Welcome to the Good Economy

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Paul Gutmann Welcome to the Good Economy


© 2003 propheten.com Welcome to the Good Economy Paul Gutmann Hab&Gut Edition 12004 Made in Germany/Europe © 2004 Hab&Gut, Frankfurt Rhein-Main Ryszard Lempart und Michael Kuhlmann Ungekürzte Erstausgabe

500 Exemplare limitiert Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags und der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und digitale Medien, auch einzelner Teile. Satz auf Macintosh in Adobe Garamond bei Klaus Tietze, Lithografie bei Michael Dietl, Druck und Produktion bei Peter Braun, Frankfurt Der Verkaufspreis dieses Buches beträgt 19,95 €. 10 % des Verkaufspreises sind bereits zu Gunsten der „Kinder von Bhandar“ abgeführt. Weitere Informationen finden Sie unter www.propheten.com Ideen und Anregungen: www.habundgut.ch ISBN 3-00-013900-1


Über dieses Buch

Inhalt

Unser Wirtschaftssystem befindet sich in einer Krise. Eines der vielen Symptome ist das Klima der allgemeinen Verunsicherung. Trotz beachtlicher Innovationsbemühungen und eines enormen Kommunikationsaufwands gelingt es immer weniger, für mehr Wachstum und stärkere Inlandnachfrage zu sorgen. Dagegen richtet sich das Konzept der Good Economy. Es analysiert die geistigen und materiellen Ursachen der schleichenden Destabilisierung. Daraus wird ein neues Wertschöpfungsmodell entwickelt, in dem ethisches Marketing den Absatz nachhaltig stimuliert. Good Economy ist eine pragmatische Antwort auf die andauernden Fehlversuche der Ordnungspolitik, den Wohlstand zu sichern und über die Landesgrenzen hinaus zu verbreiten. Sie transferiert die Idee der Sozialen Marktwirtschaft in unternehmerisches Denken und Handeln. Eine wichtige Lektüre für Manager, Marketingfachleute und Politiker, die nach neuen Wegen der Zukunftsgestaltung suchen.

Anmerkung der Herausgeber Vorwort 1. Das Unglück der Habseligen 2. Das strategische Denken und seine Folgen 3. Die Erfolgsfaktoren des ethischen Marketings 4. Von Werbung zu werthaltiger Kommunikation 5. Die Ethik und das Bewusstsein der Freiheit 6. Welcome to the Good Economy


Anmerkung der Herausgeber Das vorliegende Buch enthält Schriften zu Good Economy. Wir haben sie aus den hinterlassenen Fragmenten zusammengetragen und durch protokollierte Diskussionsbeiträge vervollständigt. Bei jeder Schrift war es darüber hinaus notwendig, einen kurzen einführenden Text voranzustellen, um die Verständlichkeit der anschließenden Überlegungen zu erleichtern. Dies geschah stets mit größter Sorgfalt und nicht ohne Rücksprache mit den entsprechenden Experten. Wir danken allen, die zum Erscheinen dieser Publikation beigetragen haben.

Michael Kuhlmann

Ryszard Lempart


Vorwort zur ersten Auflage

„Unsere Wirtschaft kann heute Waren und Dienstleistungen in einem fast unbegrenzten Umfang bereitstellen. Doch es wird immer schwieriger, die Güter profitabel abzusetzen. Die Ausgaben für Marketing steigen ins Unermessliche, ohne dass dabei die gesetzten Absatzziele realisiert werden können. Auf der anderen Seite brauchen wir unbedingt eine permanent hohe Nachfrage, weil davon unser Wohlstand abhängt.“ Diese Aussage stammt von Paul Gutmann. Er gilt seit kurzem als verschollen. Sein Verschwinden löste unter seinen Freunden Trauer und Entsetzen aus. Der Geschäftsmann galt als Verfechter des ethischen Marketings. Dabei interessierte ihn vor allem der Zusammenhang von Absatzwirtschaft und Wohlstandssicherung. Paul Gutmann war der Meinung, dass der Wohlstand nicht nur mit dem wirtschaftlichen System, sondern auch 11


mit der ethischen Einstellung zusammenhängt. Er bemängelte, dass die Ethik immer mehr aus dem Wirtschaftsleben verschwindet und das System dadurch destabilisiert wird. Als Reaktion darauf entwickelte er die Idee der Good Economy. Er konnte sie leider selbst nicht zu Ende denken. Gutmann hat ein einziges Mal öffentlich über seine Idee gesprochen. Dies geschah im Rahmen eines Vortrags vor einem Marketingclub. Darin hieß es unter anderem: „Wir werden die wachsenden Wirtschaftsprobleme nicht lösen, wenn wir die Steigerungslogik des klassischen Marketings fortsetzen. Wir können nicht immer bessere und immer schönere Produkte anpreisen, ohne die Konsequenzen zu bedenken, die sich daraus für unsere gesamte Wirtschaft ergeben ... Deshalb brauchen wir ein neues Programm, das die ökonomische Wertschöpfung mit dem sozialen Wertebewusstsein vernetzt. Wir brauchen Good Economy … Good Economy sichert den Wohlstand, weil sie die entscheidenden Bedürfnisse der Menschen befriedigt. Es sind die Bedürfnisse nach Sicherheit, Anerkennung und Selbstbestätigung. Die Marketingstrategen wissen seit Jahren, dass es auf diese Bedürfnisse ankommt. Sie sehen sie aber meistens zu stark unter materiellen und zu wenig unter sozialen Gesichtspunkten …

Preise und Distribution eine wichtige Rolle. Entscheidend ist aber die Kommunikation. Sie beeinflusst maßgeblich nicht nur die Wettbewerbsstellung der einzelnen Marken, sondern das gesamte Konsumklima … Marketing ist nur dann wirksam, wenn die Kommunikation glaubwürdig ist. Es kommt nicht nur auf schöne Worte, sondern auch auf gute Taten an. Diese entstehen aus der Selbstverpflichtung zum produktiven Teilen. Dafür verwende ich die englische Wortschöpfung „sharety“. In der sharety liegt die Keimzelle der Good Economy … Good Economy schafft Hilfe zur Selbsthilfe. Je erfolgreicher wir sind, desto mehr sollten wir anderen helfen. Damit gleichen wir sozioökonomische Ungleichgewichte aus … Good Economy sorgt für sozialen Ausgleich. Sie sichert aber auch den Wohlstand, indem sie den Absatz stimuliert. Die Verbraucher werden in die produktive Wertkette integriert und damit an den guten Taten beteiligt. Das macht sie zufrieden, sicher, vor allem aber konsumfreudiger …

Unsere wirtschaftlichen Probleme sind heute vor allem Absatzprobleme. Natürlich spielen im Marketing Produkte,

Wir bezahlen heute viel mehr als die Produkte, die wir kaufen, materiell wert sind. In den Preisen steckt immer ein ideeller Markenwert. Wir könnten diesen Mehrwert ethisch veredeln und damit neue Wertschöpfungspotenziale erschließen. Das funktioniert allerdings nur, wenn wir werthaltige Kommunikation betreiben …“

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Der Vortrag stieß auf Skepsis. Einige Zuhörer hielten dem Referenten Naivität und Gutgläubigkeit vor. Sie argumentierten, dass die harten Wettbewerbsbedingungen keine Rücksicht auf die Ethik nehmen würden. Auch die Verbraucher wären nur an ihren eigenen Vorteilen interessiert. Gutmann reagierte darauf gelassen:

Nach Gutmann folgen wirtschaftliche Entscheidungen zunehmend identischen Mustern. Marketingverantwortliche und Käufer leben in demselben System und werden von ihm in gleicher Weise geprägt. Sie handeln formal ähnlich. Diese Ähnlichkeit zeigt sich im strategischen Charakter ihrer Entscheidungen.

„Der Markt wartet auf Good Economy, auch wenn wir das heute noch nicht genau erkennen können. Die Geschichte hat gezeigt, dass Strukturen, Prozesse und Sortimente der Absatzwirtschaft einem ständigen Wandel unterliegen. Der Markt als Gesamtgeschehen folgt aber einem Selbsterhaltungstrieb. Er sorgt selbststeuernd für Veränderungen, die sein Überleben sichern …“

Als strategisch bezeichnete Gutmann diejenigen Handlungsmuster, die auf die Sicherung des eigenen ökonomischen Vorteils ausgerichtet sind. Unternehmen müssen aus seiner Sicht immer strategisch denken. Doch strategisches Handeln führt zu Problemen, wenn es von allen Gesellschaftsmitgliedern praktiziert wird. Dann verliert unsere Wirtschaft insgesamt an Leistungskraft und Stabilität. Nicht nur Manager entscheiden heute strategisch, sondern auch Kunden und Mitarbeiter. Daraus leitete Gutmann die Notwendigkeit der Good Economy ab. Die flächendeckende Verbreitung des strategischen Denkens fordert ethische Gegenmaßnahmen des Marketings. In diesem Punkt gilt es umzudenken.

Good Economy ist eine Marketingidee. Unter Marketing verstand Gutmann die Ausrichtung der Absatzwirtschaft auf den Markt. Das hielt er zwar für eine insgesamt ungeheuer komplexe Aufgabe. Er glaubte aber, die Komplexität auf den Aspekt der Entscheidungen reduzieren zu können. Der Erfolg des Marketings zeigt sich laut Gutmann in den Absatzzahlen. Diese hängen wiederum von Entscheidungen ab. Einerseits sind es die Entscheidungen der Marketingverantwortlichen, andererseits die Entscheidungen der Käufer. Wer die Entscheidungsstrukturen durchschaut und die Entscheidungsprozesse zielführend beeinflussen kann, hat im Marketing etwas zu sagen.

Das gesamte Gedankengebäude der Good Economy umfasst fünf Bausteine und eine zusammenfassende Darstellung.

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Die ersten beiden Schriften erläutern die Notwendigkeit des ethischen Marketings. Sie sind das analytische Fundament des Gedankengebäudes. Wir brauchen Good


Economy, weil das Käuferbewusstsein es immer schwieriger macht, die Nachfrage in einer vernünftigen Kosten-NutzenRelation zu erzeugen („Das Unglück der Habseligen“). Darüber hinaus erfordert unser Wirtschaftssystem ethische Erneuerung, weil die Kaufentscheidungen zunehmend strategisch getroffen werden und das Wirtschaftssystem dadurch immer mehr geschwächt wird („Das strategische Denken und seine Folgen“). Die beiden nächsten Schriften beschäftigen sich mit den Inhalten der Good Economy. Sie sind die konzeptionellen Säulen des Gedankengebäudes. Gutmann skizziert zuerst die „Erfolgsfaktoren des ethischen Marketings“. Anschließend geht er auf die kommunikative Ausrichtung der Marketingaktivitäten ein („Von Werbung zu werthaltiger Kommunikation“).

anschaulicht. Die Schrift gibt die Inhalte des zitierten Vortrags wieder. Dieser begann mit den Worten: „Welcome to the Good Economy“. Im Unterschied zur Politik kommt es im Marketing nicht auf die Personen, sondern auf die Konzepte an. Deshalb spielt es keine große Rolle, dass niemand weiß, wo sich Paul Gutmann gegenwärtig aufhält. Wir können sogar nicht sicher sein, ob er überhaupt noch lebt. Seine Gedanken sind aber sehr real.

In der fünften Schrift geht es um die Widerstände, die das ethische Bewusstsein der Verbraucher blockieren und wie sie überwunden werden können. Das Gedankengebäude bekommt eine operative Handlungsmaxime. Dabei wird deutlich, wie man das strategische Denken der Verbraucher ethisch überlisten kann. Gutmann zeigt aber auch, woher unser soziales Verantwortungsbewusstsein kommt („Die Ethik und das Bewusstsein der Freiheit“). Die abschließende Schrift fasst das Konzept zusammen. Das Gedankengebäude wird in komprimierter Form ver16

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Kapitel 1

Das Unglück der Habseligen

Die Stabilität einer Gesellschaft beruht auf materiellem Wohlstand und sozialer Solidarität. Für den Wohlstand sorgt die freie Marktwirtschaft. Die Solidarität hängt dagegen mit der ethischen Einstellung der Bürger zusammen. Die Gesellschaft verliert an Stabilität, je mehr sich das ökonomische System von den Regeln der Ethik entfernt. Die besondere Gefahr besteht darin, dass die sozialen Werte aus dem Bewusstsein der Verbraucher verschwinden. Die vorliegende Schrift untersucht diese Gefahr. Sie zeigt, wie das ökonomische System die Menschen in die Falle der Habseligkeit lockt und was die Wirtschaft dagegen tun könnte, ohne den Wohlstand zu gefährden.

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*** Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft. Diese zeichnet sich durch Produktivität, Besitz und Konsum aus. Wir erwirtschaften viel und verbrauchen viel. Der Kreislauf von Gütererzeugung und Verbrauch hält unsere Wirtschaft am Leben. Er sichert auch unseren Wohlstand. Zwei Gefahren bedrohen unseren Wohlstand Es gibt zwei große Gefahren, welche die Stabilität unserer Wohlstandsgesellschaft bedrohen. Die eine hat sozialen Charakter und hängt mit den ungleichmäßigen Besitzverhältnissen zusammen. Wenn der Wohlstand nicht gerecht verteilt ist, treten Spannungen und Feindseligkeiten zwischen den Wohlhabenden und den Wenig- bzw. Nichtshabenden auf. In Folge kommt es zu Auseinandersetzungen, die in Gewalt und Chaos enden können. Die zweite Gefahr liegt beim Absatz. Unsere Wirtschaft stellt Waren und Dienstleistungen im hohen Ausmaß bereit. Aber sie werden unzureichend nachgefragt, weil es entweder bessere bzw. preiswertere Importangebote gibt oder unser Bedarf gesättigt ist. Unsere Wirtschaft braucht den Export. Der Binnenmarkt spielt bei der Wohlstandssicherung aber auch eine wichtige Rolle. Wir sind auf den heimischen Erwerb und Konsum unserer Güter angewiesen. Die notwendige Absatzförderung obliegt dabei dem Marketing. 20

Strategisches Marketing gerät zunehmend unter Druck Das Marketing sorgt für den Absatz unter den Bedingungen des zunehmenden Wettbewerbs. Die harte Konkurrenz zwingt die Marketingfachleute dazu, sich auf den Absatzerfolg zu konzentrieren, ohne die gesellschaftlichen Konsequenzen zu bedenken. Man könnte diese Art von Marketing als strategisches Marketing bezeichnen. Durch strategische Positionierungskonzepte soll die Wettbewerbsstellung der einzelnen Marken optimiert werden. Das strategische Marketing gerät heute zunehmend unter Druck. Das zeigt sich zum Beispiel in der schlechter werdenden Kosten-Nutzen-Relation des Werbeaufwands. Die Gründe dafür werden in der steigenden Komplexität der Medienwelt sowie in der fortschreitenden Individualisierung, Fragmentierung und Differenzierung der Zielgruppen gesehen. Hinter diesen Entwicklungen steht aber eine übergreifende Tendenz, die durch kein strategisches Marketing überwunden werden kann. Es ist die Tendenz, dass das Bewusstsein der Wohlstandsbürger zunehmend ambivalent (doppelwertig) wird. Ökonomisches und soziales Denken gehen auseinander Die Spaltung zwischen dem sozialen und dem wirtschaftlichen Bereich bestimmt zunehmend unser Denken. Man kann sie auch als Spannungsverhältnis von Ökonomie 21


und Ethik bezeichnen. Das strategische Marketing kümmert sich wenig um dieses Phänomen, weil es selbst ein Produkt dieser Spaltung ist. Den Marketingstrategen geht es überwiegend um Ökonomie und nicht um Ethik. Das wachsende Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und Ethik trägt maßgeblich dazu bei, dass die beiden Gefahren unserer Wohlstandsgesellschaft (ungleichmäßige Besitzverteilung und unzureichende Nachfrage) immer bedrohlicher werden. Darin steckt auch eine wirtschaftliche Herausforderung, weil die Politik – wie wir noch sehen werden – damit nicht allein fertig werden kann. Hierbei kommt dem Marketing eine besondere Aufgabe zu. Es ist nämlich das einzige Wirtschaftsinstrument, das die Spaltung aufheben könnte. Schauen wir uns die Spaltung zwischen Ökonomie und Ethik etwas genauer an. Sie spiegelt sich in einer volkstümlichen Redewendung wider: Bei Geld hört die Freundschaft auf. Warum eigentlich? Warum trennen wir zwischen dem wirtschaftlichen Denken und der sozialen Einstellung? Und warum ist es so schwer, ökonomische und ethische Zielvorstellungen unter ein gemeinsames Dach zu bringen?

Logik. Sie lassen keine Kompromisse zu. Der kategorische Imperativ von Kant ist dafür beispielhaft. Der berühmte Philosoph fordert den unbedingten Gehorsam vor dem inneren Gesetz des Gewissens. Danach sollten wir tun, was wir für richtig halten, egal, welche Folgen sich daraus für uns ergeben. Auch wenn wir dadurch zum Beispiel materielle Nachteile in Kauf nehmen würden, sollte unsere ethische Haltung davon unbeeinflusst bleiben. Zu der Haltung der ethischen Unbedingtheit ist die Mehrheit der Bevölkerung einfach nicht in der Lage. Der Normalbürger sieht keinen Sinn darin, ehrenwerte Taten zu vollbringen, wenn er sich dadurch selbst in das eigene Fleisch schneidet. Wir haben zwar ein schlechtes Gewissen, wenn wir etwas Unrechtes tun. Doch wir folgen oft nicht der inneren Stimme, die uns an die ethischen Pflichten erinnert, wenn unsere ökonomischen Interessen bedroht sind.

Die Ethik stellt zu hohe Ansprüche

Unsere Gesellschaft hat das Dilemma erkannt. Sie hat eine unsichtbare Mauer zwischen dem wirtschaftlichen und dem sozialem Bereich errichtet. Diese soll uns davor schützen, in unauflösbare Zielkonflikte von Ökonomie und Ethik zu geraten. Wir haben diese Mauer im Kopf, wenn wir zum Beispiel über geschäftliche Dinge reden. Deshalb hört bei uns die Freundschaft auf, wenn es um Geld geht.

Das Problem liegt im unbedingten Charakter ethischer Forderungen. Die Grundsätze der Ethik folgen einer rigiden

Wir verzichten nicht auf die Ethik. Wir verbannen sie aber immer mehr aus dem wirtschaftlichen Bereich, weil

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ihre Grundsätze dort nicht konfliktfrei zu realisieren sind. Das Marketing steht vor demselben Problem. Es lässt die ethischen Anforderungen lieber links liegen und konzentriert sich auf ökonomische Zielsetzungen. Damit handeln die Marketingstrategen systemkonform. Doch das System nimmt auf längere Sicht einen Schaden davon. Sozioökonomische Zielkonflikte destabilisieren das System Ein System, in dem es permanent Zielkonflikte zwischen dem ökonomischen und ethischen Werten gibt, kann nicht längerfristig stabil bleiben. Denn die Ambivalenz wirkt sich negativ auf die Menschen und ihre sozialen Beziehungen aus. Schon Kinder sind davon stark betroffen. Sie wachsen mit einem gespaltenen Bewusstsein auf, dass sie verunsichert und labil macht. Bei Erwachsenen führt die Ambivalenz oft zur ideologischen Verblendung. Um den inneren Zielkonflikt zu bewältigen, entscheiden sich viele Menschen zugunsten eines Wertebewusstseins und lehnen das andere ab. Sie preisen entweder die ökonomische Überlegenheit der freien Marktwirtschaft und handeln rücksichtslos nach den Spielregeln des Kapitalismus. Oder sie werden zu fundamentalen Sozialkritikern der ökonomischen Ausbeutungsprozesse und fordern eine ethische Neuorientierung, die sie sogar mit Hilfe von Gewalt durchsetzen möchten.

nungen und politischen Auseinandersetzungen zum Ausdruck kommen. Nimmt man hinzu, dass zwischen den Verfechtern des reinen Kapitalismus und den Ideologen der sozialen Gerechtigkeit in der Regel auch große materielle Unterschiede bestehen, können die Konflikte sehr leicht eskalieren. Das System verliert dadurch langfristig an Stabilität. Da stellt sich natürlich die Frage, wer etwas dagegen tun könnte. Die Ordnungspolitik soll, aber kann kaum noch vermitteln Es ist anzunehmen, dass sich die wenigsten Manager und Marketingfachleute von der Frage angesprochen fühlen. Die meisten Wohlstandsbürger halten einen Ausgleich zwischen ökonomisch Starken und sozial Schwachen für notwendig. Sie glauben aber, dass diese Aufgabe dem Staat obliegt. Die Ordnungspolitik kann die Zielkonflikte zwischen Ökonomie und Ethik zwar nicht aus der Welt schaffen, doch es ist ihre Pflicht, für einen gerechten Ausgleich zu sorgen.

Ein ambivalentes Wertesystem fördert die Bildung gegensätzlicher Ideologien, die in Form von sozialen Span-

Wir leben in einem ambivalenten Wertesystem, in dem der Ordnungspolitik eine Brückenfunktion zukommt. Die freie Wirtschaft strebt nach dem Profit. Die Gesellschaft soll sich an sozialen Werten orientieren. Der Staat hat eine ausgleichende Aufgabe, indem er entstehende Ungleichgewichte korrigiert. Das Ganze ergibt die Soziale Marktwirtschaft. So lautet wenigstens die Theorie, an die die meisten Wohlstandsbürger glauben.

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Die Praxis sieht anders aus. Die ausgleichende Ordnungspolitik wird ihrer Aufgabe immer weniger gerecht. Angesichts der bestehenden Sachzwänge schafft sie weder optimale Wirtschaftsbedingungen noch ist sie in der Lage, das Auseinandergehen der Schere zwischen den Wohlhabenden und den Weniger- bzw. Nichtshabenden zu stoppen. Wir als Wohlstandsbürger wurden jahrzehntelang daran gewöhnt, dass die Ordnungspolitik für den sozialen Ausgleich zuständig war. Davon profitierte unser Gewissen. Wir konnten die Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft an den Staat delegieren. Von diesem vermeintlichen Delegationsrecht haben wir jahrzehntelang regen Gebrauch gemacht. Die Wohlsandsbürger glaubten lange Zeit, dass die Soziale Marktwirtschaft für die Prosperität und Stabilität sorgen würde. Jetzt merken sie langsam, dass es ein Trugschluss war. Die Ressourcen und Handlungsspielräume der Ordnungspolitik nehmen ab. Unser sozioökonomisches System ist zunehmend gefährdet. Das ökonomische Denken verdrängt das ethische Bewusstsein

gleiche Konkurrenten. Die Ökonomie verfügt über erheblich mehr Macht. Die Ethik scheint dagegen ein stärkeres Beharrungsvermögen zu haben. Wir teilen unser Leben heute in zwei Sphären ein. Beruflich nehmen wir viele ökonomische Zwänge in Kauf, um uns materiell abzusichern. Privat möchten wir aber unsere eigenen Vorstellungen vom Leben verwirklichen. Hier ist auch Platz für die Befriedigung ethischer Bedürfnisse. Die Trennung zwischen dem Beruflichen und dem Privaten nimmt zu. Nicht aber zwischen der ökonomischen und der sozialen Sphäre des Lebens. Wir ziehen uns zunehmend ins Private zurück. Es gelingt uns aber immer weniger, dem ökonomischen Denken zu entkommen. Die Ethik ist im Laufe der Jahre immer mehr aus dem wirtschaftlichen Alltag verschwunden. Diese Entwicklung setzt sich fort. Die Ökonomie beherrscht zunehmend unsere Privatsphäre. Angebote für Gemeinschaft, Kultur, Sport, Freizeit, Gesundheit, Reise und Erholung folgen kommerziellen Konzepten und stellen die ökonomischen Interessen in den Mittelpunkt. Das strategische Marketing wirkt an der Kommerzialisierung maßgeblich mit. Ethische Werte werden als soziale Bedürfnisse vermarktet

Ökonomie und Ethik sind in unserer Gesellschaft zu ambivalenten Bewusstseinsformen geworden. Sie stehen im inneren Wettbewerb um das Weisungsrecht für unser Denken und Handeln. Doch es handelt sich um zwei un-

Der Siegeszug des wirtschaftlichen Denkens scheint für das strategische Marketing nützlich zu sein. Wenn Menschen glauben, dass sie Erfolg oder Glück kommerziell

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erwerben können, ist es auch möglich, ihnen entsprechende Angebote zu unterbreiten. Als Folge verschwindet die Ethik zunehmend aus dem Blickwinkel der Marketingstrategen. Wenn ethische Werte überhaupt in der Markenwelt auftauchen, dann nur in Form von sozialen Bedürfnissen, die durch Erwerb und Konsum befriedigt werden sollen. Schauen wir das am Beispiel der „Freundschaft“ an. Es handelt sich dabei sowohl um einen ethischen Wert („Ich bin für meine Freunde da“) als auch um ein soziales Bedürfnis („Ich brauche Freunde, um mich wohl zu fühlen“). Viele Marketingkonzepte setzen auf die Freundschaft. Sie meinen damit aber lediglich, dass sich die Freundschaft wie eine Ware kaufen lässt. Strategisches Marketing vermarktet ethische Werte als soziale Bedürfnisse. Dadurch prägt es auch maßgeblich das Bewusstsein der Wohlstandsbürger. Als ein Gut wird zunehmend nur das gesehen, was einem gut tut. Man möchte sich etwas Gutes tun, weil man sich sonst vermeintlicher Weise gar nichts gönnt.

dominantes Lebensziel. Man könnte sie als Habseligkeit bezeichnen. Denn diejenigen, deren Denken und Handeln dadurch gekennzeichnet ist, glauben offensichtlich, durch das Haben von Produkten und Dienstleistungen selig zu werden. „Der Mensch lebt nicht von Brot allein. Etwas Wurst gehört auch dazu.“ Diese Worte stammen von Woody Allen. Sie veranschaulichen, wie das Streben nach der Habseligkeit das Bewusstsein der Wohlstandsbürger in Beschlag nimmt. Die Marketingstrategen halten die Habseligkeit für einen Segen. Solange ökonomische Werte das Bewusstsein der Verbraucher dominieren, solange lässt sich ihrer Meinung nach alles verkaufen. Diese Auffassung ist ziemlich kurzsichtig. Sie übersieht die sozioökonomischen Nebenwirkungen, die sich aus dieser Bewusstseinsform für unsere gesamte Wirtschaft ergeben. Die Elite geht mit negativem Beispiel voran

Die Kommerzialisierung des Privatlebens, die Glorifizierung der ökonomischen Werte und die marketingstrategische Ausbeutung der sozialen Bedürfnisse ließen eine besondere Mentalitätsform der Wohlstandsbürger entstehen. Diese sieht in der Erfüllung der Konsumbedürfnisse ein

Die erste Nebenwirkung besteht darin, dass unsere Gesellschaft ihre ethischen Grundlagen verliert. Daran ist vor allem die Wohlstandselite schuld. Wie sie mit ihrem Geld umgeht, ist für die ganze Nation richtungsweisend. Die Prominenten und Vermögenden stehen heute im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Mit ihrem Verhalten prägen sie die Verhaltensmuster der Habseligkeit, die anschließend von den gewöhnlichen Wohlstandsbürgern übernommen werden.

