Theater der Zeit 03/2022 - Sterne über der Lausitz

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Renate Klett über She She Pop / Friedrich Dieckmann über Stefan Herheims „Ring“ / Nachruf Dieter Mann Corona-Krise der kleinen Theater / Kunstinsert Solvej Helweg Ovesen / Werner Fritsch: Achternbusch

EUR 9,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de

März 2022 • Heft Nr. 3

Schwerpunk t Lausitz im Umbruch

Sterne über der Lausitz Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede


MAN SPAZIERT NICHT MIT RECHTS EINE INITIATIVE DES

❤ BRANDENBURGISCHEN LANDESMUSEUM FÜR MODERNE KUNST ❤ STAATSTHEATER COTTBUS

IN ZUSAMMENARBEIT MIT

#CottbusBleibtStabil

❤ PICCOLO THEATER COTTBUS ❤ COTTBUSER AUFBRUCH


editorial

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N

ach der nichts anderes als katastrophal zu nennenden Absage der Leipziger Buchmesse am 9. Februar soll es jetzt auf ein „Zukunftsgespräch“ zwischen dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und der neu amtierenden Kulturstaatsministerin Claudia Roth hinauslaufen, die nur einen Tag später freudestrahlend die Berlinale mit einer begeisternden Rede eröffnete. Nun, da es auch für die Entwicklung von Ersatzveranstaltungen für die ab 17. März geplante Buchmesse schon zu spät war, hat im dritten Jahr der Pandemie das größte anzunehmende Unglück im Bereich der Kultur stattgefunden, als Super-GAU im Osten Deutschlands. Aber man muss es noch einmal hervorheben: Die Messe, die in Abstimmung mit der Landesregierung für ein machbares Corona-Konzept arbeitete, wurde mit der kurzfristigen Absage von Branchenriesen in Bedrängnis gebracht. Allein die Verlagsgruppe Penguin Random House Deutschland als Unternehmensbereich von Bertelsmann mit Sitz in Gütersloh und Zentrale in München verfügt über vierzig Einzelverlage – fast das Volumen einer ganzen Messehalle in den nicht zu knapp ausgelegten Räumlichkeiten der Neuen Messe Leipzig, in die die Buchmesse 1998 nach vielen Diskussionen und Unkenrufen damals aus der wuseligen Innenstadt umzog. Das Zukunftsgespräch kommt womöglich zu spät. In der Lausitz, deren Theaterlandschaft zwischen Brandenburg und Sachsen in diesem Heft ein umfangreicher Schwerpunkt samt eigens dafür entstandenen Reflexionen von Armin Petras und der Stückabdruck gewidmet ist, heißt das sogenannte Zukunftsgespräch Kulturplan Lausitz, ausgearbeitet von der Münchner Beratungsfirma actori GmbH und im Staatstheater Cottbus feierlich vorgestellt, ohne dass die regionalen Theater in diesen Planspielen auch nur ein Mal erwähnt wurden. Die beiden Intendanten Stephan Märki (Cottbus) und Lutz Hillmann (Bautzen) haben im ausführlichen Gespräch einiges auch dazu zu sagen. Die Münchner Firma wirbt auf ihrer Website mit der Beauftragung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Brandenburg – was eben schon Teil des ganzen Lausitz-Problems ist. Wie die Corona-Krise kleinere Theater in Baden-Württemberg trifft, das beschreibt Elisabeth Maier in ihrem Report. Der Befund dürfte, bei allen feinen Unterschieden der kaum noch zu durchschauenden Maßnahmen, für die meisten Bundesländer vergleichbar sein. Renate Klett porträtiert She She Pop anlässlich deren neuester Produktion, und Friedrich Dieckmann analysiert Stefan Herheims „Ring“ an der Deutschen Oper Berlin. Im Kunstinsert stellt die Kuratorin Solvej Helweg Ovesen ein außer­ gewöhnliches Projekt in Ghana vor. Hoffen wir auf eine Leipziger Buchmesse mit Büchern, in denen das alles einmal rückblickend beschrieben sein wird. // Thomas Irmer

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Inhalt März 2022 thema schwerpunkt lausitz 16

kunstinsert

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Kartografie der Theater-Lausitzen Thomas Irmer Theater in der Niederlausitz Michael Bartsch Theater in der Oberlausitz

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Grit Lemke Der große Bruch In der Lausitz wirken verschiedene Transformationen nach- und nebeneinander

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Hans-Dieter Schütt Nicht Sprungbrett denken, sondern festen Boden Susann Thiede und Lucie Luise Thiede im Porträt

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Armin Petras Sumpfige Wiesen

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Laboratorium Lausitz Gespräch mit Lutz Hillmann und Stephan Märki über Theater in der Lausitz, Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Ober- und Niederlausitz, Sorbisches und Polnisches – und über Perspektiven, moderiert von Michael Bartsch und Thomas Irmer

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Michael Bartsch Unsere Verführbarkeit Endlich ist der „Reichsbürger“-Monolog auch im proteststarken Bautzen zu sehen

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„Existing Otherwise“-Ausstellung in Ghana mit Red Clay Studios, SCCA und Nkrumah Voli-ni

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8 Amphitheater und Jutesäcke Die Kuratorin Solvej Helweg Ovesen über die Praxis von Space Making in Ghana im Gespräch mit Ute Müller-Tischler

kommentar

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Michael Bartsch Feuilletonistisches Eigentor Ausgerechnet in der Phase des Aufrappelns ruft die Sächsische Zeitung den Kulturbetrieb zu mehr Demut auf

freies theater und corona

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Elisabeth Maier Quarantäne neben dem Hölderlinturm Die Pandemie trifft kleine Bühnen in Baden-Württemberg hart: Das ITZ Tübingen, das Studio Theater Stuttgart und das Zimmertheater Rottweil

look out

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Friederike Felbeck Fest und Protest Die Schauspielerin und Theatermacherin Mariana Senne sucht den kollektiven Orgasmus 31


inhalt

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protagonisten

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Renate Klett Von Generation zu Generation Mit ihrer neuesten Produktion tanzen She She Pop ein großes Thema aus ihrem Gesamtwerk

musiktheater

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Friedrich Dieckmann Wandertheater der Ratlosigkeit An der Berliner Deutschen Oper ringt Stefan Herheim mit Wagners „Ring“

auftritt

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Berlin „MiniMe“ von Kata Wéber in der Regie von Kornél Mundruczó (Thomas Irmer) Karlsruhe „[BLANK]“ von Alice Birch in der Regie von Anna Bergmann (Elisabeth Maier) Memmingen „Natur“ von Lukas Hammerstein in der Regie von Robert Teufel (Christoph Leibold) Mülheim an der Ruhr „Germania. Römischer Komplex“ nach Tacitus, Durs Grünbein u.a. in der Regie von Simone Derai (Friederike Felbeck) Stuttgart „Verbrennungen“ von Wajdi Mouawad in der Regie von Burkhard C. Kosminski (Otto Paul Burkhardt) Wiesbaden „The Minutes – Die Schlacht am Mackie Creek“ von Tracy Letts in der Regie von Daniela Kerck (Björn Hayer)

stück

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Lars Werner Feinstoff Vier Versuche mit Seide

magazin

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Dynamische Fortsetzung Die Münchner Biennale für neues Musiktheater Die Post-Ost-Vision Pläne für das KAHO in Berlin-Karlshorst Neues Ufer Neuer Zirkus Die Berliner Ballettschule und Schule für Artistik öffnet sich neuen Zirkusformen Graben nach Zusammenhängen Alexander Kluges Kommentar zu Kunst, Geschichte und Politik – anlässlich seines 90. Geburtstags Der Befreiungskämpfer Begegnungen mit Herbert Achternbusch Das weiße Hemd Zum Tode des Schauspielers und Intendanten Dieter Mann Bücher Julia Buchberger/Patrick Kohn/Max Reiniger (Hg.): Radikale Wirklichkeiten – Festivalarbeit als performatives Handeln

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Meldungen

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Premieren

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Autor:innen und Autoren, Impressum, Vorschau

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Carsten Knödler im Gespräch mit Michael Bartsch

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68

aktuell

was macht das theater?

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Titelfoto Auf dem Dach des Großen Hauses: Lucie Luise Thiede (links) und Susann Thiede, Schauspielerinnen am Staatstheater Cottbus. Foto Marlies Kross

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„Movement Research Work in Progress“ veranstaltet von Malte Pieper und Maja Smoszna in Zusammenarbeit mit pIAR (perfocraZe International Artist Residency in Kumasi), Red Clay Studio, Tamale, 2022. Foto pIAR


„Purple Flows“ von Tracy Naa Koshie Thompson, 2022. Installation mit Textil und Paste von Tuo Zaafi, Tom Brown, Weizenmehl, Gai und Kasawa fermentiert. Folgende Seite: „Cul de sac“ von Sandra Kyeraa, 2022. Fotos SCCA Tamale




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Amphitheater und Jutesäcke Die Kuratorin Solvej Helweg Ovesen über die Praxis von Space Making in Ghana im Gespräch mit Ute Müller-Tischler

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olvej Oversen, Sie sind gerade zurück aus Ghana, wo Sie mit Ibrahim Mahama das Projekt „Existing Otherwise“ auf die Beine gestellt haben. Ibrahim Mahama ist ein Konzept- und Installationskünstler, der mit seinen grandiosen Verhüllungsaktionen aus gebrauchten Jutesäcken auch in Europa bekannt wurde. In Tamale hat er mit dem Red Clay Studio, SCCA und Nkrumah Voli-ni ein eigenes Kunstzentrum aufgebaut. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit den XO-Curatorial Projects? Ich hatte den Wunsch, mit ihm als Künstler zu arbeiten und war froh, als Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und ich ihn 2015/2016 im Rahmen von „An Age of Our Own Making“ wegen seinen spektakulären Arbeiten auf der Documenta 14 in Athen und Kassel für mehrere Installationen gewinnen konnten. Seitdem stehen wir im engen Austausch, und er hat mich damals gleich zu Beginn in das Red Clay Studio in Tamale eingeladen. Als dann die Pandemie in Berlin alles lahmlegte, hat er vorgeschlagen, dass wir uns weniger mit Politikern rumschlagen sollten, als einfach mit der Kunst weiterzumachen. Wir haben dann während des weltweiten Sabbaticals der Künste unser gemeinsames Projekt „Existing Otherwise“ im Frühling 2020 entwickelt.

Ausstellungsräume der Galerie Wedding übernahm. Mit dem auf Performance und Raum fokussierten Kunstprogramm begann damals die Vorbereitung für „Existing Otherwise“ in Ghana. Was denken Sie, war dort anders? Durch die Pandemie kamen wir aus einer sehr reglementierten Welt, die uns gezwungen hatte, neue Wege zu gehen. In Ghana hatten wir sehr viel Freiheit. Unser Gastgeber, Ibrahim Mahama, der Gründer von Savannah Contemporary Art Centre (SCCA), Red Clay Studios und Nkruma-Voli-ni, hat uns allen verfügbaren Raum angeboten – das sind mehr als 3000 Quadratmeter. Seine Red Clay Studios, in dem ein Teil der „Existing Otherwise – The Future of Coexistence“-Ausstellung (man kann sich die als eine Art Festival vorstellen) stattfand, war einfach ein Traum. Es liegt in einer wüstenähnlichen Landschaft in Nord Ghana. Den Aus­ stellungs- und Event-Ort hat er mit einem Amphitheater für Performanceart selbst konzipiert und mit seinem Vater, einem Bau­ ingenieur, aufgebaut. Er hat es Parliament of Ghosts genannt. Was für ihn so viel bedeutet wie, Politik in die eigene Hand zu nehmen und demokratische, aber alternative Handlungsformate zu praktizieren. Seine Idee war, ein Parlament zu schaffen, in dem Kunst Visionen definieren und neue Diskurse auch zur kolonialen ­Geschichte entstehen können. Hier haben wir einen interdiszipli-

Das Movement Research Program in Berlin Wedding war das Ergebnis und eine Reaktion auf die Phase, als das Sozialamt die

Red Clay Studio, Tamale, 2022. Foto SCCA Tamale


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nären Movement Research Workshop zum Thema Leitung und Gruppenbilder durchgeführt. Wenn ich mir europäische Amphitheater vor Augen rufe, dann entsteht der Eindruck von Größe und Weite. In welchen Dimen­ sionen muss man sich ein Amphitheater im afrikanischen Tamale vorstellen? Man muss sich von den hiesigen Vorstellungen von Raum ver­ abschieden. Wir hatten grundsätzlich viel mehr Platz, als wir bespielen konnten und viel war draußen und noch nicht überdacht. Unsere drei Ausstellungsräume waren ungefähr zwischen zehn und dreißig Minuten voneinander entfernt, und ich würde sagen ungefähr jeweils ca. 500 bis 1500 Quadratmeter groß. Man kann sich Red Clay ein bisschen wie die Landschaft in „Out of ­Africa“ vorstellen. Wer den Film gesehen hat, kann sich bestimmt an dieses unendliche, warme Licht und die rote Erde mit ein paar Bäumen erinnern. Um eine Idee zu bekommen: Im Außenraum um die Red Clay Studios herum hat Ibrahim Mahama fünf Flugzeuge hingestellt. Die unendlichen räumlichen Möglichkeiten in diesem nördlichen Teil von Ghana sind haptisch einfach über­ wältigend, und dass die Kunstinstitutionen die Stadt und deren Bildungsangebote entwickeln, ist sehr entscheidend. Ibrahim ist gerade dabei, das Parliament of Ghosts zu überdachen und zusätzlich 12 Residency-Räume zu bauen, wo man dann übernachten kann. Das ist fantastisch. Er hat uns animiert, ganz anderes und größer zu denken. Das war das Spannende an seiner Co-Kuration mit mir. Wir haben die Konzepte mit den Künstlerinnen gemeinsam entwickelt und über die Zeit den Boden für eine starke Beziehung zwischen allen Projektbeteiligten geschaffen, damit die Zusammenarbeit bei der Umsetzung im Januar 2022 gut funktionieren konnte. Was die kreative Raumentwicklung angeht, von der die Ausstellung sehr viel von Ibrahims Herangehensweise profitiert hat, möchte ich die Künstlerin Sandra Kyeraa erwähnen. Sie hat mit ihrer Installation „Cul de Sac“ (Sackgasse) ein überdimensioniertes Labyrinth aus Holz und Erde gebaut und mit Jutesäcken ­ausgekleidet, um Blumen wie den Christdorn zu pflanzen, der in langen Trockenphasen überleben kann. Die allgegenwärtige Aufregung, verloren zu sein, war in dieser Installation ein wichtiges Thema und gehörte auch zur Idee von Anders Existieren. Klima und Ernährung waren in den Red Clay Studios auch wich­ tige Themen. Welche Rolle haben diese in den Kunstwerken ­gespielt? Mit „Purple Flows“ widmete sich Tracy Na Koshie Thomson der Zukunft von Essen, der Essenverschwendung, Qualität, und den gleichzeitigen Bedarf. Sie hat unterschiedliche Sorten von Mehl pink und grün eingefärbt und mit Sand gemixt. Ausgestreut in der großen Ausstellungshalle, hat es wie eine Mondlandschaft oder Wüste, fast virtuell, gewirkt. Den riesigen Vorhang im Raum hat sie aus einer essbaren Paste verklebt. Was man sieht, ist ein Stoff, der teilweise durchsichtig ist und wie eine ausgetrocknete Erdoberfläche oder trockene Haut aussieht. Diese organischen Materialien haben eine neue ökologische Formensprache für mich herausgebracht – im Sinne einer immersiven Landschaft, die aus Essen besteht, wobei

solvej helweg ovesen

Solvej Helweg Ovesen geboren in Dänemark, ist Kuratorin und Kulturwissenschaftlerin. Sie kuratierte Ausstellungen und Festivals im In- und Ausland, ist künstlerische Leiterin der Galerie Wedding in Berlin u. a. mit Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Natasha Ilić. 2020 gründete sie mit Kathrin Pohlmann XOCuratorial Projects. Foto Juan Saez

wir das Material nicht als Nahrungsmittel erkennen, aber die unglaublich vielen, oft jungen Besucher:innen einbinden sollten. Die postkolonialen Diskurse erleben gerade eine globale Aufmerksamkeit und sind auch sehr präsent in Europa. Ibrahim Mahama scheint eigene Wege des Empowerments zu finden. Mit den Red Clay Studios, SCCA und Nkrumah Voli-ni kehrt er die kontinentalen Einflüsse um. Wie haben Sie das wahrgenommen? Das SCCA, zu dem drei Ausstellungsorte und auch die Red Clay Studios und Nkrumah Voli-ni gehören, ist ganz eindeutig ein sehr erfolgreiches kreatives Projekt des Empowerments und Raumbildung für andere Existenzformen. Ibrahim Mahama baut Infrastruktur, damit Leute andere Leben leben und andere Kunstpraxen und Wissen generieren können. Wir hatten dort auch die Möglichkeit, einige Reschooling-Programme umzusetzen. Täglich kommen ca. hundert Schüler in die „Existing Otherwise“Ausstellung. Ibrahim wusste von Beginn an, dass er alles selber machen muss, dass er keinerlei staatliche Unterstützung von Ghana erhält, nur vom Westen, aber das ändert sich hoffentlich langsam. Und, er fürchtet sich nicht vor Raumdimensionen und den Massen von Menschen. Ich glaube, das ist fast das Wichtigste bei ihm und für unser Projekt. Ich muss sagen, dass nicht nur Ibrahim Mahama, sondern die gesamte Gesellschaft in Tamale offen gewesen ist und unserem Team nach den Beschränkungen der letzten Corona-Jahre eine Lebendigkeit zurückgegeben hat. Ich muss sagen, dass uns die ganze ökologische und ökonomische Arbeitsweise mega beeindruckt hat. Immer wurde überlegt, welche Arbeiten können für viele Leute lange da sein und wie schafft man mit Kunst einen Raum zum Überleben – mental und sozial. Diese Entrepreneur-Rolle von einem Künstler und von Kunstwerken empfinde ich als visionär. Gerade jetzt auch für uns in Deutschland. Wir befinden uns momentan in einer Situation, in der wir alles kontrollieren wollen. Da war es spannend zu sehen, dass man in Tamale diese Kontrolle gar nicht erst versucht hat. Diese Offenheit, dieses accept von Kollaps, dass bestimmte Sachen nicht funktionieren und schnell immer neue Entscheidungen notwendig werden, hat uns erstaunt und begeistert. Dass andauernd geschaut wurde, wie sich die Community entwickeln kann und nicht austickt, weil man die Leute isoliert oder zurückhält, das war beeindruckend. Diesen Entrepreneur-Geist haben wir mitgenommen. Dass es möglich ist, trotz der ständigen Verhinderungen, Wert darauf zu legen, mit Kunst weiterzuarbeiten, hat uns das Projekt in Ghana gezeigt. Das war wie eine Befreiung. //

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Kartografie der Theater-Lausitzen Theater in der Niederlausitz von Thomas Irmer

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ie Niederlausitz, die historisch einst gleich hinter den Ber­ liner Müggelbergen anschloss, wurde von Theodor Fontane vielfach als reizender Anblick beschrieben. Als wendische Kleinodien, sprich: von den Sorben in den schier unendlichen Verzweigungen der Spree besiedeltes Gebiet mit ganz eigener Prägung – im Spreewald. Heute führen der Regionalexpress nach Cottbus und die Autobahnabfahrt Lübbenau in diese Landschaft, die sich bis über die polnische Grenze zieht. Kommt man vom Süden her, aus Sachsen, zeigen sich in der Niederlausitz ganz andere Landschaften: ehemalige Braunkohletagebaue, ausgekohlt aufgelassen oder zu künstlichen Seen gefüllt oder demnächst dafür geplant. Paradies und Mondlandschaft, historisch Gewachsenes und brüchiges Großgelände, das ist die Niederlausitz auch als Landschaft der Kultur, mit zwei wichtigen Theaterstädten.

