THEMA Jan / Feb 2021

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»Floh im Ohr«, Christoph Bangerter, Foto: Andreas Lander

THEATERMAGAZIN 1 / 2 2021

A THEMA

MUSIKTHEATER Eine besondere Vater-Tochter-Beziehung: Verdis »Rigoletto« im Opernhaus JUNGES THEATER Wie lange hält die Liebe? »Ich lieb dich« von Kristo Šagor SCHAUSPIEL Starkes szenisches Fragment: Krzysztof Minkowski inszeniert »Urfaust«


WIR SEHEN UNS!

BALD!*

Foto: Nilz Böhme

»LOVE« — ­ so wie auf dem Titelbild dieser Ausgabe aus »Floh im Ohr« steht die Liebe in vielen neuen Stücken des Theaters Magdeburg im Fokus. In »Rigoletto« endet die Liebe eines Vaters zu seiner Tochter in einer Katastrophe. Wie lange die Liebe hält, beschäftigt zwei Kinder im Familienstück »Ich lieb dich«. Sehr amüsant ist es, den zwei ungleichen Paaren im Musical »Guys and Dolls« zu folgen. Und Goethe schrieb in seinem Fragment »Urfaust« mit der Gretchentragödie die tragische Liebesgeschichte schlechthin! Mit viel Hingabe wird im Theater Magdeburg weiter geprobt ­— wir können es kaum erwarten, Ihnen diese Stücke sobald als möglich live zu präsentieren!

GUYS AND DOLLS Musical von Frank Loesser

*Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe stand lediglich fest, dass der Lockdown mit Theaterschließungen in Sachsen-Anhalt bis zum 10. 1.  2021 anhält. Die aktuellen Informationen zu möglichen Vorstellungsverschiebungen finden Sie wie gewohnt auf unserer Webseite. Bis wir uns live wiedersehen, freuen wir uns, wenn Sie unser alternatives Angebot auf verschiedenen Kanälen in Anspruch nehmen. Mehr Informationen dazu finden Sie weiter hinten in dieser Ausgabe..


5. SINFONIEKONZERT POLEN GRAŻYNA BACEWICZ Konzert für Streichorchester

FRÉDÉRIC CHOPIN Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-Moll op. 11

FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11

Szymon Nehring, Foto: Bartek Barczyk

Szymon Nehring Klavier Magdeburgische Philharmonie Kevin John Edusei Dirigent

Do. 28. 1. Fr. 29. 1. 2021 Opernhaus Bühne

Mit Szymon Nehring ist im 5. Sinfoniekonzert der Magdeburgischen Philharmonie ein junger polnischer Pianist zu erleben, der 2017 mit dem Gewinn des »Arthur Rubinstein«-Klavierwettbewerbs in Tel Aviv seinen internationalen Durchbruch erlebte. Nehring gewann nicht nur den Hauptpreis, sondern auch den Publikumspreis und die Auszeichnung für die »Beste Interpretation eines Werkes von Frédéric Chopin«. Einer der Juroren, die Nehring zum Sieger des Wettbewerbs kürten, war übrigens der gebürtige Magdeburger und immer noch eng mit der Stadt verbundene Pianist Menahem Pressler – einst Gründungsmitglied des legendären Beaux Arts Trios. Die Werke seines Landsmanns Chopin liegen Nehring, der an der Musikakademie von Bydgoszcz sowie an der Yale School of Music in den USA studiert hat, besonders am Herzen. Bereits 2016 erschien eine CD-Einspielung des jungen Pianisten von Chopins beiden Klavierkonzerten zusammen mit der Sinfonietta Cracovia. Seine jüngste CD-Einspielung von 2018 enthält Klavierstücke von Chopin, die Nehring auf einem historischen Instrument von 1858 eingespielt hat. In Magdeburg übernimmt Szymon Nehring den Solopart in Frédéric Chopins Klavierkonzert Nr. 1 in e-Moll – dem Konzert, das chronologisch gesehen eigentlich sein zweites ist, wenngleich es als erstes veröffentlicht wurde. In beiden Konzerten spielt das Solo-Klavier eindeutig die Hauptrolle, während das Orchester eine begleitende Nebenrolle einnimmt. Allerdings erkennt man im später komponierten e-Moll-Konzert einen deutlichen Zuwachs an kompositorischer Reife: Die Tutti-Stellen sind elaborierter und differenzierter gestaltet, der Dialog zwischen Klavier und Orchester ist feiner gearbeitet. Es ist ein Werk, das dem Solisten größte Virtuosität und stärksten Gestaltungswillen abfordert – genau das richtige »Spielfeld« also für einen Pianisten wie Szymon Nehring, den der Kultur-Publizist Martin Hoffmeister nach dessen Berlin-Debüt Anfang 2020 im Kammermusiksaal der Philharmonie nicht nur für seine »pianistische Beweglichkeit« und »handwerkliche Grandesse«, sondern auch für seinen wohltuenden Verzicht auf »pianistische Kraftmeierei« lobte. Nehring setze »weniger auf Zuspitzung als auf Verfeinerung und Entgrenzung«. (TSE)

Joséphine Olech, Foto: Florent Drillon

6. SINFONIEKONZERT FRANKREICH MAURICE RAVEL »Le tombeau de Couperin«. Suite für Orchester

JACQUES IBERT Konzert für Flöte und Orchester

FRANCIS POULENC Sinfonietta

Joséphine Olech Flöte Magdeburgische Philharmonie Svetoslav Borisov Dirigent

Do. 25. 2. Fr. 26. 2. 2021 Opernhaus Bühne

Farbenreichtum und Esprit gelten seit dem 18. Jahrhundert als Merkmal französischer Musik – besonders in Abgrenzung zu deutscher »Gelehrsamkeit«. So bietet das 6. Sinfoniekonzert der Magdeburgischen Philharmonie ein abwechslungsreiches Programm jenseits sinfonischer Bedeutungsschwere. Den Anfang macht ein kammermusikalisches Kabinettstückchen von Maurice Ravel, das nichtsdestotrotz einen ernsten Hintergrund hat: Jeder der vier Sätze des »Grabmals für Couperin« ist Freunden Ravels gewidmet, die im 1. Weltkrieg ums Leben kamen. Dieses musikalische Gedenken gestaltet Ravel aber nicht mit romantischer Gefühlswallung, sondern als Hommage an die barocke Tanzmusik des 18. Jahrhunderts – formstreng und federleicht zugleich. Genauso zwischen Barock und Moderne bewegt sich das Flötenkonzert von Ravels 15 Jahre jüngerem Kollegen Jacques Ibert. Mit dem äußerst virtuosen Solopart präsentiert sich die französische Flötistin Joséphine Olech. Die Gewinnerin der renommierten Carl Nielsen International Competition studierte in Paris und Amsterdam und ist seit 2017 1. Solo-Flötistin des Philharmonischen Orchesters Rotterdam. Auch das Abschlusswerk des Konzertprogramms macht dem Länderschwerpunkt alle Ehre: Francis Poulencs geistreiches, von populären Melodien und Tanzrhythmen überquellendes, bisweilen sogar satirisches Orchesterwerk zielt eher auf charakteristische Gestaltung und interessante Orchestrierung als auf die große sinfonische Form – eben keine Sinfonie, sondern eine Sinfonietta! (US)


