Tracks 6 16 (November/Dezember 2016)

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No. 6/2016 November/Dezember 6. Jahrgang

Das einzige Schweizer Gratis-Magazin für musikalische Lebenskultur

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>POP >ROCK >METAL >INDIE/ALTERNATIVE >COUNTRY/AMERICANA >SWISS >BLUES

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BETH HART THE PRETTY RECKLESS MELISSA ETHERIDGE FRIDA GOLD KAISER CHIEFS JOAN AS POLICEWOMAN CORONER POLTERGEIST AIRBOURNE OPETH Livehaftig LOVEBUGS NIGHTWISH GÖLÄ IRA MAY * FRANKIE MILLER * FREE * 40 JAHRE PUNK



Inhalt NIGHTWISH

FEATURES / INTERVIEWS:

34

- FRIDA GOLD

4

Emanzipiertes Pop-Märchen

- THE PRETTY RECKLESS 18 Gereift

- MELISSA ETHERIDGE

22

Zelebriert Stax-Soul

Zur Präsentation des gewaltigen Konzertfilms «Vehicle Of Spirit» luden die finnischen Symphonic-Metaller Journalisten aus aller Welt nach Helsinki ein. TRACKS war dabei und konnte mit Nightwish-Mastermind Tuomas Holopainen ausfürhlich sprechen.

- FRANKIE MILLER

24

Duett-Juwelen

- JOAN AS POLICEWOMAN 26 Rhythmische Inspirationen

- KAISER CHIEFS

28

Unerwartete Klänge

- OPETH

30

Progressive Melancholie

- AIRBOURNE

44

Volle Lotte Aussie-Rock

BETH HART

8

- FREE

61

Legendär

Die amerikanische Ausnahmesängerin trägt ihr Herz auf der Zunge, deshalb ist jedes neue Gespräch mit ihr ein intensives Erlebnis. Keine andere Frau in diesem Business ist so offen und ehrlich und erlaubt dermassen tiefe Einblicke in ihr Seelenleben. Ein intimes Gespräch mit TRACKS zum Release ihres neuen Albums.

Schweizer Szene: - POLTERGEIST

46

Spukt wieder

- 40 JAHRE PUNK

51

Es wird gefeiert

- LOVEBUGS

52

Land in Sicht

- IRA MAY

54

Ram Pam Soul Queen

CORONER

48

- GÖLÄ

57

Der Mann mit den Baggern

Die Schweizer Metal-Avantgardisten präsentieren 20 Jahre nach dem Aus eine umfassende Werkschau und kündigen ein neues Album an. Gitarrist Tommy Vetterli gibt Auskunft.

- CREATIVE LOUNGE

Reviews 6 Mainstream/Indie/Alternative Beth Hart, Blackberry Smoke, Jetbone, Ian Hunter, Darkhaus, Kaiser Chiefs, M.I.A., Pixies, The Mission, The Baseballs, Status Quo, Van Morrison, Vangelis, Katie Melua...

40

Narnia, Pelander, Sixx A.M., Testament, Vicious Rumor, Tyketto...

55

Swiss Bluesaholics, Collie Herb, Deathcult, Monkey 3, Monotales, Redeem, Sin Starlett, Spencer, Stoneman, The Pride, Ira May, Jacobee, Wolfcounsel, ZOK...

Hard/Heavy/Metal Airbourne, Attila, Dark Tranquility, Devilment, Hansen, In Flames, Korn, Operation Mindcrime,

58

Produzieren auf Malle

62

Wettbewerb / Impressum

3


Endlich angekommen. Mit einem Jahr Verspätung melden sich Frida Gold zurück, wollen auch mit dem dritten Album ihr emanzipiertes Pop-Märchen weiterschreiben. Wie selbstbewusst das Duo ins Rampenlicht zurückkehrt, zeigt letztlich schon der Titel: Sie haben es „Alina“ genannt nicht ganz zufällig nach der Sängerin. bs. Es kommt nicht immer so, wie man denkt. Nachdem Frida Gold im Sommer 2013 mit „Liebe ist meine Religion“ den ganz großen Durchbruch feierten, Tourneen absolvierten und Preise einheimsten, brach ein gewaltiger Medienrummel mit dem ganzen Pipapo los, der im Pop-Zirkus eben dazugehört. Alina Süggeler und Andreas Weizel genossen das Surfen auf der Erfolgswelle, wollten aber nicht auf ihr Erfolgsrezept reduziert werden. Die beiden beschlossen, aus dem deutschsprachigen Korsett auszubrechen, schrieben ein englisches Album, nahmen es auf und wollten es unter dem Namen „Frida Gold“ im Herbst 2015 veröffentlichen. Dazu kam es nicht. Die erste SiaGedächtnissingle Single „Run Run Run“ ging gnadenlos unter, das Publikum, so scheint es, hatte entschieden, dass Frida Gold gefälligst auf deutsch zu singen haben. Das Duo beugte sich der Kritik, verschob alles, hüllte den Mantel des Schweigens um sich, übersetzte das Album, schrieb es teilweise auch um. Eine schwierige und gewiss auch kritisch zu beäugende Entscheidung, die letztendlich zu „Alina“ geführt hat, dem dritten Album, auf dem Frida Gold so klingen wie sie nun mal klingen: Überwiegend deutsch, sanft, nachdenklich. Wie aus Trotz hat es „Run Run Run“ dennoch auf Englisch aufs Album geschafft. Kann man der Band einen Vorwurf daraus machen? Kaum. Zumal Alina Süggeler aus der Not eine Tugend gemacht hat und die Zweifel und Unsicherheiten, die diese Albumproduktion umwehten, zum Leitmotiv des neuen Albums machte. „Wer von euch kennt das Gefühl, sich immer wieder selbst zu überprüfen?“, fragt sie. „Sich immer wieder allen inneren Zweifeln hinzugeben? Sich zu hinterfragen, damit nicht aufzuhören und immer auf der Suche zu sein? Ist das hier mein Leben? Bin ich dafür angetreten? Schöpfe ich all meine Möglichkeiten wirklich aus, tue ich genug? Um dann bei der Frage zu landen: Wer bin ich eigentlich?“ Diese Worte sind ebenso auf ihre Persönlichkeit wie auch auf ihre Karriere zu beziehen. Letztendlich, so musste der Zweier erfahren, sind Frida Gold nun mal eine deutschsprachige Band. So haben sie angefangen, so konnten sie die Menschen bewegen, so können sie sich am überzeugendsten mitteilen. „Alina“ ist deswegen sogleich ein Bekenntnis zu sich selbst und ein selbstbewusstes Statement für den eingeschlagenen Weg. „'Alina' steht stellvertretend für alle Namen. Alle Namen derer, die sich auf dieser Reise und Suche befinden, wie ich eben auch. All derer, die an sich selbst zweifeln und damit immer in Bewegung sind. All derer, die langsam den Weg zu sich selbst finden. Die Wahrheit liegt in der Fehlbarkeit. Und unsere Fehlbarkeit macht uns alle gleich, so wunderbar menschlich.“ Deshalb zeigt sie sich im intimen Musikvideo zu „Langsam“ auch splitterfasernackt. Nicht jedoch aus erotischen oder kommerziellen Gründen. Eher das Gegenteil ist der Fall. „Es geht darum, zu sich selbst zu stehen. All die Dinge rauszulassen, die blockieren, und alles abzulegen,

Die nackte Wahrheit


was einen beschwert“, erklärt die 31-Jährige. „Die künstlerische Darstellung im Video war die einfachste Form, das Thema des Songs zu visualisieren. Denn da, wo wir uns der Identitätsfrage stellen, da, wo wir uns selbst ergründen und uns trauen, sind wir alle nackt. Nacktheit“, fährt sie fort, „ist unsere ursprünglichste

Form. Wir kommen alle nackt auf die Welt. Und dafür ist diese Nacktheit in dem Video zu sehen. Als Symbol für Ehrlichkeit, Wahrheit und Authentizität.“ Unstigmatisierter und unsexualisierter war nackte Haut lange nicht in einem Pop-Video zu sehen. Dass das ausgerechnet von einer Person kommt, der man in den letzten Jahren gern mal Arroganz und Narzissmus vorgeworfen hat, macht die Sache natürlich doppelt interessant. „In mir drin sah es immer so anders aus“, gesteht sie. „Ich fühlte mich verletzbar und empfindsam; war so selbstkritisch und ließ mich schnell verunsichern. Angst war in den letzten Jahren mein engster Berater, und er ist wahrscheinlich der schlechteste, den man haben kann. Diese Angst, gepaart mit dem Drang nach Perfektion, hat vieles kontrolliert. Zu oft habe ich mich hinter meinem Look und einer Attitüde versteckt, einfach aus Angst, ich selbst zu sein.“ Diesen Zeiten, so scheint es, sind vorbei. Wer weiß, ob das mit jenem englischsprachigen Album auch möglich gewesen wäre.

FRIDA GOLD Alina Warner Bs. Eiskalt erwischt: Eigentlich wollten sich Frida Gold schon vor einem Jahr mit Album drei zurückmelden. Angekündigt war ein englisches Album, komplett geschrieben und aufgenommen war es auch schon. Dann floppte die erste Single, die Band entschied sich, das Album zu übersetzen. Wieso das ein ganzes Jahr dauerte, ist zwar nicht ganz klar, dennoch ist mit „Alina“ jetzt jenes dritte Album erschienen. Es ist ein typisches, ein nachdenkliches Frida-Gold-Album, das eben das bietet, was die Fans erwarten: Ehrliche, persönliche Texte über die Liebe, das Leben und all das dazwischen. Wenig überraschend vielleicht, aber solide exerziert und der eigenen Attitüde treu. Die Neuerungen muss man suchen, wird aber belohnt: Insbesondere der teilweise englische Refrain des starken „Burn The Boats“ oder „Wir sind zuhaus“, ein wärmendes Loblied auf die Familie und das Ankommen, stechen aus der Summe der insgesamt überdurchschnittlichen Pop-Liedlein heraus, machen aber auch deutlich, dass man vielleicht doch mehr Mut hätte zeigen können: Was noch englisch ist auf dem Album, hat irgendwie mehr Widerhaken, mehr Reiz. Sicher, das sieht das Gros der Fans ganz bestimmt anders, weswegen „Alina“ in seiner Gesamtheit durchaus ein würdiger Nachfolger von „Liebe ist meine Religion“ ist. Der Aha-Effekt bleibt allerdings aus.

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REVIEWS Mainstream/Indie/Alternative AGNES OBEL Citizen Of Glass rp. Auf Fotos wirkt die dänische Sängerin Agnes Obel oftmals entrückt, abwesend und gedankenversunken. Jemand, der in seiner eigenen Welt lebt. Auf ihrem neuen, dritten Werk «Citizen Of Glass» blickt Obel nach draussen. Die zehn Songs handeln davon, wie wir andere Leute sehen und auch uns

selber, und wie Gefühle in dieser Welt funktionieren. In Zeiten von Social Media, Selfies und Co. eine interessante Herangehensweise. Zur musikalischen Untermalung hat Agnes Obel Soundlandschaften kreiert, die atmosphärisch und entrückt klingen. Fast als wollte sie damit eine Distanz zur Wirklichkeit schaffen. Der Auftakt «Stretch Your Eyes» kreiert mit geringen Verschiebungen eine geheimnisvolle verletzliche Stimmung, schon fast Twin Peaks mässig. « It's Happening Again» klingt wie ein

passender Nachtrag zum Filmsoundtrack von «Picknick At The Hanging Rock». Im folkigen «Stone» sinniert sie über die verbindende Kraft der Liebe. Im dunklen mit Streichern angereicherte «Trojan Horses» singt sie «I Tell Myself I Wanna Be Lied To». Die unerträgliche Wahrheit. Lieber wird man angelogen. Der Titeltrack lebt von der Einsamkeit eines Pianos und Obels entrückter Stimme. «Golden Green» nimmt sich dem Sprichwort « Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner» an. «Grasshopper» ist verspielt, hüpfende Melancholie, instrumental serviert. Und im Abschluss «Mary» erinnert Obel sich an ihre Schulliebe und wie sie auch noch heute präsent ist. Emotional und tief.

M.I.A. AIM Universal

VAN MORRISON Keep Me Singing Universal Music hef. Der gebürtige Nordire aus Belfast, der seit Dekaden auch einen zweiten Wohnsitz in Kalifornien hat, erstaunt einmal mehr mit einem unglaublich konsequenten Album alter Morrison-Schule. Der alte Grantler und Misanthrop, der Journalisten verabscheut wie der Teufel das Weihwasser, auf der Bühne – wie Bob Dylan – weder Grüezi sagt noch seine Mitmusiker vorstellt, geschweige denn danke sagt oder einen Song ansagt, ist ein anderer Mensch, wenn er Musik macht. Ein emotionaler Melancholiker nämlich, mit Blues im Blut. „I was Mr. Nice Guy too long, and I found out that was wrong, ich spielte eine Verlierer-Rolle und strandete vor Deiner Tür “, singt er im siebenminütigen Song „Out In The Cold Again“. Und weiter: „Ich habe nicht gecheckt, was abgeht. Die Leute haben mir nicht die Wahrheit gesagt, und jetzt stehe ich da wieder in der Kälte.“ Dann jammert er, wie er durch die Welt reiste und die Gespräche mit ihr vermisst. Dazu ertönt ein easy-listeniger Blues-Groove mit vielen Molltönen, unterbrochen von feinem Guitar-Picking-Solo. Vans Stimme tönt wie eh, sein larmoyantes Timbre gibt den traurigen Songs den Touch des gewissen Etwas. "Going Down To Bangor" ist ein weiteres Highlight. Ein richtig geil abgehender R&B-Song im alten Style. Das ist Rhythm'n'Blues, wie wir ihn in den späten 60er und frühen 70er Jahren liebten. Mit einem feinen Monotonie-Rhythmus, mit stupender Gitarre im immer gleichen, drivenden Ton plus scharfen MundharmonikaKlängen. „Share Your Love With Me“, geschrieben von Alfred Baggs und Don Robey, wurde schon früher von Stars wie Aretha Franklich und Kenny Rogers aufgenommen. Der letzte Album-Titel „Caledonia Swing“ ist ein Instrumental mit Van an Piano und Saxophon. Meister Morrison, mittlerweile auch schon 71, ist mit seinem selbst produzierten 36. Studio-Album in Top-Form. 13 Songs voller Melancholie.

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hug. Wenn wir das neue M.I.A.-Album wohlwollend angehen wollen, können wir von folgendem Konflikt ausgehen: Die zornige junge Frau weckt mit ihrer borstigen, stacheligen, aggressiven, elektronisch zersetzten Weltmusik die Aufmerksamkeit von Insidern, unverhofft darf sie mit Madonna und Nicki Minaj in der Pause der Suberbowl auftreten, und plötzlich ist sie berühmt, und alle sagen: Seht her, da ist endlich eine Frau, die eine Lanze für Flüchtlinge und die Armen dieser Welt bricht – wir sind betroffen! Der Konflikt ist nun der: Wenn M.I.A. weiterhin ihre verquere Musik macht, wird sie schnell wieder weg vom Fenster sein und mit ihre die Botschaft, weil ihre Musik einfach nicht mehrheitstauglich ist. Wenn sie aber ihre Botschaft weiterhin transportieren will, muss sie im Gegenzug ihre Musik mässigen. Wie aber letzteres herauskommt, haben uns Santigold, Nicki Minaj und viele andere längst bewiesen: Die Musik verwässert. Soweit die wohlwollende Betrachtung. Die etwas härtere Betrachtungsweise ist die: Seit ihr Ex-Freund Diplo nicht mehr zur Musik schaut, bringt M.I.A. alleine diese Power nicht mehr hin. So oder so: «AIM» ist Welten von ihren ersten beiden Alben «Arular» und «Kala» entfernt, das Album klingt über weite Strecken so belanglos wie die aktuellen Alben der erwähnten Santigold und Nicki Minaj. Schon «Matangi», M.I.A.s letztes Album, tendierte klar in Richtung Verwässerung. Auf «AIM» zeigt eigentlich nur noch der Song «Visa» die

alte Stärke auf. Schade. Nun ja. Wir konzentrieren uns zwar auf neue Namen wie Alo Wala und Nucleya, aber vorläufig halten wir M.I.A. noch die Treue, es kann ja wieder besser kommen. Denn dass «AIM» ihr letztes Album sein soll, wie die Britin gesagt hat, nehmen wir schlicht nicht ernst.

PIXIES Head Carrier Play It Again Sam rp. «Head Carrier» ist der zweite Longplayer der Pixies nach ihrer Reunion 2003. Nach der etwas enttäuschenden, aus EPs zusammengezimmerten CD «Indie Cindy» (2014), sind die zwölf neuen Songs wieder mehr Pixies alter Schule. Songs wie der Titeltrack, «Classic Masher» oder «All I Think About Now» könnten gut von «Surfer Rosa» (1988) oder «Doolittle» (1989) stammen. Die Pixies, immer noch ohne Kim Deal, dafür mit Paz Lenchantin (ehemals A Perfect Circle und Zwan) am Bass und Gesang, haben wieder zu ihren alten Stärken zurückgefunden. Kratzig eigenwilliger Indierock, der immer wieder mit feinen hymnischen Gesangsmelodien durchzogen ist. Auch Tracks wie «Might As Well Be Gone» oder «Talent» stehen ihren frühen Songs in Nichts nach. Altersbedingt ist vielleicht die Unberechenbarkeit /Spontanität etwas verloren gegangen. So klingen Ausbrüche wie auf «Baal's Back», «Um Chagga Lagga» voraussehbar / kontrolliert aber doch irgendwie spannend. So lieben wir die Pixies.

VANGELIS Rosetta Universal hef. Dieses neue Werk des grossen Griechen ist eine faszinierende Hommage an den Weltraum. Vor allem in letzter Zeit war Rosetta wieder in aller Munde und Medien. Diese beeindruckende, mit Computern vollgeladene Raumsonde der ESA, die seit zehn Jahren den Kometen TschurjumowGerassimenko, kurz Tschuri, umkreist und unglaubliche Daten über die Entstehung des Sonnensystems an die Erde funkt. Für Weltraum-Fan Vangelis der Grund, sich nach mit Preisen überschütteten FilmSoundtracks wie "1492:


Mainstream/Indie/Alternative REVIEWS Conquest Of Paradise", "Chariots Of Fire" und "Blade Runner" musikalisch mit der Faszination des Universums, Schwerelosigkeit und Unendlichkeit, auseinanderzusetzen. Seine sphärischen, melodie-durchtränkten Songs sind eine Ode an die Weltraumforschung mit all seinen Facetten. Auf die Idee gebracht wurde der 73-jährige Vangelis von seinem Fan, dem niederländischen Astronauten André Kuipers, der Vangelis vor vier Jahren direkt von der Weltraumstation ISS anrief und ihn zur Europäischen WeltraumOrganisation ESA einlud. Davon und von der Sonde Rosetta war Vangelis derart begeistert, dass er gleich dieses Album darüber schuf. So tragen denn einige der 13 schwebenden Instrumentals Namen wie "Mission Accomplie (Rosetta's Waltz)" oder "Philae's Descent". Bei Philae handelt es sich um das Landeteil, das Rosetta vor zwei Jahren auf Tschuri hinunterliess. Nach siebenstündigem freien Fall traf der Lander tatsächlich auf dem Planeten auf und funkte danach wertvolle Daten zur ESA. Beim Hören dieser Songs fühlt man sich wie im Weltraum dabei. Intergalaktische Musik, die Schwerelosigkeit, das Weltall und die Wissenschaft quasi gleichmassen umfasst und musikalisch entsprechend wirkt. Musik wie ein Trip in den Kosmos.

WALLIS BIRD Home Bird Records/Universal hug. Also, wer das nach vier Alben immer noch nicht weiss: Wallis Bird, in Berlin lebende Irin, verlor alle Finger ihrer linken Hand, als sie ein Jahr alt war. Vier davon konnten ihr wieder angenäht werden. Ihr Vater schenkte ihr eine Gitarre, um die Fingerfertigkeit zu üben. Weil sie Linkshänderin war, hielt sie die RechtshänderGitarre einfach verkehrt herum, ohne die Saiten umzustellen. Gitarrenunterricht nahm sie nie. Aber heute spielt sie mit eigener Technik Gitarre wie niemand sonst. Das ist das eine. Das andere ist: Wallis ist eine begnadete Songschreiberin. Jedes ihrer Lieder ist ein eigener Kosmos, denn mühelos changiert sie von expressiv zu zurückhaltend, von laut zu leise, von knorzig zu melodiös. Das kann man zwar gesamthaft als Pop bezeichnen, obwohl es in fast keiner Weise mehrheitsfähig ist beziehungs-

weise die Massenradios kaum den Mut haben, Bird-Songs zu spielen. Die Musikerinnen, mit denen Wallis Bird verglichen wird, ziehen sich denn auch von Ani DiFranco über Eva Cassidy und KT Tunstall bis Patti Smith und – man kann hier fast nach Belieben ergänzen. Dass Wallis es schafft, diese Vielfalt zusammenzuhalten, macht die Qualität ihrer Musik aus. Das gilt auch für das neue Album, das im Vergleich zum Vorgänger «Architect» etwas mehr Elektronik einsetzt und vor allem im Gesang einiges expressiver ist. Daran muss man sich wie immer erst gewöhnen, doch der Lohn für die Geduld sind die erstaunlichen Welten der Wallis Bird. Übrigens live am 21. und 22. Februar 2017 in Luzern und Bern.

The Baseballs Hit Me Baby... Warner Music bs. Endlich wieder Zeit für Pomade, Petticoats und Pommes im Autokino: The Baseballs servieren auf „Back For Good...“ ihr nächstes Fifites-Spektakel. Schnell machte man sich in den letzten Jahren einen verlässlichen Namen also Combo, die große Pop-Hits in ein fesches Rock'n'Roll-Gewand steckt, mit dem neuen Album geht der Dreier noch einen Schritt weiter. Vielleicht auch als Antwort auf das letzte Werk „Game Day“, das gelungene Eigenkompositionen enthielt, geht's jetzt wieder mit besonders unerwarteten Coverversionen rund. Diesmal sind es vor allem die Neunziger und Nuller Jahre, die dran glauben müssen: Rockabilly, Bubblegum, Surf-Vibe und ganz viel Rock'n'Roll sind zumindest nicht unbedingt Attribute, die man Take That („Back For Good“), Destiny's Child („Survivor“) oder Britney Spears („...Baby One More Time“) zugetraut hätte. Die Baseballs zeigen sich davon unbeirrt und kleiden die totgehörten Charthits vergangener Zeiten in wirklich erfrischende, unschuldig groovende Retro-Perlen. Insbesondere der frühe Erfolg von Miss Spears wird bei ihnen zur hinreißenden ElvisHuldigung. Mit Hüftschwung im Geiste und tollem Shuffle-Beat. Klar könnte man da jetzt sagen, dass zu einem solchen Album nicht viel dazugehört. Die Art und Weise, wie die Baseballs die Fünfziger ehren und am Leben erhalten, ist aber einfach zu unterhaltsam, zu charmant.

Kolumne Hugs Wegweiser durch die Populär-Galaxie von Christian Hug

Konzerte sind scheisse Ich dachte eigentlich, dass das allen sonnenklar ist, aber dem ist nicht so. Das wurde mir bewusst, als kürzlich zwei befreundete Musiker im Gespräch sagten: «So habe ich das noch nie betrachtet.» Darum hier nochmal zum Mitschreiben. Also: Meine beiden Freunde sind gleichermassen Musiker und Konzertveranstalter, und sie stellten in besagtem Gespräch ziemlich entmutigt fest, dass «die Jungen», also die partytreibenden Twenty-Somethings, keinerlei Interesse an Live-Musik hätten. Ganz generell. Das stimmt natürlich. Leider. Und da setzte ich zwecks Begründung dieses misslichen Umstands zu meiner Rauchfrei-Theorie an. Die geht so: Früher, als man in den Konzertlokalen noch rauchen durfte, da fanden sich die Konzertbesucher nach und nach im Lokal ein, holten ein Bier, steckten sich eine Zigarette an und plauderten mit Gleichgesinnten. Der Mixer liess heisse Musik übers PA laufen, und es herrschte eine erwartungsfrohe Atmosphäre im Saal, die immer kribbeliger und hibbeliger wurde, ja näher der Konzertbeginn rückte. Wenn dann die Band endlich auf die Bühne kam, war die Stimmung bereits auf 60, 70 Prozent, und die Band brachte diese innert Kürze auf 100 und mehr. Die Band rockte, der Saal rockte, und nach dem Konzert liess der Mixer nochmal coolen Sound laufen, die Leute tanzten weiter, und alles bestand irgendwie aus lauter Glück. Nach richtig geilen Konzerten ging das manchmal stundenlang weiter so. Aber seit man nicht mehr rauchen darf im Saal, hat sich alles verändert. Die Konzertbesucher lümmeln jetzt vor dem Lokal im Freien rum, weil man nur draussen rauchen darf. Wenn die Band ihr Konzert beginnt, muss sie die Lautstärke erstmal aufdrehen, damit man draussen hört, dass es drinnen angefangen hat. Drinnen im Saal aber herrscht 0 Stimmung, weil ja kaum wer drin war vor Konzertbeginn. Die Band muss also mühsam Stimmung vom Nullpunkt aufbauen. Das dauert sogar bei richtig guten Bands mindestens eine halbe Stunde, bis die wenigsten auf 60, 70 Prozent sind. Kurz vor Ende des Konzerts ist dann die Stimmung perfekt, aber dann ist das Konzert auch schon zu Ende. Und die Leute gehen wieder raus, weil sie rauchen wollen. Die Stimmung im Saal verpufft innert Minuten wieder auf 0 runter, und die Konzertgemeinschaft verliert sich irgendwo im verdunstenden Freiluft-Rauch. Der After-Concert-DJ bemüht sich vergebens im leeren Saal. Also ehrlich: Wenn ich heute 20 Jahre alt wär, warum sollte ich denn Konzerte schauen gehen? Konzerte sind heute scheisslangweilig, weil es fast unmöglich geworden ist, Stimmung und Atmosphäre im Saal aufzubauen. Das Rauchverbot killt Live-Konzerte. Weil Konzertgänger grossmehrheitlich Raucher sind. Das ist so. Handkehrum hab ich noch nie einen Nichtraucher an einem Rockkonzert gesehen, der nur deshalb kam, weil jetzt seine Haare danach nicht mehr nach Rauch stinken. Danke, liebe Nichtraucher, das habt ihr prima hingekriegt mit eurer Gesundheitsdiktatur. Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass Bono Vox verboten werden sollte.

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Die Geister sind immer dabei

BETH HART ip. Über Beth Hart eine Einleitung zu schreiben ist in dem Sinne hinfällig, weil die Musikerin ihr Herz auf der Hand trägt und alles, aber auch wirklich alles, selber in viel passenderen Worten zu schildern weiss. Keine andere Frau in diesem Business ist so offen und ehrlich mit ihren Äusserungen und niemand sonst erlaubt einem, so nah an den Sinn ihrer Texte zu gelangen. Deshalb überlassen wir der Künstlerin den Platz und lassen sie in diesem, wiederum äusserst intimen Gespräch, von ihrem neuen Album „Fire On the Floor“ und einigen ausgewählten Textpassagen erzählen, die einen tiefen Einblick in ihr Seelenleben geben.

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“Ich mache mir selten viele Gedanken, weil ich nicht gerne kontrolliere.” In „Love Gangster“ singst du „Ain't nobody gonna love you like I do“. Das ist vermutlich ein Satz, in den sich jede liebende Frau hineinversetzen kann. Warum singst du diesen Satz? Dieser Song basiert auf einer Therapiesitzung mit meinem Psychiater. Normalerweise lege ich gegenüber meinen Produzenten immer alles auf den Tisch, wenn ich eine neue Platte aufnehme. Bei diesem Song war das aber anders, denn ich hatte diesen Text nur für meine Therapie geschrieben und gar nicht vor, ihn meinen Produzenten zu zeigen. In diesem Text geht es darum, was ein junges Mädchen empfindet, wenn ihr Vater, zu dem sie eine sehr gute Beziehung hatte, die Familie verlässt. Oft ist es so, dass sich dieses Mädchen dann später Jungs aussucht, die nicht besonders gut für sie sind. Sie versucht, die Beziehung zu ihrem Vater zu verarbeiten, indem sie sich die „bösen“ Jungs aussucht. Sie denkt, dass wenn sie es schafft, dass der schlechte Kerl sie liebt, ihr Vater sie dann auch wieder lieben würde. Daran habe ich gearbeitet. Parallel dazu habe ich ein Interview mit Leonard Cohen gesehen, in dem er gesagt hat, dass er sein Leben mit Hilfe eines buddhistischen Meisters in eine spiritistische Richtung gelenkt hat, um sein Karriereende zu verarbeiten. Auf die Frage, wie er denn seinen bisherigen Lebensstil mit Alkohol und Frauen so

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einfach hatte aufgeben können, sagte er: „Nun, ich war nicht unbedingt ein ‚Love Gangster'.“ Das war meine Initialzündung, um einen Song dieses Namens zu schreiben. Um auf meinen Psychiater zurückzukommen: Er hasst normalerweise alles, was ich mache. Er ist auch sehr streng mit mir, was meine Musik angeht. Deshalb ist er der perfekte Mensch, um ihm meine neuen Songs zu zeigen, weil er riesige Ansprüche hat. Als ich ihm dann „Love Gangster“ vorgespielt habe, war ich ziemlich erstaunt, denn er fand ihn wundervoll! Trotzdem habe ich noch gezögert, ihn meinen Produzenten zu zeigen. Ich habe ihn dann zwischen all die anderen gemogelt, die ich ihnen geschickt habe und alle fanden ihn gut. Ein Song wie „Love Gangster“ ist normalerweise eher untypisch für mich, weil so ein Text aus meiner Sicht nicht unbedingt für die Öffentlichkeit gedacht ist. Aber im Nachhinein bin ich froh, dass er doch auf der Platte gelandet ist. Ein Song heisst „Coca Cola“. Hast du einen Vertrag mit der Firma? Und wenn nicht, könnte das nicht Ärger mit Copyright geben? Keine Ahnung, vielleicht gibt es Ärger. Aber darum kümmern wir uns erst dann, wenn es soweit ist. „Let's Get Together“ ist, verglichen mit den anderen Songs, ein sehr fröhlicher mit einem Reggae-ähnlichen Beat. Er klingt auch leicht nach Amy Winehouse. Ja, ich verehre Amy Winehouse. Ich habe den Song mit dem gleichen Komponisten geschrieben, der mir schon für zum Beispiel „Bang Bang Boom Boom“ zur Seite gestanden ist. Wir fühlen uns immer sehr wohl miteinander, wenn wir zusammen schreiben und wissen nie, in welche Richtung es uns treibt. So ist das auch mit „Let's Get Together“ passiert und wir haben ein erstes Demo davon gemacht. Die Gesangsspur, die auf dem Album ist, ist tatsächlich auch diejenige des ersten Demos. Weißt du, wenn man die ersten Takes eines neuen Songs aufnimmt, ist man oft sehr entspannt und singt auch dementsprechend. Wenn man den gleichen Song dann im Studio nochmals für die Platte aufnehmen soll, dann verliert man oft diese Entspanntheit und dieses ganz besondere Feeling des ersten Males. Als wir die Platte aufnahmen, habe ich gesagt: „Ich glaube nicht, dass ich diesen Song noch besser singen kann.“ Deshalb haben wir den Gesang herausgefiltert und den Instrumentalpart nochmals neu darunter gelegt. Der Produzent Oliver Leiber hat da auch einen fantastischen Job gemacht. Meistens wollen die Produzenten ihre Hand über allem haben. Aber er ist ein sehr bescheidener und einfühlsamer Mensch und kümmert sich um mehr, als er eigentlich muss. Dafür bin ich sehr dankbar. In „Love Is A Lie“ singst du „Love is a lie, it sucks you dry“. Das klingt sehr resigniert, harsch und desillusioniert. Hast du das Vertrauen in die Liebe verloren? Um Himmels Willen, nein! Nicht im Geringsten. In diesem Song geht es um Erfahrungen, die ich gemacht habe. Nicht nur mit meinem Vater, sondern auch mit zwei anderen Männern, mit denen ich zusammen war. Mit dem ersten hatte


ich eine Beziehung von vier Jahren als ich 14 war und der andere war mein Freund zwischen meinem 19.und 27. Lebensjahr. Es waren lange und schmerzhafte Beziehungen. Wenn ich Songs schreibe, dann erzähle ich entweder, wie es mir heute geht oder darüber, wie es mir hoffentlich morgen geht oder über Fantasien oder ich beziehe mich auf alte Gefühle. Das kann etwas aus meiner Kindheit oder Jugend sein oder etwas, das in meinen Zwanzigern passiert ist. Meistens weiss ich gar nicht, in welche Richtung es geht, wenn ich einen neuen Song schreibe. Aber ich glaube immer noch an die Liebe, um auf deine Frage zurückzukommen. Ich bin mit meinem Mann Scott seit 17 Jahren zusammen und ich liebe und verehre ihn. Die Schmerzen aus der Vergangenheit sind wie Geister, die manchmal wieder erscheinen. Und in diesem Song sind sie wahrscheinlich wieder aufgetaucht. Im Titeltrack singst du „I don't want to love you anymore, there's nothing like the man I loved before, but the pain gets comfortable when it's all you've got“. Geht das in die gleiche Richtung, oder könnte das etwas mit deiner bipolaren Störung zu tun haben? Das ist eine sehr gute Überlegung. Das hat mich bisher noch keiner gefragt. Vielleicht hast du recht und es hat etwas damit zu tun. Als ich den Text geschrieben habe, habe ich an meine zweite Beziehung gedacht, von der ich dir gerade erzählt habe. Mein Ex und ich haben uns nie richtig verstanden. Wir hatten allerdings eine sehr grosse körperliche Anziehungskraft, die schon fast in Sucht ausartete. Meine Suchtprobleme haben sich in der Phase meines Erwachsenwerdens nicht nur auf Alkohol oder Drogen konzentriert. Wahrscheinlich beziehe ich mich in diesem Text auf die Selbstmedikation, die wir uns unbewusst verordnen, wenn wir etwas verarbeiten müssen. Es spielt keine Rolle, ob du Drogen konsumierst, exzessiv einkaufst, andauernd Sex brauchst oder zu viel oder zu wenig isst. Es gibt so viele Wege, deine Gefühle zu betäuben. Ich glaube, das wollte ich mit „Fire On The Floor“ ausdrücken. Es ist das Bewusstmachen dessen, dass du mit dem Feuer spielst und genau weißt, dass du da raus müsstest. Aber du kannst es nicht, weil du selbst entscheidest, in dieser Situation zu bleiben.