Das Staatstheater Cottbus ist das einzige Viersparten-Haus im Land Brandenburg mit Oper/Musiktheater, Schauspiel, Ballett und Orchester. Der 1908 eröffnete Jugendstilbau gilt als Juwel der Theaterbauten jener Epoche. Nach der Wende ging das Stadttheater Cottbus in die Trägerschaft des Landes über und wurde von 1993 bis 2003 von Christoph Schroth als Intendant geleitet. Schroth führte vor allem das Schauspiel zu überregionaler Bedeutung, achtete auf langfristige Ensembleaufbauarbeit und ent­ wickelte neue Formate wie das jährliche Spektakel „Zonenrand­ ermutigung“. Ihm folgte Martin Schüler, der dem Musiktheater zu wachsender Beachtung verhalf und alle Sparten einbeziehende Produktionen inszenierte. Seit 2019 ist Stephan Märki Intendant, der Autor und Regisseur Armin Petras künftig sein Schauspiel­ direktor. Neben dem Staatstheater gibt es das Piccolo Theater in ­Cottbus, Kinder- und Jugendtheater mit einer Puppenspielsparte und einem seit vielen Jahren überregional beachtetem Jugendclub, wo Lucie Thiede (Siehe S. 16) mit ersten Schritten die Bühne betrat. Das Piccolo wurde 1991 von dem Liedermacher Reinhard Drogla, dem Schauspieler Werner Bauer und Peter Förster in einer

Ehemaliger Braunkohletagebau Cottbus-Nord. Foto picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/ Patrick Pleul

Die Lausitz in Brandenburg und Sachsen verbindet Naturschönheit mit der gewaltigsten Landschaftsumgestaltung der Bundesrepublik und immer neuen Transformationsplänen. Mit den fünf Theaterstädten Cottbus, Senftenberg, Bautzen, Görlitz, Zittau bildet sie auch eine eigene Theaterlandschaft als ­Kulturträger. Auf den folgenden Seiten eine Kartografie, ein Schauspielerinnen-­Doppelporträt, Problemanalysen und dazu der Stückabdruck von Lars Werners „Feinstoff. Vier Versuche mit Seide“.


lausitz

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Zeit der engagierten Nachwendeinitiativen gegründet, arbeitete zunächst im soziokulturellen Zentrum Glad House und fand dann eine eigene Spielstätte im Töpferturm im Stadtzentrum. Das Theater im Format einer modernen Studiobühne bildete über Jahre eine parallele Ergänzung zum Staatstheater und befand sich dabei in der Liga der noch wenig ausdifferenzierten Landschaft der freien Theater im Land Brandenburg. Ein neues Pic­ colo wurde 2011 eröffnet, das neben dem Theater in Brandenburg und dem Kleist-Forum in Frankfurt (Oder) zu den beachtlichen Theaterneubauten der Nachwendezeit im Land gehört. Das Piccolo wird finanziert mit einem Haushaltstitel des Landes und Mitteln der Stadt Cottbus. Eine weit in die Nieder-

Das Staatstheater Cottbus ist das einzige Vierspartenhaus in Brandenburg. Foto picture alliance / Andreas Franke

lausitz ausstrahlende Spezialität war über Jahre das Sommer­ theater auf dem Klosterplatz, jetzt auf der hauseigenen OpenAir-Bühne. Eine Novität wird seit 2012 mit dem Theater für die Allerkleinsten geboten, das von der Piccolo-Schauspielerin und Regisseurin Heidi Zengerle mit großem Z ­ uspruch von Kindern, Eltern und der Fachkritik in Mitmach-Performances für Kinder ab zwei Jahren entwickelt wurde. Eine gänzlich andere Geschichte hat die Neue Bühne im 35 Kilometer südwestlich gelegenen Senftenberg. Sie wurde 1946 auf Anregung der sowjetischen Besatzungsbehörden als Stadttheater Senftenberg gegründet, ab 1959 Theater der Bergarbeiter. Zu DDR-Zeiten ein gut ausgestattetes Mehrsparten-Haus, war das Theater in den frühen sechziger Jahren Ort wichtiger Uraufführungen von Peter Hacks und Heiner Müller mit Stücken über den sozialistischen Aufbau. Ab 1993 gab es nur noch das Schauspiel als einzige Sparte, die aber mit einzelnen Produktionen in den Intendanzen von Heinz Klevenow (1989–2004) und als breit aufgestelltes Volkstheater unter Sewan Latchinian (2004–2014) und Manuel Soubeyrand (2014–2022) immer wieder von sich reden machte. Ab der kommenden Spielzeit wird die Neue Bühne von Daniel Ris geleitet. Eine Spezialität ist die große ­Freilichtbühne am Senftenberger See. //

neue Bühne Senftenberg. Foto: Steffen Rasche

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thema

Theater in der Oberlausitz von Michael Bartsch

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uch die Theater der Oberlausitz verdanken ihre Existenz überwiegend der Stadttheater-Gründungswelle des 19. Jahrhunderts. Sie gehören heute zum Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien, dessen Träger die beiden Landkreise Bautzen und Görlitz sind. Diese Bildung von regionalen Kulturzweckverbänden wurde 1993 mit dem Sächsischen Kulturraumgesetz eingeführt. Der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien ist nach Fläche zwar der größte der fünf ländlichen und drei urbanen Räume in Sachsen. In den beiden Kreisen leben aber derzeit nur etwa 560 000 Einwohner, denen mit Görlitz, Zittau und Bautzen immerhin drei regelmäßig bespielte Theaterstandorte zur Verfügung stehen. Das älteste Theater der Region wurde 1796 als „Komödienhaus“ in Bautzen eingeweiht. Es befand sich am Lauengraben, ­einige Hundert Meter entfernt vom heutigen Standort. Ein Jahrhundert nach dem großen Umbau von 1868 wurde es auf dem Höhepunkt der teils barbarischen Stadtumgestaltungswelle in der

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DDR gesprengt und abgerissen. Erst 1963 hatten sich das Stadttheater und das 1948 gegründete Sorbische Volkstheater zusammengeschlossen. Der Neubau an den Schilleranlagen 1975 sollte besser in das Bild der angestrebten sozialistischen Stadt passen. 2003 öffnete eine zweite Spielstätte an der Bautzener Ortenburg, wo schon seit 1996 ein jährlicher Theatersommer stattfand. Das Haupthaus wurde 2004 saniert und brandschutztechnisch ertüchtigt. In seiner deutsch-sorbischen Zweisprachigkeit gilt es unter deutschen Berufstheatern als einmalig. Das Besucherpotenzial für sorbische Aufführungen ist allerdings nach fünf bis sechs ­Vorstellungen erschöpft. Immer noch nicht ganz verkraftet ist die Auflösung des Musiktheater- und Ballettensembles 1992. 1999 beschloss der Kulturraum nach sieben Stagione-Jahren endgültig die Auflösung der Sparte und die Aufgabenteilung mit Görlitz. Seit dieser Zeit amtiert Intendant Lutz Hillmann. Auch als Antwort auf Ressentiments gegenüber Flüchtlingen wurde 2018 in Theaternähe das soziotheatrale Thespis-Zentrum gegründet.

In seiner deutsch-sorbischen Zweisprachigkeit ist das DeutschSorbische Volkstheater in Bautzen unter professionellen Theatern einmalig. Foto Gabriele Suschke


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protagonisten lausitz

Das Theater in Görlitz, das mit dem Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau fusionierte. Foto Pawel Sosnowski

Das opulente Flair der Gründerzeit verströmt das 1851 eröffnete Theater Görlitz im oberhalb der Neiße gelegenen Stadtzentrum, gleich neben dem alten Kaisertrutz. In der Folgezeit wechselten Ausschmückungen und Vereinfachungen bei Umbauten. Das Vier­ spartentheater ist seit 1999 Musiktheater- und Ballett-Monopolist im Kulturraum. Auch die Neue Lausitzer Philharmonie hat hier ihren Sitz. Von 1963–1989 war Görlitz schon einmal mit dem Zittauer Haus vereinigt. Nach schwierigen Existenzkämpfen fusionierten beide Standorte 2011 erneut zum Gerhart-HauptmannTheater Görlitz-Zittau, abgekürzt GHT. In der GmbH dominiert Görlitz, Zittau versucht, sich mit dem Schauspiel zu behaupten. Zittau im Dreiländereck mit heute nur knapp 25 000 Einwohnern leistete sich schon 1802 als eine der ersten deutschen Städte ein Stadttheater. Nach dem Brand von 1932 galt der schon 1936 eröffnete Ersatzbau des „Grenzlandtheaters“ als der modernste Theaterneubau Deutschlands. In schwere Bedrängnis geriet Zittau nach 1990, überlebte zwei Jahre nur als ABM-Theater. Seit der Fusion mit Görlitz ist zumindest relative Stabilität eingezogen. Im nahen Klosterhof pflegt das GHT eine Sommerspielstätte. Der Charakter als Grenzlandtheater hat sich im positiven Sinn erhalten. Es kooperiert mit dem tschechischen Liberec und

Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau Foto Pawel Sosnowski

dem polnischen Jelenia Góra, etwa im Rahmen des J-O-SJugendfestivals. Bespielt wird auch die Waldbühne in Jonsdorf. Eigentlich verfügt auch Kamenz seit 1833 über ein Stadttheater, das aber nur noch als Veranstaltungsort dient. Ein ungleich größerer Auftrittsort ohne eigenes Ensemble ist die 1984 eröffnete Lausitzhalle Hoyerswerda. Das vor 70 Jahren gegründete Sorbische Nationalensemble wiederum verfügt in Bautzen über einen eigenen kleineren Vorstellungssaal, befindet sich aber mehr auf Gastspielreisen. Chor, Orchester und Ballett bieten eigene Programme, bei denen die sorbische Volkskultur aber oft nur noch Kulisse ist. Wohl kaum eine andere deutsche Theaterlandschaft ist in den vergangenen 30 Jahren so oft Objekt von Einsparstudien gewesen wie die Lausitz. Mit ihnen sollten die finanzschwachen Landkreise entlastet werden. Die Fusion von Bautzener Theater und Sorbischem Nationalensemble wurde vorgeschlagen, Spartenschließungen und immer wieder die Reduktion auf ein einziges Kulturraumtheater. Zuletzt sorgte vor Jahresfrist die Münchener actori-Kulturberatung für Empörung, als sie im Auftrag des Kreises Görlitz drastische Abbauszenarien durchspielte. // ­

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Der große Bruch In der Lausitz wirken verschiedene Transformationen nach- und nebeneinander

von Grit Lemke

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n der Lausitz“, pflegte der legendäre Baggerfahrer und Musiker Gerhard Gundermann zu sagen, „gülten noch Wunder“. So wunderlich wie der hier verwendete Lausitzer Dialekt, der das Deutsche einmal durchkaut und sorbisch verfärbt wieder ausspuckt, ist das Land. Einst verwunschen und morastig, worauf der Ursprung des Wortes verweist: niedersorbisch Łužyca bzw. obersorbisch Łužica, von łuža, die sumpfige Wiese. Wer hier aufwächst, weiß von klein auf, dass Irrlichter durchs Moor geistern, der Wassermann das Blubbern in den Lachen verursacht und die Mittagsfrau sich jene holt, die in der Hitze der zwölften Stunde nicht das schützende Haus aufsuchen. Dies sind die einzigen Gewissheiten. Darüber hinaus weiß man hier nur eines mit Sicherheit: Nichts bleibt, wie es war. Wohl keine andere Region ist so von Transformation geprägt. Sie ist das alles dominierende Paradigma und Menetekel zugleich. Verlust und Verheißung, Aufbau und Abriss, Abschied und Ankunft in einem ewig währenden Kreislauf. Wo einst ein Sumpf und Kiefernwälder, entstanden Dörfer. Wo einst Dörfer, klafften schon bald die gigantischen Gruben des BraunkohleTagebaus, gesäumt von aus Abraum angehäuften Kippen. End­

lose Mondlandschaften, die sich – so plant es der Mensch – in eine Seenplatte samt blühender touristischer Ressorts verwandeln. Was die Natur im wahrsten Sinne des Wortes untergräbt, indem das Grundwasser die neuen Landschaften mit anarchistischer Energie unterspült und ganze Areale zum Einsturz bringt. Der Mensch spürt den Boden unter seinen Füßen wanken und überlässt ihn – vorerst – wieder der Natur. Seit ein paar Jahren spürt, wer durch die Landschaft läuft und sie zu lesen versteht, die permanente Anwesenheit des Wolfs und hört die Kraniche schreien. Was sich als existenzielle Erfahrung in Landschaft und Mensch eingeschrieben hat, beschäftigt neuerdings auch die Institutionen und drängt in Richtung Vermarktung. Transformation als USP. Im Rahmen eines über mehrere Jahre groß angelegten, vom Bund geförderten Strukturentwicklungsvorhabens schickt sich eine Welterbeinitiative an, die Lausitzer Tagebaufolgelandschaft in das UNESCO-Welterbe aufzunehmen: als, wie es heißt, „weltweit größtes zusammenhängendes Beispiel“ einer solchen Landschaft, in der „über den weltweit längsten Zeitraum“ (seit 1900) „alle weltweit bekannten Nutzungsstrategien“ einer solchen

Transformationslandschaft Lausitz: Kippflächen des Braunkohle­ tagebaus Jänschwalde. Foto picture alliance / Andreas Franke


lausitz

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Folgelandschaft entwickelt wurden und sich nachempfinden lassen. So viel Welt in einer Region, die sich über Jahrhunderte am Rand derselben wähnte und von ihr kaum je anders behandelt wurde. So von Transformation gezeichnet wie die Landschaft der Lausitz sind ihre Städte. Allen voran, als Symbol des Wandels, von Utopie und Zerfall selbst, Hoyerswerda: Aus dem sorbisch geprägten 7000-Seelen-Ackerbürgerstädtchen Wojerecy wurde seit 1955 innerhalb von drei Jahrzehnten die zweite sozialistische Wohnstadt der DDR buchstäblich aus dem Heideboden gestampft und ihre Bevölkerung verzehnfacht, parallel zum Bau des Gaskombinats Schwarze Pumpe. Superlative bestimmten auch hier den Sprachgebrauch: die „weltweit erste Stadt, die vollständig in ­Montagebauweise errichtet wurde“, die „kinderreichste Stadt der DDR“ und – durch den immerwährenden Puls der Schichtbusse verbunden – der „größte Braunkohle verarbeitende Industrie­ komplex der Welt“. Aufstieg und Verfall sind auch hier wie in ­einem Kompendium der Architektur- und Sozialgeschichte physisch – beim Gang durch die Stadt – erlebbar: von den ersten, aus liebevoll gefertigten Unikaten bestehenden Wohnkomplexen über nur noch an der Länge der Kranausleger ausgerichtete Häuser­ reihen bis zu lieb- und kunstlos hingeklotzten Einheitsblöcken, heute gezeichnet von den Schneisen der Abrissbagger. Wo einst eine Stadt – die es dann doch, hauptsächlich durch den Eigensinn ihrer Bewohner wurde – lärmend pulsierte, herrscht nun die Stille einer mehrheitlich von Rentnern besiedelten kleinstädtischen Siedlung. Auch hier, inmitten scheinbar zufällig stehen geblie­ bener Plattenbauten, holt sich die Natur zurück, was der Mensch nur temporär eroberte. Wo einst Schulen und Wohnhäuser den Wald verdrängten, wachsen wieder Bäume. Die beherrschende Vokabel, wenn es um die Lausitz geht, ist Strukturwandel. Diesmal müsse er gelingen, wird beschwörend hinzugefügt. Erst neuerdings ist auch vom Strukturbruch die Rede, der in den 1990er Jahren wie ein Tsunami durch die Region fegte. Mit atemberaubender Geschwindigkeit und brachialer ­Gewalt löschte er Industrie wie an ihr hängende Existenzen aus. Schon Mitte 1990 wurde der erste Betriebsteil von Schwarze ­Pumpe – das übrigens schwarze Zahlen schrieb und von Siemens für eine Mark aufgekauft wurde – geschlossen. Wie bei einem ­Kartenhaus folgten weitere, schlossen Gruben – übrigens nicht aus ökologischen Gründen! – und Versorgungsbetriebe, stellten Berufsschulen die Ausbildung ein, fanden sich Tausende Arbeitskräfte von heute auf morgen auf die Straße gesetzt. Ein Exodus gen Westen setzte ein, das Verschwinden einer ganzen Genera­ tion samt ihrer Kinder. Das Wort „Bruch“ scheint denen, die dabei waren, unangebracht, suggeriert es doch die Möglichkeit eines Neu-­Zusammenfügens, einer Heilung. Die Lausitz aber muss sich einmal mehr nichts weniger als neu finden – wobei von Er-finden keine Rede sein kann. Man versteht diese Transformation eben nur, wenn man mehr in den Blick nimmt als 120 Jahre Bergbaugeschichte. Denn schwerer als der Struktur- wiegt der Identitätsbruch. Er währt länger und hat tiefere, sich über viele Generationen ziehende Spuren hinter­ lassen. Wer glaubt, hier müsse man nur neue Industrie ansiedeln (das muss man natürlich – auch) und alles würde gut, hat nichts verstanden. Kürzlich veröffentlichte Prognosen der Agentur für

Arbeit belegen, dass der in der Lausitz so gefürchtete und gehasste Kohleausstieg angesichts einer komplett überalterten demografischen Struktur keinesfalls zu einer Massenarbeitslosigkeit wie in den Neunzigern führen wird. Wohl aber, ließe sich hinzufügen, zu einem Identitäts- und Sinnvakuum, das wiederum demografisch unheilvoll nachwirkt.

