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Pistenbully mit Biosprit

Leuchtfeuer fürs Klima

Die Erderwärmung zwingt Wintersportgebiete zu mehr Nachhaltigkeit, aber auch Gästen wird das Thema immer wichtiger. In der Schweiz gibt es punktuell zahlreiche Bestrebungen. Als ein Vorreiter gilt die «Weisse Arena Gruppe» im Bündnerland. Nach Expertenmeinung gibt es hierzulande jedoch noch einiges zu tun.

TEXT JULIANE LUTZ | FOTOS EMANUEL FREUDIGER In Sattel-Hochstuckli fahren die Pistenfahrzeuge mit Partikelfilter und «eco speed»-Diesel, in Engelberg werden die Bergbahnen mit Energie aus Wasserkraft betrieben. Das sind nur zwei Beispiele, was in Schweizer Wintersportdestinationen in Sachen Nachhaltigkeit getan wird. Sie wird langsam ebenso zu einem Kriterium bei der Auswahl des passenden Ferienorts wie Schneesicherheit oder das Angebot an Pisten und Après-Ski. Die massiven Eingriffe in die Natur, die mit dem Buhlen der Skigebiete um Touristen einhergehen und der gewaltige Aufwand an Ressourcen, etwa für künstliche Beschneiung, irritiert zunehmend. Umdenken ist dringend nötig, schon ❄ allein, damit die Gäste nicht irgendwann ausbleiben. Die genannten Beispiele und auch andere stossen bei Christian Baumgartner auf Zustimmung. Der Experte für nachhaltigen Tourismus und Dozent an der Fachhochschule Graubünden vermisst jedoch bei den meisten Skidestinationen hierzulande einen klaren Plan, wie sie klimaneutral werden wollen. Ein Berg wird «renoviert» Den hat Reto Fry. Er will das Skigebiet Laax zur ersten sich selbst versorgenden Alpendestination machen. Als Umweltbeauftragter der «Weisse Arena Gruppe» (WAG) – sie betreibt Skianla-

gen, Hotel- und Gastrobetriebe, Ski- und Snowboardschule sowie Geschäfte in der beliebten Bündner Skiregion – setzt er Massnahmen punkto Klima- und Umweltverträglichkeit unter dem Label «Greenstyle» um. Bis 2030 soll in der WAG keine fossile Energie mehr genutzt werden. Betriebsgebäude wie das der Luftseilbahn werden heute meist durch Abwärme der Bergbahnmotoren beheizt. So konnten fast alle Ölheizungen ersetzt und der Gesamtbedarf reduziert werden. Ein Start-up half, den Lebensmittelabfall drastisch zu verringern. Pet-Flaschen sind auch bald Vergangenheit, denn Gäste können gratis Sie wird bald Vergangenheit sein: die alte Bergstation auf dem Crap Sogn Gion

14 touring | Dez 2021 / Jan 2022 ❄

«Die Leute können die Weltuntergangsszenarien nicht mehr hören. Ich zeige lieber die enormen Vorteile der Energiewende auf, etwa bei der Solarenergie.»

Reto Fry, Umweltbeauftragter der «Weisse Arena Gruppe», Laax

❄FOTO © FLIMS LAAX FALERA / NI PHOTOGRAPHY

Wasser an Trinkbrunnen abfüllen. Das sind nur einige der 200 Massnahmen, die Fry durchgesetzt hat. 2022 beginnt sein Herzensprojekt: die Sanierung des Crap Sogn Gion. Dort wird die weithin sichtbare Bergstation aus den 1960erJahren, die pro Jahr 150 000 Liter Heizöl verbraucht, in ein begrüntes, sich selbst versorgendes Gebäude umgewandelt. Überhaupt soll der ganze Berg wieder «schön» gemacht werden. Nach Verhandlungen mit den Landbesitzern werden oben 1200 Bäume gepflanzt. «Damit wollen wir eine Art

Fry an einem der öffentlichen Trinkbrunnen, die im Skigebiet Laax Pet-Flaschen überflüssig machen sollen

Leuchtfeuer für die Region entzünden», sagt der 43-Jährige. Wer achtzig Franken für den beliebten Laaxer «Last Day Pass» zahlt, erhält eine Holzkarte für den Skipass, finanziert die Bäume auf dem Berg mit und trägt mit einer Tonne eingespartem CO2 noch dazu bei, dass der lokale Vorabgletscher zehn Minuten länger existiert. Errechnet haben das ETH-Experten für die WAG.