„Woman You Been Dreaming Of“ ist aus meiner Sicht der wohl traurigste Song auf deinem Album. Ich musste weinen, als ich ihn gehört habe. Oh, das tut mir leid! Ja, das stimmt. Das muss dir nicht leid tun, es ist ein wunderbarer Song. Das ist mir auch bei „Good Day To Cry“ passiert. Das sind beides unglaublich intensive und emotionale Lieder und wieder sind das Texte, die vor allem wahrscheinlich Frauen tief nachempfinden können. Es passiert mir zumindest nicht sehr oft, dass mir die Tränen bei einem Song kommen und ich weiss auch nicht, ob ich das alles so in den Artikel schreiben kann. Oh, du kannst schreiben, was immer du möchtest! Ich erzähle dir, woher diese beiden Songs kommen, denn sie haben ganz bestimmte Ursprünge. Was mich bis heute am meisten verfolgt, ist, was zwischen meiner Mutter und meinem Vater passiert ist, als ich noch sehr jung war. Wir waren eine sehr enge Familie, wir hatten alles. Mein Vater war ein toller und besorgter Familienmensch und meine Mutter eine wunderbare Köchin, eine wunderschöne Frau und eine sehr liebende Mutter. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, fing es an, dass meine Eltern durch eine schmerzvolle Zeit gehen mussten. Mein Vater hatte eine Menge an emotionalen Geschichten, mit denen er klarzukommen versuchte. Er fing an, meine Mutter zu betrügen und verliess sie für die Frau, mit der er sie betrogen hatte. Im ersten der genannten Songs habe ich versucht nachzuempfinden, wie es meiner Mutter damals wahrscheinlich ging. „Good Day To Cry“ ist meinem damaligen Produzenten Michael Stevens gewidmet, der mit mir das letzte Album „Better Than Home“ aufgenommen hat. Er hat Magenkrebs bekommen und starb. „Better Than Home“ aufzunehmen war aus verschiedener Hinsicht sehr schwierig. Er hatte sehr hohe Ansprüche an mich und das meiste, was ich ihm an Material vorlegte, war ihm nicht gut genug. Er sagte, ich müsse mehr an mir arbeiten. Er war einer der Menschen, die dich an dir selbst zweifeln lassen. Solange du das aber nicht persönlich nimmst, lässt es dich wachsen. Das war schon schmerzhaft. Aber als er dann auch noch krank wurde, im Alter von 47 Jahren, mit zwei wunderbaren kleinen


Kindern und einer tollen Frau, und er einfach starb, war das kaum zu ertragen. Als ich erfahren hatte, dass er krank war, habe ich nach den Überlebenschancen für diese Krankheit geforscht. Und dann habe ich mich ans Piano gesetzt. Ich habe ihm den Song noch gezeigt, allerdings mit etwas abgeändertem Text. Nach seinem Tod habe ich noch einmal daran gearbeitet und jetzt ist es ein Lied für ihn. Das ist sehr berührend. Jetzt verstehe ich, warum diese Songs das bei mir auslösen. Weißt du, wenn du ein Kind bist, ist dein Verständnis von allem noch sehr gross und weit. Du bist noch nicht von der Welt vorprogrammiert worden. Deshalb verstehen Kinder noch viele Dinge nicht. Und aus diesem Grund denken viele Kinder, deren Eltern sich trennen, es sei ihre Schuld. Das ist sehr traurig. Und selbst, wenn du eines Tages denkst, du seist darüber hinweg, bist du es nicht. Du siehst nur, dass die gleiche Situation immer wieder in verschiedenen Formen auf dich zukommt. Ich war beispielsweise gestern in meinem Tourbus und hatte wieder einen meiner schlimmen Träume, in denen mich Scott nicht mehr liebt und eine andere Frau hat. In diesem Traum habe ich ihn spüren lassen, dass ich es weiss, dass er mit einer anderen Frau zusammen ist. Und es hat ihn überhaupt nicht interessiert. Er ging einfach von mir weg, ohne eine Gefühlsregung, während ich da stand und weinte. Ich glaube, es ist egal, wie viel Therapien man besucht und wie sehr man versucht, das zu vergessen: Es ist einfach das Paket, das du mit dir tragen musst. Das heisst nicht, dass wir kein eigenes Leben führen dürfen und können und es heisst auch nicht, dass wir nicht lieben können. Wir können das! Wie ich aber schon gesagt habe, sind das die Geister, die immer bei uns sind. Manchmal sind sie weit weg und manchmal sehr nah, wie mein Traum letzte Nacht. Weißt du, das ist echt scheisse: Obwohl ich weiss, dass es nur ein Traum ist, macht es mich innerlich unglaublich traurig. Auch, wenn mir in der Realität mit Scott nichts dergleichen passiert ist, ist es mir doch mit meinem Vater passiert. Und das kommt immer wieder an die Oberfläche. Wie schaffst du das bloss, mit deinen Songs, die du Abend für Abend spielst, immer wieder in diese Dunkelheit zu gehen? Es hilft mir sehr! Es macht mit mir genau das Gegenteil und es ist unglaublich heilend. Weil ich jedes Mal, wenn ich einen dieser Songs singe, diese Situation neu betrachten kann. Viele Leute hassen Therapie, weil sie jedes Mal durch den gleichen Mist gehen müssen. Sie fragen sich, warum sie sich das immer wieder antun und die Dinge nicht einfach in der Vergangenheit ruhen lassen. Aber ich verstehe das Konzept dahinter. Je öfter du dich mit diesen schlimmen Dingen auseinandersetzt, umso mehr verlieren sie an Kraft. Der Grund dafür ist, dass du jedes Mal mit einer anderen Perspektive an sie herangehst. Es gibt eine unendliche Anzahl an Möglichkeiten, nur eine einzige Sache zu betrachten. Je älter man wird, umso deutlicher wird das. Leute in einem gewissen Alter haben eine Weisheit, weil sie ein Leben lang Zeit hatten, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Wenn du das schaffst, haben diese Dinge viel weniger Macht über dich. Deshalb ist es für mich sehr gut, mich an mein Piano zu setzen und Lieder zu schreiben. Ich fühle mich dort sehr sicher. Dort passiert mir nichts Schlimmes, das mir schaden könnte. Ich bewundere deine Stärke. Oh... Dankeschön. Ich weiss nicht, wie stark ich bin, aber das hört sich sehr schön an. Danke dir. Lass uns noch zu „Picture In A Frame“ gehen. Du singst dieses Lied sehr sanft, was im Vergleich zu den anderen auffällt. Hast du das bewusst gemacht? Nein. Ich mache eigentlich kaum etwas bewusst oder entscheide das im Vorfeld. Ich mache mir selten viele Gedanken, weil ich nicht gerne kontrolliere. Das würde nämlich bedeuten, dass mein Ego die Kontrolle übernimmt. Und „Ego“ bedeutet Unsicherheit, davon bin ich überzeugt. Das heisst nicht, dass ich nicht unsicher bin! Gott weiss, dass ich unsicher bin und dass ich mir sehr oft mein Ego selbst in den Weg stelle. Aber ich bin mir dessen bewusst und weiss, dass mich mein Ego behindert. Es behindert mich auf der Bühne, beim Schreiben und im Studio. Das geht so weit, dass ich im Studio ausschliesslich mit der Band live spiele. Alle müssen im Studio sein! Ich will nicht, dass die Band einen Song aufnimmt und ich ihn dann im Anschluss alleine einsinge. Wenn wir einen Track eingespielt haben, dann gehe ich direkt raus, um eine zu rauchen, einen Tee

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zu trinken oder einfach nur auf der Wiese zu sitzen, um darauf zu warten, ob der Produzent noch einen Take haben will oder wir direkt zum nächsten Song gehen können. Ich will nicht, dass mir mein Ego im Weg steht. Ich kenne mich und meine Unsicherheit. Und ich würde mir dann den Song immer wieder anhören und irgendetwas finden, um ihn auseinanderzupflücken und daran herumzubasteln. Das einzige, worauf ich mich fokussiere, ist, warum ich diesen Song geschrieben habe. Und die Antwort darauf zeigt sich, sobald ich mich mit dem Grund für diesen Song verbunden habe. „Picture In A Frame“ ist eine Mischung aus Fantasie und wieder Michael Stevens, von dem ich dir schon erzählt habe. Folgendes ist daran merkwürdig: Als ich den Text schrieb, hatte ich keine Ahnung, dass ich über ihn schreibe. Ich hatte den Song aufgenommen und ihm geschickt, wie ich das immer mache. Und er schrieb mir zurück: „Ich liebe, dass du das über mich geschrieben hast.“ Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass „Pictures In A Frame“ auch von ihm inspiriert war. Er hatte Recht. Du bist im Moment auf Tour und hast eine Menge Shows in den nächsten Monaten. Der Oktober ist allerdings mehrheitlich frei. Nimmst du dir die Zeit, um Kraft für den nächsten Teil der Konzerte zu tanken? Im Oktober nehmen wir ein Video auf. Dann nehme ich mir ein paar Tage Zeit, um meine Mutter zu sehen und danach brauchen wir die Zeit, um für die Promotour in Europa zu üben. Dann gehe ich für eine Woche in den Urlaub mit meinem Mann auf die Kanarischen Inseln und danach fängt die sechswöchige Tour an.

BETH HART Fire On The Floor Mascot/MV ip. Ein neues Album von Beth Hart isst immer ein Abenteuer. Um es mit Forrest Gumps Ausspruch zu umschreiben: Es ist wie eine Schachtel Pralinen; du weißt nie, was du kriegst. Aber du wirst sie alle mögen, die herben, die süssen und die dunklen. „Fire On The Floor“ beginnt mit einer rauchigen JazzNummer mit Piano und Fingerschnippsen, die bezeichnenderweise „Jazz Man“ heisst. „Love Gangster“, dessen Titel von Leonard Cohen inspiriert wurde, hat viel Southernfeeling und klingt in Produktion und Ausführung simpel und roh, womit Harts Stimme voll zur Geltung kommt. Mit „Coca Cola“ verwandelt sich Hart in eine Jazzsängerin der alten Schule, um dann ihre Bluesröhre auszupacken und dem sparsam arrangierten Song eine schwüle Atmosphäre zu verleihen. Die wohl beschwingteste Nummer ist „Let's Get Together“, die bequem auch auf eine Amy Winehouse Platte gepasst hätte, und mit leichten Ska-Anleihen und Bläsersatz gute Laune zaubert. Dramatisch wird es mit „Love Is A Lie“, das nach einem Theaterstück klingt, an dessen Ende kein Happy End wartet, dafür aber eine oder mehrere Leichen. In Harts Stimme liegt Wut und Trauer, trotzdem aber immer auch Stärke und Zielstrebigkeit, was dem Song interessante Ambivalenz gibt. „Fat Man“ ist der Eingang zur bluesigen Seite des Albums und eine staubige Rock'n'Blues-Geschichte mit klassischem Muster, die einem wieder in Erinnerung ruft, dass gute Dinge eben einfach immer gut bleiben. Mit dem Titeltrack filtern Hart und ihre Band den Blues vollends heraus und spielen einen erdigen, schleppenden und sehnsüchtigen Song, der lange im Ohr hängen bleibt. „Woman You've Been Dreaming Of“


braucht entweder gute Nerven oder eine Menge Taschentücher, um ihn bis zum Schluss auszuhalten. Hart singt aus der Sicht einer betrogenen Frau und man nimmt ihr nicht nur jedes Wort ab, sondern merkt, dass sie genau weiss, woher sie das Feeling für ihre Interpretation nimmt. Glücklicherweise hilft einem „Baby Shot Me Down“, trotz des Titels, mit groovigem Beat wieder auf die Füsse, bevor „Good Day To Cry“ einem wieder von hinten in die Kniekehlen tritt. Auch hier schwingt so viel Traurigkeit in Stimme und Instrumentierung, dass man die Taschentücher lieber nicht zu früh wegräumt. Ein grosser Song ist „Picture In A Frame“, der textlich zwar auch in Erinnerungen schwelgt, musikalisch aber einen tröstenden und beruhigenden Ton

hat und dessen Grösse sich erst nach mehrmaligem Anhören erschliesst. Hart beendet dieses in vielen Facetten ausdruckstarke Album mit der melancholischen Pianoballade „No Place Like Home“ und gibt dem Hörer zum Abschluss doch noch ein kleines Happy End mit. Die Ausnahmesängerin hat mit Oliver Leiber einen Produzenten an ihrer Seite, der ihre Musik und Intention versteht und mit grosser Kenntnis in Szene setzt. „Fire On The Floor“ klingt sparsam, roh und nah und lässt der Stimme den Freiraum, den sie zur vollen Entfaltung braucht. In Worten lässt sich das schwierig beschreiben, aber vor allem bei mehrmaligem Hören bekommt auch Oliver Lieber einen verdienten Platz in der Band, denn seine Produktion macht aus

der Musik genau das, was sie sein soll. Vorsichtig umschrieben könnte man „Fire On The Floor“ als Beth Harts vielleicht bestes Album bezeichnen. Das ist natürlich einerseits bei ihrer enormen stilistischen Spannbreite eine Geschmackssache, andererseits präsentiert sie hier aufgrund der emotionalen Achterbahnfahrt auf diesem Album ihre komplette Gesangskunst, zieht jedes Register, holt alles aus sich heraus und lässt einen als Hörer im besten Sinne ausgewrungen auf dem Boden zurück. „Fire On The Floor“ verlangt einem eine Menge an Gefühlen ab. Aber genau das sind die unvergesslichen musikalischen Momente, die einen eine Band, einen Künstler lieben lassen. Beth Hart gehört dazu.

“Ich glaube immer noch an die Liebe.”




REVIEWS Mainstream/Indie/Alternative

STATUS QUO Aquostic II – That's A Fact! Ear Music/Phonag

BLACKBERRY SMOKE Like An Arrow Earache/Nonstop hh. Nur ein Jahr nach „Holding All The Roses“ schiebt das Quintett aus Atlanta/Georgia das nächste Brikett in den Ofen. Die Jungs sind wahre Workaholics, permanent auf Tour und in den raren Auszeiten geht es offenbar direkt ins Studio. Dass bei derartig massivem Arbeitspensum die Gefahr besteht, dass die Batterien ausbrennen, liegt auf der Hand. Ganz soweit ist es bei den Blackberries noch nicht, aber die Warnglocken sind unüberhörbar. „Like An Arrow“ hat zweifellos die bekannten und beliebten Qualitäten, die die Band so erfolgreich als Erneuerer des Southern Rocks machten und bietet einmal mehr wieder eine Reihe erstklassiger Songs im bekannten Blackberry-Dreieck von Southernrock, Blues und Country. Die Band spielt/klingt im Vergleich zum Album-Vorgänger „Holding All The Roses“ weniger hardrockig und besinnt sich wieder auf ihre Wurzeln. Entspannt, laid-back und groovig mit Ecken, Kanten und dem nötigen Dreck unter den Fingernägeln – also alles wie gewohnt, sollte man meinen. Stimmt generell, auch wenn auf dem neuen Werk die CountryEinflüsse grösser sind als auch schon und die Band hinsichtlich des harten Rockgehalts früherer Werke etwas die Handbremse angezogen hat. Auffällig ist an „Like An Arrow“, dass über das ganze Album gesehen, die Qualität im Songwriting etwas nachgelassen hat. Zwar startet das Album mit den ersten drei, vier Songs fulminant und in allerbester Blackberry-Tradition, aber spätestens ab Mitte der Platte lässt die hohe Qualität nach, aus den „Southernrock-Göttern“ werden „Normalsterbliche“, die ehemals zündenden Ideen und das Feuerwerk an herausragenden, genialen Songs, wie beispielsweise an dem bislang unerreichten „JahrhundertAlbum“ „The Whippoorwill“ (2012) stellen sich nicht mehr in gleicher Klasse ein. Das ist allerdings Kritik auf hohem Niveau, denn Blackberry Smoke liefern selbst in schwächeren Momenten immer noch Qualitäten, für die die meisten ihrer Mitbewerber auf Knien durch Nashville robben würden. Aber eben, Bandchef Charlie Starr und seine Kumpel werden sich immer an ihrem grandiosen „The Whippoorwill“-Album messen lassen müssen. Das scheint massiv schwer wenn nicht unmöglich zu sein, wie auch schon das letzte „…Roses“Album bewies. Unterm Strich bleibt aber trotzdem, dass „Like An Arrow“ generell ein Klasse-Album ist, mit allem, was man an dieser Band liebt, vor allem im Vergleich zu praktisch allem, was in diesem musikalischen Genre auf dem Markt ist. Weil Blackberry Smoke ja überhaupt keine schlechten oder langweiligen Platten machen können, wird „Like An Arrow“ die Fans definitiv glücklich machen. Aber um zur herausragenden Klasse von „The Whippoorwill“ zurückzufinden, dafür sollten sich die Arbeitstiere doch vielleicht einmal eine längere Pause gönnen.

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hh. Vor zwei Jahren gaben die englischen Boogie-Rocker mit « Aquostic – Stripped Bare“ bereits einen Vorgeschmack auf was die Fans ab 2017 erwarten dürfen, wenn Rossi, Parfitt & Co die elektrischen Gitarren einmotten und nur noch weniger kräfteraubend mit akustischen Instrumenten unterwegs sein werden. Jetzt legen sie mit „Aquostic II – That's A Fact! » nach und haben dafür wieder ihr umfangreiches Repertoire aus den vergangenen 50 Jahren durchgekämmt. Vierzehn Songs haben sich Rossi und Parfitt dieses Mal zur Brust genommen und, gemessen an den Originalen, in ruhige Fahrwasser manövriert. Auch wenn sie das einmal mehr nicht schlecht machen und den Original-Tracks dadurch ein neues Gesicht verleihen, muss doch gesagt werden, an den Charme und die Spielfreude von dem akustischen Vorgänger reichen diese Interpretationen nicht heran. Über weite Strecken wirkt das ganze Werk sehr bemüht und die schönen, teilweise faszinierenden Überraschungsmomente von „Stripped Bare“ gibt es nur noch vereinzelt und auch die zünden nicht wirklich. Der Hauptgrund liegt hier sicher in der Auswahl der Lieder, die weniger die kreativen 70er Jahre umfassen und wo somit auch die grossen Hits und Kracher, die noch auf „Stripped Bare“ in grosser Anzahl versammelt waren, fehlen. Kommt weiter dazu, dass der Gesang überwiegend müde klingt, besonders der gesundheitlich angeschlagene Parfitt bekundet ziemlich Mühe. Instrumental gibt es nicht viel zu meckern, die Jungs haben ihre Instrumente souverän im Griff und auch der Sound ist bestens. Quo-Fans werden sich das neue Werk natürlich besorgen und auch ihren Spass daran haben. Aber neue Fans werden Status Quo aber wohl nur schwerlich damit gewinnen, dazu sind die Glanzpunkte dann doch zu dünn gesät.

THE MISSION Another Fall From Grace SPV/Musikvertrieb em. Zum 30 Jahre Jubiläum veröffentlichen The Mission ihr neues Album „Another Fall From Grace“. Für Frontmann und Gründungsmitglied Wayne Hussey stellt „Another Fall From Grace“ die noch fehlende musikalische Verbindung „First And Last And Always“ von The Sisters Of Mercy zu „God's Own Medicine“ von The Mission her. „Diesmal wollte ich ein Album machen, das wie 1985 klingt.“ Damit ist eigent-lich schon fast alles gesagt. Viel mehr Erklärungen darüber, wie diese Veröffentlichung klingt, sind tatsächlich nicht nötig. Bereits der erste, nach dem Album benannte Song klingt unterschwellig nach einer längst vergangenen Zeit, jedoch ohne verstaubt zu wirken. Wayne Husseys tiefe und warme Stimme empfängt einem wie ein guter alter Freund. Mit der nächsten Darbietung „Met-Amor-Phosis“ hat sich die Band namhafte Verstärkung im Chorgesang geholt. HIM-Sänger Ville Valo sorgt für eine zusätzliche leichte Brise von Dunkelheit. Depeche ModeSongwriter Martin Gore konnte ebenfalls für einen Gastauftritt bei der Midtemponummer „Only You And You Alone“ gewonnen werden. Es gibt also zwölf Kompositionen zu hören, die wirklich einen Retro-Touch aufweisen ohne dabei altbacken rüberzukommen. Im Gegenteil. Frisch, rockig, melodiös, mal temporeich, mal schleppender, aber stets leicht düster angehaucht kommen Perlen wie „Tyranny Of Secrets“ und „Never's Longer Than Forever“ oder auch das rhythmische „Bullets And Bayonets“ rüber. Mit dem sphärischen Stück „Phantom Pain“, bei dem die dunkle Stimme Wayne Husseys exzellent in Szene gesetzt wird, endet dieses sehr gelungene Werk, getreu dem Motto: Das Beste kommt zum Schluss!


Mainstream/Indie/Alternative REVIEWS

IAN HUNTER & THE RANT BAND Fingers Crossed Proper Records/H'Art hh. Auch mit 77 Jahren bleibt Ian Hunter rastlos, geht nach wie vor auf Tour und veröffentlicht neue Platten. Dieser Mann mit Markenzeichen „getönte Sonnenbrille“ hat uns im Laufe seiner über 5 Dekaden umfassenden Karriere eine gute Handvoll unvergesslicher Songs und Klassiker („Once Bitten Twice Shy“, „Bastard“, „Cleveland Rocks“, „One Of The Boys“, „All The Good Ones Are Taken“) geschenkt, allen voran die von David Bowie geschriebene Nummer „All The Young Dudes“, mit der Hunter 1972 zusammen mit seiner damaligen Band Mott The Hoople unsterblich wurde. Sein neues Album knüpft nahtlos an „When I'm President“ (2012) an, auch wenn auf „Fingers Crossed“ die Produktion etwas ausgefeilter wirkt. Musikalisch bringt Hunter, ohnehin einer der allzeit besten Songwriter, unter die Haut gehende Balladen und muntere bis kraftvolle Rocker, die auf Anhieb als Hunter-

Kompostionen zu identifizieren sind. Stimmlich ist der Mann gemessen an seinem Alter zwar immer noch in guter Form, gewisse Ähnlich- bzw. Brüchigkeiten zum heutigen Bob Dylan sind allerdings nicht von der Hand zu weisen. „Fingers Crossed“ ist in seiner Gesamtheit ein Album mit durchweg schönen und starken Songs, die von Hunter's ausgezeichneter Rant Band toll groovend, technisch hervorragend und mit Herzblut dargeboten werden. Besonders direkt in die Seele trifft„Dandy“, Hunter's Hommage an David Bowie. Fans bekommen hier einmal mehr beste Qualität vom Chef und werden mit „Fingers Crossed“ mehr als zufrieden sein. Und alle anderen „Unwissenden“, die aber etwas mit (dem rockigen) Dylan oder dem frühen Bowie anfangen können, oder auch auf herausragende Songwriter stehen, sollen hier unbedingt reinhören – auch wenn sich die ganze Qualität dieses Albums erst mit mehrmaligen Hören offenbart. Übrigens, solch ein wunderbares Alterswerk könnte man sich auch noch von Polo Hofer vorstellen – musikalisch haben sie ihr Gepäck durchaus in der gleichen Karre.

THE PRETTY RECKLESS Who You Selling For Razor & Tie bs. Man kann nur den Hut ziehen vor einer Band wie The Pretty Reckless. Der Starbonus, den Taylor „Gossip Girl“ Momsen theoretisch einbringen könnte, wird konsequent ignoriert, totgeschwiegen sogar. Klar ist: Die heute 23-Jährige ist Musikerin, keine Schauspielerin. Und als Musikerin liefert sie mit dem dritten Album „Who You Selling For“ eine Karrierebestmarke ab, die in dieser Intensität, Ernsthaftigkeit und Wuchtigkeit überrascht, beeindruckt und begeistert. Blues, Classic Rock, Alternative, Grunge fließen in den bewusst abgekämpften und unverfälschten Stücken zusammen, keine Kehrtwende, aber doch das Festklopfen bereits angerissener Tugenden. Diese Band, so ist spätestens jetzt klar, ist erwachsen geworden, ist über sich hinausgewachsen und

prägt die amerikanische RockWelt längst entschieden mit. Das zeichnete sich schon auf dem letzten Album „Going To Hell“ ab, das manifestiert sich jetzt in einem aufwühlenden, einem nicht immer leicht verdaulichen, einem großen Rock-Album, das noch in Jahren zitiert und gelobt werden wird. Und als das Werk in die Bandgeschichte eingehen wird, in dem Momsen erstmals in aller Brillanz zeigt, was für eine starke Stimme in ihr steckt.


Gegen die Verzweiflung

Die New Yorker Alternative Rocker The Pretty Reckless waren schon immer mehr als Taylor Momsen. Die wiederum war immer schon mehr als das „Gossip Girl“ und liefert auch mit „Who You Selling For“ im ganz großen Rock-Stil ab. bs. Vieles hätte man von ihnen erwartet. Glamour, Größenwahn, ruppigen Rock'n'Roll, wilde AlternativeHymnen. Nicht aber das, was The Pretty Reckless mit „Who You Selling For“ abliefern. Ein großes, ein ernstes, ein im positiven Sinne reifes und progressives Album ist den USAmerikanern da gelungen, eine ganz und gar antagonistische Fortsetzung der bisherigen Vita. Obwohl gut waren die New Yorker eigentlich immer, hatten auf „Light Me Up“ (2010) aber noch mit Identifikationsproblemen zu kämpfen und zeigten sie auf „Going To Hell“ in ihrer Kritik etwas zu aufbrausend. Zwei Jahre auf der Straße sind vergangen, die Band ist merklich vorangekommen. „Who You Selling For“ ist der logische nächste Schritt einer Band, die immer mehr zu sich selbst gefunden hat und mittlerweile sehr genau weiß, was sie sagen will. Dennoch kommt er sehr schnell nach „Going To Hell“, immerhin liegen sage und schreibe vier US-Tourneen und drei Europa-Konzertreisen dazwischen. „Es gab da einfach so viele Dinge, die wir loswerden wollten“, bringt Taylor Momsen auf den Punkt. „Als hätten wir unterwegs auf Tour eine Dose so richtig ordentlich durchgeschüttelt und sie dann nach der Rückkehr geöffnet: alles schoss regelrecht aus uns heraus.“ Diese Dringlichkeit hört man dem Album an. Das Quartett gehörte noch nie zu der Sorte Bands, die ein Blatt vor den Mund nahmen und möglichst zugängliche Songs schreiben. Derart bluesig, vielschichtig und im besten Sinne anspruchsvoll hat man The Pretty Reckless noch nie gehört. Der Grunge von Nirvana schwingt da ebenso mit wie klassischer Blues Rock oder dräuende Alternative-Bollwerke Marke Smashing Pumpkins. Hört man diese Musik, käme man nicht unbedingt auf die Idee, dass die Band auf Tournee eine besonders gute Zeit hat. „Das Leben auf Tour hat etwas ziemlich Vereinsamendes“, seufzt die Sängerin. „Man betrachtet die Welt nur noch durch ein Fenster, vom Tourbus oder vom Flugzeug aus. Zum Glück kann die Musik da selbst Abhilfe schaffen. Sie ist die einzige Sache, die einen wieder auf den Boden holt und einem Halt gibt, wenn man sich im Wald verrannt hat. Uns hat sie auf jeden Fall gerettet und das“, fügt sie bestimmt an, „nicht zum ersten Mal.“ Seit einem Jahrhundert dient der Blues als Auffangbecken für eben jene Situationen. Nun haben ihn auch The Pretty Reckless für sich entdeckt, haben erkannt, dass diese gepeinigte, zugleich aber auch kathartische Musik das beste Ventil für die Verwirrung, Frustration, Depression und Verzweiflung ist, die die Band in den letzten zwei Jahren durchlief. Gitarrist Ben Phillips: „Wir hatten es wirklich bitter nötig, diese Gedanken und Gefühle endlich zu kanalisieren und auszudrücken. Dabei sind das ja alles Dinge, mit denen die meisten Menschen täglich konfrontiert werden nur haben viele kein Ventil, um sie abzulassen. Letztlich sagen wir mit den Songs: Gib nicht auf, dein inneres Wesen ist alles, was du hast und daran musst du festhalten.“ Daran halten sich

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natürlich auch die vier verschworenen Bandmitglieder, denn leicht war diese Reise bis zum heutigen Tag nicht gerade. „Mein Leben war bisher einfach so unfassbar schräg“, nickt Momsen mit einer Mischung aus Belustigung und Unsicherheit. „Ich habe mich schon immer als Einzelgängerin gesehen: Ich war allein und zog um die Welt, unterwegs auf irgendeiner Mission, von der ich selbst nicht so genau sagen konnte, worin sie eigentlich besteht. Unsere Fans sind diejenigen, die einfach immer da waren für uns. Sie haben uns den Rücken gestärkt, sind mit uns durch dick und dünn gegangen. Ich bin ihnen dafür wahnsinnig dankbar.“ Sie hätten es zweifellos einfacher haben können. Hätten Momsens Status als „Gossip Girl“-Stilikone gnadenlos ausbeuten und seichte Radio-Hits schreiben können. Umso höher ist The Pretty Reckless anzurechnen, dass sie genau das eben nie getan haben. Und mit „Who You Selling For“ eines der spannendsten Alternative-Rock-Alben des amerikanischen Musikjahres vorlegen. Aufgenommen wurde es übrigens so gut wie live. „Die ganzen Songs basieren schlichtweg auf dem, wie's live eingespielt wurde und nichts wurde danach ausgebessert“, betont Phillips. „Wenn Taylor ins Studio kam, den Song einsang und das nicht auf Anhieb klappte, zog sie so wieder ab.“ Überhaupt wird die Band die Aufnahmen in guter Erinnerung behalten als gemeinsame Zeit, die durch die vielen honorigen Gastmusiker zusätzlich verschönert wurde. Zu hören sind neben dem Vierer unter anderem die Gitarristen Warren Haynes (Allman Brothers) und Tommy Byrnes (Billy Joel), der Keyboarder Andy Burton (Ian Hunter) und die Background-Sängerinnen Janice Pendarvis (David Bowie), Jenny Douglas-Foote (P!nk) und Sophia Ramos (Rod Stewart). „Es war wirklich fantastisch, mit so vielen Musikern in einem Raum zu spielen und dann einfach nur die Aufnahmetaste zu drücken“, blickt eine sehr zufriedene Momsen zurück. „Klassischer und ehrlicher hätten die Aufnahmen nicht sein können: Es geht einfach nur um diesen Moment.“ Eine gute Entscheidung, die uns eine ganze Reihe intensiver Songs beschert. Zusammengefasst wurden sie unter einem Albumtitel, der einerseits die Kraft des Rock'n'Roll beschwört und andererseits zu einem geschärften Blick auf sein eigenes Tun auffordert. „Ich finde, man kann damit sehr gut hinterfragen, was man mit seinem Leben anstellt“, meint Momsen dazu. „Diese Formulierung hinterfragt die Bedeutung jeder einzelnen Handlung, jeder Sache, der ich mich widme. Und sie verbindet die Songs der Platte zu einem Ganzen, weil sie dazu auffordern soll, jedes andere Stück ebenfalls ganz genau anzuhören und nach tieferen Bedeutungen zu suchen, die weniger offensichtlich sind.“ Alles wirklich bemerkenswert für eine junge Frau, die gerade mal 23 ist und doch schon so viel erleben durfte oder musste. „Who You Selling For“ ist ihr ganz persönlicher Weg, damit fertig zu werden. Der könnte unglamouröser nicht sein.



REVIEWS Mainstream/Rock/Indie/Alternative LIKE A MOTORCYCLE High Hopes

DARKHAUS When Sparks Ignite SPV/Musikvertrieb em. Letztes Jahr vertrieben Darkhaus die Wartezeit bis zu ihrem neuen Album mit einer genialen EP, die auf den Namen „Providence“ hörte. Nun ist es endlich soweit. Ihr neuster Wurf „When Sparks Ignite“ hat das Licht der Welt erblickt. Die Modern-Dark-Rock-Formation um Frontmann Ken Halon macht genau da weiter, wo „Providence“ aufgehört hat. „Mit dem neuen Album schmücken wir unser eigenes unverwechselbares Markenzeichen mit gefühlvoll-hinreissendem und dunkel gebeiztem Modern Rock noch weiter aus“, erklärt Bassist/Texter Gary Meskil (ebenfalls Chef der legendären Hardcore-Band PRO-PAIN). Der Opener „All Of Nothing“ ist schon unglaublich stark und strotzt nur so vor Kraft. Ein finsterer Einstieg, gefolgt von der warmen und klaren Stimme Ken Halons, macht klar, wohin die Reise bei diesem Album geht. Es folgt „The Last Goodbye“, das durch treibende Drums und dominierende Gitarren besticht. „Feel My Pain“ ist eine Midtemponummer, die einen tollen Groove hat und beweist, dass Darkhaus zeitgemäss und modern rüberkommen. „Second Chance“ haut da in die gleiche Kerbe und macht Lust mitzusingen. „After The Heartache“, „Helpless“, „Devil's Spawn, „Oceans“, sind alles astreine Rocksongs, die Ohrwurm-Refrains haben und den Hörer mit der Mischung aus melodischen Momenten und bretternden Gitarrenriffs in den Bann ziehen. „Lonesome Road“ sei an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt. Auch poppige Elemente finden ihren Platz. Sehr dezent, aber präzis eingesetzt stellen sie auf diese Weise eine Bereicherung für „When Sparks Ignite“ dar. Hat man diese neun Songs gehört, macht man für sich eventuell schon mal die Perlen des Albums aus und dann kommen Darkhaus mit diesem „To Live Again“ um die Ecke, welches so reinhaut und diese ganzen beschriebenen Eigenheiten nochmal auf so eindrückliche Weise vereint. Und dann ist sie da, die Ballade: „Tears Of Joy“. So voller Leidenschaft und Hingabe, ganz ohne Kitsch, einfach reduziert, getragen von Pianoklängen und einem Hauch Melancholie. So endet das Ganze natürlich nicht. Das Schlusslicht „Bye Bye Blue Sky“ ist nochmal ziemlich rasant, unglaublich energiegeladen und ist wie ein opulentes Feuerwerk, das diese Veröffentlichung abschliesst. Es ist das hohe Mass an Abwechslung, welches diese Scheibe so fantastisch und kurzweilig macht, aber auch die Dynamik, die eingängigen Melodien, die mitreissende Härte oder auch atmosphärische Momente sind Attribute, die schwer wiegen. Darkhaus haben ihre Karriere schon auf einem sehr hohen Niveau begonnen und sind mit einer scheinbaren Leichtigkeit in der Lage sich noch weiter zu steigern. Absolut Top!!!