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Die Wohlstandsbürger streben nach der Habseligkeit


Der verschwenderische Umgang der Wohlstandselite mit dem Geld zerstört zunehmend das ethische Bewusstsein der gesamten Bevölkerung. Die Medien vermitteln uns immer mehr das Bild, dass die Prominenten und Vermögenden der Habseligkeit frönen und sich immer weniger für das Schicksal des Landes interessieren. Ob das wirklich stimmt, sei dahin gestellt. Es wird aber jeden Tag darüber berichtet, wie sich die Reichen ihr Lebensglück gönnen, während es mit unserer Wirtschaft und Gesellschaft bergab geht. Die Wohlstandselite bewegt sich heute in einem öffentlichen Raum. Alles, was sie tut, liefert Anlässe für die Berichterstattung der Medien. Sie sollte sich dieser Verantwortung bewusst werden. Ihr Streben nach der Habseligkeit darf sich nicht gegen das ethische Wertebewusstsein richten. Es gibt keine Ethik, die nur für Prominente und Vermögende gilt. Deshalb darf sich die Wohlstandselite keine ethischen Freiheiten herausnehmen. Wenn sie es trotzdem tut, untergräbt sie die sozialen Grundlagen unserer Gesellschaft. Das hat auch ökonomische Konsequenzen. Viele Menschen sind von der Wohlstandselite enttäuscht. Auf der anderen Seite versuchen sie ihr nachzueifern und geben deshalb ihre sozialen Wertvorstellungen immer mehr auf. Das führt zum allgemeinen Sittenverfall, der zunehmend die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit tangiert. Denn ohne ethisches Wertebewusstsein wird es immer schwieriger, weiche Erfolgsfaktoren wie Loyalität, Teamwork, Kooperations30

bereitschaft oder Solidarität unter den Mitarbeitern abzurufen. „Nun gut“, könnten jetzt manche Marketingstrategen sagen. „Was interessiert uns der ethische Werteverfall. Wir werden doch am Absatz gemessen. Das Streben nach der Habseligkeit bietet dafür eine gute Voraussetzung. Oder?“ In der langfristigen Perspektive scheint es leider nicht so zu sein. Die Habseligkeit wird langfristig zum Absatzrisiko Der Konsum wird vom Wunschdenken angetrieben. Wir geben unser Geld aus, um unsere Vorstellungen vom Glück zu realisieren. Darin liegt das latente Risiko der Habseligkeit. Denn sie kann uns gar nicht richtig glücklich machen. In unserer Gesellschaft brauchen wir Geld, damit es uns gut geht. Ohne materielle Ressourcen fühlen wir uns als Bürger zweiter, dritter oder vierter Klasse. Dennoch kommt es nicht nur darauf an, wie viel wir besitzen. Der ökonomische Wohlstand bildet sicherlich die Grundlage unserer Zufriedenheit. Die ethischen Werte werden zwar immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Sie verschwinden aber nicht völlig aus unserem Bewusstsein. Das strategische Marketing darf sich nicht der Illusion hingeben, dass die Habseligkeit den Absatz langfristig auf hohem Niveau aufrechterhalten kann. Das ist deshalb nicht 31


möglich, weil es Wünsche gibt, die nicht durch den Konsum erfüllt werden können. Die ethischen Werte lassen sich zwar ökonomisch uminterpretieren. Sie können aber nicht als Konsumbedürfnisse befriedigt werden. Eines der höchsten Bedürfnisse der Wohlstandsbürger ist die Sehnsucht nach Glück. Das strategische Marketing positioniert häufig seine Markenbotschaften als Glücksversprechen. Das Glück lässt sich aber nur zum Teil kaufen. Im Wesentlichen hängt es damit zusammen, wie wir mit unserem Leben zurechtkommen. Das Glück hat eine materielle und eine existenzielle Seite. Es besteht aus Haben und aus Sein. In unserer Gesellschaft können wir kaum glücklich werden, wenn es uns an Geld mangelt. Dennoch sind die Vermögenden mit ihrem Leben nicht zufriedener als diejenigen, die viel weniger besitzen. Ein Mensch kann so viel haben, wie er will, ohne deshalb dem Glück auf die Spur zu kommen. Das Glück strebt nach Freiheit und guten Taten

Es manifestiert sich im erfüllten Augenblick der Freiheit. Wenn wir etwas geleistet oder erreicht haben, das unsere Vorstellung vom freien Leben verwirklicht, stellen sich bei jedem von uns Glücksgefühle ein. Dann genießen wir den Augenblick, weil er uns wunschlos glücklich macht. Das Glück strebt nach Freiheit und guten Taten. Das behauptete wenigstens Goethe. Er ließ seinen Faust auf Hunderten von Versseiten nach dem erfüllten Augenblick streben, ohne dass sich ein befriedigendes Ergebnis einstellte. Erst im Bewusstsein, immer wieder Gutes zu tun, kam der Held zu der Weisheit letztem Schluss und sagte: „Nur der verdient die Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“ Das war natürlich die reine Dichtung. Die Wahrheit ist aber nicht weit davon entfernt. Die Wohlstandsbürger sehnen sich danach, frei und glücklich zu sein. Doch das Streben nach der Habseligkeit bringt sie von dem richtigen Weg ab.

Glück ist das Höchste, was die Marketingkommunikation ihren Adressaten versprechen kann. Was aber ist Glück? Es lohnt über diese Frage nachzudenken. Denn die Absatzförderung hat in einer materiell saturierten Wohlstandsgesellschaft viel damit zu tun. Natürlich hat jeder von uns seine eigene Definition von Glück. Das ändert aber nichts daran, dass das Glück eine bestimmte Erlebnisform hat.

Auch die Habseligen möchten den erfüllten Augenblick erleben, um ihn in vollen Zügen zu genießen. Wenn sie sich ihre Wünsche erfüllen, verspüren sie tatsächlich eine innere Befriedigung. Es gibt allerdings einen fundamentalen Unterschied zwischen der Freiheit und der Habseligkeit. Während das Freiheitserlebnis unser Bewusstsein nachhaltig prägt, hat der Zustand der Habseligkeit einen flüchtigen Charakter. Die Wohlstandsbürger fühlen sich nur kurze Zeit mit dem glücklich, was sie besitzen. Der Wunsch nach

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Habseligkeit treibt sie stetig dazu, sich mit dem bereits Erworbenen nicht zufrieden zu geben. Die Habseligen fühlen sich zunehmend frustriert „Um so besser“, könnte jetzt ein Marketingstratege sagen. „Wenn die Habseligen das eigentliche Glück niemals erreichen können, dann werden sie ewig kaufen und konsumieren. Der Absatz bleibt dadurch stets auf hohem Niveau.“ Leider handelt es sich dabei um einen Trugschluss. Die Zufriedenheit der Habseligen hängt zwar davon ab, dass sie sich alles Mögliche leisten können. Damit geraten sie aber auch in eine Abhängigkeit. Sie spüren, dass ihr Wohlbefinden vom Kaufen und Konsumieren abhängt. Ihr Freiheitsbewusstsein wird dadurch empfindlich getrübt. Jeder Genuss unterliegt einem Abnutzungseffekt. Je stärker wir ihm nachgehen, desto größer muss die Dosis sein, um unser Verlangen zu befriedigen. Die Habseligen brauchen immer mehr, um denselben Befriedigungseffekt zu erzielen. Sie geraten in eine Konsumabhängigkeit und erleben diese zunehmend als Freiheitsverlust.

nicht gelingen wird, sie wirklich in den Mund zu bekommen. Das Unglück der Habseligen besteht darin, dass sie immer mehr konsumieren, ohne dadurch richtig zufrieden zu werden. Ihre Frustrationsschwelle nimmt ab. Dies ist nicht nur ein individuelles Problem. Es gefährdet auch unsere gesamte Absatzwirtschaft. Der Zeitpunkt rückt immer näher, dass die Habseligen aus ihren Frustrationen die unvermeidliche Konsequenz ziehen. Bei hohem Sättigungsgrad und niedriger Frustrationsschwelle wenden sie sich langsam vom Konsum als ihrem vermeintlichen Glücksmacher ab. Dann wird es dem Marketing immer schwerer fallen, den Absatz effektiv und effizient anzukurbeln. Bereits heute sind die Habseligen nicht mehr so leicht zu begeistern wie früher. Einige hören gar nicht mehr auf die Glücksbotschaften der Marketingkommunikation. Sie verfügen über große finanzielle Reserven, geben aber ihr Geld trotzdem nicht aus, weil sie einfach nicht wissen, was sie richtig glücklich machen könnte. Wir brauchen ethisches Marketing

Die Habseligen durchschauen mit der Zeit zunehmend ihre Abhängigkeit. Ihre Lust am Konsum kann sie deshalb immer weniger zufrieden stellen. Sie kommen sich wie ein Esel vor, der einer Karotte nachjagt. Diese hängt zwar immer vor ihren Augen und zwingt sie dazu, den Karren immer weiter zu ziehen. Sie merken aber, dass es ihnen

Wie kann die Absatzwirtschaft der Gefahr der enttäuschten Habseligkeit entgegenwirken? Theoretisch lässt sich die Frage so beantworten: Wir brauchen ein neues Marketing. Ein Marketing, das uns zeigt, wie die Wohlstandsbürger ihr Geld ausgeben können, um wirklich Frei-

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heit und Glück zu erleben. Dieser Ansatz lässt sich nur realisieren, wenn die Marketingstrategen ihr ethisches Bewusstsein aus der Versenkung zurückholen. Deshalb können wir ihn als ethisches Marketing bezeichnen. Bei ethischem Marketing geht es nicht um die traditionelle Wohltätigkeit. Vielmehr sollen soziale Wertvorstellungen in den ökonomischen Handlungsmustern nachhaltig integriert werden, um für höhere Wertschöpfung zu sorgen. Dann hätten wir eine Good Economy – also ein Marketing, das zugleich wirtschaftliche und gemeinnützige Ziele realisiert. Ist dies nicht naiv gedacht? Hat Good Economy wirklich die Kraft, für eine Brücke zwischen dem kommerziellen Denken und der ethischen Einstellung zu schlagen? Natürlich ist Good Economy zunächst nur ein theoretischer Ansatz. Doch es gibt bereits praktische Beispiele von Unternehmen, die erkannt haben, dass ethisches Marketing ihre Wettbewerbsstellung fördert. Sie verwenden dafür allerdings einen viel zu schwachen Begriff, wenn sie in diesem Zusammenhang von Social Marketing sprechen. Social Marketing bezeichnet eine Klasse von Marketingaktivitäten, die sich auf einen bestimmten Bereich beziehen. Daneben gibt es andere Bereiche wie Sport-Marketing oder Kultur-Marketing. Ethisches Marketing ist dagegen nicht bereichsspezifisch. Es charakterisiert vielmehr ein 36

umfassendes Wertschöpfungsmodell, bei dem ökonomisches Handeln mit sozialer Ausgleichsleistung kombiniert wird. Es gibt den Begriff der ethischen Arzneimittel. Dabei handelt es sich um Medikamente, die nur vom Arzt verschrieben werden können. „Ethisch“ ergibt sich in diesem Fall aus dem Nachweis der medizinischen Wirksamkeit. Ethisches Marketing bedeutet etwas Ähnliches im Hinblick auf die sozioökonomische Wirksamkeit. Im ethischen Marketing liegen noch unausgeschöpfte Absatzpotenziale. Sie können aber nur unter einer Bedingung effizient ausgeschöpft werden: Die Wirtschaft muss tatsächlich etwas Gutes tun. Nur wenn sie wirksame Kompensationsleistungen erbringt, kann die Marketingkommunikation daraus Kapital schlagen. Good Economy sorgt für positives Konsumklima, indem sie Gutes tut und die Menschen daran beteiligt. Sie siedelt die Ethik innerhalb statt außerhalb der ökonomischen Prozesse an. Auf der anderen Seite nimmt sie dem sozialen Verantwortungsbewusstsein die Vorbehalte gegen den Konsum. Sie fördert den Absatz aus ethischen Handlungsmotiven. So viel zum theoretischen Ansatz der Good Economy. Die praktische Umsetzung ist natürlich viel schwieriger. 37


Die erste Hürde besteht darin, die Haltung der Habseligkeit zu verändern. Denn diese steht der Ausschöpfung ethischer Absatzpotenziale im Wege. Das Problem kann man auch so formulieren: Wie lässt sich die Habseligkeit aufheben, ohne auf den Konsum zu verzichten? Der Konsum treibt unsere Wirtschaft voran und ist für unsere Wohlstandsgesellschaft überlebenswichtig. Doch die Marketingstrategen sollten die Angst verlieren, dass er nur durch ökonomische Anreize angekurbelt werden kann. Der Konsum braucht neue Anreize Das strategische Marketing ängstigt sich vor dem Konsumverzicht der Verbraucher. Die Furcht ist berechtigt. Stellen wir uns nur vor, was passieren würde, wenn die Habseligen die Konsequenzen aus ihren Frustrationserfahrungen zögen. Sie würden nur noch das kaufen, was sie unbedingt bräuchten. Sie hätten kein Verlangen nach neuen Kleidern, Möbeln, Fernsehern, Hi-Fi-Anlagen, Handys, Computern, Kücheneinrichtungen, Autos, Wohnungen oder Häusern, egal, welche Glücksversprechen sie mit dem Erwerb dieser Güter verbinden würden. Sie würden das Konsumieren als ein Muss empfinden. Die ökonomischen Folgen der Konsumverweigerung wären verheerend. Das gesamte System fiele in eine tiefe Depression. Die industriellen Arbeitsplätze würden immer mehr verschwinden. Der Strom der Arbeitslosen könnte 38

nicht im Dienstleistungssektor untergebracht werden, weil die Kaufkraft rapide nachlassen würde. Die Wohlstandsbürger könnten kaum noch eine Dienstleistung in Anspruch nehmen. Sie hätten auch kein Geld, um auszugehen oder in Urlaub zu fahren. Zum Schluss wären sie froh, wenn sie überhaupt noch etwas zum Essen und Trinken bekämen, weil immer mehr Lebensmittelgeschäfte schließen würden. Die kollektive Konsumenthaltsamkeit der Wohlstandsbürger stellt eine radikale Gefährdung unseres Wohlstands dar. Sie ist umso größer, je stärker wir materiell gesättigt sind. Das strategische Marketing ist sich dieses Risikos bewusst. Es verfolgt aber einen falschen Ansatz, indem es das Streben nach der Habseligkeit fortwährend anregt. Stattdessen sollte es sich auf Motive konzentrieren, die jenseits des ökonomischen Denkens liegen. Das strategische Marketing bemüht sich mit aller Kraft, die Wohlstandbürger zur Habseligkeit zu erziehen. Es tut dies aus Überlebensgründen. Auf längere Sicht ist die Wirkung aber kontraproduktiv. Sie schärft das Misstrauen gegen unglaubwürdige Glücksversprechen und macht viele Konsumenten dagegen resistent. Viele Wohlhabende sehen sich als Wenighabende Natürlich sind nicht alle Konsumenten auf dem Weg, durch das Streben nach der Habseligkeit frustriert zu wer39


den. Es handelt sich bei den Frustrierten vor allem um die Wohlhabenden. Die Nichtshabenden würden gerne einmal habselig werden. Doch es fehlt ihnen einfach an Geld, sich das materielle Glück zu leisten.

Die Synthese von Haben und Sein

Bei den Wohlhabenden findet zurzeit ein Spaltungsprozess statt. Dieser Prozess fällt aber offensichtlich nicht auf, weil sich die Spaltung im Kopf der Betroffenen abspielt. Seine Auswirkungen sind aber deutlich zu spüren. Der Prozess zeigt sich darin, dass viele Wohlhabende weniger kaufen, als sie sich es tatsächlich leisten könnten. Es gibt in unserer Gesellschaft viele Wohlhabende, die anfangen, sich als Wenighabende zu verstehen. Dieses betrifft vor allem die durchschnittlich gut verdienenden Bürger aus der Mittelschicht. Da viele von ihnen für ihr Geld heute eher weniger bekommen als früher, während die Wohlstandselite immer reicher wird, gewinnen sie den subjektiven Eindruck, als ob es ihnen nicht gut ginge. Der wachsende Abstand zu den Reichen macht sie glauben, dass sie arm seien.

Das Leben hat eine materielle und eine existenzielle Dimension. Erich Fromm sah in Haben und Sein zwei grundverschiedene Lebensformen. Die Freiheit hatte für ihn einen ethischen Charakter, der dem wirtschaftlichen Gewinnstreben entgegengesetzt war. Deshalb plädierte er für die Alternative des Seins. Er wurde dadurch dem Haben als dem produktiven Antrieb unseres Wohlstands allerdings nicht ganz gerecht. Vor die Frage gestellt, ob sie wohlhabend sein möchten oder in Armut frei leben wollen, entscheiden sich die meisten Wohlstandsbürger für den Besitz und Konsum. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das Glück ohne materielle Ressourcen auskommen würde. Deshalb lautet ihre Lebensalternative nicht Haben oder Sein. Sie suchen vielmehr eine Synthese von wirtschaftlicher Sicherheit und individueller Freiheit.

Die Wohlhabenden, die sich als Wenighabende betrachten, schränken am ehesten ihren Konsum ein. Sie geben nicht viel aus, weil sie sich vor einem weiteren Wohlstandsverlust fürchten. Dabei spüren sie immer mehr, dass man das Glück auch außerhalb des kommerziellen Erwerbs finden kann. Deshalb lassen sie sich von den Glücksversprechen der Marketingkommunikation immer weniger

Es ist unklug, das Streben nach dem materiellen Wohlstand als falsch abzutun. Immerhin verdanken wir diesem Streben das Aufblühen unseres Wirtschaftssystems und die vielleicht beste Gesellschaft unserer Zeit. Was allen materiell ein besseres Leben ermöglicht, ist auch ethisch als gut zu bezeichnen. Die Absatzwirtschaft darf jedoch nicht auf die Ethik verzichten, wenn die Wohlstandsgesellschaft, auf

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motivieren und folgen stattdessen ihren eigenen Lebensvorstellungen.


die sie angewiesen ist, langfristig überleben soll. Die Wohlstandsbürger finden ihr Glück nicht im Haben oder im Sein. Sie brauchen sowohl das Geld als auch die Freiheit, die man nicht kaufen kann. An dieser Zielvorstellung orientiert sich das ethische Marketing. Es bildet eine Synthese von Haben und Sein.

was auffällt, prägt sich aber wirklich ein. Eine kreative Lösung muss dem Wertebewusstsein der Zielgruppe gerecht werden. Nur dann kann sie eine nachhaltige und glaubwürdige Wirkung entfalten.

Zur praktischen Anwendung Ethisches Marketing beginnt mit der Analyse des Käuferbewusstseins. Es stellt fest, welche Motive die Nachfrage bestimmen. Dann werden ökonomische und soziale Aspekte zunächst getrennt und anschließend wieder zu einem Werteprofil zusammengeführt. Auf der Basis des Werteprofils wird eine Markenphilosophie entwickelt. Sie umfasst einerseits die guten Taten, die den ethischen Wertvorstellungen der Zielgruppe entsprechen. Andererseits werden darin ökonomische Vorteile festgelegt. Good Economy setzt auf die Markenphilosophie von guten Taten und werthaltigen Worten. Davon wird noch ausführlich die Rede sein. Hier soll nur erwähnt werden, dass die Güte und Werthaltigkeit der Marketingkommunikation in der prägenden Wirkung liegt. Diese ist nicht mit Kreativität zu verwechseln. Die Kreativität wird heute zunehmend mit der Auffälligkeit gleichgesetzt. Nicht alles, 42

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Kapitel 2

Das strategische Denken und seine Folgen

Das Wirtschaftssystem prägt maßgeblich das Verhalten der Menschen. Es bestimmt auch die Grundmuster der Kaufentscheidungen. Die Wohlhabenden entscheiden zunehmend nach strategischen Gesichtspunkten. Dabei wirkt sich die Gesamtheit ihrer Entscheidungen negativ auf das Wirtschaftssystem aus. Die folgende Schrift untersucht dieses Phänomen. Sie zeigt, dass unsere Wohlstandsgesellschaft eine neue Vision braucht und welche Rolle das ethische Marketing darin spielen könnte.

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*** Das Marketing stellt heute eine sehr umfangreiche Disziplin dar. Man kann sie aber auf einen Aspekt reduzieren. Wie werden Marketingentscheidungen getroffen und wie entscheiden die Käufer? In diesem Sinne ist Marketing vor allem ein Entscheidungsmodell. Kausale, strategische oder ethische Entscheidungen Die Entscheidungsmotive können niemals gänzlich aufgeschlüsselt werden. Denn es ist kaum möglich, in die Gedanken- und Gefühlswelt der Entscheider hineinzuschauen. Es scheint aber, als ob es drei verschiedene Arten von Entscheidungen gibt. Man kann sie als kausal, strategisch oder ethisch bezeichnen.

