FEYDEAU FÜR HEUTE GEORGES FEYDEAUS SCHWANKHAFT-GROTESKE KOMÖDIE »FLOH IM OHR«, IN DER BIEDERE BÜRGER*INNEN EINER VERWECHSLUNG IN EINEM STUNDENHOTEL ZUM OPFER FALLEN, IST EIN HÖHEPUNKT IM SCHAFFEN DES FRANZÖSISCHEN DICHTERS, DER UM DIE WENDE VOM 19. ZUM 20. JAHRHUNDERT ALS MEISTER DER KOMÖDIE UND DES DAMALS IN FRANKREICH SO BELIEBTEN VAUDEVILLE GALT. MIT DEM REGISSEUR, FABIAN ALDER, DER MIT DIESEM STÜCK SEIN DEBÜT AM THEATER MAGDEBURG GIBT, SPRACH DRAMATURGIN ELISABETH GABRIEL.
Elisabeth Gabriel: Fabian, du bist Schweizer, hast in Berlin an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« Regie studiert und lebst seit einigen Jahren in Wien. Wo hast du deine Vorliebe für die Komödie entdeckt? Fabian Alder: Dass ich Komödien mag, habe ich schon als Zuschauer gewusst. Eine Freundin hat immer gesagt, sie gehe nur ins Theater, wenn es auch lustig ist; und sie ist eine Intellektuelle, eine Schriftstellerin. Sie sagt, wenn’s am Theater ernst wird und die Leute so gucken, dann hält sie’s nicht aus. Aber wenn es lustig ist, dann geht sie gerne ins Theater, und das habe ich eigentlich auch immer gedacht. Dass ich jetzt selbst viele Komödien inszeniere, kommt daher, dass ich an den Kammerspielen (Anm.: der zweiten Spielstätte) des Wiener Theaters in der Josefstadt gearbeitet habe; das ist ein richtiges Boulevardtheater. In Wien gibt es eine ganz andere Komödientradition als in Deutschland. Da bekommt eine Komödie nicht so schnell den Stempel des Seichten aufgedrückt. In Wien ist das durchlässiger und anerkannter und es gibt auch mehr Möglichkeiten, Komödien zu inszenieren. Ist »Floh im Ohr« deine erste Begegnung mit dem französischen Komödienautor Georges Feydeau? Ja. Die Konstruktion des Textes ist sehr komplex, eine ganz irre Mechanik, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Jeder Schritt, den eine Figur irgendwohin macht, ist begründet, beispielsweise durch einen blöden Hut, der da noch irgendwo hängt. Daraus entsteht ein Chaos, wie in einer riesigen Maschine, in die alle geworfen werden – und am Ende wird alles wieder aufgelöst. Das ist eine große handwerkliche Kunst und wirklich außergewöhnlich.
Premiere
Plakatmotiv, Gernot Sommerfeld
Fr. 27. 11. 2020
Schauspielhaus Bühne
Feydeau hat ja mit »Floh im Ohr«, uraufgeführt 1907, nicht nur eines der überdrehtesten Stücke der Theatergeschichte geschrieben, sondern er lieferte damit auch ein groteskes Sittenbild des damaligen Bürgertums. Du arbeitest für Magdeburg an einer eigenen Fassung und denkst die Figuren ins Heute weiter. Damit eine Komödie nicht nur lustig ist, sondern auch klug, braucht es einen Aufhänger. Wenn die aktuelle gesellschaftliche Komponente völlig fehlt, dann geht die Intelligenz verloren und es bleibt nur noch die Form übrig. Das Sittenbild des Bürgertums in diesem Stück wirkt ja heute relativ harmlos. Wenn sich heute das Bürgertum mit Erotik, Sex, verdrängten Leidenschaften und Verdrängung im Allgemeinen beschäftigt, dann redet man ganz anders darüber, geht anders damit um. Und diesen heutigen Umgang mit den Themen möchte ich zeigen, damit man
merkt, dass dies auch politische Dimensionen hat, an die man als heutige*r Zuschauer*in anknüpfen kann. Es soll also nach wie vor eine Satire bleiben, aber eben auf uns Menschen von heute. Der Umgang mit Sex und Erotik hat sich heute aber nicht nur dahingehend verändert, wie wir darüber reden, sondern auch, wer daran beteiligt ist. Ja. Ich verändere daher zum Teil die Geschlechter der Rollen, und Homosexualität wird auch ein Thema. Dabei geht es mir gar nicht darum, ein Statement zu setzen für die Gleichberechtigung aller Menschen – auch wenn mir das natürlich an sich wichtig ist –, sondern ich will vor allem zeigen, was gerade in den bürgerlichen Kreisen Thema ist. Mit diesem Geschlechtertausch kann ich außerdem Klischees, die eigentlich gar nicht mehr gelten und auch nicht mehr witzig sind, aushebeln. Indem man etwas umdreht, bekommt man einen frischen Blick auf die Dinge. Beim Lesen des Stücks hat man das Gefühl, dass die turbulente Geschichte eigentlich nur in exakt dem Bühnenraum stattfinden kann, den der Autor beschrieben hat – mit einer Vielzahl von Türen und einem mysteriösen Bett. Wie hast du das mit deiner Bühnenbildnerin Ines Nadler gelöst? In der von Ines gestalteten Bühne wird es diese Orte alle geben. Es gibt zwar nicht konkret alle Türen und Treppen, aber jeweils ein Pendant dazu. Insgesamt hat die Bühne eine abstraktere Form, aber selbst diese hat reale Vorbilder und erinnert entfernt an die ergonomischen Formen der 70er-Jahre. Ein wichtiger Teil der Handlung spielt in einem Stundenhotel, einem Ort, an dem Erotik diskret ausgelebt werden kann. Nun proben und spielen wir unter den aktuellen Abstandsregeln. Wie gehst du damit um? Ich werde das einfach einbauen. Natürlich werde ich nicht die ganze Zeit darauf herumreiten, aber in diesem Stundenhotel wird es – wie jetzt überall – ein Corona-Hygienekonzept geben und die Figuren werden darauf achten, dass sie sich nicht zu nahe kommen. Ich denke, gerade weil es in dem Stück so viel um Sex und Körperlichkeit geht, um Zusammenkommen und Zweisamkeit, ist es ist ein gutes Stück für unsere Zeit. Man kann mit den Abstandsregeln offensiv umgehen und sie nutzen, um Verdrängung und Kontrolle von Leidenschaften zu thematisieren. Es ist ja ein Faktum, dass die Menschen durch Corona aus der Fassung geraten sind – und auch im »Floh im Ohr« geht es im Wesentlichen darum, dass das Bürgertum so außer sich ist, dass es ganz außer Rand und Band gerät. (EG)
Fabian Alder, Foto: privat
FLOH IM OHR Georges Feydeau | Bearbeitung von Fabian Alder nach der Übersetzung von Wolfgang Schuch R Alder B, K Nadler D Gabriel Mit Lyon, Schmiedl, Signitzer, Steinert, Bangerter, Förster, Günther, Heimke, Kleinschmidt, Meyer, Opferkuch, Spindler
Premiere Fr. 27. 11. 2020
19.30 Uhr Schauspielhaus Bühne
Premierenfieber So. 15. 11. 2020 11.00 Uhr Schauspielhaus Foyer