Tracks 1 17 (Januar/Februar 2017)

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REVIEWS Mainstream/Rock/Indie/Alternative Pally’s kurz und knapp GURR- In My Head Zwei beste Freundinnen, eine Mission: Die Wahl-Berlinerinnen Andreya Casablanca & Laura Lee Jenkins produzieren auf ihrem Debüt «In My Head» «First Wave Gurrlcore». Riot Grrrls- vielleicht. Garagenrock – auf jeden Fall. Aufreiben der Welt. Kratzig, lärmiger Gitarrenpop, versüsst durch Ohs und Ahs. Da reitet «Moby Dick» auf einer Walnuss und «Computer Liebe» findet auf «Rollerskates» statt. Rasant, poppig, imposant, charmant. THE DIVINE COMEDY - Foreverland Nach einer Pause von sechs Jahren, die er n.a. mit Thomas Walsh (Pugwash) unter dem Namen The Duckworth Lewis Method verbrachte, ist der Ire Neil Hannon wieder als The Divine Comedy am Start. Das gleichnamige Debüt (2009) von The Duckworth Lewis Method war übrigens ein Konzeptalbum über Cricket (!?). «Foreverland» ist kein Konzeptalbum, aber irgendwie schon. Aus Frust über die Abwesenheit seiner Freundin, der irischen Musikerin und Schriftstellerin Cathy Davey (Sie war gerade sehr beschäftigt ein Tierschutz-Wohltätigkeitsprojekt zu organisieren), fing er an wehleidige Lieder zu schreiben. Zum Beispiel «How Can You Leave Me On My Own». «Wenn du gehst, werde ich zum Volltrottel», heisst es dort unter anderem. Zu Beginn besagten Songs ist übrigens der Esel Wayne zu hören. «Catherine The Great» ist halb Katharina der Grossen, halb seiner Freundin Cathy gewidmet. Und, um seinem Schmerz zu entfliehen, will Hannon sich dann auch noch der Fremdenlegion («I Joined The Foreign Legion (To Forget)» anschliessen. So ist «Foreverland» eine theatralische, weinerliche, opulente, übertriebene, herzerweichende, verspielte und auch immer wieder humorvolle und unterhaltsame Odyssee durch menschliche Beziehungen, musikalisch nicht in Watte, aber in Softpop, Chanson, Indiepop, Vaudeville und Musical gepackt. Am Schluss gibt es mit «The One Who Loves You» gar ein veritables Happyend. WHO IS LOUIS - Same Who Is Louis ist eine deutsch-dänische Freundschaft zwischen Greta Louis Schenk (Gesang, Songs), Bue Gundersen (Drums) und dem Keyboarder Niels Münster. Auf ihrem selbstbetitelten Debüt kreieren die drei atmosphärische, elektronische Soundlandschaften, die entrücken, bewegen, aufrütteln, immer wieder berühren und manchmal auch in die Beine fahren. THE PROPHET HENS - «The Wonderful Shapes Of Back Door Keys» Die «Prophetischen Hennen» sind eine neuseeländische Band um die beiden Sänger Penelope Esplin und Karl Bray. Auf ihrem Zweitling «The Wonderful Shapes Of Back Door Keys» offeriert das aus Dunedin stammende Quartett kratzig, naiv, holprigen Gitarren dominierten Indierock, der besser kommt, wenn Penelope Esplin am Mikrophon steht. Die, Yo La Tengo, die Bats (nicht zu verwechseln mit der deutschen Band The Bates) oder die Feelies hätten nur zum Teil Freude. CAMERA - Phantom Of Liberty Camera ist eine Berliner Band, die auf «Phantom Of Liberty» in der deutschen Vergangenheit wühlt. Der Synthesizer blubbert, der Beat hämmert stoisch und monoton und schräge Zwischentöne sorgen für experimentelle Irritationen. Krautrock ich hör dich trapsen. Die acht Instrumentalnummern bieten solide aber manchmal etwas spannungslose Rückschauen/Erinnerungen. Zweimal, im atmosphärischen «Festus» und dem punkigen «Nevernine» zeigen Camera, was möglich wäre. SLOW CLUB - One Day All Of This Won't Matter Anymore Die englische Duo Slow Club hat sich für ihr viertes Album « One Day All Of This Won't Matter Anymore» Matthew E. White als Produzenten geangelt. Charles Watson und Rebecca Taylor wollten sich weiterentwickeln, was sie ja auch auf ihren vorhergehenden Alben immer wieder getan haben. Der etwas sprunghafte Indiefolk und Indiepop ihrer Anfänge ist auf «One Day All Of This Won't Matter Anymore» einem offen immer wieder souligen Indie- und Dreampop gewichen. Etwas anbiedernd klingende Dance-Songs wie der Titeltrack von ihrem letzten Werk «Complete Surrender » (2014) sind glücklicherweise nicht zu finden. Die zwölf Songs klingen in sich stimmiger. Und mit «Silver Morning», «Come On Poet» und «Sweetest Grape On The Win» sind ein paar ihrer bis dato besten Songs auf «One Day All Of This Won't Matter Anymore» zu finden.