Wenn man weiß, nach welchen Prioritäten eine Person entscheidet, dann lässt sich die Entscheidung voraussagen. Die Spieltheorie stellt zum Beispiel die Entscheidungsprognosen für Situationen auf, in denen sich die Entscheider gegenseitig beeinflussen. In solchen Situationen entscheidet das strategische Denken über den Ausgang. Das ethische Modell geht davon aus, dass Entscheidungen nach sozialen Werten getroffen werden. Soziale Werte spiegeln die Interessen der Gemeinschaft, nicht nur des Individuums, wider. Ein ethisches Modell wird in der Regel weltanschaulich begründet. Danach handeln die Entscheider aufgrund bestimmter Ideologien und Glaubenssätze. Wer die Weltanschauungen einer Interessengruppe kennt, kann sie in ihrem Verhalten beeinflussen. Das heutige Marketing orientiert sich am kausalen und strategischen Modell. Im Hinblick auf die eigenen Entscheidungen lässt es sich von dem strategischen Ansatz der Nutzenberechnung leiten. Gegenüber den Konsumenten geht es aber davon aus, dass sich deren Verhalten kausal beeinflussen lässt. Man müsse nur die entsprechenden Kausalitäten kennen.

Das kausale Modell geht davon aus, dass Entscheidungen mechanisch ausgelöst werden. Wenn das Marketing die Kausalität kennt, kann es die Entscheidungen direkt beeinflussen. Die Werbepsychologen untersuchen zum Beispiel die kausalen Beziehungen zwischen Reizen und Reaktionen. Daraus leiten sie die These ab, dass bestimmte visuelle oder verbale Botschaften zu bestimmten Kaufentscheidungen führen.

Das strategische Marketing misst mit zweierlei Maß

Das strategische Modell schiebt zwischen den Reiz und die Reaktion eine Nutzenberechnung der Entscheider ein.

Viele Marketingstrategen halten diese Differenz für selbstverständlich. Wer selbst strategisch denkt, glaubt oft

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daran, die Entscheidungen der anderen kausal beeinflussen zu können. Darin kann er sich aber leicht täuschen. Es spricht vieles dafür, dass die Kaufentscheidungen der Wohlstandsbürger nicht kausal erfolgen, sondern zunehmend strategischen Charakter haben.

lässt sich nur mit Hilfe von strategischen oder ethischen Modellen erklären. Strategisch denkende Konsumenten halten den Nutzen der Werbebotschaft für gering. Ethische Entscheider lehnen die Werbebotschaft ab, weil sie mit ihren sozialen Werten nicht übereinstimmt.

Das strategische Marketing hat vier Arbeitsfelder: Produkt, Distribution, Preis und Kommunikation. In den ersten drei Feldern ist das strategische Denken sehr wichtig, auch wenn es immer schwieriger wird, sich dadurch nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu sichern. Deshalb kommt es zunehmend auf die Kommunikation an. Gerade in diesem Bereich denken die Marketingstrategen sehr stark in kausalen Entscheidungsmodellen.

Das System prägt die Entscheidungsmuster

Die Kausalität gilt sicherlich für die Schaffung der Aufmerksamkeit. Hier spielt die Signalwirkung einer Botschaft eine wichtige Rolle. Die Marketingkommunikation sollte aber weit über diese Zielsetzung hinausgehen, wenn sie ihren Kostenaufwand legitimieren will. Denn es reicht nicht aus, auf Produkte und Dienstleistungen aufmerksam zu machen. Diese müssen auch über Kommunikation verkauft werden.

Schauen wir uns unser Wirtschaftssystem etwas genauer an. Es lässt sich sagen, dass es an sich gut ist. Aber so, wie wir es praktizieren, ist es nicht gut genug, den wachsenden Anforderungen standzuhalten. Das liegt zum großen Teil am System selbst. Es verleitet die Akteure dazu, strategisch zu handeln. Dadurch wird seine Stabilität gefährdet. Das hört sich wie ein Widerspruch an. Ein kleines Beispiel kann uns aber vom Gegenteil überzeugen. Es geht um den Fachhandel. Dieser hat sehr unter dem strategischen Verhalten der Verbraucher zu leiden.

Es kommt häufig vor, dass eine Werbebotschaft mit hoher Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen wird, ohne dass sich ein Verkaufserfolg einstellt. Eine solche Abweichung zwischen Wissen und Handeln der Verbraucher 48

Entscheidungen werden maßgeblich durch das sozioökonomische System geprägt, in dem sie getroffen werden. Ein und derselbe Akteur kann sich durchaus unterschiedlich entscheiden, je nach dem, in welchem System er sich befindet. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ sagte Marx. Seine These scheint auch für das Marketing wichtig zu sein.

Der Fachhandel ist eine Stütze unserer Volkswirtschaft. Er bietet qualifizierte Arbeitsplätze und verfügt über hohe 49


Beratungskompetenz. Davon profitieren auch die Wohlstandsbürger. Viele von ihnen nehmen die Beratung gerne in Anspruch. Sie kaufen aber lieber beim Discounter, weil es dort einfach billiger ist. Dagegen können die wenigsten Marketingstrategen etwas tun. Unsere Wirtschaft würde gewiss überleben, auch wenn der Fachhandel gänzlich zugrunde ginge. Doch es fällt ihr immer schwerer, alle destabilisierenden Tendenzen des strategischen Handelns der Wohlstandsbürger zu verkraften. Deshalb geht es nicht um branchenspezifische Strategien. Wir brauchen vielmehr einen übergreifenden Ansatz, der auf die gesamte Wirtschaft übertragbar ist. Das obige Beispiel könnte den Eindruck erwecken, als ob die Wohlstandsbürger an den Schwierigkeiten unserer Wirtschaft schuld wären, weil sie strategisch denken. Eine solche Auffassung geht am Problem vorbei. Die Schuldfrage spielt keine Rolle. Wir werden gleich näher darauf eingehen. Die Gesellschaft leidet unter strategischem Denken Unser sozioökonomisches System ist an sich gut konzipiert. Es könnte auch hervorragend funktionieren, wenn sich die Wohlstandsbürger an einige ethische Grundregeln halten würden. Sie tun das aber immer weniger. Sie halten sich nicht an die Regeln, sondern nutzen sie zu ihrem Vorteil aus, ohne sich um die Konsequenzen ihrer Entschei50

dungen zu kümmern. Wenn wir die Regeln zu unserem Vorteil ausnutzen, begehen wir kein Unrecht. Wir handeln systemkonform. Es ist legitim, die Regeln so auszulegen, dass man davon profitiert. Dennoch führt ein solches Verhalten zu schwerwiegenden Konsequenzen. Schauen wir uns einige Konsequenzen an. Der Staat bittet uns immer mehr zur Kasse. Wir bekommen immer weniger Sozialleistungen. Unsere Renten sind unsicher. Unsere Kinder erhalten keine gute Ausbildung. Die Zahl der Arbeitslosen bleibt auf hohem Niveau. Der Schuldenberg der Kommunen und Gemeinden steigt. Unsere Wirtschaftskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit haben sich verschlechtert. Die Schere zwischen Wohlhabenden und Wenighabenden geht immer mehr auseinander. Die Konsequenzen sind gefährlich. Sie sorgen für Verunsicherung und schlechtes Konsumklima. Wir fühlen uns alle bedroht. Die Wohlstandselite fürchtet um ihren materiellen Besitz. Die Mittelschicht hat Angst vor dem sozialen Abstieg. Die Wenighabenden fühlen sich zunehmend sozial ausgegrenzt. Die Nichtshabenden sind verzweifelt. Jede Interessengruppe verschanzt sich hinter ihren Ansprüchen und ist nicht bereit, freiwillig auf erworbene Leistungen zu verzichten. Um sich zu behaupten, setzt sie das strategische Denken ein. Das strategische Denken besteht darin, stets nach dem größten Eigennutz zu streben. Es lässt ethische Einwände außer Acht. Dadurch wird die Soziale Marktwirtschaft 51


einer zunehmenden Beanspruchung ausgesetzt. Es ist wie bei einer alten Dampflokomotive. Die Maschine funktioniert nicht mehr richtig, doch der Kessel steht wie zu den besten Zeiten unter Volldampf. Wir heizen ein, weil wir uns keine Nachteile gefallen lassen wollen. Damit bewirken wir aber gerade das Gegenteil. Wir belasten zunehmend das Wirtschaftssystem und laufen Gefahr, dass es irgendwann auseinander bricht. Wie könnte das System entlastet werden? Nur durch eine ethische Neuausrichtung. Wir sollten nicht so viel strategisch fordern und uns stattdessen mehr auf unsere soziale Verantwortung besinnen. Damit stoßen wir aber auf ein Problem. Kein Wohlstandsbürger glaubt, dass er an der gesamten Entwicklung schuld ist. Deshalb ist auch kaum jemand bereit, auf sein strategisches Denken zu verzichten.

Akteure handeln nur im Rahmen ihrer Kompetenzbereiche. Sie sind nicht für das Gesamtergebnis verantwortlich. Auf diese Weise fühlen sie sich nicht schuldig dafür, was insgesamt passiert. Sie möchten aber gerne an dem Erfolg beteiligt sein. Der Erfolg hat viele Väter. Damit ist ein Phänomen der komplexen Systeme gemeint. Der Misserfolg tritt dagegen als Waisenkind auf. Niemand will die Vaterschaft übernehmen. Die Vorstellung eines sich selbst steuernden Systems ist so lange angenehm, bis es keine Misserfolge gibt. Ist das aber der Fall, wollen wir uns damit nicht abfinden, dass niemand die Verantwortung für die schlechten Ergebnisse trägt. Unser Gerechtigkeitswille verlangt, die Schuldigen zu bestrafen. So suchen wir nach einem Sündenbock und finden ihn auch meistens ohne große Mühe.

Die Komplexität macht uns schuldlos

Wir suchen einen Sündenbock und wollen selber keiner sein

Der Glaube an die eigene Schuldlosigkeit ist berechtigt. Sie hängt mit der Komplexität unseres sozioökonomischen Systems zusammen. Dieses ist so komplex, dass es niemanden gibt, der es als Ganzes beherrschen kann. Auch diejenigen, welche die Regeln erlassen oder die Einhaltung der Regeln beaufsichtigen, sind nur ein Rädchen in der gesamten Systemmechanik. Ein komplexes, sich selbst steuerndes System hat auf seine Akteure eine angenehme Auswirkung. Es entlastet deren Verantwortungsbewusstsein. Die

Wer ist für die sozioökonomischen Probleme unserer Gesellschaft verantwortlich? Ist es die Regierung, die ihre Wahlversprechen nicht erfüllt? Oder ist es die Opposition mit ihrer Blockadepolitik? Sind es die Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren? Oder sind es die Gewerkschaften mit ihren überhöhten Lohnforderungen? Vielleicht sind die Topmanager schuld, weil sie sich mehr für den eigenen Vorteil als für das Wohl ihrer Firmen interessieren. Oder haben die Arbeitnehmer nicht mehr die

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richtige Qualifikation, Einstellung oder Motivation? Wir können es nicht wissen. Doch die Vertreter der einzelnen Interessengruppen geben uns eine Antwort. Sie suchen die Verantwortung bei den anderen. Zu diesem Zweck entwickeln sie gruppenspezifische oder individuelle Verfehlungstheorien. Es ist eigentlich gar nicht wichtig, wer wen für schuldig erklärt. Die einzelnen Verfehlungstheorien fördern kaum das Verständnis des gesamten Systems. Sie wollen uns in der Regel nur davon ablenken, dass die Kritiker selbst etwas mit dem schlechten Ausgang zu tun haben könnten. Insgesamt tragen sie dazu bei, dass die wahren Fehlursachen verschleiert werden.

die Rede. Jetzt sollen wir uns die einzelnen Gegensätze genauer anschauen, die das System destabilisieren. Es handelt sich hierbei um vier ambivalente Tendenzen, welche die Verbreitung des strategischen Denkens fördern. Unser Wirtschaftssystem ist erstens komplex, aber nicht kompliziert. Zweitens wettbewerbsorientiert, aber nicht entwicklungsfördernd. Drittens belohnt es die Leistung, aber stärkt nicht die Leistungsfähigkeit. Schließlich ist es umfassend, aber nicht kompensationsfrei. Das Wirtschaftsystem ist komplex, aber nicht kompliziert

Die meisten Fehler, die unser Wirtschaftssystem produziert, entstehen durch immanente Zielkonflikte. Die Grundambivalenz liegt darin, dass das System dann ökonomisch am stärksten ist, wenn es sozial am rücksichtslosesten agiert. Es gilt auch umgekehrt: Je sozial orientierter das System, desto geringer der ökonomische Nutzen. Alle ordnungspolitischen Entscheidungen stecken in dieser Ambivalenz. Sie sind vor allem dann fehlerhaft, wenn die Ambivalenz nicht berücksichtigt wird. Zwischen Ökonomie und Ethik besteht in unserem Wirtschaftssystem ein Spannungsverhältnis. Davon war bereits im ersten Kapitel

Die Komplexität beschreibt die Grundstruktur des gesamten Systems. Die Kompliziertheit bezieht sich dagegen auf die Fähigkeit der Akteure, in dem System zurechtzukommen. In einer komplexen Struktur gibt es eine unendliche Anzahl von Situationen und Varianten. Kompliziert ist ein System, wenn die Akteure möglichst viele dieser Varianten beherrschen müssen, um erfolgreich agieren zu können. Das Wirtschaftssystem als Ganzes ist sehr komplex. Es ist aber überhaupt nicht kompliziert. Deshalb kann jeder ohne große Mühe mitspielen. Dies ist allerdings an die Bedingung des strategischen Denkens geknüpft. Die Akteure müssen strategisch denken, um erfolgreich zu sein. Das bedeutet: Sie konzentrieren sich auf ihre Ziele und verfolgen sie rücksichtslos. Verfügen sie dabei über ein bestimmtes Talent und Fachwissen, genügt es in der Regel schon, um Erfolg zu haben. Viele Unternehmerkarrieren

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Ambivalente Tendenzen sorgen für Destabilität


sind dafür beispielhaft. In ein paar Jahren vom Tellerwäscher bis zum Millionär. Dieser Traum ist unzählige Male in Erfüllung gegangen. Ausschlaggebend dafür war meistens das strategische Denken der Akteure. Sie machten sich nicht viel Gedanken über die Komplexität des Systems, sondern folgten zielstrebig ihrer persönlichen Erfolgsvision. Nicht jedes strategische Talent hat allerdings immer Erfolg. Dies hängt aber nicht mit der Kompliziertheit des Systems zusammen. Vielmehr liegt der Grund im Wettbewerb. Die Konkurrenz sorgt für die notwendige Auslese. Da immer mehr Akteure strategisch denken, wird es zunehmend schwieriger, daraus Kapital zu schlagen. Man muss das System nicht kennen, um darin erfolgreich zu sein Die hohe Komplexität in Verbindung mit der geringen Kompliziertheit führt zu einer Ambivalenz. Wir müssen das System nicht genau kennen, um darin erfolgreich zu sein. Diese ambivalente Tendenz bringen Akteure an die Spitze, die sich strategisch durchsetzen, die es jedoch als Ganzes gar nicht überblicken müssen. Solche Menschen sind nicht gerade geeignet, die Verantwortung für das gesamte System zu tragen. Wer als Spieler erfolgreich war, muss nicht unbedingt ein guter Trainer oder Manager sein. Entscheidend für den Führungserfolg sind nicht die eige56

nen Erfolge, die man innerhalb des Systems erreicht hat. Vielmehr kommt es darauf an, die Funktionsweisen des Systems als Ganzes zu erfassen, ohne auf seinen eigenen Vorteil zu achten. Eine geringe Kompliziertheit ist an sich gut. Sie lässt zu, dass recht viele mitspielen können und von dem System profitieren. Das System wird aber immer instabiler, wenn sich immer mehr Akteure vom eigenen strategischen Denken leiten lassen, ohne die gesamte Komplexität zu überblicken. Unsere Gesellschaft entwickelt sich in dieser Richtung. Die Entwicklung wird durch den Wettbewerb angetrieben. Es ist nicht möglich, dass alle Akteure jede Position einnehmen können. Nur die Besten haben die Chance, sich durchzusetzen. Damit kommt die zweite Ambivalenz zum Vorschein. Unser sozioökonomisches System ist wettbewerbsorientiert aber nicht entwicklungsfördernd. Das System belohnt den kurzfristigen Erfolg Was bei uns zunehmend zählt, ist der kurzfristige Erfolg. Das Management kommt aus dem Leistungsdruck nicht heraus. Wer dreimal hintereinander verloren hat, ist als Trainer gefährdet. Bei Managern gelten ähnliche Leistungsstandards. Die kurzfristige Erfolgsperspektive gibt dem strategischen Denken neue Nahrung. Sie führt dazu, dass sich die Akteure bei ihren Entscheidungen absichern müssen und auch dementsprechend handeln. Nicht die 57


besten, sondern die eigennützigsten Entscheidungen setzen sich durch. Das sieht man bereits bei den Vertragsverhandlungen der Entscheider. Ein Fußballtrainer kann zwar von heute auf morgen entlassen werden. Sein Gehalt wird aber in der Regel weiter gezahlt, weil er sich gegen diesen Fall vertraglich abgesichert hat. Im Wirtschaftsleben ist es nicht anders. Die Manager denken meistens eigennützig, wenn es um ihre berufliche Existenz geht. Sie reagieren damit auf kurzfristige Erfolgserwartungen. Immer weniger Entscheider denken längerfristig. Stattdessen verwenden sie einen großen Teil ihrer Energien, um sich selbst abzusichern. Unter diesen Bedingungen wird unser Wirtschaftssystem immer unstabiler und ineffizienter. Damit taucht die nächste Ambivalenz auf. Das System belohnt die Leistung des Einzelnen. Es stärkt aber nicht die gesamte Leistungsfähigkeit. Managerkarrieren sind dafür ein gutes Beispiel.

wenn man dadurch vorübergehende Durststrecken in Kauf nehmen würde. Das scheitert oft an strategischen Bedenken der Entscheider, die an kurzfristigen Ergebnissen gemessen werden und sich dafür auch gut bezahlen lassen. Auch dieses Phänomen spiegelt sich im Profifußball wider. Die Gehälter von Spielern und Trainern sind heute astronomisch hoch. Der Spielbetrieb als Ganzes ist aber durch enorme Kosten und Ineffizienzen belastet. Viele Clubs kämpfen jedes Jahr um wirtschaftliches Überleben. In der Wirtschaft herrscht eine ähnliche Situation. Das Management ist wohlhabend, die Unternehmen weisen aber keine große Stabilität auf. Profitable Firmen verfügen oft nicht über die Kapitalressourcen, die sie in ihrer Eigenständigkeit absichern könnten. Auch wenn sie jedes Jahr Milliardengewinne abwerfen, sind sie deswegen noch nicht langfristig leistungsfähig. Sie können sowohl wirtschaftlich einbrechen als auch veräußert werden oder fusionieren. Dadurch entsteht eine Marktdynamik, die zwar den direkt Beteiligten nutzen mag, die Stabilität des Ganzen aber mindert.

Der Einzelne wird auf Kosten des Ganzen belohnt Mit seinen Entscheidungen bestimmt das Management die Unternehmensentwicklung. Hier kommt es häufig zu Zielkonflikten zwischen langfristigem und kurzfristigem Erfolg. Um entwicklungsfähig zu bleiben, müsste das Unternehmen bereit sein, in die Zukunft zu investieren, auch

Wem wollen wir dafür die Schuld geben? Die Gefahr ist groß, dass hier das Management verurteilt wird. Das wäre aber falsch. Denn auch in diesem Fall ist das stategische Denken der Akteure systemkonfom. Es greift immer mehr um sich und bestimmt zunehmend das soziale Zusammenleben. Hierbei wird die vierte Ambivalenz sicht-

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bar. Die Kommerzialisierung der Gesellschaft breitet sich immer mehr aus und erhöht damit auch den sozialen Kompensationsbedarf. Das System braucht soziale Kompensation Unsere Gesellschaft war immer schon auf die soziale Kompensation angewiesen. Ihre Stabilität hing maßgeblich von den Ausgleichsleistungen ab. Früher waren wir aber stärker in eine Solidaritätsgemeinschaft eingebettet, die auch ohne bürokratische Vorschriften funktionierte. Dies zeigte sich beispielsweise in Form von sozialen Engagements im Non-Profit-Bereich.

knapp, wachsen die sozialen Spannungen. Die Spannungen belasten nicht nur unser soziales Zusammenleben. Sie schaden auch der gesamten Wirtschaft. Das Konsumklima ist äußerst anfällig. Die gesamte Entwicklung erfordert deshalb Kompensationsmaßnahmen, die nicht durch das strategische Denken blockiert werden sollten. Wir sollten umdenken Unser sozioökonomisches System ist ambivalent. Es stürzt uns in Zielkonflikte. Wir versuchen, die Konflikte zu bewältigen, indem wir strategisches Denken anwenden. Dieses hilft zwar dem Einzelnen, schadet jedoch dem gesamten System.

Das soziale Engagement wird heute zunehmend durch das strategische Denken ausgehöhlt. Da die Ordnungspolitik den Bedarf nicht kompensieren kann, schreitet die Ausgrenzung der ökonomischen Schwächeren voran. Immer mehr Bürger geraten in das gesellschaftliche Abseits und werden immer unzufriedener. Als Folge entstehen soziale Brennherde, die das System als Ganzes destabilisieren.

Albert Einstein hat einmal Folgendes gesagt: „Die Welt, die wir geschaffen haben, ist das Resultat einer überholten Denkweise. Die Probleme, die sich daraus ergeben, können nicht mit der gleichen Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind.“ Leider hat Einstein uns nicht verraten, um welche Denkweise es sich dabei handelt.

Eines kommt noch hinzu. Durch die Öffnung der Grenzen strömen immer mehr Menschen in unser System hinein, die auf der Suche nach Arbeit und Brot sind. Aus ökonomischer Not nehmen sie soziale Nachteile in Kauf. Ihre Lebenssituation macht Integrationsmaßnahmen notwendig, die zusätzliches Geld kosten. Wird dieses Geld

Es ist anzunehmen, dass sich die alte Denkweise auf das strategische Denken bezieht. Wir können die Systemambivalenzen nicht produktiv aufarbeiten und neigen deshalb zum eigennützigen Handeln. Dadurch entsteht eine zunehmende Ineffizienz. Auch in diesem Fall kann uns ein Beispiel aus dem Fußball die Augen für die Realität öffnen.

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Die Abseitsfalle des strategischen Denkens Fußball ist ein ambivalentes Spiel. Sein grundlegender Zielkonflikt besteht zwischen der Attraktivität und dem Erfolg. Die Attraktivität gründet in der Dynamik und Fairness. Der Erfolg hängt dagegen von den erzielten Toren ab. Eine Mannschaft kann attraktiv, aber nicht erfolgreich spielen und umgekehrt. Es gibt im Fußball eine Ordnungsregel, die verhindern soll, dass sich die Spieler einfach vor das gegnerische Tor stellen, um dort auf eine Ballvorlage zu warten. Es ist die Abseitsregel. Sie sollte ursprünglich die Dynamik und Fairness des Spiels fördern. Im Endeffekt bewirkte sie aber das Gegenteil. Jahrzehnte lang hatte die Abseitsregel einen ordnenden Charakter. Die Spieler akzeptierten sie einfach, ohne sich darüber große Gedanken zu machen. Dann trat aber eine strategische Wende ein. Irgendwelche pfiffigen Trainer kamen auf die Idee, dass man die Regel strategisch nutzen könnte, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Sie erfanden die Abseitsfalle. Die Abseitsfalle ist eine erfolgsorientierte Maßnahme. Sie zielt darauf, die Spieler der gegnerischen Mannschaft ins Abseits zu stellen und so deren Angriff durch einen Schiedsrichterpfiff zu unterbinden. Die Abwehrspieler spielen nicht, sondern verhindern das Spiel. Dadurch erhöht sich zwar ihre Erfolgsquote. Die Attraktivität des Spiels leidet jedoch darunter. Seitdem sorgt die Abseitsregel für Diskussionsstoff. 62

Die strategische Anwendung der Abseitsfalle ließ beträchtliche Zweifel an der Fairness des Spiels aufkommen. Die Fußballfunktionäre sahen sich gezwungen, auf diese Entwicklung zu reagieren. Um der Abseitsfalle ihren destruktiven Charakter zu nehmen, erließen sie eine Auslegungsvorschrift. Diese unterschied zwischen der aktiven und passiven Abseitsstellung. Abseits war nicht gleich Abseits. Auch wenn jemand den genauen Inhalt dieser Regel nicht kennt, wird ihm dennoch spontan einsichtig sein, dass das System dadurch verkompliziert worden ist. Die Schiedsrichter müssen jetzt nicht nur eine Abseitsstellung an sich erkennen, sondern sie auch nach den Kriterien „passiv“ oder „aktiv“ bewerten. Dies ist unweigerlich mit einem höheren Aufwand an Aufmerksamkeitsleistung verbunden. Das Ordnungssystem unserer Gesellschaft entwickelt sich nach demselben Prinzip. Das System wird komplexer und kostspieliger Die meisten Regeln unseres gesellschaftlichen Systems sind als Ordnungsregeln konzipiert und in Form von Gesetzen oder Vorschriften erlassen worden. Sie werden häufig aber nicht als Ordnungsregeln befolgt, sondern von den Wohlstandsbürgern zunehmend strategisch angewandt. Dadurch kommt es zu sozialen Ungerechtigkeiten, welche die Erlassung weiterer korrigierender Regeln zur Folge hat. Der Prozess der permanenten Regulierung macht das gesamte System komplizierter und kostspieliger. 63


Nehmen wir als Beispiel die Besteuerung. Eine grundsätzliche Regel unseres Steuersystems besagt, dass die Gutverdienenden einen Teil ihrer Gewinne als Steuern abführen sollten. Sozial ist diese Regel sehr vernünftig. Der Gewinn wird geteilt, damit wir alle etwas davon haben. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Das Besteuerungssystem ist unübersichtlich und sehr aufwendig. Jedes Jahr kommen neue Regeln dazu. Sie werden mit der Absicht erlassen, das System besser zu machen und bewirken gerade das Gegenteil. Die profitablen Unternehmen begnügen sich schon lange nicht damit, Gewinne zu erwirtschaften, um diese anschließend besteuern zu lassen. Vielmehr beuten sie die gesetzlichen Regelungen strategisch aus. Sie versuchen den Gewinn zu minimieren und buchungstechnisch so auszuweisen, dass sie möglichst geringe Steuern zahlen müssen. Zu diesem Zwecke beschäftigen sie sogar hochqualifizierte und hochbezahlte Finanzexperten.