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Rookie Records/MV mh. PunkRock-Grunge, Kanada, vier Mädels und zwei dreckige Portionen Gitarren. Wessen Interesse jetzt schon mal angekratzt wurde… weiterlesen. Seit 2011 stecken Michelle Skelding (Drums und Lead Vocals), Jillian Comeau (Git) und Kim Carson (Bass) aus Halifax, Nova Scotia (Kanada) ihre Köpfe in musikalischer Art und Weise zusammen. Seit 2014 wurde mit KT Lamond noch eine zweite Gitarristin an Bord geholt um die Welt zu erobern. Die Sterne scheinen gut zu stehen, denn das deutsche Label Rookie Records hat die Band gleich unter ihre Fittiche genommen, nachdem sie die explosive Live-Show von Like A Motorcycle gesehen hatten. Ähnlich euphorisch scheint die Booking Agentur FKP Scorpio zu sein (welche unter anderem das Greenfield Festival bucht), die LAM noch vor deren DebutAlbum in ihren BookingKatalog aufgenommen hat. Tönt alles fast ein bisschen zu gut um wahr zu sein. Tatsächlich aber liefert die Band, zumindest was auf CD gepresst wurde, einwandfrei ab. Druckvoll, kratzig, dreckig und mit einem Händchen für gutes Songwriting. Stilistisch erinnert die Band an andere Bühnenbewohner wie Crucified Barbara, Halestrom und Veruca Salt, allerdings mit einer ordentlichen Dosis Punk darin.

BAIL Superscar N13 Music sr. Vermischt man die Begriffe „melancholisch“ und „independent“, würde das Ergebnis „melancholipendent“ den Musikstil von Bail bestens beschreiben. Die süddeutsche Indie Rock Band verbindet süffig süsse Texte mit eingängigen Gesangs- oder Instrumentalmelodien. Die Texte sind teils fröhlich optimistisch, teils gnadenlos melancholisch. Diese Dualität zieht sich durch die ganze Scheibe, selbst auf dem Albumcover ziert die Symbolik von Licht und Hoffnung nebst Dunkelheit und Trauer. Die Herren driften auch mal gerne in die experimentelle Indie Seite ab, als würde Coldplay

auf soften Drogen an einem Abschlussball spielen. Die Gitarrenarbeit ist dreckiger und verzerrter und verdeutlich klar die Punkeinflüsse. Der Erstling „Superscar“ wird daher auch Fans von The Smashing Pumpkins oder The Smiths begeistern, ganz besonders wohl aber Liebhaber von Get Well Soon. Falls man diese Bands liebt, unbedingt reinhören! Persönliche Favoriten der Scheibe bilden das freche und witzige „The Supermodel Is Pregnant“ und das von Melancholie triefende „My Disease“.

JAMES LEG Blood on the Keys Alive Records sr. Orgel auf Steroiden. Mit „Blood On The Keys“ veröffentlicht James Leg (alias John Wesley Myers) sein drittes Soloalbum. Nach Black Diamond Heavies und The Immortal Lee County Killers geht der Amerikaner seinen eigenen Weg. Als Sohn eines texanischen Priesters predigt er nun mit rauchiger Stimme puren Rock'n'Roll. Der Sound beschwört die Atmosphäre einer Honky-Tonky Spelunke auf: Whiskey, zu viele Zigaretten und Schädelbrummen. Seine Stimme - eine Mischung aus Lemmy und Screaming Jay Hawkins könnte nicht besser zu diesem schroffen Rock passen. Durch das Album zieht sich ein grossartiger Groove zwischen Schlagzeug und dem Tastengeklimper, nichts für schlaffe Hüften. Die Orgel natürlich dreckig verzerrt, Jon Lord wäre stolz. Nebst dem Blaze Foley Cover „Should've Been Home With You“ findet sich ebenfalls noch das Mungo Jerry Cover „Mighty Man“ auf der neuen Scheibe. Sehr hörenswert, zusammen mit „Dogjaw“ gehören diese Tracks zu den Favoriten der Platte.

MILES NIELSEN AND THE RUSTED HEARTS Heavy Metal Rotown Records mh. First things first… also Heavy Metal darf hier nicht erwartet werden. Zugegeben, der Titel lässt den Inhalt dieser Scheibe deutlich in der bösen Stromgitarren-Ecke erahnen. Doch weit gefehlt. Vielmehr finden wir auf der dritten


Mainstream/Rock/Indie/Alternative REVIEWS Scheibe von Miles Nielsen (nach einer Solo-Scheibe im 2009, sowie mit The Rusted Hearts im 2012) einen Mix den die Herren selber als Pop/Folk/ Americana beschreiben. Oder mit anderen Worten: Melodie trifft Melancholie inspiriert vom Leben. Die Songs kommen allesamt sehr ausgefeilt daher und zeugen von einem feinen Gespür für das Arrangieren von Klängen. Im Titelsong lässt Nielsen eine Deutung auf den Titel zu, er singt nämlich „sein Herz sei schwerer als Metal und seine Augen seien geschwollen vom Alkohol“. Das Thema der Liebe mit seinen düsteren Aspekten ist einmal mehr Thema für die Lyrics. Der zweite Song „Is This Life“ kommt dann etwas ruhiger und lässt uns wissen, dass Nielsen für seine Angebetete sterben würde… Anscheinend lief sie aber weg, „Honeybee“ erzählt davon in einer fast schon poppigen Manier. Bis dann aber die dezenten Gitarren wieder einklinken und uns wieder von der Pop-Schiene holen. Als Anspieltipp eignet sich der Song „Sarah“ recht gut, darin singt Nielsen „wenn sie ihn verlassen wolle, dann soll sie das jetzt tun“. Und noch etwas mach den Song speziell, denn der Vater von Nielsen zupft ebenfalls an der Gitarre auf diesem Stücke. Cheap Trick heisst nämlich die Band in welcher sein Vater Rick Nielsen der Hauptsongschreiber ist und ihm wohl die musikalischen Gene in die Wiege gelegt hat. „Heavy Metal“ eignet sich bestens für einen verregneten, vielleicht leicht verkaterten SonntagMorgen an dem man sich die Wärme, die Geborgen- und Gemütlichkeit eines gemütlichen BBQ-Abends im Garten zurückwünscht.

SEEK IRONY Tech N'Roll UDR sr. Elektronische Dance Musik und eine ordentliche Portion von verzerrter Gitarre – das ist „Tech N'Roll“. Eine spannende Kombination, die Musik überrascht. Die erste Kostprobe von „She“ beginnt rockig und rau, doch ab dem Mittelteil wird die Band dem Albumnamen gerecht. Technische Drumbeats übernehmen einen DJ-mässigen Aufbau, paaren sich anschliessend mit eingängigen Gesangsmelodien und schweren Gitarrensounds.

Enter Shikaris kleiner Bruder. Woher stammt diese Musik? Gegründet wurde die Band Seek Irony in Tel Aviv, jedoch wagten die Brüder Kfir und Rom Gov den Sprung über den Atlantik nach Austin. Ergänzt wurde die Band mit dem Grammy-nominierten Gitarristen Adam Campbell und dem Bassisten Adam Donovan. „Tech N'Roll“ wurde in den Vereinigten Staaten in Eigenregie aufgenommen und schon im Februar 2015 veröffentlicht. In Europa erscheint das Album nun erstmals in einer überarbeiteten Form diesen Herbst. Ob Israel oder Austin, die Gitarrenlicks bleiben so frech, dass sie genauso gut aus einer im tiefsten Sumpf hausenden Southern Metal Band stammen könnten. Bloss mit Ravefieber. Besten Stoff dafür liefert „Devil In Me“. Hören und süchtig werden.

JETBONE Magical Ride Rootsy Music hh. Das schwedische Quintett bietet auf „Magical Ride“einen musikalischen Mix, den man am besten als „best of both worlds“ bezeichnet. Mit „both worlds“ ist in diesem Fall die Verknotung von britischen und amerikanischen Roots- und Soul/ Blues-Sounds gemeint. Damit sprechen sie Fans von Acts wie Black Crowes, The Band, Free oder Temperance Movement an. Die Schweden machen ihr Ding sehr gut, haben verstanden, worum es vorgenannten „Vorbildern“ ging/geht und setzen das authentisch um – machen ihr eigenes Ding daraus. Die Band groovt prächtig, spielt unaufgeregt und laid back, zeigt Ecken und Kanten und lässt den Songs immer den nötigen Raum zum Atmen. Zwar haben nicht alle der hier verewigten elf Songs gleich hohe Qualität, aber alles in allem ist „Magical Ride“ ein wirklich schönes, in sich stimmiges Album geworden. Fans oben angeführter vergleichbarer Acts sollten hier unbedingt ein Ohr riskieren.

Pally’s kurz und knapp THE FAWNS - Goodnight, Spacegirl Die amerikanischen The Fawns lieben es, zumeist, luftig, leichtfüssig und beschwingt. Die erste Single «High School Party» aus ihrem dritten Album « Goodnight, Spacegirl» offenbart unverzüglich, in welche Richtung es geht. Das Quintett um Frontfrau Lesa Bezo musiziert gekonnt in der Tradition der Bangles, Katarina And The Waves und den Go Gos. Abgeschmeckt werden die elf Songs mit einem Schuss Sixties Girlgroup-Sound. Ein Album für lauschige Sommerabende. EBBOT LUNDBERG & THE INDIGO CHILDREN - For The Ages To Come Ebbot Lundberg war Kopf der beiden schwedischen Indie-Legenden Union Carbide Productions (aufgelöst 1993) und The Soundtrack Of Our Lives (aufgelöst 2012). Für sein neues Projekt hat er mit der grossen Kehle angerührt. Neben seiner siebenköpfigen Band unterstützen ihn sechzehn Musiker mit Geigen, Bläsern, Cellos, Sitar, Saxophonen und Flöten bei der Umsetzung der 10 Songs. Herausgekommen ist ein opulentes und faszinierendes Psych-PopAlbum. Weniger kauzig als Lundberg auf dem Cover von « For The Ages To Come» dreinblickt. THE CLAYPOOL LENNON DELIRIUM - The Monolith Of Phobos Nicht gerade eine Kollaboration, die sich aufdrängt. Sean Lennon (Sohn von John Lennon) arbeitet auf «The Monolith Of Phobos» mit Les Claypool von den weirdofunk Indierockern Primus zusammen. Das Ergebnis ist eine eigenwillige Interpretation von psychedelischer Musik. Zuweilen könnte man die elf Songs unter dem Begriff Bassodelik ablegen. Claypools Bass dominiert hier, da und dort. Es wird viel experimentiert und herum spintisiert. «The Monolith Of Phobos» ist sicherlich weniger zugänglich als Lennons psychedelischen Alben mit The Ghost Of A Saber Tooth Tiger. Auf eine eigentümliche Art macht es aber trotzdem Spass. JENNY BERKEL - Pale Moon Kid Die Kanadierin Jenny Berkel sollte Mann und Frau sich aus drei Gründen merken. Die junge Frau hat eine beruhigende und tragende Stimme. Die Instrumentierung der elf offenen Indiefolk-Songs auf ihrem zweiten Album «Pale Moon Kid» ist dezent und doch vielschichtig, in sich stimmig und atmosphärisch. Und «Pale Moon Kid» ist vorzügliches Album, um eine Zeitlang einfach seinen Gedanken nachzuhängen. Was will man mehr! JOEP BEVING - Solipsism Auf Youtube ist ein Video von Joep Beving zu finden, in dem er gedankenversunken Radiohead's «Street Spirit (Fade Out)» auf dem Klavier intoniert. Diese Abwesenheit oder man könnte es auch Konzentration / Meditation nennen, kennzeichnet auch das neue Werk «Solipsism» (lateinisch solus: «allein» und ipse: «selbst») des Holländers. Elf intime, behutsame, beseelte und instrumentale Klavierstücke. Auf seiner Homepage schreibt Joep Beving: «The World Is A Hectic Place Right Now» «Solipsism» ist ein kleiner Beitrag zur Entschleunigung. THE SUCCESSFUL FAILURES - Captains Of War, Captains Of Industry Ganz taufrisch ist «Captains Of War, Captains Of Industry» nicht mehr. Das letzte, fünfte Album der der hier 3-köpfigen Band um Mick Chorba (ehemals Dipsomaniacs) ist bereits 2014 erschienen. Die zwölf Songs sind aber zu gut, um sie nicht auch noch jetzt zu würdigen. In der Tradition von Bands wie den Replacments, Teenage Fanclub, Cheap Trick und zuweilen Wilco produzieren «die erfolgreichen Fehlschläge» Songs, die in sich angenehm in den Gehörgängen festsetzen. Textlich ist hier und da auch mal eine gewisse Schwere wahrnehmbar, wie in «1954». Wenigstens nehmen die wunderbaren Gesangsharmonien und der druckvolle Power Pop etwas die Last. THE DEVILS - Same Zum Teufel nochmal. Der Name der aus Neapel stammenden The Devils bietet viel Raum für Wortspielereien und anderes. Z.B. ist ihr selbstbetiteltes Debüt (der Teufel braucht keinen Albumtitel) ein teuflisch kurzes Album. 10 Songs in 17 Minuten und 13 Sekunden. The Devils um Sängerin und Schlagzeugerin Erica Toraldo machen höllischen Lärm (The Cramps oder The Gories hätten ihre Freude). Der Teufel steckt hier NICHT im Detail. Das als Nonne und Priester verkleidete Duo will auf Teufel komm raus auffallen. Und von ihren grottenschlechten Texten («Puppy Nun», «Shaking Satan's Balls») wird Mann und auch Frau garantiert fuchsteufelswild. Zugegeben, irgendwie bereiten die zehn Songs auch teuflischen Spass.

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Seelenvoll Stax Records ein Name, der Soul- und R'n'B-Aficionados mit der Zunge schnalzen lässt. Das Label von Otis Redding produzierte in Memphis aber nicht nur geniale Musik, es setzte sich auch für Rassengleichheit und Toleranz ein. Mit „MEmphis Rock And Soul“ verfolgt Melissa Etheridge 50 Jahre später dasselbe Ziel.

“Wenn mich jemand fragt, wer mein persönlicher Lieblingssänger ist, kann es nur eine Antwort geben: Otis Redding!”

bs. Es ist die Stadt von Elvis Presley, die Geburtsstätte des Soul. Es ist aber auch die Stadt, in der 1968 Martin Luther King erschossen wurde und die auch heute von Gewalt, Rassismus und Angst geprägt ist. Memphis ist ein Pulverfass, im positiven wie im negativen Sinne, eine Stadt, die niemanden kalt lässt. Eine Künstlerin wie Melissa Etheridge schon gar nicht. Die zweifache Grammy-Gewinnerin mit der rauchigen Stimme lebt öffentlich homosexuell, hatte in der Vergangenheit immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen, mit bürokratischen Hürden und Gegenwind. Seit Kindesbeinen dem Rock'n'Roll verschrieben, nutzte sie diese Plattform in ihrer beinahe 30-jährigen Karriere immer wieder für politische, gesellschaftliche, kulturelle und soziale Statements. Ihr neues Album „MEmphis Rock And Soul“ (ME steht wie immer auch für ihren Namen) macht da keinen Unterschied. Im Gegensatz zu ihrem letzten Studioalbum „This Is ME“ befinden sich keine eigenen Kompositionen darauf, stattdessen würdigt sie das prägende, famose und bis heute unerreichte Wirken von Stax Records und seinen Zugpferden, allen voran natürlich Otis

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Redding. „Ich wuchs mit dem Memphis-Soul auf“, verkündet die 1962 in Kansas geborene Musikerin. „Wenn mich jemand fragt, wer mein persönlicher Lieblingssänger ist, kann es nur eine Antwort geben: Otis Redding. Natürlich waren auch die Staple Sisters unglaublich prägend in meiner Jugend genau so wie vieles andere von Stax.“ Dass sie die Heroen ihrer Jugend mit einem ganz eigenen Cover-Album würdigt, überrascht nach einer solchen Aussage niemanden mehr höchstens vielleicht, dass es erst jetzt erscheint. Hat natürlich gute Gründe, wie sie bereitwillig fortfährt: „Die Gegenwart ähnelt in vielerlei Hinsicht der Situation in den Sechzigern, als Stax aktiv waren“, nennt sie einen der Gründe, weshalb sie sich ausgerechnet jetzt auf diese Expedition begeben hat. Beeinflusst wurde sie von diesen Klängen schon ihr ganzes Leben, sah im Hier und Jetzt, in einer Welt der Trumps und Erdogans, wohl erhöhten Handlungsbedarf. „Ich will“, verdeutlicht Etheridge, „die angeblichen Gräben mit diesem Album überbrücken und auf diese Weise zeigen, dass es diese Gräben eigentlich gar nicht gibt. Trotz allem bin optimistisch. Wir nähern uns einer Ära der Inklusion, auch wenn es immer noch einige ängstliche Menschen gibt, die eine Menge Lärm machen.“ Mehr als einmal unterstützte Etheridge öffentlich die Kampagnen demokratischer Präsidentschaftskandidaten, ist entsprechend kein großer Freund des prahlerischen Moguls Trump. „Trump entzündete den Teil Amerikas, der sonst nur faul vor dem Fernseher hockt. Seine Lügen und Übertreibungen“, so die 55-Jährige, „fielen bei denen mit niedrigem Bildungsstand auf fruchtbaren Boden. Er schürte Ängste, die vollkommen irrational sind.“ Egal wie diese Parodie einer Wahl in Amerika ausgehen wird: Memphis wird aller Probleme zum Trotz eine durch und durch musikalische Stadt bleiben, meint sie. „Ich verliebte mich in die Idee, eine Zeit in Memphis zu verbringen und in der dortigen Musikszene zu versinken, live zu spielen und alles in mich aufzusaugen. Anfangs standen da 200 mögliche Songs zur Auswahl, die ich Stück für Stück reduzieren musste.“ Die zwölf, die übrig geblieben sind, könnten ikonischer nicht sein. „Respect Yourself“ von den Staple Singers, Otis Reddings „I've Been Loving You Too Long (To Stop Now)“ und “I've Got Dreams To Remember,” „Hold On, I'm Coming“ von Sam & Dave oder Albert Kings „Born Under A Bad Sign“. Bei ihr


MELISSA ETHERIDGE Memphis Rock And Soul klingen diese Stücke natürlich anders, transportieren den ganz besonderen Zauber dieser Epoche aber auf wundersame Weise ins Hier und Jetzt. Tausendfach gehörte Nummern entfalten eine ganz eigene Aura, auch getragen von ihrer unverkennbaren Stimme, die wirklich gut zum Grundtenor der furiosen Stücke passt. „Ein Großteil der Aufnahmen entstand live“, betont sie stolz. „Allein diese Songs zu spielen war so inspirierend, dass ich genau diese Stimmung einfangen wollte.“ Melissa Etheridge spielte die Nummern so ein, wie sie sich aus Kindertagen an sie erinnerte. Unverfälscht, pur, umgarnt von der impulsiven Magie des Augenblicks. Klar war da auch die Wahl des Studios keine zufällige. Zwar gibt es die legendären Stax Studios nicht mehr, mit den Royal Studios von Willie Mitchell fand sie aber einen nicht minder legendären Ort. Untergebracht in einem alten Theater, entwickelte sich das Studio in den Fünfzigern rasant zu einer der Topadressen für Rock'n'Roll und Soul. Mitchell, der dem Studio schier übersinnliche Fähigkeiten zuschrieb, lebt heute nicht mehr; seine Idee wird weitergeführt. „Willies Töchter machten mir Mittagessen, während wir aufnahmen“, erinnert sich Etheridge verzückt. „Das war einfach unglaublich! Ich hörte so viele Geschichten aus dieser Zeit, allein durch meine Anwesenheit wurde ich selbst zu einem Teil der Memphis-Legende.“ So ließ sie sich zu ihren neuen Lyrics inspirieren, die sie dem einen oder anderen Track verpasst hat. Die will sie vor allem als Tribut an Otis Redding verstanden wissen. Und dann als Liebeserklärung an eine blutende, aber unvergleichliche Stadt.

Stax/Universal bs. Fällt der Name Memphis, hat jeder sofort seine ganz eigenen Assoziationen. Elvis, Martin Luther King, Soul, irgendwas mit Musik eben. Melissa Etheridge hat ihre Assoziationen jetzt auf ein Album gebannt. Auf „MEmphis Rock And Soul“ huldigt sie dem wegweisenden Label Stax Records, das den Memphis-Soul in den Sechzigern nahezu im Alleingang unsterblich machte. Die Staple Singers, Otis Redding und zahlreiche weitere standen hier unter Vertrag, sie würdigt Etheridge in zwölf behutsam arrangierten, mit viel Gefühl und Respekt vorgetragenen Cover-Versionen. Bewusst nah am Original unternimmt sie den Versuch, ihre Kindheitserinnerungen einzufangen, will sie die Songs so darbieten, wie sie sie damals verinnerlicht hat. Das gelingt ihr in Willie Mitchells legendärem Royal Studio ziemlich gut. Liegt natürlich auch an ihrer famosen Begleitband, aber mehr noch an ihrer Fähigkeit, ihrer eh unverkennbaren Stimme das Extraquäntchen Soul zu verpassen, das diese auf ewig schimmernden Juwelen nun mal erfordern. Ob es nötig gewesen wäre, dass sie dem einen oder anderen Song einen neuen Text spendiert hat, ist sicherlich diskutierbar; für sie ist es aber die einmalige Gelegenheit, selbst ein Teil des Memphis-Mythos zu werden. Das kann man ihr gut durchgehen lassen.


Grandiose Ehrerbietung

FRANKIE MILLER's Double Take Universal hh. Frankie Miller dürfte den meisten jüngeren Musikfans unbekannt sein, höchstens seinen grössten Hit „Darlin'“ haben sie vielleicht schon mal im Radio gehört. Mit diesem Album bekommen sie eine grandiose Gelegenheit, einen der allzeit grössten weissen Rhythm&Blues-Sänger und gleichermassen grandiosen Songwriter kennenzulernen. Die Grossen der internationalen Musikszene kennen und verehren den schottischen Musiker seit den 70ern. Seine Songs wurden gecovert von Johnny Cash, Ray Charles, Rod Stewart, The Bellamy Brothers, Kim Carnes, Waylon Jennings, Bob Seger, Bonnie Tyler, Roy Orbison, Etta James, Joe Cocker, Joe Walsh, The Eagles, Willie Nelson – um nur einige zu nennen. Rod Stewart sagte über ihn: „Er ist der einzige weisse Sänger, der mir gefährlich werden kann. Wenn ich ihn höre, kommen mir die Tränen.“ In der Tat, es gibt keinen anderen Sänger, egal ob weiss oder schwarz, der nahezu gleichberechtigt neben dem Grössten aller Zeiten, Otis Redding, steht. Miller ist Soul, Blues und Rock durch und durch, seine Stimme, die der seines grossen Idols Otis Redding sehr ähnelt, trifft direkt ins Herz, seine Songs, gleich ob Rocker oder bluesige Balladen, gehen tief unter die Haut, berühren die Seele – so gesehen ist Frankie Miller ohne Übertreibung „der weisse Otis Redding“. 1994 erlitt Frankie Miller in New York, wo er zusammen mit Joe Walsh, Ian Wallace und Nicky Hopkins eine neue Band gründen wollte, eine Gehirnblutung und lag fünf Monate im Koma. Bis heute erholt er sich nur langsam von den Folgen, sprechen und gehen musste er neu lernen und es bereitet ihm immer noch grosse Schwierigkeiten. Aber offenbar versucht sich Miller inzwischen wieder am Songwriting. Als Produzent David Mackay von Rod Stewart gefragt wurde, ob es unveröffentlichte Frankie Miller Songs gäbe, fragte Mackay bei Miller's Ehefrau Anette an und erhielt prompt zwei Müllsäcke voll mit Kassetten und Tonbändern. Darauf endlos Songs in Demound Homerecording-Qualität mit Miller's umwerfender Stimme. Mackay übernahm den Original-Gesang und liess die Musik dazu neu einspielen. Dann kontaktierte er eine Reihe hochkarätiger

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Musiker, um sie in diesen Songs zusammen mit Frankie Miller's Originalstimme im Duett singen zu lassen. Auch wenn die meisten dieser Cracks den Schotten nie persönlich getroffen hatten, allein sein Name und sein Ruf genügte, und u.a Elton John, Huey Lewis, Rod Stewart, Willie Nelson, Paul Carrack, Kim Carnes, Francis Rossi, Kid Rock und Delbert McClinton betrachteten es als grosse Ehre an diesem Projekt teilzunehmen. 18 Duette und ein Miller Solo-Track haben es auf „Double Take“ geschafft, mit allergrösstem Respekt vor dem Autor gesungen und produziert. Es sind zeitlose Rocksongs von herausragender Qualität, dabei einige, die emotional tief berühren, wie beispielsweise „Sending Me Angels“ (Kiki Dee), „Where Do The Guilty Go“ (Elton John) und natürlich Miller's Solosong „I Do“ (der musikalisch allerdings eine Spur zu süsslich unterlegt wurde). Dieses prachtvolle, ja geradezu essentielle Werk kommt in verschiedenen Formaten: als Normal-CD, als Deluxe-Version mit einer überaus sehenswerten und bewegenden „Making Of“-DVD sowie als Doppel-Album in 180gr. schwerem Vinyl inkl. MP3Download-Code. Und man darf durchaus erwarten, dass es noch mehr von Frankie Miller in dieser Form geben kann, denn, wie Produzent Mackay sagt, gibt es noch dermassen viel unveröffentlichtes Songmaterial, dass Frankie Miller eigentlich jeden Tag seines Lebens mindestens ein Lied geschrieben haben müsste. Und wer weiss, vielleicht kommt ja sogar noch mal ganz neues Material aus Frankie's Feder dazu.



JOAN AS POLICE WOMAN Die Kraft der Inspiration Joan As Police Woman ist Brooklyns vielleicht vielseitigste Indie-Künstlerin. Ihr neues Album entzieht sich abermals allen Kategorisierungen, wurde erdacht und aufgenommen mit Benjamin Lazar Davis und inspiriert von den fesselnden Rhythmen zentralafrikanischer Staaten. bs. Angefangen als klassische Geigerin, schnell dem Furor des Punk verfallen, als Indie-Exzentrikerin schließlich bis weit über Brooklyns Grenzen hinaus bekannt und von vielen zeitgenössischen Musikern zwischen Lou Reed, Jeff Buckley und Elton John geschätzt: Joan Wassers Werdegang ist ebenso wenig geradlinig wie ihre Musik. Indie, Soul, Punk, R'n'B schwingt darin mit, ohne die Oberhand zu gewinnen. Ich habe noch nie in Genre-Kategorien gedacht. Vielleicht“, überlegt Wasser, „fällt es mir deshalb so leicht, so vielfältig zu sein.“ Es ist vielleicht in der Tat großes Glück, dass man ihre Band Joan As Police Woman nie einem bestimmten Genre zugeordnet hat, demzufolge auch nie konkrete Erwartungen an sie richten konnte. „Ich denke nur an Musik, nicht an irgendeine Untergattung, und habe schon mein ganzes Leben unglaublich unterschiedliches Zeug gehört“, fährt die glühende JoniMitchell-Verehrerin fort. Konträr zur weitläufigen Meinung findet sie nicht einmal zwischen den doch recht unterschiedlich anmutenden Gattungen Klassische Musik und Punk eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede. „Die klassische Musik steckt voller Punk denk nur mal an Strawinski. In jeder Musik sollte es um Emotion und Ausdruck gehen, darin ähnelt sich alles.“ Wer sie so reden hört, wundert sich wahrscheinlich über gar nichts mehr. Und kann sich mit umso mehr Gusto an ihr neuestes Abenteuer „Let It Be You“ heranwagen. Rhythmisch, geloopt, schwebend und äußerst elektronisch gibt sich Joan As Police Woman diesmal. Wenn auch nur auf den ersten Blick. „Auf „Let It Be You“ habe ich die Geige eher dafür verwendet, Soundscapes zu kreieren anstatt ihr schöne Melodien zu entlocken. Das“, grinst sie, „überlasse ich den anderen. Viele wissen nicht, meint sie, dass die Violine perfekt dafür ist, Töne zu produzieren, die gar nicht nach einer Violine klingen. Das sei „ziemlich spannend“, sagt sie. Und hat natürlich Recht: Auf wenigen Indie-Alben gibt es so viel zu entdecken. Bei alt-j vielleicht, natürlich bei Björk. Zu verdanken ist das auch Benjamin Lazar Davis, mit dem sie das Werk geschrieben hat. „Ich traf ihn bei einer Show seiner Band Cuddle Magic“, erinnert sich Wasser. „Wir unterhielten uns und stellten fest, dass wir unwissend Fans voneinander waren.“ So schnell wie die Idee zustande kam, dass sie mal was zusammen schreiben sollten, so schnell war das Album fertig: Weniger als ein Jahr hat es gedauert, um „Let It Be You“ zu schrieben, die Zusammenarbeit funktionierte beinahe gespenstisch gut. Ihre Erklärung: „Ben ist wie ich. Er fing mit einem Instrument an und spielt mittlerweile alles Mögliche. Als ich ihn Bass spielen hörte, war ich fasziniert von seinem Rhythmus. Das ist eh so etwas, was mich triggert ein besonderer Rhythmus, ein interessantes Taktgefühl. Unsere Liebe für Rhythmus stand am Anfang dieser Zusammenarbeit.“ Die Liebe zum Rhythmus ist es auch, die das Album beherrscht. Vielleicht nur beim ersten Hören offensichtlich, liegt „Let It be You“ komplexen Mustern und Rhythmen zugrunde, die die beiden auf unabhängigen Afrikareisen kennen- und lieben lernten. „Ich war als Teil von Damon Albarns Band African Express dort eine Reise, die mich nachhaltig beeindruckt und vor Ort ziemlich gefordert hat.“ Joan Wasser hörte dort so viel Folklore wie nur möglich, tauchte ein in die Welt von polyphonischen Gesängen und rituelles Trommeln. „Das war unglaublich aufregend und auf eine ganz andere Weise inspirierend als die Entdeckung einer coolen neuen Band in Brooklyn“, blickt sie schwelgerisch zurück. „Let It Be You“ ist somit auch als Verarbeitung dieser Erlebnisse und als Tribut an jene Musik zu sehen, die sie dort in sich aufsog wie ein Schwamm. „Wir setzen über das ganze Album rhythmische und melodische Muster in die Gitarren und Synthesizer ein, die sich im Laufe eines Stückes immer wieder verändern oder mal

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verfremdet wiedergegeben werden“, erklärt sie. „Diese zentralafrikanischen Traditionen nahmen wir als Fundament für die Stücke und bauten daraufhin alles andere auf.“ Dass bei diesen beiden Künstlern alles andere als ein hemdsärmeliges Album herauskommt, war klar. Letztlich zeugt „Let It Be You“ von der Kraft der Inspiration und davon, was möglich ist, wenn zwei gleichgesinnte und furchtlose Künstler aufeinandertreffen. „Wir sind beide sehr gut darin, den anderen von einer Idee zu überzeugen“, lacht die 46-Jährige. „Wir sind unglaublich neugierige und aufgeschlossene Menschen, die stetig auf der Suche sind, sich auf neue und erfrischende Weise auszudrücken.“ Das, so betont sie, ist der Hauptgrund für die vielen Kollaborationen ihrer abwechslungsreichen Karriere. „Ich finde es schon auch toll, mich mit meiner Gitarre zurückzuziehen oder alleine ans Klavier zu setzen, um neue Ideen auszuprobieren. Das ist aber nur ein Aspekt meiner künstlerischen Persönlichkeit. Man hat eben viel mehr Möglichkeiten zur Entfaltung, wenn man einen anderen kreativen Geist ins Boot holt.“ Dann, ist sie sich sicher, wird es erst so richtig interessant: Das Wechselspiel, das Überwinden von angeblichen Grenzen, das Zulassen fremder Einflüsse. „Musik ist meine Droge, ich will sie so oft und mit so vielen verschiedenen Menschen konsumieren wie möglich.“ Was kann man sagen? Sie ist auf einem guten Weg.

LIVE 28.11.2016

Zürich, Bogen F

JOAN AS POLICE WOMAN Let It Be You Reveal Records/H'Art bs. Solange es Künstlerinnen wie Joan Wasser gibt, wird es intelligente Pop-Musik geben. Nach einem erfolgreichen Jahrzehnt als eklektische Künstlerin mit ebensovielen musikalischen Gesichtern wie Kollaborateuren kehrt die New Yorkerin mit „Let It Be You“ zurück. Eine abermalige Kehrtwende ist dieses Album geworden, natürlich ist es das. Ein Werk, das munter Haken schlägt, sich Erwartungen ebenso entzieht wie denen, die das Album nur nebenbei hören. Erdacht und realisiert hat sie die Stücke diesmal mit Benjamin Lazar Davis. Mit ihrem Brooykln-Homie teilt sie neben einer Vorliebe für merkwürdige Sounds auch die Leidenschaft für afrikanische Stammesrhythmen. In dieser Konsequenz mutet „Let It Be You“ auf den ersten Blick sperrig an, wie eine Wundertüte voller Vintage-Elektronik, Loops und schwebendem Gesang, Konzentriert man sich jedoch auf die Rhythmus-Muster, die Percussions und Beats, kommt man den afrikanischen Einflüssen schnell auf die Schliche. Ergänzt um Joans Finesse im Umgang mit Melodien, die die ersten dreimal nicht ins Ohr gehen, um sich beim vierten Mal umso vehementer festzusetzen, ergibt das in der Summe ein Album, in dem alt-j auf Skunk Anansie trifft und vom Geiste Björks umweht wird. Wer will auch schon immer einfach?