Vorteile statt Apokalypse

So ein Paket ist typisch für Fry, der vor Ideen sprüht und sie clever verkauft. «Die Leute können die Weltuntergangsszenarien nicht mehr hören. Ich zeige lieber die enormen Vorteile der Energiewende auf, etwa bei der Solarenergie», sagt er. Würde in der Skiregion auf jedem Gebäude, wo es sinnvoll scheint, Solarenergie produziert, könnte der Energiebedarf fast selbst gedeckt werden. Wer ein Haus baue und eine Solaranlage aufs Dach setze, verdiene nach zwölf Jahren damit Geld. «Wenn wir es schaffen, noch effizienter zu werden und die Mobilität zu elektrifizieren, produzieren wir sogar mehr Strom, als wir →

E-Auto-Fahrer höchst willkommen. Im beliebten Bündner Skigebiet von Laax, Flims und Falera gibt es über fünfzig öffentlich zugängliche Ladepunkte

brauchen, und könnten ihn verkaufen.» Doch die WAG allein kann das nicht erreichen, möglichst alle Bewohner der Region müssen mitziehen. Um sie an Bord zu holen, rief der Verwaltungsrat der Flims Laax Falera Management AG das «Greenstyle Lab» ins Leben: eine Arbeitsgruppe, die aus Vertreterinnen und Vertretern der WAG sowie aus Leistungsträgern der Destination bestehen wird und sich mit dem Thema Nachhaltigkeit vor Ort auseinandersetzt. Gemeinsam sollen sinnstiftende Massnahmen realisiert werden. Die Mobilität dagegen sei eine Herausforderung für die WAG. Enorme Höhe, extreme Minusgrade und die benötigte Power limitierten den Einsatz von Batterien bei ❄ und, sobald es den ersten WasserstoffPistenbully gibt, fährt der bei uns, aber vermutlich nicht vor 2025», sagt Fry. Anreise bleibt Problem «Die ‹Weisse Arena Gruppe› unternimmt einiges», sagt Tourismusexperte Baumgartner. Ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept sollte die Gäste aber auch animieren, das Mobilitätsverhalten zu verändern. Das sehe er dort nicht. Bei der An und Abreise der Gäste mit dem Auto entstehen bis zu achtzig Prozent der während eines Wintersportaufenthalts freigesetzten CO2Emissionen. Darauf angesprochen, antwortet Reto Fry: «Wir konzentrieren uns auf die Destination und nicht auf die Anreise Schneeraupen. Von den 25 Fahrzeugen der Gäste. Wir wollen nur Dinge umfahren zwei mit dieselelektrischem An setzen, die wir auch im Griff haben.» So trieb, was Treibstoff spart. Kässbohrer, überlege man, vor Ort die grossen Postvon dem die WAG Pistenbullys bezieht, busse durch kleine Elektrorufbusse zu bietet neu ein Modell mit Biotreibstoff ersetzen. «Auch schätzen wir es, wenn an. «Damit können wir mal anfangen unsere Gäste mit dem Elektroauto anreisen. Deshalb investieren wir stark in die Infrastruktur. Bei uns gibt es bereits über fünfzig Ladepunkte für Gäste, direkt bei den Bergbahnen. Und weitere in den Hotels», so Fry. Christian Baumgartner jedoch findet, dass sich bereits mit entsprechender Kommunikation, etwa auf Webseiten, auf das Mobilitätsverhalten der Touristen einwirken lasse. «Statt auf viele Tiefgaragenplätze sollte eher auf den Shuttleservice vom nächsten Bahnhof hingewiesen werden.» Noch besser: Den Gästen Anreize bieten. Das versucht die österreichische Region Klima berg Katschberg (siehe Kasten). Wer mit dem Zug dorthin in die Ferien reist, erhält fünfzig Euro vom Billettpreis erstattet. «Das wird sehr gut angenommen. Vielen unserer Gäste sind Umwelt und Nachhaltigkeit wichtig», sagt der Geschäftsführer der Region, Wolfgang Hinteregger. •

Innovative Ideen aus Italien und Österreich

Im Südtiroler Skigebiet Carezza Dolomites wird erst bei minus zehn bis minus fünfzehn Grad Celsius beschneit. Die Folgen: einen Drittel weniger Verbrauch an Wasser und Strom. Und die Schneedecke hält so bis März/April. Das Wasser stammt aus dem ortseigenen Speicherbecken, wird verschneit und gelangt im Frühjahr in den natürlichen Kreislauf zurück. Dank GPSTracker, Schnee

