Top Schwaben 2015_04

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t o p s chwaben

Kulinarik

Fotos: Restaurant Weinbar Gänsweid, Stefan Mayr

Weinempfehlungen – mitunter ein Erlebnis ... Im Wein liegt Wahrheit. Ein berühmter Satz aus römischer Zeit, der Weintrinker und Weinmacher heute gleichfalls zum Schmunzeln bringen kann. Denn Wahrheit ist durchaus interpretierbar und oft schwer aufzufinden. Im Wein hängt die Wahrheit gerne mal platt nur knapp über dem Flaschenboden. Jedenfalls – und das können langjährig erprobte Weinfreunde sicher bestätigen – scheint die Diskrepanz zwischen den vollmundigen Aussagen auf den Rückenetiketten und der Qualität im Flascheninneren in den letzten Jahren eher auf breiter Front zuzunehmen. Hier sprechen wir nicht von Discounter-Weinen für zwei oder drei Euro. Bei solchen Angeboten darf sich sowieso niemand ernsthaft arglistig getäuscht fühlen. Aber auch darüber kann der Preis nur ein Indiz sein und muss nicht bedeuten, dass der Inhalt ein schönes Trinkerlebnis beschert. In seltenen Fällen kann dies schon ab fünf Euro pro Flasche gelingen und zwischen zehn und 30 Euro darf man häufiger erwarten, dass der Wein wirklich schmeckt. Ein Flaschenpreis über 50 Euro bedeutet aber in aller Regel nur, dass das Weingut bereits eine gewisse Berühmtheit erreicht hat und den Wein auch nach China exportiert. Was dazwischen einen Wein wirklich zum Genusserlebnis werden lässt, ist seine Ausgewogenheit, also das fein austarierte Spiel zwischen Süße und Säure, zwischen Struktur und Frische, zwischen Frucht und Tanninen, also den Gerbstoffen aus Schalen und Kernen. Fällt einer oder mehrere dieser geschmacksbestimmenden Vektoren aus dem Rahmen, schmeckt der Wein einfach nur sauer oder pappig süß, dünn, fade oder marmeladig, gelegentlich lässt er gar den ganzen Mund pelzig werden. Zuviel Säure und Tannine können sich zwar durch Lagern abbauen. Dieser Prozess funktioniert in der Regel allerdings nur bei hochwertigen Weinen und sachgerechter Lagerung optimal und kann auch dazu führen, dass das nächste Ungleichgewicht den Wein matt oder sperrig erscheinen lässt. Diese Unausgeglichenheit wird

gerne schon auch als Charakter verkauft, bedeutet aber eigentlich, dass dem Winzer im besten Falle nur mal ein Jahrgang misslungen ist oder aber es mit seinem Können grundsätzlich nicht so weit her ist. Wie also findet man einen guten Wein? Freunde und der Weinhändler des Vertrauens sind eine Hilfe. Ausprobieren auch. Wer Flasche um Flasche verschiedenster Anbaugebiete testet, und dies mit jedem Jahrgang aufs Neue, wird sich an die guten Weine herantasten. Die diversen Weinratgeber bieten leider kaum Hilfe, denn hier werden Gläser, Sterne oder Punkte zunehmend äußerst subjektiv und immer weniger nachvollziehbar verteilt. Übrigens: • Das Öffnen der Flasche eine Stunde vorher nützt gar nichts. Es braucht eher einen ganzen Tag oder aber das Umfüllen in ein Dekantiergefäß, damit ein Wein gewinnt. • Restaurantpersonal nach Weinempfehlungen zu fragen, ist mitunter ein Erlebnis. Denn häufig hat dieses wenig Ahnung von der Materie und den dazu passenden Gerichten – und noch seltener vom persönlichen Geschmack des Gastes. Ausnahmen bestätigen hier natürlich die Regel. • Und im Ernst: Ein „Sauerampfer“ kann durch ein Teelöffelchen Zucker oder Traubenzucker genießbar gemacht werden, ein fader Wein mit etwas Zitronen- oder Ascorbinsäure aufgepeppt werden. So werden auch Limonaden aromatisiert, weshalb bei vorsichtiger Dosierung (vorher im Glas ausprobieren) Bedenken nicht bestehen müssen. Hätte übrigens der Winzer besser gearbeitet, müsste keiner auf solche eigentlich dumme Ideen kommen. • Wer blumig beschriebene Zitrusreflexe, Leder, Tabak, Brombeeren, Kirschen oder gar animalische Geschacksnoten nicht aus jedem Wein herausschnuppern kann, muss nicht verzweifeln. einen großen Wein niemals erkennen geschweige denn ihm gerecht werden zu können. Einen großen Wein erkennt jeder sofort. Denn ein solcher riecht edel, schmeckt einfach nur lecker. Und das zu fast allem und vor allem fast jedem. wiwo


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