Mainstream/Rock/Indie/Alternative REVIEWS KATIE MELUA In Winter TBA hef. Dieser Winter wird ein warmer Winter. Schon allein deshalb, weil es ein neues Album von Katie Melua gibt. Das heisst zwar „In Winter“, ist aber herzerwärmend warm. So warm, wie man die schöne Georgierin kennt seit zauberhaften Song-Perlen wie „If You Were A Sailboat“, „Nine Million Bycicles“ oder „Mary Pickford“ und „The Flood“. Und hier setzt sie noch einen drauf. Das Album beginnt mit „The Little Swallow“, gesungen zusammen mit dem Gori Women's Choir aus der StalinGeburtsstadt Gori in Georgien. So kalt der grausame SowjetDiktator war, so magisch diese bezaubernden Klänge, gesungen auf Ukrainisch. „Der Klang des Chores und ihr klanglicher Reichtum hypnotisierten mich auf Anhieb“, sagt Katie, die erstmals als CoProduzentin amtet. Mit Bob Chilcott, einem der bekanntesten britischen Songschreiber, verpflichtete sie für die Chor-Arrangements einen absoluten Fachmann. Für Katie ist der Chor im Grunde genommen ein Gesangsorchester, wie sie sagt. „Ich bin inzwischen mehrfach gefragt worden, warum ich mich dazu entschloss, dem Winter ein Album zu widmen. Um ehrlich zu sein, kam mir die Idee während eines Gesprächs mit einem Freund vor einigen Wintern. Wir beklagten beide die Tatsache, dass es scheinbar kein Album gab, dass man im Winter verlässlich hören konnte. Ein Album, das imstande ist, das Haus mit wunderbar-warmen, ergreifenden Klängen auszufüllen. Eins, das eben nicht aus den üblichen Jingle-Bells-Pop-Songs besteht, die das Radio zu dieser Jahreszeit in Dauerschleife spielt. Mir schwebte eine Platte vor, die man von Anfang bis Ende durchhören will; nicht nur einzelne Songs daraus. So wurde mein Album geboren – aus der Notwendigkeit heraus!“ Gut so, weil man Weihnachtslieder wie „White Christmas“ und „Last Christmas“ von Wham in all den Jahren bereits “totgehört“ hat. Katie Melua, das ist Wintermusik, die die Temperatur binnen Sekunden sinken, die Schneeflocken vor dem inneren Auge niederrieseln lässt, den Kachelofen heraufprojiziert,

die Wolldecke und die Liebsten herum platziert und dem Winter seine Zauberhaftigkeit entfalten lässt. So kitschig, aber auch soooo schön kuschelig.

ARC IRIS Moon Saloon Bella Union rp. «Moon Saloon» ist das zweite Album der Band um die ehemalige The Low Anthem Sängerin und Klarinettistin Jocie Adams. Hatte sie sich schon mit ihrem selbstbetitelten Debüt vom Indiefolk ihrer alten Band weg bewegt, so entfernt sie sich auf «Moon Saloon» noch mehr. Die zehn Songs könnte man, wenn man denn wollte, unter Art-Indiepop ablegen. Verspielt, dramatisch, entrückt, farbenfroh, theatralisch, experimentell, magisch und auch beseelt ist die Welt von Arc Iris. Gesanglich gibt es immer wieder Parallelen zu Kate Bush. Jocie Adams spielt gerne mit ihrer Stimme, lässt sie auf Entdeckungsreise gehen, mit der Offenheit eines kleinen Kindes. Offen und neugierig sollte man auch für die Musik sein. Songs wie der Auftakt «Kaleidoscope», «Pretending», «She Arose» und andere sind gespickt mit kleinen Details, die man gern überhört. In «Kaleidoscope» sind es verschliffene Beats, in «Pretending» wird der Art-Indiepop mit einem Country-Banjo unterwandert, «She Arose» glänzt mit wunderbar dezentem Background-Gesang, der sich in der Folge majestätisch aufbaut. Gänsehaut garantiert. In «Lilly» ist eine verspielte Klarinette zu vernehmen, schmeichelnder Chorgesang (einmal mehr) wird in «Johnny» eingeflochten, «Saturation Brain» überrascht mit einem abrupten Taktwechsel und in «Rainy Day» lässt ein Beach Boys mässiges Intermezzo aufhorchen. Repeat, please.

RAY PAUL Whimsicality Permanent Press rp. Der aus Rochester, New York, stammende Ray Paul darf auf eine ereignisreich e musikalische Vergangenheit zurückblicken. Mit seiner Band RPM (nicht zu verwechseln mit der Rockband gleichen Namens, die anfangs der 1980er Jahre

zwei Alben veröffentlichte) verbuchte er von 1977 bis circa 1981 Erfolge in der Bostoner Power Pop- und New WaveSzene. Ray Paul gründete sein eigenes Label Permanent Press (u.a. Richard X. Heyman, Maple Mars, auch Reissues von Badfinger, Klaatu und Spongetones Alben). Trat in der Folge mit dem legendären Emitt Rhodes 1997 am Poptopia Festival in Los Angeles auf. Auf «Whimsicality», seinem ersten Album seit der Compilation «The Charles Beat» (2000) hat er Gäste wie Clem Burke (Blondie), Terry Draper (Klaatu), Kurt Reil (The Grip Weeds) u.a. um sich geschart. Die zehn Songs sind eine Zeitreise in die Sechziger- und Siebziger-Jahre. Die beiden Auftaktnummern «I Love It (But You Don't Believe It)» und «You Don't Have To Prove Your Love» bieten wunderbar harmonischen Beatles inspirierten Power Pop. Darauf folgt mit «Pretty Flamingo» (1966 Hit für Manfred Mann), der erste von vier Coversongs, den Paul mit viel Gespür interpretiert. «A Fool Without Your Love» knüpft anschliessend an die beiden Auftaktnummern an, mit feinen Rickenbacker-Gitarren abgeschmeckt. In der Ballade «Jeannie» setzt Paul mit einem Piano und dezentem Chorgesang erfrischende Akzente. Leider klingt seine Interpretation der Grass-Roots-Nummer «Temptation Eyes» dann etwas lau, lahm. Auch dem darauf folgenden Song «All You Ever Wanted» fehlt es an Pepp. Mit den beiden Abschlussnummern «Oh Woman Oh Why» (Paul McCartney) und Emitt Rhodes «'Till The Day After» kehrt Ray Paul wieder zur anfänglichen Form zurück. Gerade das emotional interpretierte «Oh Woman Oh Why» weiss zu gefallen.

THE JEREMY BAND Hit You With A Flower Jam Recordings rp. Auf seinem neuen, über sechzigsten Album «Hit You With A Flower» zieht es den Amerikaner Jeremy Morris wieder vermehrt in Richtung Power Pop, PsychPop und Jangle-Pop. Zur Erinnerung, Morris ist ja auch im Prog- und Artrock und in der elektronischen Musik beheimatet. Die zehn Songs auf «Hit You With A Flower»

sind eine Art modernes Flower-Power-Werk. Mit der Ausnahme, dass der amerikanische Multiinstrumentalist, Produzent und Musiklehrer keine Drogen nimmt. Jeremy Morris ist gläubiger Christ und singt aus diesem Grund von Liebe und Frieden. Auch die Musik passt zu den späten Sechzigern. Luftige Melodien, angenehmer und harmonischer Gesang, Byrds mässige Rickenbacker-Gitarrensounds, abgeschmeckt mit dezent eingestreuten psychedelischen Elementen. Zweimal kramt Jeremy Morris gar die Rockgitarre hervor. «Big Black Bike» und «Watch What You Are Doing» überraschen mit schweren Riffs, die im ersteren, wahrscheinlich beabsichtigt, an «Children Of The Revolution» (T.Rex) mahnen. «Hit You With A Flower» ist einmal mehr ein überdurchschnittliches Album von Jeremy Morris ohne Schwächen. Eines, um unbeschwert in den guten alten Zeiten zu schwelgen.

SOMERDALE Shake It Maggie FDR Label rp. Da geht die Sonne auf. Das erste Track «Take It From The Top» des neuen Somerdale Albums startet mit himmlischen Chorgesang. Wenn es draussen nur nicht regnen würde. Aber das ist in diesem Moment egal. Das aus New Jersey stammende Trio um Sänger, Gitarrist und Songschreiber Chuck Penza lässt die Sonne nicht nur einmal aufgehen. Auf ihrem dritten Album «Shake It Maggie» finden sich noch mehr Glücksmomente. Zum Beispiel das anfängliche verhaltene «Waiting For You», das im Chorus so richtig aufblüht, der an Weezer mahnende Titeltrack, die Ballade «Excuse Me» mit einer Spur Badfinger, das rhythmische «Feel The Magic» oder die temporeiche Garagenpop-Nummer «The Coolest Kid In The Room». Allesamt kann man sie getrost unter der Kategorie «Ohrwurm verdächtiger Power-PopSongs» einordnen. P.S. Der geneigte Hörer und CD-Liebhaber sollte sich beeilen. Die CD-Version von «Shake It Maggie» ist auf 100 Stück limitiert.

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Fünf Freunde Das letzte Album der Kaiser Chiefs liegt zweieinhalb Jahre zurück. Auf „Education, Education, Education And War“ entfesselten sie noch mal ihren ruppig-britischen Indie Rock, mussten sich aber auch Kritik gefallen lassen, als Sänger Ricky Wilson bei X Factor in der Jury saß. Die Kaiser Chiefs und ein Casting-Format? Undenkbar! Ebenso undenkbar ist das neue Album „Stay Together“ ausgefallen: Poppig, tanzbar, elektronisch. Dürfen die das überhaupt? bs. In Großbritannien sind sie immer noch ziemliche Superstars. Ihre nächste Tournee findet in den großen Arenen des Vereinigten Königreichs statt, in Kontinentaleuropa sind die Clubs kleiner geworden. Das ist mitnichten etwas Schlechtes und hat auch nichts mit einem etwaigen Qualitätsabfall zu tun. Es verhält sich vielmehr so bei der Band aus Leeds, dass die Zeiten von „Ruby“ und wunderbar schrammelig-schnoddrigem Indie Rock endgültig der Vergangenheit angehören. Und insbesondere in Mitteleuropa reduzierte man die seit 2003 unter dem Namen Kaiser Chiefs aufspielenden Engländer nun mal gern auf ihre Anfangsjahre. Das stank der band schon lang, mit „Stay Together“ folgt deswegen jetzt der längst überfällige, aber deswegen umso drastischere Befreiungsschlag. Ein Album, das eher in die Nähe von David Bowie und New Order rückt und dennoch nach den Kaiser Chiefs klingt? Schwer vorstellbar, aber bis auf wenige Ausrutscher wahr. Schuld daran ist auch Brian Higgins, preisgekrönter Produzent der Pet Shop Boys oder New Order. Ihn ließ die Band nah an sich heran, mit ihm entwickelte sie einen frischen neuen Sound, der ihre Wave-Passion zu voller Blüte bringt und sie ganz nebenbei als frech talentierte Ohrwurm-Schmiede offenbart. „Wir trafen nie bewusst die Entscheidung, dass Brian Higgins dieses Album produzieren soll“, äußerst sich Sänger Ricky Wilson und muss grinsen. Higgins nämlich, so scheint es, hatte die Sache anders verstanden. „Er bat uns um zwei Tage, in denen er sich beweisen wollte, und steckte am Ende von Tag zwei schon mitten in den Arbeiten. Das war irgendwie seltsam, aber auch ganz schön cool.“ Dass sich jemand wie Higgins beweisen will, zeigt den ungebrochenen Status der Kaiser Chiefs, vor zehn Jahren der so ziemlich spektakulärste Newcomer, den Indie-RockEngland zu bieten hatte. Zehn Jahre sind nach dem großen Durchbruch vergangen, die Band mit Ausnahme des 2012 ausgeschiedenen Drummers Nick Hodgson unzertrennlich wie eh und je. Das ist auch Produzent Higgins sofort aufgefallen. „Ich spürte sofort die tiefe Freundschaft in der Band“, weiß er zu berichten. „Bands sind oft im Krieg mit ihrem Label, ihrem Management, miteinander. Wie soll man denn große Songs schreiben, wenn man im Krieg ist?“ Auch deswegen heißt das sechste Studioalbum „Stay Together“. Als Zeichen der Verbundenheit, aber auch als Dank an die Fans zumindest an diejenigen, die die Band nicht immer nur auf „Ruby“ reduzieren. Schon in den vergangenen Jahren äußerste sich Wilson offen und ehrlich zum Zustand seiner Band, sagte mehr als einmal, dass sie längst „viel zu fett und faul“ geworden sind, um noch wirklich wütende Musik zu machen. Wenn man „Stay Together“ hört, stellt mal zweierlei fest: Die Band klingt keineswegs fett und faul, muss aber auch keine wütende Musik machen, um prächtig zu unterhalten. Wer weiß, vielleicht ist an der neuen Marschrichtung ja auch Wilsons Ausflug ins CastingGeschäft Schuld, immerhin saß er 2014 in der Jury von X Factor und das nicht nur, um das letzte Album „Education, Education, Education & War“ zu promoten. Es half dennoch, die Platte ging in England direkt auf die Eins. „Der Rest der Band fand die ganze

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Sache chwierig, ich hatte damit kein Problem. Ich bin der Meinung, dass man nur ein guter Songwriter sein kann, wenn man versteht und mag, was die erfolgreichen Typen so machen.“ Bei Sätzen wie diesen schrillen natürlich die Alarmglocken der Indie-Polizei. Für die dürfte „Stay Together“ aber sowieso ein rotes Tuch sein, womit die Band endlich das erreicht hätte, was sie wollte: Endlich keine Reduktion auf die Vergangenheit mehr. „Wir wollen einfach mal wieder etwas sehr direktes machen“, sagt der Sänger und zuckt mit den Schultern. „Da ist so einer wie Brian natürlich der Richtige. Uns gefiel der Gedanke, unerwartet zu klingen. Das hat noch niemandem geschadet. Und wenn man noch dazu tanzen kann...“ Sicher, verübeln kann man ihnen das nicht zumal ihnen das Kunststück gelingt, ihre DNA überzeugend in einen neuen Sound-Körper zu übertragen. Jetzt müssen sie nur noch in Zukunft die Finger von kitschigen PopPlatitüden wie bei der Single „Parachutes“ lassen und einer erfolgreichen Wiedergeburt steht nichts im Wege.

KAISER CHIEFS Stay Together Long Branch Records Bs. Die Arbeit eines Produzenten in der Musik darf man weder übernoch unterbewerten. Im besten Fall ist er ein weiteres Bandmitglied, im schlimmsten Fall drängt er einer Band einen Sounf auf, den sie gar nicht will. Was die Kaiser Chiefs und den Grammy-Preisträger Brian Higgins angeht, ist das eine etwas diffizilere Sache. Da ist auf der einen Seite ein Haufen Briten, die allzu oft auf ihr Debüt und den darauf enthalten Überhit „Ruby“ reduziert wird und endlich auch mal was anderes machen will als immer den gleichen britischen Indie Rock. Und dann ist da einer wie Higgins, der schon mit den Pet Shop Boys oder New Order arbeitete. Was dabei herauskommt? Tatsächlich so etwas wie eine ungefähre Mischung, auch wenn das natürlich viel zu einfach ausgedrückt wäre. Fakt ist: Die schrammelnden Gitarren, die typisch britische Lesart des Indie Rocks sind verschwunden. An ihre Stelle treten sehr tanzbare Strukturen, vermehrt elektronische Einflüsse, ein wenig theatralischer Glamour und ein deutlich aufpolierter Sound. Das man bisweilen schockieren und sorgt in „Parachute“ auch für ColdplayKitsch, den man schnell vergessen sollte. Besser machen es Songs wie „Stay Together“, der elegant durch die Nacht tänzelt und angenehm an David Bowie erinnert, oder das zwar poppige, aber verflucht eingängige „Hole In My Soul“. Ein durchaus drastischer Einschnitt und auch nicht das beste Album der Band aus Leeds; aber eine äußerst erfrischende Neujustierung mit manchem großen Moment.


Mainstream/Rock/Indie/Alternative REVIEWS PUFF

BIG JESUS

Living In The Party Zone

Oneiric

Slovenly Records

Mascot Records/MV

rp. Partymusik ist «Living In The Party Zone» beileibe nicht. Die aus Berlin stammenden Puff zerren den geneigten Hörer auf ihrem Debüt-Longplayer «Living In The Party Zone» in die dunkle Ecke des NDW und NSW (Neue Schweizer Welle). Nicht Nena, Hubert Kah oder Fräulein Menke, sondern Mittageisen, Hans-APlast, Male, Mittagspause, DAF, Grauzone oder der Plan . Modern heisst das wahrscheinlich SynthPunk oder Electro-Punk. Der selbige ächzt, kratzt, stöhnt und scheppert unberechenbar bis bewölkt in den zehn kurzen Songs (gute 27 Minuten). Das kratzige «Zu einem schönen Grundstück gehört ein schöner Zaun» hätte, zumindest thematisch, auch zu der Plan gepasst. «Der Tod ist ein Mühlmann» vor allem musikalisch. Im Auftakt winken für einen Moment DAF. Und im verwirrenden «Shame» tanzt Mickey Mouse mit Napoleon XIV («They're Coming to Take Me Away, Ha-Haaa!») und Mittageisen. Wunderbar schräg. Anti-Partymusik.

sr. Heftig verzerrte Gitarren, brachiale Schlagzeugund Bassläufe dazu ruhiger Gesang mit Pop-Melodien. Ergebnis bildet ein abwechslungsreicher und eigener Alternative Rock. Kurzum, es werde Kontrast! Oneiric bedeutet soviel wie traumähnlich oder traumartig. Genau so fühlt auch sich das Hören der Platte an, denn der hallende Gesang versetzt zusammen mit den rauen Gitarren in eine dumpfe Rock-Trance. Seit der Gründung 2009 hat die kleine Lokalband aus Atlanta einen langen Weg bis zur ersten professionellen Aufnahme hinter sich. Die lässt sich aber sehen, denn aufgenommen und produziert wurde die Debüt-Scheibe in Los Angeles mit niemand geringerem als Matt Hyde, welcher schon mit Grössen wie Deftones, Slayer, Monster Magnet oder Sum 41 gearbeitet hat. Herausgekommen ist eine interessante und verträumte Alternative Rock Mucke.

M CRAFT Blood Moon Musikvertrieb rp. «Blood Moon», das dritte Werk von M (Martin) Craft wurde inspiriert von seinem Aufenthalt alleine in einer Behausung am Rande der Mojave-Wüste (liegt im Westen Nordamerikas). Diese Isolation/ Abgeschiedenheit transformierte der im australischen Canberra geborene Craft in atmosphärische Songs, die getragen sind von einer tiefen Stille. Die Einsamkeit, das Beobachten des Sternenhimmels, das Eins sein mit der Wüste dringt durch die Songs zum geneigten Hörer. Die meistens Piano basierten Tracks erklingen wie der Soundtrack zu einer tiefen Erfahrung. Der instrumentale Auftakt «New Horizons» entfaltet sich wie ein berührender Sonnenuntergang. Der Titelsong fängt die Kraft des überwältigenden Abendhimmels ein. In «Chemical Trails» beklagt M Craft berührend die Luftverschmutzung durch Flugzeuge. Und «Midnight» fängt die Stimmung zwischen Tag und Nacht ein. Über allem schwebt Crafts Stimme, zuweilen wie ein Hauch, manchmal wie ein sanfter Geist. Um die volle Wirkung von «Blood Moon» zu erfahren, sollte man sich des Nachts unter den Sternenhimmel legen.

PELANDER Time Nuclear Blast/Warner bs. Magnus Pelander ist einer dieser Künstler, die gern mal als schwierig angesehen werden. In seiner Musik genial, einzigartig in seinem Ausdruck; menschlich indes soll es nicht immer leicht sein mit dem zurückgezogenen Schweden. Bei Witchcraft bekommen das seine angeheuerten Lakaien mal mehr, mal weniger zu spüren, oft wirkt es, als würde er am liebsten doch alles allein machen. Ein Soloprojekt ist da natürlich mehr als nur ein wenig passend, kurios eigentlich, dass 15 Jahre vergehen mussten, bis er unter dem Namen Pelander das erste Album „Time“ veröffentlicht. Gut, vor einigen Jahren gab es schon eine EP, die lief aber mehr oder weniger unter dem Radar. Das wird diesem Werk nicht passieren. In sechs Stücken widmet sich der Schwede einmal mehr seinem Innersten, lädt zu einer akustischen Reise, die von schwedischer Folklore über britische Weisen bis hin zum heruntergebrochenen Ausdruck eines Eddie Vedder alles beinhaltet, was die Akustische hergibt. Pelander singt pur und

unverfälscht wie die Musik – ein rohes, mitunter improvisiert wirkendes Gesamtwerk, das trotz der grundverschiedenen Herangehensweise immer mal wieder an den unverwechselbaren Doom Rock seiner Band erinnert. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass Pelander hier freier, unbeschwerter und spontaner zu Werke geht. Und das bereitet viel Freude. Vom ahnungsvollen, mystischen und auf verklärte Art und Weise die melancholische Seite der Siebziger feiernden „Umbrella“ bis zum nachdenklichen „The Irony Of Man“ oder dem abschließenden, beinahe Dylanesken Titeltrack ein großer Genuss.

SI CRANSTOUN Old School Ruf hug. Irgendwer hat Si Cranstoun mal den «Bruno Mars of the Vintage Scene» genannt, aber das ist Blödsinn. Bruno Mars macht gesichtslose Popmusik für ein anspruchsloses Massenpublikum. Si Cranstoun macht Musik im Stil der 50er- und 60er-Jahre mit so viel Herzblut, Verve und Swing, dass einem auch dann warm wird ums Herz, wenn einem all die alten Sam-Cookeund Wilson-Pickett-Klassiker längst zu den Ohren raus hängen. Si Cranstoun singt Sätze wie «I'm running with a burning spirit that I can't control», und er singt das zum gleichen durchhängend ansteckenden Swing-Groove, mit dem sich Louis Prima unsterblich gemacht hat. Si Cranstoun betitelt sein Album und den Titelsong «Old School» und spielt genau das mit einer unbestechlich aufrechten Ehrlichkeit und einer grossartig dazu passenden Stimme. Zugegeben: Bruno Mars hat den eingängigeren Namen. Aber Si Cranstoun macht die hundertmal bessere Musik. «Old School» ist übrigens schon das sechste Album des Briten.

GIRLSCHOOL Nightmare At Maple Cross Castle Music «Nightmare At Maple Cross» (1987) war das sechste Album, der 1978 ins Leben gerufen reinen FrauenBand Girlschool. Darauf hatte die Band wieder eine härtere Gangart eingeschlagen und erneut auf Vic Maile, den Produzenten ihrer Frühzeit zurückgegriffen. Vielleicht wollten sie damit die Chartserfolge ihrer frühen Alben («Hit And Run» erreichte 1981 z.B. Platz 5 der UKCharts) wiederholen oder dem etwas verwässerten Sound von «Play Dirty» (1983) und «Running Wild» (1985) etwas entgegensetzen? Auf jeden Fall klingen die zehn Songs inklusive der aggressiven Coverversion des Mud-Hits «Tiger Feet» wie eine Band, die ihren Hunger wieder gefunden hat.


Vor fünf Jahren haben Opeth dem Death Metal den Rücken gekehrt und sich tief ins progressive Siebziger-Dickicht aufgemacht. Mit „Sorceress“, dem dritten Album seit der drastischen Umorientierung, gelingt ihnen erstmals der geniale Kunstgriff, doomige Düsternis mit progressiver Wanderlust zu verbinden.

Angekommen bs. Opeth haben es ihren treuen Fans in den letzten Jahren nicht immer leicht gemacht. Das ist natürlich ihr gutes Recht, keine gestandene Band sollte nur das spielen, was ihre Fans von ihr erwarten. Der Bruch, den die Schweden 2011 mit „Heritage“ vollzogen, war dann aber doch rekordverdächtig heftig. Wo auf „Watershed“ drei Jahre zuvor noch markige Brutalität und tiefe Death-Metal-Brunftschreie vorherrschten, wogten Opeth urplötzlich in einem Meer aus Siebziger-Prog, avantgardistischer Attitüde und verkopfter Technik. Der Aufschrei war groß, für Sänger und Bandleader Mikael Åkerfeldt gab es damals aber keinen anderen Weg, wie er uns verrät: „Opeth würde es heute nicht mehr geben, hätten wir diesen drastischen Schritt nicht vollzogen“, findet er deutliche Worte. „Ich weiß doch, wie ich ticke. Man kann mir nicht reinreden, man kann mich nicht zu irgendwas zwingen. Ich muss das lieben, was ich tue, muss vollkommen dahinterstehen können. Ich habe keine Angst vor Veränderung, im Gegenteil. Was ich fürchte, ist, irgendwo hängengeblieben zu sein und etwas zu tun, das man von mir erwartet.“ Man kann ihn verstehen. Ebenso gut kann man aber die Fans verstehen, die in Opeth zwar durchaus eine progressive Truppe, aber eben vor allem eine MetalBand sahen. Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Nach dem noch schwerer zugänglichen und von Åkerfeldt als „Jetzt erst recht“-Album bezeichneten „Pale Communion“ hat sich die Gefolgschaft böse formuliert gesund geschrumpft. „Um ehrlich zu sein, kümmert mich das nicht allzu sehr“, so der Frontmann. „Ich bin nicht hier, um nach Anerkennung zu suchen. Opeth wird es weiterhin geben, ganz gleich, ob die Leute es mögen oder nicht. Für mich ist es allzu narzisstisch, sich über eine Band aufzuregen, die man nicht mal persönlich kennt. Das Leben läuft nun mal nicht so, dass irgendjemand entscheiden darf, wie eine Band zu klingen hat.“ Opeth, betont er, wurden nicht gegründet, um beliebt oder berühmt zu sein auch wenn er nichts dagegen hätte, wie er augenzwinkernd verrät. „Es ist aber nun mal nicht der Grund für unsere Existenz“, fügt er an. „Wir lieben Musik und wir werden weiterhin Musik schreiben und veröffentlichen, mehr gibt es dazu längst nicht mehr zu sagen.“ Dabei wäre das zwölfte Opus „Sorceress“ eine gute Gelegenheit, Band und verprellte Ehemalige auszusöhnen. Zwar schreiten die Schweden weiterhin progressiv und rockig voran, lassen aber auffällig viele düstere Doom-Parts zu und widmen sich mit Gusto ihrer folkloristisch-verwunschenen Seite. Ein Spiegel seiner Hörgewohnheiten? Der von Vinyl besessene Komponist überlegt eine Weile. „Das ist wirklich schwer zu sagen, weil ich pausenlos Musik höre und gewisse Platten so tief in meinem Hirn verankert

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habe, dass sie zweifellos Spuren hinterlassen haben. Das merke ich aber selten oder erst, wenn ich etwas geschrieben habe, was mich daran erinnert.“ Natürlich reflektiere Opeth seinen eigenen Musikgeschmack, meint er. „Meine Plattensammlung ist die Essenz dessen, was wir mit Opeth fabrizieren.“ Das klingt nicht nur, als würde er beim Songwriting manchmal Überraschungen erleben das ist sogar ganz regelmäßig der Fall. „Überraschungen?“, lacht er. „Ich bin manchmal regelrecht geschockt, was sich plötzlich in meiner Musik


wiederfindet.“ Die Hammond-Orgel blubbert zufrieden, die mittelalterlich anmutenden Akustikgitarren klimpern, das Mellotron brummt und das Rock-Fundament sorgt für schleppende Großartigkeit. „Diesmal wollte ich in der Tat ein langsames, doomiges Album“, nickt er. „Black-Sabbath-langsam, um es mal so zu sagen. Das wollte ich schon lange tun, kam aber aus irgendeinem Grund immer wieder von dieser Idee ab. Seit den Schwesteralben „Damnation“ und „Deliveracne“ ist es das erste Mal, dass ich bei einer Grundidee blieb und sie wirklich in die Tat umsetzen konnte.“ Es läuft derzeit eben so richtig rund im Opeth-Lager. „Ich bin unglaublich glücklich damit“, grinst Åkerfeldt, der auf Tour schon mal einen beachtlichen Teil seiner Gage für Vinyl auf den Kopf haut. „Der Band geht es großartig wir kommen sehr gut miteinander aus, spielen tolle Konzerte und schreiben tolle Musik. Opeth gibt es seit 26 Jahren und wir sind immer noch hier, das ist wirklich erstaunlich. Zwar würden wir auch dann noch Musik machen, wenn wir fünf Fans hätten, aber es ist eben schon etwas anderes, davon leben zu können und nicht nebenher noch Toiletten zu reinigen.“ Dass die lyrische Seite der Dinge immer noch recht düster und hoffnungsbefreit daherkommt, sollte ihm zufolge nicht verwundern. „Ich habe 20 Jahre lang Death Metal gespielt“, meint er und lacht los. „Das ist wohl der permanente Schaden, den ich davontrage.“ Zudem ist er eben ein großer Fan von Melancholie und dunklen Momenten privat wie in seiner Band. „Ich war nie für helle, blumige, optimistische Musik zu begeistern“, so der 42-Jährige. „Ich will, dass meine Musik düster, melancholisch und brütend ist, habe aber gelernt, dass ein Moll-Akkord noch trauriger wirkt, wenn er von Dur-Akkorden umgeben ist. Ich habe noch nie einen fröhlichen Song geschrieben. Und wenn doch“, stellt er nach kurzer Überlegung fest, „dann hatte er zumindest einen richtig fiesen Inhalt.“

OPETH Sorceress Nuclear Blast/Warner bs. Relativ unverblümt gibt Mikael Åkerfeldt zu, dass ein Albumtitel für ihn vor allem cool klingen muss. Aber Menschenskinder, einen besseren Titel hätte er sich für das zwölfte Opeth-Album nicht einfallen lassen können! „Sorceress“, so einfach und simpel es auch scheint, birgt die Essenz dieses verhexten Prog-Rock-Jahrmarkts, bringt genau auf den Punkt, worum es den Schweden diesmal geht. Es ist eine abenteuerliche und wagemutige Reise, tief hinein in einen versponnenen Märchenwald, eine Reise, die das große Opus „Damnation“ ebenso zitiert wie die metallische Vergangenheit. Ja, richtig gehört: Zwar kehren Opeth nicht zu ihren Death-Metal-Wurzeln zurück, zwar packt Åkerfeldt auch diesmal nicht seine Growls aus; Opeth leben ihre Doom-Lust aber hier und da überraschend düster und bleiern aus. Dazu: Viel Folklore, blubbernde Orgeln, ein verwunschenes Mellotron und ganz viel warmer, organischer und englischer Prog Rock. Magisch eben und nebenbei das überzeugendste Werk seit der Abkehr vom Metal. Wo „Heritage“ zwar überzeugen konnte, aber dramaturgische Mängel hatte, wo „Pale Communion“ trotzig verkopft war, vereint „Sorceress“ musikalische Finesse mit packenden Strukturen und Sogwirkung. Ein künftiger Prog-Klassiker, ohne jeden Zweifel!




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Feuer über Wembley

mv. Nightwish werden im November ihre neue DVD „Vehicle Of Spirit“ veröffentlichen. Dies nach der gigantischen „Endless Forms Most Beautiful-Tour“, die sie anderthalb Jahre durch jegliche Ecken der Welt führte und Fans aller Nationalitäten in Euphorie versetzte. Journalisten aus ganz Europa wurden zu Promozwecken nach Helsinki eingeladen, um die neue DVD in einem eigens dazu gemieteten Kino vorgeführt zu bekommen. Danach durfte der Tracks-Journalist im nahe gelegenen Hotel ein ausführliches und gemütliches Gespräch mit Keyboarder und Bandleader Tuomas Holopainen führen. Dieser erwies sich im persönlichen Gespräch nicht nur als äussert nett sondern war auch sehr offen und gerne bereit, sämtliche Fragen zur neuen DVD, aber auch über die Zukunft von Nightwish und über seine Person zu beantworten.


