SozialsprengsatzAttentäter Gabriel rolandtichy.de/kolumnen/alexanderwallaschheute/sozialsprengsatzattentaetergabriel/
17.8.2016
Von Alexander Wallasch
Mi, 17. August 2016
Zu Gast bei Stefan. 47 Jahre alt, Buchhalter, Ehefrau ist Hausfrau, drei Kinder. Stefan wurde auf Teilzeit gesetzt und müsste eigentlich aufstocken, um seine Familie über die Runden zu bekommen. Einfach nur das Minimum zum Leben, bis er wieder in Vollzeit ist und weiter seine Steuern bezahlen kann, wie schon die Jahrzehnte zuvor. Aber lesen Sie selbst: Stefan arbeitet leider bei einem mittelständischen Betrieb mit kaum einhundert Mitarbeitern. Gewerkschaftlich nicht organisiert, keine Betriebsräte, dafür fährt die Belegschaft einmal im Jahr nach Malle zum kollektiven Besäufnis. Das ist schön, aber Stefan ist jetzt nur noch halb bei der Sache. Das Unternehmen hatte im letzten Jahr beschlossen, die Buchhaltung outzusourcen. „Wirtschaftliche Zwänge“, erklärte man dem Buchhalter. Stefan hat sich am Strohhalm festgeklammert und das hingeworfene Angebot einer Halbtagsstelle angenommen. Ein BrosamenAngebot. Aber Stefan ist keine Kämpfernatur. Nun ist er Zuarbeiter für diese fremde Buchhaltung. In den ersten Monaten war er meistens noch ganztags da, so viel war zu erklären und vorzuarbeiten. Aber wo sollte er auch hin? Zu Hause wäre ihm die Decke auf den Kopf gefallen und seine Mädchen hätten sich argwöhnisch gefragt, was er schon am frühen Mittag zu Hause mache. Wie peinlich vor den Nachbarn und Freundinnen, wenn Vati arbeitslos wäre. Mal einfach nebenbei irgendwo eine zweite Stelle annehmen, um dort in Teilzeit zu buchhalten, ging aber leider auch nicht. Es gab keine solchen Angebote oder Nachfragen. Dafür nahm ihn sein Boss kameradschaftlich zur Seite und gab ihm einen guten Tipp: aufstocken!
Auf dem Rasen eine Wäschespinne Zu Besuch bei Stefan: Wir sitzen auf der Terrasse seiner angemieteten Doppelhaushälfte. Gepflegter gemauerter Grill, Wäschespinne auf dem Rasen. Ich nehme ein Bier, er nur Limo. „Im Moment muss ich einen klaren Kopf behalten“, meint er und fängt an zu erzählen. Dann dreht er irgendwann den Kopf weg aber ich sehe es trotzdem: Herrje, dem 47jährigen Familienvater laufen Tränen übers Gesicht. Wie traurig. Drinnen lärmt die Familie, am Abendhimmel ziehen die Urlaubsflieger ihre Sehnsucht machenden Kondensstreifen und ich will am liebsten in seinen Rasen versinken – gleich dort neben dem mobilen Pool für die Mädchen. Stefan kriegte sich nicht mehr ein. Mal sehen, ob ich noch zusammenbekomme, was er stockend erzählte: Stefan weiß nicht mehr, wie er seine Familie ernähren soll. Denn er bekommt nun doch keine Aufstockung mehr. Aufstockung ist ja Arbeitslosengeld II, das hieß früher ehrlicher einfach nur Sozialhilfe. Jedenfalls wurde die Zahlung eingestellt. Er muss also mit einem halben Gehalt über die Runden kommen, kommt er aber nicht. Anfangs hat er wohl noch an seiner Frau vorbei Wertsachen verkauft, hat sich von seinem geliebten Motorrad getrennt und dann halfen die engeren Verwanden noch verschämt aus, wo sie konnten. Die Rente der Großeltern wurde sogar einmal von ihm angezapft