GEDENKKONZERT

NACHMITTAGSKONZERT

GILES FARNABY

WOLFGANG AMADEUS MOZART

»Fancies, Toyes and Dreames« aus dem Fitzwilliam Virginal Book Bearb. für Blechbläserquintett von Elgar Howarth

Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur KV 365

TOMASO ALBINONI Sonata A-Dur op. 6, Nr. 11 »Concerto San Marco« Bearb. für Blechbläserquintett von David Hickman

LENA STEIN-SCHNEIDER »Avinu Malkenu« (Gebet für den Frieden) für Gesang und Klavier

DMITRI SCHOSTAKOWITSCH Kammersinfonie op. 110 a Bearb. für Streicher von Rudolf Barschai Alles ist anders in dieser Spielzeit – und an große Chorsinfonik leider nicht zu denken. Vielleicht kann der Ausbruch aus liebgewonnenen Routinen aber die Erinnerung an die umwälzenden Erfahrungen aus Krieg und Nachkriegszeit, derer mit dem Gedenkkonzert am 16. Januar ja gedacht wird, neu beleben. Generalmusikdirektorin Anna Skryleva hat – auch ohne Beethovens 9. Sinfonie – ein nachdenkliches und gleichzeitig ermutigendes Programm entwickelt. Nach barocken Blechbläserklängen kommt eine heute fast völlig vergessene Komponistin zu Gehör: Die in Leipzig geborene Lena Stein-Schneider (1874–1958) machte sich in den 1920er Jahren in der männlichen Domäne der unterhaltenden Musiktheater- und Filmmusik einen Namen. Als Jüdin wurde sie 1942 mit dem 44. Alterstransport nach Theresienstadt deportiert, überlebte dort drei Jahre lang im Ghetto und ließ sich nach der Befreiung in der Schweiz nieder. 1952 kehrte sie nach Berlin zurück, auch um den langwierigen »Wiedergutmachungs«Prozess persönlich vorantreiben zu können. Zehn Monate nach der Bewilligung starb sie. Das »Gebet für den Frieden« schrieb sie 1949 noch in der Schweiz. Den Abschluss des Konzerts macht eine Bearbeitung von Schostakowitschs 8. Streichquartett, das 1960 während einer Reise des Komponisten in die DDR entstand. Dort plante er eigentlich, die Musik zu einem Film über die Bombardierung Dresdens zu komponieren. Stattdessen schuf Schostakowitsch dieses Quartett, in dem er persönliche Erinnerungen an Verfolgung, politische Gängelung und Krieg musikalisch reflektierte. (US)

CAMILLE SAINT-SAËNS »Der Karneval der Tiere«. Große zoologische Fantasie Text von Loriot

Nathan Bas, Justus Tennie Klavier Johannes Wollrab Sprecher Magdeburgische Philharmonie Justus Tennie Dirigent

Sa. 16. 1. 2021

So. 24. 1. 2021

Opernhaus Bühne

GUYS AND DOLLS FRANK LOESSER

»Kommt jetzt der Schwan?«, fragen nicht nur die jungen Katzen im beliebten Erzähltext von Loriot, sondern auch die großen und kleinen Zuhörer*innen, wenn der »Karneval der Tiere« auf dem Programm steht. Gerade dem bekannten Cellosolo, das die Primaballerina Anna Pawlowa als »sterbender Schwan« unsterblich machte, ist auch der Welterfolg von Camille Saint-Saëns’ Konzertsuite aus dem Jahr 1886 zu verdanken. Dabei waren die atmosphärischen Musiknummern eigentlich nur Gelegenheitskompositionen, die der französische Komponist zu Lebzeiten nicht veröffentlichen wollte. Neben den verschiedenen Tiergeräuschen, die er in den Sätzen imitierte, waren es die zahlreichen musikalischen Parodien, die Saint-Saëns um seinen Ruf bangen ließen: Da tanzen die Schildkröten in Zeitlupentempo den Offenbach’schen »Höllen-Cancan« und Mozarts »Ah, vous dirai-je, Maman« – besser bekannt als die Melodie von »Morgen kommt der Weihnachtsmann« – wird von den verstaubten Fossilien angestimmt. In den Fokus der Suite rückt der leidenschaftliche Pianist gleich zwei Klaviere, die in diesem Nachmittagskonzert von zwei jungen Repetitoren des Theaters Magdeburg gespielt werden: Nathan Bas und Justus Tennie, die schon im letzten Sommer damit das Publikum begeistern konnten. Dieses Mal haben sie sich mit Mozarts Doppelkonzert ein zusätzliches Schmankerl herausgesucht. In der beschwingten Komposition, die der 23-Jährige für sich und seine Schwester »Nannerl« schrieb, musizieren die Klaviere gleichsam geschwisterlich – mal versöhnlich, mal wetteifernd, aber immer gemeinsam. (HF)

Noa Danon Sopran Nathan Bas Klavier Magdeburgische Philharmonie GMD Anna Skryleva Dirigentin