Tuomas, ich gratuliere erstmal zur wirklich starken neuen DVD. Die Atmosphäre im weltberühmten Wembley-Stadion ist phänomenal, das Publikum absolut euphorisch und in Sachen Bühnenshow, Feuer, Rauch und Effekten habt ihr eure opulente Musik wirklich gigantisch auf die Bühne gebracht. Wie wollt ihr dieser riesigen Show in Zukunft eigentlich noch einen draufsetzen? Also eigentlich wäre der nächste Level ja, all die Showeffekte wegzulassen und etwas sehr Minimalistisches zu machen. Also zum Beispiel neue Versionen unserer Songs in Akustikversionen, gespielt irgendwo mitten in der Natur wie dem Grand Canyon oder so. Es muss ja nicht immer noch grösser und lauter werden. Obwohl ich selber ja die grosse Show auf der Bühne absolut liebe. Ginge es nur nach mir, würden wir noch mehr Pyros haben, noch mehr Visual Effects, oder Sachen wie haufenweise Tänzer oder einen echten Bären auf der Bühne (lacht). Aber die Kosten und die Logistik sind die anderen Komponenten. So oder so, wir sind glücklich, dass wir eine grosse Show bieten können und geben uns immer Mühe, das Bestmögliche herauszuholen. Auf der neuen DVD fällt sofort auf, dass ihr auf der Bühne jede Menge Spass habt. Alle sind abwechselnd am Lächeln und Grinsen, es wirkt sehr harmonisch und echt. Stimmst Du mir zu, dass das aktuelle Line-Up somit stärker ist als das vorherige und auf echter Freundschaft basiert? Also alles ist echt, da ist niemand am schauspielern oder gute

Laune vortäuschen. An guten Tagen, was meistens der Fall ist, geniessen wir es einfach, was wir zur Zeit an der Band haben. Die tolle Show, das überall fantastische Publikum und die Freundschaft untereinander. Das Lächeln kommt dann ganz automatisch… Floor singt wirklich unglaublich gut und bei dieser Wembley-Show fällt sofort auf, dass sie sowohl die ganz alten Songs von Tarja wie „Stargazers“ oder „Ghost Love Score“ als auch die Songs von Anette Olzon wie „The Poet And The Pendulum“ oder „7 Days To The Wolves“ einfach makellos darbringt, von den neuen Tracks ganz zu schweigen. Dazu hat sie eine sehr positive Ausstrahlung und ist immer in Bewegung oder am Headbangen. Ihr habt die perfekte Sängerin für die Band gefunden oder? Ja, definitiv. Floor bringt nicht nur riesiges Können und eine wunderbare Stimme mit, sie macht wirklich alles mit ganz grosser Leidenschaft. Sie ist einfach fantastisch und mit ihr können wir jeden Song live bringen, den wir wollen, es gibt keine Limitierungen. Und ich möchte betonen (schmunzelt): Sie ist definitiv die letzte Sängerin bei Nightwish! Wenn es mit ihr aus irgendeinem Grund schief gehen sollte, ist das das Ende der Band. Was auf der DVD auch einmal mehr heraussticht ist, welche Bereicherung Troy (Donockley) für Nightwish mittlerweilen geworden ist. Der Mann ist echt ein Multitalent und hat Charisma ohne Ende. Werdet ihr ihn in Zukunft hoffentlich auch wieder so stark einbinden wie auf dem letzten Album und dieser Tour? Auf jeden Fall, sogar noch mehr als auf dem letzten Album. Er ist übrigens auch ein fantastischer Gitarrist, aber vor allem auch als Mensch sehr wertvoll für uns alle. Ein wunderbarer Mensch mit einem tollen Humor. Er ist ein sehr guter Freund geworden und bei Nightwish nicht mehr wegzudenken. Wirst Du Troy denn in Zukunft auch beim Songwriting involvieren ? Es würde ja eigentlich auf der Hand liegen bei so viel Können und Talent? Wir haben gerade vor ein paar Wochen darüber gesprochen. Troy meinte allerdings, dass ich das weiterhin machen solle und ich den Songwriting-Job ja bereits perfekt mache. Das ehrt mich natürlich sehr, aber er wird sein Können und seine Ideen


“Normalerweise höre ich fast keine Musik mehr. Wenn ich nach einer langen Tour nach Hause komme, geniesse ich einfach nur die Ruhe. ” - Tuomas Holopainen natürlich weiterhin in die von mir komponierten Ideen einfliessen lassen. Wir haben eine sehr angenehme und tolle Zusammenarbeit. Kannst Du mir etwas zum Artwork der neuen DVD erzählen? Es ist ja diesmal kein typisches Nightwish-Cover im Fantasy-Style geworden? Nein, wir wollten etwas ganz anderes haben diesmal und definitiv kein Bandfoto. Lieber etwas Schräges oder einen Blickfang. Einer von uns hatte plötzlich diese Idee, das Artwork im Stile der alten Stummfilme aus den 30er Jahren zu machen. Mit so witzigen, klassischen Slogans wie „20 Years In The Making“ oder „Featuring A Cast Of Thousands“. Das wurde dann so jetzt wirklich toll umgesetzt. Es fällt auf, dass ihr keine Angst habt, mehrere sehr lange

Monumentalsongs in die Setlist zu nehmen. Mit „The Poet And The Pendulum“ (13 Minuten), „Ghost Love Score“ (11 Minuten) und natürlich „The Greatest Show On Earth“ (weit über 20 Minuten lang!) habe ihr zum Beispiel gleich drei davon in der Wembley Show gespielt. Ist das nicht sehr anspruchsvoll und anstrengend für die Band? Wir touren ja monatelang und werden so immer extrem fit für die einzelnen Shows. Vom Anspruch her ist das eigentlich nie ein Problem, wir sind gut aufeinander eingespielt. Wir alle lieben zudem genau diese majestätischen, epischen Songs und wollen sie spielen für das Publikum, welches ebenfalls davon begeistert ist. Es gibt für uns, wie gesagt, keine Limitierungen bezüglich Setlist. Die über zweistündige Show endet ja mit dem 24 Minuten langen „The Greatest Show On Earth“ in voller Länge. Ein wahrlich spektakulärer Abschluss. Wie schreibt man eigentlich einen solch langen Song, hast Du den Stück für Stück komponiert und am Schluss alles zusammengefügt? Oder hast Du jeweils schon von Anfang an den Plan, einen 24Minuten Song zu kreieren? Ich habe als erstes immer eine Storyline im Kopf, wenn ich einen Song schreibe. Bei „The Greatest Show On Earth“ waren es die verschiedenen Epochen der Evolution. Als das Konzept dann klar wurde, schrieb ich nach und nach die Musik zu den einzelnen Textideen/Epochen. Und wenn die Musik steht, schreibe ich noch die finalen Lyrics. So mache ich übrigens immer das Songwriting für Nightwish. Ich bin nicht der Typ, der aus Jamsessions Songs schreibt. Ich habe eine Thema, dass mich interessiert oder reizt und dann schreibe ich die Musik dazu. War es schwierig, den weltberühmten Wissenschaftler Richard Dawkins auf die Bühne zu bringen? Der Moment, wo er beim Finale der Show auf die Bühne kommt und den Sprechpart übernimmt ist sehr emotional und war für Dich sicher eine grosse Ehre ? Es war eines der ganz grossen Highlights der letzten 18 Monate. Denn für mich ist dieser Mann ein Held, zu dem ich aufschaue. Ein grosser Einfluss für mich und mein Songwriting. Und es war wirklich unglaublich, denn er hat auf unsere Anfrage, ob er im Wembley auf die Bühne kommen würde, sofort zugesagt. Er wollte nur wissen, was er denn für so ein Konzert anziehen solle (lacht)…


Nach dem wirklich monumentalen letzten Album stellt sich unweigerlich die Frage; was wird das nächste NightwishAlbum bringen? Einen 40 Minuten-Song oder gerade das Gegenteil, haufenweise 3 Minuten-Songs? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Ich habe noch nicht einen einzigen Song für das nächste Album geschrieben. Ich habe zwar ein paar thematische Ideen, aber noch nichts Konkretes. Das ist auch ein Grund, weshalb Nightwish nächstes Jahr ein ganzes Jahr Pause einlegen werden. Wir müssen unsere Köpfe wieder frei kriegen, neue Inspiration finden und endlich mal ein wenig ausruhen. Es wird die erste richtige Pause nach all den Jahren (Anmerkung des Verfassers: zum Zeitpunkt des Interviews war dem Verfasser noch nicht bekannt, das Sängerin Floor schwanger ist. Dies wurde erst später am Abend offiziell bekannt gegeben und ist natürlich auch ein Grund für die Nightwish-Pause im 2017). Beherrschst Du eigentlich noch weitere Instrumente ausser Keyboards? Und wenn ja, schreibst Du die Nightwish-Songs

“Floor ist definitiv die letzte Sängerin bei Nightwish! Wenn es mit ihr aus irgendeinem Grund schief gehen sollte, ist das das Ende der Band.” - Tuomas Holopainen 38

alle auf dem Keyboard oder auch mit anderen Instrumenten? Ja, ich spiele ab und zu ein wenig Gitarre. Ich bin sicher kein Profi, aber es reicht zum Komponieren. Ich schreibe bei Nightwish die Riffs eigentlich immer auch auf der Gitarre. Die orchestralen Sachen und Arrangements aber dann natürlich mit dem Keyboard. Wie sucht ihr eigentlich die Songs für die Setlists aus? Nach so vielen Alben muss es doch extrem schwierig sein, eine gute Auswahl zu treffen, vor allem auch, wenn ihr aufgrund der teilweise sehr langen Stücke irgendwo auch begrenzt seid in der Auswahl? Eine gute Frage und es ist tatsächlich immer sehr schwierig. Grundsätzlich spielen wir eigentlich einfach mal die Songs, die wir als Band unbedingt spielen wollen. Ich frage als erstes immer Floor, welche Songs sie gerne singen möchte. Das waren jetzt „Ghost Love Score“ und „Sleeping Sun“, ihre beiden Nightwish-Faves. Bei mir wäre das im Moment zum Beispiel „My Walden“. Dann sagten wir uns, es wäre cool, einen „Oldie“ auszugraben, und das war dann dieses Mal „Stargazers“. Wir waren uns auch alle einig, dass der Set mit „The Greatest Show On Earth“ aufhören sollte. Ungefähr so setzen wir das Set nach und nach zusammen. Hast Du denn einen absoluten Lieblingssong von Nightwish? Ganz klar „The Greatest Show On Earth“! Bist Du auch an anderen neuen Bands interessiert? Hörst Du Dir noch aktuelle Metalbands an oder bleibt da gar keine Zeit bei all den Verpflichtungen mit Nightwish? Ganz ehrlich, nur sehr sehr wenig. Ich habe zum Beispiel die neuen Alben von Sabaton und Delain, da ich diese Bands sehr gut finde. Aber normalerweise höre ich fast keine Musik mehr. Wenn ich nach einer langen Tour nach Hause komme, geniesse ich einfach nur die Ruhe. Vielleicht werde ich wieder mehr Musik hören, wenn wir nächstes Jahr unsere Pause einlegen (schmunzelt). Als ihr 1996 angefangen habt gab es noch nicht viele Bands, welchen Euren Musikstil gespielt haben. Und gerade diesen Soundtrack-Bombast-Metal mit einer opernhaften Frauenstimme war eigentlich gewagt und ziemlich bahnbrechend. Heute, 20 Jahre später, gibt es unzählige Symphonic Metal-Bands, die alle irgendwie ein wenig nach Nightwish klingen. Was ist das für ein Gefühl, ein ganzes Genre mitgeprägt zu haben? Also wir sind eigentlich gar nie darauf aus gewesen, etwas ganz Neues zu kreieren. Auch Nightwish hatten ihre Idole und am Anfang waren wir sicher auch beeinflusst von Bands wie The 3rd And The Mortal, The Gathering oder Theater Of


Tragedy. Aber klar, es ist toll und macht mich stolz zu sehen, dass Nightwish eine Menge Bands und Musiker beeinflusst haben. Ich habe im Mai dieses Jahr in Zürich das Konzert von Hollywood-Soundtrack-Komponist Hans Zimmer besucht. Das klang wie Nightwish ohne Metalgitarren respektive man hörte gut, wo auch noch Einflüsse von Dir sind. Würdest Du gerne mal mit Hans Zimmer zusammen einen Song oder ein Werk komponieren? Ich habe seine Show ebenfalls besucht und zwar in Prag. Es war mit Sicherheit eines der besten Konzerte, das ich je gesehen habe. Aber ob ich mit ihm zusammen arbeiten möchte ? Ich habe einige ganz grosse Helden in meinem Leben wie zum Beispiel Steven Spielberg, Hans Zimmer oder Vangelis. Und ich möchte mir meine Helden auf Distanz bewahren, um die Magie nicht zu zerstören. Deshalb wäre eine Zusammenarbeit eher nicht so mein Ziel. Hast Du irgendwelche schöne Erinnerungen an die Schweiz? Also die Schweiz war immer sehr gut zu Nightwish. Häufig war die Schweiz eines der ersten Länder, wo wir Gold-Status mit einer Platte bekommen haben. Und ich liebe die wundervolle Natur, welche das Land bietet. Bist Du es müde, Fragen über Tarja oder Anette zu beantworten? Ja, definitiv. Es wurde alles gesagt und es ist ja nicht so, dass wir früher nicht auch gute Zeiten hatten in der Band. Aber wir schauen nach vorne, nicht zurück und man sollte gewisse Themen irgendwann mal ruhen lassen. Bereust Du denn irgendwelche Entscheidungen von früher? Nein, sicher nicht. Ich würde zwar viele Sachen anders machen heute, aber bereuen tue ich nichts. Denn wir wären heute nicht hier, hätten wir gewisse Fehler nicht gemacht… Hast Du denn noch Ziele mit Nightwish? Ihr habt ja fast alles erreicht, was sich eine Band nur wünschen kann. Am Wichtigsten wird es sein, unsere Musik und die Band so zu erneuern, dass wir für uns und die Fans interessant und spannend bleiben. Dann gibt es noch so viele Plätze auf dieser Erde, wo wir noch nie gespielt haben und gerne mal ein Konzert spielen würden. Und der dritte Punkte wäre, dass unser aktuelles Line-Up so zusammen bleibt. Das sind die drei grössten Ziele für die Zukunft. Möchtest Du noch etwas zu den Schweizer Fans sagen? Danke für die treue Unterstützung, wir schätzen das sehr. Existiert eigentlich die Schweizer Band Lunatica noch? Wenn ja, möchte ich denen meine Grüsse mitgeben…

NIGHTWISH Vehicle Of Spirit Nuclear Blast/Warner mv. Das letzte Nightwish Album “Endless Forms Most Beautiful” war mit Sicherheit die ausgereifteste und opulenteste Produktion, welche die äussert kreativen Finnen bisher erschaffen haben. Und um das Album entsprechend auf der Bühne zu präsentieren, hat die Band weder Kosten noch Mühen gescheut und eine spektakuläre Show voller Feuer, Rauch, Explosionen und riesiger Videoeinspielungen kreiert. Die ausgiebige Tour zum Album führte Nightwish anderthalb Jahre lang durch fast alle Ecken der Welt und versetzte die Fans überall in Euphorie. Klar, dass man ein respektive in diesem Fall sogar gleich zwei Konzerte davon für die Ewigkeit festgehalten hat und auf der neuen DVD „Vehicle Of Spirit“ den vielen Fans als Erinnerung anbietet. Und dieser Release, soviel sei bereits vorweggenommen, untermauert die Position der Finnen an der Spitze der Symphonic Metal-Szene mit Leichtigkeit. Der Hauptteil der DVD sind zwei komplette Nightwish-Shows, einerseits das Konzert in der Londoner Wembley Arena und andererseits das Heimspiel in Tampere. Und die Band geizte nicht mit Musik auf dieser Tour. Starke 17 Songs lang ist die gebotene Setlist und diese beinhaltet dann sogar noch drei der ganz langen, monumentalen Nightwish-Songs, nämlich „The Poet And The Pendulum“ , „Ghost Love Score“ und das majestätische Setfinale „The Greatest Show On Earth“. Diese drei Stücke alleine bringen es bereits auf über 45 Minuten Musik. Dazu gibt es noch diverse Stücke vom obenerwähnten neuen Album sowie natürlich die von den Fans verlangten, grossen Hits wie „Nemo“, „Elan“, „I Want My Tears Back“, „Ever Dream“ oder den Oceanborn-Oldie „Stargazers“. Die Begeisterung des Publikums reisst auch den Zuschauer zuhause mit und es ist eine grosse Freude zu sehen, wie spielfreudig, motiviert und gut gelaunt die ganze Band auf der Bühne agiert. Sängerin Floor Jansen ist in der Zwischenzeit definitiv bei Nightwish angekommen. Egal ob alte oder neue Songs, Floor singt geradezu souverän und ist dazu entweder am Strahlen, Headbangen oder Publikum animieren. In Bild und Ton perfekt eingefangen gibt es hier für alle NightwishAnhänger ein wunderbares Erinnerungsstück zur Tour.


REVIEWS Hard/Heavy/Metal IN FLAMES Battles Nuclear Blast/Warner

KORN The Serenity Of Suffering Roadrunner/Warner bs. Korn kehren zurück. Zu ihrem alten Label Roadrunner, zu ihrem musikalischen Wurzeln, zu ihrer gewohnten Stärke. In vielerlei Hinsicht klingt das zwölfte Studioalbum „The Serenity Of Suffering“ wie ein „Follow The Leader“, das aber eben nicht 1998 erdacht, geschrieben und aufgenommen wurde, sondern 2016. Die Dringlichkeit, die Abgründigkeit, die Härte und die Riff gewordene Frustration sind wieder da. Sie waren vielleicht nie ganz weg, wurden aber viele Jahre nicht in dieser metallischen Konsequent exerziert und auf ein Album gebannt. Schon 2013 deutete sich auf „The Paradigm Shift“ jener Paradigmenwechsel an, der sich schon im Titel manifestierte und viel mit der Rückkehr des Gitarristen und Mitbegründers Brian Welch zu tun hatte. Jetzt ist die 360-Grad-Drehung perfekt, das Monster wieder entfesselt und so hungrig wie die letzten 15 Jahre nicht mehr. Fies bohren sich die schrillen Riffs und grabestiefen Grooves in den Schädel, der Bass teilt markige Schläge in die Magengrube aus. Sänger Jonathan Davis hat zwar nicht verlernt zu singen, setzt seinen klaren Gesang aber deutlich variabler ein und kontrastiert ihn clever mit erschütterndem Gebrüll. Das hier sind ganz klar nicht mehr die Jungspunde, die Mitte der Neunziger die MetalWelt mit ungestümem Leichtsinn auf den Kopf stellen. Das hier ist eine viel gefährlichere Waffe, die mittlerweile sehr genau weiß, wie sie ihre Wucht kanalisieren und in heftigen Eruptionen entladen kann.

AIRBOURNE Breakin' Outta Hell Spinefarm/Universal lg. Schon der schnelle Titeltrack und Opener legt voll AC/CDmässig los und packt den Hörer sofort. Viel Rock'n'Roll-Vibes werden mit kernigem amerikanischem Stadionhardrock (besonders bei den Chören) angereichert und man hat bereits einen Beschrieb des Sounds. So tönen einige Songs auf "Breakin' Outta Hell" (unter anderem "Down On You", "Never Been Rocked"). Dann gibt es Songs im Mittempo-Bereich, wo auch teilweise Reminiszenzen an Aerosmith oder (ältere) Def Leppard

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aufkommen ("Rivalry". "It's All For Rock'n'Roll"), andere erinnern wieder auch im weniger schnellen Bereich an die Überväter aus Australien ("Get Back Up", "It's Never Too Loud"). Weiter trifft man auf richtige Boogie-Songs wie "Thin The Blood" oder "When I Drink I Go Crazy". Alles in allem ist "Breakin' Outta Hell" ein sehr abwechslungsreiches und mitreissendes HardrockAlbum geworden. Der Sound ist sehr direkt und recht roh produziert. Ein tolles Album mit elf (beim Digipack oder Mintpack, wie das heute heisst, zwölf) tollen Songs, das die Vorfreude auf die anstehenden Live-Konzerte ansteigen lässt.

lg. 1990 in Göteborg als melodische Death Metal Band gestartet, die den damaligen Sound stark prägte, machten sich In Flames schon sehr bald auf, neue Ufer zu ergründen. Die engen Grenzen des Death Metals wurden rasch gesprengt und die Band um Sänger Anders Friden und Gitarrist Björn Gelotte feierte zahlreiche Erfolge, auch in den USA. In Flames konnten sich als melodischer Metal-Act moderner Prägung etablieren. Mit "Battles" liegt nun das zwölfte Studioalbum der Band vor und markiert gleichzeitig die Rückkehr zu Nuclear Blast, dem Label, auf welchem In Flames in den 90er Jahren richtig gross wurden. Das Album wurde von den beiden Bandköpfen in Los Angeles geschrieben und kommt sehr selbstbewusst und entspannt daher – teilweise etwas gar zu entspannt und poppig – sprich Linkin Park-mässig. Aber zum Glück dominiert mehrheitlich eine gute Mischung aus Melodie und Härte. Als Anspieltipps sind die Single "The End" sowie das hymnische "The Truth" sowie der Titeltrack zu nennen. Trotz dieser Kritikpunkte ist "Battles" das beste In Flames-Album seit Jahren.

TESTAMENT Brotherhood Of The Snake Nuclear Blast/Warner Testament aus der San Francisco Bay Area gehören zu den ganz grossen Bands des Thrash Metals und konnte sich mit ihren beiden ersten Alben "The Legacy" (1987) und "The New Order" (1988) sofort im Herzen der Metalheads etablieren. Mit dem grossartigen Line-Up mit den alten Mitgliedern Chuck Billy (Gesang), Alex Skolnick und dem unverwüstlichen Eric Peterson an den Gitarren und ergänzt um Steve Di Giorgio (Bass) sowie Gene Hoglan (Schlagzeug) haut der Fünfer mit "Brotherhood Of The Snake" sein elftes Album raus. Wie auf den letzten Alben dominieren Songs mit viel Groove und guten Hooklines, welche meist im Midtempo-Bereich anzusiedeln sind. Als Highlights können der Titeltrack und Opener

"Brotherhood Of The Snake", "The Pale King", sowie "Neptune's Spear" bezeichnet werden. Und die Kompetenzen aller beteiligten Musiker, allen voran das famose Gitarrenduo, sind seit jeher unbestritten. Einziges Manko des Albums ist, dass etwas zu wenig die ThrashKeule aus dem Sack gelassen wird – sprich, es hat zu wenige schnelle Parts. Sehr solides Teil!

VICIOUS RUMORS Concussion Protocol SPV/Musikvertrieb lg. Vicious Rumors um Bandchef und Gitarrist Geoff Thorpe sind seit 1979 aktiv und somit die dienstälteste Power Metal Band der Welt. Ausser Drummer Larry Howe, der mit einer Unterbrechung seit 1986 Bandmitglied ist, hatte die unermüdliche kalifornische Truppe mit zahlreichen Besetzungswechseln zu kämpfen und musste 1995 sogar den Tod ihres Sängers Carl Albert verkraften, der in der erfolgreichsten Zeit der Band die Alben "Digital Dictator" (1988), "Vicious Rumors" (1990) sowie "Welcome To The Ball" (1991) veredelte. Doch die Riffmaschine lief immer weiter und liess sich von all diesen Rückschlägen nie abschrecken. Trotz auch etwas schwächerer Alben blieben Vicious Rumors eine sehr gut eingespielte Band und konnten Live immer überzeugen – egal ob auf Festivals oder winzigen Bühnen. "Concussion Protocol" (ein Ausdruck aus dem amerikanischen Football im Zusammenhang mit dort zahlreich auftretenden Gehirnerschütterungen) heisst nun das elfte Studioalbum der seit ein paar Jahren auch albumtechnisch wiedererstarkten Band und überzeugt mit riffgeladenem, energetischem Heavy Metal der alten Schule (so wie es frühe Savatage oder auch Metal Church zelebriert haben). Die erst seit wenigen Jahren bei Vicious Rumors aktiven Nick Holleman (Gesang), Bob Capka (Gitarre) und Tilen Hudrap (Bass) fügen sich gut ins LineUp ein und zünden mit den beiden alten Recken gute Songs wie dem Titelsong, "Chemical Slaves" oder "Chasing The Priest", die teilweise fast schon im Speed-Metal anzusiedeln sind. Ein gutes Album (wenn auch nicht das Beste) einer sehr spielfreudigen Band.


Hard/Heavy/Metal REVIEWS

40 WATT SUN Wider Than The Sky Svart Records lg. Auf "The Inside Room" (2011) folgt nun mit "Wider Than The Sky" der langerwartet e Zweitling der Könige der Melancholie um Gitarrist/Sänger Patrick Walker (ex-Warning). Das aus England stammende Trio spielt unaufgeregten, langsamen Rock, der ursprünglich seine Wurzeln im Doom hat. Die ausnahmslos überlangen Songs wirken verletzlich, schmerzerfüllt und düster und doch haben sie auch eine positive Energie, welche den Hörer sofort in ihren Bann zieht. Der Opener "Stages" mag zwar repetitiv daherkommen, doch in der Wiederholung liegt auch die Kraft der Dinge. Auch die weiteren Songs – mal heavier, mal ruhiger – schlagen in die gleiche Kerbe und machen aus "Wider Than The Sky" nichts anderes als ein Meisterwerk emotionaler Rockmusik, welche der Seele nur Gutes tut. Vergesst all den aufgeblasener Kommerz-Pomp – 40 Watt Sun leuchten schwach, doch stetig und verglühen trotz der sie

umgebenden Schnelllebigkeit nicht. Für "Wider Than The Sky" kann es nur die Höchstnote geben. Grossartig!

ATTILA Chaos Sharptone Records/Warner bs. Zurück in die Zukunft – so zumindest beschreiben Attila ihr neues Album „Chaos“. Was die Atlanta-Horde damit meint, wird schon im Opener „Ignite“ klar: Er ist wieder entfesselt, der Furor aus Rap und heftigem Heavy Metal, eine Liaison, die Attila groß gemacht haben und die auf dem siebten Album einer genauen Sezierung unterzogen wird. Wie damals 1993, als der Soundtrack von „Judgement Night“ auf wegweisende Art RapGrößen mit Metal-Schwergewichten vermählte und ein ganz neues Genre erschuf, gehen Attila mit „Chaos“ zurück zu ihren Wurzeln, statten ihrer Garagenzeit einen Besuch ab, als sie Raps, Breakdowns, Grooves und ausgestreckte Mittelfinger zu einer intensivapokalyptischen Legierung

verlöteten. Mehr noch: Zusätzlich ausgestattet mit zeitgeistiger Metalcore-Wut und einem Händchen für Hymnen, nach denen sich auch Linkin Park oder Bring Me The Horizon die Finger lecken würden, räumt das Quartett diesmal wirklich alles ab und klingt wie eine gegenwärtige Groove-MetalAusgabe von Faith No More. Als ob das alles nicht schon wahnwitzig und massiv genug wäre, lebt man auf „Obsession“ seine Deathcore-Sucht aus, kollaboriert im programmatischen „Moshpit“ mit EDMWeirdo Ookay und zeigt in „All Hail Rock And Roll“, dass man im Herzen eben immer noch ein Südstaaten-Outlaw ist. Chaos über alles!

PALACE Master Of The Universe Frontiers Records mv. Michael Palace ist der Namensgeber der Band aus Schweden. Der Sänger/ Gitarrist ist definitiv ein aufstrebender Ausnahmemusiker und bei Frontiers Records genau am richtigen Platz, denn die greifen

für ihren vielen Projekte immer wieder auf neue Talente wie eben Michael Palace zurück (unter anderem in letzter Zeit zum Beispiel für First Signal oder Cry Of Dawn). Mit Palace bietet man dann ohne grosse Überraschung auch relativ seichten Melodic Rock/AOR skandinavischer Prägung. Die Keyboards werden sehr grosszügig eingesetzt und beherrschen die Songs, allerdings zeigt man ein gutes Gespür für starke Melodien und zwingende Hooks, was die Scheibe von der Konkurrenz doch etwas abhebt. So hat man immer wieder Bands wie Europe, Harem Scarem, Brother Firetribe, Survivor oder auch Pride Of Lions im Kopf beim Hören. Und mit dem Opener und Titeltrack „Master Of The Universe“ (80ies Huldigung pur), „Part Of Me“, „Young, Wild, Free“ und dem alles überragenden „Man Behind The Gun“ gibt es einige richtig tolle Hits auf der Scheibe zu verzeichnen, welche zu mindestens einem Anchecken verpflichten. Genrefans wissen Bescheid, Anhänger von guter 80er Musik werden begeistert sein.


REVIEWS Hard/Heavy/Metal HANSEN XXX - Three Decades In Metal earMUSIC/edel

SIXX:A.M. Prayers For The Blessed Vol.2 Eleven Seven ip. Mit „Prayers For The Blessed“ kommt der Nachfolger des vor wenigen Monaten erschienenen Albums „Prayers For The Damned“ heraus, mit dem Nikki Sixx, DJ Ashba und Sänger James Michael das Gaspedal bis auf den Boden durchdrückten. Eine lange und relativ beispiellose Reihe von Liveauftritten, als Support oder Headliner und manchmal auch mehrmals am selben Tag, umrahmten den Release von „Prayers For The Damned“. Ob die zweite Ausgabe dieses Doppelalbums nun die gleiche Menge an Staub aufwirbelt, wird sich herausstellen, denn rein musikalisch geht es hier vergleichsweise etwas gesetzter zur Sache. Die erste Hälfte von „Prayers For The Blessed“ ist, ähnlich wie der Vorgänger, die moderne Mischung aus Hardrock und einem Schuss Dark Rock, die man von Sixx:A.M. kennt; die zweite Hälfte wird eher von ruhigeren Songs und Balladen geprägt. Grosse Melodien, epische Refrains und treibender Rhythmus sind Programm und die Hooklines von Sänger James Michael kriegt man so schnell nicht aus dem Ohr. Das ist auch kein Wunder, denn er ist ein grandioser Sänger, der problemlos zwischen Kopfstimme und normalem Gesang wechseln kann und durch seine Tätigkeit als Produzent und Songwriter für andere Künstler ein gutes Händchen für Ohrwürmer hat. „Wolf At Your Door“ ist deshalb einer der Anspieltips und „Riot In My Head“ klingt mit ausgefeilten Backing-Chören so, als hätten die drei Jungs vor der Aufnahme eine Menge Queen gehört. „Maybe It's Time“ ist vielleicht eine Spur zu kitschig und dass man mit „Catacombs“ ein einminütiges Gitarrensolo mit auf das Album packt, ist auch eher ungewöhnlich und etwas für Gourmets. Mit „Without You“ ist eine Coverversion vorhanden, deren Original nicht bei Sixx' Vorgängerband Mötley Crüe zu suchen ist, sondern bei den tragischen Briten Badfinger, und die man vor allem in der Version von Mariah Carey kennt. Grundsätzlich ist „Prayers For The Blessed“ der ruhigere Bruder von „Prayers For The Damned“, obwohl die erste Hälfte des Albums durchaus einige Reisser präsentieren kann. Insofern ergänzen sich die beiden Platten sehr gut. Streckenweise kann allerdings, ohne die einzelnen Kompositionen in Frage stellen zu wollen, der Eindruck der Gleichförmigkeit entstehen und es braucht schon mehr als einen Durchlauf, um die Finessen herauszufiltern. Dem gegenüber steht allerdings die Eigenständigkeit und das kompakte Repertoire der Band. Wenn man sich „Prayers For The Blessed“ mit der gebührenden Musse widmet, hält man zusammen mit „Prayers For The Damned“ ein episches und durchdachtes Konzept in den Händen, wovon aber jedes ein Eigenleben hat und für sich selbst steht. Äusserst respektable Arbeit von drei hervorragenden Musikern.

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mv. Kai Hansen, ein Name den in der Metal-Szene wirklich jeder kennt. Schliesslich ist Kai nicht nur einer der sympathischsten Metal-Musiker überhaupt sondern er liefert auch seit drei Dekaden immer wieder höchste Qualität ab für Freunde des teutonischen Stahls. Und dabei spielt es keine Rolle, ob nun jeweils das Helloween-, Gamma Ray- oder Unisonic-Logo auf der Hülle stand. Mit Hansen (beachtet den Wink mit dem Schriftzug, man kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und sieht dabei Kai vor dem geistigen Auge spitzbübisch Grinsen) gibts nun zum grossen Jubiläum ein Soloalbum, bei welchem Kai mal mit völlig anderen Musikern als bei seinen Hauptbands agiert und so diverse leichte Stil-Experimente wagen kann. Gleichzeitig ist es auch eine kleine Rückschau auf seine Karriere, denn die vielen Gäste auf der Scheibe sind unter anderem auch ehemalige Bandkollegen (zum Beispiel Ralph Scheepers, Piet Sielk, Michael Weikath und Michi Kiske). Die Hauptband, welche das Album zum grössten Teil auch geschrieben hat, besteht aber aus Alex Dietz (Gitarrist von Heaven Shall Burn), Eike Freese (Co-Produzent von Gamma Ray) und Daniel Wilding (Drummer von Carcass). Eine interessante Konstellation also, und genau so vielfältig klingt dann auch das Album. Der Opener „Born Free“ ist noch ganz typisch für Kai und könnte auch gut bei Unisonic funktionieren. Das nachfolgende „Enemies Of Fun“ ist etwas gar bei Accept angelehnt und hat auch eine starke Priest-Schlagseite, was natürlich super zu Kai passt. Trotzdem recht frech geklaut und etwas belanglos. Dafür sind „Cantract Sun“ (mit Dee Snider), „Making Headlines“ (mit Tobias Sammet) und „Stranger In Time“ (mit Michael Kiske) umso besser. Und „Fire And Ice“ sowie „Left Behind“ (mit Clementine Delauney von Visions Of Atlantis) sind ebenfalls stark und interessant, da völlig untypisch für Kai. Ein Hauch Moderne und ein wenig Symphonic Metal kombiniert mit Kai’s Wurzeln, so muss das sein für ein Soloalbum. Und wer’s ganz klassisch mag wird am Schluss mit der DoublebassGranate „Follow The Sun“ (mit Hansi Kürsch von Blind Guardian) ebenfalls gut bedient. Alles in

allem ein spannendes Album, welches zwar nicht an die Grosstaten von Kai’s normalen Bands heranreicht, aber trotzdem genug Spass macht um den Kauf zu rechtfertigen. Wer zudem sein Geld in die Limited Edition mit Bonus-CD investiert, bekommt alle zehn Songs auch noch ohne Gäste und nur mit Kai Hansen am Mikro zu hören. Alles Gute zum Jubiläum Kai – YOU ROCK!

SERIOUS BLACK Mirrorworld AFM Records mv. Serious Black ist eine der vielen Supergroups, die im Moment wie Pilze aus dem Boden schiessen und wo sich all die Musiker heutzutage austoben, weil man mit seiner Hauptband alleine nicht mehr ausgelastet ist oder zu wenig Geld zum Überleben verdient. Im vergangenen Jahr startete man mit dem Debüt "As Daylight Breaks" beachtlich und konnte sogar eine Tour im Vorprogramm von Hammerfall durchziehen. Für die zweite Scheibe wurden nun zwei Mitglieder ausgewechselt. Für Drummer Thomen Stauch (exBlind Guardian), welcher krankheitsbedingt aufhören musste kam Alex Holzwarth (Rhapsody) und für Gitarrist Roland Grapow (ex-Helloween) kam Bob Katsionis (Firewind). Musikalisch haben die Wechsel kaum Einfluss gehabt, auch „Mirrorworld“ bietet wieder bombastischen Euro-Power Metal der gehobenen Klasse. So gibt es viele Keyboards, aber auch viel Uptempo und grosse Hymnen. Was die Scheibe aber wirklich abhebt, ist der bärenstarke Gesang von Urban Breed (ex-Tad Morose und Bloodbound), welcher hier, wie schon oft in der Vergangenheit, auch schwächere Songs auf ein Top-Niveau hebt. Der Mann hat einfach eine richtig geile Metal-Stimme und kann von sanft-rockig bis zu entfesselten Screams alles, was Heavy Metal ausmacht. Die Highlights des Albums und Anspieltipps sind „As Long As I’m Alive“ (coole MetalHymne), der Titeltrack „Mirrorworld“ (der Ohrwurm für LiveKonzerte), „You’re Not Alone“ (Uptempo-Nummer mit starken Melodien) sowie das supereingängige „Castor Skies“. Wer’s gerne etwas poppig mag, wird mit „Dying Hearts“ und „Heartbroken Soul“ bestens bedient, die Songs haben definitiv auch viel Radio-Potential. Alles in allem eine lohnenswerte Scheibe für Anhänger von Bands wie Stratovarius, Firewind, Helloween oder Sonata Arctica.