❄tiefenmessung und Routenoptimierung wurde der Treibstoffaufwand bei den Pistenraupen um einen Viertel reduziert. An ruhigen Tagen werden die Bahnen und Lifte auch mal abgestellt, die seit zwei Jahren mit hundert Prozent Ökostrom betrieben werden. Die Bahnmitarbeitenden, in der Saison bis zu achtzig Personen, verzichten wegen des Klimawandels sogar auf die tägliche Fleischportion und bilden Fahrgemeinschaften zur Arbeit. Um jungen Landwirten eine Perspektive zu bieten, verpflichten sich Hotels und Gastrobetriebe in Karersee/ Carezza, nach Absprache Gemüse und demnächst auch Fleisch bei lokalen Bauern zu fairen Preisen zu kaufen. «Wir versuchen, so zu arbeiten, dass den nachfolgenden Generationen eine intakte Natur erhalten bleibt», beschreibt Florian Eisath, Gesellschafter beim Bergbahnbetrieb Carezza Dolomites und ExProfiskifahrer, die Bestrebungen. Die österreichische Region Klimaberg Katschtal will bis 2030 klimaneutral werden. Gäste werden gratis von Bahnhöfen in Salzburg und Kärnten abgeholt und können neu vor Ort vergünstigt Hyundai Ioniqs 5 mieten. Zwanzig der insgesamt achtzig Gastro und Hotelbetriebe vor Ort bieten Klimaessen an, das heisst, vegane Gerichte wie die Klimanudel (vegane Variante der Kärntner Nudel) müssen auf der Karte stehen. Seit 21 Monaten bedeckt in der Region e4fKlimaerde tausend Quadratmeter Fläche (Äcker, Pisten, Flachdächer, Hochbeete). Sie besteht aus CO2 angereichertem Kohlenstoff, speichert viel Wasser und Nährstoffe, schützt vor Erosion und soll CO2 für Hunderte von Jahren binden. Bis jetzt konnten siebzig Tonnen CO2 kompensiert werden. Nach all diesen Umstellungen ist die Region sehr stark nachgefragt. Christian Baumgartner, Experte für nachhaltigen Tourismus, steht der e4fKlimaerde jedoch etwas skeptisch gegenüber: «Wie positiv ihre Effekte wirklich sind, ist wissenschaftlich nicht ganz belegt. Da würde ich gern auch andere Kompensationsmöglichkeiten sehen.»

Das Wasser für die Beschneiung wird in Carezza aus dem ortseigenen Speicherbecken genommen, einem der modernsten im Südtirol

Die Klimanudel und andere vegane Gerichte haben Gastro und Hotelbetriebe in der Region Klimaberg Katschberg auf der Karte

Gemeinsame Leidenschaft für Hunde aus dem hohen Norden

Krank, misshandelt, ausgesetzt: Im Tierheim für Polarhunde SOS Chiens Polaires in Payerne finden ungewollte Huskys und Grönlandhunde ein Zuhause. Jeden Winter machen sich die Kräftigsten unter ihnen auf den Weg zum Mosses-Pass, um Interessierte eine aufregende Schlittenfahrt erleben zu lassen. Begegnung mit zwei Hundefreunden und ihren Gästen. ❄TEXE JÉRÔME LATHION | FOTOS OLIVIER VOGELSANG, LAURE SAVARY Das Tierheim liegt unauffällig am Rande von Payerne (VD). Als wir eintreten, werden wir vom Gebell eines stattlichen Rudels begrüsst. Die gute Seele des Heims, Carine Mettraux-Pousaz, reagiert darauf mit ein paar liebevollen Worten und erklärt uns: «Zurzeit habe ich rund fünfzig Hunde, doch ich muss jedes Jahr vierzig bis sechzig ablehnen und weitervermitteln.» Die Sonderpädagogin erkannte rasch den positiven Einfluss von Hunden in ihrem Berufsalltag. Vor fünfzehn Jah-

