Was Joachim Gauck über die Deutsche Arbeitswelt wissen sollte deutsche wirtschafts nachrichten

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Was Joachim Gauck über die deutsche Arbeitswelt wissen sollte Deutsche Wirtschafts Nachrichten, Joachim Jahnke | 01.06.14, 02:20 | 27 Kommentare

Bundespräsident Joachim Gauck hat mit seinen Äußerungen, dass es den Deutschen zu gut gehe, für Aufregung gesorgt. Die Fakten zeigen: Millionen Deutsche können von ihrer Arbeit nicht leben. Viele werden krank oder stürzen in die Armut. Im europäischen Vergleich steht Deutschland schlecht da. Eine Sachverhaltsdarstellung - Teil 2.

Sonntagsreden und Fakten: Bei der Beurteilung der Arbeitsw elt liegen Welten zw ischen dem Wunsch und der Realität. Bundespräsident Joachim Gauck beim Bundeskongress des Deutschen Gew erkschaftsbundes. (Foto: dpa)

Unter den Bedingungen dieses neoliberalen Turbokapitalismus spielt die Psyche massenhaft nicht mehr mit. Die Deutschen nehmen heute doppelt so viele Antidepressiva wie noch vor zehn Jahren. Jedes Jahr kommen fast elf Millionen Tage zusammen, an denen Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, nicht zur Arbeit gehen können. Dabei beschränkt sich die Depression nicht auf einen Lebensbereich. Sie erhöht auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Demenzerkrankungen. Sie grenzt die Betroffenen oft aus ihrem sozialen Umfeld, aus ihrem Freundeskreis und ihrer Familie aus. Depressionen sind Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung. Und etwa 7.000 Menschen treiben sie jedes Jahr in den Suizid, fast doppelt so viele Menschen, als im Straßenverkehr umkommen. Weltweit sind Depressionen nach Rückenschmerzen der wichtigste Grund für Arbeitsunfähigkeit geworden. Eine bahnbrechende Studie wurde 2011 vom European College of Neuropsychopharmacology und dem European Brain Council unter der Leitung von Prof. HansUlrich Wittchen veröffentlicht. Sie deckt 30 Länder in Europa ab und belegt, wie mentale Störungen zur größten gesundheitlichen Herausforderung des 21. Jahrhunderts geworden sind. Vor allem Frauen sind von Depressionen betroffen und die vor allem im Alter von 16 bis 42 Jahren, wenn sie versuchen müssen, den beruflichen Druck und den der Familie zu bewältigen. Ihr Risiko, an einer Depression zu erkranken, hat sich gegenüber den 70er-Jahren verdoppelt. Fast jede siebte Frau ist heute betroffen. Fast ein Drittel aller vorzeitigen Todesfälle bei Frauen und fast ein Viertel bei Männern sind so verursacht. Allgemein ist der Gesundheitszustand der Deutschen im westeuropäischen Vergleich ohnehin eher schlecht. Mit 65 Jahren ist die statistische Erwartung weiterer gesunder Lebensjahre am unteren Ende des Vergleichsfeldes (Abb. 15080). Der Anteil von Menschen mit langanhaltender starker gesundheitlicher Behinderung ist der höchste im Vergleichsfeld. Bei den Krankenhausentlassungen nach psychischer Erkrankung hat Deutschland einen traurigen Spitzenplatz (Abb. 15674). Die Barmer Ersatzkrankenkasse, die größte gesetzliche Versicherung, berichtet in ihrem Krankenhausreport 2013, die Krankenhausverweilzeiten unter der Diagnose von psychischen Störungen seien im Vergleich zu 1990 bis 2012 um 67 % angestiegen (Abb. 17891). In dem entsprechenden Report 2011 hat sie die Daten von mehreren Millionen Patienten für 2010 ausgewertet. 2010 landeten über doppelt so viele Menschen wegen Depressionen im Krankenhaus wie zehn Jahre zuvor. Nach der Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamts wurden bei den nach vollstationärer Behandlung Entlassenen seit dem Jahr 1994 immer häufiger „Psychische und Verhaltensstörungen“ als Diagnose angegeben; deren Zahl stieg bis 2011 in nur 17 Jahren um mehr als die Hälfte auf 1,2 Millionen an.


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