Hard/Heavy/Metal REVIEWS

NARNIA Narnia Narnia Songs/Alive mv. Von Narnia hat man sehr lange nichts mehr gehört und viele hatten die Band wohl längst abgeschrieben. Das letzte Studioalbum „Course Of A Generation“ erschien 2009 und bot leider nicht mehr die gewohnte Qualität, was natürlich auch daran lag, dass Original Sänger Christian RivelLiljegren die Band ein Jahr vorher verlassen hatte. Nach sieben langen Jahren sind Narnia nun mit Originalsänger zurück und das neue Album kehrt auch musikalisch und textlich zu den Wurzeln zurück. Will heissen, hier wird wieder feiner schwedischer Melodic Metal mit christlichen Texten geboten. Dabei lassen starke Nummern wie „One Way To The Promised Land”, “Moving On”, “Who Do You Follow?“ oder “Reaching For The Top” keine Zweifel, dass es Narnia mit Nachdruck nochmal wissen wollen. Grosse Melodien, filigrane Gitarren und der tolle Gesang von Christian Rivel-Liljegren wird die Fans schnell versöhnen. Für den Sound wurde Thomas Johansson (Scar Symmetry) verpflichtet, was ebenfalls ein guter Schachzug war. Wer sich also von den christlichen Lyrics nicht abschrecken lässt, sollte „Narnia“ unbedingt eine Chance geben.

Devilment II – The Mephisto Waltzes Nuclear Blast/Warner bs. Jetzt schlägt's 13! Oberhexenmeister Dani Filth macht nach der erfolgreichen Rehabilitierung seiner vampiresken Freakshow Cradle of Filth nun auch bei Devilment Kreuzigungsnägel mit Köpfen. Schon mit dem 2014 erschienenen Debüt „The Great And Secret Show“ wusste er mit kurzweiligem Metal-Grusel zu überzeugen, stilistisch indes befand sich das Material bisweilen zu nah an seiner Hauptband. Damit ist jetzt Schluss. „II – The Mephisto Waltzes“ ist ein knietief durch Horror, Suspense und englischen Humor watendes Biest von einem Album, Horror Metal in Reinform und höchster Qualität. Verkommene Riffs, garstige Vocals, verwunschene Chöre und gruselige Keyboards

bestimmen das Bild, setzen auf verhextes Entertainment, verfluchte Stimmung und verdorbene Inhalte. Filth, eh ein Meister des Morbiden, ein Ausnahmetexter, lebt sich in seinen Schauermärchen aus und genießt es sichtlich, eine ganz und gar jenseitige Welt in seinen Songs zu beschwören. Mal Thrash, mal Black, mal Heavy Metal, immer aber versehen mit Keyboards aus dem Spukhaus und jener düsteren Märchenatmosphäre, die irgendwo zwischen Englands Mooren, Tim Burton und Roald Dahl liegt. Tja. Jetzt muss er mit Cradle Of Filth nachlegen!

OPERATION:MINDCRIME

Resurrection Frontiers Records mv. "Resurrection" ist laut Songwriter/Sänger Geoff Tate (exQueensryche) das zweite Album seiner Pro-ressiveMetal-Rock-Trilogie und das anspruchsvollste und abwechslungsreichste Material, das er je veröffentlicht habe. Der erste Teil („The Key“) erschien im vergangenen Jahr und konnte damals die Queensryche-Fans, welche aufgrund des gewählten Bandnamens nun mal angesprochen werden, wenig überzeugen. Wie bereits die letzten Queensryche-Alben mit Tate am Gesang klang das alles viel zu durchwachsen und scheiterte gnadenlos an der musikalischen Vergangenheit seines Schöpfers, an welcher er nun mal immer wieder gemessen wird. Der zweite Teil der Trilogie ist wie bei fast allen Konzept-Alben erst mal sehr schwerfällig zum Durchhören, da es diverse Tracks gibt, welche nur aus Samples oder irgendwelchen Song-Fragmenten bestehen und das Album deshalb unnötig sperrig machen. Zudem ist fast das gesamte Material einfach viel zu wenig spannend umgesetzt, es fehlt an allen Ecken und Enden an zwingenden Ideen und packenden Refrains. Denn gerade Tate sollte doch wissen, dass auch progressive Rockmusik irgendwie im Ohr hängen bleiben muss, schliesslich konnte er das früher mit Queensryche perfekt umsetzen. So können hier dann auch die vielen wirklich guten beteiligten Musiker das Album nicht vor der Belanglosigkeit retten. Positiv zu

erwähnen ist sicher der immer noch starke Gesang von Tate (auch wenn er leider viel zu oft mit unnötigen Effekten verschandelt wird) und das hartnäckige Durchhaltevermögen des Maestros, welcher einfach trotz aller Kritik und Rückschlägen nicht aufgibt und sein Ding gnadenlos durchzieht. Das verdient auch Respekt. Fans von Queensryche oder der namengebenden Jahrhundertscheibe „Operation Mindcrime“ sollten unbedingt zuerst reinhören. Eine sehr zwiespältige Angelegenheit.

Die Band war auch live wieder verstärkt aktiv und will es definitiv nochmal wissen. Denn mit „Reach“ gibt’s jetzt einen starken Nachschlag. Tyketto schaffen es mühelos, die Zeit zurückzudrehen zum Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre als Bands wie Firehouse, Warrant, Slaughter, Winger oder Giant die Szene mit ihrem plüschigen Rocksound beherrschten. Schon der herrliche feel-good Opener und Titeltrack „Reach“ lässt keine Wünsche offen und zeigt dass die Jungs gar nichts verlernt haben. Starke Arrangements, die fantastische Stimme von Vaughn und das TYKETTO richtige Gespür für grossartige Reach Melodien, das machte diese Band Frontiers Records schon in ihrer besten Zeit aus. Danach folgen abwechselnd mv. Tyketto, schmeichelnde Power Balladen die Band um und rockige Songs, die wie schon Ausnahmefrüher Thrasher in den Wahnsinn sänger Danny und Hair Metaller in die GlückseVaughn, feierligkeit begleiten. Das in den te 1991 mit legendären Rockfield Studios “Forever (Queen, Oasis) aufgenommene Young” einen Riesenhit. Das Problem war nur, dass die Band Album dürfte zwar 2016 nicht mehr ein Bruchteil der Verkäufe seither immer wieder nur auf diese Hitsingle reduziert wurde von 1991 erzielen, aber in Sachen und die Grunge-Welle Mitte der Qualität wird hier dafür immer noch alles geboten, was die Fans 90er der Band das Genick obiger Bands/Szene erwartet oder brach. 2012 folgte dann mit erhofft haben. „Dig in Deep“ das Comeback.


Immer Vollgas lg. Wie es mit AC/DC weitergehen soll, steht mehr denn je in den Sternen geschrieben. Mit Airbourne stehen die legitimen Nachfolger der Aussie-Superstars in den Startlöchern und das aus vielen Gründen: Airbourne 2001 gegründet stammen auch aus Australien, sie touren sich regelrecht den Allerwertesten ab, sind wild und etwas gefährlich und fast am Wichtigsten sie ziehen ohne Rücksicht auf Verluste ihr Ding durch. TRACKS konnte im Vorfeld der Veröffentlichung des vierten Albums "Breakin' Outta Hell" mit Sänger/Gitarrist Joel O'Keefe sprechen.

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Joel, kannst Du folgendem Statement zustimmen: "Ohne AC/CD und Rose Tattoo hätte es Airbourne nie gegeben? Ja, absolut. Allerdings ist die Geschichte von australischem PubRock einiges länger, als die Leute meinen. Es hat mit den Easybeats begonnen mit George Young an der Gitarre, dem grossen Bruder von Angus und Malcolm. Dann entwickelte sich der Stil mit Bands wie Billy Thorpe, The Aztecs oder Lobby Loyd And His Coloured Balls. Erst dann erschienen AC/DC, Rose Tattoo und The Angels auf der Bildfläche. Schliesslich folgten Acts wie Midnight Oil, The Screaming Jets, Baby Animals und The Poor. Ohne diese Bands würde es uns nicht geben. Was hältst Du von der derzeitigen Entwicklung bei AC/CD, als sie mit Axl W. Rose von Guns'N'Roses am Gesang auf Tour gingen? Ich finde es von Angus sehr mutig. Schon als Malcolm nicht mehr auf Tour konnte, erfolgte ein Wechsel an der Gitarre. Mit Axl haben AC/DC offenbar ein sehr geschicktes Händchen bewiesen, denn er kommt bei vielen Fans sehr gut an und singt die Songs sehr gut. Nun hoffe ich, dass der etatmässige Sänger Brian Johnson bald wieder gesund wird und wieder zur Band stösst. Kannst Du mir etwas über weitere, andere Einflüsse von Airbourne verraten? Wir lieben Bands und Musiker, die einen eigenen Sound geschaffen haben und ihre Fans nicht enttäuschen. Bruce Springsteen, Metallica, Judas Priest, Status Quo oder auch Motörhead. Bands, welche sich nicht einem Trend anbiedern, sind die wahre Essenz. Rock'n'Roll ist ein Lebensstil und nicht bloss eine Mode, die kommt und geht! Worin siehst Du die wesentlichen Unterschiede zwischen dem neuen Album "Breakin' Outta Hell" und dessen Vorgänger "Black Dog Barking? Auf dem neuen Album haben wir die Produktion roher gestaltet, damit die Songs direkter tönen. Ansonsten sind wir die Sache gleich angegangen mit dem Ziel, gute Rock'n'Roll Songs zu schaffen. Worum geht es in den Texten von "Breakin' Outta Hell? Es sind Geschichten aus dem wahren Leben - schön trinken mit Freunden, Arbeiterklassengeschichten, loslassen und mit Sicherheit viel Rock'n'Roll. Wir erzählen, was wir erleben. Jeder,

der zu einer Airbourne-Show kommt, wird verstehen, was ich meine. Mit Ryan am Schlagzeug ist ja Dein Bruder auch in der Band. Arbeitet ihr gut zusammen oder habt ihr oft Streit? Wir haben definitiv mehr Konflikte als Harmonie. Eigentlich kommen wir nur dann gut aus, wenn wir zusammen auf der Bühne stehen, Songs schreiben oder auf unseren Vater, der leider während der Black Dog Barking Tour gestorben ist, unser Glas erheben. In Kürze werden Airbourne im Vorprogramm von Volbeat eine Tour bestreiten. Ist Airbourne aber nicht eher ein Headliner? Wir freuen uns sehr, mit diesen grossartigen Jungs unterwegs zu sein. Wir werden in teilweise sehr grossen Hallen auftreten, so dass uns mehr Leute sehen werden als üblich. Anschliessend wird eine Headliner-Tour auf dem europäischen Festland sowie Grossbritannien folgen. Welches sind Deine Lieblingsalben aller Zeiten? Ich liebe den gesamten Katalog von AC/DC, dann "Who Cares" von The Poor, "Something's Dripping" von Bonafide sowie das Debüt von Rhino Bucket. Hast Du spezielle Erinnerungen an die Schweiz? Ich wurde einmal bloss mit Boxershorts bekleidet an einer Tankstelle vergessen, als es draussen schneite. Ich habe dann die nächsten sechs Stunden bis zu meiner Abholung gewartet. Das war verrückt. Bei Airbourne eine Band, die es auf der Bühne wahrlich in sich hat ist augenfällig, wie sich alle Bandmitglieder dem Rock'n'Roll Lifestyle verschrieben haben. Es geht um Songs, es geht um LiveKonzerte, aber es geht vor allem darum Vollgas zu geben. Joel nennt touren als seine Lieblingsbeschäftigung, und von einer zur nächsten Show zu fahren.

LIVE Support von VOLBEAT 5.11. Genf, Arena 8.11. Zürich, Hallenstadion



SwissSounds

Poltergeist sind 1987 aus den Aschen der Vorgängerband Carrion hervorgegangen und haben dann mit "Depression" (1989), "Behind My Mask" (1991) sowie "Nothing Lasts Forever" (1993) drei kleine Klassiker des melodischen Thrash-Metals veröffentlicht, welche auch nach der Auflösung der Band 1994 nach wie vor beliebt waren. Obschon etwas in Vergessenheit geraten, schrien nicht wenige nach einer Reunion von Poltergeist. Diese wurde 2013 Tatsache. Nun steht mit "Back To Haunt" sogar das langersehnte vierte Album in den Regalen. TRACKS hat sich mit Gitarrist und Bandchef V.O. Pulver (auch mit Gurd und Pulver aktiv) unterhalten.

lg. Nach dem Auslöser zum Musikmachen gefragt, antwortet V.O. Pulver: "Frauen! Nein im Ernst: Kiss gaben mir den Kick. Ich war und bin immer noch riesengrosser Kiss-Fan. Als kleiner, dicker Elfjähriger durfte ich nach Basel ans Konzert von Kiss mit Iron Maiden im Vorprogramm. Da wusste ich: Ich will Rockstar werden." Als wichtigste Begleiter aus dieser Zeit nennt V.O. KissAlben wie „Alive“ und „Destroyer“. Dann natürlich Iron Maiden, Black Sabbath, Judas Priest und generell die New Wave Of British Heavy Metal. Dann erschienen Venom, Metallica, Slayer und Exodus auf der Bildfläche und es war um V.O. geschehen. "Die Energie vom Speed-Metal, wie das damals noch hiess, blies mich und meine Kumpels völlig um. Genau das war unser Ding." Als erste Band gründete V.O Carrion, welche Aufnahmen von 1985 als LP mit dem Titel "Evil Is There" veröffentlichte. V.O erzählt: "Mit den Kumpels von damals hüpften wir anfangs der 80er Jahre mit Tennisschlägern auf dem Bett herum und spielten Luftgitarre. Jeder hat sich seinen Lieblingsmusiker bei Kiss ausgesucht. Ich war wahlweise Ace oder Gene. Ace's Kostüm kaschierte damals meine Pölsterchen am besten." Carrion verschickten ihre Demos an Labels und kamen so in Kontakt mit diversen Plattenfirmen. Gama erhielt den Zuschlag, da sie die Band gleich ins Studio geschickt hat. "Rückblickend war das wohl nicht die beste Entscheidung, denn Mausoleum Records wollten uns auch signen. Doch dafür hätten wir zuerst nach Belgien fahren müssen." Die Scheibe von Carrion ist in den letzten Jahren mehrmals sowohl auf CD als auch auf Vinyl neu aufgelegt worden, was V.O sehr cool findet. "Für dass die Platte

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recht miese Kritiken erhielt und nicht besonders erfolgreich war (was damals etwa 10'000 verkaufte Einheiten bedeutete), sind diese Re-Releases cool. Aus heutiger Sicht ist für mich diese Thrash-Scheibe recht rumpelig, doch bin ich von der krassen Energie von "Evil Is There" nach wie vor begeistert. Ist doch cool, wenn ich meinen Kindern "Evil Is There" vorspielen kann und ich schreie Satan!" Carrion spielten wenige Gigs, doch durch die Band kam V.O. in Kontakt mit Acts aus der näheren Umgebung wie Destruction, Necronomicon, Messiah oder Excruciation. V.O. wollte allerdings nicht weiter singen, und so kam André Grieder zu Carrion. Nach dem Ausstieg des damaligen Gitarristen V.C. wollten die beiden einen Neuanfang und so einigte man sich auf den Bandnamen Poltergeist (der Name des letzten Songs, den Carrion geschrieben haben, von dem aber leider keine Aufnahme existiert). "Wir wollten als Band aus dem deutschsprachigen Raum einen deutschen Namen, allerdings einen solchen, der sich in den meisten Sprachen gut aussprechen lässt. Das ist mit Poltergeist der Fall. Der Grund für den Neuanfang war auch, dass wir von etwas melodiöserem Thrash wie damals Testament oder Annihilator fasziniert waren und dies mit dem Bandnamen auch zum Ausdruck bringen wollten", erklärt V.O. Mit Poltergeist ging es dann rasant los. Zwei Demos wurden 1987 und 1988 aufgenommen, welche beide von Schmier (Destruction) produziert wurden. Auch konzertmässig ging es gut los die zweite Show war bereits in Frankfurt zusammen mit Tankard und Grinder. Poltergeist spielten viele Gigs, unter anderem auch eine Show in Laufen, welche den Deal mit dem


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seinerzeit ganz jungen Label Century Media Records einbrachte. V.O. erinnert sich: "Robert Kampf, Sänger der deutschen Band Despair, hatte gerade sein eigenes Label gegründet, und wir spielten zusammen. Poltergeist haben dann dermassen abgeräumt, dass wir gleich unter Vertrag genommen wurden.“ Auf das Debüt "Depression" folgten zwei weitere Scheiben. Allerdings kamen richtige Touren abgesehen von einer Tour mit Rumble Militia nie zustande. Es waren immer mehr Einzelshows. Die anrollende Death Metal Bewegung sowie zahlreiche Line-Up Wechsel machten die Sache auch nicht einfacher. Die Alben waren zudem verkaufsmässig keine Erfolge. Nach einer letzten Tour 1993 mit Coroner, welche laut V.O. schlecht besucht war und von welcher nur sechs statt der zwölf geplanten Shows stattfanden, folgte die Auflösung von Poltergeist. Der Crossover kam gross auf und nicht mehr alle Bandmitglieder von Poltergeist wollten schnellen Sound spielen. Somit entstand aus den Resten von Poltergeist Gurd, welche mehr auf Groove statt schnellem ThrashMetal setzt, und bis heute Bestand hat zehn reguläre Studioalben wurden veröffentlicht. "Mein Herz hängt nach wie vor an Gurd", so V.O. Die Höhepunkte aus der Zeit mit Poltergeist waren laut V.O., eigenes Vinyl in den Händen halten zu dürfen. Dann erinnert er sich an diverse Shows, unter anderem mit Coroner und Watchtower. Letztere, eine der progressivsten Metal-Bands, die je existierten, waren für V.O. Götter. An einer gemeinsamen Show hatten Watchtower Poltergeist Shirts am Merchandise-Stand gekauft und sind damit bekleidet auf die Bühne. Auch andere Shows mit Kreator und Destruction sowie die bereits erwähnte Show in Laufen sowie ein Open-Air beim Sommercasino in Basel bleiben in Erinnerung. Und wie kam es nach so vielen Jahren zur Reunion von Poltergeist? V.O. führt aus: "Traditionellerweise feiern André Grieder und ich immer gemeinsam Silvester. Zum Jahreswechsel 2012/2013 haben wir mit anderen Leuten unter anderem unserem damaligen Basser Marek die alten Poltergeist-Alben hervorgenommen und sogar das Bandfoto von "Behind My Mask" nachgestellt. Meine Frau hat das Bild auf Facebook gepostet und dann kamen viele Kommentare. Unter anderem von unserem jetzigen Drummer Sven Vormann, der sich gemeldet hat. So nahm die Sache ihren Lauf und es fühlt sich sehr gut an. Wir haben uns gesagt, dass wir das machen und schauen, wie es geht. Wir machen es definitiv nicht fürs Geld, denn mit Poltergeist lässt sich nicht viel verdienen. Ich lebe von meinem Studio." Anschliessend ging es los mit Auftritten im In- und Ausland. Poltergeist durften an renommierten Events wie das Headbangers Open Air, Metal Assault oder die legendäre Metal-Kreuzfahrt 70000 Tons Of Metals teilnehmen. Nach den Shows entwickelten Poltergeist dermassen Biss, dass ein neues Album entstanden ist. "Back To Haunt" heisst die tolle Comeback-Scheibe. Auf die ExodusSchlagseite angesprochen, antwortet V.O.: "Unser zweiter Gitarrist, Chasper Wanner, hat ein paar Songs geschrieben, und die klangen in der Tat nach Exodus, eine Band, die wir alle lieben. So sagten wir zu André, er solle einen auf Zetro (Sänger von Exodus) machen. Ich denke, er hat das ganz gut hingekriegt." Zudem sieht V.O. "Back To Haunt" als eine Scheibe, welche sich nahtlos in den Backkatalog von Poltergeist einfügt, nur mit wesentlich besserer Produktion. Die Band hat es sich bewiesen, dass sie es nach wie vor kann und sich in melodischen ThrashGefilden mehr als stilsicher bewegt.

LIVE 4.11.2016 Lenzburg, Met Bar Plattentaufe 3.12. Bern, Graffiti 21.1. Laufen, Biomill

POLTERGEIST Back To Haunt Pure Steel Records lg. Satte 23 Jahren nach "Nothing Lasts Forever", dem damals etwas untergegangenen dritten Album, kommen Poltergeist aus der Region Basel mit einem vierten Album zurück. Und schon der Opener und Titeltrack "Back To Haunt" macht keine Gefangenen: Sänger André Grieder punktet mit seiner abwechslungsreichen und melodischen Stimme, der Song hat genügend Geschwindigkeit und Abwechslung sowie klassische Gitarrensoli sind ebenfalls zu hören. Weiter geht es schön Speed-Metal-mässig mit "Gone And Forgotten", einem Knallersong. Das nachfolgende "Pattern In The Sky" tönt in den langsameren Parts schön nach Exodus. Auch die Single "And So It Has Begun" hat mit seinem Midtempo-Groove eine rechte Exodus-Schlagseite; dies auch weil André etwas anders singt und hier fast mit Steve "Zetro" Souza verglichen werden kann. Das teils schnelle "When The Ships Arrived" kombiniert wiederum gekonnt Melodie mit Härte und Speed. So geht es weiter, mit Ausnahme des schleppenden Tracks "Flee From Today". Auch zu erwähnen ist "Beyond The Realms Of Time", welches episch beginnt, doch dann zu einem melodischen Thrasher mutiert. Poltergeist verstehen es wie kaum eine andere Bands, harte Riffs, Melodie und Geschwindigkeit miteinander zu paaren. Als Referenz kann man da allenfalls die ersten paar Alben von Annihilator nennen. Alle involvierten Musiker (Sänger André Grieder, V.O. Pulver und Kaspar Wanner an den Gitarren sowie Bassist Ralf W. Garcia und Sven Vormann an den Drums) machen einen grossartigen Job. Eine sehr gelungene Comeback-Scheibe einer Band, die im Vergleich zu ihren Landsmännern Celtic Frost und Coroner leider immer etwas unterschätzt wurde. Schön, sind Poltergeist mit einem Hammeralbum zurück!


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Anlässlich des Releases des umfangreichen Boxsets "Autopsy", welches nebst einer remasterten Best-Of drei Discs mit Live-Aufnahmen, Videos, Interviews sowie eines interessanten Films namens "Rewind" über die Bandgeschichte enthält, konnte TRACKS mit Tommy Vetterli, dem Gitarristen von Coroner, ein Interview führen. Coroner aus Zürich etablierte sich nach ersten Versuchen im ThrashMetal Bereich Mitte der 80er Jahre recht schnell als eine der führenden extremeren, europäischen Metal-Bands. Der Stil des Trios war alles andere als einfach zu beschreiben, denn nebst dem vorherrschenden Thrash-Metal fanden stark progressive und später sogar elektronische Elemente Eingang in den Sound, so dass Coroner gerne und zu Recht als Metal-Avantgardisten bezeichnet wurden. Coroner gaben leider 1995 nach dem grossartigen Album "Grin" auf, doch wurde die Band 2011 für Live-Aktivitäten reanimiert. Nun soll 2017 sogar ein neues Album folgen. Doch wir drehen das Rad der Zeit zurück…


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lg. Tommy Vetterli, der in Zürich aufgewachsen ist, kam schon aufgrund seiner Familie recht früh mit Musik in Berührung besonders mit Jazz und Klassik. Mit 9 Jahren begann er, Geige zu spielen. Seine Mutter spielte Klavier, während sein Onkel ein Nachzügler die Orgel bediente. Mit Letzterem erlebte er in Jugendjahren quasi die Intitialzündung für den Metal. "Als mein Onkel in der Kirche die Orgel krachen liess, hat mich das sehr beeindruckt. Dann kamen bei mir die Beatles dazu und als ich mal Ende der 70er Jahre Jimi Hendrix am Fernsehen gesehen habe war mir klar, dass ich Gitarre spielen wollte. So begann ich wie verrückt zu üben." Auf seine damaligen Lieblingsbands und Einflüsse angesprochen meint Tommy: "AC/DC fand ich super und auch Krokus, die fast gleich gut waren. Ich hatte dann einen Plattenspieler und habe begonnen, Gitarrensoli nachzuspielen. Mein Ziel war es, so wie Eddie Van Halen zu performen. Er war mein Held. Allerdings habe ich mich nicht auf den Metal beschränkt, sondern suchte generell nach guten Gitarristen, auch aus dem Jazz oder Progressive Rock." Offenbar eine Herangehensweise, die sich bewährt hat, denn Tommy Vetterli gilt als ein Meister seines Fachs. Seine Bandkollegen Ron Broder (v., bs.) sowie Marky Edelmann (dr., bis 2014) sehen Tommy als Musiker, der ihnen technisch überlegen ist. Interessant ist, wie denn der Thrash-Metal in die Band kam. "Das war ganz klar auf Markys Mist gewachsen. Er interessierte sich für Bands wie Venom und kannte auch Hellhammer und somit Tom Gabriel Fischer (Hellhammer, Celtic Frost, Appollyon's Sun). Für die progressiven Elemente berufen wir uns auf Mercyful Fate." Marky Edelmann hat die Band bereits 1983 gegründet, doch erst mit der Hinzunahme von Ron und Tommy entstand eine

ernstzunehmende Inkarnation von Coroner. Während Marky für alle Texte und das Erscheinungsbild (Logos, Artworks etc.) der Band zuständig war, beackerten Tommy und Ron den musikalischen Part. Tommy erklärt: "Mein Anspruch war von Anfang an, spannende, überraschende und progressive harte Musik zu machen. Mit Ron und Marky hatte ich die richtigen Partner gefunden. In den Bands davor blieb ich nur, bis ich auf dem Level des anderen Gitarristen war, denn ab dann gab es für mich nichts mehr zu holen." Das Demo "Death Cult" wurde 1986 veröffentlicht. Texte sowie Vocals stammen da von Tom Gabriel Fischer. "Wir haben Tom einfach gefragt, ob er das macht, denn wir hatten keinen Sänger. Tom war ja ein Bekannter von uns und sich gerade mit Celtic Frost am etablieren". Anschliessend hatten Tommy und Ron, das Angebot, mit Celtic Frost als Roadies auf USTour zu gehen. "Das war grossartig. Auch wenn die Arbeit hart war, hatten wir einen Riesenpass und konnten so auch unser Demo unter die Leute bringen. Plötzlich wurde die Szene auf Coroner aufmerksam." So kam via Tom Gabriel Fischer auch der Kontakt zum Boss von Noise Records, Karl-Ulrich Walterbach, zustande. "Walterbach fand uns interessant, doch wollte er, dass wir einen eigenen Sänger haben. So sagte sich Ron, der bis anhin mit extremerem Gesang nichts am Hut hatte, dass er das auch kann, was Tom Fischer auf dem Demo hingekriegt hatte. So wurde Ron zum Sänger." Coroner erhielten dann nach weiteren Demo-Aufnahmen einen Deal und blieben bei Noise Records bis zu ihrer Auflösung 1995. "Aus heutiger Sicht sind die damaligen Verträge lächerlich, doch man brauchte ein Label, um Platten zu veröffentlichen. Zudem waren die Studios damals sehr teuer. Trotz uns nicht immer ganz klaren Geschäftspraktiken muss man Karl-Ulrich Walterbach zugute halten, dass er uns eine ansprechende Plattform bot. Zudem war ich sehr stolz, auf dem gleichen Label wie Bands wie Kreator oder Voivod zu sein", gibt Tommy zu Protokoll. 1987 erschien das erste Album "R.I.P". Es ging dann weiter mit "Punishment For Decadence" (1988) sowie anschliessend mit "No More Colour" (1989), mit welchem sich Coroner rifflastiger, progressiver und experimenteller zeigten. Danach folgten das grossartige "Mental Vortex" (1991) sowie dann als Schwanengesang und als letztes reguläres Album "Grin" (1993), welches zunehmend mit elektronischen Elementen experimentierte und sehr progressive Songstrukturen beinhaltete. Zu allen Alben fanden Tourneen statt. Nach den Highlights aus der Bandgeschichte gefragt, sagt Tommy: "Die Entwicklung auf den Alben ist tatsächlich eindrücklich, welche in "Grin" gipfelte meine absolute Lieblingsscheibe. So müssen Coroner tönen. Live-mässig erinnere ich mich an einen genialen Gig in Paris in einem kleinen Klub, als der Schweiss von der Decke tropfte und ich nur Menschen herumfliegen sah. Genial war auch die erste Tour in den USA im Vorprogramm von Kreator 1989 sowie unsere europäische Headliner Tour 1990 zusammen mit Watchtower." Nach „Grin“ brach die Band 1993 erstmals auseinander. 1995 folgte ein Semi-Best Of Album namens "Coroner", mit welchem die Band ihren Vertrag bei Noise erfüllt. Nach einer letzten Tour löste sich die Band dann definitiv auf. „Der Grund war ganz einfach, dass wir voneinander gelangweilt waren. Ich wollte andere Musik mit anderen Leuten machen. Marky hat sich zudem sehr stark für elektronische Musik interessiert. Ron wollte allerdings mit Coroner weitermachen." Zudem war es laut der Doku "Rewind" für Marky und Ron nicht einfach, mit Tommys Hang zum Perfektionismus klarzukommen. Tommy Vetterli blieb weiterhin musikalisch aktiv. Er war Tourmusiker bei Stephan Eicher und Philipp Boa und nahm mit Kreator zwei Alben auf ("Outcast", "Endorama"), als sich die deutsche Thrash-Legende in einer experimentellen Phase befand. "Mille wollte frischen Wind in der Band haben und so hatte er ein Auge auf mich geworfen. Das war eine tolle Zeit, bei Kreator mitmachen zu dürfen und auf Tour zu gehen. Ich habe in dieser Zeit viel gelernt auch dass nicht immer alles zu 100% perfekt sein muss", führt

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Tommy aus. 2002 übernahm Tommy das bekannte New Sound Studio in Pfäffikon/SZ, mit welchem er sich als angesehener Produzent etablieren konnte (u.a. Eluveitie). Marky war mit Tom Fischer bei Apollyon's Sun aktiv, während sich Ron vollends aus dem Musikbusiness zurückzog. Im Jahre 2011, 16 Jahre nach dem Split, kam es zur Reunion. Was war denn der Auslöser? "Mit der Band meiner Frau Nina, 69 Chambers, war ich wieder musikalisch aktiv. Coroner bekam auch immer wieder Angebote grösserer Festivals, dort zu spielen. So begannen wir als Band wieder zu proben. Marky, der lange Zeit nicht mehr Schlagzeug gespielt hatte, fand heraus, dass es wie beim Velofahren ist. Man verlernt es nicht mehr", so Tommy. Es folgten einige Festivalshows, unter anderem die grösste Show der Band überhaupt auf dem Hellfest in Frankreich vor 40'000 Leuten. Auch absolvierte die Bands Clubshows. Auf den Ausstieg von Marky angesprochen, antwortet Tommy: "Für Marky war es von Anfang an klar, dass er keine neue Musik aufnehmen will. Ron und ich wollten das, weshalb Marky ausstieg, uns aber seinen Segen gab, unter dem Namen Coroner neue Musik zu veröffentlichen. Am Schlagzeug sitzt nun seit 2014 Diego Rapacchietti, den ich lange kennen und in den letzten Jahren für Studiojobs beigezogen habe. Er ist ein grossartiger Drummer." Zu erwähnen ist auch Daniel Stössl, der zur Coroner-Familie gehört, da er die Band seit den 90er Jahren live an den Keyboards unterstützt. Zum Boxset "Autopsy" kommentiert Tommy: "Erstmal finden wir es grossartig, dass sich Lukas Rüttimann und Bruno Amstutz die Arbeit angetan haben, eine Doku über Coroner zu drehen. "Rewind" kommt wie ein Familienalbum daher. Auf den weiteren DVDs sind Live-Aufnahmen nach der Reunion sowie unsere alten Clips sowie weiteres Live-Footage auch aus ganz alten Zeiten in schlechter Qualität zu finden. Abgerundet wird "Autopsy" durch eine Best-Of. Die Vinylversion ist besonders schön geworden mit dem glänzenden CoronerSchädel und unseren Unterschriften." Und wie soll das für 2017 anberaumte neue Coroner Album tönen? "Es wird nach Coroner tönen und hart, schnell, kompliziert, schleppend, überraschend und gleichzeitig zugänglich sein…. hoffentlich", so Tommy. Angesichts der grossartigen Diskographie der Band wäre alles andere als ein Volltreffer eine herbe Enttäuschung.

“Mein Anspruch war von Anfang an, spannende, überraschende und progressive harte Musik zu machen.”

