Kirchenschätze

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Die Kirche in Untergneus Am Sonntag, dem 14. Dezember 1997, fand in der Kirche des kleinen Dorfes Untergneus, unweit von Tröbnitz zwischen Wäldern, Wiesen und Hügeln versteckt, ein ganz besonderes festliches Konzert statt. Der Verein zur Rettung, Bewahrung und Förderung kirchlicher Kunst und Kultur im Umkreis von Stadtroda e.V. feierte im Kreise seiner Freunde und Gönner, gemeinsam mit der ganzen Gemeinde und mit Honoratioren des kirchlichen und öffentlichen Lebens, die Weihe der wiederhergestellten Gerhardt-Orgel. Sebastian Knebel, gelernter Orgelbauer und studierter Kirchenmusiker, Virtuose auf historischen Tasteninstrumenten, entdeckte 1988 die eigenhändige Inschrift des Meisters auf dem Holz des Balges: „Anno 1737 ist die Orgel in Unter Gneuß erbaut worden von Justinius Ehrenfried Gerhard Orgelmacher in Löbschütz“. Der besondere Wert der Barockorgel bestand darin, dass sie im großen Ganzen noch im Originalzustand erhalten geblieben war. Allerdings durch Holzwurm, Nässe und unsachgemäße Reparaturen arg in Mitleidenschaft gezogen. Ein Teil der Pfeifen fiel zudem eingeschmolzen der Rüstung im Ersten Weltkrieg zum Opfer. Ein ersetzbarer Verlust. Ein nicht ersetzbarer die Untergneuser Männer, von denen nur die Erinnerung an sie und ihre Namen auf dem Kriegerdenkmal an der Kirche verblieben. Gemeinsam mit der Organistin Gudrun Seidler, später Schwochow, der Kirchgemeinde und dem Verein zur Rettung kirchlichen Kunstgutes bemühte sich Sebastian Knebel nun um die Wiederherstellung der beschädigten Orgel. Der ältesten Gerhardt-Orgel in der Region und der zweitältesten überhaupt. Nur in der Engerdaer Kirche steht eine noch ältere, aus dem Jahre 1735. Die Galerie der Einladungen im Eingangsbereich der Kirche zu Benefizkonzerten erinnern an die Bemühungen, Gelder für die Instandsetzungsarbeiten einzusammeln. Insgesamt fanden 35 dieser musikalischen Ereignisse, beispielsweise als „Stunde der Musik und Information“ in den Kirchen von Untergneus, Rausdorf und Tröbnitz statt. Eine Messingtafel im Kirchenschiff verzeichnet rund 70 daran beteiligte Solisten, Chöre und Instrumentalgruppen, vom Blockflötenensemble bis zum Streichquartett, vom Jenaer Madrigalkreis und dem Heinrich-Schütz-Chor Gera bis zu den Hofer Vokalisten und Studenten der Musikhochschule „Franz