20.00 Uhr

Premiere

16.00 Uhr

Opernhaus Bühne

www.theater-magdeburg.de


VÄTER — MÜTTER — VERDI ben könnten. Die Aufgabe, als Hüter von Familie und Unschuld die Frauen vor Unheil zu bewahren, fiel allein den Vaterfiguren zu, an denen sich der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen privater und öffentlicher Schuld und Unschuld zugespitzt zeigen ließ. Für Regisseur Christian von Götz schärft sich der Blick auf die Vater-Tochter-Beziehung auch durch den Vergleich zwischen seiner letzten Verdi-Inszenierung, »Luisa Miller«, und der aktuellen Arbeit an »Rigoletto« in Magdeburg: »Eine Gemeinsamkeit zwischen ›Luisa Miller‹ und ›Rigoletto‹ besteht in den Vaterfiguren, die ihre eigenen Kinder vermeintlich aus bestem Wissen und Gewissen, tatsächlich aber aus egoistischen Beweggründen und aus einem uns heute abwegig erscheinenden Ehrgefühl heraus in den Tod schicken. Der Unterschied besteht in der Radikalität, mit der Verdi das alles in ›Rigoletto‹ zeichnet: Die Oper ist so ungeheuer dicht, da gibt es nichts Unnötiges, keine Genrezeichnung, keine überflüssige komponierte Morgenröte oder sonst etwas. Es gibt nur das nackte, harte Drama mit dem Vater und der Tochter im Zentrum.« Die Sängerin der Titelfigur, die in Magdeburg seit ihrem Wotan-Erfolg wohlbekannte Bariton-Sängerin Lucia Lucas, bringt noch einen weiteren Aspekt ein: »Das Spannende an den Vaterfiguren des 19. Jahrhunderts ist ihre Emotionalität. Im gesellschaftlichen Alltag war es für Männer verpönt, Gefühle zu zeigen –, das war den Frauen vorbehalten. Auf der Opernbühne als dem Ort, wo ›unerhörte‹ Gefühle ausgelebt werden konnten, waren Väter folglich gegenüber Müttern die viel interessanteren, dramatisch fruchtbareren Figuren. Heute, wo diese Skandalisierung männlicher Emotion nicht mehr so wirksam ist, kommt es darauf an, in einer Figur wie Rigoletto auch die mütterliche Seite zu Wort kommen zu lassen.« Damit ist die Darstellerin ganz auf einer Linie mit dem Regisseur: »Rigoletto ist für mich nicht nur der Vater. Er nimmt zusätzlich auch die Stelle der Mutter ein. Aus einer durch den Tod seiner Ehefrau begründeten Verlustangst heraus hält er die heranwachsende Gilda als Kind fest. Er will nicht, dass sie erwachsen wird, dann käme vielleicht ein junger Mann und nähme sie ihm weg. Rigoletto ist also wegbeißender ›Helikopter-Vater‹ und überfürsorgliche ›Helikopter-Mutter‹ in einem.« Welche Auswirkungen diese private Haltung für Rigolettos Handeln im Hofstaat des Herzogs hat, arbeiten Regisseur, Hauptdarstellerin und alle weiteren Sänger*innen zur Zeit auf der Bühne des Opernhauses heraus. (US)

Premiere

Die Figurenkonstellation der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts ist vom Liebesverhältnis zwischen Sopran und Tenor bestimmt. Ob mit glücklichem Ausgang oder nicht – diese Liebe wird im Laufe der Handlung bedroht durch einen Bariton, der persönliche oder politische Einwände gegen die Beziehung hat. Dies kann eine politische Autorität, ein Bruder oder ein eifersüchtiger Liebhaber des Soprans sein. Bei Giuseppe Verdi rückt eine weitere konfliktreiche Beziehung in den Mittelpunkt: die zwischen Vater und Tochter. Schon in Verdis erster Oper »Oberto« verteidigt ein Vater – die Titelfigur – die Ehre seiner Tochter gegenüber einem betrügerischen Tenor-Liebhaber. In »Nabucco« wird dieses Verhältnis drei Jahre später erweitert und deutlich differenzierter ausgeleuchtet: Gleich zwei Töchter – Abigaille und Fenena – buhlen um die Aufmerksamkeit und Liebe eines Vaters. Und noch weitere 30 Jahre später schenkt der Komponist der Vater-Tochter-Beziehung zwischen Amonasro und Aida mindestens genauso viel Aufmerksamkeit wie der Liebe zwischen Aida und Radames. Verdis facettenreichster Vater aber ist und bleibt der Titelheld, mit dem er Weltruhm erlangte: Rigoletto, der so sehr auf die Liebe und Behütung seiner Tochter Gilda fixiert ist, dass er ihren Tod mitverschuldet. Warum hat der Komponist in seinen Opern so viel Energie und Sorgfalt auf diese besondere Beziehung gelegt? Und wo sind eigentlich die Mütter all seiner leidgeprüften Opernsoprane? Die Suche nach Antworten beginnt in der Biografie des Komponisten: Zu Beginn seiner Karriere wurde Verdi seine Vaterrolle außerordentlich schmerzlich bewusst gemacht: Seine beiden einzigen Kinder starben 1838 bzw. 1839, bevor sie 1 ½ Jahre alt waren. Darüber hinaus wurde er selbst jahrelang von einer prägenden Vaterfigur, seinem Schwiegervater Antonio Barezzi, gefördert – über den Tod seiner Ehefrau 1840 hinaus. In seinem weiteren Leben verweigerte er sich der traditionellen Familienkonstellation und lebte lange ohne Trauschein mit der Sängerin Giuseppina Strepponi zusammen, die er erst 1859 heiratete. Vielleicht schärften diese persönlichen Erfahrungen Verdis analytischen Blick auf vorgeblich natürliche Familienverhältnisse – wichtiger für sein Opernschaffen und besonders für »Rigoletto« war aber sicher sein musikdramatisches Gespür. Im patriarchalen Gesellschaftsgefüge des 19. Jahrhunderts bot die moralische und körperliche Bedrohung einer jungen Frau die größtmögliche dramatische Kraft. Je einsamer und angreifbarer besagte junge Frau, desto aufregender. Das erklärt auch die Abwesenheit von Müttern, die den jungen Frauen Rückhalt ge-

Sa. 30. 1. 2021

Opernhaus Bühne

RIGOLETTO Oper in drei Akten von Giuseppe Verdi Libretto von Francesco Maria Piave Reduzierte Orchester-Fassung von Alberto Colla In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln ML Borisov R von Götz B Richter K Mittenbühler D Schröder Ch Schweizer Mit Winell, Lucas, von Bennigsen, Stermann, Repova, Morris, Pantelić, Lee / Smallwood, Kremshovski, Gerlich / Zierenberg, Hesse


Premiere

Sa. 20. 2. 2021

Opernhaus Bühne

STREET SCENE Opera North, Grand Theatre; Foto: Clive Barda

STREET SCENE Oper in zwei Akten von Kurt Weill Libretto von Elmer Rice nach seinem gleichnamigen Schauspiel Liedtexte von Langston Hughes und Elmer Rice | Deutsche Fassung von Stefan Troßbach Koproduktion mit der Opera North ML Poplawski R Eberhardt B, K O’Connor C Clarke, Poulton Li Hudson D Föst Ch Schweizer Mit Danon, Satter, B. Lee, Wulfert, Gerlich, Ks. Dreißig, Wollrab, Hübert, H. Lee, Webb, Postrożna / Repova, Sketris, Diebschlag, Renard, Kariithi, Kremshovski, Stemmer, Kaloff

