Kirchenschätze

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Die Kirche »St. Johannis« in Bürgel Wie ein „Fingerzeig Gottes“ überragt der über dreißig Meter hohe Turm der Stadtkirche den Dachreiter auf dem Rathaus erheblich. Die Uhren an beiden Türmen ticken aber die gleiche Zeit und die Glocken läuten die gleiche Stunde, es sei denn, das mechanische Werk der Kirchturmuhr von 1853 geht bei strenger Kälte ein paar Sekunden nach. Ab und zu bimmelt noch das Läutewerk der Regelschule dazwischen. Eine akustische Situation, die die Bürgeler mögen, weil sie zur Idylle des Töpferstädtchens beiträgt. Wie auch das Ensemble von Kirche, Pfarrhaus, alter Schule – jetzt Keramikmuseum – am Kirchplatz, dazu Rathaus und Töpferwerkstätten in den Gassen ringsum. In der Enge wirkt das wuchtige Gemäuer der Kirche besonders Ehrfurcht gebietend. Umso mehr verblüfft das farbenfrohe, originell gestaltete Portal an der Südseite. Im spätgotischen Stil ausgeführt, umrahmt es die schlicht gestaltete spitzbogige Tür mit dem Dreipass und trägt einen Renaissancegiebel mit dem Relief des segnenden Christus, die Weltkugel in der Hand. Engelsköpfe ergänzen das Schmuckwerk. Auf dem Giebeldreieck steht eine legendenumwobene Figur, mit dem sächsischen Rautenkranz in der Hand. Es soll sich dabei um den unglückseligen Sohn des Herzogs Bernhard von Sachsen – Jena handeln, Johann Wilhelm, der nach dem Tode des Vaters unter Vormundschaft zerstrittener Verwandter lebte und 1690 mit 15 Jahren an den Blattern starb, ohne je den Herzogshut getragen zu haben. Mit ihm verschwand das Herzogtum Sachsen – Jena in den Besitz seiner Vettern. Die barhäuptige, schlicht gewandete knabenhafte Gestalt spricht für die Lebensgeschichte des jungen Herzogs. Doch genauer betrachtet könnte es auch eine mädchenhafte sein. Künstler der Renaissance pflegten bisweilen das echte Leben mit der Legende zu verknüpfen. Über dem „Knaben“, auf einer Konsole, krönt ein kleines Kruzifix das Bildwerk. Als Schöpfer des Portals identifizierten Luise und Klaus Hallof, wie schon Paul Lehfeldt, anhand der Initialen N T L den Steinmetzmeister Niklaus Theiner, der sein künstlerisches Markenzeichen u.a. auch an den Rathäusern in Gera und Magdala hinterließ, korrigierten aber den Kirchenhistoriker hinsichtlich des L mit Lobeda als dessen Herkunftsort – nicht Langensalza oder Leipzig. Eine Tafel links von der Figurensäule

