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Umstieg auf E-Mobilität
«Der Umstieg auf E-Mobilität ist noch nicht für alle möglich»
Der TCS hat für das CO2-Gesetz, über das im Juni abgestimmt wird, die Ja-Parole beschlossen, zugleich aber darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz alleine nicht genüge. Peter Goetschi, Zentralpräsident des TCS, erklärt im Interview, wo konkreter Handlungsbedarf besteht.
INTERVIEW DINO NODARI | FOTO EMANUEL FREUDIGER
Der TCS hat Handlungsbedarf bei der Mobilität im Spannungsfeld von Klimadebatte und CO2-Gesetz angekündigt. Wie sehen diese Forderungen aus? Peter Goetschi: Mit dem CO2-Gesetz soll die ökologische Transformation der individuellen Mobilität angestossen werden. Es reicht aber nicht, ein ambitiöses Gesetz zu erlassen, sondern es braucht Massnahmen, die über das CO2- Gesetz hinausgehen und der Bevölkerung den Umstieg auf emissionsarme und energieeffiziente Fahrzeuge effektiv erlauben werden. Die Schweiz, ob in der Stadt oder auf dem Land, ob jung oder alt, ob vermögend oder nicht, soll auch in Zukunft mobil bleiben können.

Und dafür reicht das neue Gesetz nicht aus? Nein. Das CO2-Gesetz fokussiert auf die CO2-Emissionen. Damit die entsprechenden Ziele erreicht werden können, braucht es eine eigentliche Transfor-


«Es braucht ein ganzheitliches Vorgehen.»
Peter Goetschi, Zentralpräsident TCS mation, das heisst einen viel breiteren Ansatz. Neben dem Gesetz braucht es konkrete Massnahmen und Anreize. Ein Beispiel: Damit ich auf ein Elektrofahrzeug umsteigen kann, muss ich laden können – zu Hause, am Arbeitsplatz, im Parkhaus, unter der Strassenlaterne, unterwegs, in den Ferien. Diese Infrastruktur besteht heute noch nicht, und daher kann ein Grossteil der Be völkerung – auch wenn er will – gar noch nicht umsteigen. Dort müssen wir ansetzen. Die Bereitstellung dieser Infrastruktur erfordert einen enormen Kraftakt. Das geht nicht ohne Planung, politische Prio risierung, Bekenntnisse aller Akteure und Investitionen. Die gute Nachricht lautet, dass die Technologien bestehen und eingesetzt werden.

Wer steht zuoberst in der Pflicht? Die Hersteller sind mit enormem Ressourceneinsatz vorangegangen, und die ganze Branche richtet sich derzeit neu aus. Nun ist auch der Staat an der Reihe und muss mit Vorbildrolle, Infrastruktur und Regulierung nachziehen. In Gebäuden, privat oder öffentlich, muss die Möglichkeit des Ladens zur Norm werden. Die Städte und Gemeinden müssen ihre Strassenlaternen mit Ladestationen ausrüsten. Und es müssen Anreize für ihre Bevölkerung zum Umstieg gesetzt werden. Kurzum: Es gibt seitens Staat viel zu tun, und es ist seine Rolle, die Rahmenbedingungen für die Bevölkerung zu setzen, damit diese die richtigen Entscheide treffen kann.
In Umbruchsphasen ist der Informationsbedarf hoch. Was ist nötig? Sowohl unsere letzte Umfrage zur Elektromobilität als auch der Austausch mit unseren Mitgliedern zeigen klar auf, dass ein grosses Bedürfnis nach einfacher und transparenter, aber auch technologieneutraler Konsumenteninforma-
tion besteht. Leider existieren immer noch eine Vielzahl von unfundierten Mythen rund um die Elektromobilität, und es gilt, hier Fakten zu schaffen. Auch bei solcher Aufklärung haben wir Erwartungen an den Bund. Ich erinnere daran, dass die zu revidierende Energieetikette in einer Verordnung des Bundesrats verankert ist, wie auch alle Preisanschreibepflichten. Die erhöhte Transparenz wird die richtigen Kaufentscheide fördern.
Führt die Transformation des Fahrzeugparks unter dem Strich nicht zu Mehrkosten? Aus Sicht des Konsumenten zählt letztlich nicht allein die Anschaffung, sondern die Gesamtrechnung inklusive der Betriebskosten über den ganzen Lebenszyklus. Hier schneiden die E-Fahrzeuge zumeist besser ab. Also auch das eigene Portemonnaie und nicht nur die Umwelt profitieren von der ökologischen Transition der Mobilität. Bleibt die Halter von energie Ladeinfrastruktur, wo effizienten Fahrzeugen es Hundertausende Lasollen, gemäss TCS, destationen für Eigenbei jeglicher Art von heimbesitzer und MieFahrzeugbesteuerung ter braucht. Diese in den Genuss von Grundausrüstung kosVorteilen kommen. tet, und hier braucht es Wer sich also ein Fahr finanzielle Anreize und zeug mit einem alter Unterstützung, zum nativen Antrieb leisten Beispiel aus dem Gekann, fährt günstiger bäudefonds. Wenn wir und profitiert. Wer «Die Hersteller sind die Strategien der Autosich kein neues Fahr vorangegangen. mobilhersteller und dezeug leisten kann, Nun ist auch der Staat ren Auswirkung auf hat das Nachsehen. Es ist genau andersrum: an der Reihe.» den Fahrzeugpark zu Ende denken, werden Die Politik sagt dem Peter Goetschi, Zentralpräsident TCS in ein paar Jahren La Autofahrer, er habe destationen zur Grund einen Beitrag zum Abbau des CO2- ausstattung jeder Immobilie und jeder Ausstosses zu leisten. Das funktioniert, Gemeinde gehören. Dies kommt der wenn das sauberere Auto auch er- ganzen Bevölkerung zugute, denn so schwinglich ist. Zahlreiche Fahrzeuge machen wir Klimapolitik! sind derzeit bei der Beschaffung wegen der hohen Batteriepreise teurer, das soll Neben EFahrzeugen kommen auch bei der Besteuerung Berücksichtigung Wasserstoffautos auf den Markt, und finden. Solche Anreize funktionieren, es wird an alternativen Treibstoffen wie es zahlreiche Projekte in Kantonen geforscht. Fokussieren Sie nicht und Städte zeigen. zu einseitig auf eine Technologie? Überhaupt nicht. Welche Antriebstechnologie sich langfristig durchsetzt, wird sich noch weisen. Darum halten wir die Technologieneutralität hoch. Wenn wir aber den heutigen Markt und die Strategien der Automobilhersteller betrachten, so wird die Elektromobilität zumindest eine sehr wichtige Zwischenrolle übernehmen. Darum setzen wir uns auch intensiv mit E-Fahrzeugen auseinander.