Grit Lemke, geboren 1965, wuchs in Hoyerswerda auf. Als Kulturwissen­ ­ schaft­ lerin / Ethnologin arbeitet sie an Filmen über die Niederlausitz („Gun­ dermann Revier“) und veröffentlichte den dokumentarischen Roman „Kinder von Hoy“ (Suhrkamp Verlag). Foto Börres Weiffenbach, Suhrkamp Verlag

Wie die von Gundermann besungenen „Engel über dem Revier“ empfiehlt es sich, einmal höher zu fliegen und den Blick zu ­weiten. Zum einen in Bezug auf zeitliche Dimensionen. In der Kultur- und Geschichtswissenschaft spricht man vom Phänomen der longue durée: lang wirkende (heute würde man sagen: nachhaltige) Gegebenheiten, die die Bedingungen für kürzer wirkende Phänomene wie industrielle Revolutionen oder politische ­Umbrüche diktieren und ihr Verständnis erst ermöglichen. Der Lausitz wird in diesem Sinne nur gerecht, wer sie als Łužyca bzw. Łužica begreift. Denn das Deutsche ist hier, wie der Lausitzer Historiker Grzegorz Wieczorek nicht müde wird zu betonen, ein historisch relativ junges Phänomen. Der Kurator des Wendischen Museums Cottbus Werner Měškank geht sogar davon aus, dass erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem extensiven Ausbau der Kohleindustrie, dem systematischen Abriss sorbischer Dörfer und dem massenhaften Zuzug deutscher Arbeitskräfte sich die ethnischen Relationen in der Lausitz entscheidend veränderten. So betrachtet ist die Rede von einer sorbischen ­Minderheit, deren Minderheitenkultur und Minderheitensprache von der Mehrheit mit viel Geld – und warum eigentlich? – geschützt und erhalten werden müssen, ein historisch junges ­Phänomen. Vor allem aber ist sie Ausdruck eines bislang kaum bekannten und schon gar nicht aufgearbeiteten systemischen ­Kolonialismus und, ja, auch Rassismus. Von oben sieht man aber auch, dass die Lausitz nur vom Westen betrachtet am Rand liegt. Mittlerweile gibt es sorbische Initiativen, die die Region auch im öffentlichen und politischen Bewusstsein in das Zentrum Europas rückt. Dabei geht es um einen Strukturwandel, der nicht wie das Kaninchen auf die Schlange in Richtung Industrie starrt, sondern bei Identitäten ansetzt. Die Lausitz als Scharnier zum slawischen Osten und Vorreiter auf dem Weg zu einem Europa der multiethnischen Vielfalt und kleineren Strukturen, die großen Brüchen nicht hilflos ausgeliefert sind. Genau Letzteres empfehlen übrigens Transformations­ forscher. Und ansonsten gülten weiter die Wunder. //

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Nicht Sprungbrett denken, sondern festen Boden Lucie Luise Thiede und Susann Thiede im Porträt


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von Hans-Dieter Schütt

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ie hätten derzeit gemeinsam auf der Bühne stehen sollen: Mutter und Tochter – als Mutter und Tochter. Susann Thiede in der Rolle der Waschfrau Wolff und Lucie Luise in der Rolle der schwangeren Leontine. In Gerhart Hauptmanns „Biberpelz“, ­Regie: Armin Petras. Aber Lucie Luise spielt nicht – sie ist schwanger. So lehrt das Leben die Kunst: Umbesetzung. Wir sitzen im Probenhaus des Staatstheaters Cottbus, im „Biberpelz“ sieht man im Video den Madlower See, den Spreewald, die ruppigen Ufer. Licht und Grauwerte der Lausitz. Wo der Dichter Gottfried Unterdörfer hoffnungsvoll schrieb: „Ich will den Bogen setzen“. Wo Volker Brauns aufsteigendes und ­heruntergekommenes Hoywoy nicht weit ist. Zwei Spielerinnen, sofort spürbar: Expertinnen darin, (noch immer) aufeinander neugierig zu sein. Irgendwann war das unpassendste Wort gefallen: Provinz. Wo es doch in beider Arbeit absolut nichts zu suchen hat. „Wo ich bin, ist keine Provinz!“ Ein Satz von Christoph Schroth. Vier Jahre spielte Susann Thiede am Staatstheater Schwerin, dort ­hatte Intendant und Regisseur Schroth auf eine Weise Theater betrieben, die zum Fußball aufschloss: Das Publikum kam in Sonderzügen. Susann Thiede folgte Schroth nach Cottbus. Auch hier, viele Jahre: Volkstheater. Ohne Ruch des Seichten. Volkes Theater, „eine instanz der unberuhigten vernunft“ (noch einmal Volker Braun). Susann Thiede, Künstlerin mit einer wahrlich langen Rollenliste, spricht von der „Kraft des Ensembles“; eine wehrhafte Setzung in einer Welt des Outsourcings, des frei flottierenden Marktes. Das Wort „GmbH“, das auch an Bühnen so struktur­ bestimmend wurde, spricht sie zweifelnd, nahezu furchtsam aus. Lucie Luise sagt’s deutlicher: „Ein Ja zum Stadttheater!“ Aber noch viel mehr ein Ja zur Leidenschaft eines Ensembles, sich mit dem Ort, an dem es Theater macht, zu verbinden. Theater nicht als ökonomiefreier Sicherungskasten, aber: Förderung auch für Risiken. Und Verständnis: In Krisenzeiten wächst die Sehnsucht der Leute – nach Linderung durch Leichtigkeit. Operette oder ,Orestie‘? „Wieso denn: oder?“, fragen beide. Es ist eine Antwort! „Nichts gegenüberstellen!“ Freilich sagen beide, dass die „Orestie“ im Moment nicht das Mittel erster Wahl wäre, um zur Heilung der Menschen beizutragen. „Die Frage muss wohl eher lauten: Welches Theater – jetzt? Das treibt uns um, bei leeren Reihen, wir stecken tief im Findungsprozess.“ Aischylos’ Klytaimnestra, Dürrenmatts Claire Zachanassian. Zwei Rollen nur, sie stehen für einen Kosmos: Susann Thiede gab das Hehre und das Harte; ihre Gestalten bannen mit schönem Verlangen und stoßen ab mit Bosheit. Dann wieder wächst ihren Figuren aus Narbenwuchs über Wunden ein gesunder Witz zu.

Links: Die Zunge als Sprengsatzlager: Susann Thiede als Frau Wolff mit Julischka Eichel (Leontine) und Ensemble in der Inszenierung „Der Biberpelz“ am Staatstheater Cottbus in der Regie von Armin Petras. Foto Marlies Kross

Ihr wird jeder Deckel, der einen Schrei einsperrt, zur Krone. Die den Schmerz mit Verschweigen adelt. Ihn freilich nicht aufhebt. Das denken nur die anderen. Tapferkeit heißt das. Ihre Art hat etwas weich Fließendes, das kann aber im nächsten Moment klirrend zerspringen. Und plötzlich thront da eine Monarchistin des ernsten Wortes. Oder wie bei der Waschfrau Wolff: die Zunge als Sprengsatzlager. Susann Thiede ist die Tochter von Angelika Waller. Wird man, in einer Theaterfamilie lebend, zum gebrannten Kind? Blick zu Lucie Luise. Sie kontert: „Sagen wir so: Ich bin noch immer Feuer und Flamme.“ Während des Studiums der Fragedrang: Was mache ich aus meinem Leben? Am Kinder- und Jugendtheater

Expertinnen darin, aufeinander neugierig zu sein: die Schauspielerinnen Susann und Lucie Luise Thiede am Staatstheater Cottbus. Foto Marlies Kross

Cottbus, dem oft preisgekrönten, weil so engagierten Piccolo ­Theater, einer Instanz in der Lausitz, lernte sie die Lust kennen, „politisch an Dinge heranzugehen“. Derzeit, jeden Morgen vor der Probe: Tests. Die CoronaZeit, so Susann Thiede, brachte Momente der „Schockstarre“, sie war und ist kein „Typ für Streaming und Ego-Performance“. Hauptmanns „Biberpelz“ war die erste Premiere im Großen Haus nach Monaten. Geschlossenes Theater, stockender Spielbetrieb, da konnte in dunklen Augenblicken der Gedanke aufkommen, „inzwischen im falschen Beruf“ zu sein. Aber der Spieltrieb sei treu und nicht zu verscheuchen. Sagt Lucie Luise und blickt ihre Mutter an. Schöne verkehrte Welt: Tröstet die Jüngere die Ältere? Schon oft spielten sie gemeinsam. Susann Thiede als Polonius, Lucie Luise als Ophelia: „Professionalität hin und her: Im Klagen der Unglücklichen hörte ich meine Tochter. Jeden Ton, jede Schwingung spürst du anders als andere.“ Lucie lacht. „Ich kenne meine Mutter als absolut textsicher. In der Premiere von ,Pippi Langstrumpf“ überkam mich eine Allergie, das Gesicht schwoll zu, meine Mutter, neben mir auf der Bühne, stockte, wusste für Momente nicht, was sie zu sagen hatte.“

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Ich frage Susann Thiede, ob sie im Theaterbetrieb je Angst um ihre Tochter hatte. „Hatte? Nein. Ich habe Angst.“ Es sind die Ängste vor dem, was die Mühlen des Theaters mit sich bringen. Kündigung, Entwurzelung … Zuletzt traten sie zusammen in einer Geschichte von Ines Geipel auf, inszeniert ebenfalls von Armin Petras. Premiere Ende 2020. Erneut war das Virus der Spiel-Verderber. „Umkämpfte Zone“: Menschen im Clinch der DDR-Verhältnisse. Aufbau, Anpassung, Abseits, Ausreise. Eine Aufrechnung, ein Aufschrei. Zwei Frauen, eine Rolle; das Spiel gleichsam gesplittet: Die Thiedes als Schwester ihres sterbenden Bruders. Zwei Generationen, aber ein einziges altersloses Schicksal. Stark, wie die Gesichter beider Spielerinnen immer wieder ihre Schönheit widerriefen! Als seien Augen nur groß, damit die Angst Platz findet. Die Welt will dauernd, dass wir ihr gerecht werden. Lucie Luise Thiede wirkt grundheiter unwillig, der Welt diesen Wunsch zu erfüllen. Eigene Wünsche, eigene Wege. Seit 2014 ist sie, nach Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, in Cottbus. War neben Ophelia auch Lessings Emilia: Es gibt eine Anmut, die vom Tode nichts weiß, wo es doch längst ans Sterben ging. Wenn du ein Herz erobern willst, musst du es brechen? Lucie Luise Thiede kann im Spiel das Wesen sein, dem der Wahn ein sehr, sehr scheues Du anbietet. Dann wieder sprüht da die Daseinslust einer Liebenden, die jenen Tränen nicht glauben will, die ihr irgendein Unglücklichsein übers Gesicht schmiert. Sie überzeugte mit Frische in erbe-schweren Ach-Gott-ach-Gott-Gestalten. Die Schauspielerin sieht sie aber auch kritisch: „Ich kann diese klassischen Figuren, die als tolle Rollen gelten, historisieren oder kommentieren. Aber der wirk­ liche Brückenschlag ist schwierig. Dankbar war ich, sie zu spielen. Aber glücklich?“

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Und das Gespräch zieht wieder in die Gegenwart. In Cottbus zu spielen, es heißt: „den Leuten hier möglichst nahe zu sein, diese Stadt hängt in Vergangenheiten und muss in die Zukunft“ (Lucie Luise Thiede), „und wir erzählen von den Wegen, Umwegen, Irr­ wegen“ (Susann Thiede), und „deshalb sage ich gegen das Vor­urteil, hier sei nichts: Doch, hier ist alles!“ (Lucie Luise T.), und „es ist keine Emanzipation wegzugehen“ (Susann T.), nee, „Emanzipation ist Bleiben, also: nicht Sprungbrett zu denken, sondern festen Boden – auf dem die Menschen in Bewegung sind“ (Lucie Luise T.). Susann Thiede: „Was heißt eigentlich Osten? Vielleicht, dass Leute noch immer den Verlierer-Stempel tragen. Tapfere Leute. Lauter Probleme, schwindender Glaube, zunehmende Irritation.“ Und zur Wahrheit gehöre, ergänzt Lucie Luise, „dass sich der Rechtsruck in Ostdeutschland durch alle Schichten zieht. Ich frage mich, welche Wunde da verdrängt wird. Vielleicht eine Wunde, die ihnen durch Eltern und Großeltern vererbt wurde. Ein Phantomschmerz?“ Engagiertes Gedanken-Tennis. Im Gespräch ist alles vorhanden, was Theater ausmacht: Unterscheidung, Gedächtnis und Freude. Wir reden, und es scheint ein wenig, als sänge die LausitzLegende Gerhard Gundermann aus den Wänden: Erst werden die Schutzengel über dem Revier arbeitslos, dann stirbt der Mensch? Nein, der Mensch lebt. Und Theater erzählt, was Schönheit ist: wenn das Leben an gefährdeten Stellen Glück hat. Gefährdete Stellen bleiben. Glück nicht. Aber jetzt hast du ein Bild davon. Es ist in Cottbus und seiner Gegend auch das Bild dieser beiden Schauspielerinnen. //

Gemeinsam traten Lucie Luise und Susann Thiede zuletzt in der Inszenierung von "Umkämpfte Zone" in der Regie von Armin Petras auf. Foto Marlies Kross


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Sumpfige Wiesen von Armin Petras

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ch stehe im Sommer 2020 am Ufer eines Cottbuser Badesees / es sind 38 Grad / Mittagspause bei der Produktion „Umkämpfte Zone“ nach einer Zwitterliteratur aus Roman und Sachbuch der ­Poetik-Professorin Ines Geipel zum Thema „Wem gehört der Osten?“.

Mein Dresdner Freund, der einzige Kinderpsychiater von BerlinLichtenberg, hatte mir das Buch ein Jahr früher, bei einem unserer üblichen 15-Minuten-Treffen kurz vor der „Courage“-Premiere zugesteckt ... mit leicht sächsischem Dialekt, immer lachend, „musst du läsen“ geraunt, und war zu einem Fachtreffen nach ­Tirol oder Paris abgerauscht. Ich las erst und versuchte jetzt, ein Jahr danach, zu inszenieren, was in diesem schmerzhaften Text stand, in dieser für Berliner Verhältnisse absolut leeren Stadt. Nun aber Pause, zwei Stunden Zeit am Madlower See, diesem SpreeAltarm-Tümpel, den ich heute mit einem tätowierten, ziemlich nackten Rentner und zwei etwa dreizehnjährigen Mädchen teilte. Ich dachte: „scheiß Hitze“ – und „zu heiß zum Baden“ und „wo sind jetzt all die anderen Cottbuser?“, immerhin 100 000. Auf Mallorca oder an der Ostsee oder einfach zu Hause? Lausitz heißt soviel wie „nasse Wiese“ oder „matschiges Land.“ Naja, vielleicht war das ja mal so. Grönland heißt bekanntlich ja auch Grünland. Die Zeiten der nassen Wiese scheinen schon eine ziemliche Weile her zu sein. Dennoch, sich vorzustellen, dass dieses ganze Gebiet, vom polnischen Ende Schlesiens hinter Kattowitz bis zum Müggelsee, mal Sumpfgebiet mit einer Waldpopulation aus Eichen und mehrheitlich Hainbuchen war, ist nicht gerade leicht. Mit wem ich auch spreche und sprach, jeder hat eine etwas andere Theorie: „Köhler und Pechbrenner verbrauchten riesige Mengen an Holz, genau wie die dann einsetzende Glasindustrie“. Ein anderer sagt: „Nee ... das liegt alles am großen Fritz, der die amerikanische Kartoffel und die Maulbeerbäume herbrachte und mit ihr die Siedler, die den Wald für die Kartoffeläcker rodeten, hier wächst ja nischt andres.“ Und dann natürlich: „Berlin, die ganze Gründerzeit, janz Charlottenburg ist aus unsren Eichen jebaut – und noch viel später: „Schwarze Pumpe, die großen Kraftwerke, alle brauchten Holz“. Im berühmtesten Roman der DDR-Industrialisierung (aus dem später Film und Drama gemacht wurden) geht es nicht nur um eine Liebes- und eine Planerfüllungsgeschichte, nicht nur um die

Integration von „alten Nazis“ und „Halbstarken“, sondern auch darum, wie man das nicht mehr vorhandene Bauholz durch ­Plastik ersetzen kann, noch heute zeugen Millionen kaum zerstörbarer DDR-Beton-Zaunpfähle vom Eichen-Mangel in der ­Region und ihren Ersatz-Objekten. Jetzt: alleinige Kiefern-Monokultur auf über 90 Prozent der bewaldeten Fläche Lausitz, was ist das? Zwei Bundesländer, die ja eigentlich zwei völlig verschiedene sind, eine Region: Oberlausitz, Niederlausitz, die früher auch schon des­wegen „Lausitzen“ hießen. Lausitz, eine Region, die ins heutige Polen hineinreicht … in die ehemalige Neumark. Lausitz, ein ­Gebiet, von dem man nicht wirklich weiß, ob die Germanen oder die Slawen die Ersten waren, die es besiedelten. Später dann die Sorben, die aufs Land zogen, die Deutschen, die mehr in die Städte gingen, und immer wieder neue Menschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal Millionen, die aus dem Osten kamen, Hunderttausende, die hier blieben … dann die Industrialisierungspolitik durch den sozialistischen Staat. In Moabit habe ich letzten Monat eine ziemlich umfängliche Straßenwerbung für ein Klinikum mit der Überschrift: „Wer traut sich nach Cottbus?“ gesehen, darunter eine Gruppe verschmitzt lächelnder verwegener Menschen in weißen Kitteln, die anscheinend den abenteuerlichen Schritt in die Ferne schon ohne schwerere Verletzungen überstanden hatten, und noch etwas weiter ins Bild montiert: ein richtiger Wolf. Vom letzten Zipfel Berlin-Mittes in die Niederlausitz handelt es sich also um eine Mutprobe? Eine Stunde 20 mit dem Regio­ nalexpress 2? Oder handelt es sich doch eher um die Verheißung günstigerer Wohnungen oder eine versteckte Karriere-UmwegAufstiegs-Chance? Warum dann nicht gleich die Wahrheit sagen? Wie an einer Metropolen-Bühne an dem Tag, als meine Verpflichtung als Co-Direktor des Cottbuser Schauspiels bekannt wurde: Kein Kommentar der anwesenden Künstler, außer: „Sibirien?“ „Na, da bist du ja schon.“ und gedämpftes Lachen. Lausitz und das Wasser ... Der Elektro-Mobile Betrieb eines amerikanischen Milliardärs wird bei Fertigstellung so viel Wasser verbrauchen, wie eine Stadt mit 30 000 Einwohnern. Die Spree hat seit Jahrzehnten Niedrigwasser. Vor zwei Jahren bin ich durch die Elbe bei Wittenberge von Sachsen-Anhalt nach Brandenburg gegangen, ja gegangen. Wasserhöhe 1,10 Meter.