Die Vereinfachung scheitert am strategischen Denken

Es geht nicht darum, Kritik an dieser Praxis zu üben. Sie ist systemkonform und damit rechtens. Die strategische Anwendung ist eine unausweichliche Konsequenz von wettbewerbsorientierten Systemen, die nach Ordnungsregeln konzipiert sind. Ist eine Regel einmal erlassen, wird sie früher oder später von den Akteuren strategisch praktiziert, damit sie sich einen Vorteil verschaffen.

Wenn Regeln strategisch angewandt werden, muss die Fehlentwicklung korrigiert werden. Dabei wird meistens ein recht untaugliches Verfahren praktiziert. Die Ordnungspolitik erlässt weitere Regeln, die das System komplexer und ineffizienter machen. Damit entsteht ein Teufelskreis, der nur durch eine radikale Vereinfachung unterbrochen werden könnte.

Als die Bundesrepublik Deutschland noch eine junge Demokratie war, deren Bürger sich auf den wirtschaftlichen

Unser Wirtschaftssystem ist durch unzählige Ordnungsregeln bestimmt, die seine Effektivität einschränken. Es

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Wiederaufbau konzentrierten, achtete der Staat besonders auf die soziale Fürsorge. Aus dieser Zeit stammt eine Reihe von Regeln, die auf die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit zielten. Dazu zählte zum Beispiel die Gewährung von Kuraufenthalten. Diese waren als Kompensationsleistung für diejenigen gemeint, die schwer arbeiten mussten, ohne sich im Rahmen der eigenen finanziellen Möglichkeiten regenerieren zu können. Der kostenlose Kuraufenthalt gilt heute als keine selbstverständliche Leistung der gesetzlichen Krankenkassen mehr. Es ist einfach zu teuer geworden, ihn allen denjenigen zu bewilligen, die ihn beantragen. Die Anzahl der Anträge stieg dabei nicht etwa deshalb an, weil immer mehr Wohlstandsbürger kurbedürftig wurden. Sie erhöhte sich vielmehr in dem Maße, wie die Regelung strategisch ausgebeutet wurde.


wäre sinnvoll, es wieder einfach zu machen. Doch wir werden es auf den üblichen Weg der demokratischen Konsensbildung wahrscheinlich nicht schaffen. Das liegt nicht etwa daran, dass es uns an erfolgversprechenden Vereinfachungsvorschlägen mangelt. Die Konzepte sind da. Doch ihre Umsetzung wird von den Interessengruppen blockiert, die durch die Vereinfachung der Regeln persönliche Nachteile in Kauf nehmen müssten. Nehmen wir als Beispiel die Vereinfachung der Steuergesetze. Es lässt sich nüchtern feststellen, dass es eine ganze Menge von Fachleuten gibt, die davon leben, dass sie Steuergesetze entwickeln, kommentieren, auslegen oder anwenden. Wenn man die Gesetzgebung so radikal vereinfachen würde, dass jeder Durchschnittsbürger und jede Organisation die Steuererklärung ohne besondere Fachkenntnisse und in kürzester Zeit korrekt machen könnten, hätten alle diese Menschen erheblich weniger Verdienstmöglichkeiten. Welchem Betroffenen ist vorzuwerfen, dass er strategisch dagegen vorgeht?

der größten Herausforderungen an die Absatzwirtschaft. Je mehr Wohlstandsbürger strategisch entscheiden, umso mehr ist die Effizienz der Marketingkommunikation bedroht. Das lässt sich an der Werbung für Markenprodukte veranschaulichen. Ein Markenprodukt weist heute nicht unbedingt objektive Vorteile gegenüber den namenlosen Konkurrenten auf. Seine entscheidende Stärke liegt in Bekanntheit und Image. Es handelt sich dabei um kommunikative Faktoren, die einen hohen und meist kostspieligen Werbeaufwand erfordern. Das heißt aber nicht, dass hohe Bekanntheit und gutes Image, die mit viel Geld aufgebaut wurden, sich betriebswirtschaftlich immer rechnen müssen. Strategisch denkende Käufer sind aufgeklärt, klug oder listig

Wir können das strategische Denken nicht verhindern. Das ist ein Grundproblem unserer Gesellschaft. Unser System begünstigt den strategisch Handelnden und destabilisiert sich deshalb selbst. Dieses Problem betrifft auch das Marketing. Im strategischen Denken der Käufer liegt eine

Die Marketingkommunikation ist wirtschaftlich durch die Überschussrechnung legitimiert. Auf der einen Seite steht der kommunikative Aufwand, auf der anderen die Steigerung bzw. Stabilisierung des Absatzes. Dabei gilt es, einen Überschuss zwischen dem Ertrag und dem Aufwand zu erwirtschaften. Die wirtschaftliche Überschussrechnung vieler Markenprodukte wird immer schlechter. Ein wesentlicher Grund liegt dabei im strategischen Denken der Käufer. Dabei sind drei Typen von besonderem Interesse: Der „Aufgeklärte“, der „Kluge“ und der „Listige“.

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Das Marketing steht vor neuer Herausforderung


Der aufgeklärte Käufer weiß einfach, dass ihm kommunikative Faktoren wie Bekanntheit oder Image keinen objektiven Vorteil bieten. Er richtet seine Entscheidungen nach der überprüfbaren Kosten-Nutzen-Relation. Das geht zu Lasten der Markenprodukte, die einen hohen kommunikativen Aufwand betreiben. Denn sie kosten in der Regel mehr, ohne mehr Qualität oder Leistung zu bieten und werden deshalb von den aufgeklärten Verbrauchern nicht gekauft. Der kluge Käufer mag auch aufgeklärt sein. Er will aber nicht auf den Imagewert der Marken verzichten. Deshalb wendet er das strategische Verfahren der Schnäppchenjagd an. Er kauft die Markenprodukte, wenn sie preiswert angeboten werden. Der kluge Verbraucher ist ein geduldiger Käufer. Er wartet auf den richtigen Augenblick. Dabei sitzt er in der Regel am längeren Hebel als die Anbieter. Vor allem weiß er, dass er kaum etwas zu verlieren hat.

Der listige Käufer ist in der Regel imagegläubig. Er setzt aber auch sein strategisches Denken extrem wirkungsvoll ein. So erwirbt er zum Beispiel mit Vorliebe Markenimitate oder bringt Imagesymbole auf No-Name-Produkte an. Seine größte List besteht aber darin, dass er keine Markenloyalität hat. Für den listigen Käufer ist es wichtig, dass er sich mit einer imageträchtigen Marke umgibt. Es ist ihm aber nicht wichtig, welche Marke es eigentlich ist. Deshalb hat er auch keine Probleme, die Marken zu wechseln. Wenn eine neue Marke ihm eine bessere Kosten-Nutzen-Relation bietet als seine Stammmarke, ist der Wechsel vorprogrammiert. Dieses Verfahren setzt besonders die Wirtschaftlichkeit der Marketingkommunikation beim Aufbau einer neuen Marke herab.

Die erfolgreiche Waffe gegen die Schnäppchenjagd ist die Angebotsverknappung. Davon kann aber im großen Ausmaß keine Rede sein. Auch das Angebot an Markenprodukten ist in Überfülle vorhanden. Das wissen die klugen Käufer ganz genau. Viele Markenprodukte werden zunehmend unter Preis verkauft. Das verschlechtert nicht nur die Überschussrechnung der Marketingkommunikation. Es fördert immer weiter das strategische Denken der Verbraucher. Es macht sie richtig klug.

Das gängige Verfahren beim Aufbau einer Marke sieht dabei so aus, dass man zunächst in die Schaffung hoher Bekanntheits- und Imagewerte investiert. Der Abverkauf wird dabei aber in der Regel über einen verhältnismäßig niedrigen Preis angekurbelt. Erst wenn die Marke über einen bestimmten Marktanteil verfügt, versucht man, die Preise zu erhöhen. Darauf reagieren die listigen Konsumenten mit einem Wechsel zu einer anderen Marke, die gerade preisgünstig ist. Mit ihrem Verhalten tragen sie dazu bei, dass sich die hohen Investitionen in dem Markenaufbau nicht auszahlen.

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Das strategische Denken ist nur ethisch zu zügeln Was kann das Marketing gegen aufgeklärte, kluge und listige Käufer tun? Nur hoffen, dass sie eine kleine Minderheit darstellen, die sich in der großen Masse der Konsumenten nicht durchsetzen wird? Die Hoffnung ist trügerisch. Die strategisch denkenden Verbrauchertypen beherrschen zunehmend den Markt. Nur eine ethische Neuorientierung ist in der Lage, das strategische Denken produktiv zu nutzen. Dies funktioniert theoretisch so: Der aufgeklärte, kluge oder listige Käufer zieht aus dem Erwerb der Markenprodukte einen ethischen Nutzen, der größer ist als der materielle Vorteil, der durch die strategische Entscheidung entsteht. Damit schlägt die Ethik die Strategie. Die Theorie lässt sich allerdings nur unter einer Bedingung umsetzen. Die Wirtschaft muss selbst eine ethische Einstellung übernehmen. Die Unternehmen sollten ihre Marketingaktivitäten ethisch ausrichten, bevor sie darüber kommunizieren. Damit würden sie eine Wende zu Good Economy vollziehen. Good Economy setzt das strategische Denken der Wohlstandsbürger unter eine soziale Grundhaltung. Auf die Inhalte dieser Grundhaltung kommen wir noch ausführlicher zu sprechen. Hier interessiert nur die Frage, wie 70

die Ethik im wirtschaftlichen Bereich zu etablieren wäre, ohne dass man sie strategisch aushöhlen könnte. Auch hierfür bietet der Fußball ein gutes Beispiel. Es kommt auf die freiwillige Selbstverpflichtung an Es kommt gelegentlich vor, dass sich ein Spieler während einer Partie verletzt, ohne dass das Spiel durch einen Pfiff des Schiedsrichters unterbrochen wird. Der Spieler liegt also verletzt am Boden, während das Spiel weiterläuft. Die Folge ist, dass der Ball von den Spielern der gegnerischen Mannschaft freiwillig ins Seitenaus befördert wird. Die Akteure unterbrechen selbst das Spiel, um ihrem Kollegen die notwendige Behandlung zukommen zu lassen. Sie handeln ethisch und nutzen die Situation nicht strategisch aus. Wäre es etwa sinnvoll, das Verhalten als eine offizielle Regel festzuschreiben? Auf gar keinen Fall. Das würde einerseits zu einer Verkomplizierung des Spiels führen. Andererseits müsste man damit rechnen, dass die neue Regel bald strategisch ausgebeutet wird, weil es dafür genügend Handlungsspielräume gibt. Ein Spieler bräuchte nur eine Verletzung zu simulieren, um den Schiedsrichter zu einer Spielunterbrechung zu veranlassen. Daraus lässt sich eine entscheidende Schlussfolgerung ziehen. Ethische Regeln lassen sich dann nicht strategisch 71


missbrauchen, wenn sie auf einer freiwilligen Selbstverpflichtung beruhen. Sie werden nicht erlassen und reglementiert, sondern durch die Akteure aus freien Stücken praktiziert. Das ist auch der Ansatz der Good Economy. Sie schafft Gutes, weil sich ihre Protagonisten dazu freiwillig verpflichtet haben. Die Effekte des ethischen Marketings Die freiwillige Selbstverpflichtung zu Good Economy kann eine ethische Einstellungsveränderung unter den Wohlstandsbürgern bewirken. Dafür sprechen vier Argumente. Erstens wird das unternehmerische Handeln für die Verbraucher verständlicher und glaubwürdiger. Sie merken, dass die Wirtschaft etwas Gutes tut. Das lässt sie bereits an ihrer strategischen Grundhaltung zweifeln. Es ist zwar nicht zu beweisen, aber dennoch anzunehmen, dass das strategische Denken der Verbraucher zum großen Teil durch Nachahmungseffekte gefördert wird. Die schlechten Beispiele kommen vor allem von der Wohlstandselite, die auch unsere Wirtschaft beherrscht. Eine ethische Wende der Unternehmen würde auch das Vertrauen der Normalbürger in die Ethik stärken.

finden es schick, als ethisch gut zu erscheinen. Sie geben ihr Geld verstärkt aus, um sich sozial und emotional zu bestätigen. Drittens ist es in der Good Economy möglich, soziale Wertvorstellungen nachhaltig auszuleben, ohne in Konflikte mit der rigiden Ethik des Unbedingten zu geraten. Die Markenbindung bekommt damit ein neues, langfristig wirkendes Instrument. Wenn die Wohlstandsbürger etwas Gutes tun, können sie sich damit über viele Jahre identifizieren. Es fällt ihnen dabei nicht so leicht, der Marke gegenüber unloyal zu werden. Schließlich fängt das ethische Marketing die Kommerzialisierung sozial auf. Je mehr das ökonomische Denken Verbreitung findet, desto höher sind die sozialen Kompensationsleistungen. Sie werden sicherlich nicht ausreichen, um die Systemstabilität langfristig zu sichern. Sie senden aber ein wichtiges Signal an die Ordnungspolitik, deren Kompensationsleistung effektiver zu gestalten.

Das zweite Argument besteht darin, dass ein ethischer Wettbewerb entsteht. Es ist der Wettbewerb um gute Taten. Daraus kann sich ein positives Konsumklima entwickeln und ein Megatrend etablieren. Die Wohlstandsbürger

Höhere Glaubwürdigkeit, positives Konsumklima, nachhaltige Markenbindung und soziale Kompensationsleistungen sind die Effekte des ethischen Marketings. Sie verleihen der Good Economy einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Die Wirtschaft kann von diesem Konzept nur profitieren. Man kann sich wirklich nicht vorstellen, warum sie darauf verzichten sollte.

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Zur praktischen Anwendung Es könnte im ersten Moment den Anschein haben, als ob Good Economy etwas mit einer freiwilligen Sozialsteuer zu tun hätte. Dem ist nicht so. Die Abgabe führt nicht zum wirtschaftlichen Verlust. Sie schafft im Gegenteil zusätzliche Ertragspotenziale. Voraussetzung dafür ist, dass wir die Kaufentscheidung ethisch aufwerten.

Ethisches Marketing verschafft ihren Protagonisten unmittelbare Wettbewerbsvorteile. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Die Folge ist aber, dass alle früher oder später mitmachen. Dieser Schneeballeffekt treibt Good Economy voran.

Die Aufwertung kann nur auf der Basis des strategisch orientierten Entscheidungsmodells erfolgen. Das kausale Modell der Verbraucherentscheidungen greift bei der Entwicklung von Markenkonzepten zu kurz. Wir müssen zuerst ermitteln, welchen strategischen Nutzen die Marke den Konsumenten bietet. Anschließend wird der strategische Nutzen ethisch aufgewertet. Bei der Umstellung vom strategischen auf ethisches Marketing könnte jemand einwenden, dass ein breiter Konsens mit der Beteiligung der gesamten Wirtschaft, wenn überhaupt, dann erst nach langen und zähen Verhandlungen zustande kommen würde. Es handelt sich dabei um die Fehlannahme, dass ethisches Marketing von Anfang an einen breiten Konsens bräuchte. Es reicht vollkommen, wenn einige wenige Unternehmen damit anfingen, Good Economy zu praktizieren. Die anderen würden sich sicherlich anschließen, weil sie schnell merken würden, dass ihnen dadurch wirtschaftliche Nachteile entstehen könnten. 74

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Kapitel 3

Die Erfolgsfaktoren des ethischen Marketings

Unsere Wirtschaft erfordert eine ethische Erneuerung, um die Stabilität und den Wohlstand zu sichern. Diese kann nicht durch die Zwangsmaßnahmen der Ordnungspolitik bewirkt werden. Auch die moralischen Appelle an die Wohlstandsbürger reichen nicht aus, weil sie am strategischen Denken scheitern. Nur Good Economy kann uns aus dieser Sackgasse führen, wenn es ihr gelingt, den Unternehmen wirtschaftliche Vorteile zu bringen. Die vorliegende Schrift handelt von den Erfolgsfaktoren, die dafür erforderlich sind. Sie zeigt, wie sich ethisches Marketing positiv auf die Produktivität, Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auswirkt.

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*** Es gibt viele Vorstellungen, wie sich die Entwicklung unserer Wohlstandsgesellschaft wieder zum Positiven wenden könnte. Sie lassen sich in zwei Klassen einteilen. Zum einen sollten die Bürger durch die Ordnungspolitik zum Umdenken bewogen werden. Zum anderen könnten sie selbst durch die ethische Besinnung eine Veränderung herbeiführen. Die Ordnungspolitik schafft keine Wende Glaubt man der Ordnungspolitik, braucht unsere Gesellschaft Veränderungen und Reformen. Sie werden auch von jeder neuen Regierung mit viel Einsatz und Überzeugungskraft angestrengt. Der Anspruch der politisch Verantwortlichen ist immer derselbe. Neue Regeln sollen die sozioökonomischen Probleme lösen. Der Prozess der Regelveränderung ist heute so weit fortgeschritten, dass sich kaum jemand darin noch auskennt. Die sozioökonomischen Prozesse sind durch unzählige Gesetze, Novellen, Verordnungen und Auflagen reglementiert. Das macht sie uneffektiv und kostspielig. Die Bürokratie hat ein solches Ausmaß erreicht, dass sie einen Großteil ihrer Ressourcen in die Selbstverwaltung stecken muss. Eine grundsätzliche Vereinfachung könnte zwar einiges verbessern. Doch sie scheitert meist an den Interessengruppen, 78

die von dem Status quo des Systems profitieren. Diese fürchten um ihren Einfluss oder ihr Einkommen und setzen ihr strategisches Denken zur Wahrung ihrer Vorteile ein. Die vergeblichen Bemühungen der Politik um grundlegende Gesundheits-, Renten- oder Steuerreformen legen darüber beredtes Zeugnis ab. Um sich weiterzuhelfen, greift der Staat auf Zwangsmaßnahmen zurück. Doch der Zwang führt nicht zur sozialen Gerechtigkeit. Ein Solidaritätszuschlag ist nicht in der Lage, das ethische Bewusstsein der Wohlstandsbürger zu stärken. Es belastet vielmehr deren Geldbeutel und schürt Ressentiments gegenüber denjenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Der Staat versucht mit gut gemeinten Reformbemühungen die Wohlstandsgesellschaft zu retten. Trotz des enormen ordnungspolitischen Aufwands läuft die Entwicklung eher in die umgekehrte Richtung. Unser Wirtschaftssystem verliert immer mehr an Leistungsfähigkeit und Stabilität. Das ethische Bewusstsein der Wohlstandsbürger wird dadurch immer weiter ausgehöhlt. Es kommt auf die Menschen an Wir hegen die Vorstellung, dass die Ordnungspolitik in der Lage sei, unseren Wohlstand zu sichern. So kommt es vielen kaum in den Sinn, dass es dabei nicht auf die geltenden Regeln ankommt. Entscheidend ist, wie die Menschen mit den Regeln umgehen. 79


Je wettbewerbsorientierter eine Gesellschaft ist, desto strategischer denken ihre Akteure und desto ineffizienter wird das gesamte System. Diese Kausalität widerspricht dem grundlegenden Glaubenssatz der freien Marktwirtschaft. Viele sind heute noch davon überzeugt, dass der Wettbewerb die ökonomische Entwicklung fördert und für die Gesellschaft nützlich ist. Adam Smith sprach in diesem Zusammenhang von der unsichtbaren Hand des Markts. Es wird immer deutlicher, dass wir uns darauf kaum verlassen können. Was der Wettbewerb auf jeden Fall fördert, ist das strategische Denken der Akteure. Je stärker wir unter Konkurrenz geraten, umso strategischer müssen wir agieren, um erfolgreich zu sein. Mit dem fortschreitenden Konkurrenzdruck entwickeln wir uns zu Strategen unseres eigenen Vorteils. Dadurch verstärken wir die sozioökonomischen Ungleichgewichte, welche die Gesellschaft destabilisieren und die Wirtschaft ineffizient machen. Wir brauchen nicht noch mehr strategisches Denken. Vielmehr ist eine ethische Wende von Nöten. Sie lässt sich nicht durch die Ordnungspolitik vorschreiben. Es kommt vielmehr auf die ethische Gesinnung der Wohlstandsbürger an.

Wir sind misstrauisch geworden

Ein System funktioniert nur so gut wie die Menschen, die darin agieren. Sozial eingestellte Menschen sind für das System besser als Strategen, die nur an den Eigennutz denken. Daraus entseht die Frage, wie wir die Ethik in unserer Wirtschaft und Gesellschaft handlungsrelevant machen könnten. Die Antwort darauf heißt Good Economy.

Das Menschenbild unseres Wirtschaftssystems ist zunehmend durch den Vertrauensverlust geprägt. Dadurch wird unser strategisches Denken gefördert. Wir erleben immer wieder, dass hinter dem Schein der sozialen Verantwortung ein egoistisches Nützlichkeitsdenken steht. Das lässt uns an der Macht der Ethik zweifeln.

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Good Economy – das klingt auf jeden Fall gut. Ist es aber nicht eine Illusion, ein Hirngespinst oder gar eine arglistige Täuschung? Versucht uns jemand vielleicht einen schönen Schein aufzuschwätzen, um selbst davon zu profitieren? Ökonomie und Ethik lassen sich doch nicht so einfach unter einen Hut bringen. Wer das versucht, ist mit Vorsicht zu genießen. Wenn wir selbst strategisch denken, sind wir äußerst misstrauisch, wenn jemand gute Motive als Antrieb für seine ökonomischen Interessen anführt. Wir haben zu oft die Scheinheiligkeit der gemeinnützigen Argumente erlebt. Solche Erfahrungen nähren das Misstrauen, das unser Wirtschaftssystem wie eine Säure zersetzt. Wer anderen vertrauen soll, stößt unweigerlich auf ein Dilemma. „Vertraue mir“, sagte die Großmutter zu Rotkäppchen. Oder war es doch der böse Wolf, der sich als Großmutter verkleidete? Wir wissen nicht, wer sich unter dem Kopftuch versteckt. Das ist unser Dilemma.


Good Economy baut auf Vertrauen auf Wir haben das Urvertrauen in die Ethik verloren. Vielleicht würden wir gerne unseren Mitmenschen vertrauen. Doch wir haben Angst, betrogen zu werden. Also sind wir misstrauisch und glauben, dass uns nur das strategische Denken weiterhelfen kann.

ternehmen, die über genügend Durchschlagskraft verfügen, eine nachhaltige Trendwende auszulösen. Zweitens wird es der Wirtschaft am wenigsten zugetraut, dass sie sich an ethische Verpflichtungen hält. Wenn sie sich dann tatsächlich dazu bekennt und dabei eine entsprechende Selbstverpflichtung eingeht, entsteht eine neue Glaubwürdigkeit, die den gesamten Wandel vorantreibt.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Der Mann, der das sagte, gründete eines der ineffizientesten und ungerechtesten Regime der Weltgeschichte. Lenin glaubte vielleicht selbst an einen gerechten Kommunismus. Er vertraute aber nicht den Menschen, sondern wollte sie strategisch manipulieren.

