Kirchenschätze

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Die Kirche in Zschorgula Versteckt zwischen den Hügeln des Ackerhügellandes liegt Zschorgula. Am Fuße des Kirchbergs, auf dem die Kirche nur wenig die Wipfel der Bäume überragt. Der Ortsname taucht bereits 1240 als Tschornoglowy in einer Urkunde auf und belegt die Ansiedlung von Wenden, die damals mit der „Schwarzen Aue“ und der fischreichen Wethau hier günstige Lebensbedingungen vorfanden. Um diese Zeit gab es vermutlich auch bereits eine kleine Wegekapelle an dem Ort, wo Ende des 14. Jahrhunderts dann eine Kirche entstand. Zschorgula gehörte damals als Filial zur Pfarrei in Schkölen, dessen geistliches Leben das dortige Kloster prägte. Besonders im 15. Jahrhundert als Wallfahrtsort. Um die Seelen der Zschorgulaer und der Bewohner weiterer Dörfer in der Gegend sorgte sich jeweils ein Schkölener Kaplan. Im Verlaufe der Reformation wurde das Kloster 1537 aufgehoben und der letzte Propst evangelischer Pfarrer. Zschorgula erhielt 1575 eine eigene Pfarrstelle. Nach wie vor von Schkölen aus geistlich besorgt. Die Dörfler bauten dem Pfarrer ein Haus vor der Schkölener Stadtmauer, um ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen zu können, denn die Stadttore blieben von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens geschlossen. Es brannte 1714 nieder. Im folgenden Jahr wieder aufgebaut, verfiel es gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Diesmal sorgte die Kirchgemeinde Schkölen für eine neue Pfarrerswohnung. Den bedeutendsten Schatz der heutigen, 1670 umgebaute Kirche zu erreichen, erweist sich als beschwerlich: Abgetretene Holztreppen zwei Emporen hoch, durch eine niedrige, knarrende Tür und über steile Stiegen ins spinnwebenreiche Balkenwerk des Turmreiters. Hier hängt eine der ältesten Kirchenglocken Thüringens. Vielleicht tatsächlich die älteste. Gegossen „zu Ehren der Jungfrau Maria“ am 9. September 1391. Dieses Datum könnte auch einen Hinweis auf die Fertigstellung der Kirche geben. Die Glocke entging auf wundersame Weise der Umarbeitung zu Kriegsgerät und hängt nun neben ihrer großen „eisernen“ Schwester. Diese ersetzte 1921 eine weitere Bronzeglocke von anno 1812, die dem Kanonenguss für den I. Weltkrieg nicht entging. Ein Turmfalkenpaar fand in einer Fensternische des Glockenturms ein Domizil und zieht dort seit Jahren unter Glockengeläute seine Jungen auf.

Die Stahlgussglocke stiftete Clara Heinecke zum Gedenken an ihren gefallenen Sohn Willi. Zwar nicht mit ihm verwandt, erinnert der Name doch an Samuel Heinicke, der 1727 im benachbarten Nautschütz das Licht der Welt erblickte, in Zschorgula zur Schule ging, in der Zschorgulaer Kirche seine Konfirmation feierte und das Orgelspiel erlernte. Obwohl als Erstgeborener der Bauernfamilie zum Hoferben bestimmt, wollte er studieren. Anfangs fügte er sich dem väterlichen Willen, doch als dieser ihn auch noch an ein ungeliebtes Weib verkuppeln wollte, riet ihm ein Freund, mit seiner Auserwählten Marie nach Dresden zu gehen und sich als Soldat beim Kurfürsten zu verdingen. Es kam jedoch eine Prügelei mit dem für Marie vorgesehenen, ihrerseits ebenfalls ungeliebten Mann dazwischen, in deren Folge Samuel stehenden Fußes und ohne Marie das Dorf verließ. Er studierte später in Jena Philosophie und Mathematik, ging nach Hamburg, verdiente sein Brot als Hauslehrer, unterrichtete nebenher taubstumme Kinder, erfand die heute noch gebräuchliche Gebärdensprache und gründete im Auftrage des Kurfürsten 1778 in Leipzig die erste Taubstummenschule Deutschlands. Ein Denkmal für Samuel Heinicke steht in Nautschütz. Neben dem in heiterem Blau und Gold gestalteten, reich mit Ornamenten verzierten Kanzelaltar und der in ähnlicher Weise im ursprünglichen ländlichen Stil renovierten Fassade der leider unbespielbaren Orgel auf der Westempore, birgt das Kircheninnere noch andere bemerkenswerte Raritäten. Auf dem Altar einen handwerklich schlicht gearbeiteten siebenarmigen Leuchter aus vorreformatorischer Zeit. In der Ecke hinter dem Altar an der Südwand ein prachtvoll geschnitztes Totenschild des Nautschützer Rittergutsherrn von Beschwitz aus dem Jahre 1698. Neben dem Aufgang zur Kanzel in einem alten Schrein hinter Glas den Totenschmuck der am 5. November 1817 mit elf Jahren verstorbenen Tochter des damaligen Pächters auf dem Königlich Preußischen Kammergut Nautschütz, Carolina Henriette Krause, ein kunstvoll gestaltetes Krönchen und seidene Grabschleifen, fast zwei Jahrhunderte alt und gut erhalten. Zum Nachdenken regt der unscheinbarer Druck eines Stiches an, der Totenschädel mit Requisiten verschiedener Stände konfrontiert: „Wer