GROSSE OPER FÜR DEN BROADWAY »Es war damals, als ich mich entschied, dass die Zeit gekommen war, um eine wirkliche Oper für den Broadway zu versuchen; natürlich keine Oper im traditionellen europäischen Sinne, sondern eine amerikanische Oper, geschrieben für das Theater des Broadways.« So schildert Kurt Weill, der 1933 das nationalsozialistische Deutschland verließ und ab 1935 in der USA lebte, den Impuls für die Komposition von »Street Scene« – das Werk, das seinen Durchbruch als amerikanischer Komponist markierte. Nach wichtigen Bühnenwerken wie der »Dreigroschenoper« oder dem Songspiel sowie der Oper »Mahagonny« stellt es zudem einen Höhepunkt auf Weills Suche nach einer neuen Form des Musiktheaters dar. Der Stoff zu »Street Scene« war Weill noch vor seiner Emigration begegnet, als er das Schauspiel des amerikanischen Dramatikers Elmer Rice in Berlin erlebte – das Pulitzer-Preis-gekrönte Stück war nach einer Serie von über 600 Vorstellungen im Jahr 1929 schnell übersetzt und im Ausland gespielt worden. Tief beeindruckt von dem Realismus der Figuren wandte sich Weill 1936 persönlich an Rice, um ihm eine Vertonung des Stückes vorzuschlagen. Rice lehnte ab. Doch knapp zehn Jahre später – inzwischen hatte Weill eine Schauspielmusik für Rice’ wenig beachtetes »Two on an Island« beigesteuert sowie mit »Lady in the Dark« und »One Touch of Venus« zwei enorme Broadway-Erfolge in der Tasche – erneuerte Weill sein Angebot und konnte Rice überzeugen. Für die Gesangstexte holten sie den Dichter und Schriftsteller Langston Hughes mit ins Boot, der als führender Kopf der »Harlem Renaissance« in den 1920er Jahren eine entscheidende Stimme in der Intellektuellen- und Kunstbewegung für die afroamerikanische Bevölkerung geworden war. Außerdem hatte er bereits ein Opernlibretto für den afroamerikanischen Komponisten William Grant Still verfasst. Weill war überzeugt davon, dass Hughes der perfekte Mann dafür sei, die Alltagssprache der Leute in schlichte, unkomplizierte Poesie zu verwandeln. Der Handlungsort von »Street Scene« ist ein Mietshaus an einer Straße in Manhattan, in dem Menschen verschiedener Nationen nachbarschaftlich zusammenleben, darunter die jüdische Familie Kaplan, das schwedische Ehepaar Olsen, der italienische Eisverkäufer Lippo Fiorentino mit seiner deutschen Frau Greta – und inmitten von all den verschiedenen Schicksalen und Lebensgeschichten die Maurrants. An einem schwülen Sommertag kommen die Nachbarinnen zusammen, um über das heißeste

Thema zu tratschen: die Affäre von Anna Maurrant, die in ihrer Ehe mit dem alkoholsüchtigen Frank unglücklich ist. Als dieser vom Seitensprung seiner Frau erfährt und sie am folgenden Tag mit ihrem Liebhaber erschießt, ist der Schock jedoch nur von kurzer Dauer – das Leben geht weiter, das Gerede verliert sich im Trubel der Stadt. Genau diese Alltäglichkeit, diese Beiläufigkeit der Begegnungen war es, für die Weill nun eine musikalische Form suchte. Dafür erforschte er den Klang der Großstadt und erkundete gemeinsam mit Hughes das Haus in der 65. Straße, welches Rice als Vorbild für sein Drama gedient hatte. Die Männer lauschten in den Clubs von Harlem den Klängen des Jazz und Blues und beobachteten Straßenkinder beim Spiel. So vielfältig ihre Eindrücke dabei waren, so abwechslungsreich komponierte Weill: Er schrieb Arien, die an Puccini und Wagner erinnern, Ensemblenummern wie das »Eiskrem-Sextett« mit dem Witz eines Donizettis und atmosphärische Chor-Tableaus – aber genauso verwendete er auch populäre amerikanische Melodien, Tanzmusik à la Irving Berlin sowie swingende Stücke wie »Moon-Faced, Starry-Eyed« und »Wrapped in a Ribbon«, die er vom Broadway-Experten Ted Royal instrumentieren ließ. Wie ließ sich aber dieses merkwürdige Stilkonglomerat benennen? Weill selbst schrieb in einem Brief an seine Eltern noch, »Street Scene« sei »ja diesmal eine richtige Oper« und beharrte darauf, dass das Stück in seiner Form in der europäischen Operntradition stehe. Gegenüber der Presse bezeichnete er es dagegen meist als Dramatic Musical. Sicher erhoffte er sich damit eine höhere Attraktivität, fand doch das moderne amerikanische Musikleben nicht in den elitären Kreisen der Metropolitan Opera, sondern vielmehr auf dem heißen Parkett des Broadways statt, der seit gut zwei Jahrzehnten von Musical Plays und Musical Comedies bevölkert wurde. Kurzweilige Unterhaltungsshows wie »Oklahoma!« vom Erfolgsduo Richard Rodgers und Oscar Hammerstein waren angesagter als jede Oper – die sei laut Hammerstein sowieso nur »ein Weg, wie Leute ihr Geld verlieren.« Mit welcher Bezeichnung auch immer: In den spärlich besuchten Probeläufen von »Street Scene«, die 1946 in Philadelphia stattfanden, deutete sich zunächst ein großer Misserfolg an. Als aber die Produktion im folgenden Jahr im New Yorker Adelphi Theatre gezeigt wurde, brachte sie es nach der Premiere am 9. Januar 1947 auf beachtliche 149 Aufführungen. Zwar war das enttäuschend für ein Musical – aber spektakulär für eine Oper! (HF)


Zeichnung: Gernot Sommerfeld

Der französische Philosoph Jean-Luc Nancy hielt in den Nullerjahren regelmäßig am Theater in Montreuil kleine Vorträge für Kinder zu philosophischen Themen. In einer dieser »Petites conférences« zum Thema Liebe fragte ein Junge, ob »eine Liebe ewig sein kann«. Nancys Antwort darauf war sicher nicht einfach zu verstehen: Ewige Liebe sei außerhalb der Zeit. Und somit habe die Liebe nichts mehr mit der Dauer zu tun. Wenn wir im Theater die Geschichte von Lia und Julian aus dem Familienstück »Ich lieb dich« erleben, dann erschließt sich dieser Gedanke sehr eindrücklich. Die beiden elf- und zwölfjährigen Kinder kennen sich seit dem Kindergarten. Es ist der letzte Tag der Sommerferien und kurz bevor Lia abgeholt wird, eröffnet Julian ihr, dass sich seine Eltern scheiden lassen wollen. Sie unterhalten sich also über die Liebe, die doch so bescheuert und kompliziert ist, und Lia will Julian beweisen, dass es sie trotzdem gibt. So erinnern sie sich gemeinsam an Dinge, die Julian in seinem Leben geliebt hat – Kastanien, Zitroneneis, Muppi das Meerschweinchen –, und stellen sich vor, wie sie Lias Großeltern auf der Hollywoodschaukel treffen – seit 41 ½ Jahren verheiratet! – und um Rat fragen. Beide schlüpfen dabei immer wieder in andere Figuren. Erinnerung vermischt sich mit Vorstellungen und Wünschen. Und am Ende stellt sich heraus, dass Lia eigentlich die erste große Liebe Julians war, auch wenn sie seine Worte »Ich lieb dich« nie erwidert hat. Der Autor Kristo Šagor schafft es, eine Unterhaltung zweier Kinder über ein so großes Thema harmlos und spielerisch beginnen zu lassen, um dann mit einem raffinierten dramaturgischen Twist ganz tief ins Herz zu treffen. Denn dieser letzte Sommertag vor dem Ferienende ist auch der letzte, an dem Julian Lia noch einmal sieht … Schauspieldirektor Tim Kramer inszeniert die Geschichte auf einer riesigen Hollywoodschaukel, die die beiden Darsteller*innen Anja Signitzer und Christoph Bangerter wie Kinder aussehen lässt. Für den Regisseur und seinen Bühnenbildner ist sie eine passende Metapher »für die Aufs und Abs, die unser Leben und vor allem auch unser Lieben beschreibt«. Das Stück beschwöre dies mit überbordender Fantasie, die die Darsteller *innen durchaus herausfordern wird, wie Kramer lachend erzählt: »Wie würdest du ein Zitroneneis spielen? Was kann es Schöneres für uns Theatermenschen geben, als sich solch wichtigen Fragen zu stellen?« (CR)