gibt ungewöhnlich ausführlich Auskunft darüber, dass das Richtfest am 9. September 1601 stattfand – dass Gott selbst, Pfarrer Fundanus, die Honoratioren der Stadt sowie das Bürgeler Volk das fromme Werk besorgten, freigiebig unterstützt „in Schrift und Tat“ durch die gnädigsten sächsischen herzoglichen Brüder Friedrich Wilhelm und Johann, dass aber die Holzdecke des Chores, sowie Kanzel und Kirchendach noch zu errichten seien. Eine solche Inschrift, einem Rohbau gewidmet, bleibt merkwürdig. Tatsächlich dauerte es noch 37 Jahre bis zu dessen Vollendung mit dem Bau des Kirchturms. Bereits drei Jahre später wird Bürgel im Dreißigjährigen Krieg „von dem französischen Volcke zum dritten mahl mit fewer angesteckt“. Auch die Kirche brennt nieder. Das wieder aufgebaute Gotteshaus ist, wie die Inschrift einer 1685 angefertigten zweiten Tafel mitteilt „durch den Willen des schrecklichen Schicksals am 21. März 1682 dem Vulcanus zum Opfer gefallen“ und „durch die gewährte göttliche Gnade und die Milde der erlauchtesten Herzöge von Sachsen“ wieder errichtet worden. Die herzogliche Herrschaft bemühte sich auch um den Wiederaufbau der Stadt, ließ Korn billig verteilen und Bauholz, erließ ihr die Bier- und Tranksteuer, erhob Sondersteuern dafür im Land. Beim Eintritt in die Kirche beeindruckt die helle, hohe Halle. Drei Emporen und vier das Chorgewölbe tragende schlanke Holzsäulen, illusionistisch „versteinert“, unterstreichen die erhabene Höhe des Schiffes. Sparsam ornamental farbig verglaste Fenster erfüllen den Raum mit Licht. Den schlichten Altar schmücken Blumen unter einem einfachen Kreuz. Ganz im Sinne des radikalen Reformators Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, ohne von der Andacht ablenkenden Schmuck und Stuck. Der Blick auf die Westseite bietet ein etwas anderes Bild – geprägt von der prachtvollen Orgel auf der zweiten Empore. „In Nomine Domimi ist dieses Orgelwerk Anno 1766 den 5ten May angefangen worden und hat selbiges Mstr. Justinus Ehrenfried Gerhardt von Lindig bey Cala erbauet“, besagt eine 1875 in der Orgel aufgefundene Handschrift. Justinus Ehrenfried, „Stammvater“ der Orgelbauerdynastie Gerhardt, Nachfahre des Liederdichters Paul Gerhardt, schuf für Bürgel sein größtes Werk. Dem Or-

gelbau ging der Wiederaufbau der Johanniskirche nach einer weiteren verheerenden Brandkatastrophe am 7. Mai 1754 voraus. Pfarrer Eckard Waschnewski: „Das Feuer äscherte bis auf ein paar Häuser am Stadtrand ganz Bürgel ein. Auch Kirche, Pfarrhaus, Rathaus, Schule und Brauhaus. Sämtliche Kirchenbücher und Archive, die uns unter Umständen auch über eine Vorgängerorgel hätten Auskunft geben können. Die Stadtväter erlaubten damals, Brennöfen innerhalb der Stadt zu betreiben. Das zog viele Töpfer herbei, führte aber zu häufigen Bränden. Nach dem Brand wurden zwei Brandmeister ernannt und die Brennöfen an den Stadtrand verlegt.“ Nach über hundert Jahren begutachteten die Orgelbauer Poppe (Roda), Witzmann (Stadtilm) und Kopp (Apolda) die Gerhardt-Orgel als defekt, schwindsüchtig und mit Geburtsfehlern behaftet. Ladegast-Schüler Herrmann Kopp erhielt dann den Auftrag, sie für 435 Reichsthaler und freien Mittagstisch zu erneuern. 1875 übergab er nach „einer in allen Theilen als trefflich gelungen bezeichnet zu werden verdienenden Reparatur“ sein Werk den Auftraggebern. Die Orgel litt unter dem Rohstoffmangel für Kriegsgerät in zwei Weltkriegen, doch die Bürgeler brachten immer wieder das Geld für ihre Instandsetzung auf. Symbolisch für Bürgeler Bürgerstolz. Den heutigen guten Zustand verdankt sie der Greizer Orgelbaufirma Hartmut Schüßlers, die sie „in einen historisch belegbaren Zustand“ zurückführte. So erklingt sie nun zum sonntäglichen Gottesdienst, besonders feierlich am Ostersonntag und zu jährlich drei, vier Konzerten, in Abstimmung mit denen in der Klosterkirche zu Thalbürgel. Es lohnt sich, nach Bürgel zu kommen und das hier beliebte Eis-Essen mit einem Rundgang durch das Keramikmuseum, einem Blick in die Johannis-Kirche und einem Abstecher zur Thalbürgeler Basilika, zum „Zinsspeicher“ und in die Thalmühle zu verbinden.

Evangelisch-lutherisches Pfarramt Kirchplatz 1 · 07616 Bürgel · Telefon 03 66 92/2 22 10 Buergel.pfarramt@t-online.de 8


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