war der Thor, wer Weiser – wer Bettler oder Kaiser ?“. Der Künstler beantwortet die Frage selbst mit „Ob arm, ob reich – im Tode gleich“. Damals wie heute eine wenig tröstliche Aussicht auf lebenszeitliche Gerechtigkeit. Das Kirchengestühl stammt noch aus dem Jahre 1741. Wer in die Kirchenstille lauscht, hört die Holzwürmer ticken und sieht an den kleinen Holzmehlhäufchen das Ergebnis ihres unermüdlichen Wirkens. Auch die Orgel soll aus dieser Zeit stammen. Der Kanzelaltar entstand in einer Nautschützer Werkstatt. Ab 1987 begannen die Zschorgulaer ihre Kirche gründlich zu renovieren. Der Dachreiter, zu einem richtigen steinernen Turm reichte 1690 das Geld nicht, erhielt ein neues Schieferdach und einen neuen Knopf mit einem Posaune blasenden Engel. Eine Nautschützerin spendierte ein neues Dach für das Schiff. Die Restauration ging 1994 weiter, unter anderem mit der Wiederherstellung des alten Ziegelfußbodens und der schönen RenaissanceHolzdecke des Altarraumes. Mit einem Festgottesdienst feierte die Gemeinde am 23. Juli 1996 deren Abschluss. Bereits seit 1598 gab es in Zschorgula eine Schule. Gleich neben Kirche und Pfarrhaus. Jetzt bewohnt und belebt von den Eheleuten Kunigunde und Wolfgang Krömer-Reinke. Nicht nur als ehrenamtliches Küsterpaar, auch als Künstler, respektive Lebenskünstler. Kunigunde Krömer-Reinke stellt hier ihre märchenhaft verklärten Landschaftsbilder und Stillleben aus. Große Formate und Miniaturen. Bilder aus der Natur gesammelt, inmitten von wohlriechenden und heilenden Kräutern und daraus hergestellten naturellen Erzeugnissen, auch nach alter Tradition gemixten Kräuterschnäpsen. Jedes Jahr gibt es vom ersten Sonntag im September an bis zum ersten Sonntag im November eine thematische Verkaufsausstellung. Immer sonntags oder nach vorheriger Anmeldung. Dann gibt es noch den „alten Schulmeister“ Kurt Börner in Zschorgula, den letzten Lehrer der Dorfschule, der in einem alten Hühnerstall ein „Schulmuseum“ einrichtete, das kleinste Museum des Landkreises. Inzwischen erweitert um eine DDR-Heimatstube. Beides ebenfalls nach Vereinbarung zu besichtigen. Es lohnt sich jedenfalls, einmal nach Zschorgula zu wallfahren, hoch auf den Hügel und rund um die Kirche herum.

Evangelische Kirchgemeinde Zschorgula Zschorgula 31 · 07619 Zschorgula · Telefon 03 66 94/2 22 80 kirche.schkölen@web.de 37


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