Die Kirche in Graitschen Das Dorf Graitschen liegt im romantischen Tal der Gleise, eingebettet zwischen dem Alten Gleisberg im Südwesten und der Mönchskuppe im Norden. Schon in grauer Vorzeit lebten hier Menschen. Funde am Gleisberg aus der jüngeren Steinzeit und der Bronzezeit weisen darauf hin. Als im Verlaufe der Völkerwanderung Slawen zwischen Elbe und Saale siedelten, ließen sie sich auch im Gleistal nieder. Die erste urkundliche Erwähnung von „Critchin“ findet sich 1146 in einer Verfügung des Naumburger Bischofs Udo I. Die Geschichte der wehrhaft anmutenden Kirche begann vermutlich als gotische Marienkapelle. Erneuert unter dem Patronat derer von Wangenheim im 16. Jahrhundert, erfuhr sie eine Erweiterung durch einen Fachwerkanbau. Ein Teil des gotischen Gebäudes blieb beim letzten großen Umbau 1911 erhalten, harmonisch ergänzt zu dem ansehnlichen heutigen Gotteshaus. Eigentlich konnte sich die Gemeinde eine solche Kirche gar nicht leisten. Der Kostenvoranschlag des Weimarer Architekten Röhr belief sich auf die für diese Zeit gewaltige Summe von 29 800 Mark. Doch der damals amtierende Pfarrer Hermann Brehmer gründete eine Kirchenbaukasse und zahlte als erster sieben Pfennige ein. Während seiner Amtszeit von 1868 bis 1909 kamen immerhin 22 690 Mark zusammen. Als dann der Rittergutsbesitzer Arno Urban 7 500 Mark zuschoss und sein Nachfolger Hauptmann von Mutius auch noch 6000 Mark, stand der Grundsteinlegung am 1. März 1911 nichts mehr im Wege. Zwei der kunstvollen Buntglasfenster, die den Chorraum farbenfroh erhellen, stifteten die Mitglieder der Familie von Wangenheim. Sie zeigen die Kreuzigung des Heilands und die Segnung der Kinder durch Jesus. Das dritte Fenster widmeten Hugo Eisenschmidt und Frau, Besitzer der Untermühle, „der lieben Heimatgemeinde“. Es zeigt unter anderem die Kirche vor dem Umbau. Ein Fenster im Kirchenschiff trägt die Inschrift: „Dem Andenken unseres treuen, langjährigen Seelsorgers, des Pfarrers Hermann Brehmer, des unermüdlichen Förderers des Kirchenbaus gewidmet. Die dankbare Gemeinde Graitschen.“ Pfarrer Brehmer schied 1909 aus dem Amt und verstarb am 13. November 1911 in Jena. Pfarrer Schwarz würdigte seine Verdienste anlässlich des Richtfestes: „... Jahre-
lang ist unter der Leitung und der Anregung meines Vorgängers für diesen Bau gesammelt worden. Den hiesigen Bewohnern war die projektierte Kirche so ans Herz gewachsen, dass sie, obwohl nicht mit reichen Glücksgütern gesegnet, eine liebenswerte Opferwilligkeit entfalteten, die manche reiche Gemeinde beschämt und in den Schatten gestellt. Sonntag für Sonntag sind tropfenweise die kleinen Gaben zusammengeflossen, aber aus dem vielen Wenig ist ein Viel geworden“. Pfarrer Schwarz vergaß natürlich nicht, die großherzigen großherzoglichen Zuwendungen aus dem goldenen Jubiläumsfonds der Karl-Alexander-Stiftung und seine Ermächtigung zur Ausschreibung zweier Landeskollekten hervorzuheben. Pfarrer Brehmer und die Gemeinde setzten sich mit der Kirche ein Denkmal, insofern sie bis heute „... nicht bloß unserem Orte zur Zierde gereicht, sondern dass sie nun mehr auch in ihrer inneren Gestaltung geeignet ist, Gott zu ehren und die Gemeinde zu erbauen“. Das Geld reichte sogar noch für eine neue Orgel und zwei Glocken. Die