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Aber die Spree, nicht die Elbe, ist der wichtigste Trinkwasserfluss Berlins. Die Landschaft der Braunkohlelöcher ist offen, wie die Zukunft dieser Region Offen und unentschieden, wie die Abende in Cottbus zwischen dem Stadion der „Energetiker“ und dem Kanuverein „Lok“, in dem auch im Januar für die Paralympics und das Drachenboot­ rennen in Venedig trainiert wird. Die Nutrias, aus der Spree auftauchend, aussehend wie kranke übergewichtige Biber mit Rattenschwänzen, sitzen später vor den Altersheimen und warten auf Anerkennung und den Wochenendkuchen. Die Senioren und die aus den Pelzfarmen geflohenen Säugetiere aus der Fremde: gemeinsam gegen das Alleinsein, die CoronaDepression, eine typische Lausitz-Aktion.

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ben, riesengroß aufgestellt zwischen den schon sehr ausgedünnten Plattenbauten. So eine Art Ermutigungsveranstaltung. Kunstschaffende aus bedeutenderen Orten begleiteten das Zurückbauen der sogenannten Neubauten aus den 70ern in Hoyerswerda. Ein zentraler Ort der „Shrinking Cities” weltweit. Ein weites Gelände, noch nicht zu Ende saniert wie heute. Überall Straßen, die keine Namen mehr hatten, die nirgendwohin führten, an keinen Eingängen mehr endeten ... und immer wieder: Sand, Brennesseln, Robinien…

Wir machten eine kleine Freilichtinszenierung nach einer Schleef-Erzählung. Während der Proben ist ein zehnjähriger Junge bei uns. Zwei Tage, drei Tage. Abends um 9 frage ich ihn, „Willst du nicht mal nach Hause?“. „Nein“, sagt er, „besser nicht“. Im Sommer ist der Spreewald unerträglich voll, zuNebenan im anderen ­Zim­mindest für meinen Gemer unserer Unterkunft, einem ehemaligen Kinschmack, aber Kahnfahren geht auch im Winter. Ja dergarten, Julia, eine USamerikanische Land-Artwirklich, man muss nur anrufen, Kähne, Kanus, Touren Künstlerin, die unentwegt, mit und ohne Kräutererst wütend, dann verHandelt es sich bei der Fahrt mit dem RE 2 vom letzten Zipfel BerlinMittes in die Niederlausitz um eine Mutprobe? Der Regisseur und Autor schnaps von hier. zweifelt weinend, mit dem Armin Petras. Foto Jörg Landsberg Ein befreundeter Bühnenveganen Bringdienst aus bildner beteuert mir, dass dem P-Berg telefoniert, „die ,Bleiche‘ das wirklich der es auch bis zum späschönste und teuerste Bio-Wellness Hotel in Deutschland ist“ und ten Abend nicht schaffen wird, das Bestellte zu liefern. dass es nur ein Problem gäbe: dass man „garantiert einen Berliner Ich gehe zum örtlichen Speisenanbieter, einem türkischen Promi-Kollegen in einer der 17 Saunen treffen würde“. Schnellrestaurant: der Döner-Kebab kostet einen Euro. 30 Kilometer weiter auf der anderen Seite: Döbern. Eine ehe­ malige gutbürgerliche Glasstadt, jetzt quasi tot. Leere Häuser, ­Fabrikantenvillen, alles zu verkaufen, 80 Prozent billiger als in der Hauptstadt. Ältere Menschen. Kranke. Nachlassverwaltung, Vergangenheitsbewältigung, geschlossene Gaststätten. Die letzten aufgebend, nach zwei Jahren Corona. In einer ehemaligen Bäckerei, über den zugewachsenen Bauzaun kletternd, beim Location-scouting für einen Theaterdreh, finde ich Fotos vom selben Raum, 80 Jahre früher. Ein Tanzcafé, ein rich­ tiger Ballsaal, junge und alte Menschen, mindestens hundert, ­lachend in immer anderen Posen sich drehend. Eine pralle, prosperierende Welt, Jahre vor dem großen Krieg. Draußen am Dach die stolze Inschrift: „1. Likörfabrik“. Das Gebäude, jetzt wie der ganze Ort, wartend auf Neues. Lange ist er her, mein erster Besuch in der Lausitz, 2003. Ein Projekt mit oder von Theater der Zeit. SUPERUMBAU. Zehn Buchsta-

Am nächsten Morgen, die amerikanische Künstlerin ist bereits abgereist, die kleine Vorstellung, von etwa 30 Leuten besucht (20 davon andere Kulturschaffende), vorbei. Ich sehe den Jungen gegenüber, hinter einer Fensterscheibe. Ich winke ihm zum Abschied, der Junge schaut und winkt nicht. Die zehn riesigen Buchstaben hat jemand heute Nacht umgestellt. Aus dem Wort SUPERUMBAU wurde REUMAPUBS. „Kunst ist Waffe“, denke ich „und Volkskunst Geheimwaffe.“ Der OST-SEE, den es noch nicht gibt, das zu flutende riesige Gelände, Ruine einer Landschaft nach extensivem beendetem Tagebau, sieht wirklich großartig aus. Eine sogenannte Mondlandschaft, eingezäunt bis zum Horizont, schützend die Neugierigen vor absackenden Sanden, und ganz im Norden der erste Spatenstich für einen Hafen, wirklich feierlich geschehen in der vergangenen Woche. Ein Hafen für einen künftigen riesigen See und seine stolzen Schiffe, den größten künstli-


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chen See, den Menschen in Deutschland jemals erschaffen wollten ... Ich überlege, welche Pflanzen und welche Tiere wie lange hier in Ruhe gelassen werden? Keine Ahnung, ob die das wissen, die Pflanzen und die Tiere, dass sie jetzt Jahre, Jahrzehnte unbeaufsichtigt sind, nicht gejagt werden können, nicht abgeschossen oder überfahren, weil die Menschen sich selber ausgesperrt haben, einen riesigen Zaun gebaut haben, und es aus Klimagründen sowieso, wahrscheinlich sowieso, nicht klappt mit dem Badeparadies ...? Wahrscheinlich ziemlich bald wissen die das, sind ja auch nicht blöd, die Füchse und die Nutrias und die Wölfe und die Robi­ nien ... Ich frage einen Wasserbau-Ingenieur, wann denn dieses riesige, 70 Meter in die Tiefe reichende Gelände, geflutet sein wird? Ich bekomme keine Antwort, sein Arbeitgeber ist wichtig in der Region. Im Sommer ’19 sitzen wir in einem Düsseldorfer Freilichtkino. Fast alle Plätze sind besetzt. Es läuft ein Film von Andreas Dresen über einen Gitarre spielenden Baggerfahrer aus der Lausitz. Ich fand den Film großartig. Keine Ahnung, einfach spannend, und eines der Lieder war so gut, wie von Rio Reiser. Ich war total berührt. War das Ostalgie oder die Seghers’sche Idee von „der Kraft der Schwachen“, keine Ahnung.

Am besten aber war Peter Sodann als alter harter Parteisekretär. Natürlich kann Robert de Niro ein Kotelett spielen, aber manchmal ist es halt doch besser, etwas davon zu wissen, von dem Material, welches man bearbeitet, welches man sich versucht anzuverwandeln, zu begreifen und zu bearbeiten. In dieser Sommernacht dachte ich, wenn ich noch mal wohin gehe, so richtig, dann da, wo ich ein bisschen was von den Leuten kapiere. Ich frage meinen ältesten Schauspielerfreund H. am Telefon nach dem singenden Baggerfahrer, und er antwortet: „Kenn ich, warn Arsch, war bei der Stasi“. Naja, irgendwer versaut einem immer die Laune. Vor drei Wochen. Die junge österreichische Regieassistentin, die in Schottland studiert hat, bekommt einen Schock, als sie die Station „Tropical Island“ inmitten der Heide entdeckt. Was bedeutet das? Truman Show oder Club Med? In der mir zugewiesenen Unterkunft, im Studentenwohnheim, fragt mich ein marokkanischer Student, ob ich Tee für ihn und seine Freundin hätte ..., ich verneine. Am nächsten Tag klopft es wieder, derselbe Student, dieselbe Frage. Ich bin Kaffeetrinker. Ich erzähle dem jungen Cottbuser Regisseur und Videokünstler von den Besuchen, und er sagt: „Es wird wohl Zeit, dass du Tee einkaufen gehst.“ //

NATIONALES PERFORMANCE NETZ A N T R A G S F R I S T E N

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KOPRODUKTIONEN & GASTSPIELE TANZ N AT I O N A L & I N T E R N AT I O N A L

31/03/2022 2 .

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15/04/2022 2 .

V E R G A B E

Informationen zur Antragstellung www.jointadventures.net Das NPN wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie den Kultur- und Kunstministerien folgender Bundesländer unterstützt: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

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Laboratorium Lausitz Gespräch mit Lutz Hillmann und Stephan Märki über Theater in der Lausitz, Unterschiede und ­Gemeinsamkeiten von Ober- und Niederlausitz, Sorbisches und Polnisches – sowie über Perspektiven Moderiert von Michael Bartsch und Thomas Irmer

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dZ: Man hört ja oft, die Oberlausitz mit dem Bergland von Bautzen bis Zittau und die Niederlausitz mit Cottbus, dem Spreewald und den Tagebaugebieten seien nicht nur landschaftlich verschieden, sondern auch mental und kulturell. Stimmt denn das? LH: Also das ist wirklich schwierig. Jeder, der von draußen draufguckt, würde sagen, das macht natürlich Sinn, Ober- und Niederlausitz, das muss ja die Lausitz sein. Das gemeinsam zu vermarkten und gemeinsam zu begreifen, liegt doch auf der Hand. Von innen heraus ist das ungleich komplizierter. Die Mentalität der Leute unterscheidet sich schon, weil die Geschichten der Regionen so unterschiedlich sind. Wenn man die kennt, erklären sich plötzlich viele gegenwärtige Phänomene. Auch diese Erzählung von Niederschlesien als in die Oberlausitz hinüberschwappend, das gehört mit zu dem riesigen Themenkomplex, der die Identität erschwert. Das Hauptproblem für den anstehenden Strukturwandel heute besteht darin, dass wir zwei unterschiedlich regierte Bundes­ länder haben, Brandenburg und Sachsen. Das nächste Problem ist, dass es unterschiedliche Fördersysteme und -programme gibt, dass man sich nicht durchringen konnte, überregional und länderübergreifend Fördergesellschaften einzusetzen. Einerseits ist da die sogenannte Wirtschaftsregion Lausitz GmbH, die länderübergreifend gedacht war, aber von den sächsischen Partnern verlassen wurde und jetzt nur noch für die Niederlausitz da ist. In Sachsen kümmert sich seitdem die SAS (Sächsische Agentur für Strukturwandel) um die Geldverteilung. Beides fast ausschließlich für Investitionen in Wirtschaft und Infrastruktur. Und der Versuch für die Kultur, also diese durch das Münchner Beratungsunternehmen actori initiierte Kulturplan-Lausitz-Geschichte, wird zwar mit Akteuren aus beiden Lausitzen besetzt, aber am Ende kommt doch nichts Gemeinsames dabei heraus. Auch wenn es logisch erscheint und viele sich das wünschen, dass wir eine Lausitz-Identität herstellen können, sind da schon organisatorisch und systematisch viele Steine im Weg. Und herbeigeredet werden kann das nicht. Eine Einheit der Lau­ sitzen ist gegenwärtig ganz schwer in Sicht. TdZ: Sie selbst stammen aus der Gegend und leiten das Bautzener Theater seit vielen Jahren. LH: Ich bin bekennender Oberlausitzer und weiß um die hiesige

Mentalität ganz gut Bescheid, mit allen Ecken und Kanten und auch dem, was wir jetzt gerade in der Corona-Krise erleben, also dass manche sich wie die Gallier gebärden. In der Niederlausitz kenne ich mich nicht ganz so gut aus. Dort ist man seit 1815 eher preußisch geprägt. Das Preußische hatte einen sehr fortschrittlichen Ansatz, aber dadurch haben sich das Bildungssystem und Verwaltungsstrukturen zum Beispiel vollkommen unterschiedlich entwickelt und so letztlich die Mentalität der Leute verschieden geprägt. Die Oberlausitz war immer, so wie die Niederlausitz früher auch, Lehnsgebiet. In der Oberlausitz hat man die Lehnsherren immer in dem Glauben gelassen, dass sie was zu sagen haben. In Wirklichkeit haben die Oberlausitzer gemacht, was sie wollten. Das war durch die doch sehr dominanten Lehnsherren in der Niederlausitz etwas anders. Dort konnte sich das Selbst­ bewusstsein der einzelnen Orte nicht so entwickeln, wie es in der Oberlausitz der Fall war. TdZ: Stephan Märki, Sie stammen aus der Schweiz, die in historisch alte Kantone gegliedert ist. Was ist Ihre Sicht auf diese Lausitz-Problematik? SM: Als Schweizer und erst seit Kurzem in verantwortlicher Position für das Staatstheater Cottbus, erachte ich mich nicht qualifiziert für ein fachkundiges Urteil. Doch vielleicht lohnt es sich zu unterscheiden zwischen einem reellen Gebiet, das wären zwei je als Lausitz bezeichnete Landstriche in ihren jeweiligen Bundesländern, und einem ideellen Gebiet, das wäre eine Lausitz, die im alltäglich-kulturellen Sprachgebrauch zu einer bundesländerübergreifenden Lausitz würde. Warum sollte es, wenn beide Lausitzen ähnlichen wirtschaftlichen Bedingungen oder Zwängen unterworfen sind, nicht lohnenswert sein, sie als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten? Dass dadurch die sächsische oder brandenburgische Lausitzer Identität verloren ginge, befürchte ich nicht. Die bayerischen Schwaben sind auch nicht identisch mit den Württembergern, trotzdem gibt es ein länderübergreifendes Schwaben. Nur, was sich unterscheidet, kann sich zu einem Mehrwert und Gewinn für beide verbinden. LH: Die Braunkohle- und Energiegeschichte der Niederlausitz und der nördlichen Oberlausitz hat natürlich dazu geführt, dass sehr viele Leute hergezogen sind, gerade in DDR-Zeiten sind sehr viele Menschen als Arbeitskräfte von überall hierhergekommen. Das hat eine Durchmischung gegeben, das hat auch ein Aufbrechen dieser Mentalitäten bedeutet, aber: nicht zum Besseren, weil das natürlich keine


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Beständigkeit hatte. Und da weiß ich nicht, ob das nicht am Ende negativ auf die ganze Identität gewirkt hat – und nicht positiv.

kum bedienen sich unserer Kopfhörer der Simultanübersetzungsanlage. Ich fürchte deshalb, der Anspruch entspricht der Realität nicht mehr ganz. Vielleicht sollten wir uns in Zukunft mehr auf niederschwelligere, mehrsprachige Angebote konzentrieren. Und Stephan Märki hat ganz recht: Den Theaterpreis Lausitzen, der Themen der Region auf die Bühne holen will, müssen wir ausbauen! Das ist eine große Chance!

TdZ: Die Lausitz als Land der Sorben mit eigener Sprache und Kultur, könnte das nicht die positive Klammer sein? LH: Das wirft wiederum die Frage nach den Obersorben und den Niedersorben auf, die man übergreifend als „Die Sorben“ bezeichnet. Sie gibt es seit der großen Völkerwanderung im 7./8. Jahrhundert und resultieren aus zwei hier siedelnden Stämmen: die Lusitzer (Lusici) in der Niederlausitz und die Milzener (Milceni) in der Oberlausitz. Es gibt die Domowina als Dach für verschiedene sorbische Institutionen, die für beide Lausitzen zuständig ist, für die Nieder­sorben und die Obersorben. Da hat man schon etwas Übergreifendes. Obwohl die beiden sorbischen Sprachen auch wirklich selbständige Sprachen sind. Auch das ist wieder etwas Separierendes. Aber dennoch versteht man sich, und man begreift auch, dass man sich alleine nicht mehr behaupten kann. Als nationale Minderheit müssen die Sorben gemeinsam be„Nur, was sich unterscheidet, kann sich zu griffen werden, und daraus resultiert natüreinem Mehrwert und Gewinn für beide verlich auch der Begriff „Lausitz“, hauptsächlich binden“. Der Intendant des Staatstheaters von den Sorben ­geprägt, die sich diese KlamCottbus Stephan Märki. Foto Marlies Kross mer wünschen. Und ihre Hymne heißt ja auch Rjana Łužica, also „Schöne Lausitz“. Und das ist letztlich die Hauptklammer, mit der wir die Lausitz als Ganzes fassen können.

TdZ: Welche Rolle spielt die Hauptstadt­ ferne – Dresden einerseits, Potsdam und Berlin andererseits? SM: Wir freuen uns eher über die Hauptstadtnähe, zumindest was Berlin betrifft. Wir profitieren sehr davon. Dass Potsdam weiter weg ist, bringt zum einen mit sich, dass sich die beiden Theater unabhängig voneinander entwickeln und trotzdem eng zusammenarbeiten, vor allem im Bereich des Musiktheaters und neuerdings auch im Tanz. Und dass die Landesregierung dort ­residiert, hat uns noch nicht geschadet. LH: Das sehe ich für Bautzen ähnlich. Aus historischer Sicht möchte ich das sogar zuspitzen: Die Oberlausitzer haben sich nie als Sachsen gefühlt, und ihre Städte waren nie so residenzorientiert wie die Städte um Dresden herum. Insofern gibt es eine Hauptstadtferne, die identitätsstiftend ist.