Die Menschen sollten wieder auf die Wirtschaft vertrauen. Nachdem sie von der Politik immer mehr enttäuscht werden, sehnen sie sich nach einer neuen ethischen Instanz. Die politische Vertrauenskrise ist eine ökonomische Chance der Unternehmen. Um sie zu nutzen, sind Worte und Taten erforderlich.

Good Economy baut auf Vertrauen auf. Denn Vertrauen ist der Ursprung des Guten. Wir entfernen uns zunehmend von diesem Ursprung. Im selben Maße geht es mit unserer Gesellschaft bergab.

Die Wende zu Good Economy beginnt mit der freiwilligen Selbstverpflichtung. Das wurde im letzten Kapitel dargestellt. Jetzt stellt sich die Frage, um welche Selbstverpflichtung es sich handelt. Dabei ist klar, dass diese nicht mit den ökonomischen Interessen der Unternehmen kollidieren darf.

Zum Vertrauen zurückzukommen ist nicht leicht. Denn Vertrauen lässt sich nicht verordnen. Wer misstrauisch ist, kann nicht plötzlich wieder Vertrauen schöpfen. Deshalb brauchen wir eine Initialzündung, die eine ethische Trendwende einleitet.

Produktivität, Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit als Erfolgsfaktoren der Good Economy

Die Initialzündung kann nur von der Wirtschaft kommen. Dafür sprechen zwei Gründe. Erstens sind es die Un-

Unternehmen folgen ökonomischen Prinzipien. Sie werden den ethischen Wandel nur dann vollziehen, wenn es dafür wirtschaftliche Gründe gibt. Die Aussicht auf neue

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Absatzpotenziale reicht als Argument noch nicht aus. Darüber hinaus sind drei Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen: Erstens muss Good Economy für mehr Produktivität sorgen. Zweitens darf sie nicht den Gewinn verringern. Drittens soll sie das Unternehmen wettbewerbsfähiger machen. Produktivität, Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit sind wichtige wirtschaftliche Erfolgsfaktoren. Diesbezüglich vertraut Good Economy auf die bereits bestehenden Standards. Sie stellt nicht den Anspruch, die funktionierenden Konzepte zu verändern. Sie möchte sie aber nachhaltig absichern und dabei einen zusätzlichen Nutzen für die Absatzwirtschaft schaffen. Der zusätzliche Nutzen liegt in der Steigerung von Effektivität oder Effizienz. Das Marketing erreicht eine bessere Kosten-Nutzen-Relation. Ethisches Marketing erhöht den Absatz und sichert dabei die Produktivität, Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit der Marken ab. Das gilt es zu beweisen. Die Produktivität entsteht durch das Teilen

Ethische Vorschriften der Völker und Nationen unterscheiden sich im Detail. Doch sie alle haben denselben sozialen Kern. Die Menschen werden verpflichtet, miteinander zu teilen. Ist es etwa ein Zufall? Es scheint nicht so zu sein. Das Teilen ist vielmehr eine elementare Produktivitätsstrategie. Wenn wir uns das Leben an sich anschauen, finden wir darin im ersten Augenblick keinen höheren Sinn. Es gibt aber ein Prinzip, das das Leben am Leben erhält. Es ist das Prinzip des produktiven Teilens. Das Leben teilt sich unendlich fort. Beim Betrachten des Lebens kommen wir automatisch auf das produktive Teilen. Das Leben selbst sagt uns, dass wir produktiv teilen sollten. Dafür brauchen wir uns nicht auf eine bestimmte Ethik zu berufen. Vielmehr steht dahinter eine ökonomische Vernunft. Das produktive Teilen bietet wirtschaftlichen Nutzen. Wenn zwei Menschen sich ein Werkzeug teilen, können sie damit doppelt so viel produzieren. Um produktiver zu sein, müssen wir nicht nur bessere Produktionsmittel entwickeln, sondern diese auch besser nutzen. Das ist der erste Grundsatz der Good Economy.

Fangen wir mit der Produktivität an. Jedes Unternehmen fragt sich, wie es die eigene Produktivität steigern kann. Good Economy sieht diese Frage in einem größeren Zusammenhang. Sie stellt die globale Produktivität als eine ethische Zielsetzung in den Mittelpunkt.

Teilen kann man alles, was wirtschaftlich wichtig ist. Wir können Maschinen, Verfahren, Ressourcen, Knowhow, Arbeitskräfte und Kapital teilen. Für Good Economy hat das produktive Teilen einen extrem hohen Stellenwert.

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Sie leistet dadurch einen wichtigen Beitrag zur globalen und lokalen Wohlstandssicherung. Die globale und lokale Wohlstandssicherung Unsere Wirtschaft kann heute Waren und Dienstleistungen in einem fast unbegrenzten Umfang bereitstellen. Das betrifft aber nur verhältnismäßig geringe Nachfrage der Wohlstandsgesellschaft. Der globale Bedarf ist dagegen enorm hoch und weitgehend kaum gedeckt. Das produktive Teilen könnte diesbezüglich eine nachhaltige Verbesserung bringen und für eine schnelle Verbreitung des Wohlstands in den armen Regionen der Welt sorgen. Lokal gilt das produktive Teilen den Nichts- bzw. Wenighabenden. Ihre materiellen Verhältnisse erschweren ihnen den Zugang zum Konsum. Deshalb können sie auch keinen großen Beitrag zur ökonomischen Stabilität leisten. Das könnte sich ändern, wenn man mit ihnen produktiv teilen würde.

Produktives Teilen wirkt imagebildend und absatzfördernd Das Teilen ist die Grundstrategie des Lebens. Unsere Gesellschaft praktiziert es aber zunehmend nur strategisch. Das strategische Teilen beruht auf einem Nützlichkeitskalkül. Ich teile, um dafür eine Gegenleistung zu bekommen. Produktives Teilen der Good Economy ist dagegen ethisch ausgerichtet. Die Unternehmen erbringen gute Taten, indem sie Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Dafür erwarten sie keine direkte Gegenleistung der Begünstigten. Dennoch entsteht für sie ein wirtschaftlicher Nutzen. Das ist deshalb der Fall, weil das produktive Teilen in einer Wohlstandsgesellschaft imagebildend und absatzfördernd wirkt. Das produktive Teilen aus ethischen Beweggründen ist sozial sehr angesehen. Wer teilt, findet Anerkennung und Bestätigung. Wenn man die Wohlstandsbürger daran beteiligt, gibt man ihnen das sichere Gefühl, etwas Gutes zu tun. Dieses Gefühl ist ihnen genauso wichtig wie das eigentliche Konsumerlebnis.

Je mehr wir teilen, desto produktiver werden wir. Dazu gibt es wirtschaftlich keine Alternative. Um den Wohlstand zu sichern und zu verbreiten, kommt es aber auf eine besondere Art des Teilens an. Es ist das produktive Teilen nach dem Vorbild des Lebens. Dadurch werden die Menschen in die Lage versetzt, ihre Probleme selber zu lösen. Das produktive Teilen erfordert deshalb Hilfe zur Selbsthilfe.

Es gibt viele wirtschafts- und sozialpolitische Konzepte, die im Namen der Gerechtigkeit vorgetragen werden. Ihre Argumente hören sich gut an. Die entscheidende Frage heißt aber, was die Folgen der Realisierung sind. Können dadurch die Produktivität gesteigert und der Wohlstand gesichert werden? Good Economy muss sich an diesem Anspruch messen lassen, um glaubwürdig zu sein. Sie darf keine leeren Versprechungen machen.

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Das Konzept der Good Economy beinhalten das produktive Teilen aus ethischen Beweggründen. Das bedeutet natürlich nicht, dass man damit schon Geld verdient. Jedes Unternehmen braucht ein erfolgreiches Geschäftsmodell, das seine Profitabilität sichert. Um dieses zu entwickeln und zu betreiben, ist strategisches Denken unerlässlich. Die Profitabilität wird durch das Teilen nicht geschmälert

ich bin, desto mehr teile ich. Sie stellt sicher, dass das Teilen nicht auf Kosten des ökonomischen Erfolgs geht. Pete Sampras, der erfolgreichste Tennisspieler aller Zeiten, hat uns gezeigt, wie einfach das ist. Er ging freiwillig folgende Selbstverpflichtung ein: Für jedes Ass, das er in einem Match schlug, spendete er 100 Dollar für karitative Zwecke. Je erfolgreicher er war, desto höher fiel sein sozialer Beitrag aus.

In einer Wettbewerbsgesellschaft erinnert das Verhältnis zwischen Strategie und Ethik an das Ernten und Teilen. Die Wirtschaft braucht strategische Konzepte, um zu den Früchten ihrer Arbeit zu gelangen. Sind die Früchte da, sollte man sie nicht nur für sich beanspruchen, sondern auch mit anderen teilen. Das ist ein ethisches Gebot, das sehr positive Absatzwirkungen haben kann.

Good Economy geht die gleiche Selbstverpflichtung ein. Sie hat eine wirtschaftliche und eine ethische Dimension. Wirtschaftlich fördert sie Produktivität. Ethisch sorgt sie für den Ausgleich zwischen denen, die viel haben, und denen, die noch vieles brauchen. Die ethische Dimension setzt die ökonomische voraus. Wir können nur verteilen, wenn wir vorher produktiv waren.

Um Güter zu verteilen, müssen diese vorher wirtschaftlich produziert werden. Ohne strategische Produktivität macht es wenig Sinn, sich mit ethischem Teilen zu beschäftigen. Ein weiterer Grundsatz der Good Economy lautet deshalb: Erst das Ernten und dann das Teilen. Wie teilt man aber ökonomisch vernünftig?

Die Wettbewerbsfähigkeit der Good Economy

Ökonomisch vernünftig ist das Teilen nur, wenn man zuerst erntet und dann etwas davon für produktive Zwecke abgibt. Der wirtschaftliche Erfolg wird also mit ethischen Zielen verknüpft. Dafür steht die Devise: Je erfolgreicher 88

Unser Wirtschaftssystem unterliegt heute einem epochalen Wandel. Im Unterschied zu früheren Zeiten können wir fast nach Belieben produzieren. Unsere Ökonomie wird nicht mehr durch den Mangel, sondern durch den Überfluss bestimmt. Allerdings stehen wir hier in einem enormen Wettbewerb. Die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems wird durch die Ordnungspolitik maßgeblich bestimmt. 89


Sie bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit. Dafür gilt eine Faustregel: Mehr Freiheit steigert den wirtschaftlichen Erfolg, produziert aber soziale Ungleichgewichte. Mehr Gleichheit sorgt für mehr soziale Gerechtigkeit, schadet aber dem wirtschaftlichen Erfolg. Dieter Dörner hat uns in seiner „Logik des Misslingens“ (rororo 1989) darauf aufmerksam gemacht: „Wenn man unter Freiheit ganz einfach einen Zustand versteht, in dem sehr wenig äußere Zwänge für das Handeln des Einzelnen existieren, und wenn man unter Gleichheit das Recht auf den gleichen Zugang zu den materiellen und nichtmateriellen Ressourcen einer Gesellschaft versteht, dann wird „Freiheit“ sehr schnell zu großer Ungleichheit führen, da es denjenigen, die aus irgendwelchen Gründen für bestimmte Handlungen besser ausgerüstet sind als andere, also etwa intelligenter sind, besser gelingen wird, sich den entsprechenden Zugang zu verschaffen, während anderen das schlechter gelingt … Andersherum wird der Versuch, ein hohes Maß an Gleichheit in einem politischen System zu realisieren, dazu führen, dass ein hohes Maß an Behinderung etabliert werden muß“ (Seite 99).

kehrt. Vielmehr gilt es eine Lösung auf einer höheren Ebene zu finden. Good Economy bietet den Zugang zu dieser höheren Ebene. Sie könnte auch zum wichtigsten Argument der Wirtschaft gegen die reglementierende Ordnungspolitik werden. Die Voraussetzung dafür besteht in der Selbstverpflichtung zum produktiven Teilen nach dem Muster von Pete Sampras. Es liegt im wirtschaftlichen Interesse der Unternehmen, diese Selbstverpflichtung einzugehen. Zur unternehmerischen Freiheit gibt es keine Alternative Um wirtschaftlich überleben zu können, müssen wir wettbewerbsfähig bleiben. In diesem Fall gibt es zu unternehmerischer Freiheit keine Alternative. Die Ordnungspolitik sollte endlich mehr unternehmerische Spielräume gewähren. Sie würde es vielleicht entschlossener tun, wenn die Wirtschaft freiwillige Selbstverpflichtungen eingeht, die sie zu Good Economy führen.

Mehr Freiheit führt zu mehr Ungleichheit und mehr Gleichheit führt zu weniger Freiheit. Durch diesen Zielkonflikt wird die Wettbewerbsfähigkeit bestimmt. Wer den Zielkonflikt erkennt, dem wird eines klar: Man darf die Freiheit nicht gegen die Gleichheit ausspielen und umge-

Wer teilen will, muss zuerst ernten. Die Freiheit steht deshalb an erster Stelle. Wer geerntet hat, sollte aber teilen. Denn ohne gerechten Ausgleich gerät das ganze System aus dem Gleichgewicht. Eine Gesellschaft ist umso stabiler, je produktiver sie die Güter erwirtschaftet und je gerechter sie diese verteilt. Die Soziale Marktwirtschaft ist mit dieser Aufgabe immer mehr überfordert. Die Belas-

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tungen unseres Wirtschaftssystems nehmen zu, ohne dass sie kompensiert werden. Die staatliche Wirtschaftspolitik alleine wird es nicht schaffen, die Probleme zu lösen. Sie ist auf die Leistungen der Good Economy angewiesen. Good Economy ersetzt nicht das System der Sozialen Marktwirtschaft. Sie fördert aber den ethischen Wandel innerhalb der Gesellschaft, der sich auch positiv auf die Leistungsfähigkeit und Stabilität des gesamten Systems auswirkt. Die positiven Systemeffekte werden durch viele kleinere und größere Aktivitäten der einzelnen Unternehmen ausgelöst, die im Wettbewerb um gute Taten stehen. Um Good Economy auf den Weg zu bringen, sollten die Unternehmen drei ethische Selbstverpflichtungen eingehen.

Projekte, schaffen es aber in der Regel nicht, die Aktivitäten in die Wertschöpfungsprozesse zu integrieren. Das hängt damit zusammen, dass sie nicht auf die zweite Selbstverpflichtung achten. Selbstverpflichtung der Profitabilität Je erfolgreicher ich bin, desto mehr teile ich.

Das Teilen als Hilfe zur Selbsthilfe würde unserer Wirtschaft eine höhere Qualität verleihen. Es würde das System effizienter und stabiler machen. Das einfachste und schnellste Umsetzungskonzept dafür heißt: Just do it. Fangen wir an, das ethische Marketing zu praktizieren.

Viele glauben, dass die Profitabilität einer Unternehmung damit zusammenhängt, dass wir möglichst viel für uns behalten. Das stimmt aber nur zum Teil. Es ist zwar wirtschaftlich wichtig, dass die Unternehmen Gewinne einstreichen. Es schadet aber genauso dem ökonomischen Erfolg, wenn nach außen der Eindruck der Bereicherung entsteht. Das Phänomen ist aus kleineren Dienstleistungsbetrieben bekannt. Die erfolgreichen Inhaber solcher Firmen scheuen sich zu Recht davor, die hervorragende Profitabilität gegenüber ihren Kunden zu demonstrieren. Sie fahren geschäftlich bescheidene Autos, während in den Garagen ihrer Häuser prachtvolle Luxuskarossen parken. Sie möchten auf jeden Fall den Eindruck vermeiden, dass sie zu viel Profit machen würden.

Die Erfolgsstory der Good Economy beginnt damit, dass man produktiv zu teilen anfängt. Erstaunlicherweise tun dies bereits viele Unternehmen, ohne einen ökonomischen Vorteil daraus zu ziehen. Sie fördern zwar soziale

Die Profitabilität hängt mit dem ethischen Image zusammen. Wenn wir jemanden für einen Halsabschneider halten, der sich an uns bereichert, dann sträuben wir uns dagegen, mit ihm Geschäfte zu machen. Das gilt im klei-

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Selbstverpflichtung der Produktivität Ich teile, indem ich Hilfe zur Selbsthilfe fördere.


nen wie im großen Maßstab der wirtschaftlichen Aktivitäten. In diesem Sinne kann auch ein Topmanagement dem Unternehmen einen Imageschaden zufügen, wenn es sich der Öffentlichkeit als nur gewinnorientiert präsentiert. Aus der wirtschaftlichen Profitabilität entwickelt sich eine höhere Akzeptanz, wenn die Unternehmen die entsprechende Selbstverpflichtung eingehen. Je erfolgreicher sie sind, desto mehr teilen sie. Dann weiß der Käufer, dass er nicht ausgenutzt wird, sondern sein Geld für eine gute Sache ausgibt. Das Prinzip funktioniert hervorragend beim Wohltätigkeitsmarketing einzelner Veranstaltungen und Produkte. Warum soll es nicht im gesamten wirtschaftlichen Ausmaß greifen? Das soziale Engagement der Wirtschaft ist heute nicht zu unterschätzen. Dennoch werden daraus noch recht geringe Imageeffekte erzielt. Die ethischen Absatzpotenziale liegen noch weitgehend brach, weil man sie nicht im Sinne der Selbstverpflichtung kommuniziert. Das ethische Marketing kann diesbezüglich eine grundlegende Veränderung zum Positiven bewirken.

schen Marketing spielt die Befriedigung der Kundenbedürfnisse eine entscheidende Rolle. Das ethische Marketing hält an diesem Grundsatz fest. Es macht es darüber hinaus aber auch glaubwürdig überprüfbar. Es ist heute Usus geworden, nicht nur Anteilseigner, sondern auch das Management und die Mitarbeiter am Erfolg der Unternehmung zu beteiligen. Dieses Verfahren lässt sich auch auf die Kunden übertragen. Sie sind es letztendlich, die das Unternehmen am Leben halten. Dafür verdienen sie Anerkennung und Bestätigung. Die Anerkennung kann emotionalen und materiellen Charakter haben. Emotional werden die Kunden an den guten Taten beteiligt. Materiell können sie eine Prämie bekommen, wenn das Unternehmen seine sozioökonomische Zielsetzung übertroffen hat. In diesem Bereich gibt es noch viel Spielraum für kreative Marketingideen. Zur praktischen Anwendung

Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens hängt maßgeblich von der Kundenorientierung ab. Im strategi-

Es ist möglich, dass das ethische Programm der Good Economy zunächst auf Bedenken und Skepsis stößt. Vor allem bei erfolgreichen Marken wird wahrscheinlich die Notwendigkeit nicht gesehen, das klassische Marketingkonzept ethisch auszurichten. Erheblich unbedenklicher scheint der Schritt aber bei ökonomisch schwächelnden Produkten zu sein. Wenn Produktivität, Profitabilität oder Wettbewerbsfähigkeit kritisch sind, fällt es einfacher, über

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Selbstverpflichtung der Wettbewerbsfähigkeit Meine Kunden werden am Erfolg beteiligt


Alternativen nachzudenken. In kritischen Situationen neigen die Marketingstrategen allerdings oft dazu, nur den Markenauftritt zu verändern. Sie führen einfach eine neue Werbelinie ein. Das wirkt so, als wenn man sprichwörtlich aus einer Kuh ein Rennpferd machen wollte. Man versucht, die Erscheinung zu korrigieren, ohne sich mit dem Wesentlichen zu beschäftigen.

sozial veredelt. Dabei ist allerdings notwendig, die Ethik kommunikationsstrategisch auszurichten. Das ist auch der Ansatz der werthaltigen Kommunikation, die in Good Economy an die Stelle der klassischen Werbung tritt.

Das Wesentliche besteht darin, die Gründe für die schwache Produktivität, Profitabilität oder Wettbewerbsfähigkeit herauszufinden und zielführend zu beheben. Das ist keine gestalterische, sondern eine analytische und konzeptionelle Aufgabe. Es bringt nichts, angeschlagene Marken kreativ hochzujubeln. Das kostet in der Regel nur Geld, bringt aber keinen nachhaltigen Effekt mit sich. Das ethische Marketing folgt den Empfehlungen der Markt- und Wettbewerbsanalyse. Diese zielt darauf, eine Positionierungslücke im Bewusstsein der Käufer zu finden und zu besetzen. Wenn man die soziale Dimension des Lebens berücksichtigt, sind Lücken noch reichlich vorhanden. Um sie ertragsrelevant zu füllen, muss die Positionierung allerdings glaubwürdig sein. Das ethische Marketing setzt glaubwürdige Positionierungen durch, in dem es sich an den drei genannten Selbstverpflichtungen orientiert. Es bekämpft nicht, sondern erweitert das ökonomische Denken. Die Positionierung wird 96

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Kapitel 4

Von Werbung zu werthaltiger Kommunikation

Good Economy geht davon aus, dass soziale Motive die Kaufentscheidungen maßgeblich beeinflussen können. Das zugrunde liegende Handlungsmuster lautet: „Ich kaufe, weil ich damit etwas Gutes tue.“ Dieses Handlungsmuster beruht auf ethischen Werten. Um es zu aktivieren, müsste die klassische Werbung ihren Charakter ändern und zu werthaltiger Kommunikation weiterentwickelt werden. Die vorliegende Schrift stellt dar, auf welche Werte es bei der Markenpositionierung ankommt und wie diese glaubwürdig vermittelt werden können.

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*** Der Konsum folgt zwei grundverschiedenen Beweggründen. Der erste ist materieller Natur und entspricht dem ökonomischen Nützlichkeitsdenken der Verbraucher. Der Käufer erwirbt ein Produkt, weil es ihm einen klaren Nutzen bietet. In diesem Fall weiß er genau, was er hat. Der materielle Konsum stößt in einer Wohlstandsgesellschaft auf natürliche Grenzen. Das liegt einfach daran, dass auch die Wohlhabenden nicht gleichzeitig in zwei Betten schlafen können. Sie besitzen zwar mehrere Autos oder Häuser. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie auf einmal nur eines von ihnen benutzen können. Die Grenzen des materiellen Konsums lassen sich nur immateriell überwinden. Damit ist das zweite Grundmotiv angesprochen. Es hat emotionalen Charakter und wurzelt in den individuellen Wunschvorstellungen. Der Verbraucher kauft etwas, um sich wohl zu fühlen. Denn solche Gefühle findet er einfach gut. Der Konsum entspringt aus materiellen und emotionalen Motiven. Er kann am stärksten gefördert werden, wenn beide Motive miteinander vernetzt werden. „Da gibt es ein Hab, das finde ich gut.“ Das ist die universelle Formel des Absatzerfolges.

Konsum immer weiter fördern könnte. Eine Innovation galt als Garant des Verkaufserfolgs. „Da gibt es Hab, das finde ich noch besser.“ Nach dieser Formel sollte der Absatz ewig vorangetrieben werden. Die Zeit der materiellen Fortschrittsgläubigkeit geht langsam aber sicher zu Ende. Die technologische Intelligenz bringt zwar auch heute Produktverbesserung hervor. Doch die Konsumenten fragen sich immer mehr, welchen Mehrwert die angeblichen Innovationen darstellen. An der Beantwortung dieser Frage entscheidet sich die Durchsetzungskraft des modernen Marketings. Innovationen verbanden früher den technologischen Fortschritt mit der Steigerung der Lebensqualität. Sie waren der Motor der ökonomischen Entwicklung. Heute gerät der Motor immer mehr ins Stocken, weil die Erhöhung der Lebensqualität an ihre natürlichen Grenzen stößt. Auch die kreativste Werbung kann daran nichts ändern.

Die Absatzwirtschaft hat sich lange Zeit von der Vorstellung leiten lassen, dass der materielle Produktwert den

Denken wir einmal darüber nach, was wir heute alles haben, was es vor zehn Jahren noch gar nicht gab. Leben und arbeiten wir aber jetzt zufriedener als damals? Viele sind nicht dieser Meinung. Die Wohlstandsbürger werden nachdenklicher und lassen sich nicht so einfach mit fazinierenden Werbebotschaften zum Erwerb verführen. So stellt sich die Frage, wie die Gefühle der Verbraucher erwerbsrelevant angesprochen werden können.

