TRAILRUNNING SZENE - Juli/August 2015

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Warum? Auch nach langem Überlegen kann ich darauf keine Antwort geben, die ein Aussenstehender verstehen würde. Einen Kaffee, bitte Anfangs geht es noch gut voran, doch bei etwa Kilometer 85 habe ich den ersten wirklich schweren Einbruch. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, meine Augen wollen nicht scharf stellen und es fällt mir unglaublich schwer, hier weiterzukommen. Es geht immer wieder auf kleine Gipfel, wir machen zwar keine nennenswerten Höhenmeter, aber in meinem Zustand kommt mir alles ganz extrem vor. Ich merke, dass Heli fit ist, aber ich kann tun was ich will, rien ne va plus. So funktioniert das nicht: „Heli, können wir bei der Hütte bei Kilometer 92 einen Kaffee trinken?” ... „Ja, sicher!” ... Ich bin erleichtert und hoffe, dass der Koffeinschub hilft.
Der Duft dieses Kaffees ist ein Traum! Selten hat ein Kaffee so gut geschmeckt, danach fühle ich mich wie ein neuer Mensch.
Es kann weitergehen! Auf zur Pöllauer Hütte. Hm, ja wenn wir doch die Markierung finden würden.

Bis wir wirklich bei der Hütte ankommen, dauert es eine Ewigkeit.

Wegsuche Meine Uhr ist leider ausgefallen, wir stehen zu siebt mitten in der Prärie und keiner weiß, wohin. Der Track scheint laut GPS-Geräten weiter unten zu sein, aber es ist weit und breit kein Weg in Sicht. Eine Ungarin folgt ihrem GPS-Gerät und verschwindet auf einmal im Nebel. Bis zum nächsten Livepoint nimmt sie uns einige Stunden ab, ob das mit rechten Dingen zugegangen ist, bezweifle ich…
Wir suchen und suchen, bis wir in der Ferne endlich gelbe Wegweiser entdecken, anhand derer wir zur Hütte finden. Danach wird es nicht viel einfacher mit der Navigation, immer wieder geht es auf und ab, steiler und steiler, es ist brutal mühsam. Bei der letzten Hütte frage ich den Hüttenwirt nach dem richtigen Weg, er muss es schließlich wissen.
In der Gewissheit, am richtigen Weg zu sein, haben wir trotzdem noch über 3 Stunden Wegzeit vor uns, bis wir bei Kilometer 116 ankommen. Zu dem Zeitpunkt ist es bereits 22:30 Uhr, wir waren eine Ewigkeit unterwegs.
Hier steigen einige aus dem Rennen aus, zu groß ist die Erschöpfung, zu sehr schmerzen Blasen und Muskulatur.
Wir fühlen uns aber gut. Erstmal eine Pause einlegen, wieder Suppe essen und stärken. Jetzt sind wir schon fast 29 Stunden am Weg, Wahnsinn…
Während die ersten bald das Ziel erreichen, liegen noch viele Stunden und Kilometer vor uns.

Noch fünfzig Kilometer

n Nach 41 Stunde

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Stirnlampen anknipsen, sie leuchten uns gut uns sicher durch die Nacht. Jetzt kann uns nichts mehr vom Finish

abbringen – nur noch knappe 50 km, das schaffen wir sicher! Labestation gibt es keine mehr, wir müssen alleine zurechtkommen, aber unsere Rucksäcke sind gut gefüllt, es kann weitergehen.

Die Kälte bei Nacht Um die Uhrzeit bin ich sogar völlig high, spüre keine Müdigkeit und fühle mich superfit! Das geht bis ca. 1:00 Uhr so weiter, bevor es Richtung St. Martiner Hütte auf ein Plateau auf 1700 m hinausgeht, wo starker Wind weht und mir plötzlich eiskalt wird. Ich habe vorher schon bemerkt, dass meinem Körper die Energie fehlt, um sich warm zu halten, aber deshalb habe ich beim letzten Livepoint noch eine weitere warme Schicht angezogen. Trotzdem: es hilft nichts. Mir wird so unglaublich kalt, dass ich wirklich Angst habe, völlig zu unterkühlen.
Weil wir mittlerweile zu dritt unterwegs sind und unser Begleiter wohl vergessen hat, seine Stirnlampe aufzuladen, leuchten wir ihm die ganze Nacht den Weg. Das kostet viel Zeit und vor allem ist es so auf schwierigeren Passagen unmöglich zu laufen und wir müssen fast überall gehen. Dennoch: In der Nacht lässt man hier niemanden alleine.
In dem Tempo wird mir aber schon gar nicht wärmer, sondern nur noch kälter und kälter.
Jetzt heißt es die Notbremse ziehen. Ich bin heilfroh, nicht alleine zu sein. Heli gibt mir noch ein Shirt, auch eine weitere Windstopper Jacke ziehe ich an. Ich trage jetzt insgesamt 2 T-Shirts, 2 Langarm-Thermo-Shirts, eine ärmellose Windstopper-Jacke, und 2 Windstopper Regenjacken. Im Normalfall müsste ich schwitzen wie verrückt, ich fühle mich eher am erfrieren. Heli verordnet mir eine Cola, dazu esse ich Schokolade, um mich aufzuzuckern und dann muss es weitergehen. Dabei fällt mir die Geschichte vom kleinen Bär und kleinen Tiger ein – „Wie gut wenn man einen Freund hat, denn dann braucht man sich vor nichts zu fürchten.”


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