TdZ: Vielleicht erlaubt ja gerade das auch mehr Nähe zu den slawischen Nachbarn? Was geht über die Neiße hinweg? TdZ: Aber das Deutsch-Sorbische Volks­ LH: Absolut! Wir beteiligen uns gerade an einem großen deutsch-polnischen Intertheater gibt es nur in Bautzen. Ist das ein Problem in der Niederlausitz? reg-Projekt „Zusammen in die Zukunft“, in dessen Rahmen es im Mai ein großes FreiSM: Von Ressentiments habe ich noch nicht gehört und es auch nicht erlebt. Das sorbiluft-Puppentheater-Festival in Bautzen gesche Nationalensemble gastiert seit vielen ben wird: B.Leben. Darüber hinaus gibt es Jahren am Staatstheater. Das Verhältnis ist Aufführungen und Konzerte in Jelenia sehr gut, wir arbeiten eng zusammen und Góra, Bautzen und Zittau. Das ist horizont­ unterstützen einander, wo wir können, ob erweiternd und macht Spaß. Darüber mit Inszenierungen oder in Ausstattungs­hinaus haben die Obersorben, sprachlich begründet, seit jeher eine Affinität zu Böhfragen. Zudem gibt es seit 2016 den Lau­ sitzer Theaterpreis, der alle Regionen vermen. Deshalb gibt es schon lange gute Kontakte unseres Theaters nach Brno und bindet: Bautzen-Senftenberg-Cottbus. Hier gäbe es noch Verstetigungspotenzial. Prag. Das ist schon so normal, dass man es Projektmittel statt Mittel für Investitionen manchmal zu erwähnen vergisst. LH: Es gibt Stimmen, die sich mehr Prävom Kulturplan Lausitz fordert der Intensenz des Theaters in der N ­ iederlausitz wünSM: Wir bemühen uns sehr, die Brücke dant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters über die Neiße zu schlagen. In dieser Spielschen. Wir produzieren pro Spielzeit eine Bautzen Lutz Hillmann. Foto Miroslaw Nowotny mobile Produktion in niedersorbischer zeit haben wir noch die Premiere von „Król Roger“ des polnischen Komponisten Karol Sprache, die in den Gasthöfen der Dörfer, aber auch mindestens zweimal in der KamSzymanowski vor uns, die von dem polnimerbühne des Staatstheaters Cottbus gespielt wird. Dazu kommt schen Regisseur Krystian Lada inszeniert werden sollte, was wir eine kleine Inszenierung für die Kindergärten der Niederlausitz coronabedingt leider nicht aufrechterhalten konnten; wir werden und eine Puppen­ theaterinszenierung. Das Sprachverständnis sie nun zwar mit einem japanischen Regisseur, Tomo Sugao, aber nimmt aber leider sichtbar ab – immer mehr Menschen im Publiauf Polnisch aufführen. Wir haben eine Kooperation unseres

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J­ungen Staatstheaters mit dem Lubuski Teatr in Zielona Góra mit dem Titel „Die Kunst der Gabe“ laufen, die auch vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert wird. Außerdem bauen gerade in Musiktheater und Schauspiel Kooperationen Kontakt mit Theatern und Festivals in polnischen Großstädten für Koproduktionen in den nächsten Spielzeiten auf. Für uns ist unser Nachbarland ein sehr wichtiges Thema, um Cottbus anders zu positionieren, von Osten auf die Stadt und von der Stadt aus nach Osten zu schauen. Es ist Zeit, diese doch eigentlich so enge, wenn auch oft traurige und tragische Verwandtschaft mit Zugewandtheit und Austausch zu füllen. TdZ: Die Lausitz als Labor der Transformation. In der Niederlausitz und auch in der nördlichen Oberlausitz gibt es eine gewaltige Landschaftsumwandlung, die eng mit dem Energiesektor verbunden war und auf andere Weise jetzt wieder ist. Was gelingt, und was nicht? Und wie wirkt sich das auf die Kultur aus, oder wie wird das von ihr begleitet, kommentiert? Ist die Oberlausitz als Bergregion da zu weit weg? SM: Theater als Livekommentar zu aktuellen Ereignissen kommt immer zu spät. Wir suchen eher danach, was an solchen akuten Veränderungen auf menschliche und humanistische Konstanten verweist. Wir hatten gerade mit Hauptmanns „Biberpelz“ in der Regie von Armin Petras Premiere; im Stück, das bei Hauptmann südöstlich von Berlin an der Spree spielt, geht es um den Umgang mit strukturbedingtem Mangel und die Auswirkungen auf die ­Gesellschaftsstruktur. Aus meiner Sicht lässt sich mit solchen­ Stücken viel zu vergleichbaren Strukturveränderungen sagen, weil die Identifikationsfläche breiter ist, weil Bilder von allen, die sie wahrnehmen, unterschiedlich aufgefasst werden und sich alle ihre eigenen Bilder und Analysen davon machen können. Für mich ist Theater bereichernd, wenn es Sehangebote macht, und weniger interessant, wenn es selbst Urteile fällt. Auch lässt sich dadurch die Poesie bewahren. Dafür bringen wir Projekte wie die spartenübergreifende Arbeit „Im Berg“ zur Uraufführung, eine Komposition von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel mit einem Libretto von Armin Petras auf Basis von Franz Fühmanns nachgelassenem Opus magnum. Fühmann beschreibt darin literarisch beispiellos von den Lebens- und Existenzbedingungen seiner Zeit, anhand der großen Metapher und der Realität des Bergwerks. Im Schauspiel werden wir eine weitere Uraufführung von Lukas Rietzschel zeigen, der das Lebensgefühl vieler Menschen in der Lausitz mit dem wundervollen Begriff der Raumfahrer be-

zeichnet. Solches auf die Bühne zu bringen, sehe ich als lohnenswerten Versuch für aktuelles Theater an, was mit dem Ort, der unmittelbaren Geschichte der Menschen in der Region zu tun haben könnte. Theater kann ja nicht das Leben verändern. Wenn es die Sicht auf das Leben irritiert, ist schon viel erreicht. LH: Das finde ich auch. Bei dem, was da an Transformation auf uns zukommt, muss das Theater seine Rolle finden, seine Stärke ausspielen. Wir müssen die Prozesse nicht reflektieren wie Politiker oder Journalisten, wir können viel subjektiver, emotionaler damit umgehen. Wir hatten beispielsweise „Birkenbiegen“ von Bukowski auf der Bautzener Bühne, „Das leere Haus“ von Carla Niewöhner oder „Mein vermessenes Land“ von Jurij Koch. Da werden Themen durchgespielt, verhandelt, die direkt mit der Lebenswirklichkeit der Leute hier zu tun haben. Da wird die Welt entpauschalisiert, nicht vereinfacht, aber vielleicht begreifbarer gemacht. Und kommende Spielzeit spielen wir auch ein Stück von Rietzschel: „Widerstand“. SM: Klar, das demografische Problem ist das brennendste in der Lausitz, denn aus ihm folgen alle anderen. Das werden wir im Thea­ter erst noch spüren. In Cottbus gibt es viel, das angefangen wird und Urbanität schafft; aber unter Bedingungen schwindender Bevölkerungszahlen ist es schwerer. Es gibt Bemühungen, hier neue Arbeitsplätze anzusiedeln, das Stellwerk der Deutschen Bahn und das Medizinzentrum, mit vielen Hundert Arbeitsplätzen in den kommenden Jahren. Doch es bedarf ehrlicherweise Neuansiedlungen für Arbeitsplätze im fünfstelligen, nicht im dreistelligen Bereich. Und wenn der Kohleausstieg nicht rechtzeitig mit innovativen neuen Industriegründungen ausgeglichen wird, wird die Gegend eine weitere Katastrophe erleben. Trägheit, Risikoarmut und der fehlende Mut, Bedingungen zu schaffen und neue Ideen wirklich entstehen, vielleicht auch mal scheitern zu lassen, um Innovationen zu fördern, ist ein landesweites Problem, nicht bloß ein Cottbuser oder Lausitzer. Dieses Dilemma korrespondiert hier aber mit dem zu häufigen Unvermögen der westlichen Perspektive, sich wirklich in die mehrfache Entwurzelung der Lebensläufe vieler Menschen in der Lausitz hineinzuversetzen und diese zu verstehen zu versuchen und vor allem zu versuchen, die Betroffenen einzubinden und gemeinsam Lösungen zu finden. Das habe ich in meiner Zeit hier schon so häufig gehört, die fehlende Wertschätzung und Anerkennung einer Lebensleistung, die keinen Vergleich zu westlichen Lebensläufen kennt, aber eben auch keinen zulässt. TdZ: Auf der Wetterkarte fällt die Lausitz oft dadurch auf, dass die schon Merkmale des Kontinentalklimas aufweist: im Winter kälter,

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lausitz

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im Sommer heißer. Lars Werner visioniert in seinem in Cottbus uraufgeführten Stück „Feinstoff“ (siehe TdZ 1/22) die Klimakatastrophe: Die Lausitz wird tropisch mit den künstlichen Seen, die ja auch ein kritisches, wenn nicht katastrophisches Thema geworden sind. SM: Wenn das Wasser bleibt. Aus jetziger Sicht ist eher das Niedrigwasser im Spreewald durch zu wenig Regen ein Problem, das auch die Verzögerung der Schüttung des Ostsees verursacht. Aber eben: Für das Theater ist eher interessant, was das für anthropologische Konstanten oder Veränderungen mit sich bringt, wie Lars Werner auch herausgearbeitet hat: Es geht darum, den Menschen beweglich zu halten und nicht seine Sehnsucht nach Bequemlichkeit zu fördern. Das ist wirtschaftlich zwar lukrativ, aber gesellschaftlich, kulturell und erst recht künstlerisch tödlich. TdZ: Kommen wir nochmals auf die aktuelle Kulturpolitik zurück: Was erhoffen Sie sich von dem großen Förderplan für die Lausitz? Wo müsste der in der Kultur nachhaltig ansetzen? Und speziell für die Theater? Der Kulturplan Lausitz wurde im November 2021 bei großem Bahnhof im prächtigen Cottbuser Staatstheater vor­ gestellt: Der Begriff „Theater“ taucht aber nicht ein einziges Mal auf. Nur die Fiktion einer „schwimmenden Seebühne“ als EventMagnet. Vorhandene Kleinodien wie das seit Ende der Transnaturale brachliegende Landschaftstheater „Ohr“ in Boxberg kennen die Autoren offenbar nicht. Statt der Vorstellungen im actori-Gutachten müsste es eher um die Expansion der „Platzhalter“ wie Bautzen oder das Gerhart Hauptmann Theater in Zittau gehen. Hoyerswerda hat immerhin die Stadtvision seines 2. Bürgermeisters Pink: als Kulturhauptstadt des Lausitzer Seenlandes. LH: Ich bin sehr kritisch eingestellt gegen diese Aktionen, die ­feigenblattartig wirken sollen und dafür strohfeuermäßig abgebrannt werden. Dieser Kulturplan Lausitz ist ja mit keinerlei Finanzierung oder mit irgendwelchen Geldmitteln untersetzt. ­ Das ist eine reine Quatschbude gewesen. Es war gut, das will ich gar nicht in Abrede stellen, dass man sich zu diesem komplexen Thema getroffen hat, man hat auch neue Leute kennengelernt, man hat auch voneinander etwas erfahren, was man vorher nicht wusste. Das war sogar ein bisschen basisdemokratisch – aber dahinter stand nicht die Aussicht auf Umsetzung. Notwendig wäre ein Förderprogramm gewesen, für die dieser Kulturplan Lausitz die Förderbedingungen ausarbeitet. Also die Kriterien, mit denen wir dann bei diesem Förderprogramm auch Mittel beantragen können, um das Geplante am Ende auch umzusetzen. Jedoch alles, was da besprochen wurde, ist wieder auf die regionalen, kommunalen Träger zurückgeworfen worden – und so etwas geht nicht. Wir reden ja bei den Strukturmitteln über rund 30 Milliarden, und davon ist verschwindend wenig vorgesehen für konsumtive, also Projektmittel, die in die Kultur gehen. Es gibt fast ausschließlich Mittel für Investitionen, aber darum ging es bei Kulturplan Lausitz überhaupt nicht. Deswegen stehe ich dem sehr skeptisch gegenüber. Die Kulturleute wurden schlichtweg vergessen. Es war, als ob die Erwachsenen in der guten Stube sitzen, bei Zigarren und Cognac das Geld verteilen, während die Kinder rausgeschickt wurden, mit ein bisschen Spielzeug ruhiggestellt, damit sie drinnen nicht stören. So ungefähr lief der Kulturplan Lausitz ab. SM: Ich hoffe heimlich auf die hohe Sterblichkeitsrate solcher Generalpläne, denn auch da würde ich der Einschätzung von Lutz

GRNDG STZ

von An Annalena und Konstan stantin tin Küspert

AB

05.03.22 Hillmann folgen: Solange keine Mittel eingestellt sind für solche Pläne, ist dieser Plan nicht mehr wert als gut gemeint. Es ist wie meistens, Mittel stehen, wenn, dann für „Steine“ zur Verfügung, aber nicht, um diese Steine mit Leben zu füllen. Man würde viel für die Verlebendigung der Lausitz beitragen, wenn man die nach dem Kahlschlag der neunziger Jahre noch übrig gebliebenen Institutionen stärken würde, denn auch diese arbeiten meist am Existenzminimum. Das Staatstheater Cottbus zum Beispiel ist noch das einzig verbliebene Mehrspartentheater des Landes Brandenburg, aber auch das hat seit der Wende fast die Hälfte seiner Ensembles verloren. Wir sind nun aber in gutem Vernehmen mit der Landesregierung, was die äußerst prekäre Finanz- und Strukturlage des Staatstheaters angeht, das über viele, viele Jahre hinweg sträflich vernachlässigt wurde. Auch über die Coronahilfen hinweg sind wir in vertrauensvollen und konstruktiven Gesprächen mit der Kultusministerin Manja Schüle und der Stadt Cottbus, die um den besonderen Umstand des Cottbuser Hauses wissen und willens sind, die Zukunftsfähigkeit des Hauses zu sichern. LH: Die Mammutaufgabe des Strukturwandels in den Lausitzen wird ohne die Einbeziehung von Kunst und Kultur, von Theater, nicht gelingen! Mit Geld allein wird man die Menschen der Region nicht mitnehmen können. Glaube an die Zukunft und Stolz auf die Heimat lässt sich nicht erkaufen. Und nach außen hin können wir helfen, Verständnis zu erzeugen, warum diese ungeheuren Summen an Bundesmitteln gerade hier notwendig sind. Denn gerade in Post-Corona-Zeiten werden die Verteilungskämpfe härter. Es ist verdammt spät, sich an uns zu erinnern, aber noch nicht zu spät! //

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Unsere Verführbarkeit Endlich ist der „Reichsbürger“-Monolog auch im proteststarken Bautzen zu sehen von Michael Bartsch

genügen ein Rednerpult, ein Sessel und ein kleiner runder Tisch als Ausstattung im Proszenium. Zumindest bei einem Teil des Bautzener Premierenpublikums stoßen die charmant servierten Verunsicherungsfragen auf Reso  ie flüchten aus der gefühlten Grundablehnung der Bundesnanz. „Die Fakten stimmen doch: Wir haben immer noch keine Verrepublik in ihre paranoiden Parallelstaaten, in ihre fiktiven­ fassung“, äußert eine Besucherin mittleren Alters und findet, dass die angesprochene Kritik an der maroden Infrastruktur, an UnordReiche. Dort können sie ihre narzisstische Störung ausleben, die Geschichte negieren. Man könnte über sie schmunzeln, fänden nung oder der mangelnden Integration von Migranten viele Menschen bewegt. Erst nach und die geschätzt 19 000 „Reichsnach begreift man, dass es sich bürger“ Deutschlands nicht eine gewisse Resonanz und bei der gefälligen Plauderei des „Selbstverwalters“, wie sich die Sympathie bei der viel größeren Zahl von Generalverweigerern Ignoranten der Geschichte und der real existierenden Bundes­ gegenüber dem Staat. Schließlich hat einer von ihnen 2016 im republik gern nennen, um gebayerischen Georgensgmünd schickt gestellte Fallen handelt. Die es angeht, kämen einen Polizisten erschossen. Nach der Uraufführung zwar wegen der 2G+-Regel und auch sonst nicht ins Theater, in Münster 2018 kam in diesem Januar der „Reichsbürger“ endbemerkte ein Jugendlicher. Aber dass ein solcher Appetitmacher lich auf die Bühne des DeutschSorbischen Volkstheaters Bautfür den städtischen Diskurs unzen. Intendant Lutz Hillmann bedingt nach Bautzen gehört, Die eigene Verführbarkeit vorführen: Marian Bulang im „Reichs­ wollte es möglichst bald auch in fanden nicht nur junge Links­ bürger“-Monolog von Annalena und Konstantin Küspert am Deutschdie erzkonservative Lausitzliberale im Premierenpublikum. Sorbischen Volkstheater Bautzen in der Inszenierung von Stefan Hauptstadt holen, aber zweimal Das tendierte ungeachtet der Wolfram. Foto Miroslaw Nowotny verhinderte der Seuchen-LockVerführungskünste des gländown die Premiere. 2018 hatte zend aufgelegten Protagonisten Bautzen die Anti-Flüchtlingskrawalle auf der „Platte“ und ein überwiegend kritisch, ließ sich aber willig und teils amüsiert zum brennendes geplantes Asylbewerberhotel hinter sich und Attacken Mitmachen animieren. Beim Frage-Antwort-Spiel zur Verfassung gegen eine grüne Stadträtin, AfD-Erfolge, Querdenker und milieiner echten Verfassung zum Beispiel. Es sparte aber auch nicht tante Impfgegner noch vor sich. mit Hohngelächter, als der Reichsselbstverwalter dazu einlud, In Bautzen geht das Konzept des Autorenpaares Annalena Geld bei ihm anzulegen. Die GemeinwohlKasse Peter Fitzeks, des und Konstantin Küspert und von Regisseur Stefan Wolfram auf. „Königs von Deutschland“ aus Wittenberg, lässt grüßen. Ihren „Reichsbürger“ lassen sie zunächst das Publikum mit Mit seinem Missionierungserfolg scheint dessen Bautzener Scheinplausibilitäten und griffigen Fragen ködern wie der nach Bühnendouble im Verlauf immer weniger zufrieden. Der „Selbstder Vorläufigkeit des Grundgesetzes. Keine Spur von einem geverwalter“ wird zunehmend nervös, zieht ein gelbes Band um sein mit der Waffe zu verteidigendes „Reich“, beschimpft sein verstockfährlichen Neurotiker in diesem Monolog, den Typen nimmt man erst einmal ernst. „Die Figur nicht von vornherein denunzieren“, tes Publikum, an dem er sich seit einer Stunde vergeblich abarbeitet, bedroht es gar mit einer Pistole. Es wird laut, wohlinszeniert will beschreibt Wolfram seinen Ansatz. „Wir wollten nicht zeigen, was Intendant Hillmann den Gastreferenten von der Bühne jagen. wir von Reichsbürgern halten, sondern unsere eigene Verführbarkeit vorführen!“ Diese dramaturgisch geschickt herbeigeführte SelbstdemasAls ein solcher Verführer tritt der wandlungsfähige, schlagkierung des paranoiden Agitproppers verfehlt ihre Wirkung auf fertige und enorm textsichere Marian Bulang rund eine Stunde die Besucher nicht. Es sei bestürzend, wie viele dennoch an den der 70 Spielminuten auf. Mit dem Entertainment eines amerikaSchwachsinn glaubten, und man wisse jetzt besser, welchen Ver­ nischen Missionspredigers auf bigotten Fernsehkanälen versucht suchern man nicht erliegen dürfte, hieß es anschließend im Foyer. er, das Publikum zu erobern. Immerhin ist er laut Textbuch ja zu Man darf neugierig bleiben, wie die polarisierte Bautzener Stadt­ einem Vortrag auf die Theaterbühne eingeladen worden. Folglich gesellschaft auf kommende Repertoirevorstellungen reagiert. //

