstehen. Wir bringen das jetzt zu Ende! Mit beiden Armen stemme ich mich hoch, sammle die aus dem Rucksack geschleuderten Trinkflaschen ein und setze ein Bein vor das andere. Läuft! Ich überwinde den Schönwieskopf, um auf der anderen Seite festzustellen, dass dahinter ein weiterer „Kopf“ auf mich wartet. Dann noch einer. Und noch einer! Ich bin kurz davor den Verstand zu verlieren, während mich der Drittplatzierte des Marathon Trails überholt. Dann, endlich, ist der letzte Anstieg überwunden – das Ziel kann nicht mehr weit sein!

wandern zum sieg? Plötzlich steht ein weiterer Marathonläufer hinter mir, wirft einen Blick auf meine Startnummer. Endurance!? Ich antworte „Ja!“ und dass ich wohl in Führung läge, aber meine Verfolger können wohl nicht weit sein. Ich müsse mich jedenfalls beeilen! Bernd Zwinger lächelt und teilt mir amüsiert mit, dass ich den Rest der Strecke auch wandern könne. Ich kann es freilich nicht glauben, hefte mich an seine Fersen und so stürzen wir uns beide aus über 2.000 Höhenmetern hinab ins Tal. Der Downhill nimmt kein Ende. Felsige Trails, Wiesen, Wälder, Forstwege, Trails, Wiesen, Wälder… wie hoch kann so ein verflixter Berg denn sein, dass wir nicht und nicht nach un-

ten gelangen? Dann plötzlich öffnet sich der Wald und gibt freien Blick auf Maria Alm. Ich kann die Dorfkirche erkennen! Zwanzig Minuten später erreichen wir Maria Alm. Mit flottem Tempo laufen wir durch das Dörfchen, noch zwei Kurven, dann ist es soweit – der Zielbogen vor mir. Nach 13 Stunden und 17 Minuten erreiche ich das Ziel. Ich habe tatsächlich einen 95 Kilometer und 6.000 Höhenmeter beschwerlichen Trail gewonnen. Unglaublich, unvergesslich. Im Ziel schmeiße ich mich in eines der Planschbecken, trinke ein kühles Bier. Abgesehen von etlichen Schnitt- und Schürfwunden habe ich aber kaum Beschwerden. Und wenn die Fotos nicht lügen, dann fühle ich mich allerdings wesentlich besser als ich aussehe. Nach einem Interview begebe ich mich in mein Hotel. Ich muss rasten. Trinken.


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