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Der materielle Warenwert verkauft immer weniger


Die Werbung ist gut und teuer

Es kommt nicht nur auf die Kreativität an

Die Werbung verkündet Tag für Tag ihre emotionalen Glücksversprechen. Durch die kreativen Darstellungsformen werden die Botschaften sinnlich erlebbar gemacht. Die Kreativen lassen sich immer neue Ideen einfallen, um die Gefühle der Wohlstandsbürger anzusprechen. Ihre Kampagnen wirken oft beeindruckend, verursachen aber auch einen enormen Aufwand.

Der Werbung wurde oft vorgeworfen, dass sie die Menschen zum Konsum verführt. Wenn das wirklich so wäre, sollten wir sie eher loben als tadeln. Die Verführung zum Kaufen hat uns den Weg ins Paradies des Wohlstands geebnet. Sie sollte jetzt aber ethisch veredelt werden, wenn wir uns das Paradies erhalten möchten. Unsere Wirtschaft braucht weiterhin den Motor der Marketingkommunikation, um die Konjunktur nicht absacken zu lassen. Ohne diesen Motor geht es mit unserem Wohlstand bergab.

Es hat den Anschein, als ob die steigenden Werbeausgaben mit der Veränderung der Medienlandschaft und den neuen Kommunikationstechnologien zusammenhängen würden. Darin liegen aber nicht die einzigen Ursachen. Der Fortschritt bei der elektronischen Datenverarbeitung und Informationsvermittlung macht es im Gegenteil immer leichter, die relevanten Zielgruppen ausfindig zu machen und anzusprechen. Doch es wird immer schwieriger, emotionalen Einfluss auf ihre Kaufentscheidung zu nehmen. Dem hohen Werbeaufwand ist zu verdanken, dass die Wohlstandsbürger immer noch kaufen und konsumieren. Doch es wird zunehmend schwieriger, die Kosten der Marketingkommunikation in vernünftigen Relationen zu halten. Der Aufwand steigt, ohne für mehr Ertrag zu sorgen. Die Gründe dafür liegen sicherlich auch im materiellen Überfluss unserer Wohlstandsgesellschaft. 102

Der kommunikative Motor lahmt heute beträchtlich. Wir wissen überhaupt nicht mehr, wie stark der Konsum insgesamt noch durch die Werbung beeinflusst wird. Fest steht lediglich, dass die Produktwahl im Zusammenhang mit dem Werbeaufwand steht. Die beworbenen Marken werden mehr gekauft als unbekannte Waren. Die Markenwerbung war und ist ein entscheidendes Wettbewerbsinstrument. Um sich gegenüber der Konkurrenz durchzusetzen, müssen die Unternehmen aber einen höheren Preis zahlen. Die Marketingstrategen waren Jahrzehnte lang davon überzeugt, dass eine kreative Werbung alles verkaufen könnte. Als Voraussetzung galt nur, dass die Produkte gut sein mussten. Heute sind die Produkte erheblich besser als früher. Dennoch lassen sie sich erheblich schwieriger ver103


kaufen. Das hängt nicht mit der Kreativität zusammen. Vielmehr spielt die strategische Ausrichtung der Kampagnen eine Rolle. Diese zielen in der Regel auf die Habseligkeit und gehen dabei an einem wichtigen Lebensgefühl der Wohlstandsbürger vorbei. Es ist das Gefühl der diffusen Unsicherheit. Durch Unsicherheit werden die Konsumenten kaum berechenbar In unserer Wohlstandsgesellschaft macht sich seit einigen Jahren ein unterschwelliges Unsicherheitsgefühl breit. Sein Vordringen hat nicht nur mit schwacher Konjunktur und geringem Wachstum zu tun. Es gibt auch offensichtlich strukturelle Gründe. Der Mehrzahl der Bürger scheint es nicht zu entgehen, dass es mit unserem gesamten Wirtschaftssystem zunehmend bergab geht. Die Unsicherheit betrifft alle Schichten. Die Besitz- und Verdienstverhältnisse zwischen den Schichten sind zwar sehr unterschiedlich. Doch das ändert nichts daran, dass auch die Wohlhabenden sich nicht ganz sicher fühlen können. Von der diffusen Unsicherheit ist auch die Marketingkommunikation betroffen. Denn sie löst bei den Wohlstandsbürgern diverse Sinnkrisen aus. Der Absatz kann darunter beträchtlich leiden. Wenn Käufer unsicher sind, ist das Konsumklima erstens vergiftet. Zweitens sind ihre Entscheidungen kaum berechenbar. 104

Die Unsicherheit der Wohlhabenden zeigt sich darin, dass sie an den Glücksbotschaften der Habseligkeit zu zweifeln beginnen. Sie spüren wenigstens unterschwellig, dass der Konsum sie nicht sicher oder glücklich machen kann. So kaufen sie häufig aus purer Erwerbslust, Frustration oder um sich einfach abzulenken. Hinter den Kaufentscheidungen steht oft keine nachhaltige Überzeugung. Bei Wenig- und Nichtshabenden hat die Unsicherheit wirtschaftliche Gründe. Viele trauen sich nicht, ihr Geld auszugeben, um für den Notfall gewappnet zu sein. Andere kaufen trotzdem, um ihre Unsicherheit wenigstens für eine kurze Zeit zu verdrängen. Dies geschieht meistens spontan und ohne Rücksicht auf materielle Konsequenzen. Wer aus purer Erwerbslust, Frustration, Ablenkung oder Verdrängung konsumiert, ist als Käufer zwar beeinflussbar, aber wenig berechenbar. Die Marketingstrategen können nicht wissen, wann und wo sie den Adressaten bei Kauflaune erwischen können. Deshalb versuchen sie ihn möglichst oft und möglichst überall zu erreichen. Das treibt den Werbeaufwand mehr in die Höhe. Wie lässt sich dieser Beschleunigungseffekt unterbinden? Mit guter Laune gegen die Verunsicherung Die Marketingstrategen haben die Bedrohung durch die Verunsicherung und die Sinnkrise der Konsumenten er105


kannt. Sie bekämpfen sie durch die Verbreitung von guter Laune. Viele Werbekampagnen folgen der Strategie der Stimmungsmache. Die Adressaten sollen die wirkliche Welt um sie herum vergessen und sich stattdessen an der Habseligkeit erfreuen. Die Gute-Laune-Werbung sorgt kurzzeitig für ein positives Klimafeld. Sie produziert aber auch einen Abnutzungseffekt. Die Konsumenten können ihre Gefühle nicht wie den Besitz horten oder immer mehr steigern. Emotionen lassen sich nur phasenweite ausleben und sind niemals von langer Dauer. Die Botschaften der Habseligkeit nutzen sich ab, weil sie zwar das persönliche Glück versprechen, ihr Versprechen aber niemals voll einlösen können. Mit der Verbreitung der guten Laune ist es ähnlich. Die Unsicherheit und die fehlende Zukunftsperspektive der Wohlstandsbürger können dadurch nicht nachhaltig überwunden werden. Vielmehr wird immer mehr Aufwand benötigt, um eine positive Kaufstimmung zu erzeugen. Dieser Aufwand fließt vor allem in den Aufbau und die Pflege von Marken.

Welt bestimmt immer mehr das Erscheinungsbild unserer Gesellschaft. Das kann uns leicht darüber hinweg täuschen, dass es sich dabei doch nicht um die ganze Realität handelt. Die Marken haben in einer Wohlstandsgesellschaft eine identitätsbildende Funktion. Sie treten immer mehr an die Stelle von Tradition und Kultur. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Gründe für diesen Prozess zu analysieren. Es ist aber offensichtlich, dass sich die Identität der Wohlstandsbürger zunehmend von den traditionellen und kulturellen Erben der Vergangenheit entfernt. Eine gute Marke ist heute viel mehr als ein imagebildendes oder absatzförderndes Instrument. Sie steht vor allem für eine bestimmte Grundhaltung. Markenphilosophie ist Lebensphilosophie, behaupten die Marketingstrategen. Damit stellen sie einen Anspruch auf, dem die klassische Werbung nur zum Teil gerecht werden kann.

Um den Verbraucher möglichst überall zu erreichen und ihn positiv einzustimmen, setzt das strategische Marketing auf die Markenbildung. Die Wohlstandsbürger umgibt heute eine Welt von Marken, in der sie sich alle ihre Wunschvorstellungen angeblich erfüllen können. Diese

Jede Philosophie beruht auf Werten. In dieser Hinsicht gibt es zwischen herkömmlichen Lebensphilosophien und modernen Markenphilosophien keine Unterschiede. Während die Werte unserer Tradition und Kultur aber ethisch begründet sind, tun sich die meisten Marken schwer, ihre Philosophie mit der Ethik zu verknüpfen. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit vieler Markenkonzepte, die an die Habseligkeit appellieren.

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Marken ersetzen Tradition und Kultur


Die Markenphilosophien der Habseligkeit haben nichts mit Ethik zu tun Jede Ethik folgt dem Grundsatz, dass das Individuum nur in einer Gemeinschaft überleben kann. Deshalb sollte sich der Einzelne nach den Vorstellungen und Normen richten, die gemeinnützigen Charakter haben. Alle Sittlichkeitslehren zeichnen sich durch das Gebot aus, dass der Mensch nur das tun sollte, was auch für seine Mitmenschen gut wäre. Damit stehen sie im grundsätzlichen Widerspruch zum strategischen Denken, das nach dem Eigennutz strebt. Unterschiedliche Sittlichkeitslehren können zu unterschiedlichen Wertvorstellungen führen. Das hängt davon ab, von welcher Idee der Gemeinschaft sie ausgehen. Die Gemeinschaft der Auserwählten oder Privilegierten bringt andere Werte hervor als die Gemeinschaft der Unterdrückten und Geknechteten. Für jede Ethik gilt aber, dass sich das Individuum an Gemeinschaftswerten orientiert.

tung steht. Dabei wird ein ethischer Anspruch formuliert. Doch auch dieser Anspruch lässt sich nicht ohne weiteres glaubwürdig und nachhaltig einlösen. Ethische Werte werden ökonomisiert In unserer Tradition hatten Werte stets sozialen Charakter. Sie standen für das Gute einer Gesellschaft. Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Solidarität, Hilfsbereitschaft – es sind gemeinnützige Werte, die an unser ethisches Verantwortungsbewusstsein appellieren. Sie haben in unserer Kultur nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert. Doch die Wohlstandsbürger wissen immer weniger, wie sie diese Werte sinnhaft ausleben könnten. Sie orientieren sich statt dessen an ökonomischen Wunschvorstellungen, die ihnen in hohem Ausmaß durch Marketingkommunikation vermittelt werden. Bereits der Wohlstand ist nichts anderes als eine Wunschvorstellung, die nicht ethischen, sondern wirtschaftlichen Charakter hat.

Viele Markenphilosophien beruhen heute auf dem Grundgedanken der Habseligkeit. Die Gemeinschaft der Habseligen hat aber keine soziale Basis. Dem Habseligen geht es nur um sich selbst. Deshalb lassen sich seine Werte gar nicht als gemeinnützig begründen. Es gibt natürlich auch Marken, welche die Gemeinschaft in den Vordergrund stellen. Die Markenträger sollen sich einer Gruppe zugehörig fühlen, die auch für eine bestimmte Wertehal-

Die strategische Marketingkommunikation versucht, den Wunsch nach individuellem Wohlstand gezielt anzusprechen. Der Wohlstand wird dabei individuell bis egoistisch verstanden. Mein Haus, mein Wagen, mein Boot, lautet der Sprachcode, der den Konsum der Wohlstandsbürger fördern soll. Er geht oft am ethischen Wertebewusstsein vorbei.

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Aus dem Wohlstandsdenken bilden sich weitere Wunschvorstellungen, denen eine ethische Grundlage fehlt. Typisch dafür sind seelische Bedürfnisse, die in Erwerbsformen übersetzt werden. Die klassische Markenwerbung stellt emotionale Wünsche als moderne Lebensformen dar, die sich durch Kaufen und Konsumieren angeblich verwirklichen lassen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Die Lifestyle-Form heißt „Wellness“. Sie hat ihre Wurzeln im Wunsch nach körperlichem und seelischem Wohlbefinden, den wir uns tagtäglich ohne besonderen Aufwand erfüllen könnten. Wellness bedeutet aber nur das Wohlbefinden, das sich aus der Inanspruchnahme von Dienstleistungsangeboten der Freizeit-, Gesundheits- und Touristikbranche ergibt.

Die Lifestyle-Formen beherrschen zunehmend die Markenwerbung

„Fun“ und „Wellness“ sind zwei beispielhafte LifestyleFormen, die ökonomischen Charakter haben. Die strategische Marketingkommunikation wird nicht müde, immer neue Lebensformen zu entwickeln, die eigentlich gar nicht neu sind. Ein schönes Beispiel dafür ist die Wertvorstellung der neuen Bescheidenheit, die den Genuss von Salzkartoffeln propagiert, sofern man etwas Hummer dazu essen kann. Die neuen Lifestyle-Formen beherrschen zunehmend unsere Wohlstandsgesellschaft. Das ist auf jeden Fall der Eindruck, den uns die klassische Markenwerbung vermittelt. Das wirkliche Leben ist nicht so eindeutig. Irgendwo schlummern noch ethische Bedürfnisse, die durch Kaufen und Konsumieren nicht befriedigt werden.

Wir haben zum Beispiel das emotionale Bedürfnis nach Freude und Geselligkeit. Daraus entwickelte die Marketingkommunikation die Lifestyle-Form von „Fun“. Das Interessante daran ist ihre ökonomische Implikation. Denn „Fun“ suggeriert unterschwellig, dass es nur im Rahmen bestimmter Konsumrituale entstehen kann. Wir haben offensichtlich kein Fun, wenn wir auf der grünen Wiese in alten Klamotten gymnastische Übungen machen. Die Situation ändert sich aber sofort, wenn wir die gleichen Übungen in einem Aerobic-Studio im schicken, figurbetonten Outfit praktizieren. Man könnte meinen, dass der Unterschied in der veränderten Atmosphäre und der motivierenden Umgebung liegt. Für die Werthaltigkeit von Fun gehen davon nur verstärkende Wirkungen aus. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die erste Situation für jeden zugänglich ist, die zweite dagegen etwas kostet. 110

Ökonomie und Ethik folgen ambivalenten Wertvorstellungen Wir sind auf ein bedenkenswertes Phänomen gestoßen. Die klassische Marketingkommunikation versucht durchaus die emotionalen Bedürfnisse der Adressaten zu befrie111


digen. Sie orientiert sich dabei aber fast ausschließlich an Lebensformen, die sich durch Kaufen und Konsumieren angeblich verwirklichen lassen. Die ethischen Werte scheinen ihr dagegen ziemlich unwichtig zu sein. Der Grund dafür ist nicht auf Anhieb ersichtlich. Es lässt sich aber vermuten, dass er mit den Zielkonflikten zu tun hat, die zwischen ökonomischen und ethischen Werten bestehen. In der Werbung oder in den Groschenromanen und Hollywood-Produktionen lassen sich diese Zielkonflikte leicht überspielen. Doch im wirklichen Leben einer Wohlstandsgesellschaft sind sie auf der Tagesordnung. Natürlich könnte jetzt ein Marketingstratege kritisch anmerken: „Was interessieren mich die ethischen Werte? Meine Kunden denken ökonomisch und verlangen dasselbe von mir. Ethik ist gut, hat aber nichts mit dem Absatzerfolg zu tun.“ Gerade die letzte Feststellung erscheint zunehmend fragwürdig. Niemand wird ernsthaft leugnen, dass Menschen ethische Bedürfnisse haben. Fest steht nur, dass es offensichtlich schwierig ist, diese Bedürfnisse im Rahmen unseres wettbewerbsorientierten Wirtschaftssystems auszuleben. Das heißt aber nicht, dass wir auf Ethik verzichten könnten. Wir sollten es schon deshalb nicht, weil wir dadurch unseren Wohlstand gefährden würden.

duktnutzen verkaufs- und wettbewerbsrelevant aufzuwerten. Das Produkt wird erworben, weil es etwas Gutes bewirkt. Soziökonomische Grundbedürfnisse der Wohlstandskonsumenten Die werthaltige Kommunikation befriedigt drei sozioökonomische Grundbedürfnisse der Wohlstandsbürger. Das erste ist das Bedürfnis nach Sicherheit, von dem bereits ausführlich die Rede war. Die beiden anderen beziehen sich auf die Vorstellung eines glücklichen und erfüllten Lebens. Es sind die Bedürfnisse nach Anerkennung und Selbstbestätigung. Die Anerkennung ist der Wunsch, in der Gesellschaft gut anzukommen. Der Adressat strebt danach, weil er sich davon Vorteile verspricht. Er fühlt sich anerkannt, wenn er positive Feedbacks von seinen Mitmenschen bekommt: wenn er begehrt, geliebt, beneidet, bevorzugt oder befördert wird. In diesem Sinn ist das persönliche Glück oft ein Geschenk unserer Mitmenschen.

Die werthaltige Kommunikation führt ethische Werte mit emotionalen Erlebnisformen zusammen. Sie schafft damit eine „gute“ Positionierung. Diese ist in der Lage, den Pro-

In der Bedürfnispyramide, die der amerikanische Psychologe Maslow entwickelt hat, wird die Anerkennung als Status definiert. Das klassische Verständnis von Status scheint jedoch zu stark materiellen Charakter zu haben. Es wird zunehmend deutlich, dass auch Personen mit Anerkennung belohnt werden, deren Statussymbole eher im

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Hintergrund bleiben. Die werthaltige Kommunikation sorgt sowohl für die faktische Bestätigung als auch für deren symbolischen Charakter. In unserer Wohlstandsgesellschaft leben einige Menschen, die sich eigentlich alles leisten könnten. Es handelt sich dabei natürlich um eine relative Formulierung. Niemand ist in der Lage, sich wirklich alles zu kaufen. Doch es gibt viele, die sagen: Ich kann alles haben, was ich brauche. Es sind die wahren Wohlstandsbürger, die auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse nach Sicherheit, Anerkennung, vor allem aber nach Selbstbestätigung streben. Die Wohlhabenden suchen nach Selbstbestätigung Bei den Wohlstandsbürgern spielt der Wunsch nach Selbstbestätigung eine besondere Rolle. Sie möchten sich beweisen, dass sie so leben, wie sie leben möchten. Häufig wird in diesem Zusammenhang vom Bedürfnis nach Selbstverwirklichung gesprochen. Es scheint jedoch, dass in einer Wohlstandsgesellschaft die Selbstbestätigung das entsprechende Verlangen besser beschreibt.

glück. Er kann dieses nur auf der Basis von glaubwürdigen und nachhaltigen Wertvorstellungen finden. Die Selbstbestätigung braucht klares Wertebewusstsein. Nur wenn der Wohlhabende weiß, woran er sein Leben messen kann, ist er in der Lage, sich selbst zu bestätigen. Werte geben seinem Leben Stabilität und Sinn. Sie bestimmen auch seine Kaufentscheidungen. Die emotionalen Werte bestimmen den Markenerfolg Werthaltige Kommunikation befriedigt die Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Anerkennung und Selbstbestätigung. Sie tut es auf eine integrative Weise. Alle drei Grundbedürfnisse bilden eine Einheit, der ein integriertes Markenprofil gerecht werden muss.

Wenn ein Mensch seine beruflichen und privaten Ziele erreicht und sich in diesem Sinne selbst verwirklicht hat, verspürt er immer noch das Bedürfnis nach Selbstbestätigung. Er möchte sein Lebenskonzept weiter pflegen und kultivieren. Deshalb sucht er nach dem stabilen Lebens-

Ein werteorientiertes Markenprofil sorgt für die Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der Marketingkommunikation. Auf der anderen Seite braucht man eine bestimmte Kommunikationsform, um werteorientierte Markenprofile zu vermitteln. Diese zeichnet sich durch einen starken Erlebnischarakter aus. Die Adressaten werden durch emotionale Werte in ihrem ethischen Bewusstsein angesprochen. Hat eine Marke ein werteorientiertes Profil, braucht man für ihre Positionierung erheblich weniger Aufwand. Denn das Werteprofil nutzt sich nicht so schnell ab. Die werthaltige Kommunikation verleiht nachhaltig gute Ge-

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fühle. Sie wirken länger, weil sie eine glaubwürdige Basis haben. Die Marketingkommunikation versucht heute schon die Produktvorteile werteorientiert zu positionieren. Dabei kommt es aber nicht selten vor, dass die Markenwerte mit den Erlebnisformen verwechselt werden. Die Kommunikationsstrategen glauben einfach, dass es reicht, einen neuen Lifestyle zu kreieren. Damit haben sie aber oft keinen Erfolg. Die Kreativität hat ein enormes Differenzierungspotenzial. Sie wird aber zunehmend einseitig eingesetzt. Die Werbestrategen nutzen sie, um Positionierungslücken durch virtuelle Lifestyle-Vorstellungen zu füllen. So wird die Kreativität zum Lückenfüller des fehlenden Werteprofils. Eine Marketingkommunikation, welche die Markenwerte nicht stichhaltig begründen kann, wirkt unglaubwürdig. Das Bedürfnis nach Sicherheit, Anerkennung und Selbstbestätigung muss faktisch befriedigt werden. Das schafft nur eine werthaltige Kommunikation. Sie verbindet gute Gefühle mit guten Taten.

schied zum klassischen Einsatz besteht lediglich in der Einschätzung des sozialen Bewusstseins als Absatzfaktor. „Ethik verkauft“ – heißt der Schlachtruf der Good Economy. Der Schlachtruf wirkt. Wir brauchen uns nur die Macht unseres ethischen Bewusstseins vergegenwärtigen, wenn es um unsere Gefühle und Sehnsüchte geht. Wir werden in der Regel zu Tränen gerührt, wenn das Gute über das Böse siegt. Leider spielen sich solche Geschichten bisher fast nur in der medialen Scheinwelt ab. Die werthaltige Kommunikation macht sie zu wirklichen Erlebnissen. Wir können das Gute auch in der Wirklichkeit erleben. Dafür brauchen wir Good Economy mit ethischem Marketing und werthaltiger Kommunikation. Damit sie allerdings erfolgreich wird, ist eine Voraussetzung zu erfüllen. Die Adressaten der Botschaft müssen sich von ihrem ethischen Bewusstsein tatsächlich leiten lassen. Ob dies möglich ist, wird im nächsten Kapitel untersucht. Zur praktischen Anwendung

Die werthaltige Kommunikation will nicht die Marketinggesetze verändern. Sie geht von dem Grundsatz aus, dass nicht das Produkt, sondern die Bedürfnisse wichtig sind, die über den Konsum befriedigt werden. Der Unter-

Das Vorgehen der werthaltigen Kommunikation unterscheidet sich formal nicht von den klassischen Werbekampagnen. Es gibt allerdings gravierende inhaltliche Unterschiede. Sie betreffen in erster Linie das Werteprofil einer Marke, aus dem eine Positionierung entwickelt wird. Diese Positionierung verbindet ethische Wertvorstellungen mit emotionalen Lebensformen und schafft damit eine Synthese von Werthaltigkeit und Lifestyle.

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Werthaltige Kommunikation respektiert die Marketinggesetze


Eine Schwäche der klassischen Marketingkommunikation besteht darin, dass sie sich nur um emotionale Lebensformen kümmert. Man fragt, was will der Verbraucher, meint dabei aber, was ihm persönlich einen emotionalen Nutzen bringt. Die Antwort darauf beschreibt oft ein projiziertes Konsumbedürfnis, welches das jeweilige Markenangebot befriedigen kann. Damit bleibt die ethische Dimension des Wertebewusstseins unberücksichtigt.

kreative Lösungen erforderlich. Die werthaltige Kommunikation stellt einen stringenten Weg von der Analyse zur Kreativität dar. Sie verleiht den ethischen Markenwerten einzigartige Erlebnisformen.