Liszt“. Dazu namhafte Spender. Selbst eine Dorfkirchenwanderung organisierte der Verein im Rahmen des Internationalen Volkssportverbandes. Mit der Wende entwickelten sich partnerschaftliche Kontakte zum „Freundeskreis Stadtroda“ in Köln, der 79 „Ausgewanderte“ aus Stadtroda und Umgebung vereint, die die ExLaasdorferin Bärbel Oligschläger für die Orgelidee zu begeistern wusste und die nun in Verbundenheit zur Heimat und für den guten Zweck großzügig zu dessen Gelingen beitrugen. „Wenn es um unsere Kirche geht, dann machen vor allem auch die Untergneuser selbst alles Mögliche und manches Unmögliche möglich. Um das Orgelprojekt sinnvoll verwirklichen zu können, mussten wir zuallererst mal das Gebäude baulich in Stand setzen. Das Walmdach des Langhauses war 1960 neu beschiefert worden, nun bedurfte die undichte Kuppel des Turmreiters dringend einer Erneuerung. Als die beschlossen war, stand wieder das ganz Dorf dahinter. Jung und Alt unterstützte das Vorhaben. Jeder so, wie er konnte. Vor allem standen uns der baufachkundige Pfarrer Bächer aus der Nachbargemeinde Trockenborn-Wolfersdorf, Maurermeister Gräfe und Schieferdecker aus Lehesten mit Rat und Tat zur Seite. Das Gerüst um den Turm bauten wir selber auf. Das war ein ziemlich waghalsiges Unternehmen. Aber Mitte Juni 1991 fand dann das Knopffest statt, bei dem in einem akrobatischen Kraftakt der Turmknopf nebst neuer Wetterfahne aufgesetzt wurde“, erinnert sich Jens Rödger, selbständiger Forstdienstleister in Untergneus, der jüngst das Ehrenamt des Kirchenältesten vom Vater Erhard „erbte“. Das alles kostete ja nun DM, und gar nicht wenig. Insgesamt 77 Tausend. Davon kamen 40 Tausend von der Denkmalpflege. Den Rest brachten die Gemeinden Ober- und Untergneus auf und die befreundete Evangelische Gemeinde Volberg bei Köln kam mit dem Erlös einer „Orgelkollekte“ zum Fest. Der Turmknopf enthielt höchst interessante Dokumente über den Bauabschluss der Kirche im Jahre 1820 und über die damaligen dörflichen Verhältnisse, auch über die 1906 herrschenden, als der Knopf bei Erneuerung der Turmspitze schon einmal geöffnet wurde. 1991 kamen Zeugnisse der neuen Zeit hinzu, neben DM auch ein „100 Marx-Schein“. Dauerhaft in einer Blech-

büchse verlötet. Wann wird wer den Knopf das nächste Mal öffnen? EinSchriftstück im Turmknopf wies leider nur darauf hin, der Vorgängerbau der heutigen Kirche „verriet ein ziemlich hohes Alter“, so dass eine genaue Zeitangabe über seine Entstehung weiter im Dunkel bleibt. Der durch das ziemlich hohe Alter bedingte Verfall führte jedenfalls 1820 zum Abriss des alten und innerhalb weniger Monate zum Bau des jetzigen Gotteshauses. Bereits 1880 blühte durch den Salzgehalt des verwendeten Sandsteins der Putz aus. Vermutlich infolge dessen blieb das Mauerwerk seitdem unverputzt und zeigt sich im naturfarbigen Mosaik der Buntsandsteinquader. Im Kircheninneren fällt der schlichte barocke Kanzelaltar im lichten Chorraum ins Auge. Gekrönt vom Gottesauge im Strahlenkranz. Links und rechts flankiert von der hölzernen Sakristei. In einigem Abstand zum Chor zieht sich die zweigeschossige, auf Säulen gestützte Empore um den Andachtsraum, den hohe, einfach rechteckig gestaltete Fenster erhellen. Zu dessen bescheidenem Schmuck gehören Bildnisse von Martin Luther und Philipp Melanchton an der Orgelempore. Darunter ein bemerkenswertes Kreuzigungsfragment, gestaltet von Hans-Georg Kremer, einem der Mitstreiter im vorn genannten Verein zur Bewahrung der kirchenkulturellen Schätze. „Die Kirchendecke ließen wir bereits vor der Orgelweihe neu malen. Damit das kostbare Instrument nicht bei Malerarbeiten zu Schaden kommen konnte. Nun sind die Wände und vor allem die Emporen an der Reihe. In unserem Dorf leben nur 80 Leute, da fällt es schwer, eine doch verhältnismäßig große Kirche zu unterhalten. Wir nehmen uns jedes Jahr ein Projekt vor. In einem Jahr die Bankheizung, im nächsten das Pflastern der Wege“, umreißt Jens Rödger bereits geschaffte Vorhaben. Jedenfalls soll die Kirche ein „Aushängeschild“ des Dorfes bleiben. Die Wetterfahne auf ihrer Turmspitze dreht sich mit dem Winde. Sie zeigt die Jahreszahl des letzten Knopffestes von 1991, nicht die ihrer Erbauung 1820. Ein geringfügiges Versehen in Anbetracht der vielen Bemühungen der Gemeinde, die sich um die Kirche drehen.

Kirchgemeinde Untergneus · Pfarramt Trockenborn Dorfstraße 12 · 07646 Trockenborn · Telefon 03 64 28/4 26 80 kg-troebnitz-trockenborn@t-online.de 35


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