oder "Great Balls Of Fire/ Whole Lotta Shakin'" – die Studioband ist ohne Fehl und Tadel. Nur, und das gehört nun mal zum Rock'n'Roll, der Dreck fehlt. Saubermann Cliff, dessen Weste in den letzten Jahren ein paar (Dreck)Flecken abkriegte, ist halt ein bisschen klinisch. Chuck Berry, Jerry Lee Lewis und Little Richard, deren Songs Cliff unter anderen gibt, können sich nicht mal im Grab drehen; sie leben noch und werden sich wohl ihre Gedanken machen. Trotz aller Einwände: Spätestens nach dem zweitletzten Titel "Keep a Knockin'" ist man versöhnt. Geht ab wie Sau. Deshalb: nettes Plättli.

EMELI SANDE Long Live The Angels Universal/Virgin hef. Auch wenn die blondierte Schottin hier ihr erst zweites Album vorlegt, spricht man von einem Comeback. Comeback deshalb, weil sich die heute 29-jährige Sängerin und Songschreiberin bewusst eine dreijährige Auszeit nahm, um zu sich selbst zu finden. Zuviel war passiert in den Jahren, zu viel für Emeli, die mit dem Trubel, dem Riesenerfolg (drei BritAwards) und dem Medienrummel nicht klarkam. Gleich 18 Songs legt sie hier vor, und die haben es in sich. Drei Songs gleich zu Beginn sind Emotion pur, die von Emelis zarter, leicht zitternder Stimme leben, man fühlt sich wie in Watte gebettet, so zart treffen die Klänge auf die Haut. Mit "Hurts" dann Power und Gefühl gemischt, Gospel mit Soul und Intensität, um gleich darauf mit akustischer Gitarre das zärtlichste Bluesfeeling zu zaubern. "It doesn't feel like heaven" singt sie in "Give Me Something". Und erklärt gleich selber, worum es geht. "Das Album steckt voller wahrer und auch sehr ehrlicher Geschichten." Nach nur einem Jahr Ehe hatte sich die ehemalige Medizinstudentin von ihrer Jugendliebe getrennt. "Wir waren in diesem Sturm meiner Karriere verheiratet. Ich war die ganze Zeit auf Tournee, wollte aber, dass seine Welt in meine passt." Das Resultat der Trennung sind diese aufwühlenden Lieder. Am stärksten ist Emeli, die schon Songs für Rihanna, Leona Lewis und Alicia Keys schrieb, mit den Balladen sowie den Songs mit den

R&B-Einschlägen. Das iTüpfelchen freilich bleibt ihre aussergewöhnliche Stimme.

BON JOVI This House Is Not For Sale Island/Universal hef. Das erste Album ohne den langjährigen Gitarristen und Songschreib-Partner Richie Sambora und das 14. insgesamt ist das erste nicht mehr auf dem angestammten Plattenlabel Mercury, sondern auf Island Records. Die neue Scheibe von Jon Bon Jovi und seinen Mannen nach dreijähriger Album-Pause soll musikalisch zurück zu den Wurzeln gehen, wie Jon Bon Jovi in einem Interview sagte. "Dorthin, wo unsere Karriere begann. Mit dem neuen Album haben wir eine Stufe unserer Karriere erreicht, auf deren Niveau wir uns nichts mehr beweisen müssen." Nicht nur Lippenbekenntnisse. Die "neuen" Bon Jovi rocken wie einst, mit melodiösen und hymnischen Powersongs wie in ihren besten "Slippery When Wet"-Zeiten. Dominant ist jetzt halt Bon Jovi selber, der die Fäden mit Produzent John Shanks in die Hand genommen hat. Sicher fehlt Ritchie, der Band und wohl auch den Fans, aber mit diesen fetten Stadionsongs und etlichen Balladen- und Up-tempo-Titeln kann die Band noch immer brillieren. Als festes Mitglied ist nun Jons Kumpel Phil X (Philip Eric Xenidis) dabei. Die 13 Titel sind produziert und teils co-geschrieben von Shanks, mit dem Bon Jovi schon früher zusammenarbeiteten. Der Titelsong ist philosophisch gemeint. "Ich verbaute jeden Stein und schlug jeden Nagel hinein, dieses Haus ist nicht zu verkaufen. In diesem Haus leben Erinnerungen und ein Traum, der nicht scheiterte."

ERIC CLAPTON Live In San Diego Warner Music hef. Auch wenn er laut eigenen Angaben praktisch taub ist: Konzerte gibt er noch immer. Dieses hier ist zwar schon fast zehn Jahre her. Aber der Gitarrengott packte auch da noch Fortsetzung Seite 12

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