Führt die Entwicklung zu einer energieeffizienten Mobilität nicht zwangsläufig zum Bau von neuen Atomkraftwerken? Davon kann keine Rede sein. Die Individualmobilität steht dem Atomausstieg nicht im Weg. Sicher sind dieser sowie der fossile Ausstieg und die angestrebte CO2-Neutralität grosse Herausforderungen, aber in dem veranschlagten Zeithorizont von dreissig Jahren absolut machbar. Insbesondere spielt der Mobilität die Tatsache in die Hände, dass es primär auf die Einsparung von Energie ankommt und nicht nur von Elektrizität. Der volle Umstieg auf batterieelektrische Autos hätte zwar einen Mehrbedarf von über fünfzehn Prozent Strom zur Folge. Blicken wir aber auf den Energieverbrauch, dreht die Sache: Durch die viel höhere Effizienz des elektrischen Antriebs wird der ganze Fuhrpark massiv weniger Energie brauchen, ein riesiger Gewinn für unser Land und die Umwelt.
Sie meinen also, dass mit der Ökologisierung des Verkehrs die Kritiker des Automobils verstummen werden? Es geht uns nicht um das Verstummen von Kritikern des Automobils – die wird
Für den Umstieg auf Elektromobilität braucht es eine Ladeinfrastruktur


