Clubmagazin ACS Automobil Club der Schweiz - Ausgabe Mai 2012

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Politik

Gotthard: ohne Gegenverkehr sicherer! Ende März 2012 erschien in der Sonntagspresse ein Artikel mit dem Titel «Zweite Röhre macht Fahrt nicht sicherer. Bau eines neuen Tunnels durch den Gotthard könnte laut Experten gar zu mehr Unfällen führen.» Im Artikel selber wird dann eine «Studie» der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) zitiert, die zum Schluss kommt: «Mehr Verkehr, mehr Unfälle.» So jedenfalls lautet ein Zwischentitel im Artikel. In der Folge nahmen verschiedene Tageszeitungen das Thema auf und äusserten sich ebenfalls zum Dokument der bfu. Dieses von der bfu als «Positionspapier» bezeichnete Dokument ist nicht grundsätzlich falsch und auch die darauf basierenden Zeitungsartikel sind korrekt verfasst. Trotzdem wirft das Positionspapier verschiedene Fragen auf.

Der Alpenschutzartikel der Bundesverfassung lässt im Gotthardtunnel keine Kapazitätserweiterung zu. Die aktuelle Diskussion um den Bau einer zweiten Röhre wurde deshalb ausschliesslich durch die Tatsache ausgelöst, dass die bestehende, 1980 eröffnete Röhre umfassend erneuert werden muss. Die Erneuerung bedingt eine Schliessung des Tunnels für insgesamt 900 Tage. Das für die Arbeiten und Kosten idealste Vorgehen wäre eine Vollsperrung des Tunnels für zweieinhalb Jahre. Grundsätzlich auch denkbar ist eine Aufteilung der 900 Sperrtage auf mehrere Jahre. Der Bund hat aufgezeigt, dass es möglich sein sollte, den Ausfall des Tunnels zumindest teilweise durch einen für die Dauer der Sperrung eingerichteten Bahnverlad zu kompensieren. Allerdings ist mittlerweile klar, dass die erforderlichen Provisorien sehr viel kosten würden und die Verladeanlagen für die Kantone Tessin und Uri einschneidende Konsequenzen hätten. Deshalb fordert zum Beispiel auch der Kanton Tessin, dass vor der Schliessung der bestehenden Röhre der heutige Sicherheitsstollen zu einer zweiten Röhre ausgebaut wird. Er besteht aber ausdrücklich darauf, dass nach Abschluss der Erneuerungsarbeiten zwar beide Röhren genutzt, aber nur einspurig befahren werden sollen. Dieses Modell stösst vielerorts auf Akzeptanz.

diesen an der Wirtschaftlichkeit orientierten Ansatz im Grundsatz unterstützt, kann das durchaus differenzierter sehen. Immerhin sind es doch – zusätzlich zu anderen Faktoren – weitere rund hundert Millionen Schweizer Franken, die für die zweite Röhre sprechen.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es, wie breit sich die bfu in ihrem Positionspapier zu den Auswirkungen eines vierspurigen Betriebs eines zweiröhrigen Gotthardtunnels auslässt. Denn nur bei dieser Ausgangslage kann es zum – gemäss einer Studie von Abbay & Meier aus dem Jahre 2002 allerdings marginalen – Mehrverkehr kommen, welcher im Positionspapier angesprochen wird. Trotzdem sieht die bfu auch bei einer einspurigen Nutzung der Tunnelröhren erstaunlicherweise keinen Grund, den Bau der zweiten Röhre zu unterstützen. Im Positionspapier wird zwar ausgeführt, dass durch die zweite Röhre die prognostizierte Anzahl der im Tunnel jährlich Verletzen und Getöteten von heute elf auf fünf reduziert würde. In der wirtschaftlichen Analyse wird dann aber festgestellt, dass die zu erwartende Reduktion der Verunfallten nur einer Einsparung von – auf die Betriebsdauer des Tunnels hochgerechnet – 93 Millionen Schweizer Franken entspreche und diese in keinem Verhältnis zum rund 2000 Millionen teuren Bau der zweiten Röhre stehe. Auch wer

Eindrücklich auch diese Aussage des Urner Polizeikommandanten: «Wenn man sich des Leides und der Kosten bewusst wird, die diese Unfälle verursachen und sich zudem vergegenwärtigt, dass der Bund/ASTRA derzeit mit dem Projekt Via sicura grösste Aufwendungen betreibt, um teils im marginalen Bereich eine Erhöhung der Verkehrssicherheit herbeizuführen, so müsste wohl die Aufhebung des Gegenverkehrs im Gotthardstrassentunnel sofort realisiert werden.»

Eine sehr klare Meinung vertritt der Kommandant der Kantonspolizei Uri, Reto Habermacher. In seinem «Argumentarium zum Thema Sanierung Gotthardstrassentunnel» hält er fest, dass in den Jahren 2002 bis 2010 sechs Menschen durch Frontalkollisionen ihr Leben verloren. Weitere sechzig Personen wurden im Rahmen von Streifkollisionen mit entgegenkommenden Fahrzeugen verletzt.

Ohne Gegenverkehr im Tunnel wäre nach 2001 kein einziges Todesopfer zu beklagen gewesen. Ohne Gegenverkehr im Tunnel wären kein einziges Todesopfer und nur acht Verletzte zu beklagen gewesen.

Der im Gegenverkehr betriebene Gotthardstrassentunnel entspricht den aktuell gültigen Sicherheitserwartungen und -normen definitiv nicht mehr. Nutzen wir doch die einmalige Gelegenheit der anstehenden Erneuerung und bringen den längsten Strassentunnel der Alpen wieder auf Vordermann! Niklaus Zürcher, Direktor Automobil Club der Schweiz

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