Ethisches Marketing geht davon aus, dass emotionale Werte eigentlich nicht direkt durch den Konsum befriedigt werden, weil sie sich nur im Bewusstsein des Verbrauchers befinden. Sie haben ideellen und nicht materiellen Charakter. Der Konsument sucht allerdings nach praktischen Lebensformen, durch die er sein Wertebewusstsein bestätigen kann. In diesem Sinne kauft er und konsumiert er Markenprodukte. Das Leistungsversprechen vieler Markenprodukte wird dem Wertebewusstsein der Verbraucher nicht gerecht. Das liegt daran, dass ethische Werte außerhalb der eigentlichen Konsumtätigkeit angesiedelt sind. In diesem Fall kann nur die werthaltige Kommunikation helfen. Sie zeigt, dass Marken etwas Gutes tun und beteiligt den Käufer emotional an den guten Taten. Jede Marke braucht ihre eigene werthaltige Positionierung. Um sie zu entwickeln, sind analytische Arbeit und 118

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Kapitel 5

Die Ethik und das Bewusstsein der Freiheit

Die werthaltige Kommunikation sorgt f端r eine bessere Wirtschaftlichkeit des Marketings. Sie funktioniert allerdings nur unter einer Voraussetzung. Die Konsumenten ber端cksichtigen bei ihren Kaufentscheidungen auch ethische Gesichtspunkte. Warum sollten sie das aber freiwillig tun? Die vorliegende Schrift besch辰ftigt sich mit dieser Frage. Sie zeigt dar端ber hinaus, dass die Ethik im Bewusstsein der Freiheit wurzelt, nach der sich jeder Mensch sehnt.

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*** Good Economy setzt auf die ethischen Kaufmotive. Sie wirkt dabei den Erfahrungen der Habseligkeit entgegen, die die Konsumenten zunehmend frustrieren. Ihre Kernthese lautet, dass gute Gefühle mit guten Taten zusammenhängen und zu freiwilligen Kaufentscheidungen zugunsten der guten Taten führen. Gute Worte reichen dafür nicht immer aus. Unsere ethischen Einstellungen sind nicht frei Damit stoßen wir auf ein Problem. Die ethischen Einstellungen der Wohlsstandsbürger sind nicht frei. Vielmehr richtet sie sich nach dem Grad ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Befinden sie sich innerhalb eines sozioökonomischen Systems und sind ihre Interessen von den Entscheidungen unmittelbar betroffen, urteilen sie anders, als wenn sie außerhalb des Systems stehen. Das ist das Ergebnis ihres strategischen Denkens. Sind die Akteure umittelbar betroffen, denken sie in der Regel nicht ethisch, sondern strategisch. Diese Kausalität scheint unabhängig von Rang und Namen zu gelten. Sollen die Gehälter der Topmanager gekürzt, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich erhöht, die Beamtenpensionen dem Rentenniveau angepasst, der Kündigungsschutz für Angestellte gelockert, die Prüfungsordnung für Studenten ver122

schärft, die Arbeitsplätze in der kommunalen Verwaltung abgebaut, die Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer beschränkt werden? Die Antwort auf diese Fragen hängt vor allem davon ab, ob die Wohlstandsbürger Topmanager, Arbeiter, Beamte, Angestellte, Studenten, Kommunalbeschäftigte oder Ausländer sind. Ihre Einstellungen richten sich in Situationen der unmittelbaren Betroffenheit überwiegend nach dem Eigenennutz. Darunter leidet ihre ethische Freiheit. Die Ethik sagt uns, dass wir produktiv teilen sollten. Eine Welt, in der wenige alles haben und viele kaum etwas, empfinden wir als ungerecht und änderungsbedürftig. Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, sagte Hegel. Doch das strategische Denken lässt keine ethische Handlungsfreiheit zu. Stellen wir uns vor, dass wir alle frei denken und handeln können. Würden wir dann alle Gutes tun? Man könnte spontan geneigt sein, die Frage zu bejahen. Leider ist es nicht so, solange wir unsere Intelligenz strategisch nutzen. Mit diesem Problem muss das ethische Marketing fertig werden. Der Widerspruch wird nicht thematisiert Jede Ethik beruht auf der Idee der freien Wahl. Das ethische Marketing folgt der Maxime der Freiheit. Es gibt den Konsumenten die Möglichkeit, sich aus freier Überzeugung für das Gute zu entscheiden. Deshalb klärt es darüber 123


auf, was die Käufer durch den Erwerb von Good Economy Produkten bewirken. Sein Vorgehen ist nicht manipulativ, sondern aufklärend. Gegen die Aufklärung der Konsumenten gibt es im klassischen Marketing ernste Bedenken. Man fürchtet, dass sich aufgeklärte Verbraucher kontraproduktiv entscheiden könnten. Ethisches Marketing vertritt dazu eine entgegengesetzte Position. Es fördert das Bewusstsein der freien Entscheidungen. Dabei bedient es sich allerdings auch einer kleinen List. Ethisches Marketing respektiert die Freiheit der Entscheidung. Seine Gestalter wissen aber gleichzeitig, dass viele Wohlstandsbürger in ihrem Denken und Handeln gar nicht frei sind. Die List besteht darin, diesen Widerspruch nicht zu thematisieren. Stattdessen wird einfach unterstellt, dass wir uns alle aus Einsicht frei entscheiden können. Jede ethische Entscheidung beruht auf freier Einsicht. Sie hat aufgeklärten Charakter. Wir entschließen uns zum Beispiel freiwillig zu teilen, weil wir ein Unrecht korrigieren wollen. Wir haben natürlich auch die Freiheit, nicht zu teilen und die Umstände für recht und billig zu erklären. Wir haben also freie Wahl, ethisch oder unethisch zu handeln. Der Philosoph Kirkegaard hat uns darauf hingewiesen, dass dieses Entweder-oder unsere Existenz prägt. 124

Wer kann garantieren, dass sich Verbraucher für ethisch gute Marken entscheiden? Leider niemand. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie es tun werden. Denn die Menschen sehnen sich grundsätzlich danach, die Systemambivalenzen zwischen Ökonomie und Ethik zu überwinden. Das lässt sich am Phänomen der kognitiven Dissonanz veranschaulichen. Wir mögen die sozioökonomischen Zielkonflikte nicht Sollen wir gerecht und produktiv teilen? Ich kenne niemanden, der dagegen wäre. Es ist dennoch offensichtlich, dass wir es nicht immer tun. Diese Abweichung nennt man kognitive Dissonanz. Sie ist ein Beleg dafür, dass wir die Zielkonflikte zwischen Ökonomie und Ethik nicht mögen. Sonst könnten wir uns doch leicht zu unserem Egoismus bekennen. Stattdessen leben wir in einer Abweichung zwischen Worten und Taten, ohne sie laut zuzugeben. Deshalb ist anzunehmen, dass wir jedem dankbar sind, der die Zielkonflikte versöhnt. In der kognitiven Dissonanz spiegelt sich unser ethisches Grundproblem wider. Wir möchten frei entscheiden und tun es trotzdem nicht. Was ist der Grund für diese Ambivalenz? Es gibt zwei mögliche Erklärungen. Es ist einerseits möglich, dass unser ethischer Wille viel zu schwach ist, um unser strategisches Verhalten nachhaltig 125


zu beeinflussen. Wir wollen der Ethik folgen, aber wir können es nicht. Es gibt allerdings noch eine andere Möglichkeit. Wir handeln nicht ethisch, weil wir es gar nicht wollen. Wir wissen nicht, welche Erklärung richtig ist. Denn unser Handeln lässt sich einerseits als schicksalhaft und vorbestimmt und andererseits als frei und selbst bestimmt interpretieren. Beides ist möglich und beides ist gleich wahrscheinlich. Das stellt uns vor ein ethisches Dilemma.

ethische Freiheit. Sie gilt nur für unterschiedliche Bereiche. Wenn wir frei sind, sind wir in der Lage, das Gute selbst zu erkennen. Wenn unser Handeln vorbestimmt ist, haben wir die Freiheit an Gott zu glauben, der uns zur richtigen Einsicht führen wird. Wir können nichts Endgültiges über unser Leben wissen. Wir besitzen aber die Freiheit, Fragen zu stellen. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, sagte Sokrates. Das war der Grund, warum er so viel fragte.

Das Dilemma der Entscheidungsfreiheit Einerseits können wir glauben, dass wir vom Baum der ethischen Erkenntnis gegessen haben. Dann kennen wir nicht nur den Unterschied zwischen Gut und Böse. Vielmehr haben wir auch die Freiheit, gut zu handeln. Wir müssten es lediglich nur tun. Es ist allerdings auch möglich, dass wir Sklaven der inneren und äußeren Zwänge sind oder unserem Schicksal blind folgen. In diesem Fall hoffen die meisten, dass ihnen das Gute vorbestimmt ist. Wer meint, über seinen Lebensweg selbst nicht entscheiden zu können, glaubt in der Regel an Gott. Denn wer sonst sollte die Geschicke der Menschen lenken?

Wir besitzen die Entscheidungs- oder die Glaubensfreiheit. Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, warum viele das ethische Bewusstsein aufgeben. Das ist dann der Fall, wenn sie aufhören, sich mit ihrer ethischen Freiheit zu beschäftigen. Wer über Gott und die Welt nicht mehr bewusst nachdenkt, verfällt dem strategischen Eigennutzdenken.

Wir wissen nicht, ob wir in unserem Denken und Handeln frei sind. Dadurch verlieren wir allerdings nicht unsere

In ihren strategischen Entscheidungen richten sich die Akteure nach ihrem größten Eigennutz. Sie möchten das meiste für sich herausholen und bewirken dabei oft das Gegenteil. Das ist wenigstens die Grundthese der Spieltheorie. Sie beweist, dass auch die klügsten Strategien der Beteiligten zu einem insgesamt unbefriedigenden Ergebnis führen, wenn sie in einem Gefangenendilemma stecken. Viele Spieltheoretiker glauben sogar, dass es daraus keinen Ausweg geben kann.

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Es gibt einen Ausweg. Er liegt außerhalb des strategischen Denkens. Nur eine ethische Besinnung kann dagegen etwas ausrichten. Doch sie hat auch sehr starke Gegner. Good Economy hat starke Gegner Die Ethik wurzelt in der Freiheit, Fragen über die Sinnhaftigkeit des Lebens und das richtige Handeln zu stellen. Wenn wir auf diese Freiheit verzichten, geben wir unser soziales Verantwortungsbewusstsein auf und werden zum Opfer des fruchtlosen Habseligkeitsstrebens. Der Verzicht auf die Freiheit scheint dabei aus zwei dekadenten Lebenseinstellungen zu entspringen. Die erste steckt in einer permanenten Sinnkrise und blendet die Ethik völlig aus. Es ist die Haltung des Nihilismus. Die zweite ersetzt die Ethik durch die Egozentrik. Beide Einstellungen sind natürliche Gegner der Good Economy.

Es ist leicht, sich darauf zu berufen, dass es keinen Gott gäbe, weil die Menschen kein gutes und gerechtes Leben führen würden. Aber gerade in diesem Fall gewinnen wir unsere ethische Freiheit zurück. Wir sind autonom und können aus freier Einsicht das Richtige tun. Wenn Gott tot ist, trage ich selbst die Verantwortung für die Welt. Alles, was ich tue oder lasse, muss ich vor meinem eigenen Gewissen rechtfertigen. Gegen den Nihilismus geht das ethische Marketing mit neuem Wertebewusstsein vor. Es zeigt, wofür es sich lohnt zu leben. Dadurch setzt es einen Kontrapunkt zu der fehlenden Sinnhaftigkeit. Es eröffnet neue Perspektiven und lässt die Menschen wieder hoffen. Die Resistenzkraft der Egozentrik Die Egozentrik ist gegen Good Economy erheblich resistenter. Die ethische Unberührtheit zeigt sich in einer Lebenseinstellung, die nur den Eigennutz gelten lässt. Die Egozentriker sind Strategen, die aus der Erwartung des eigenen Vorteils handeln. Sie teilen nur dann, wenn sie dafür eine Gegenleistung erhalten.

Der Nihilist denkt nicht über die Freiheit nach. Er frönt der Habseligkeit, weil er keinen anderen Sinn im Leben sieht. Er leugnet das Gute und hält die Welt grundsätzlich für ungerecht. Dahinter verbergen sich meist schlechte Lebenserfahrungen. „Gott ist tot. Die Menschen haben ihn getötet.“ Der Nihilist findet bei Nietzsche die vermeintliche Rechtfertigung seiner dekadenten Lebenseinstellung. Er merkt nicht, wie er dabei seine ethische Freiheit zerstört. Würde er etwas gründlicher über sein Leben nachdenken, könnte er schnell zum Guten zurückfinden.

Egozentriker sind meist erfolgreiche Menschen, die sich in unserer Wettbewerbsgesellschaft durchgesetzt haben. Dabei konnten sie oft feststellen, dass unser Wirtschaftssystem das Streben nach dem Guten eher bestraft

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als belohnt. Der strategische Wettbewerb kennt keine soziale Gerechtigkeit. Der Profit wird durch das Teilen geschmälert. Die Egozentrik ist eine Reaktion auf den zunehmenden Wettbewerbscharakter unserer Gesellschaft. Wenn wir dafür bestraft werden, dass wir nicht auf unseren eigenen Vorteil achten, dann möchten wir lieber auf die Ethik verzichten. Wir geben sie auf und streben stattdessen nach dem Eigennutz. Das macht uns zu Strategen unseres eigenen Untergangs. Solange sich unser Wohlstand am materiellen Wachstum orientierte, trieb die Egozentrik unsere Wirtschaft voran. Je mehr Besitz wir uns anschafften, desto besser ging es uns allen. Mit der Umstellung auf die Erlebniswerte verlor das Eigennutzstreben seine produktive Kraft. Es bereichert uns nicht ökonomisch, weil es nicht die Vermögensbildung fördert. Stattdessen entwertet es unser soziales Bewusstsein.

stärkere Erlebnisse, um ihr Streben nach der Habseligkeit zu befriedigen. Als die Wohlstandsbürger noch nicht alles hatten, waren sie auf das Erworbene stolz. Sie schauten sich ihr neues Auto oder das neue Haus an und sagten: „Es geht mir gut.“ Heute haben manche Egozentriker mehrere Autos und Häuser und sagen: „Das reicht mir nicht.“ Nur langsam begreifen sie, dass auch der größte Besitz sie auf längere Sicht nicht glücklich machen kann. Die Egozentriker leiden unter ethischer Kurzsichtigkeit. Sie besitzen meistens viel mehr, als sie eigentlich zum guten Leben brauchen und können trotzdem kaum teilen. Das Streben nach der eigenen Habseligkeit lässt sie leicht vergessen, dass es unzählige Menschen gibt, die um die nackte Existenz kämpfen. Sie streichen sie aus ihrem Bewusstsein, weil sie das Leben nur als eigenen Vorteil sehen und sich in dieser Haltung durch die Wettbewerbsgesellschaft bestätigt fühlen.

Die Egozentriker leiden unter ethischer Kurzsichtigkeit Die Egozentriker sehen immer weniger, was um sie herum passiert. Vielleicht wollen sie es gar nicht sehen. Sie kümmern sich nicht um soziale Probleme, weil sie nur an die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse denken. Ihre Selbstzentriertheit ist umso größer, je stärker sie materiell und emotional saturiert sind. Dann brauchen sie immer

Unsere Wohlstandsgesellschaft ist eine Wettbewerbsgesellschaft. Sie legt uns nahe, dass der Ertrag unserer Arbeit uns gehört. Wir brauchen ihn nicht mit anderen zu teilen, weil wir ihn im Schweiße unseres Angesichts erwirtschaftet haben. Die Egozentriker glauben sogar, vollen Anspruch darauf zu haben, auch wenn sich ihre Anstrengungen in Grenzen hielten. Es sei doch ihr Verdienst, im System stra-

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tegisch so gut agiert zu haben, dass sie jetzt einen satten Gewinn einstreichen können.

Egozentriker, weil sie ihn sozial erhöht. Das ist die List, mit der sie das strategische Denken überwindet.

Die egozentrische Argumentation ist logisch nicht stichhaltig. Wenn man von einem System profitiert, heißt es noch lange nicht, dass man seine Ungerechtigkeiten billigend in Kauf nimmt. Wir können auch die Natur nicht ändern und versuchen trotzdem, für einen gerechten Ausgleich zu sorgen. Solche Argumente können den Egozentriker aber noch nicht überzeugen. Deshalb bleibt dem ethischen Marketing nichts anderes übrig, als zu einer List zu greifen.

Der Egozentriker denkt strategisch. Das ist seine Stärke. In dieser Stärke liegt aber auch seine Schwäche. Er kann öffentlich nicht zugeben, dass ihm nur der Eigennutz wichtig ist. Stattdessen verstellt er sich oft hinter einer ethischen Fassade. Darin sieht die werthaltige Kommunikation ihre Chance.

Die Egozentrik wird durch die Teufelslogik überlistet Gegen die Egozentrik hilft nur ein listiges Vorgehen. Die werthaltige Kommunikation darf dem Egozentriker nicht den Spiegel seiner wahren Interessen vorhalten. Statt dessen sollte sie ihm deutlich machen, dass er einen noch viel größeren Nutzen haben könnte, wenn er seinen Handlungen einen ethischen Anschein geben würde. Damit schlägt sie ihn mit seinen eigenen Waffen.

Die werthaltige Kommunikation macht dem Egozentriker deutlich, dass er sein Eigennutzstreben intelligenter verbergen könnte als durch bloße Lippenbekenntnisse. Sie beteiligt ihn an guten Werken und erhöht deshalb sein Selbstwertgefühl. Darüber hinaus verleiht sie ihm soziale Anerkennung, die er so sehr für sein Ego braucht. So überlistet sie ihn, sich für das Gute zu entscheiden, auch wenn er es gar nicht im Sinn hat. Ethisches Marketing macht aus Saulus noch keinen Paulus

„Ich bin ein Teil jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Das sagt Mephisto in Goethes Faust. Der Egozentriker würde es nicht sagen. Er könnte es aber trotzdem tun, wenn das ethische Marketing ihn dazu veranlasst. Die werthaltige Kommunikation schmeichelt dem

Ethisches Marketing veranlasst den Egozentriker dazu, die guten Taten zu unterstützen. Sie macht ihn aber im Inneren seines Kerns noch nicht gut. Ist eine solche Beeinflussung gerechtfertigt? Sicherlich nur zum Teil. Es scheint allerdings keine andere Alternative zu geben, wie man die Egozentrik schnell und wirksam für die Absatzwirtschaft nutzen könnte.

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Ethisches Marketing beruft sich auf den Grundsatz, dass der Zweck die Mittel heiligt. Theoretisch gibt es zwar die Möglichkeit, den Egozentriker über die Folgen seiner Handlungen aufzuklären und dabei zu versuchen, ihn zur sozialen Besinnung zu bringen. Dieses Verfahren ist aber praktisch langwierig und häufig wenig effektiv. Der Egozentriker hört sich die ethischen Appelle an und bleibt kaum beeindruckt. Er findet darin kein stichhaltiges Argument, warum er seine Haltung aufgeben sollte. Den Egozentriker kann man nicht überzeugen. Er lässt sich aber recht einfach beeinflussen. Besonders anfällig ist er dabei auf ethische Selbstbestätigungskonzepte. Denn soziale Anerkennung ist das Einzige, das er sich mit seiner strategischen Schläue nicht kaufen kann.

Werte nach, die unser Handeln bestimmen sollten und folgen ihnen auch. Es geht uns nicht darum, eine nachträgliche Legitimation für zwanghaft getroffene Entscheidungen zu finden. Vielmehr wollen wir uns auf bestimmte Handlungsmotive selbst verpflichten, die wir auch unter allen Umständen befolgen. Wir sollten uns offen und ehrlich fragen, welche Werte für uns wichtig sind. Wir sollten unsere Intelligenz nutzen, um uns selbst die Frage zu stellen. Wenn wir nur noch strategische Ziele verfolgen, sollten wir wieder über unsere sozialen Grundwerte nachdenken. Das reicht in der Regel schon aus, um eine ethische Lebenseinstellung zurückzugewinnen.

Der richtige Weg zur ethischen Freiheit

Wenn wir über uns bewusst nachdenken, kommen wir an einer Einsicht nicht vorbei. Wir leben nur eine begrenzte Zeit. Wir waren nicht immer da und werden auch nicht ewig da sein. Vielmehr ist unser Leben ein Prozess. Wir sind klein und werden groß. Wir sind jung und werten alt. „Wir sind … und wir werden …“ Das ist eine Grundform unserer Existenz.

Es wäre viel schöner und wünschenswerter, wenn man den Egozentriker durch die Aufklärung zum sozialen Verhalten bringen würde. Das könnte auch durchaus funktionieren, wenn sich der Egozentriker auf die Freiheit besinnen würde, Fragen zu stellen. Er bräuchte nur gründlich darüber nachzudenken, warum er in einer kognitiven Dissonanz lebt. Wer dies fragt, wird schnell herausfinden, dass er auch anders handeln kann als bisher.

Das Nachdenken über Werte und Ziele

Die ethische Freiheit entsteht aus der bewussten Differenz zwischen Denken und Handeln. Wir denken über die

Nichts bleibt so wie es ist. Die Veränderung gehört zur Existenz wie die Mutter zum Kind. „Alles fließt“, sagte Heraklit. Er sah im Werden und Vergehen ein Grundmuster des Lebens. Seine Theorie hat bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren.

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Wir wissen, dass nichts so bleibt wie es ist. Unsere Existenz ist durch das Werden und Vergehen bestimmt. Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Möglichkeiten, unser Leben zu bewältigen. Einerseits kann ich versuchen, den Veränderungen zu trotzen. In diesem Fall entwickle ich eine stabile Weltanschauung, die meinem Leben einen Sinn gibt. Sie beruht in der Regel auf ethischen Werten. Andererseits möchte ich die Zeit nutzen, um etwas im Leben zu erreichen. Dafür setze ich mir bestimmte Ziele. Ich verfolge sie konsequent und bin dabei auch bereit, mich den Umständen anzupassen. In diesem Fall entwickle ich mich zum Strategen meines eigenen Erfolgs. Alles fließt und wir können nicht zweimal in denselben Fluss eintauchen. Das heißt aber nicht, dass wir immer mit dem Strom schwimmen sollten. Wir haben die Freiheit uns zu entscheiden. Wir können an unseren ethischen Werten festhalten oder uns auf das Erreichen strategischer Ziele konzentrieren. Es wäre schön, wenn die Werte mit den Zielen übereinstimmen würden. Häufig gibt es dazwischen aber Zielkonflikte, die uns eine Entscheidung abverlangen.

die Strategie. Sie bestimmt erst die Werte und leitet daraus die Ziele ab. Zur praktischen Anwendung Bei der Erstellung von Markenkonzepten sind klare Prioritäten zwischen Werten und Zielen zu beachten. Wir bestimmen zuerst die ethischen Werte der Marke. Erst dann werden strategische Ziele definiert. Das Werteprofil darf auf gar keinen Fall zu Gunsten des kurzfristigen Erfolgsdenkens aufgegeben werden. Wer das tut, untergräbt die kommunikative Wirkung und gefährdet damit den nachhaltigen Markenerfolg. Werte sind von hoher Dauer. Ziele müssen immer wieder neu gesetzt werden. Jede Markenphilosophie sollte sich an diesem Schema orientieren, wenn sie längerfristig erfolgreich sein soll. Denn nur Werte können für hohe Identifikation und stabile Markenbindung der Verbraucher sorgen.

Wir sind beim Nachdenken über unsere Existenz auf eine wichtige Differenzierung gestoßen. Wir können unser Handeln sowohl ethisch als auch strategisch ausrichten. Die werthaltige Kommunikation setzt die Ethik vor 136

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Kapitel 6

Welcome to the Good Economy

Paul Gutmann hat ein einziges Mal Ăśffentlich Ăźber Good Economy gesprochen. Darin unternimmt er den Versuch, alle Argumente, die fĂźr seine Idee sprechen, zusammenfassend darzustellen. Die vorliegende Schrift gibt den Textlaut des frei gehaltenen Vortrags mit einigen wenigen redaktionellen Korrekturen wieder.