es immer geben –, sondern um die Zukunft der Mobilität. Wie in der Vergangenheit wird das Automobil auch in der Zukunft einen wichtigen Platz einnehmen. Und mit der Verringerung der Schadstoffe und der CO2-Emissionen, ergänzt durch die laufend verbesserte Verkehrssicherheit und die Verringerung des Lärms, wird diese Position noch gefestigt werden. Das ist wichtig, denn die Mobilität gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen und ist für unseren Wohlstand zentral. Sie ist die Pulsader des Landes, ermöglicht Austausch, verbindet Menschen und hält die Gemeinschaft zusammen. Sie garantiert die Versorgung und Entsorgung. Wir profitieren von der Mobilität und schätzen sie. Darum streben wir nach Verbesserungen. Und wir werden sie erreichen.
Schaffen wir wirklich den Ausstieg aus den fossilen Treibstoffen und damit diesen ökologischen Befreiungsschlag? Während seiner nunmehr 125-jährigen Geschichte durfte der TCS bereits einige Entwicklungen beobachten und begleiten. Autos wurden früher mit Dampf, Strom, später auch mit Holzvergaser, Alkohol, Erdgas oder Sonnenenergie angetrieben. Was uns bevorsteht, haben also unsere Vorfahren auch schon gemeistert. Das Ziel, das wir ansteuern, lautet, der Bevölkerung den Umstieg zu ermöglichen. Dafür braucht es ein ganzheitliches Vorgehen; es braucht gewissermassen ein Mobilitätsprogramm, das die ökologische Transformation der individuellen Mobilität unterstützt und dadurch zu garantieren vermag. Darum setzen wir uns dafür auch ein.
Die Transformation der Mobilität ist ein riesiges Vorhaben, das die ganze Gesellschaft betrifft. Was unternimmt der TCS? In unseren Augen gibt es Handlungsbedarf in vier Bereichen: Information, Anreize, Infrastruktur und Zulassung. Wir tauschen uns diesbezüglich bereits mit der Branche und den Behörden aus, und wir werden mit konkreten Vorschlägen in diesen vier Bereichen auf Behörden und Politik zugehen. Wenn wir in der Elektromobilität vorankommen wollen, dann braucht es Massnahmen und Mittel! •
Ein Schikanestopp ist kein Kavaliersdelikt
Es ist leider oft zu beobachten: Drängler fahren anderen Lenkern nahe auf, was diese veranlasst, kurz auf die Bremse zu treten. Dieses Ausbremsen ist nicht nur äusserst gefährlich, es wird auch streng geahndet.
TEXT URS-PETER INDERBITZIN
Das Strassenverkehrsgesetz schreibt vor, dass der Lenker gegenüber allen anderen
Strassenbenützern einen ausreichenden Abstand einzuhalten hat, namentlich beim Hintereinanderfahren (SVG, Art. 34, Abs. 4). Er muss auch bei überraschendem oder brüskem Bremsen des vorderen Fahrzeugs rechtzeitig anhalten können. Für die Einhaltung des angemessenen Abstands hat in aller Regel der Fahrer des hinteren
Fahrzeugs zu sorgen. Umgekehrt hat der Lenker, der anhalten will, nach Möglichkeit auf die nachfolgenden Fahrzeuge Rücksicht zu nehmen. Brüskes Bremsen und
Anhalten sind nur gestattet, wenn kein Fahrzeug folgt und im Notfall.
Ein Notfall liegt dann vor, wenn wegen eines plötzlich auftauchenden Hindernisses aus Sicherheitsgründen sofort gebremst werden muss. Nicht erlaubt ist ein grundlos scharfes und kräftiges Bremsen aus Böswilligkeit mit dem Zweck, einen nachfolgenden Lenker zu erschrecken oder gar eine Auffahrkollision zu provozieren. Als brüskes Bremsen gilt auch, wer auf
Autobahnen sein Fahrzeug durch
Bremsen «mehr als unwesentlich» verzögert, um den Hintermann zu ärgern – und ihn damit gefährdet.
Gefährliche Stopps
Grund und abrupt bis zum Stillstand ab. Nachdem der Lenker die Verzweigung mehrere Sekunden blockiert hatte, setzte er seine Fahrt fort. Nach wenigen Metern hielt er abermals abrupt an. Dieses Mal konnte der bereits einmal ausgebremste Lenker sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig zum Stillstand bringen. Das Bundesgericht verurteilte den fehlbaren Lenker nicht nur wegen mehrfacher grober Verletzung von Verkehrs regeln, sondern auch wegen Nötigung. Mit der durch die Vollbremsung geschaffenen Zwangssituation für den nachfolgenden Verkehrsteilnehmer wurde dessen Handlungsfreiheit dermassen eingeschränkt, dass zusätzlich von einer Nötigung auszugehen ist. Eine gleichartige Verurteilung kassierte ein Lenker, der kurz nach einer Ortseinfahrt eine Lenkerin überholt und schikaniert hatte. Der Lenker bremste sein Fahrzeug zweimal unvermittelt auf 20 km/h ab, sodass die mit etwa 50 km/h hinter ihm fahrende Lenkerin stark abbremsen musste, um eine Kollision zu verhindern. Auch hier verurteilten die Gerichte den Lenker wegen mehrfacher grober Verletzung von Verkehrsregeln und Nötigung (Bundesgericht, 6B_1023/2019). Solche Schikanestopps ziehen – nebst saftiger Busse und Vor einigen Jahren fällte das Bun- Geldstrafe – in aller desgericht in diesem Zusammen- Regel auch einen hang einen Grundsatzentscheid mindestens drei(BGE 137 IV 326). Ein Lenker, un- monatigen Ausweisterwegs auf einer Landstrasse, entzug nach sich. • musste bremsen, weil ein anderer Lenker frech vor ihm auf die Fahrbahn eingebogen war. Um diesem eine Lektion zu erteilen, überholte er den anderen Lenker und bremste sein Fahrzeug auf URS-PETER URS-PETER der Höhe einer Kreuzung INDERBITZIN ohne verkehrsbedingten Verkehrsexperte Verkehrsexperte