Fotos: Andreas Lander

DAS AUF UND AB DES LEBENS

Wiederaufnahme

RITTER ODILO UND DER STRENGE HERR WINTER MAREIKE ZIMMERMANN

www.theater-magdeburg.de

Premiere

Uraufführung

Fr. 19. 2. 2021

Schauspielhaus Studio

ICH LIEB DICH Kristo Šagor | Ab 8 Jahren R Kramer B, K Sommerfeld D Rohmer Mit Signitzer, Bangerter

DER ZAUNKÖNIG UND DIE SILBERNE FLÖTE FRANZ KANEFZKY / MARTINA OBERHAUSER


»Der ›Faust‹ entstand mit meinem ›Werther‹; ich brachte ihn im Jahre 1775 mit nach Weimar. Ich hatte ihn auf Postpapier geschrieben und nichts daran gestrichen; denn ich hütete mich, eine Zeile niederzuschreiben, die nicht gut war und nicht bestehen konnte.« So ist Goethes Beschreibung über die Entstehung seines »Urfaust« aus einem Gespräch mit Johann Peter Eckermann im Frühjahr 1829 überliefert. Jahrzehntelang aber war der Text von dieser ersten »Faust«-Version verschollen. Erst 1887 tauchte er im Nachlass einer Weimarer Hofdame auf. Als Goethe im Herbst 1775 nach Weimar kam, brachte er Skizzen zu seinem Faust-Drama mit und las sie vor. Das Hoffräulein Luise von Göchhausen war so begeistert, dass sie sich die Blätter auslieh und abschrieb. Dieser Text wurde 1887 vom Literaturhistoriker Erich Schmidt entdeckt und unter dem Namen »Urfaust« veröffentlicht. Es ist ein Werk Goethes früher Schaffensjahre, in denen der Dichter aus stürmischen und drängerischen Visionen heraus schrieb. Die sprachlich scharfen, fragmentarischen Szenen entwickelte er über sechs Jahrzehnte hinweg weiter. Das Geschriebene ist eng mit Goethes eigener Biografie verknüpft. Deswegen konnte er wohl Fausts Sehnsucht, durch Erkenntnis über sich hinauszuwachsen, und die Enttäuschung, wenn diese Erkenntnis verwehrt bleibt, so gekonnt in Worte fassen, dass bis heute daran nichts an Bedeutung verloren hat. Neben der Gelehrtentragödie steht im »Urfaust« die »Gretchentragödie« im Fokus. Inspiriert wurde Goethe dabei durch den Prozess einer Kindsmörderin in Frankfurt a. M. 1772, über den er als Jurist viel erfuhr. Goethe selbst hat sein ursprüngliches Manuskript vernichtet. Somit existiert mit dem gefundenen »Urfaust« von 1887 eine Art erste Skizze der »Faust«-Tragödie, die Goethe so selbst nie veröffentlichte. Uraufgeführt wurde sie erst 1918 in Frankfurt a. M. Der »Urfaust« ist ein unfertiges szenisches Fragment, eine Bilderflut in Vers- und Prosaform, ohne ausgearbeiteten Handlungszusammenhang: Faust beschwört direkt zu Beginn aus Verzweiflung über die Schranken seines Verstandes den Erdgeist, um durch die Gefühlskraft des Herzens diese Schranken zu

Premiere

GEFÜHL IST MEHR ALS VERNUNFT

Fr. 26. 2. 2021

Schauspielhaus Bühne

durchbrechen. Die Begegnung mit dem Erdgeist bringt ihm aber die Erkenntnis, dass maßlos-unendliches Wollen einem endlichbegrenzten Nichtgewachsensein gegenübersteht, und so wird Faust von einer dämonischen Rastlosigkeit in die echte Welt getrieben, wo er Margarete verfällt. Ihre »Reinheit« und Naivität entfesselt seine Sehnsucht nach naturnaher Harmonie, mit der er sein Selbst vervollkommnen will. Mehr als alles andere will er Margarete für sich gewinnen und nutzt dafür Mephistos dunkle Mächte als Kuppler und Strippenzieher. Diese Egozentrik vernichtet letztlich »das Gretchen«, das das gemeinsame Kind tötet und dafür im Kerker landet. Ein Hauptunterschied zum späteren »Faust« besteht darin, dass Mephistos Auftauchen im »Urfaust« ohne Vorgeschichte erfolgt, sodass es hier auch keinen Pakt zwischen Mephisto und Faust gibt. Die Gretchenszenen sind jedoch als Ganzes schon vorhanden. Lückenlos reihen sich hier diese Teile des tragischen Geschehens aneinander und machen damit im Vergleich zum »Faust« den »Urfaust« zur tragischen Liebesgeschichte eines jungen Intellektuellen, der an sich selbst verzweifelt, und eines noch deutlich jüngeren Mädchens, das in den Abgrund gerissen wird. »Es ist dem Theater beim ›Urfaust‹ leichter gemacht als beim fertigen Werk, der Einschüchterung durch die Klassizität sich zu erwehren und sich die Frische, den Entdeckersinn, die Lust am Neuen des erstaunlichen Textes anzueignen«, so Brecht in den Anmerkungen zu seiner Inszenierung des »Urfaust« am Deutschen Theater Berlin 1952. Der Dramatiker löste den Stoff damit von dessen Mystik und Nimbus. Die brachiale Sprachgewalt und die verdichteten Szenen im »Urfaust« sind die pure menschliche Tragödie, die Goethe erst später im »Faust« zu dem Menschheitsdrama zwischen Himmel und Hölle gemacht hat. Genau dieses Pure reizt auch den Regisseur Krzysztof Minkowski, der in Faust eine Figur der Gegenwart sieht, einen »ausgestoßenen Provinz-Pseudo-Intellektuellen, der zum Amokläufer wird in einer Tragödie über Menschen, die in unzähligen Nirgendwos auf der Welt leben und vom Mainstream vergessen werden«. (LB)

