Tracks 2 16 (März/April 2016)

Page 23

Belfasts treuer Sohn Obwohl Ricky Warwick seit vielen Jahren in Los Angeles lebt, ist er im Herzen ein Sohn Nordirlands geblieben. Auch auf seinem aktuellen Doppelschlag Achtung Zungenbrecher!) „When Patsy Cline Was Crazy (And Guy Mitchell Sang The Blues)/Hearts On Trees“ setzt er sich mit seiner Jugend in Belfast auseinander. Mal rockig, mal akustisch, immer aber eines: Authentisch.

Großbritannien in den Siebzigern. Swinging London hat sich ausgetanzt, die IRA hält das Inselreich in Angst und Schrecken. Im Juli 1972 gibt es beim „Bloody Friday“ allein in der nordirischen Hauptstadt Belfast 19 Anschläge, bis heute gehen etwa 1.800 Todesopfer auf das Konto der Irish Republican Army. Mitten in der Angst vor Anschlägen, den Kriegswirren und den Unabhängigkeitsbestrebungen des kleinen Nordirlands wächst Ricky Warwick auf, ein kleiner Junge aus einer Arbeiterfamilie. Er kommt in Ulster zur Welt, wird seine Jugend aber in und um Belfast verbringen. Geboren im Sommer 1966, bekommt er die Unruhen in seiner Heimat hautnah mit, wird noch Jahrzehnte später Songs darüber schreiben. Zunächst jedoch hört er die Songs anderer. Er entdeckt Bob Dylan, Bruce Springsteen und Johnny Cash, wird über diese Musiker später sagen, dass sie ihm „eine Stimme gaben, als mir niemand sonst zuhörte. Sie ließen mich an etwas Wichtigem teilhaben.“ Schnell hielten härtere Rock-Bands in seinem Kinderzimmer Einzug, darunter natürlich Thin Lizzy, Irlands Helden schlechthin. Bald war Warwick klar, dass er selbst zur Gitarre greifen musste. Mit 14 bekam er seine erste, eine akustische. Sie krempelte sein Leben um. „Diese alte gebrauchte Gitarre rettete mich. Für mich war das viel mehr als ein paar Saiten auf einem Griffbrett. Es war der tiefste Zug Leben, den ich je inhaliert hatte.“ Warwick wusste, dass er seine Berufung gefunden hatte, als er das erste Mal mit seinem Daumen über die Saiten strich. Rund 35 Jahre später lässt sich festhalten: Dieser Mann wusste schon sehr früh, was er wollte. Dass ihn diese Überzeugung irgendwann sogar hinter das Mikrofon von Thin Lizzy selbst bringen würde, hätte er in den Achtzigern natürlich niemals für möglich gehalten. Dennoch brachte er seine Karriere rasch in Schwung: Ende der Achtziger spielte er schon bei New Model Army, bald darauf feierte er mit The Almighty nicht nur in seiner irischen Heimat große Erfolge. Ricky Warwick war aber noch nie jemand, der sich nur mit einer Baustelle zufrieden gab. Nebenher schrieb er fleißig Songs, veröffentlichte seine Solo-Alben „Tattoos & Alibis“, „Love Many Trust Few“ und „Belfast Confetti“. Da mochte er längst nach Los Angeles ausgewandert sein – inhaltlich verarbeitete er noch immer seine Jugend im armen Nordirland. Das musste Eindruck gemacht haben, immerhin ging plötzlich alles ganz schnell. Ein Anruf vom Thin-Lizzy-Management später, und Warwick war der offizielle neue Sänger der Thin-Lizzy-Reunion. „Und zwar auf Wunsch von Scott Gorham“, gibt der Sänger noch immer geplättet zu Protokoll. Es ist natürlich eine ganz besondere Herausforderung, in die Fußstapfen eines größten irischen RockSängers aller Zeiten zu treten. „Dabei war das gar nicht mein Anspruch“, meint Warwick. „Niemand kann in die Fußstapfen eines Phil Lynott treten. Alles, was ich bei Thin Lizzy tue, ist, diese unsterblichen Songs mit dem Herzblut und der Leidenschaft zu singen, die sie verdienen.“ Zwischenzeitlich arbeitete er mit der Nachfolgeband Black Star Riders, steht auch dieses Jahr wieder bei Thin Lizzy hinter dem Mikrofon. Und schreibt immer noch genauso fleißig Songs für seine Solo-Karriere. Diesmal ist es sogar gleich ein Doppelalbum geworden. Wie das reinpasst zwischen Albumaufnahmen und Welttournee? „Kein Problem“, lacht Warwick. „Die Arbeiten am letzten Black-Star-Riders-Werk waren so dermaßen kreativ, dass ich gar nicht aufhören konnte, Songs zu schreiben.“ Da Ergebnis steht jetzt auf einem recht unterschiedlichen Doppelalbum bereit: „When Patsy Cline Was Crazy (And Guy Mitchell Sang The Blues)“ trägt unüberhörbare Spuren an seine letzten Jahren bei Irlands ikonischen Classic Rockern, „Hearts On Trees“ setzt seine Spaziergänge durch akustisches Terrain fort. Vereint werden sie

RICKY WARWICK

von einem roten Faden, der die Lyrics zusammenhält – und der dürfte die wenigsten überraschen, die seine Karriere in den letzten Jahren verfolgt haben. „Auch wenn die Alben sehr unterschiedlich klingen, setzen sie sich beide damit auseinander, wie es ist, im Belfast der Siebziger aufzuwachsen.“ Geschrieben hat Warwick die Songs mit seinem engen Freund Sam Robinson, entstanden sind viele Song-Skizzen bei gemeinsamen Besuchen im Pub, wenn Warwick mal auf Heimaturlaub war. Liest sie authentisch und bodenständig – und genau so klingen auch die Songs. „Uns war es wichtig, nicht in verklärte Nostalgie zu verfallen, allerdings geht es natürlich schon darum, die Dinge aus einer gewissen Distanz zu betrachten.“ Deshalb finden sich historische Referenzen ebenso auf den beiden Platten wieder wie die eine oder andere Familiengeschichte. „Das sind Storys, die jeder kennt“, so der Sänger weiter. „Man muss nicht in Belfast oder Irland aufgewachsen sein, um sie zu verstehen.“ Robinson ist nicht Warwicks einziger Partner in Crime für dieses schmucke Doppelalbum. Ursprünglich nur als Studiomusiker zusammengesammelt, ist aus seinen Buddies Robbie Crane (Black Star Riders), Mark Thwaite (The Mission) und Gary Sullivan praktisch über Nacht eine richtige Band geworden – The Fighting Hearts. Wenn die Chemie eben mal stimmt. Wie Warwick das dieses Jahr alles schaffen will, weiß er allerdings selbst noch nicht so genau. Neben seinen Soloplänen haben nämlich auch Thin Lizzy eine besondere Tournee angekündigt – als Teil der Rock-meets-Classic-Konzertreise wie auch als Headliner auf einer Tournee anlässlich des 40. Geburtstag ihres wegweisenden Albums „Jailbreak“. Für Warwick ein ganz besonders denkwürdiger Anlass: Er war sieben, als dieses Album erschien. Und ihn mit Songs wie „The Boys Are Back In Town“ für immer verändern sollte.

23


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.