Orgel baute August Müller aus Bad Berka. „Ein wunderschönes pneumatisches Instrument mit besonderem Klang für romantische Weisen“, schwärmt die Küsterin Marianne Weigelt, „nachdem sie Jahrzehnte lang nicht mehr erklang, konnten wir sie 2004 restaurieren. Dank der unermüdlichen Bemühungen des jetzigen Kreisheimatpflegers Norbert Klose um die dazu notwendigen Fördermittel von Landeskirche und Land. Professor Leidel aus Weimar spielt sie besonders gern und legt uns immer wieder ans Herz ‚passen sie gut auf meine Orgel auf ’. Als wir sie einweihten, standen vielen Graitschenern die Tränen in den Augen. Sie hatten die Orgel vorher noch nie gehört.“ Den Guss der Glocken übertrug damals die Gemeinde eines wohlklingenden Geläutes wegen dem Apoldaer Hofglockengießermeister Franz Schilling. Leider fielen sie dem Metallbedarf der Rüstungsindustrie im Ersten Weltkrieg zum Opfer. Schilling und Söhne gossen 1926 zwei neue, die dann für die Opfer des Krieges läuteten, die gefallenen Graitschener. Ursprünglich verfügte die Graitschener Kirche über ein mittelalterliches Dreiergeläut. Die beiden größeren der drei Glocken ließen sich dem Naumburger Glockengießer Nikolaus Rimann und der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu-
ordnen. Die kleinste Glocke stellt einen besonderen Schatz dar. Sie gilt als eine der ältesten in Deutschland erhalten gebliebenen und stammt aus der Zeit um 1100. Sie befindet sich als „Schatz außer Haus“ heute im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Bereits 1884 wollte Pfarrer Brehmer die gesprungene Glocke zugunsten der Kirchenbaukasse an das Germanische Museum der Universität Jena verkaufen. Ein Jahr später erhielt er dazu die Genehmigung, doch der Ankauf scheiterte aus finanziellen Gründen. Das Nürnberger Museum sprang ein und kaufte sie 1888 für 90 Mark. Das Pfund Glocke zu 60 Pfennig, plus Aufschlag für den archäologischen Wert. Fünf Jahre später zersprang auch die größte Glocke, als sie ein Schulknabe zum Schulgang läutete und zu heftig anschlug. Kirchliche und weltliche Gemeinde wirken nach wie vor Hand in Hand, wenn es um ihr schmuckes Dorf und ihre Kirche im Dorfe geht. Eine stattliche Kirche, die dazu sehenswerte Schätze birgt. Mindestens noch das Kruzifix von 1419. Der Gekreuzigte erhielt jüngst ein vergoldetes Lendentuch an Stelle des vorher weinroten. Die Kirchenbänke und die Verkleidung der Empore in verschiedenen warmen Grüntönen vermitteln eine hoffnungsvoll feierliche Stimmung. Grün und Gold harmonieren mit den Farben der Renaissance. Das an den „Patron“ Balthasar von Wangenheim erinnernde Epitaph zeigt die Auferstehung, gut erhalten, in den originalen Farben. Die ursprünglichen Farben der Kanzel liegen noch unter jüngeren Deckschichten verborgen. Im Verborgenen, unter dem Altar, ruhen auch die Verblichenen derer von Wangenheim. Die Grabstätte des Graitschener Ehrenbürgers Hermann Brehmer gestaltete Frank Rub, der als Bildhauer und Maler mit seiner gleichfalls Kunst schaffenden Frau Eve hier im gemeinsamen Atelierhaus lebt. Sie liegt, wie der verehrte Seelsorger es sich wünschte, an der Kirche, neben seiner Ehefrau und seiner Mutter, von Efeu bedeckt zwischen zwei Fliederbüschen.
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