Plakatmotiv zu »Urfaust«, Gernot Sommerfeld

URFAUST Johann Wolfgang Goethe R Minkowski B, K Schaller M Kaplan D Busch Mit Schmiedl, Signitzer, Will, Förster, Günther, Heimke, Meyer, Opferkuch


Premiere

Thilo Voggenreiter

Foto: privat

DAS ERINNERN SICHTBAR MACHEN

Fr. 22. 1. 2021

Schauspielhaus Studio

JUDITH SCHALANSKY HAT MIT IHREM 2011 ERSCHIENENEN ROMAN »DER HALS DER GIRAFFE« FÜR AUFSEHEN GESORGT: DIE SPRACHLICHE PRÄZISION, MIT DER SIE DIE INNENWELT DER AUF IHREM BIOLOGISTISCHEN WELTBILD BEHARRENDEN HAUPTFIGUR BESCHREIBT, IST SO ABGRÜNDIG WIE GROTESK KOMISCH. AM THEATER MAGDEBURG INSZENIERT REGISSEUR THILO VOGGENREITER DEN ROMAN ALS MONOLOG MIT SCHAUSPIELERIN SUSI WIRTH. Elisabeth Gabriel: Lieber Thilo, du inszenierst im Studio des Schauspielhauses »Der Hals der Giraffe« von Judith Schalansky. Worum geht es darin? Thilo Voggenreiter: Es geht um Inge Lohmark, eine Biologie- und Sportlehrerin Anfang 50, die durch die Umbrüche der Nachwendezeit vorzeitig ihren Beruf verliert und Lebensbilanz zieht. Es geht um ihre persönliche Rückschau, aber auch um den Umgang mit ihren Schüler*innen. Anfangs erscheint sie als verbiesterte ältere Frau, voller Härte gegen sich und andere. Das Aufregende an diesem Text ist jedoch, dass man erahnen kann, woher diese Härte kommt, welche Verletzungen und Enttäuschungen sie damit abschirmt. Die Figur bleibt widersprüchlich, offenbart immer wieder neue, überraschende Seiten. Sogar eine zarte Liebesgeschichte steckt darin. Daneben ist Inge Lohmarks Geschichte auch die Geschichte einer verletzten Region, Vorpommern, die im Stich gelassen wurde und jetzt einen Weg finden muss, um zu einer neuen Identität zu finden – genau wie die Hauptfigur selbst.

DER HALS DER GIRAFFE Monolog nach dem gleichnamigen Roman von Judith Schalansky Für die Bühne bearbeitet von Thilo Voggenreiter R Voggenreiter B, K Pedross D Gabriel Mit Wirth

Susi Wirth in der Rolle von Inge Lohmark durchlebt bei uns die Stationen ihrer inneren Rückschau alleine … Alles wird ja auch aus ihrer Perspektive erzählt; Inge Lohmark lässt uns an diesem Abend Teil ihres subjektiven Blicks auf die Welt werden. Die Vielfalt der Figuren und Orte wird dabei bereits im Bühnenbild von Elisabeth Pedross erlebbar: Ein Schulzimmer, eine Innenwelt, die – bei einer Sportlehrerin – geprägt ist von Drill und Selbstdisziplin; aber auch Teile ihrer Biologiewelt, ihres darwinistischen Weltbildes. Diese Orte gehen ineinander über, machen das Erinnern sichtbar. Welche Motive des Romans waren dir in deiner Bühnenfassung wichtig? Dieser Text erzählt viel über das Thema Zeit im Allgemeinen und die Nachwendezeit im Speziellen anhand der Lebensgeschichte dieser Frau. Aber er wirft damit auch universelle Fragen auf: Was heißt das, zurückzublicken? Welche Wege ist man im Leben warum gegangen? Wie geht man mit Verletzungen um? Was macht ein gelungenes Leben aus? Kann man sich überhaupt verändern? (EG)

Sessellift, 2003

So ist das Publikum, 2006

Premiere »Stadt der Fahrraddiebe«, 2016

MIT WENIGEN STRICHEN DEN ALLTAG KOMMENTIERT Eine Wohnung im Montmartre während eines Schreibaufenthalts in Paris – die Stadt der Liebe wurde für Schauspielerin Susi Wirth zu einer Quelle der Inspiration. »Ich hatte immer einen Zeichenblock dabei und aus mir ist es nur so herausgesprudelt«, erinnert sie sich. Über 20 Jahre ist das nun her, und seitdem lässt sie das Zeichnen nicht mehr los. Am Anfang fanden eher Objekte den Weg auf das Papier, nach und nach drang immer stärker eine Figur hervor, die ihr selbst optisch ähnelt: »Meine Zeichnungen sind aber nicht autobiografisch«, betont sie. Vielmehr ermögliche ihr die Figur, Dinge auszusprechen, die sie selbst als Person so vielleicht nicht äußern würde. Ihre Inspiration findet Wirth in alltäglichen Beobachtungen. Für sie bedeutet ihre Kunst Freiheit. Spielerisch leicht wirken ihre Bilder, mit viel Liebe zum Detail: Sie zeigen etwa einen Regenschirm voller Blumen, der Hoffnung macht, oder eine Sternenguckerin, die in die Zukunft schaut. Dazu passende Worte in ihrer eigenen Handschrift oder manchmal mit einer DDR-Erika-Schreibmaschine getippt. Ein ganz spezieller schwarzer Stift, dazu mal Wasser-, mal Acrylfarbe, und aktuell Papier etwas größer als im Postkartenformat – mehr Utensilien braucht sie nicht. Ausgestellt hat die Autodidaktin ihre Bilder schon zu mehreren Anlässen, zuletzt in der Bibliothek der Medizinischen Fakultät Magdeburg. »Irgendwie haben meine Zeichnungen von Anfang an eine Öffentlichkeit erreicht«, erzählt sie. Für Stücke, in denen sie selbst mitspielt, zeichnet sie ein Motiv als Premierengeschenk für die Kolleg*innen. »Ich nehme mir dazu oft einen Spruch aus dem jeweiligen Stück heraus und nehme den als Leitmotiv«, sagt Wirth. Aktuell zieren ihre Bilder zum »Zigeunerbaron« die Türen im Opernhaus, wo sie als Conférencière durchs Stück führt. Seit einiger Zeit präsentiert sie eine Auswahl ihrer Werke auch auf dem sozialen Netzwerk Instagram. Die Künstlerin freut sich über Besuch auf ihrem Account: @susiwirth. (LBE)