CORONER Autopsy (Boxset) Century Media/Sony Music lg. Das Boxset "Autopsy" lässt sowohl fürs Auge als auch für die Ohren die Geschichte der Schweizer progressive ThrashMetal Band Coroner Revue passieren. Für die Ohren gibt es eine neu gemasterte Best-Of mit Songs aus allen fünf regulären Studioalben und somit nichts Neues. Weitaus interessanter sind die drei DVDs: Die erste DVD enthält den sehenswerten und gut 90-minütigen Dokumentarfilm "Rewind", der die Geschichte von Coroner und der drei Mitglieder Ron Broder (v., bs.), Tommy Vetterli (git.) und Marky Edelmann (dr.) erzählt. Der Filmemacher Bruno Amstutz und der Musikjournalist Lukas Rüttimann haben die Zeit von 1985 bis 2014 sehr sauber und unterhaltsam aufbereitet. Neben Aufnahmen aus den Archiven der Band sowohl aus der Zeit der 80er/90er Jahre sowie nach der Reunion kommen auch die Bandmitglieder ausführlich und andere Musiker und Begleiter zu Wort (sehr unterhaltsam sind dabei die Statements von Tom Angelripper von Sodom). Die drei Protagonisten erzählen viel Interessantes aus der Vergangenheit, so dass der Film zu keiner Zeit langweilig wird. Die zweite DVD hat Konzertausschnitte aus der Zeit nach Reunion auf Lager, während sich die dritte DVD in die Archive der Band begibt und unter anderem Aufnahmen vom allerersten Gig der Band 1986 im Volkshaus Zürich zeigt. Auch sind alle offiziellen Videos und andere rare Aufnahmen zu sehen. Dieses tolle Boxset kommt in zwei Version: einerseits als 3 x DVD plus CD und andererseits als 3 x Blu-ray plus LP. Letztere limitierte Version ist sehr liebevoll aufgemacht mit geprägtem Coroner-Schädel als Cover und ist mit den Originalautogrammen von Tommy, Ron und Marky versehen. "Autopsy" ist wahrlich ein tolles Vermächtnis einer stilprägenden Band, welche ja nach der Reunion von 2011 nun für 2017 ein neues Album in Aussicht gestellt hat.


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40 Jahre Punk Die Internationale Musikpresse thematisiert schon das ganze Jahr hindurch das 40 Jahre Punk Jubiläum rauf und runter und hier zulande? Bis anhin nur ein kurioser Artikel in der NZZ vom 23.09.2016 mit dem Namen "Neu ist besser als alt", geschrieben von dem selbsternannten PopTheoretiker Wolfgang Zechner aus Wien. Eigentlich erstaunlich, verfügen sie doch hausintern über einen der besten Pop-Praktiker hier zulande, den Rämi von ehemals Der Böse Bub Eugen.

VORWÄRTS lur. Item, Punk feiert auch in der Schweiz seine 40 Jahre. Zeitgleich wie in den USA und England ab 1976 nach allenn Regeln der Kunst. In den 80ern unter dem Begriff "Bewegig", mit weitreichenden Folgen für dieses Land, ab den 90er wurden wir schon Poptheorie, unsere Generation wurde jetzt analysiert. Dazu hat sich der Underground den Regeln der Marktwirtschaft unterworfen. Im Jahre 2006 (zum 30 Jahre Punk Jubiläum) nahmen wir das Zepter wieder in die eigene Hand. Unsere Geschichte aufgezeigt im Buch Hot Love Swiss Punk & Wave 19761980 führte zu einer Klassenfete der Ehemaligen. Fast hundert Wieder oder Neuveröffentlichungen jeglicher Couleur wurden bis zum heutigen Tag von uns selbst initiiert, ebenso der Gang ins Museum. Eine, die das alles vielleicht schon intuitiv geahnt und bis zu ihrem Tod im Mai dieses Jahres ihren Punk konsequent gelebt hatte, war Marlene Marder, die Gitarristen von Kleenex. Dies blieb auch nicht verborgen. Sprich, durch ihre Musik bei Kleenex, Liliput und Dangermice und ihr Das Tagebuch der Gitarristin Marlene Marder, dass schon 1986 bei Patrick Frey veröffentlicht wurde, ist sie eine der wenigen Schweizer Musikerinnen bis heute über die Landesgrenzen zu einem Begriff wurde. Ich zitiere aus dem Nachruf an Marlene, geschrieben von Suzanne Zahnd vom Juni dieses Jahres in der WOZ; Dadaismus, Futurismus, Lettrismus und Situationistische Internationale diese kunstgeschichtlichen Inputs wurden vermutlich von der Künstlerin

Der Headliner jeden Abends sind THE LURKERS aus England. Sie gehören zu den Veteranen des Punk und gründeten sich vor 40 Jahren in London. Unter anderem beeinflusst von Bands wie;Slade, Sweet, den Ramones und den New York Dolls spielen sie melodischen Punkrock mit sozialkritischen und spassigen Texten, oder Geschichten aus ihrem Alltag. VORWÄRTS aus Basel sind ebenfalls an allen vier Abenden gesetzt und eröffnen als Lokalmatadoren und Veranstalter im Hirscheneck in Basel die Tour. In Biel sind es dann die ANIMAL BOYS (Ramones Coverband), in St.Gallen TÜCHEL und in Zug die DELILAHS'77. Als "besonderen" Gast wird der ehemalige Hausfotograf der Ramones GEORGE DUBOSE mit von der Partie sein. Es wird uns jeden Abend eine Ramones Fotoausstellung präsentieren an die wir uns noch lange erinnern werden (be ready for it!). Er und der bekannte Tattoo Künstler ORLANDO aus Basel sind auch für das Tourplakat zuständig.

THE LURKERS und Bassistin Klaudia Schifferle in die Band Kleenex getragen. Und vom Künstlerduo Fischli/Weiss, das ihre Plattencover gestaltete. Aber bei Marlene war Dada ganz einfach Disposition: Aus einer gewissen Grundmelancholie heraus poppte stets der Schalk auf. Sie sah in allem, wie es ebenso gut auch hätte sein können. Nämlich menschlicher und vor allem lustiger. Und genau um das geht es im Punk, viel mehr als um die Musik, den Look und das Fuck off... Und zum 40 jährigen? Wir treffen uns an vier aufeinanderfolgenden Klassenfeten, lassen es krachen, mit Freunden aus England - The Lurkers - aus den USA - George DuBose - und mit der aktuellen Generation hiesiger Punkmusiker - Animal Boys, Tüchel und Delilahs '77. Wie heisst es doch bei der NZZ - "Neu ist besser als alt" - sicher nicht, sondern "Alt und neu sind am besten zusammen".

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LOVEBUGS

Wer jemals einen Schweizer Radiosender eingeschaltet hat, hört früher oder später die Lovebugs, mag es mit dem liebestollen “Everbody Knows I Love You“, dem melancholischen “Avalon“ oder dem neuen “Land Ho!“ sein. Die Lovebugs sind sich über die Jahre treu geblieben und haben das Gespür für eingängige Melodien nicht verloren. Was der Sänger Adrian Sieber zu Stiltreue, Harmonie, Lust und dem ungewohnten Schaffensprozess des neuen Albums sagt, hat TRACKS in Erfahrung gebracht.

Kw. Über 20 Jahre Bandgeschichte, zwölf Alben, davon sechs in Schweizer Top Chartsplatzierungen und eine Teilnahme am Eurovision Songcontest, das muss erst einer nachmachen. Die Lovebugs sind ein unverzichtbarer Teil der Schweizer Popmusik. Dem 13. Album gingen einige Turbulenzen voran, so dass die Lovebugs fast zu Schweizer Pop Geschichte geworden wären. Der Sänger beschreibt die Anfänge der Band mit 18,19 Jahren als eine Zusammenarbeit mit aller Zeit der Welt. Inzwischen haben viele Familien gegründet und entsprechend weniger Zeit. Das einzige Interesse gelte nicht mehr nur der Musik. Dies erforderte eine Umstellung, insbesondere wenn man sich so, wie der Frontmann zu tausend Prozent der Musik berufen fühlt. Er erwähnt sein Bedürfnis sich mitzuteilen und etwas von sich zu geben. Kommunizieren fiel ihm früher schwer und die Musik wurde zum essentiellen Kommunikationsmittel. Allen Umstellungen zum Trotz, so wollten die Lovebugs keineswegs untergehen und noch dazu hatte man Geld auf dem Konto, das es entweder zu versaufen galt oder der Produktion eines neuen Albums zu widmen. Adrian Sieber begründet lachend die Entscheidung mit dem Argument, dass das erstere ja auch mit dem privaten Konto getan werden konnte. Was die Vorarbeit zu den Studioaufnahmen angeht, sind die Lovebugs äusserst gewissenhaft. Adrian Sieber bringt die meisten Songs als Rohfassung in die Band und heutzutage könne zügig entschieden werden, ob es zu den Lovebugs passe oder nicht. Er führt weiter an, dass wochenlang geübt wurde, bis jeder einverstanden war bevor man ins Studio ging. Bei jedem Ton sei klar gewesen, der ist es. Tat jemand im Studio etwas anderes, kam natürlich gleich Streit auf. Die Lovebugs beschlossen für “Land Ho!“ wird es anders. Mittlerweile kannte man sich lange genug, das Vertrauen war da und so ging man einfach ins Studio, alles sehr spontan. „Böse gesagt können alle auf dem Computer Musik kreieren“, meint Adrian Sieber, „wir können echte Instrumente beherrschen, live als eine Band wirken.“ Dies sollte sich unbedingt auch im Album zeigen. Adrian Sieber beschreibt, dass diese ganze Spontanität geniale

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Sachen passieren liess und auch Sachen, die völlig abstürzten. Dabei kam das Gefühl auf, es gehe wahnsinnig schnell voran, aber nicht alles war so wie erhofft. Die Bank kniete sich tiefer hinein. Den nötigen Schliff verlieh dann auch noch Mischer Peter Schmidt (Depeche Mode). Sie brauchten schlussendlich zwei Jahre länger als geplant. Wie heisst es ja, gut Ding will Weile haben. Das kreative Chaos tat dem Album gut. Es ist fröhlich und lustig. Die Lieder “Land Ho!“ oder “Juxtapose“ sind sozusagen Lovebugs-Klassiker mit den knackigen Tonabfolgen und dem leicht heiseren Gesang. “Sunshine For Breakfast“ tänzelt schüchtern voran und macht gute Laune, dabei ist es fast so abgespeckt wie eine akustische Version. Gelungen sind die harmonischen Lieder, die schnell ins Ohr gehen. „Das Melodiöse ist unsere Stärke und hat uns weit gebracht“, sagt Adrian Sieber, „in einem kleinen Land kommst du gerade mit einer guten Melodie weit. Sie setzt sich überall durch.“ Er ergänzt: „Spannend an Lovebugs finde ich die zwei Seiten. Wir haben das Harmonische und die Lust. Wenn wir nicht ein Bedürfnis nach Harmonie hätten, würden wir niemals auf eine so lange Bandgeschichte zurückblicken. Da ist aber auch die Lust Lärm zu machen und Dinge ein kleinwenig zu zerstören - wir haben als Punkband angefangen. Im Herzen sind wir das wohl noch immer.“ Die Lovebugs stehen wohl auch deswegen sehr gerne auf der Bühne. Adrian erklärt mir, dass sie zwar viel Energie reinstecken, dafür aber auch viel zurückkommt. Von tollen Konzerten erzähle er wochenlang. Ein persönlich eindrückliches Konzert beziehungsweise Konzertreihe war jenes mit dem Sinfonie Orchester Basel, die sich mit den Lovebugs auf eine besondere Zusammenarbeit einliessen. Auf die Frage, ob er das „Konzerterlebnis“ vom ESC im Nachhinein wiederholen würde, überlegt er länger. Adrian Sieber ist sich nicht sicher. Als sie vor Ort ankamen, wussten sie schon, sie sind fehl am Platz. „Wir brauchen 90 Minuten und nicht 3 Minuten, das ist nicht unsere Disziplin. Wir sind froh über diese Erfahrung. Es hat uns ausserhalb der Schweiz viel gebracht.“


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THE PRIDE Aber obwohl die geringen Gewinnchancen der Schweiz allgemein bekannt sind, ist man dann doch wahnsinnig enttäuscht und weiss genau, wieso es nicht geklappt hat. Mehr Humor und Lockerheit wäre schöner. Die Lovebugs klingen auch nach der Vielzahl von Alben so, wie man sie kennt. Adrian Sieber erklärt, dass sie gar nicht anders können. Sie probieren immer neue Sachen aus, wie zum Beispiel andere Instrumente oder ein Studio im Ausland. Früher hatten sie immer das Gefühl, das Album müsste eine Einheit sein. Heute ist es so, dass sie die verrücktesten Ideen umsetzen können und immer noch nach Lovebugs klingen. Er schätzt diese Stiltreue. Auch wenn die Lieder unterschiedliche Einflüsse haben, bleiben sie unverkennbar. “Lazy Swayze“, das unter Reggae-Einfluss steht, ist trotzdem klar Lovebugs. “Shylight“ das verschiedene Stile kombiniert und von einem frechen Akkordeon begleitet wird, ist augenscheinlich von den gleichen Leuten. “Ivy“ reiht sich dazu, indem es zusätzlich Indie-Pop auftischt. Die Einflüsse sind nicht stark, es ist nicht so, dass die Lovebugs plötzlich Reggae machen. Es ist eine feine Note, die den Liedern anhaftet. Es gibt jedenfalls nur wenige Bands, die ihren Stil so gefunden und verinnerlicht haben. Das kann man nun als Fluch oder Segen sehen, je nachdem. Wer die Band schon vorher doof fand, wird sie auch jetzt doof finden. Und wer sie vorher toll fand, wird in “Land Ho!“ bestimmt fündig werden. Man mag jetzt zu bedenken geben, das neue Werk sei zu harmlos, oberflächlich und schnell konsumiert. Es macht aber konsequenterweise nicht gross Sinn zu kritisieren. Die Lovebugs machen nun mal die Musik, die sie machen. Musik, die jedermann schnell versteht und die Massen begeistern kann und das über viele Jahre hinweg. Entscheidend für den Erfolg ist wohl auch, wie gut die Gruppe ihre Stärken kennt und sich auf diese konzentriert. Man kann die grosse Unterstützung der Radios auch als Faktor sehen, obwohl diese nicht immer so wohlgesinnt waren. Der Sänger sagt, als sie anfingen wurde keine Schweizer Musik im Radio gespielt. Sie hätten wirklich extrem dafür gekämpft. Nebst Social Media sieht er das Radio immer noch als wichtiges Medium, um Musik zu verbreiten. Adrian Sieber kann so oder so stolz auf die Lovebugs sein. Wobei, wirklich bewusst ist er sich des langjährigen Zusammenspiels nicht, ausser, wenn er auf andere Bands trifft und realisiert, die könnten seine Kinder sein. Als Traum bleibt noch eine grosse Amerikatournee, aber zuerst heisst es mit “Land Ho“ den heimischen Hafen anlaufen.

Boxing Clever Sound Service hh. Diese umfassende Werkschau der Schaffhauser « Rocklegende » wurde bereits im letzten Jahr veröffentlicht, ist aber sträflicherweise nie im TRACKS vorgestellt worden. Das holen wir nun hiermit nach, denn 1.) hat es die Box mehr als verdient und 2.) ist sie ein perfektes Weihnachtsgeschenk für alle Fans heimischen Musikschaffens der gehobenen Kategorie. The Pride waren zwischen 1984 und 1999 eine feste Grösse in der Schweizer Musiklandschaft. Tom Krailing, PrideBandchef und auch als Solokünstler aktiv und erfolgreich, trommelte vor zwei Jahren seine ehemaligen Weggefährten Stefan Zahler(gtr), Markus Graf (bs) und Hännes Grüninger (dr) wieder

zusammen und exakt auf den Tag genau nach 30 Jahren, wo sie damals den Support für Frankie Miller im legendären Schaffhauser Club Domino machten, gaben The Pride ihr Comeback. Dass sie in all den Jahren nichts verlernt haben und ihre Musik nach wie vor zeitlos ist, bewies ihr gefeierter Auftritt am Schaffhauser Stars In Town Festival. Derzeit ist ein neues Album in der Pipeline, wobei der Veröffentlichungstermin noch nicht feststeht. Auf jeden Fall schon mal gut zu wissen, dass man von einer der besten, aber leider auch unterbewertesten Bands des Landes wieder neues Ohrenfutter erwarten darf. Bis das soweit ist bekommt man mit „Boxing Clever“ ein wahrlich feines Sahnebonbon, das die Wartezeit auf allerbeste Weise überbrücken wird. 35

BLUESAHOLICS Acoustic Amazing Shades Eigenvertrieb hh. Nach langer Zeit lassen die langgedienten Zofinger Bluesexperten mal wieder von sich hören. 13 Songs haben die 5 Herren + Dame auf den Silberling gepackt und es geht durchweg relativ laid-back zur Sache. Die Bluesaholics lassen sich nicht hetzen und genau da liegt die Stärke dieses Albums. Alle Songs, darunter sechs Cover von u.a. JJ Cale, Greg Lake, Status Quo und/oder Howlin' Wolf erhalten dadurch den roten Faden und sind in sich stimmig, haben Atmosphäre. Dass die alten Hasen ihre Instrumente im Griff

Songs auf 3 Vinyl-Platten und 2 CDs (+ ein schön aufgemachtes grossformatiges Booklet und mp3-Downloadcode) präsentieren den Americana-Sound der Schaffhauser in remasterter Qualität, die besonders auf den 10-Inch Vinyl Platten in warmem Sound durch die Boxen kommt. Songs, die geradezu für Vinyl Veröffentlichung gemacht zu sein scheinen . Dabei handelt es sich um viele Lieder aus den drei The Pride Platten aus den 90ern, aber auch bislang unveröffentlichtes Material, LiveMitschnitte und sogar zwei neue Songs wurden hier verewigt. Beim Durchhören dieses Gesamtpakets stellt sich permanent die Frage, weshalb es Tom Krailing mit seiner Truppe nie geschafft hat, die grossen Bühnen zu erobern. Durchweg schöne bis wunderschöne Songperlen, die den meisten Songs von Acts aus dem Americana-Mutterland qualitativ in nichts nachstehen, hätten auf jeden Fall das Zeug dafür gehabt. Aber wie es vielen herausragenden Acts passiert, auch The Pride waren wohl nicht „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Sehr schade, denn die Truppe hätte es wahrlich verdient. Davon kann sich nun anhand der tollen „Boxing Clever“-Box jeder überzeugen. Dafür muss man auch nicht unbedingt ein eingeschworener Americana-Fan sein, die hier enthaltenen Tracks werden jeden Fan guter, handgemachter und rockiger Songwriterkunst mit grosser Nachhaltigkeit erfreuen und das zu einem äusserst attraktiven Preis von unter SFr. 50.-.

haben, versteht sich von selbst. Gesanglich sticht besonders Isabelle Loosli mit ihrer warmen, leicht angerauten Stimme heraus, während man sich bei Zobi Zobrist durchaus etwas mehr „Dreck“ hätte vorstellen können. „Amazing Shades“ ist ein ruhiges Bluesalbum, bei dem jedoch auch rockige Zwischentöne für Abwechslung sorgen somit ist das Attribut „Acoustic“ nicht wörtlich zu nehmen, es gibt E-Gitarren und auch richtige Drums, wobei doch der akustische Charakter die CD dominiert. Als Anspieltipp eignet sich praktisch jeder Song der CD, speziell aber der schöne Mundart-Titel „Geb Ned Uf“.

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Lernprozesse

IRA MAY „The Spell“ hiess das Album, mit dem Ira May Furore machte. Die Baselbieterin aus Gelterkinden setzte sich aus dem Nichts an die Spitze der Schweizer Albumcharts. Eine erfolgreiche Tournee mit ihrer Band The Seasons und ein Prix Walo folgten. Das alles ist jetzt über zwei Jahre her. hef. Jetzt ist Iris Bösiger aka Ira May zurück. Schweizer Radio SRF 3 liess die rothaarige Sängerin schon im Vorfeld der Veröffentlichung ihres zweiten Albums hochleben, jubelte sie als Schweizer Soul-Königin hoch. Der Nachfolger des Nr.1Albums heisst „Eye Of The Beholder“, und die vorab ausgekoppelte Single „Ram Pam Pam“ schlug bereits wieder voll ein. Kein Wunder: Das ist ein richtiger Kommerzhammer, der bereits beim ersten Hören voll einfährt. Normalerweise ist Vorsicht geboten, wenn die Musik-Cracks von SRF 3 Lobeshymnen anstimmen. Oft ist die Musik dann recht quer und dem breiten Publikumsgeschmack abhold. Bei Ira May freilich liegen sie voll richtig. Die Frau aus der Schweiz ist wirklich von einem anderen Stern. Ob der wohl über Gelterkinden seinen Glanz hell erscheinen liess? Ira lacht bei diesem Gedanken. „Na ja, wenn du darauf anspielst, dass ich mit Baschi und Schlagersängerin SarahJane in der Sekundarschule im Schülerchor gesungen habe... Sarah-Jane sang damals übrigens noch Whitney Houston. Das alles war reiner Zufall. Und keiner von uns hat wohl damals gedacht, dass da später was etwas mit uns dreien abgehen könnte.“ Mit Baschi hat Ira noch etwas anderes gemeinsam: „Auch ich habe mich damals bei MusicStar beworben, erinnere mich zwar nicht mehr an die Staffel, sondern nur, dass ich schon in der Vorrunde rausgeflogen bin. Als Begründung sagte man mir, ich hätte das Coverlied im Vergleich zum Original zu langsam gesungen.“ Typisch Amateure beim Schweizer Fernsehen, dass sie diese Frau nicht schon damals entdeckt haben. Es werden wohl dieselben gewesen sein, die jeweils die falsche Schweizer Auswahl für den Eurovision Song Contest treffen. Ira ficht das alles längst nicht mehr an. „Für mich ist es letztendlich positiv gewesen, dass es mit MusicStar nicht geklappt hat.“ Ihre Karriere wäre damit wohl auch anders gelaufen. Fakt ist: Ira May hat eine dreckige Stimme. Eigentlich passt eine dreckige Stimme nicht zu Soul, eher zu Rock, Punk oder Funk, Rhythm'n'Blues oder Blues. Dreckige Stimme ist in diesem Zusammenhang ein grosses Kompliment. „Ich rauche, seit ich 15 bin“, erklärt sie die Widerhaken in ihren Stimmbändern. „Mit 15 tönte ich auch noch lieblicher. Aber den dreckigen Touch in der Stimme hat man oder dann eben nicht.“ Auch wenn sie als Schweizer Amy Winehouse bezeichnet wurde: Ira ist ein Original. Und sie hat ein breites Grundwissen von schwarzer Musik. „Das liegt sicher an der riesigen Plattensammlung meines Vaters, der schwarze Musik besonders mochte. Das hat mich sicher auch inspiriert. Als dann meine Mutter damals ein Tape von Stevie Wonder aus Japan mitbrachte, tat sich mir eine ganz besondere Welt auf. Titel wie „Superstitious“ und „Signed, Sealed, Delivered“ haben mich elektrisiert.“ Dass sie jemals Mundart singen würde, war für Ira nie ein Thema. „Mundart wäre mir nicht ästhetisch genug“, sagt sie. Ästhetisch hingegen war für sie schon mit 14 die Begeisterung für Hip-Hop. „Angefangen hat es mit Black Music und einer „Best-Of“ von Elvis Presley. Mein Vater war als Co-Gründer von „Radio Raurach“ im Radio engagiert. Der Sender heisst jetzt

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„Basel 1“. Deshalb gab es bei uns zuhause quasi eine rockmusikalische Dauerberieselung. Papa nahm die Platten von zuhause mit zum Sender. Am Wochenende unterrichtete er mich und meinen Bruder in Musik-Geschichte, erklärte uns alles, zeigte uns die Plattenhüllen und wer da alles was machte, Komponist, Produzent, Texter, Verleger und so weiter. Mein Bruder kann gut beatboxen, ist DJ in verschiedenen Lokalen, legt vor allem Hip-Hop auf. Auch ich liebe es und war früher schon mit jenen lokalen Hip-Hop-Bands unterwegs.“ Warum es über zwei Jahre dauerte, bis Ira May ihr zweites Album veröffentlicht, hat einen traurigen Hintergrund. Ira May: „2014 hatte ich Panik-Attacken auf der Bühne. Deshalb muss ich mich auch jetzt noch schonen. Das mit den Attacken hatte ich auch schon früher immer wieder. Aber 2014 war ein spezielles Jahr, da ist soviel passiert. Dadurch habe ich Ängste entwickelt. Dazu kam, dass mein Vater einen Schlaganfall erlitt, und alles lief weiter. Das ist so eine krude Mischung. Mittlerweile habe ich keine Attacken mehr, muss aber sehr aufpassen, dass das nicht mehr geschieht. Da kann man noch so grosse Freude über den Erfolg haben. Aber ich musste einfach die Notbremse ziehen. Leute, die mich nicht kennen, merkten es nicht.“ Auch das Publikum nicht. Beim Open Air in Arbon am Bodensee rannte Ira May beim letzten Song während eines Instrumentals hinter die Bühne, um Wasser zu trinken. „Plötzlich wurde die Attacke ganz heftig“, schildert sie den Zwischenfall. „Ich legte mich hinten ins Gras, aber die Leute wollten Zugaben. Also kam ich noch für ein paar Strophen zurück auf die Bühne. Aber es war ein unglaublicher Kraftakt für mich. Da bist du völlig kaputt. Und hast Angst davor, dass es wieder passiert. Ich hoffe, die Therapie hat mir geholfen.“ Ira May hat keine Angst, das alles öffentlich zu sagen. „Auch der „Star“ hat seine Sorgen. Das Krasse ist, dass jeder Dritte sagt, ich kenne das. Wenn ich es nicht kommuniziere, dann bin ich auch mir gegenüber nicht ehrlich. Ich musste soviel über mich lernen, über meine Grenzen, und was ich genau will. Das ist auch der Challenge, die Herausforderung, für meine Zukunft, die Frage von Sein oder nicht Sein. Bereits mit 13 wollte ich das, jetzt habe ich das, was ich wollte, und zwischendrin gab es eine Sinneskrise. So what! Jetzt bin ich 29. Der Weg ist noch lang.“ Dafür hat Ira May inzwischen ein neues Motto: „Lieber etwas weniger und dafür etwas Exklusiver.“

LIVE 11.11. Langnau i.E., Paragraph K 25.11. Bern, Mahagony Hall 03.12. Gelterkinden, Marabu 28.12. Lenzerheide, Zauberwald


IRA MAY Eye Of The Beholder Universal Music hef. Ihr zweites Album stieg von Null direkt auf Platz 7 der Schweizer Hitparade. Das erste hatte noch auf Anhieb Platz 1 geschafft. „Eye Of The Beholder“ knüpft an „The Spell“ von 2014 an. Ira May hat sich nach ihren Panik-Attacken (siehe Interview) zum Glück genügend Zeit für den Nachfolger gelassen. Entsprechend autobiografisch, quasi als ZusatzTherapie, sind einige der neuen Songs. Es beginnt gleich dramatisch mit dem Titelsong. Warme Klavierakkorde und ein Chor im Hintergrund, dann Hammond-Klänge und diese Stimme, die durch Mark und Bein geht. Dreckig und vulgär, der Text sehr persönlich. "My injuries are deep", meine Verletzungen gehen tief. Nach einem Uptempo-Mittelteil zum Schluss wieder die Chöre: Hühnerhaut. "What Was Golden", das ist funky Soul mit fetzigen Bläsern, "Fear & Delight" gleich danach eine emotionale Ballade, ebenso "Milk & Honey", diesmal wieder mit

diesen gospeligen Chören. Ira May, das ist schwarze Musik, die aus tiefster Seele kommt. Ganz anders das bereits als Single ausgekoppelte "Ram Pam Pam". Der Refrain ist reiner Mainstream. Ein Song, der gleich im Gedächtnis haften bleibt. Im Band-Jargon intern ist "Ram Pam Pam" Synonym für Bett-Aktivitäten, die nicht so tief gehen. Man kann auch sagen One Night Stand. „Es muss ja auch nicht alles immer Drama pur sein“, sagt Ira. „Hauptsache, die Fakten stimmen.“ Zu ihr gehört seit Beginn ihrer SoloKarriere ihr Produzent Shuko aka Christoph Brauss. „Er ist Teil davon. International kann er auf einen ansehnlichen Palmarès zurückblicken“, so Ira stolz. „Er arbeitete viel international, mit US-Rappern wie Cyprus Hill und Master Ace, aber auch mit den hiesigen Cracks wie Sido, Bligg und Cro. Kennengelernt hat ihn Ira zufällig. „Er hörte auf Facebook zufällig einen Song, den ich 2012 mit einem Kollegen aufgenommen hatte. Er schrieb uns an, er würde uns gerne unterstützen. Wir trafen uns, und heute ist er ein enorm guter Freund. Wir haben das genau gleiche Arbeitstempo. Schliesslich

wollen wir ja alle das Gleiche. Es ist ein Segen, mit ihm zu arbeiten." Gemeinsam entstanden 16 abwechslungsreiche Titel in den verschiedensten Stilen, die von Iras ungewöhnlicher Stimme leben, von Reggae bis zu jazzigen Einschüben. "Ich schreibe alle Texte", sagt Ira. "Musikalisch muss ich mit jemandem arbeiten, der meine Ideen umsetzen kann. Shuko ist nicht nur der Produzent, der es umsetzt. Ich sehe uns so wie die beiden von Gnarls Barclay. Mit anderen Worten: Ira May ist ein Team. Deshalb rede ich auch immer von uns. Ich wünsche mir, dass das so bleibt.“

ANORAQUE Disturbing Grace Radicalis rp. Wenn die Basler Band Anoraque eines nicht ist, dann ist es berechenbar. Ihre Debüt-EP haben sie wohl nicht umsonst «Disturbing Grace» (verstörende Gnade, Anmut) getauft. In einigen der sechs Songs wird mit dem Hörer Achterbahn gefahren. Rauf, runter, leise, laut, kontrastreich. Der Auftakt «Still You» ist ein noise-rockiger Kracher, abwechslungsreich in

Szene gesetzt. Die Stimme von Sängerin Lorraine Dinkel überdreht verzerrt. Die lärmige Gitarre turnt fintenreich über der fiebrigen Bass-DrumsBasis. Als der Bass sich einen Moment löst, meint man Punishment Of Luxury zu hören. Und schon wieder weg. «Mental Green» klingt zu Beginn wie ein Hauch, die Stimme von Dinkel poppig. Dabei bleibt es natürlich nicht. Dinkel variiert ihre Stimme, die Gitarre begehrt auf und kracht rein. Lärmig wird es auch im folgenden «Overseas», aber nur zu Beginn, die Gitarrenarbeit wird zusehends filligraner, die Stimme changiert von harmonisch zu flehend. «Kids» ist so etwas wie der Höhepunkt von «Disturbing Grace». Der leise, entrückte Auftakt der über 5 Minuten langen Nummer, gleitet nach einer Weile in einen schleppenden Teil über. Die verzerrte Gitarre zieht und hält zurück. Wieder kehrt die fast Ambient gleiche Stimmung vom Beginn zurück. Unverhofft bricht die krachige Gitarre über allem herein. Dinkels Stimme muss sich zuerst zurechtfinden, bis sie entrückt gen Himmel schwebt. Shoegaze trifft auf Post-Punk und Ambient. Intensiv. Bis zum Schluss.


AUDIO DOGS Full.Moon.Junkies www.audiodogs.ch hh. Das Quintett aus Chur und Lenzerheide bringt hier sein Debütalbum an den Start. Neun Songs, darunter vier Eigenkompositionen haben es auf den Silberling geschafft. Alle Titel wurden live im Studio eingespielt. Als Grund für fünf Coverversionen unter den neun Titeln, gibt die Band an, dass sie die CD auch verwenden möchte, um sich damit bei Konzertveranstaltern vorzustellen und um einen Eindruck von der Bandbreite des Bandrepertoires zu hinterlassen. Die Band rockt amtlich durch die eigenen Songs, die qualitativ nicht auffallend von den Covers abfallen, obwohl sie sich mit Songs von Red Hot Chili Peppers, Motörhead, Pearl Jam, Slash und sogar Elton John schon echte Schwergewichte ausgesucht haben. Die Diamond Dogs werden mit ihrer „full.moon. junkies.“-Platte sicher keine grossen Stricke zerreissen, aber das ist ja auch wohl nicht die Absicht dahinter. Als Visitenkarte einer amtlich rockenden Band taugt das aber allemal und die Platte ist zugleich ein Versprechen an die Zukunft, in der sich die Graubündner Hunde dann mit einem ganzen Silberling voll eigener Songs zurückmelden.

MONOTALES Weekend Love Irascible rp. Schwierige Zeiten können auch einen Anteil Gutes haben. Nach zwei Alben, «Call Me A Stealer, Call Me A Thief» (2010) und «Hidden Thrills» (2012), machte sich das Quartett um Mauro Guarise (Gesang) vor zwei Jahren daran, Songs für ein drittes Album zu schreiben. So ganz klappte die Verständigung untereinander aber nicht mehr, so dass Simon Britschgi (Drums) und David Hanggartner (Gitarre) ausstiegen. Dann gab es überdies Todesfälle in der Familie von Mauro Guarise. Unterkriegen liessen sich Guarise und die Monotales davon aber nicht. Auf ihrem dritten Album treten sie in veränderter Besetzung (Urs Müller, Arno Troxler) gestärkt an. Die dreizehn Songs klingen vielschichtiger, griffiger, aber auch rauer. Eher wie ihr

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Debüt, als wie das etwas geschliffene und poppige «Hidden Thrills». Die breite Palette reicht von Americana, Country, Rock, Folk bis hin zu Pop. Gerade die langsamen Songs wissen zu gefallen. «Weekend Love», «K's Waltz», «And They Call It Summer» (mit Heidi Happy») und der wehmütige Abschluss «Sing The Song, Boys» berühren und vermitteln Tiefe. Und im rockigen «Banned By The Blues» gibt es noch eine dezente Referenz an Little Richards «Keep A-Knockin». Wunderbar, bitte mehr.

SOLYHA Unfiltered Eigenvertrieb kw. Das Schlechte vorweg, es klingt etwas nach Autotune, ohne der Dame jetzt fehlende Gesangskenntnisse zu attestieren. Die Musik klingt schlichtweg künstlich, weil es einfach zu viel des Guten ist. Manchmal würde man das Ganze auch gerne als anspruchslosen Pop mit orientalischem Beigeschmack abtun. Wobei ja der orientalische Touch sehr interessant wäre, nur ist es schade, dass man sich an Allerwelts-Melodien des Orients bedient hat. Aber es ist nicht alles schlecht. Da gibt es zum Beispiel “Belly Dance“, das tanzbar ist und bestens in einen Club passen würde. Das Gleiche könnte man über “Another Life“ sagen, welches Harmonie und Fluss verinnerlicht hat. Das Akkordeon in “Do Me“ mutet fast schon wie Tango an, dabei klingt der Gesang nach RnB, so etwa wie die junge Christina Aguilera. Wer sich ein bisschen von optimistischer Naivität und Orient-Pop berieseln lassen will, kann sich hier auskosten. “Unfiltered“ ist das Debut der Zürcherin, die arabische Wurzeln hat, was wohl jetzt keinen überrascht.