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kommentar

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Feuilletonistisches Eigentor Ausgerechnet in der Phase des Aufrappelns ruft die Sächsische Zeitung den Kulturbetrieb zu mehr Demut auf von Michael Bartsch

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an sollte meinen, das Feuilleton, die Kultur und die sie transzendierenden Künste seien insgeheim Verbündete. Die ­kritisch-dialektische Wechselwirkung zwischen Schaffenden und professionell Rezipierenden befördert Bewegung. Das ewige ­Unverstandensein der Künste gehört zu diesem Spiel ebenso wie die ewige Besserwisserei derer, die es nie gekonnt haben, sich aber nicht weinend aus diesem Bund stehlen wollten. Goethes „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.“ illustriert nur, wie sehr beide Seiten einander brauchen. Weil sie im Grunde dasselbe ­meinen. Sollte man meinen. Zumindest sollten aber Attacken von Muffeln, Banausen und Barbaren auf den vermeintlichen Ballast verzichtbarer Kulturförderung zusammenschweißen. Nun empfiehlt aber aus­ gerechnet der Feuilletonchef der Sächsischen Zeitung der seuchengestressten Kultur etwas mehr Demut, „Abschied von alten Selbstgewissheiten“ und weniger Dünkel. „Sachsens Kultur kann aus der Krise lernen“, war eine lange Kolumne von Marcus Thielking auf der ersten Seite der Wochenendausgabe Mitte Januar überschrieben. Lernen solle sie wie Kirchen, Volksparteien, Gewerkschaften und auch Zeitungen (sic!) vor allem, „dass die Zeiten ihrer Massenwirksamkeit vorbei sind“. Die existenzbedrohende Lage von Künstlerinnen und Künstlern, die Lage des Kulturbetriebs insgesamt unterscheide sich nicht von der der Sportvereine, Hotels oder Kosmetikstudios. Die Coronakrise habe gezeigt, „dass all die großen Worte vom besonderen gesellschaftlichen Stellenwert der Künste nur Sonntagsreden waren“. Nun könnte man lächelnd daran erinnern, dass der Begriff Feuilleton vom französischen „feuillet“ kommt und ursprünglich das unterhaltsame Beiblatt einer Zeitung meinte. Die Sächsische Zeitung aber ist kein Blättchen. Bei rund 190 000 verkauften Print­ exemplaren und ordentlicher Online-Präsenz hat ein ­solcher Kommentar Reichweite. Er sorgte denn auch für einigen Aufruhr, nicht aber für einen Aufschrei unter sichtlich müden sächsischen Kulturleuten. Bautzens Theaterintendant Lutz ­Hillmann fuhr aus der Haut: „Ist das nicht der Skandal des ­Jahres?“ Spontan wollte er eine Diskussion mit Feuilletonchef Thielking anberaumen. Ebenso spontan haben viele bei der Lektüre einen Dolch im Rücken verspürt. Da macht einer gemeinsame Sache mit denen, die uns schon lange für entbehrlich halten, statt uns eben diesen Rücken zu stärken. Genährt wird dies durch die nicht haltbare Suggestion des Autors, die Kultur und die Künste befänden sich in einer tradiert privilegierten Situation und hätten in den zwei Jahren

Coronakrise auch eine Sonderstellung beansprucht. Der Kultur­ betrieb „schwebe über den Dingen“, wird unterstellt. In sich schon ein Widerspruch zu der späteren Feststellung, die Kultur befinde sich in einer Schicksalsgemeinschaft mit Hotels oder Fitnessstudios. Richtig ist, dass sich nicht nur in Sachsen die Kulturbetriebe im wörtlichen Sinn gegenüber anderen kontaktintensiven Bereichen benachteiligt fühlten, obschon sie peinlichst auf Hygiene achteten und nachweislich nicht als Spreader gelten können. Die Briefe und Erklärungen sächsischer Kulturpolitiker, Veranstalter und Künstler zielten auf die Disproportionen im harten Kulturlockdown seit November. Dem hat die Staatsregierung einsichtsvoll nachgegeben. Die Forderung, auch bei Überschreitung der quantitativ festgelegten Belastungsgrenze der Krankenhäuser Kultureinrichtungen nicht rigoros wieder zu schließen, hat mit der Spezifik dieses „Kulturbetriebs“ zu tun. Man kann ein Theater nicht einfach an- und ausknipsen, wie man einen Laden wieder öffnet. Auch das hat die sächsische Staatsregierung besser begriffen als das Feuilleton der Sächsischen. Wer die Ab-Urteile über eine angeblich überdimensionierte Kulturlandschaft der DDR oder die sächsischen Kultur-Verzichtbarkeitsdebatten der 2000er Jahre noch in Erinnerung hat, fühlt sich noch auf andere Weise alarmiert. Ist das Kunst, oder kann das weg? Geht das schon wieder los, jetzt gar von Kulturjournalisten selber losgetreten? Müssen wir wieder anfangen zu erklären, was das lateinische Verb colere, also hegen, bebauen, pflegen, in seiner Adaption als Kulturbegriff bedeutet? Die Anlage zur kulturellen Höherentwicklung und zu künstlerischer Verfeinerung ist nicht nur das Privileg einer Kulturoligarchie. Die Erklärung der Kulturminister vom 5. Januar hat die helfende, orientierende, stabilisierende Rolle der Kultur besonders in Krisenzeiten dankenswerterweise betont. Etwa zur selben Zeit sprach der neue Intendant Moritz Gogg im erzgebirgischen Annaberg vom „notwendigen Luxus“. Marcus Thielking rechtfertigte sich in einer persönlichen Korrespondenz, er habe lediglich vor anstehenden „brutalen Verteilungskämpfen“ warnen wollen, bei denen die Trumpfkarte der Kunstfreiheit nicht mehr stechen würde. Da kann man nur mit dem Sprichwort antworten: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“ Diese Kämpfe, zumal im Osten Deutschlands, sind wir seit drei Jahrzehnten gewohnt! Solche Kolumnen verstärken eher die Resignation insbesondere freier Künstler, die schon nicht mehr wissen, wozu sie ihre Ambitionen noch pflegen und ob sie sich nicht eher bei Lieferando durchschlagen sollen. Und man fühlt sich an Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ erinnert, in dem er vor 80 Jahren das längst omnipräsente „Feuilletonistische Zeitalter“ treffend beschrieben hat. //

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Quarantäne neben dem Hölderlinturm Die Pandemie trifft kleine Bühnen in Baden-Württemberg hart: Das ITZ Tübingen, das Studio Theater Stuttgart und das Zimmertheater Rottweil

von Elisabeth Maier

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it der monatelangen Schließung seines Hauses ist für das Tübinger Zimmertheater ein Albtraum wahr geworden. „Anfangs haben wir der Krise getrotzt und noch vieles bewegt“, blickt der Intendant Dieter Ripberger auf die zwei Jahre in der Pandemie zurück. Wegen mehrerer Corona-Fälle im Team hat das Institut für theatrale Zukunftsforschung (ITZ) den Spielbetrieb nun bis Anfang April eingestellt. „Schweren Herzens, aber es geht nicht anders“, sagt Co-Theaterchef Peer Mia Ripberger. Andere kleine Bühnen spielen zwar, doch die Lage verschärft sich. Nach zwei Jahren Pandemie geht es vielen Häusern an die Substanz. Die Lethargie eines geschlossenen Theaters trifft das junge, abenteuerlustige Ensemble besonders hart. „Wir wollen spielen, aber es geht nicht“, sagt Dieter Ripberger. Da schwingt Wehmut in seiner Stimme mit. Im engen Kellergewölbe neben dem Tübinger Hölderlinturm hat das Team zuletzt nur noch kleine Produktionen gespielt – angesichts strenger Abstandsregeln waren zum Teil nur elf Besucher:innen möglich. Mit hochmodernen Luftfilteranlagen hat das Intendanten-Ehepaar den Spielbetrieb über viele Monate dennoch möglich gemacht. Selbst während der Lockdowns haben die Ripbergers mit digitalen Formaten und AudioWalks im Tübinger Stadtraum Theater gemacht. Außerdem hat die Stadt Tübingen mit der Sanierung des historischen Löwen-Kinos eine größere Spielstätte für die kleine Bühne geschaffen. 120 000 Euro hat die Universitätsstadt da investiert, zudem hat das künstlerische Team viel Eigenarbeit geleistet. Die Sommerferien 2020 hat das Ehepaar Ripberger in Baumärkten und auf der Baustelle des alten Kinos in der Tübinger Innenstadt verbracht. „So konnten wir bis zuletzt vor etwas mehr Zuschauern spielen“, sagt Dieter Ripberger. Dennoch blickt er

sorgenvoll auf die Bilanzen: „Auf Dauer geht das nicht.“ Jetzt ist das Team in Kurzarbeit. Das Konzept des Hauses ist geprägt von Eigenproduktionen mit dem fünfköpfigen Ensemble. Neben den Inszenierungen von Theaterchef Peer Mia Ripberger arbeitet das ITZ mit Gastregisseuren und Kollektiven. Als es im Haus die ersten ­Corona-Ausbrüche gab, arbeitete die Berliner Regisseurin und Autorin Hannah Zufall an ihrer Produktion „Schimpf & Schande“. In der literarischen Performance geht es um Hate Speech und Alltagsfrust. Gerade in Zeiten der Pandemie, da sich die Konflikte in der Gesellschaft immer mehr zuspitzen, ist das ein wichtiges Thema. Kurz vor der Premiere musste das Team die Proben abbrechen und in Quarantäne gehen. Nur wenige Schritte vom berühmten Tübinger Hölderlinturm entfernt, war das künstlerische Team in den Gästezimmern auf sich alleine gestellt. Kostümbildnerin Josefin Kwon hat die Zeit genutzt, um sich den Frust buchstäblich von der Seele zu sticken. Sie hat Hand- und Taschentücher mit griffigen Hassparolen bestickt: „Bitch!“, „Heul doch!“ oder „Halt dei Gosch ond friss die Supp“ (schwäbisch für „Sei still und esse Deine Suppe“) im liebevoll gearbeiteten Stickmuster bringt die Ernüchterung des Ensembles deutlich zum Ausdruck. Nicht nur mit der neuen Spielstätte, auch bei der Um­ setzung des Abstands- und Hygienekonzepts hat das Tübinger Kulturamt den Theatermachern nach Kräften geholfen. „Das Thea­ ter zu schließen, war die Entscheidung des Leitungsteams“, sagt Dagmar Waizenegger, die das Kulturamt der Universitätsstadt leitet. Dass das Ehepaar Ripberger selbst in Corona-Zeiten sehr viele Drittmittel eingeworben habe, entspanne zumindest die finanzielle Lage. Dennoch versteht sie, dass das Team angesichts der unklaren Lage jetzt gezwungen war, die Reißleine zu ziehen. „Wenn sich nichts ändert, werden in nächster Zeit viele Bühnen zu diesem Schritt gezwungen sein.“ Deshalb erhofft die Kulturamtschefin


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itz tübingen, studio theater stuttgart, zimmertheater rottweil

von der Politik bessere Konzepte für die Kultur: „Gerade jetzt brauchen die Menschen solche Erlebnisse.“ Dass viele Theaterleitungen am Ende der Belastbarkeit angekommen sind, weiß Dieter Ripberger von seinen Kollegen im Deutschen Bühnenverein. „Das geht allen an die Substanz.“ Wie Tübingen hat auch das Theater Lüneburg den Spielbetrieb bis ­April eingestellt. Weil das Haus in Norddeutschland stark von Eigeneinnahmen abhängig ist, blieb weder den Kulturschaffenden noch der Politik eine Alternative zur Schließung. „Weiterspielen“ heißt dagegen die Devise des Stuttgarter Studio Theaters. Die Hinterhofbühne in der Hohenheimer Straße in Stuttgart hat auch überregional einen sehr guten Namen, ist regelmäßig bei den Privattheatertagen in Hamburg erfolgreich. Mit klassischen Stoffen, neuer Dramatik und politischem Theater trifft Intendant Christof Küster den Nerv der Zeit. „Gerade jetzt in der Krise ist politisches Theater unverzichtbar“, sagt der Theaterchef. In den vergangenen Jahren hat er Reizthemen wie das umstrittene Projekt Stuttgart 21 ebenso angepackt wie den Wandel der politischen Kultur in den USA unter Donald Trump. „Das brauchen die Menschen, das spüren wir in den Diskussionen der Besucher:innen, die bei uns im Haus in den Pausen und nach den Vorstellungen in Gang kommen.“ Trotz ungewisser Aussichten plant das Studio Theater von 27. April bis 11. Juni Theaterwochen zur Klimakrise. „Angesichts der gravierenden Auswirkungen des Klimawandels ist das Thema viel zu selten auf Spielplänen zu finden“, sagt Esther Bernhardt, die das Haus gemeinsam mit Küster leitet. Mit einem Theatertext

von Thomas Köck und einem Feature des Hörspielregisseurs Günter Maurer, das er mit Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart entwickelt, suchen die Theater­ macher da nach Antworten. Dazu sind Lesungen und Diskussionsformate geplant. „Logistisch ist das eine Herausforderung“, weiß Bernhardt. Aber gerade in Zeiten der Krise findet sie es wichtig, darüber mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Durch die lange, zwangsweise Isolation habe sich da viel aufgestaut. War der Wechsel in eine größere Interimsspielstätte für das Studio Theater eine Option? „Darüber haben wir nicht nachgedacht“, sagt das Leitungsteam. Denn das Hinterhoftheater, das seit 1969 als Bühne genutzt wird, ist für sie nicht austauschbar. Da Küster und Bernhardt mit freien Schauspieler:innen arbeiten, ist es ihnen wichtig, Arbeitsperspektiven zu bieten – auch wenn das mit rund 30 Zuschauer:innen wirtschaftlich immer schwie­ riger wird. Zum Haus gehört auch das erfolgreiche Stuttgarter Kindertheater Kruschteltunnel. Da fällt die Disposition Esther Bernhardt zurzeit besonders schwer. „Wir haben immer wieder Schulklassen, die in Quarantäne müssen und die dann kurzfristig

Sticken statt Proben: In der Quarantäne während der Produktion „Schimpf&Schande“ im Zimmertheater Tübingen wurden Taschentücher bestickt. Gestaltung der Taschentücher: Josefin Kwon. (Idee und Foto Hannah Zufall)

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Die Kaserne Basel ist das grösste Konzert-, Gastspiel- und Produktionshaus der freien zeitgenössischen Theater-, Tanzund Performanceszene sowie für innovative Populärmusik in der Nordwestschweiz.

Wir suchen zur Spielzeit 2023/2024 eine

Künstlerische Leitung (w/m/d/Team) Ihre Aufgaben:

• Künstlerische Ausrichtung sowie strategische und organisatorische Weiterentwicklung in allen Sparten • Künstlerische Leitung des internationalen und biennalen Theaterfestivals • Personal- und Finanzverantwortung, Akquise von Drittmitteln, politische Vernetzung • Diversitätssensible und inklusive Entwicklung der Institution • Zusammenarbeit mit dem Vorstand des Trägervereins «Kulturwerkstatt Kaserne»

Sie bringen mit:

• Eine künstlerische und programmatische Idee • Erfahrung sowie ausgewiesene kuratorische und programmatische Kompetenzen • Fähigkeit, das Haus mit innovativen Ideen weiterzuentwickeln • Mehrjährige Erfahrungen in der künstlerischen Führung sowie Leistungsausweis in einer leitenden Position eines Kulturbetriebs • Gute Kenntnisse und Vernetzung mit der nationalen und internationalen freien Szene der Performing Arts und innovativer Populärmusik • Projektmanagementerfahrung, Betriebswirtschaftskenntnisse sowie Freude an Kulturvermittlung

Wir bieten:

• Grosse künstlerische Freiheit bei der inhaltlichen Konzeption und Programmierung • Die Leitung eines biennalen Theaterfestivals • Die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen, administrativen Geschäftsführer • Die Möglichkeit, ein eigenes künstlerisches Leitungsteam mitzubringen (Dramaturgie / Assistenz, Spartenleitungen Musik und Performing Arts) oder das Programm mit dem bestehenden Team weiterzuentwickeln • Ein engagierter Vorstand, der die Leitung bei der Vernetzung in der Region und der Entwicklung der Institution unterstützt

Detaillierte Informationen und weitere Angaben zum Bewerbungsprozess finden Sie unter www.kaserne-basel.ch

Digitale Bewerbung bis 11. März 2022 an bewerbung@kaserne-basel.ch

absagen.“ Derzeit sei nur eine Klasse erlaubt, „da ist es unglaublich schwer zu jonglieren.“ Dass die Jungen und Mädchen nach Monaten des Online-Unterrichts wieder Live-Theater erleben ­dürfen, das sorgt trotz alledem für viel Lachen und unbeschwerte Momente. Ein großes Einzugsgebiet hat das kleine Zimmertheater in Rottweil, der ältesten Stadt Baden-Württembergs. In der ­katholisch geprägten Narren-Hochburg machen Bettina Schültke, ehemals Dramaturgin am Deutschen Theater Berlin, und ihr Mann Peter Staatsmann anspruchsvolles Theater, das auf die Themen und Bedürfnisse der Menschen im Schwarzwald zugeschnitten ist. Klassiker finden sich ebenso im Repertoire wie Stückentwicklungen, in denen Peter Staatsmann aktuelle politische Diskurse aufgreift – etwa zu Themen wie Rechtsextremismus oder den Umgang der Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen. „Wir brauchen unser Theater“, ist Kulturamtsleiter Marco Schaffert überzeugt. Da sind sich Verwaltung und Gemeinderat aus seiner Sicht immer einig gewesen. Gerade jetzt in Zeiten der Pandemie sei die Bühne am Friedrichsplatz 2 aber zu klein für die ambitionierten Projekte der Theatermacher, „die ein breites Publikum aus der ganzen Region erreichen“. In der Bühne über der Stadtbücherei haben nach den geltenden Abstandsregeln gerade mal 50 Besucher:innen Platz. Sie sitzen auf engstem Raum. Im engen Nebenraum steht die Waschmaschine. „Auch wirtschaftlich lässt sich das für die Bühne nicht mehr rechnen“, sagt der Kulturamtschef, der auch im Beirat des Theaters sitzt. Da sieht er die Lage realistisch. Deshalb stellt die Kommune den Theatermachern in den Wintermonaten die alte Stallhalle neben der Rottweiler Stadthalle zur Verfügung – nur die Heizkosten muss das Theater stemmen. Im Winter wird es in der schönen Halle mit einer riesigen Bar zwar etwas kühl. Aber mit Decken und Heizstrahlern schafft Theater­ chefin Schültke da Abhilfe. In dem renovierten Gebäude zeigt die Bühne größere Produktionen wie die Uraufführung „Und plötzlich war ich noch ein anderer“. Gemeinsam mit dem Schauspieler ­Mathias Kopetzki hat der Theaterchef und Hausregisseur ein biografisches Projekt entwickelt. Als Kind wurde Kopetzki, dessen leiblicher Vater aus dem Iran stammt, adoptiert. Wie schwer das Leben zwischen den Kulturen ist, hat er in dem Buch „Teheran im Bauch. Wie meines Vaters Land mich fand“ aufgearbeitet. Mit dem jungen Ensemble hat Staatsmann da die biografischen Elemente mit­ einem starken Spiel der Erinnerung verknüpft. Projekte, wie dieses, mit denen das Zimmertheater die Menschen in Rottweil und seinem großen Einzugsgebiet zum Nachdenken über kulturelle Grenzen bringt, unterstreichen nach Marco Schafferts Worten die Bedeutung des Hauses. „Dass ein so kleines Theater ein eigenes Ensemble hat, ist bemerkenswert.“ Daher sei gerade in diesen Zeiten die städtische Kulturpolitik umso mehr gefordert, diese wichtige Arbeit zu unterstützen, obwohl das Zimmertheater eine private Bühne ist. Da sieht Schaffert nicht nur die Verantwortung gegenüber den Schauspieler:innen, die am Haus arbeiten. Dass die Menschen nicht erst nach Stuttgart fahren müssen, um starkes Theater zu sehen, sieht er als ein großes Plus: „Kulturelle Bildung macht die Identität einer Stadt aus.“ //


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Von diesen Künstler:innen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.