Hope, 2020


AUF VERSCHIEDENEN KANÄLEN KUNST GENIESSEN

Philip Heimke, Foto: Andreas Lander

AUF UMWEGEN ZUM TRAUMBERUF Wann genau dieser eine Moment war, in dem Philip Heimke beschloss, Schauspieler zu werden, weiß er nicht mehr genau. Vielleicht gab es ihn auch einfach gar nicht. In jedem Fall hat der 37-Jährige einige Umwege zum Traumjob hinter sich. Ein entscheidender Gedanke kommt ihm während seiner Ausbildung zum Speditionskaufmann: »Ich habe mir da in den Kopf gesetzt, Clown zu werden«, erinnert er sich. Doch die Ausbildung an privaten Schulen ist teuer, die Idee wird erst einmal verworfen. Zu diesem Zeitpunkt ist Philip Heimke Anfang 20 und hat noch keinerlei Berührungspunkte mit dem Theater. Ein Freiwilliges Kulturelles Jahr, die Arbeit im Abenddienst am Deutschen Theater Berlin und erste Erfahrungen in einer Theaterlaiengruppe bestärken ihn dann, sich an staatlichen Schauspielschulen zu bewerben. Am Deutschen Theater sieht er mehrfach sein Vorbild in Aktion, den mittlerweile verstorbenen Schauspieler Sven Lehmann: »Er hat mich sowohl als Darsteller als auch als Mensch, wie er in der Kantine saß, sehr fasziniert«, erzählt Heimke. Nach mehreren Anläufen klappt es schließlich an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Hier beginnt für ihn eine Zeit, in der er alles Gelernte aufsaugt »wie ein Schwamm«. Und obwohl er im Vergleich zu vielen seiner Kommiliton*innen

wenig Vorerfahrung mitbringt, fühlt Heimke sich nie »klein«, erzählt er heute rückblickend. Eine Eigenschaft, die den Schauspieler bis heute auszeichnet. Seit Frühjahr 2020 ist er festes Ensemblemitglied am Theater Magdeburg, und inzwischen neben Isabel Will zum Ensemblesprecher gewählt. »Ich übernehme gerne Verantwortung«, sagt er mit ruhiger Stimme, der man als Gesprächspartnerin gerne lauscht. Als Ensemblesprecher im Schauspiel möchte er den Austausch zwischen Theaterleitung und Ensemble befördern, mögliche Probleme ansprechen und die Schauspieler*innen als Gemeinschaft zusammenhalten: »Mir ist wichtig, dass wir alle an einem Strang ziehen«, betont er. Und obwohl Heimke mehrere Jahre als freischaffender Schauspieler hinter sich hat und dabei durchaus die künstlerische Freiheit genoss, fühlt er sich im festen Team mit seinen Magdeburger Kolleg*innen sehr wohl: »Ich wurde hier von Anfang an sehr gut aufgenommen«. In der aktuellen Spielzeit ist er unter anderem in der Stückentwicklung »Tod der Treuhand« und solo im Monolog »NippleJesus« von Nick Hornby zu erleben. Eine Traumrolle ist für ihn noch offen: »Als großer Schiller-Fan würde ich gerne mal bei ›Wallenstein‹ mitspielen«, erzählt er. (LBE)

Das Theater Magdeburg präsentiert aktuell auf verschiedenen Kanälen ein vielseitiges Angebot für Kulturliebhaber*innen. Nach dem großen Erfolg und den überwältigenden Rückmeldungen zu der Aktion »Bei Anruf: Kunst!« wird diese im Januar und Februar fortgesetzt. Teilnehmende können telefonisch an der Theaterkasse unter (0391) 40 490 490 einen 10-minütigen Zeit-Slot buchen. Sie werden dann von einem*r Sänger*in oder Schauspieler*in angerufen und genießen so exklusiv ein Stück Live-Kunst per Telefon. Die nächste Möglichkeit dazu bietet sich am 9. 1. 2021. Regieassistentin Tjana Thiessenhusen hat mit »Garderobengespräche« einen neuen Podcast ins Leben gerufen. Thiessenhusen trifft die Schauspieler*innen des Theaters Magdeburg in ihrem »Allerheiligsten«, den Garderoben, und entlockt ihnen Gedanken zum Theater, zum Leben als Schauspieler*in und dazu, wie sehr Theater in diesen Zeiten fehlt. Die erste Folge mit »Theaterdino« Thomas Schneider ist bereits online auf der Webseite des Theaters zum Nachhören verfügbar. Stücke vorzustellen, die es nicht auf den Spielplan geschafft haben, das ist das Ziel der »Lockdown Lectures« ab Januar. In digitalen Live-Lesungen via Zoom lesen Schauspieler*innen aus diesen verhinderten Lieblingstexten. Im Anschluss folgt ein Gespräch darüber, warum es genau dieses Stück nicht auf die Bühne geschafft hat. Die Teilnahme ist auf 20 Personen begrenzt, die Anmeldung erfolgt über die Theaterkasse. Darüber hinaus wird Wolfram Lotz’ absurd-komische theatrale Revue »Der große Marsch«, die im Frühjahrs-Lockdown aufgezeichnet wurde, bevor sie doch live Premiere feiern konnte, im Januar und Februar an mehreren Tagen als Stream gezeigt. Die Termine finden Sie auf der Webseite. Für »Bühne frei fürs neue Jahr!« haben sich alle Sparten des Theaters Magdeburg zusammengetan und ein spritziges Programm mit musikalischen und literarischen Leckerbissen zusammengestellt, um mit Ihnen den Jahreswechsel zu feiern. Das Beste daran: Den schwungvollen Neujahrsgruß senden wir Ihnen direkt ins eigene Wohnzimmer. Daneben ist in Kooperation mit dem Offenen Kanal ein Mitschnitt des 2. Kammerkonzerts aus dem Konservatorium »Georg Philipp Telemann« entstanden. Vier Musiker*innen der Magdeburgischen Philharmonie präsentieren gemeinsam mit dem Pianisten Hagen Schwarzrock Beethovens Quintett Es-Dur op. 16. Ergänzt wird das Programm durch das Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott Es-Dur KV 452 von Wolfgang Amadeus Mozart. Beide Konzerte können weiterhin auf der Webseite des Theaters Magdeburg kostenfrei gestreamt werden. Weitere Projekte sind in Arbeit. Unter dem Hashtag #backstage werden auf Instagram und Facebook inszenierungsbegleitende Videos veröffentlicht. Interviews, etwa mit Regisseur*innen oder Bühnenbildner*innen, originelle Schnappschüsse und Hintergrundinformationen geben exklusive Einblicke in die fortlaufende Probenarbeit. Auf unserer Webseite sind auf den jeweiligen Stückseiten diese Zusatzangebote zu finden. Das Theater Magdeburg wünscht viel Spaß beim Erkunden dieser digitalen Theaterwelten! (LBE)