ren begann sie, notleidende Hunde aufzunehmen, bis sich ihr Weg mit dem eines Husky namens Cheyenne kreuzte. Es war der Beginn eines aufregenden – «und nicht einfachen» – Abenteuers, das sie 2009 den Verein SOS Chiens Polaires gründen liess. Sie ist die Präsidentin und fand im Frühjahr 2016 den Standort für das Heim. Auf den insgesamt 200 Quadratmetern Fläche wird sie von ihrem Lebensgefährten Sébastien Barbey sowie rund zwanzig Freiwilligen aus dem Kanton Waadt und von anderswo unterstützt. Die nötigen Mittel bringen Mitgliedsbeiträge, Spenden, entgeltliche Outdoor-Aktivitäten und der Verkauf von Artikeln ein. Ausgesetzte Tiere In den Boxen des Tierheims zeigt sich zuweilen erschütterndes Leid: Tumore, Arthritis, Dysplasie, vor allem aber Verhaltensstörungen. Schuld daran sind schlechte Behandlung, aber auch dubiose oder illegale Zucht. «In den östlichen Ländern, aber auch in der Sébastien Barbey und Carine Mettraux-Pousaz zusammen mit Luanny und Mimi (v. l. n. r.)

❄Schweiz», betonen Carine und Sébastien. «Zu viele Züchter sind nur auf das Geld aus.» Die Folge: viele – zu viele – ausgesetzte Hunde … «Ob seriös oder nicht, die Züchter machen ihre Informationsarbeit ziemlich schlecht, vor allem in Frankreich», stellt Carine fest. «Diese Hunde sind Rudeltiere, von Natur aus Raubtiere und vor allem Athleten. Man sollte Käufer davon abhalten, einen alleine zu nehmen, um ihn in der Wohnung zu halten.» Ausdauernde Läufer … und Lehrer Diesen Informationsauftrag setzt SOS Chiens Polaires auf originelle Weise um, indem der Verein seine Schützlinge miteinbezieht, die einen Grossteil dieser pädagogischen Rolle mit Freude übernehmen. Bei Wanderungen, Fahrten mit Leiterwagen oder Schlittentouren im Winter. So brechen von Dezember bis März je nach Schneelage zwanzig bis dreissig Hunde von Payerne für

Ein Gespann mit sieben Hunden vermag mühelos eine Last von 370 Kilos zu ziehen einen Tag lang nach Les Mosses auf, wo Schlittenausflüge angeboten werden. Die Tiere finden sich dort in ihrem natürlichen Element wieder: Der Pass, der das Ormonts-Tal mit dem Waadtländer Oberland verbindet, ist für sein wahrhaft «polares» Mikroklima bekannt, und an Schnee mangelt es selten. Im Übrigen findet dort schon seit Langem das internationale Schlittenhunderennen statt. Seit vier Austragungen wirken Carine und Sébastien als wichtige treibende Kräfte mit (siehe Kasten). Im Rahmen der Schnupperfahrten stellen die beiden das Material zur Verfügung und übernehmen die Rolle der «Musher» beziehungsweise Schlittenhundeführer. Zwei Erwachsene und zwei Kinder können für eine rund zwanzigminütige Tour in einem Schlitten Platz nehmen. «Ein Gespann von sieben bis acht Hunden kann nach unseren Berechnungen eine Last von 370 Kilo ziehen», erläutert Sébastien. «Wir helfen ihnen beim Starten, Anstieg und Bremsen.» Das Konzept kommt an. Und auch ihre Schützlinge kommen auf IM DIENST DER WETTKÄMPFER

Carine Mettraux-Pousaz und Sébastien Barbey von SOS Chiens Polaires (SOS Polarhunde) kennen sich bei Schlittenhunden und im Skigebiet Les Mosses bestens aus. Seit vier Austragungen organisieren sie das internationale Schlittenhunderennen, das Ende Februar / Anfang März auf der Hochebene von Les MossesLa Lécherette stattfindet. Hundert Teilnehmer und 750 Hunde nehmen durchschnittlich daran teil. Ab Oktober sind sie damit beschäftigt, erstellen das Programm, bauen den Festplatz auf, kümmern sich um Logistik, Sicherheit und Streckenmarkierung. «Das ist viel Arbeit», so Sébastien Barbey. «Doch wir können auf die Hilfe der Gemeinde Ormont-Dessous und der Einwohner von Les Mosses zählen.»

ihre Kosten, unabhängig von Rasse und körperlicher Verfassung. Der Beweis? Die Huskyhündin Mimi wird sehr oft an der Spitze des Gespanns eingesetzt. Das Besondere an dieser anhänglichen Hündin mit Führungspersönlichkeit: Ihre linke Vorderpfote musste aus Angst vor einer Blutvergiftung vollständig amputiert werden. Wahre Athleten eben, wie bereits gesagt, sogar im paralympischen Modus! •

Für Informationen oder zur Unterstützung des Vereins: soschienspolaires.ch Anmeldung für die Schnuppertage via SMS oder Whatsapp unter 079 533 12 74

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