Look Out

Fest und Protest Die Schauspielerin und Theatermacherin Mariana Senne sucht den kollektiven Orgasmus   heatermachen kann ein ganz schön langweiliges und einsames Geschäft sein. Das hat Mariana Senne, die 2014 der Liebe wegen ihre brasilianische Heimat São Paulo verlässt und nach Europa aufbricht, schon gelernt. So lädt sie denn auch in ihrer aktuellen Performance „I love you but I need to kill you now “ ihr Publikum ein, sich gemeinsam an eine lange Tafel zu setzen. Die Arbeit, die im vergangenen Jahr in Amsterdam uraufgeführt wurde, ist eine musikalische, bildgewaltige und höchst persönliche Tour de Force der Performerin über den Kampf zweier Kontinente. Der Tisch, unter den sie gleich zu Beginn kriecht, wird zum Mutterleib. Ihre offensive Nacktheit, die eine Kamera nach draußen trägt, ist gleichzeitig ganz nah und doch so behutsam auf Distanz inszeniert, wie sie selbstverständlich für ihr ganzes Spiel ist. Wenn es nicht so lange her wäre, würde ich sagen: sie erinnert an Susanne Lothar, wie sie in Peter Zadeks „Lulu“ die Treppe rauf und runter prescht, lustvoll, ackernd, immer auf der Suche. Mariana Senne tanzt und singt durch ihre Performance. Ihre Worte leiht sie sich aus von der Philosophin und Aktivistin Silvia Federici, von Frantz Fanon, einem Wegbereiter der französischen Entkolonialisierung, und von Valerie Solanas, der Attentäterin Andy Warhols. Als Jugendliche in einem Austauschprogramm in den USA bewirbt sie sich für die Gesangsklasse ihrer High School mit dem Lied „The Girl from Ipanema“ – und wird abgelehnt. Ein Glücksfall, denn ihr Vorsprechen als „Agnes of God“ verschafft ihr den Zutritt zur Schauspielklasse, sie trifft auf einen inspirierenden, experimentierfreudigen Lehrer und beginnt nach ihrer Rückkehr ein Schauspielstudium an der Escola de Arte Dramática an der Universität São Paulo. Da, wo der Nachwuchs für Soap Operas ausgebildet wird, gründet sie mit Kom-

Marianna Senne. Foto Thomas Lenden

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militonen 1998 die Theatergruppe Cia São Jorge de Variedades, die in Brasilien für ihre sozialen und ästhetischen Experimente berühmt wird. 15 Jahre lang wird ihr Leben von der Reibung und Fusion mit diesen Menschen geprägt. „Find the ethic – fly the aesthetic“ ist das Mantra des Kollektivs, in dem alle künstlerischen Entscheidungen im Konsens getroffen werden – wenn es hakt, orientiert man sich an Kommunikationsformen indigener Häuptlinge. Das Prozesshafte, den unbedingten Willen zur Improvisation und die Nachbarschaft mit den Ausgegrenzten und Armen einer Gesellschaft, in der 70 Prozent der Bevölkerung ums nackte Über­ leben kämpfen und der Graben zu einer kleinen Elite unüberwindbar ist, all das will sie nicht mehr aufgeben. Bald wirkt sie als Performerin in internationalen Koproduktionen mit. andcompany & Co engagieren sie für „FatzerBraz“, sie spielt in der Inszenierung von Karin Beier „Pfeffer­ säcke im Zuckerland & Strahlende Verfolger“, ein Projekt über deutsche Auswanderer in Brasilien, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Stipendien vom Internationalen Theaterinstitut und dem DAAD ermöglichen eine Assistenz bei She She Pop, ein Masterstudium an der Universität Hildesheim und schließlich am Das Theater in Amsterdam. Gemeinsam mit Claudia Bosse und anderen Performern bereitet sie aktuell den Zyklus COMMUNE 1-73 the assembly of different beings am Forum Freies Theater in Düsseldorf vor. Mariana Senne sucht – Kollaborateure, ein Publikum, mit dem sie ringen kann. In Amsterdam trifft sie den brasilianischen Regisseur Rodrigo Batista, beide planen für die Zukunft. In kommenden Sommer kehrt sie zurück nach São Paulo, um dort Theater zu machen – sie drückt die ResetTaste, um nicht zu vergessen, nicht träge zu werden und ihre Agenda nicht aus den Augen zu verlieren. Hauptsache, sie kommt zurück, denn die Begegnung mit Mariana Senne ist eine Chance und ein Fest. // Friederike Felbeck

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Von Generation zu Generation Mit ihrer neuesten Produktion tanzen She She Pop ein großes Thema aus ihrem Gesamtwerk von Renate Klett

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inerseits: Wenn sich eine Theatergruppe als PerformanceKollektiv beschreibt, dann kratze ich gleich die Kurve. Grund: zahlreiche läppisch-langweilige Aufführungen, die ich unter die-

sem Label gesehen habe, und immer brav bis zum Ende. Andererseits: Wenn She She Pop spielt, die sich auch so nennen, dann renne ich gleich hin. Was ist das? Vorurteil, Feigheit oder gar ­theatrale Dialektik? Die She Shes sind auch ein Kollektiv, und sie performen, aber sie sind halt aus ganz anderem Holz geschnitzt. Sie lachen, statt zu lamentieren, stehen für gut gemacht statt gut gemeint und überraschen mit immer wieder neuen Themen und der Art, wie


she she pop

Jedes neue Stück mit einem neuen Konzept: die aktuelle Produktion „Dance Me!“ von She She Pop im Hebbel am Ufer, Berlin. Foto Benjamin Krieg

sie sie angehen. Gefunden haben sie sich an Andrzej Wirths berühmtem Theaterinstitut Gießen, und sie haben die Normen und Freiheiten der Ausbildung sofort mit ihren eigenen Interessen konfrontiert. „Es gab eine voll ausgestattete Probebühne, auf der man sich ausprobieren konnte“, sagt Ilia Papatheodorou im Gespräch. „Und man wurde nicht benotet für diese studentischen Arbeiten, konnte sich also frei austoben.“ 1993 brachten sie im Rahmen des Studiums das „Mädchenprojekt“ heraus, – so ätzten die männlichen Kommilitonen –, eine „kollektive Biografie“, – so nannten sie es – und gaben dem Gene-

rationenporträt den schönen Titel „Sesam, Sex und Salmonellen“. Die vier Performerinnen Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf sind heute noch Mitglieder der Gruppe. Neu dazugekommen sind im Laufe der Jahre Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, und, als Geschäftsführerin, Elke Weber. In Gießen hatte sich zeitgleich auch eine Männergruppe ­entwickelt: „Showcase beat le mot“, und manche Veranstalter und Beobachter schürten eine Art Gender-Konkurrenz zwischen den beiden. Aber diesen Wettstreit, wenn es ihn denn wirklich gab, gewann She She Pop mit Leichtigkeit. Sie waren schlicht besser, fantasie- und anspruchsvoller. Ihre damaligen Grundsätze gelten bis heute: Autobiografie als Inspiration, Feminismus als Grundsatz und ständig sich wandelnde Größe und – ganz wichtig – die Lust am Sein und an der Verwandlung. Außerdem: die Gleichberechtigung aller Mitglieder, alle machen alles – Schreiben, Spielen, Ausstatten, Erfinden, Spott, Selbstironie, Radikalität. Von den frühen Aufführungen ist mir vor allem eine in Erinnerung: „Warum tanzt ihr nicht?“ (2003). Sie zitiert die Peinlichkeiten, Angebereien und miesen Tricks bei Tanzveranstaltungen, das Publikum sitzt mittendrin mit genauso viel Angst vor den möglichen Entwicklungen, Enttäuschungen und Erinnerungen wie die Performerinnen. Jede kann hier Mauerblümchen sein oder Ballkönigin, wie das Schicksal es will oder die geheime Dramaturgie des Abends. Mal charmant, mal rabiat wird man aufgefordert mitzumachen, und all die Malaisen der Tanzschule, von Schweißhändchen bis Trampelbeinchen kriechen wieder hoch. Aber das Gegenüber ist auch solidarisch ängstlich oder tut wenigstens so, und das Ganze ist immer auch witzig und verrückt. Und intelligent sowieso, wie immer bei SSP. Es ist eine der fröhlichschrecklichsten Aufführungen der Gruppe. Wer den Mut hatte, sie durchzustehen, hat sie nie mehr vergessen. Lisa Lucassen beschreibt den She-She-Pop-Arbeitsprozess wie folgt: „Wir einigen uns auf ein Thema, und dann entwickelt jede allein oder gemeinsam ihre Figur und deren Bedeutsamkeit. Aus vielen Puzzlesteinen entsteht so das Narrativ, das alles umfasst und nichts verschweigt. Wir müssen uns nicht gegeneinander durchsetzen, sondern miteinander einigen. Wir sind alle unkündbar, jede kann bleiben, so lange sie will. Wir sind immer Autorinnen, Dramaturginnen und Darstellerinnen zugleich, was große Anstrengung bedeutet, aber auch große Freiheit.“ So haben sie über die Jahre fast 40 Inszenierungen erarbeitet. Die wohl berühmteste davon ist „Testament“ aus dem Jahr 2010, mit dem schönen Untertitel „Verspätete Vorbereitungen zum Generationswechsel, nach Lear“. Das Stück, bei dem sie gemeinsam mit ihren Vätern auftreten, handelt genau davon, und das in aller Schonungslosigkeit. Alles wird hier verrechnet, Pein­ liches gegen Gefühlsüberschwang und verjährte Kränkungen gegen verspätete Abbitte, Geld gegen Liebe, und gegen die Kinder­ lose wird der Enkelfaktor ausgespielt. Alles ist privat und öffentlich

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protagonisten

„Testament“: Das Stück aus dem Jahr 2010, in dem She She Pop mit ihren Vätern auftraten, handelte in aller Schonungslosigkeit von den „Vorbereitungen zum Generationenwechsel“, wie es im Untertitel heißt. Foto Dorothea Tuch

zugleich, jede Pflegehandlung wird effizient in Rechnung gestellt. Die Aufführung ist so grausam wie lustig und mutig, und intelligent ist sie allemal. Dass die gemeinsame Arbeit kein Zuckerschlecken war, kann man sich denken, wird aber auch durch die Veröffentlichung der Probengespräche bestätigt. Und wie bewundernswert, dass Väter und Töchter sich dieser Lear-Über­ malung stellten! Ein großer Wurf, der mit der Einladung zum Theatertreffen und vielen Festivals weltweit belohnt und mit Preisen überschüttet wurde. Die große Begeisterung überall hat sicher auch damit zu tun, dass viele Menschen im Publikum vor den gleichen Problemen stehen wie die Performerinnen, sich aber nicht trauen, sie so direkt anzugehen wie die auf der Bühne. Als ich vor Jahren am Goethe-Institut in Minsk einen ­Vortrag über neue Theaterformen in Deutschland hielt und dabei

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viele Szenen aus „Testament“ zeigte, war es erst mucksmäuschenstill im Saal, und dann brach es los: So könne man mit seinem Vater doch nicht umgehen, so herzlos und kalt. Hinterher gab es viele Privatdiskussionen pro und contra. She She Pop gastierte später mit der Aufführung in Minsk und berichtete von großem Jubel. In „Frühlingsopfer“ (2014) untersuchen die Performerinnen folgerichtig das Verhältnis zu ihren Müttern. War im Väterstück Shakespeares „Lear“ der Bezugspunkt, so ist es diesmal Strawinskys „Le sacre du printemps“. Die Mütter sind nicht live anwesend, sondern tanzen auf riesigen Videoscreens zur Ballettmusik, ungeschult, aber eindrucksvoll. Die Töchter tanzen auf der Bühne mit und verwickeln die Mütter dabei in eine Bestandsaufnahme der Beziehungen. Zwischen Selbstvorwürfen und Aufbegehren, Ausgrenzung und Hingabe entstehen sehr nachdenkenswerte Dialoge über Opferbereitschaft und deren Verweigerung. Das hat bei aller Härte auch viele Momente von Zärtlichkeit und Verständnis. Und die Identifikationsmöglichkeiten des Publikums stehen denen in „Testament“ in nichts nach. Bemerkenswert ist, dass jedes neue Stück einen neuen Angang hat, ästhetisch wie inhaltlich. Das ist eine Wohltat angesichts der zahlreichen „Rezept-Regisseure“, die nichts anderes tun, als einmal Erprobtes stets neu zu kopieren. Da ist zum Beispiel „Die Marquise von O.“ (2011), ein Experiment mit nur zwei Spielern, Lisa Lucassen und Sebastian Barg, die abwechselnd aus Kleists Novelle vorlesen und mit hypnotischen Methoden ihre jeweiligen Bewusstseinsebenen demonstrieren. Das Schamhafte wird veröffentlicht, die Schande sehr sachlich zum ­Angebot erhöht und die Unterworfene zur Siegerin erkoren. Sich schämen und die Scham zu überwinden, sie als Waffe und Beweisstück einzusetzen, mit dem Publikum zu teilen oder sie als wohlfeilen Besitz zu veredeln, ist ein häufiges Motiv in ­She-She-Pop-Stücken. Über die Jahre werden sie immer radikaler damit, das Ausstellen von Schamgefühlen wird immer persön­ licher und damit ehrlicher, aber nicht narzisstisch. „Die Scham schamlos auszuleben, geht nirgendwo besser als auf der Bühne“, sagt Lisa Lucassen. Das wirkt nie exhibitionistisch oder peinlich. Weil es keine Masche ist, sondern eine Abrechnung. Wer seine tiefsten Ängste offenbart, wirkt nicht narzisstisch. „Shame Shame Shame“ war Titel ihrer Jubiläumsgala 2018, und eines ihrer überraschendsten Stücke hieß „50 Grades of Shame“, eine wüste Mischung aus Bilder- und Körperwelten. ­ Männerköpfe über Frauenbrüste montiert und literarische Texte (Wedekinds „Frühlingserwachen“) mit pornografischen (von E. L. James) verschmelzend. Intime Beichten und Aufklärungsunterricht, Witze und Zoten, neu montierte Körper und unschuldige Kinderfragen – alles, alles wuselt durcheinander, es ist immer zu viel und zu wenig zugleich. Das beste Stück über die deutsche Wiedervereinigung, das ich kenne, ist She She Pops „Schubladen“ (2012), in dem drei Ostund drei Westfrauen in ihren Schubladen herumwühlen und sich dabei gegenseitig auf die Probe stellen. Darin wird Autobiografisches und Politisches, Neugieriges, Vermutetes und Enttäuschtes zusammengebracht. Derzeit denken sie über eine eventuelle Fortsetzung des Themas nach, die sie „Mauern“ nennen wollen. „Oratorium“ brachte 2018 die zweite Einladung zum Theatertreffen. Das Stück mit dem Untertitel „Kollektive Andacht zu


she she pop

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einem wohlgehüteten Geheimnis“ ist ein umfassender Dialog mit dem Publikum, der Eigentum, Geld und natürlich Scham behandelt und sich am Brecht’schen Lehrstück orientiert. Das Publikum wird in handliche Chöre und Interessengemeinschaften aufgeteilt und ficht mit dem Delegiertenchor auf der Bühne einen bizarren Kampf aus um Wohnungsübernahmen, Alleinerziehende mit Geldsorgen, Wohlhabende mit Zweitwohnsitz und alle Stufen und Möglichkeiten dazwischen. Das ist amüsant und bitter zugleich. Man lernt nichts Neues dabei, aber macht sich klar, wie unaufhaltsam diese Schieflagen sich gegenseitig komplettieren, wie sich abstrakte Betroffenheit angesichts konkreten Eigen­ nutzes verkrümelt. 2019 entsteht „Hexploitation“. Wie immer geht die Stückentwicklung vom Autobiografischen aus, diesmal vom Umstand, dass sie nun alle um die 50 sind und sich damit einer neuen Identität nähern. Wo der Geist noch à jour ist, kann der Körper schon schlaff werden. Intime Filmbilder zeugen davon. Alle Skrupel, Übertünchungen und Hexen-Diffamierungen kriechen immer näher heran und werden doch auch selbstbewusst zerfleddert. Altwerden mit She She Pop ist vielleicht ganz schön, denkt frau, während sie verschämt den eigenen Bauchspeck befühlt, den sie für weniger problematisch hält als die Großaufnahme der Bühnenfigur. Und überhaupt können Hexen auch toll sein. Immer wieder schafft es She She Pop, die eigenen Skrupel und Verzweiflungen so authentisch und dabei selbstironisch ins Publikum zu streuen, dass sich die Zuschauerinnen daran messen können. Diese Identifikation kommt nicht bunt plappernd

oder reklameträchtig zustande, sondern aus dem stoischen Vertrauen, dass man sich selbst und das Publikum vielleicht doch aus der Bredouille ziehen könnte. Quod erat demonstrandum. Aber dann kommt Corona, und alles wird anders. „Alles, was uns an unserem Job nervt, machen wir im Moment viel zu viel: Anträge schreiben, Termine verlegen, und alles, was uns an unserem Job Spaß macht, also: Proben, Aufführen, das machen wir im Moment gar nicht“, seufzt Ilia, „aber das geht ja allen so.“ Sie hatten zuvor auch in Stadttheatern gearbeitet. Mit den Ergebnissen waren sie nicht immer zufrieden, zu fremd der Apparat, zu verschieden die Methoden. „Am liebsten würden wir immer abwechseln, nicht zwischen Stadttheater und frei, sondern mal wir allein, mal wir mit anderen.“ Ihre jüngste Produktion „Dance Me“ kommt allerdings ein wenig mager daher, obwohl (oder weil) sich alle verausgaben. She She Pop verbindet sich mit jungen Performern der freien Szene zu einer unerbittlichen Dance Battle. Eine Gruppe macht die ­Musik, die andere tanzt dazu, schweißtreibend, verbissen oder entrückt und hingebungsvoll. Sie kommentieren einander, loben und befragen sich. „Wir wollen nicht als Generation wahrgenommen werden“, sagen die Jungen, „wir sind alle Individualisten.“ Die Alten hin­ gegen verorten das Generationsgefühl just im Altwerden, weil ­immer mehr Menschen in ihrem Umkreis verwirrt oder krank werden und etliche sterben. Von solchen Diskursen hätte man gerne mehr gehört, aber die lassen sich eben nicht tanzen. //