BÜHNE FREI FÜRS NEUE JAHR! online ab Do. 31. 12. 2020 bis Do. 14. 1. 2021

(v.l.n.r.) Henning Ahlers, Ueli Bitterli, Hagen Schwarzrock, Gerd Becker und Georg Dengel, Foto: Christine Villinger


WUNSCHKONZERT

OUVERTÜRE

GEGENWART

WOLFGANG AMADEUS MOZART

ANNA CLYNE

Ouvertüre zur Oper »Die Zauberflöte«

»Sound and Fury« für Sinfonieorchester

GIUSEPPE VERDI

DETLEV GLANERT

Ouvertüre zur Oper »La traviata«

Fünfzehn Karikaturen für Orchester

GIOACCHINO ROSSINI

LEON GURVITCH

Ouvertüre zur Oper »La gazza ladra«

»5 Dances in Old Style« für Streichorchester

ROMANTIK

OPERETTE

JOHANNES BRAHMS

FRANZ LEHÁR

Ungarische Tänze

Intermezzo aus »Der Graf von Luxemburg«.

FANNY HENSEL

JOHANN STRAUSS

Ausschnitte aus dem Zyklus »Das Jahr«

»Schatzwalzer« op. 418

EDWARD ELGAR

EMMERICH KÁLMÁN

Streicherserenade

Intermezzo und Entr’akt aus »Die Csárdásfürstin«

20. JAHRHUNDERT

MUSICAL

PAVEL HAAS

LEONARD BERNSTEIN

Studie für Streicher

Ouvertüre zu »Candide«

GRAŻYNA BACEWICZ

RICHARD RODGERS

Konzert für Streichorchester

»The Carousel Waltz« aus dem gleichnamigen Musical

SOFIA GUBAIDULINA

GEORGE GERSHWIN

Märchenpoem für Orchester

Ouvertüre zu »Girl Crazy«

Magdeburgische Philharmonie GMD Anna Skryleva Dirigentin

Di. 29. 6. 2021

19.30 Uhr

Foto: Andreas Lander

ZUM ABSCHLUSS DER SAISON IST AUCH IN DIESEM JAHR DAS PUBLIKUM GEBETEN, SELBSTSTÄNDIG EIN ABWECHSLUNGSREICHES KONZERTPROGRAMM ZUSAMMENZUSTELLEN. JEWEILS EIN WERK AUS SECHS KATEGORIEN SOLL ERKLINGEN — WELCHES, DAS ENTSCHEIDEN SIE! PER STIMMZETTEL ODER PER ONLINEVOTING KÖNNEN SIE IN DER WOCHE VOM MO. 22. BIS SO. 28. MÄRZ 2021 IHRE FAVORITEN BESTIMMEN. GMD ANNA SKRYLEVA STELLT ALLE WERKE IN IHREM VIDEO-BLOG VOR. ES GIBT ALSO KEINEN GRUND, WARUM SIE IHREM ORCHESTER NICHT BEI DER KONZERTPLANUNG HELFEN SOLLTEN …

Wiederaufnahme

VOR SONNENAUFGANG

Opernhaus Bühne

EWALD PALMETSHOFER

www.theater-magdeburg.de


TROST DURCH MUSIK UND KUNST Wie? Was? Im Ghetto von Theresienstadt konnte man eine Wohnung mit Balkon und Seeblick mieten? Dort gab es ein Tanzcafé? Man spielte die Operette »Im weißen Rössl«? Und ein Kunstmaler portraitierte Wachmänner mit Hitler-Ähnlichkeit? Die Textcollage »Tanzcafé Theresienstadt« erzählt von Menschen, die im KZ Theresienstadt trotz der entsetzlichen Situation unter unvorstellbaren Umständen durch Musik und Kunst Trost und Widerstand leisteten, aber auch zur Illusion als »Paradiesghetto« beitragen mussten. Manfred Karge vereint in der szenischen Lesung Texte und Lieder, die er selbst verfasst hat, aber auch von anderen Autor*innen und Musiker*innen wie z. B. vom Jazzmusiker Jacob »Coco« Schumann stammen, der 1943 nach Theresienstadt deportiert wurde und dort in der Band »Ghetto-Swingers« spielte. In einer musikalisch-literarischen Matinee widmen sich Manfred Karge und seine Company (Eva Brunner, Raphael Dwinger, Felix Tittel sowie Pianist und Posaunist Hartmut Behring) aus Berlin diesen unbeschreiblichen Geschichten. Die Lesung zeigt das Theater Magdeburg im Rahmen der Aktionswochen der Initiative Weltoffenes Magdeburg. (LB)

Premiere

FLOH IM OHR

ZUGABE #7: Tanzcafé Theresienstadt Gastspiel der MK-Company Berlin Manfred Karge, Foto: Matthias Horn

So. 17. 1. 2021

11.00 Uhr

Schauspielhaus Bühne

GEORGES FEYDEAU

IMPRESSUM Hrsg: Theater Magdeburg, Universitätsplatz 9, 39104 Magdeburg | Generalintendantin: Karen Stone | Redaktion: Larissa Benz Texte: Larissa Benz (LBE), Laura Busch (LB), Hannes Föst (HF), Elisabeth Gabriel (EG), Caroline Rohmer (CR), Thomas Schmidt-Ehrenberg (TSE), Ulrike Schröder (US) Termine: Künstlerisches Betriebsbüro | Layout und Satz: Claudia Heynen | Druck und Reproduktion: Media Print Barleben GmbH THEMA Theaterzeitung — eine Beilage der Tageszeitung »Volksstimme« vom 8. 1. 2021 | Änderungen vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr.

KARTENPREISE Oper / Operette / Ballett 14 — 34 € (erm. 9 — 24 €) | Musical 18 — 40 € (erm. 14 — 30 €) | Sinfoniekonzerte / Konzerte Extra 19 — 34 € (erm. 13 — 22 €) Schauspielhaus Bühne 22 € (erm. 12 €) | Schauspiel Studio 19 € (erm. 10 €) | Schauspiel Foyer / Junges Theater / Kammerkonzert 16 € (erm. 9 €)

Universitätsplatz 9, 39104 Magdeburg Mo. —Sa. 10.00  —18.30 Uhr Abendkasse: eine Stunde vor Vorstellungsbeginn

KASSE IM SCHAUSPIELHAUS Otto-von-Guericke-Straße 64, 39104 Magdeburg Vorstellungskasse jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Abo- oder Vorverkauf im Opernhaus.

Folgen Sie uns auch auf: www.theater-magdeburg.de | Tel.: (0391) 40 490 490 | E-Mail: kasse@theater-magdeburg.de

Fotos: Andreas Lander

KASSE IM OPERNHAUS


www.theater-magdeburg.de

DER ZIGEUNERBARON Operette von Johann Strauร

Foto: Nilz Bรถhme

BIS BALD!


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