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*** Welcome to the Good Economy. Ich möchte Ihnen eine Idee vorstellen, die zu einer Marketingrevolution führen könnte. Es ist die Idee des ethischen Marketings. Ich habe sie deshalb entwickelt, weil ich glaube, dass sie für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtig ist. Vor allem bin ich aber davon überzeugt, dass sie uns helfen würde, den Wohlstand bei uns zu sichern und im globalen Maßstab auszuweiten. Fangen wir mit der Fragestellung an, die Sie wahrscheinlich am meisten interessiert: Warum brauchen wir ethisches Marketing? Die Begründung dafür liegt nicht alleine darin, dass der allgemeine Verfall der sozialen Werte die Sicherheit und Stabilität unserer Gesellschaft gefährdet. Wir brauchen ethisches Marketing, weil es ökonomisch notwendig ist. Wir brauchen ethisches Marketing Unsere Wirtschaft kann heute Waren und Dienstleistungen in einem fast unbegrenzten Umfang bereitstellen. Doch es wird immer schwieriger, die Güter profitabel abzusetzen. Die Ausgaben für Marketing steigen ins Unermessliche, ohne dass dabei die gesetzten Absatzziele immer realisiert werden können. Auf der anderen Seite brauchen wir unbedingt eine permanent hohe Nachfrage, weil davon unser Wohlstand abhängt. 140

Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus? Ich meine, dass wir dafür ethisches Marketing brauchen. Darunter verstehe ich eine Ausrichtung der Absatzwirtschaft auf den Markt, die sich gleichermaßen von ökonomischen und sozialen Zielsetzungen leiten lässt. Ein solches unternehmerisches Handlungskonzept bezeichne ich als Good Economy. Good Economy ist ein Wirtschaftsprogramm, das ethischen Charakter hat. Sie beruht auf dem Grundsatz des produktiven Teilens. Wer mit anderen teilt, ist nicht nur ein guter Mensch, sondern fördert auch die Verbreitung des Wohlstands. Unser eigener Wohlstand ist zum großen Teil nach dem Prinzip des produktiven Teilens entstanden. Der Wohlstand entsteht aus produktivem Teilen Die wenigsten von Ihnen können sich an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern, als Deutschland in Schutt und Asche lag. Kaum zwanzig Jahre später erlebten wir ein Wirtschaftswunder. Möglich wurde diese Entwicklung nur durch ein Aufbauprogramm der USA. Die Amerikaner waren bereit, mit ihren ehemaligen Kriegsgegnern zu teilen und boten uns Hilfe zur Selbsthilfe an. Ihre Einstellung ist bis heute ein exzellentes Beispiel für Good Economy. Good Economy entsteht aus produktivem Teilen. Dieses ist eigentlich ein Grundprinzip unseres Gesellschaftssys141


tems, das auf der Idee der Sozialen Marktwirtschaft beruht. Was die freie Marktwirtschaft an Mehrwert hervorbringt, kommt nicht – wie im reinen Kapitalismus – nur einigen wenigen Besitzern von Produktionsmitteln zugute. Vielmehr profitiert die gesamte Gemeinschaft davon, indem die wirtschaftlichen Überschüsse und Belastungen nach einem sozialen Schlüssel verteilt werden. Diese Verteilungsaufgabe liegt in der Hand der Ordnungspolitik. Obwohl die Soziale Marktwirtschaft in ihren Grundsätzen nach wie vor Bestand hat, erweist sie sich als immer weniger effektiv. Der Mehrwert in Form der Unternehmensgewinne und privater Haushaltsüberschüsse ist in den letzten Jahren nicht geringer geworden. Trotzdem sinken die Sozialleistungen des Staates, weil auch die Anzahl derer, die sie in Anspruch nehmen, zunehmend größer wird. Damit nähert sich das System den Grenzen seiner Belastbarkeit. Wird diese Grenze überschritten, droht nur ein wirtschaftlicher Zusammenbruch. Ich möchte das an einem Beispiel zeigen. Mehr Ehrlichkeit ist vonnöten Denken wir nur an unser Gesundheitssystem. Obwohl wir immer mehr für die Krankenversicherung zahlen, bekommen wir dafür immer weniger Leistung. Die Experten streiten darüber, wie man das ändern könnte. Sie kommen aber zu keinem befriedigenden Ergebnis. 142

Ich bin kein Experte für die Gesundheitsversorgung. Deshalb kann ich nicht beurteilen, welche Konzepte uns helfen könnten. Es fällt mir aber auf, dass man einige Konzepte der Sachverständigen nach den Interessen ihrer Auftraggeber differenzieren kann. So habe ich den Eindruck, dass der Sachverstand nicht unbedingt im Dienste der Sache steht. Bevor sich eine große Empörung regt und ich wegen einer solchen unqualifizierten Pauschalkritik an den Pranger gestellt werde, füge ich schnell eine Anmerkung hinzu. Ich halte das Agieren der Experten für systemimmanent und damit legitim. Worum es mir geht, ist nur ein bisschen mehr Ehrlichkeit. Wir sollten ehrlich zugeben, dass wir uns alle zunehmend vom strategischen Denken leiten lassen. Die Schuld trägt das strategische Denken Wer hat Schuld an der wirtschaftlichen Fehlentwicklung? Natürlich ist es einfach, die Kritik auf die Ordnungspolitik zu richten. Auch die gesellschaftlichen Interessengruppen und Wirtschaftsverbände können nicht von der Verantwortung freigesprochen werden. Das eigentliche Problem liegt aber darin, dass sich die Beteiligten gegenseitig beschuldigen, anstatt nach konstruktiven Lösungen zu suchen. Der Grund dafür scheint mir vor allem im strategischen Denken zu liegen. Dieses besteht darin, nach dem größten 143


Eigennutz zu streben. Das strategische Denken entwickelt sich seit Jahren zur dominanten Geisteshaltung in unserer Gesellschaft. Sein Einfluss auf das soziale Verantwortungsbewusstsein der Bürger ist verheerend. Es zerstört vor allem aber auch die produktive Kraft der Sozialen Marktwirtschaft. Es gibt zwei große Gefahren, die aus dem strategischen Denken hervorgehen. Die eine kommt von denjenigen, die außerhalb einer Wohlstandsgesellschaft leben. Sie verfügen nicht nur über geringe Ressourcen, sondern auch über keine große strategische Kompetenz. So hoffen sie auf die soziale Gerechtigkeit und werden zunehmend enttäuscht. In ihrer Verzweiflung sind sie zu Taten fähig, welche die globale Ökonomie lahm legen können. Aber auch die lokalen Brandherde sind nicht minder gefährlich. Soziale Spannungen sind in der Lage, das Konsumklima unserer Wohlstandsgesellschaft derart zu vergiften, dass weite Teile der Wirtschaft zusammenbrechen können. Die zweite Gefahr liegt bei den strategisch Denkenden selbst. Seitdem Friedrich Nietzsche „Gott“ philosophisch für tot erklärt hat, kümmern sich die Wohlstandsbürger fast nur noch um irdisches Glück. Sie streben nur nach der eigenen Habseligkeit. Das macht sie blind für die Probleme, die unser System bedrohen. 144

Das Glücksversprechen der Wohlstandsgesellschaft Unsere Wohlstandsgesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sich jeder Bürger seinen Wunsch nach persönlichem Glück erfüllen kann. Dafür hat die Soziale Marktwirtschaft materielle Grundlagen geschaffen. Das System wird aber immer ineffektiver, weil die Menschen es zunehmend strategisch ausbeuten. Dagegen kann nur eine neue ethische Einstellung helfen. Das Lebenskonzept der Wohlstandsbürger beruht auf Geld und Glück. Sie sehen die beiden Grundelemente aber in einer eindeutigen Reihenfolge. In Armut glücklich zu sein, ist für die meisten unvorstellbar. Daraus entsteht die Priorität des materiellen vor dem geistigen Leben. Diese Haltung bezeichne ich als das Streben nach Habseligkeit. Philosophen und Theologen ermahnen uns mit immer stärkerer Vehemenz dazu, das materielle Denken zu Gunsten von ethischen Werten aufzugeben oder wenigstens einzuschränken. Ihre Appelle bewirken jedoch wenig. Das liegt nicht an der mangelnden Stringenz ihrer Argumente. Es liegt vielmehr daran, dass die Mehrheit der Bevölkerung zur ethischen Grundhaltung angesichts der bestehenden Systemambivalenzen nicht fähig ist. Die zunehmende Ausbreitung der Habseligkeit stürzt die Wohlstandsbürger in eine Sinnkrise. Je mehr sie die Erfah145


rung machen, dass sich ihre Bedürfnisse nicht durch materiellen Konsum befriedigen lassen, desto eher tritt eine tiefgreifende Frustration ein. Dann ist es möglich, dass sie sich mit ihrer starken Kaufkraft radikal dem Konsum verweigern. In der Folge entsteht eine Depressionsphase, von der sich die Wirtschaft vielleicht niemals wieder erholen wird. Good Economy wirkt dem strategischen Denken entgegen. Sie setzt der Habseligkeit die ethische Freiheit entgegen. Die Wohlstandsbürger können sich für gute Taten entscheiden und werden dabei emotional bestätigt. Auf diese Weise fördern sie den Wohlstand bei denjenigen, die ihn aus eigener Kraft nicht erreichen können. Bei uns selbst sorgt Good Economy dafür, dass wir weiterhin konsumieren und unser Wirtschaftssystem am Leben halten. Ethisches Marketing sorgt für Wirtschaftlichkeit Good Economy stärkt den Transmissionsriemen zwischen der Gütererstellung und dem Güterverbrauch. Sie trägt dazu bei, dass die Produkte in einer wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Relation abgesetzt werden können. Zu diesem Zweck wertet sie den Konsum ethisch auf.

weder bleiben sie auf ihren Gütern sitzen, weil die Verbraucher nicht bereit sind, den hohen Preis dafür zu zahlen. Oder sie müssen die Preise so stark senken, dass die Erlöse den gestiegenen Aufwand an Innovation und Kommunikation nicht decken. In dieser Situation besteht nur die Möglichkeit, den Betrieb einzustellen oder durch drastische Kostensenkungsmaßnahmen in die Gewinnzone zu kommen. In beiden Fällen werden nicht nur Arbeitsplätze wegrationalisiert und damit die Belastungen für den Sozialstaat erhöht. Es kommt auch zur Verschiebung der Kaufkraftverhältnisse, die das System weiter gefährden. Einige Wohlhabende nutzen dem System wenig, wenn gleichzeitig die Anzahl von Wenig- und Nichtshabenden wächst. Zwar steigt in diesem Fall der Absatz an Luxusgütern, doch davon kann unser Wirtschaftssystem nicht leben. Wir sind auf Massenkonsum angewiesen. Deshalb ist es notwendig, dass die Masse der Erwerbsfähigen über ausreichende Kaufkraft verfügt, um den Konsum in der Breite zu fördern. Die untauglichen Versuche der Konsumbelebung

Unser Wirtschaftssystem kann nicht auf den Konsum verzichten. Die stattfindende Absatzbeschleunigung gefährdete aber die Wirtschaftlichkeit. Irgendwann werden die Unternehmen vor eine traurige Alternative gestellt. Ent-

Eigentlich sind sich alle Experten einig, dass die inländische Nachfrage für die wirtschaftliche Stabilität unverzichtbar ist. Die Ordnungspolitik spricht genauso davon wie die Gewerkschaften und die Unternehmen. Es fehlt aber eine gemeinsame Konzeption. Das liegt wohl daran,

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dass die meisten Akteure ihre eigenen Interessen im Kopf haben, die sie strategisch verfolgen. Der Staat will durch die Steuersenkungen für mehr Kaufkraft sorgen. Die Bürokratie verschlingt aber immer mehr Finanzmittel. Deshalb werden die Steuern erhöht. Der Absatzförderung wird damit ein Bärendienst erwiesen. Die Gewerkschaften vertreten grundsätzlich die Meinung, dass die Kaufkraft der Arbeitnehmer für die Wirtschaftsentwicklung ausschlaggebend ist. Deshalb fordern sie Lohnerhöhungen. Diese Strategie führt aber nicht weiter, wenn die zusätzliche Kostenbelastung die wirtschaftliche Existenz vieler Unternehmen gefährdet. Dann bekommen zwar einige Werktätige mehr Geld. Andere landen dafür auf der Straße. Es scheint für unser System nicht folgenlos zu sein, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Kaufkraftverteilung im Rahmen der Tarifautonomie getroffen werden. Wenn die Tarifpartner an einem Tisch sitzen und über die Verteilung des Kuchens streiten, besteht die Gefahr, dass sie nur strategisch denken. Dann einigen sie sich auf einen Kompromiss, der den Interessen ihrer Mitglieder dient. Darunter leidet aber in der Regel das ganze System.

Das System als Ganzes ist aber ineffektiver geworden. Die Tarifpartner haben das sicherlich nicht so gewollt. Sie konnten es aber auch nicht verhindern. Wir brauchen einen neuen Lösungsansatz, der das strategische Denken überwindet. Dieser sollte im Rahmen der Ordnungspolitik genauso greifen wie bei den Tarifverhandlungen. Es steht mir nicht zu, mich in die Autonomie des Staates oder der Tarifpartner einzumischen. Ich möchte aber eine Idee anbieten, die von den Unternehmen eigenständig und eigenverantwortlich umgesetzt werden kann. Die Idee heißt Good Economy. Um sie zu verwirklichen, brauchen wir eine ethische Handlungsgrundlage. Die sozialen Werte sind in die wirtschaftlichen Wertschöpfungsprozesse zu integrieren, um neue Ertragspotenziale zu schaffen Wirtschaft ohne Ethik schadet dem System

In unserer Wirtschaft sind in den letzten Jahren sowohl die Arbeitslöhne als auch die Managergehälter gestiegen.

Die ethischen Werte sind in den letzten Jahren immer mehr aus den Blickwinkeln der Unternehmen verschwunden. Die Entscheidungen werden fast ausschließlich nach ökonomischen Kennzahlen getroffen. Das führt erstens dazu, dass das Image der Wirtschaft immer schlechter wird und die Bevölkerung das Vertrauen in die Kompetenz der Unternehmen verliert. Zweitens wird immer deutlicher,

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dass der globale Wettbewerb der wirtschaftlichen Giganten das gesamte System zunehmend destabilisiert.

ökonomischen und zu wenig unter ethischen Gesichtspunkten.

Good Economy wirkt diesem Destabilisierungsprozess entgegen. Sie sorgt dafür, dass unser Wirtschaftssystem funktionsfähig bleibt. In diesem Sinne hat sie einen regenerierenden Charakter. Die Soziale Marktwirtschaft soll nicht aufgehoben und schon gar nicht radikal verändert werden. Vielmehr gilt es, sie ethisch aufzuwerten, um das System produktiver zu machen.

Good Economy holt die Menschen dort ab, wo sie stehen. Sie mahnt sie nicht zur Einhaltung der ethischen Vorschriften. Stattdessen gibt sie ihnen die Möglichkeit, das Gute im Alltag zu praktizieren. Dadurch wird das wirtschaftliche Denken mit dem sozialen Verantwortungsbewusstsein versöhnt.

Wir werden die wachsenden Wirtschaftsprobleme nicht lösen, wenn wir die gängige Steigerungslogik der Absatzwirtschaft fortsetzen. Wir können nicht immer bessere und immer schönere Produkte anpreisen, ohne die Konsequenzen zu bedenken, die sich daraus für unsere gesamte Wirtschaft ergeben. Diese liegen darin, dass wir irgendwann überziehen können und das Marketing seine absatzfördernde Funktion weitgehend einbüßt. Dagegen wirkt das Programm der Good Economy.

Good Economy schafft Hilfe zur Selbsthilfe. Dafür gibt es eine Grundregel: Je erfolgreicher wir sind, desto mehr sollten wir produktiv teilen. Wenn wir der Regel folgen, gleichen wir sozioökonomische Ungleichgewichte aus, die unseren Wohlstand bedrohen. Good Economy sorgt für sozialen Ausgleich. Sie sichert aber auch den Wohlstand, indem sie den Absatz stimuliert. Die Verbraucher werden in die Wirkungskette integriert und damit an den guten Taten beteiligt. Das macht sie zufrieden, sicher, vor allem aber konsumfreudiger.

Die produktive Kraft des ethischen Marketings Good Economy befriedigt die entscheidenden Bedürfnisse der Menschen. Es sind die Bedürfnisse nach Sicherheit, Anerkennung und Selbstverwirklichung. Die Marketingstrategen wissen seit Jahren, dass es auf diese Bedürfnisse ankommt. Sie sehen sie aber meistens zu stark unter

Unsere Wohlstandsgesellschaft braucht schon deshalb Good Economy, weil sich viele bereits in ihrer Suche nach Glück verrannt haben. Die Wohlstandsbürger streben nach Habseligkeit und werden dadurch nur noch unzufriedener. Dagegen kann ethisches Marketing helfen. Es vermittelt gute Gefühle, die den Konsum überdauern.

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Unsere wirtschaftlichen Probleme sind heute vor allem Absatzprobleme. Natürlich spielen im Marketing Produkte, Preise und Distribution eine wichtige Rolle. Entscheidend ist aber die Kommunikation. Sie beeinflusst maßgeblich nicht nur die Wettbewerbsstellung der einzelnen Marken, sondern das gesamte Konsumklima. Dabei kommt es mehr auf Emotionen als auf sachliche Argumente an.

leistungen nutzen. In diesem Sinne basiert Good Economy auf dem sozialen Verantwortungsbewusstsein der Wirtschaft. Das Programm der Good Economy zielt auf die Sicherung des Wohlstands. Es fordert Taten und Worte. Die guten Taten kommen von den Unternehmen. Für gute Worte sorgt die werthaltige Kommunikation.

Ethisches Marketing setzt werthaltige Kommunikation ein Good Economy ist kein leeres Versprechen Wir bezahlen heute viel mehr als die Produkte, die wir kaufen, materiell wert sind. In den Preisen steckt immer ein emotionaler Markenwert. Wir könnten diesen Mehrwert ethisch veredeln und damit neue Wertschöpfungspotenziale erschließen. Das funktioniert allerdings nur, wenn wir werthaltige Kommunikation betreiben. Marketing ist nur dann wirksam, wenn die Kommunikation glaubwürdig ist. Es kommt nicht nur auf schöne Worte, sondern auch auf gute Taten an. Diese entstehen aus dem produktiven Teilen. Dafür steht die englische Wortschöpfung „sharety“. In der sharety liegt die Keimzelle der werthaltigen Kommunikation.

Good Economy ist zunächst natürlich nur ein Schlagwort. Eine Sache muss an sich noch gar nicht gut sein, nur deshalb, weil sie das Gute im Namen führt. Ich unterscheide hier sehr streng zwischen der Intention und deren Wirkung. Eine gute Absicht schafft noch kein gutes Programm. Good Economy ist kein leeres Versprechen. Es geht nicht um eine große Vision der Gerechtigkeit, die sich niemals realisieren lässt. Vielmehr sollten wir anfangen, kleine Schritte zu machen, die uns von dem Risiko des Zusammenbruchs wegführen. Wir brauchen dazu viele kleine Konzepte, die von Unternehmen realisiert werden.

Die werthaltige Kommunikation beteiligt die Menschen an guten Taten. Sie gibt ihnen das Gefühl, wertvoll zu sein. Die Initiative dafür müssen die Unternehmen selbst ergreifen, indem sie den Absatz für soziale Kompensations-

Good Economy entsteht durch die Initialzündung der Wirtschaft. Sie setzt einen Kontrapunkt zu den großen politischen Entwürfen, die zwar das Gefallen der Wähler

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finden, sich in der Regel aber kaum realisieren lassen. Das Konzept fordert nicht den allgemeinen Wohlstand. Vielmehr eröffnet es einen breiten Gestaltungsraum, der individuell ausgestaltet werden kann. Ein Politiker, der Wohlstand für alle fordert, ohne dabei gravierende Einschnitte in die bestehenden Lohn-, Gehalts- und Kapitelertragssteuern oder sonstige Gelderwerbsquellen vorzunehmen, kann sich einer breiten Unterstützung aus allen Bevölkerungsschichten gewiss sein. Er schafft aber niemals, die Forderung in die Tat umzusetzen. Trotzdem finden die Wohlstandsbürger solche Ideen sympathisch, weil sie die Forderung auf sich selbst beziehen. „Wohlstand für alle“ bedeutet in ihrem Verständnis „Wohlstand für mich“. Damit ist jeder natürlich einverstanden. Das Beharren auf dem individuellen Wohlstand macht uns zu Egoisten. „Egoismus“ kommt aus dem Wortschatz der traditionellen Moral und wird von ihr massiv angeprangert. Die Moralisten setzten der egoistischen Einstellung den Altruismus entgegen. Diese Haltung der Selbstlosigkeit rührt zwar unser Gewissen. Sie in die Tat umzusetzen, ist jedoch unter den harten Bedingungen der Wettbewerbsgesellschaft äußerst schwer. Deshalb spreche ich nicht dem Altruismus das Wort, da er uns bei der Lösung wirtschaftlicher Probleme kaum helfen kann. Ich wende mich aber gegen die Egozentrik. 154

Wir müssen die Egozentrik bekämpfen Die geistige Verfassung der Menschen, die grundsätzlich nur nach dem eigenen Wohlstand streben, bezeichne ich als egoistisch. Egoisten sind wir alle von Natur aus. Zu Egozentrikern entwickeln wir uns in dem Maße, wie wir nur noch an uns selbst denken, ohne dies öffentlich zuzugeben. Egozentriker leben in der kognitiven Dissonanz. Sie streben insgeheim nach der persönlichen Habseligkeit, ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Konsequenzen zu nehmen. Damit untergraben sie die Intelligenz, die unsere Wohlstandsgesellschaft braucht, um langfristig stabil und leistungsfähig zu bleiben. Über die menschliche Intelligenz wird in letzter Zeit sehr viel diskutiert. Sie hat offensichtlich unterschiedliche Formen. Neben der rationalen, durch die Logik gesteuerten Intelligenz gibt es die emotionale Intelligenz der intuitiven Gefühle und Leidenschaften. Aber auch diese kann uns nicht weiterhelfen, wenn wir nicht der Egozentrik abschwören. Die rationale Intelligenz ist die Fähigkeit, Wissen aufzunehmen und zielführend zu verarbeiten. Sie dominiert bis heute unsere Lehranstalten von der Grundschule bis zur Universität. Die Absolventen unserer Bildungsanstalten verfügen über ein hohes Know-how. Sie nutzen es aber zunehmend strategisch aus, um persönlich erfolgreich zu sein. 155


Emotionale Intelligenz ist die Fähigkeit, mit Menschen umzugehen. Sie ist sowohl für privates Glück als für den beruflichen Erfolg wichtig. Wer über ein hohes Einfühlungsvermögen verfügt, wird von den anderen anerkannt und akzeptiert. Er stellt eine natürliche Autorität dar und bringt die besten Voraussetzungen mit, Führungspositionen zu übernehmen. Weder die rationale noch die emotionale Intelligenz sind in der Lage, unser sozioökonomisches Grundproblem zu lösen. Dieses Problem liegt in der Sicherung der Systemstabilität. Unser Wirtschaftssystem befindet sich heute im Stadium der Eskalation. Es muss durch die ethische Intelligenz wieder kontrollierbar gemacht werden. Wir müssen uns auf die ethische Intelligenz besinnen Good Economy ist eine Korrektivkraft für das aus dem Gleichgewicht geratende Wirtschaftssystem. Sie beruht auf einer dritten Intelligenzart. Ich bezeichne sie als ethische Intelligenz. Damit ist die Fähigkeit gemeint, unser sozioökonomisches Zusammenleben auf eine stabile werteorientierte Basis zu stellen. Good Economy bedient sich der ethischen Intelligenz. Diese sagt uns, dass das sozioökonomische Gleichgewicht nur durch das produktive Teilen entsteht. Wenn wir alles nur für uns beanspruchen, bringen wir unseren Wohlstand 156

in Gefahr. Wir sollten also produktiv teilen, um langfristig zu überleben. Vielleicht sind Sie skeptisch und halten meine Gedanken für eine Illusion. Das kann ich nicht ändern. Für mich steht es aber fest: Der Markt wartet auf Good Economy, auch wenn wir das heute noch nicht genau erkennen können. Die Geschichte hat gezeigt, dass Strukturen, Prozesse und Sortimente der Absatzwirtschaft einem ständigen Wandel unterliegen. Der Markt als Gesamtgeschehen folgt aber einem Selbsterhaltungstrieb. Er sorgt selbststeuernd für Veränderungen, die sein Überleben sichern. Good Economy wird kommen. Davon bin ich überzeugt. Ich hoffe nur, dass ich es erleben werde. Doch unsere persönliche Zukunft ist immer ungewiss.


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