WOLF COUNSEL Ironclad Czar Of Crickets/NonStopMusic lg. Schon das fette Eingangsriff von "Pure As The Driven Snow" ist eine klare Ansage: Wolf Counsel zelebrieren sehr schweren und meist zähen Doom, der allerdings trotz seiner Schwermut nicht direkt aus der Gruft kommt. Tolle Harmonien und der für den Opener doppelt aufgenommene Gesang von Ralf Garcia (auch Bass und Mastermind von Wolf Counsel), der teilweise Reminiszenzen an Alice In Chains aufkommen lässt, geben der langsamen und düste-

ren Musik einen Schimmer Hoffnung. Der Titeltrack ist etwas schneller geraten – überzeugt aber nicht weniger, sondern ist super heavy. Der nachfolgende und alles zerstörende Doomer "Shield Wall" ist etwas dreckiger und lehnt sich etwas an Saint Vitus an (ausser dass viel sauberer soliert wird als bei Dave Chandler). Die Riffs sind repetitiv und wirken auf den Hörer nach oftmaliger Einfuhr wie eine Walze mit viel Groove. So geht es auf "Ironclad" weiter – eine tolle und interessante, mit viel Herz und Seele gemachte und sehr gut produzierte DoomScheibe, welche für Genre-Fans trotz vieler Veröffentlichungen in diesem Bereich ein Muss ist. Und der passionierte Rausschmeisser "Wolf Mountain" ist sogar der beste Song der Platte geworden (mit leichten Bathory -Einflüssen zu Quorthon's epischer Phase). Doom or doomed!

DEATHCULT Beasts Of Faith Invictus Productions lg. Die Zürcher Death-Metaller veröffentlichen mit "Beasts of Faith" endlich ihr langersehntes Debütalbum. Nach dem Demo ("Demo 12") und einer EP ("Pleading For Death… Choking For Life") wurde die explosive DeathMetal Mischung weiterverfeinert. Deathcult spielen ratternden old-school Death Metal mit schön knarzenden Gitarren sowie apokalyptischen Vocals und haben sich dabei von Paten wie alte Death, Possessed, Morbid Angel oder auch frühe Sepultura beeinflussen lassen. Bösartig werden die Songs aber auch dank langsamer Parts, welche an ganze alte Doom/Death-Bands wie My Dying Bride in ihren Anfangstagen erinnern (man höre nur den Opener "Barren Land"). Abgerundet wird dieser Hassbrocken durch ein tolles Cover von Death's "Evil Dead". Ein echtdeathmetallisches Knalleralbum!

SIN STARLETT Digital Overload Emanes Metal Records lg. Sin Starlett, 2005 in Luzern gegründet, haben sich im schweizerischen Heavy Metal Underground etabliert und auch im Ausland durch zahlreiche Gigs Achtungserfolge eingeheimst. "Digital Overload", das dritte Album des energetischen

Fünfers, liegt wiederum in der Schnittmenge von Judas Priest und Saxon (generell kann zum Sound gesagt werden, dass hier die NWOBHM in ihrer Blütezeit – angereichert mit einem Schuss US-Metal – Pate stand). Schon mit dem Opener "Electric Expander" geht die Post ab – Sänger Elias Felber phrasiert wie Rob Halford zu seinen besten Zeit, während die beiden Gitarristen Reno und Jan schreddern, was das Zeug hält. Mit der immer sicheren und erdigen Rhythmussektion mit Bassist Lukas und Drummer Elias Burri hat der traditionelle Heavy Metal von Sin Starlett ein immer solides Fundament. Alle Songs strotzen vor Energie, doch haben sie genügend Melodie und Abwechslung, um in den Ohren hängen zu bleiben (als bestes Beispiel dient gleich der Opener "Electric Expander"). So muss trendloser und erdiger Heavy Metal klingen (wie ihn beispielsweise die USSenkrechtstarter von Night Demon zelebrieren). Ein tolles Album einer sympathischen und vor allem guten Band! Schon der ach so wahrhaftige Joey DeMaio (Manowar) hat über Sin Starlett gesagt: "Man, these guys are more metal than I am!". Dem gibt es nichts beizufügen.

MONKEY 3 Astra Symmetry Napalm Records/Universal lg. Astra Symmetry, das nunmehr fünfte Studioalbum dieser seit 2001 aktiven rein instrumentalen Formation aus Lausanne, bietet wie auf den Vorgängern Psychedelic/Stoner Rock. Monkey 3 setzen in ihrer Instrumentalisierung der Songs stark auf Keyboardsounds, welche den Hörer in teils ungeahnte Sphären befördern. Die Band mäandriert meist langsam durch Galaxien, die sich erst nach mehreren Durchläufen vollends erschliessen werden. Der fehlende Gesang lässt Raum für eigene Interpretationen des Hörers, welche allerdings erst geschaffen werden müssen und somit Zeit beanspruchen. Interessante Scheibe, für welche es lohnt, etwas Geduld aufzubringen.


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hef. Neu hingegen ist typisch Gölä etwas wirklich Einmaliges. Gölä und sein Manager Lukas Moser haben auf der Suche nach neuen Vertriebswegen für die CD einen Vertrag mit dem Schweizer Bäcker-Confiseurmeister-Verband abgeschlossen. In 350 Bäckereien der Deutschschweiz kann man jetzt zum Gipfeli, Weggli oder zur Schwarzwäldertorte die Gölä-CD „Stärne“ kaufen. Gölä war als Typ in seiner Art nie Mainstream, obwohl seine Musik genau das ist. Das ist der krasse Gegensatz zum martialisch aussehenden, am ganzen Körper tätowierten BüezerRocker, der eine feine, weiche Seele hat, die Natur liebt und wunderschöne Balladen zu schreiben imstande ist. Balladen wie „Schwan“, „Indianer“ oder „Keini Träne meh“, die ans Herz gehen und von den Fans bei Gölä-Konzerten lauthals mitgesungen werden, inzwischen alles Mundartklassiker, ja Volkslieder.

sich das Leben so vorgestellt hatte: Reisen, die ganze Welt sehen, viele Menschen in anderen Kulturkreisen hören deine Lieder. „An die Konsequenzen freilich dachte ich damals nicht“, sagt er. „Überall erkannt und angesprochen zu werden. Oder wie heute bei diesem wunderbaren Wetter Interviews geben zu müssen, statt draussen auf der Baustelle zu arbeiten, das ist nicht mein Ding. Ruhm hat bekanntlich seinen Preis. „Ich bin musikalischer Dienstleister“, bringt Gölä seinen Job als Musiker auf den Punkt. „An meinen Konzerten bezahlen die Leute ihr hart verdientes Geld für die Lieder, die sie lieben. Also spiele ich die Songs, die sie wollen. Das bin ich ihnen schuldig und mache das auch gerne. Hauptsache, die Fans fühlen sich gut. Sie haben das verdient.“ Neue Songs schreiben kann Gölä, wenn es ihn packt. „Dann nehme ich meine Gitarre, gehe damit ins Musikzimmer, und die Lieder finden mich. Klar kommt einem

während der Arbeit draussen mal eine Polarisierende schöne Textzeile, ein Schlagzeilen hatte Gölä Thema oder eine Melodie kürzlich schweizweit mit in den Sinn. Dann muss seinen politischen ich diese bis am Abend Statements gemacht. in meinem Kopf Klar, der Büezer-Rocker speichern und danach sagt, was er denkt. Und auf Tonspur bannen." was ihn ärgert, das sagt Musikalisch hat er immer und singt er. Wie im nur das gemacht was er ersten Albumtitel „I wollte. "Auch als ich wärche hert“. Da heisst Lieder auf Englisch es „Iz mache i de nümm schrieb und sang. Aber nume d'Fuuscht im Sack, leider interessiert meine i rüefe: REVOLUTION u englischen Songs kein rume uf mit däm Pack. Schwein. Das kann ich Z'Bärn unge bruucht's e verstehen. Ich würde nöie „Che Guevara“. auch keine Eagles CD Nume fahrt dä de kaufen, wenn die dissmal de Lingge a plötzlich französisch Charre.“ Klare Worte singen würden. Den auch gegen Penner, die Traum, in anderen „d'Hose i de Chnöi, mit Ländern mit meinen me Bier usem Denner“ englischen Songs seinen Unmut erregen. berühmt zu werden, habe „Eines Tages“ geht unter ich schon lange die Haut. Er fragt sich, ob aufgegeben. Mir reicht die Zeit wieder kommen heute schon den wird, in der er mit dem Rummel um den kleinen Sohn wieder einmal Mundart-Gölä.“ vernünftig zusammen Andere Rockstars kaufen reden kann, wie er selber einen Ferrari. Gölä kauft heute mit seinem stattdessen Bagger! eigenen Vater. „Mir Tuble „Mittlerweile habe ich si gsi wi Wasser u Füür, u drei. Da ich meistens hei ds Guete nümme alleine arbeite, brauche gseh...“, singt er darüber. ich all diese Geräte. „Ich habe die gleichen Dazwischen geniesst der Gene wie mein Vater“, Büezer-Rocker, der erklärt Gölä. „Aber als spärlich Konzerte gibt, Junge wollte ich nie so sein Zuhause in der Nähe werden wie mein Vater. Foto: Bruno Torricelli von Fulensee. «Ich stehe Ich war überzeugt ein früh auf und mache spät völlig anderer Mensch zu Der Mann hat einen kreativen Output Feierabend. Das Jahr hat sein als er, nur um später sondergleichen. Und er lässt die Gefühle aus sich zu wenige Tage für mich. herauszufinden, dass ich raus, spart in seinen intimen, autobiografischen Bis Ende Jahr schaffe ich genau der gleiche jeweils höchstens die Texten auch sehr Persönliches nicht aus. Auch auf Dickkopf bin. Im Hälfte meiner Vorhaben. Nachhinein bin ich ihm seinem neuen Album „Stärne“ mit 13 neuen Songs Das frustriert mich dankbar, dass ich schon ist Gölä Marco Pfeuti geblieben. meistens sehr.» als Kind lernte hart Sein grösstes Problem anzupacken und sei, dass das Leben so schnell vorbei gehe. Auch deshalb spuke Verantwortung zu übernehmen. Heute reden sich doch viele mit manchmal das Thema Auswandern wieder durch seinen Kopf. schwieriger Kindheit heraus aus dem Schlamassel, den sie «Auswandern auf Zeit vielleicht», sagt er. «Für zehn Jahre in angerichtet haben.“ einem anderen Land leben und eine alte Farm auf Vordermann Gölä hat auch nach 18 erfolgreichen Jahren als bekanntester bringen, bevor ich ein alter Chnuschti bin. Das wär was! Aber Rockstar des Landes riesiges Lampenfieber vor seinen eben, ich hatte schon immer mehr Träume als Zeit...» Auftritten. „Warum das so ist, weiss ich eigentlich nicht genau. Wenn auch das nicht klappen sollte: Den Frust darüber kann er Ich komme mir auf der Bühne so vor wie in der Schule vor der wieder beim Schreiben neuer Songs rauslassen. Die Fans Wandtafel. Ich war noch nie gerne ausgestellt.“ jedenfalls würd's freuen. Rockstar wollte er früher nicht wegen der Groupies werden, sondern weil er bei diesem Gedanken die rosarote Brille auf und

Musikalischer Dienstleister

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Malle rockt

CREATIVE LOUNGE MALLORCA

hh. Mit der Gründung des Creative Lounge Studios haben sich Stoneman-Drummer RicoH und seine Ehepartnerin Anna Lena in diesem Jahr auf Mallorca einen Traum erfüllt. Musiker und Bands, die abseits ihrer alltäglichen, normalen Umgebung auch gern die Annehmlichkeiten der schönen Insel geniessen möchten und dabei kreativ arbeiten wollen, sind bei RicoH und Anna Lena bestens aufgehoben. Studio und Gästehaus bieten alles, was das Musikerherz glücklich macht und das Ganze ist auch für Leute mit kleinerem Budget durchaus attraktiv. Im Gespräch mit TRACKS informiert das Paar über ihr ambitioniertes Projekt. Fotos: Jenny Breitschmid

Weshalb ein Studio auf Mallorca? Wessen Idee war das? Anna Lena(A): Wir wollten ein kleines aber feines Studio fernab vom Grossstadttrubel und jeglicher Ablenkung, einen Kreativplatz, der durch nichts ausser seine Schönheit und Entspanntheit zu ganz viel Kreativität führt. Die Idee haben wir zusammen gesponnen wir sind, was kreative Ideen betrifft schon immer ein starkes Team. RicoH(R): genau! Da wir selber Künstler sind, wissen wir natürlich ganz genau, nach was wir in der Vergangenheit gesucht haben...einen Platz, wo man ohne Ablenkung, in toller Atmosphäre seine Songs schreiben,

produzieren und aufnehmen kann. Es gibt viele tolle Orte, jedoch Plätze, wo alle diese Dinge vereint sind, da wird's schwierig! In welcher Region liegt das Studio auf Mallorca? A: Das Studio liegt unweit der Hauptstadt Palma, ca. 15 Autominuten ins Landesinnere neben dem Städtchen Santa Maria del Cami. R: Wir haben diesen Platz nicht ohne Hintergedanken gewählt. Wir wollten ab von der Hektik sein, trotzdem Flughafen und Meernähe und eine gute Anbindung an die grossartige Stadt Palma. Und genau da sind

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wir jetzt. Wie habt ihr das ganze Equipment auf die Insel bekommen? A:Das Meiste kam mit dem Zügellaster hierhin. Wir unterhalten aber auch lokale Kontakte, um beispielsweise spezielle Instrumente, welche wir nicht im Angebot haben, zu mieten. Hier gibt es ein paar gute Musikläden! R: Natürlich war das alles mit ganz viel Arbeit und Aufwänden verbunden...der LKW muss auch zuerst mal durch diese kleinen Strässchen kommen, ohne stecken zu bleiben.. Was bietet ihr an Equipment an? R: Wir haben zwei Regien und drei Aufnahmeräume. Die Akustik wurde vom HOFA Institut eingemessen und verbaut. Unsere kleine Regie B ist Logic basierend, mit tollen Antelope Interfaces, MCU Controllern Avalon PreAmp etc. Also allem, was man fürs Produzieren/Songwriting braucht. Studio A ist mit ProTools HD, D-Control, Barefoot Monitoring ausgestattet. Wir haben eine riesen Auswahl an Mikrofonen, Instrumenten, sehr viele Drumsets und Snare Drums. Die genaue Aufstellung ist auch auf unserer Website zu finden. Wird das für die Musiker nicht zu teuer (Flug, Instrumenten Transport, Unterbringung etc.) oder seid ihr vergleichweise sehr günstig? A: Die Lebenskosten hier in Spanien sind sicher nicht die gleichen, wie in der Schweiz. Das merkt man immer wieder, wenn man in Zürich ab und zu mal wieder einen Kaffee am Bellevue trinkt. Wenn man den Aufenthalt genug früh plant, sind die Flüge durchaus sehr günstig zu haben. Die Studiound Übernachtungspreise in unserem Gästehaus sind für


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hiesige sowie schweizerische Verhältnisse absolut fair konzipiert. Ausserdem haben wir diesen Sommer unser Tauschkonzept lanciert. Das heisst, man kann sich zum Beispiel Studiotage mit Gartenarbeit bei uns im Garten „erkaufen“ und das wird dann gegenverrechnet. Was bietet ihr den Künstlern? A: Wir bieten ein kreatives Umfeld mit eigenem Gästehaus für unsere Studiogäste. Das Haus ist mit 3 Schlafzimmern und einem Schlafsofa ausgestattet. Es können also max. 8 Leute übernachten. Es enthält ausserdem eine eigene Küche, zwei Badezimmer, TV, Wohnzimmer und Essbereich sowie Anschluss zum Pool und eigener Terrasse. Was kostet das Studio? R: Klar, ohne Geld geht leider auch bei uns nichts. Aber Geld soll und darf kein Hindernis darstellen, wenn es um das Fördern von Potential geht daher versuchen wir für jeden Künstler, eine zugeschnittene Lösung zu finden. Unsere Studio Tage gibt's ab 150 EU zzgl. Techniker. Auch hier können die Künstler von unserem Tauschkonzept profitieren. Warum soll eine Band auf Mallorca aufnehmen? Gibt es da nicht zuviel Abwechslung, die von der Arbeit abhält? A: Die Erfahrung zeigt, dass die Abgeschiedenheit sehr dazu beiträgt, dass sich die Bands und Künstler auf ihr Schaffen konzentrieren. Wir erstellen natürlich für jedes Projekt einen Zeitplan, der auch Freizeit enthält. Aber bisher haben sich alle sehr gut daran gehalten und die Poolzeit oder Ausflugszeit kam nie zu kurz. Alles ausgewogen eben. Aber wenn die Künstler sehr konzentriert im Studio arbeiten und nicht den „Verlockungen“ der Insel nachgeben, warum sollen die dann überhaupt auf Mallorca aufnahmen. Dann könnten sie ja gleich Zuhause in einem Studio bleiben? A: Und im Grau der Stadt und im Regen aufnehmen? Wer schon einmal hier war, der weiss es besser. Allen anderen können wir es nur wärmstens empfehlen. Man geht ja auch in den Ferien meist auswärts um sich so richtig zu entspannen. Hier ist das genau so, wobei man eben entspannt aufnimmt, produziert, schreibt, was auch immer. Es ist die Stimmung die es ausmacht. Wer hat bislang bei euch aufgenommen? R: Einige sehr bekannte Künstler haben hier Ihre Songs geschrieben. Diskretion ist bei uns sehr wichtig. Daher nennen wir auch keine Namen. Auch dies ist ein Vorteil in dieser kleinen geschützten Umgebung zu sein und seinen Style zu leben, ohne das es am nächsten Tag im Blick stehen wird. Produziert und auch geschrieben haben wir die letzten Monate hier unter anderem: Das neue Album STEINE von STONEMAN, AnnA Lux, Creeon, Toby Gottschalk, Marc Marée, Felsenfest, Sampler für 36zwei & Dark WIngs, Andael und Werbejingles für eine grosse Informatikfirma aus der Schweiz. Also von allem bisschen was dabei. Wie kommt ihr an Kunden ran? R: Zum Glück kommen die Leute zu uns. Pro Aktiv machen wir nichts, ausser dass ich noch viel mit STONEMAN auf Tour bin...das ist natürlich gut fürs Netzwerk... Wie gefällt euch selbst das Leben auf Mallorca? A: Das Leben hier ist ein anderes, als in der Schweiz. Die Mallorquiner sind sehr entspannte Leute, man merkt es schon beim Schlange stehen an der Kasse. Egal wie viele Leute hinter einem stehen, ein Plausch mit der Kassiererin kassiert niemals einen bösen Blick, weil der Hintermann jetzt spät dran ist. Klar, manchmal ist das für uns Pünktli Schweizer auch mühsam, aber es lehrt auch wieder, die Dinge mit einem gewissen Abstand und weniger Wichtigkeit zu sehen und an den wesentlichen Sachen Freude zu haben. R: Neben dem Tour-Leben, absolut die richtige Oase. Hier kann man

kreativ sein, sein Leben geniessen und neue Kraft schöpfen, um noch weitere Jahre zu rocken!

Weitere Infos: www.creativeloungemallorca.com


STONEMAN Steine SPV/Musikvertrieb em. Stoneman sind in der Szene des Goth-NDHAlternative-Düster-Pop-Rocks keine unbeschriebenen Blätter mehr. Ihr neues Album „Steine“ ist zumindest von der Produktion her durchaus gelungen. Ansonsten klingt sehr vieles nach Abklatsch. Im „Kofferlied“ werden Dynamit und Feuerzeug besungen, was im Refrain mit „Brenn, brenn“ zur Geltung kommen soll. Das erinnert unheimlich stark an den Rammstein-Song „Feuer frei“, bei dem im Refrain „Bang bang“ geshoutet wird. Egal welchen der elf Tracks man sich anhört, es beschleicht den Hörer ständig das Gefühl alles schon irgendwo mal gehört zu haben. Bei Mono Inc., bei Unheilig, oder eben auch bei den erwähnten Rammstein etc.. Diese Art von Musik neu zu erfinden ist natürlich ein sehr schwieriges Unterfangen, aber hier fehlt es an neuen Inputs, innovativen Ideen und Eigenständigkeit. Kinderstimmen im Background („Steine“), pseudo-intellektuelle oder -kryptische Texte, aber auch einfach nur bescheuerte Lyrics wie „Wenn der Teufel wieder Gucci trägt...“ will eigentlich niemand mehr hören. Tja und da wäre noch eine Ballade („Gott weint“), die vor Kitsch trieft und keine Tiefe hat. Eigentlich verhält es sich so, dass man als Hörer die Absicht von Stoneman durchaus erkennt. Man weiss, was das Quartett um Frontmann Mikki Chikks erreichen will, aber es gelingt ihnen nicht. Und das bei allen Anstrengungen, die sie zweifelsohne unternommen haben. Bis dato klingen Stoneman mit ihrem Werk „Steine“ musikalisch zwar solide, aber alles in Allem mehrheitlich ziemlich langweilig und abgedroschen.

PIERRE OMER'S SWING REVUE Swing Cremonia VoodooRhythm hug. Pierre Omer ist der Leadsänger der heissgeliebten Genfer Verquer-Kombo The Dead Brothers, und damit ist eigentlich schon zweifelsfrei definiert, dass es sich bei diesem Album um Qualitätsmusik handelt. Der wesentlichste Unterschied zu den Dead Brothers ist das Fehlen des romantisch Morbiden, das über allen DeadBrother-Songs schwebt. Ansonsten verdichtet auch die Swing

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Revue ungeniert und mit viel Weisheit nach Belieben verschiedene Stile zu einem neu klingenden Schmelztiegel: Gipsy-Swing, Rock, NewOrleans-Gebläse, Jazz der alten Tage, Chanson, immer wieder Zweiviertel-Swing und überhaupt alles, worauf die ViererKombo gerade Lust hat. Auch bei den paar Coverversionen entwickeln Omer und seine Freunde mit viel Witz und Charme und Tempo ungeahnt heitere neue Perspektiven. Kurz: Das ist lustig und gescheit, eine seltene Kombination, und darum muss man das kaufen! Und inzwischen hat der gute Pierre hoffentlich auch gelernt, sein Live-Publikum nicht zu beschimpfen, wenn er findet, seine Zuhörer plappern mehr, als dass sie ihm zuhören.

SPENCER We Built This Mountain Just To See The Sunrise Ambulance/Irascible hug. Was für ein wunderbarer Albumtitel! Darüber kann man lange nachdenken. Aber das nur nebenbei. Spencer spielen Britpop mit leichtem Gothic-Einschlag beziehungsweise sie spielen als Gothic-Fans Britpop. Das ist keine leichte Aufgabe, das haben sowohl Dutzende von langweiligen Gothic- als auch Hunderte von noch langweiligeren Britpop-Bands bewiesen. Auch Spencer aus Winterthur schrammelten nach Ihrer Gründung vor 10 Jahren nahe an dieser Langeweile-Grenze vorbei, aber da war schon auf dem letzten Album und auf dem Promo-Teil aus den Anfangstagen irgend etwas in ihrer Musik, das sie vor dieser Belanglosigkeit rettete. Mit ihrem neuen Album haben Spencer genau dieses Etwas klar und deutlich herausgearbeitet: Es sind die Präzision des Songwritings, die Leichtigkeit der Song-Dynamik, überhaupt die Song-Dynamik und die kraftvolle Stimme, die diesen Britpop-Gothic-Songs Kraft und Würde verleihen. Und wenn man das kann, fallen einem auch so herrliche Albumtitel wie dieser ein. Gut gemacht!

ZOK Revamped Eigenverlag hug. Ausserhalb von Nidwalden oder vielleicht sogar der Innerschweiz mag es vielleicht kaum jemanden in Begeisterungstürme ausbrechen lassen, dass es die Rockband ZOK wieder gibt. Aber es ist so: 1993 taten sich

vier Jungs zusammen, um im Geiste des Grunge die Bühnen zu rocken. Und weil die meisten ZOKer auch in anderen guten Bands spielten und also wussten, wie der Hase läuft, waren ZOK immer gerngesehene Gäste bei den Konzertveranstaltern und beim Publikum. Irgendwann, man hatte damals noch sechsstellige Telefonnummern, erschien eine CD, und noch später irgendwann löste sich die Band wieder auf. Jetzt, 20 Jahre danach, rocken sie wieder: Sänger Roy Michel und Schlagzeuger Angelo Bossi sind immer noch dabei, anstelle von Ed Hummel spielt sein Bruder Ferdinand die Gitarre, und am Bass steht jetzt statt Manfred Gysi der Gitarrist Reto Burrell, der als begnadeter Songschreiber amerikanischer Ausrichtung natürlich viel zu den Strukturen der neuen Songs beiträgt. «Revamped» also. Das ist geradliniger, schnörkelloser Rock, der aufmerksam, aber nicht mit vollem Rohr gespielt wird. Also eher Richtung Sabbath und Anhang als Slayer oder so. Fünf Songs sind auf der EP, und das Schöne ist: Weil die Jungs oldschool sind, kann man die CD gratis bestellen, für den Download aber muss man bezahlen. Fragt mal nach auf der Internetseite der Burell-Brüder: www.echoparkmusic.net, .

JACOBEE St. Jakob iGroove.ch hef. Genie zwischen Wahnsinn und Banalität. Oder einfach einer, der neue Wege beschreitet, auf Teufel komm raus originell sein will und mit seinen ungewöhnlichen Texten immer mal wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Oder einen mit offenem Mund zuhören lässt. Hab ich das jetzt wirklich richtig verstanden? Ja, er singt das tatsächlich. In "Ich schwärm vo dim Bieneschtich" etwa zählt er auf, was er alles mag neben ihrem Bieneschtich.Erdbeer-Roulade, dine Läckerli, schwärmt vo dine guete Prüssien, vo dine ticke Weggli, name it, die ganze Süssspeisen-Palette wird aufgezählt, dazu jubeln die Chöre im schrillsten Sopran Hallelujah, alles wunderbar in schöne Melodien verpackt. Oder "Drü Wörter". Die heissen "Ja, ich will", eine balladeske Schmonzette. Dazu „Am vierte Date“, „Ich hett für Dich de Gloon gschpillt“ oder „Tourischtinne & Schigols“, zehn spleenige Songs mit viel Potenzial. Jacobee, der Zürcher R&BSänger mit dem breitesten Musik-Spektrum, das man sich

vorstellen kann, zieht alle Register der Text- und Kompositionskunst, von neckisch, zynisch, sarkastisch bis hintergründig böse. Er ist Gitarrist, Bassist, Komponist, Texter und Sänger. Dies hier ist sein viertes Album. Man darf gespannt sein, ob er sich überhaupt noch steigern kann.

REDEEM Awake Fast Ball sr. Ohne Kompromisse schlägt der erste Track ein wie eine Wucht. Treibendes Schlagzeug, catchy Metal Riffs, freche Basslinien und ein Gesang ,der anfänglich an Myles Kennedy erinnern lässt. Eine Linie, die sich nicht kontinuierlich durch die neue Scheibe „Awake“ zieht. Bleibt aber nicht weiter schlimm, denn das Schweizer Trio liefert abwechslungsreiche Rockmusik mit melancholischem Touch. Mal mit verzerrter Roheit, mal mit sentimentalem Piano. Alles in allem anständiger und ansehnlicher Rocksound, jeder in der Band hat bei der Produktion einen guten Job gemacht. Die dritte Scheibe der Band erscheint erneut in einem Abstand von 5 Jahren und mit 11 Tracks - sehr hörenswert! Jeder energiegeladen und antreibend, besonders durch die kraftvollen Refrains. Durch den neuen Zuzug Alessio Piazza an der Bassklampfe gibt es mit „La Luna“ erstmals einen italienischen Song, jedoch längst nicht so romantisch süss, wie es vorerst klingen mag. Auch hier schlummert ein waschechter Rocksong. Die neue Platte beginnt und endet mit heftigen Knallern. „Insanity“ und „No Judgement Day“ sind wahre Perlen. Die Jungs können aber auch ganz ruhig - als Kirsche auf dem Sahnehäubchen gibt's noch „The Last Goodbye“ in akustischer Version als Bonustrack.

COLLIE HERB Bambus Collie hug. Just zur Hanf-Erntezeit veröffentlicht der Oltner Rasta sein neues Album, und natürlich dreht sich darauf wieder alles um Glaube, Liebe, Hoffnung, vor allem aber um die Liebe, denn wenn diese universal ist, wird das Leben erst richtig schön. So schön, dass Collies Reggae zuweilen dermassen heiter und lupfig daherkommt, dass man sich etwas mehr Erdenschwere und Fettbass wünscht und manchmal gerne auch etwas mehr Tiefgang in den Texten. Ansonsten: Goodvibe-Reggae zum Mittanzen.


ReReleases, Best Of, Tributes

Essentielle Meisterwerke FREE The Vinyl Collection Island/Universal

hh. Bei « Unwissenden » und Spätgeborenen wird das englische Quartett lediglich auf den Mega-Hit « All Right Now » (1970) reduziert, der allerdings bis heute zu den weltweit meistgespielten Songs in den Radiostationen gehört. Zweifellos ist „All Right Now“ ein verdammt starker Poprock-Song, entspricht aber nur bedingt der herausragenden, einzigartigen und wegweisenden Klasse, die Free besonders auf ihren ersten drei Alben „Tons Of Sobs“ (1968), „Free“ (1969) und „Fire And Water“ (1970) vorlegten. Als Free, den Namen verpasste ihnen der britische Blues-Papst Alexis Korner, der der Band ebenfalls Bassist Andy Fraser empfahl, 1968 ihr erstes Album herausbrachte, waren die Bandmitglieder Paul Rodgers (voc) und Drummer Simon Kirke gerade 18, Gitarrist Paul Kossoff erst 17 und Bassist Andy Fraser sogar erst 15 Jahre alt. Trotzdem hatten alle vier Musiker vorher schon in diversen Bands gespielt und sich in der Londoner Bluesszene bereits einen Namen gemacht. Nesthäkchen Andy Fraser galt sogar schon als eines der grössten Talente am Bass und hatte schon bei John Mayall seine Sporen abverdient. Zusammen lieferten die vier „Youngbloods“ einen erstaunlich erwachsenen, knochentrockenen Bluesrock ab, in dem jedes Bandmitglied seine Stärken offen zur Schau stellen konnte, ohne dass die Musik zu einzelnen Egotripps verkam. Paul Rodgers als charismatischer Frontmann und Sänger im Geist von Otis Redding erhielt auf Anhieb das Prädikat, einer der besten Rocksänger der Insel zu sein – ein Status, den er bis heute inzwischen weltweit erfolgreich verteidigt. Andy Fraser und Simon Kirke waren das perfekt verzahnte Rhythmus-Gespann, wobei sich Andy Fraser mit seinem virtuosen „hüpfenden“ und bis dahin in dieser Form noch nie gehörten Bassspiel stets auf den beinharten, geradlinigen und aufs groovende Mindestmass reduziert trommelnden Simon Kirke stützen konnte. Paul Kossoff's unglaubliches Talent und seine einzigartige, höchst gefühlvolle, intensive Spielweise machten den Sound perfekt. Kossoff's herausragende Klasse als Bluesgitarrist wurde erst Jahre später vollumfänglich erkannt und gewürdigt. Heutige Superstars wie Warren Haynes und Joe Bonamassa bezeichnen Paul Kossoff als einen ihrer Haupteinflüsse und als einen der grössten Gitarristen aller Zeiten. Mit dem Erfolg kamen dann aber auch die Probleme. Während die Hauptsongschreiber Rodgers und Fraser durch den Megaerfolg von „All Right Now“ Blut geleckt hatten und eine kommerziellere

Richtung einschlagen wollten, lehnte Kossoff,dem bereits „All Right Now“ überhaupt nicht ins Konzept passte, diese Richtung ab. Kossoff stand in tiefer Liebe zum Blues und wollte diesen Weg nicht verlassen, konnte sich jedoch gegenüber seinen Bandkollegen nicht durchsetzen. In der Folge betäubte Kossoff seinen Frust mit Drogen in immer höheren Dosierungen und war schlussendlich nicht mehr fähig, weiter als Gitarrist bei Free zu arbeiten. Mit dem 72er Album „Free At Last“ versuchten seine Bandkumpel den abgestürzten Gitarristen aus seiner Drogenisolation zu holen, was aber nur sehr bedingt gelang, Kossoff war zu diesem Zeitpunkt bereits ein schwerst drogenabhängiges Wrack. Auf dem letzten Free Album „Heartbreaker“ (1972) ist Kossoff nur noch sporadisch zu hören, Andy Fraser hatte die Band bereits verlassen. Danach löste sich die Band auf. Paul Rodgers und Simon Kirke wurden mit Bad Company internationale Superstars, Andy Fraser gründete die Bands Sharks und Andy Fraser Band, die jedoch nur mässigen Erfolg hatten und jeweils nur kurzfristig überlebten. Als Songschreiber für/mit u.a. Frankie Miller, Robert Palmer, Joe Cocker oder Rod Stewart war Fraser hingegen sehr erfolgreich.

Er starb 2015 in seiner Wahlheimat Kalifornien. Paul Kossoff, der bereits 1971 während eines kurzfristigen Free-Spilts zusammen mit Simon Kirke, John Rabbit Bundrick und Tetsu Yamauchi ein Album aufnahm, veröffentlichte 1973 sein erstes Soloalbum „Back Street Crawler“ , danach gründete er unter dem gleichen Namen eine Band. 1976 starb Kossoff während eines Flugs an Herzversagen. Die hier vorliegende Box umfasst alle sieben regulären Alben der Band in den Original-Hüllen, remastert von den Original Bändern und auf 180gr. schwerem Vinyl. Und diese Anschaffung enpfiehlt sich insbesonders, da der neu gemasterte Sound wirklich hervorragend ist und Free wie kaum eine andere Band für Vinyl-Veröffentlichungen prädestiniert waren/sind. Nur auf diesem „schwarzen Gold“ kommt die ganze Pracht und Wärme der Songs wirklich zur Geltung.

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