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FEMINISTISCHE PERFORMANCE UND PRAKTIKEN DES ZUSAMMEN-SEINS

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Wandertheater der Ratlosigkeit An der Berliner Deutschen Oper ringt Stefan Herheim mit Wagners „Ring“

von Friedrich Dieckmann

Die Flüchtlinge und der Flügel Am Anfang jeder „Ring“-Inszenierung stehen die Fragen: Wer sind die Götter? Wer sind die Nibelungen? Was ist das Gold? Es sind diese drei Fragen, durch die sich das monströse, durchaus überkandidelte Opus des in Deutschland steckbrieflich gesuchten politischen Flüchtlings über seine musikalische Substanz hinaus rechtfertigt. Seit George Bernard Shaw nimmt man das Bühnenfestspiel symbolisch und tut es mit Recht: Es ist so gemeint. Es liegt auf der Hand: Die Götter sind die Exponenten der auf Ver­ trägen, auf Rechtsverhältnissen beruhenden bürgerlich-feudalen Gesellschaft, die Nibelungen im Plural sind vordergründig Bergwerkssklaven und stehen hintergründig für das ausgebeutete Proletariat in seiner Gesamtheit, das Gold aber ist die Währungsbasis in den Tresoren der Banken. Alberich, der Nibelung im Singular, ist nach dem Ringraub Bergwerksbesitzer, Bankdirektor und – kraft des Tarnhelms – Sicherheitschef in einer Person. Das ist auf unsere Zeit mühelos übertragbar, doch ist es Brauch geworden, alle diese Positionen aus der jeweiligen Zeit­

situation neu zu besetzen. Patrice Chéreau hat das in Bayreuth anno 1976 getan, indem er die ursprüngliche Realbesetzung in ihrer Spannweite vom 19. bis tief ins 20. Jahrhundert kenntlich machte. Jürgen Flimm hat im Jahr 2000 ebendort den Bogen bis in die Gegenwart gespannt; Wotans Büro war bereits mit Computertechnik ausgestattet. Frank Castorf, sich des „Rings“ mit ernsthaftem Humor bemächtigend, entdeckte 2013 in Bayreuth das Öl als den fundamentalen Schmierstoff der Industriegesellschaft; würde nun Bitcoin, die in unterirdischen Stollen magisch generierte Netzwährung, die nächste Stufe der Aneignung sein? Sie gleicht zu sehr dem Tarnhelm, um operntauglich zu sein. Stefan Herheim, der norwegische Regisseur, hat, sich solchen Weiterungen entziehend, eine vierte Frage gestellt, die nur scheinbar bereits beantwortet war: Wer sind die Zuschauer? Er hat sich nicht mit der Antwort begnügt: die vor der Bühne oder vorm Fernsehapparat Sitzenden. Er wollte noch andere Zuschauer und setzte sie nicht vor, sondern hinter und in das Götter-, Riesen- und Zwergengeschehen: Zu Wotan, dem göttlichen Wanderer, sollten die real existierenden Wanderer unserer entgrenz-

Hundings Haus als eine Kofferburg: Nina Stemme als Brünnhilde in Stefan Herheims Inszenierung von Wagners „Ring“. Foto Bernd Uhlig


deutsche oper

ten Welt treten, koffertragende Flüchtlinge, Vertriebene, Deportierte. Auf der Suche nach einer neuen Heimat ließ er sie Halt machen vor einem großen Flügel, der sich als ein magisches Instrument entdeckte; wenn man einen Ton darauf anschlug, entstiegen dem Innern des schwarzen Gebildes die Protagonisten jener gebietenden Gesellschaftsschicht, von deren Beschlüssen die Zukunft der Wandernden abhing. Zunächst besetzten sie deren Spiele aus ihren eigenen Reihen und griffen dazu nach ­einem grüngebundenen Fundstück, auf dessen Einband man verschiedene Inschriften lesen konnte: „Rheingold“ stand auf dem ersten. Ganz Gescheite in diesem aus allen Altersklassen und Berufen gemischten Wandervolk der Koffertragenden, in dem jeder einzelne sich als eine genau umrissene Indi­ vidualität darstellte, mochten ­davon gehört haben, dass der Urheber der in dem grünen Buch enthaltenen Geschichten in seinem Schweizer Exil ein Konzert gegeben hatte, in dem Franz Liszt am Flügel aus der Partitur gespielt hatte, während der Komponist zusammen mit einer Sopranistin Teile des Werks sängerisch dargeboten hatten. Waren die Exilanten der Jetztzeit etwa auf dieses Instrument gestoßen, dem im Lauf von 166 Jahren – Flügel gewachsen waren? Sogar Alberich, den Herrn der Bergwerke, konnten sie aus ihren eigenen Reihen besetzen, wobei sich die Schwierigkeit ergab, dass die goldglänzende Trompete, die den Unterwasserschatz vorstellen sollte, schon in seinen Händen war, als das Spiel begann. Trug er nicht auch den machtspendenden Ring schon am Finger, den er erst nach dem Raub des Rheingoldes gewinnen konnte? Wenn man die Frage: Wer sind die Zuschauer? auf eine so neuartige Weise zu lösen versucht, wie es hier geschah, bleibt es nicht aus, dass man von Widerspruch zu Widerspruch tappt. Dem Urheber des großen Weltspiels war es in seiner Schweizer Abgeschiedenheit nicht anders ergangen. Theater kommt nicht ohne die Nachsicht der wirklichen Zuschauer aus.

Prinzip Überzeichnung Aber wie weit muss diese Nachsicht gehen? Der Regisseur hatte an einer späteren Oper des schließlich begnadigten Exilanten, an einem Werk, das im Verlauf von drei langen Aufzügen Rettung in

die Absage an die geschlechtliche Liebe setzte, Außerordentliches geleistet; wie würde er es mit den Ekstasen des Gegenteils halten, die in den Ringgeschichten blühten? Es zeigte sich: Er konnte nichts mit ihnen anfangen; darum widerlegte er sie durch Übertreibung. Verkörperung des Erotischen wird auf dem Theater leicht zu Denunzierung, man führt ad absurdum, indem man vergegenständlicht; das Lächerliche ist der Abgrund, in den stürzt, was man glaubt, an den Haaren herbeiziehen zu können. Das Überdeutliche ist der Tod der Poesie wie des Theaters; es macht aus den Mitspielenden – und das sind auch die im Sessel sitzenden Zuschauer – Voyeure. Eine Massenkopulation in Unter­ wäsche als Beglaubigung des Reichs der Freiheit, das dem Menschen vor dem Raub des Rheingoldes blühte, kann für eine Kopfgeburt der Anti-Erotik gelten, und nichts anderes ist es, wenn am liebestrunkenen Ende des ersten Aufzugs der „Walküre“ das Geschwisterpaar, das sich mehr als geschwisterlich gefunden hat, auf dem altargleich in die Höhe gefahrenen Flügel seinerseits in Unterwäsche kopuliert. Was Stefan Herheim vorzüglich kann, sind Ehekräche, falls sich die rechten Singschauspieler dafür einstellen. In Gestalt der Sopranistin Annika Schlicht hatte er die ideale weibliche Besetzung an der Hand; wie diese Fricka, ganz Oberklassendame, mit offensiver Eleganz aus dem allwissenden Flügel auffahrend, dem gleichfalls vortrefflichen Wotan-Sänger Iain Paterson vom Schutzherrn der freien Liebe zum Mörder seines Sohnes umfunktionierte, war sehens- und hörenswert. Die Heimatvertriebenen am Rand der aus zahllosen Koffern aufgetürmten Szenerie sahen ihr gebannt zu wie auch allen weiteren Debatten, die das große Spiel nach der bekannten Losung bot: Das Private ist politisch, und das Politische ist privat. Stefan Herheim, Regiekünstler und Anti-Erotiker, zeigt im ersten Aufzug der „Walküre“, dieser fulminanten Liebesgeschichte zweier Menschen, die, vom Schicksal früh und grausam getrennt, in einem Moment höchster Gefahr wie im Rausch zueinander finden, noch andere Neuerungen. Hundings Haus ist eine flach gebogene Kofferburg mit Turmstummeln an den Seiten und einer Eingangsöffnung inmitten, die der Aufführung in wechselnden Formationen bis in die „Götterdämmerung“ erhalten bleibt. Bei aller Authentizität des Materials – die braunen Koffer sehen so echt aus wie die von der exzellenten Uta Heiseke eingekleideten Flüchtlinge – ist das eine gänzlich abstrakte Dekoration; sie hüllt die Szene in vorgegebene Trostlosigkeit. Das stimmt zum Stück, schon im 2. Akt der „Walküre“ verkündet Wotan seiner erschütterten Tochter das Ende seiner, der bestehenden Welt, und im Zuschauerraum geht dazu das Licht an. Aber dem Theater tun solche Einheitsdekorationen mit ihrer symbolischen Ambition nicht gut, sie legen sich wie Mehltau über ein Spiel, das doch als ein lebendiges prätendiert wird. Wie schreibt der Regisseur im Programmheft: „Aus wahrer Kunst droht immer künstliche Ware zu werden“. Diese Kofferauftürmung ist künstliche Ware, Ausflucht vor der Vielgestaltigkeit einer Szene, die des Widerstands des Konkreten bedarf. Wagners Festspiel beruht auf einer idée fixe, das ist der Ring, dessen vorgebliche Allmacht sich in immer neuen Entreißungen ad absurdum führt. Herheim versucht, dem Werk mit zwei eigenen idées fixes beizukommen, einem zaubermächtigen Flügel und dem nichtendenwollenden Kofferaufgebot. Aber so

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musiktheater

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kommt man dem Werk nicht bei, so legt man am Ende nur seine Schwächen bloß, nicht seine Stärken. Sieglinde (die stimmlich vorzügliche Elisabeth Teige) in ihrem Hausfrauengewand ist hier von Anfang an nicht allein, mit ihr auf der Bühne bewegt sich ihr Sohn, der, von dem Berliner Schauspieler Eric Naumann ingeniös verkörpert, eine Zugabe, eine Weiterdichtung des Regisseurs ist: ein verstörter, lauerndgebückt die Akteure umkreisender Halbwüchsiger, der sich eines Messers bemächtigt hat, mit dem er mal seine Mutter, dann den Eindringling bedroht, der ihn aber allmählich gewinnt, durch Gesten der Zuwendung, die der nach Anerkennung dürstende Knabe emphatisch aufnimmt, um sich alsbald wieder enttäuscht abzukehren, bis er sich schließlich – Hunding hat ihn zweimal mit dem Fuß von sich gestoßen – mit Siegmund im Kreis jauchzend um Sieglinde dreht. Mit äußerstem Misstrauen beobachtete er zuvor die Annäherung der beiden, die hier, entgegen dem Text, in hohem Tempo vonstattengeht; das nimmt der Szene einen Großteil der Spannung. Das Prinzip Überzeichnung waltet in der ganzen Aufführung; hier führt es zu der Einebnung eines Spannungsbogens. Als Hunding (stimmlich wie darstellerisch glänzend: Tobias Kehrer) im grünen Lodenmantel und mit einer Flinte in der Hand eintritt, kein Unhold, sondern nur ein befremdeter Hausherr, geht die Vorwegnahme so weit, dass Sieglinde schon bald ihre Hand auf die des Fremden legt; unwahrscheinlich, dass Hunding nun einfach zu Bette geht. Er trinkt die ihm von Sieglinde gebrachten

brechtfestival.de

WORLD WIDE BRECHT

18.02. —27.02. 2022 Gefördert durch

Programm für digitale Interaktionen

Supermarkt-Flaschen (vermutlich Jägermeister) und bietet auch Siegmund (Brandon Jovanovich) eine an. Das Schwert steckt vorn seitlich im Flügel, alle ziehen mal dran, auch der Knabe. Nach dem Abgang des Hausherrn steigt Sieglinde zu ihrer großen Arie („Eine Waffe laß mich dir weisen“) auf den Flügel, der ihre Ekstase malt, indem er, magisch erleuchtet, mit ihr in die Höhe fährt; auch die Schwertgewinnung bekräftigt sich mit Lichteffekten. Der Knabe ist allem dem mit Begeisterung gefolgt, die Liebenden nehmen ihn wie zur Familiengründung in die Mitte. Aber das hält nicht vor: In ihrem Liebesrausch umarmt Sieglinde den Jungen von hinten, legt eine Hand auf sein Gesicht und schneidet ihm mit der anderen die Kehle durch; er sinkt um und wird unter einem roten Tuch verborgen. Sieglinde, das sich gerettet fühlende Opfer, verwandelt sich in die Täterin; interpretierend schreibt der Regisseur das Stück um. Hundings und Sieglindes Sohn geistert als Toter auch durch die beiden folgenden Akte der „Walküre“. Am Anfang des zweiten Aktes, ehe die aus der koffertragenden Schar rekrutierten Walküren aus einem dargereichten Gestänge ihre Flügelhelme entgegennehmen, trauert Hunding voller Entsetzen um den toten Sohn, und im dritten Akt, als die von den Walküren geborgenen Kriegstoten (sie liegen als blutbeschmierte Fundstücke in der Kofferlandschaft) auf einmal zum Leben erwachen und ihren Patroninnen handgreiflich nahetreten, taumelt der Halbwüchsige als einer dieser lebenden Leichname durch die Szene. Wotan, hinter Brünnhildes Schild verborgen, ist hier von Anfang an auf der Bühne; als er hervortritt und die die Schwester verbergenden Schlachtmaiden zur Rechenschaft zieht, stehen die erwachten Kriegsmänner mit gefällten Lanzen in deren Rücken; die Vergewaltigung, die sie anfangs noch abwehren konnten, ist nun ihre Strafe. Am Ende des Aufzugs, als Wotan die Lieblingstochter (Nina Stemme singt die Rolle drei Abende lang mit nicht nachlassender Intensität) ­vermittels des Flügel-Aufzugs dem feuerumringten Dauerschlaf übergeben hat, ziehen die Zipfeltücher sich zu einem Trichter ­zusammen, der uns eine Entbindungsszene sehen lässt: Mime hilft Sieglinde bei der Siegfried-Geburt. Stefan Herheim liebt es drastisch. Aber das Prinzip Überzeichnung bricht sich nicht überall Bahn, es gibt auch zartere Variationen über das vorgegebene Werk, das die Protagonisten, den Klavieraufzug aufschlagend, am magischen Flügel immer wieder zu Rate ziehen, als wüssten sie nicht, wie es weitergeht. Sie handhaben das Buch wie eine ­Zukunftsauskunftsinstanz: Wagner als Kalligraf des Weltorakels. In „Rheingold“ ist es ein hübscher Einfall, die von den Riesen ­entführte Liebesgöttin, die hier eine naive Dorfschöne mit zwei großen goldenen Äpfeln als Brustschutz ist (Flurina Stucki singt sie und kommt später noch einmal als Schlachtjungfrau ins Spiel), in wachsender Wechselneigung zu dem sympathischen Fasolt ­(Andrew Harris) zu zeigen. Sie hat die eitle Göttergesellschaft satt und würde nicht ungern bei den wackeren Handwerkern bleiben, die die Riesen nur spielen; dabei hilft ihnen eine menschenähn­­ liche Kofferauftürmung, die sogar das Maul bewegen kann. Auch in Nibelheim gibt es neue Akzente: Alberichs despotischer Auftritt inmitten der geknechteten Nibelungen zeigt diese als ein schwarzes Heer mit gemalten Totenköpfen unter den Stahlhelmen; als er den Ring drohend gegen sie wendet, heben sie


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die Arme zum Hitlergruß. Die Neuerung ist eindrucksvoll: die ­Nibelungen nicht als geknechtete Bergsklaven, sondern als unterworfene Armee von Todgeweihten. An anderer Stelle erscheinen sie in der Gestalt der Koffertragenden; sie strecken hilfesuchend die Arme nach den beiden Göttern aus und werden, als diese die Achsel zucken, von Alberich weggescheucht. Hier zeigt sich ein Weiterdenken des Werks aus dem Wesen von Text und Partitur; gegen diese geht es, wenn Wotan im „Rheingold“-Finale gar nicht in Walhall einzieht. Er ist von der jäh auftauchenden Erda (sie erscheint, von der einspringenden Beth Taylor gesungen, in braunem Plisseerock und medaillon­ geschmückter Seidenbluse wie die Chefsekretärin des Weltgeists) so fasziniert, dass er ihr durch den Souffleurkasten in die Unterwelt folgt; die Götterfamilie muss ohne ihn der Burg entgegen­ gehen. Auf dem zu einem Trichter zusammengezogenen Prospekttuch erscheint nicht etwa das neue Heim, sondern das Doppelbild zweier Embryonen, auf das Zwillingspaar deutend, das der unternehmende Gott von einer Menschenfrau bekommen wird.

Der preisgegebene Zwerg Im ersten Akt „Siegfried“ öffnet die zu einer riesigen Halde gestapelte Kofferszenerie unversehens ein breites Maul, um Mimes geräumige Werkstatt erscheinen zu lassen. An der Wand deutet eine Reihe goldglänzender Musikinstrumente auf den Hauptberuf des eifrigen Schmieds, der mit einem dunkelroten WagnerBarett auf dem Kopf schon in „Rheingold“ auf den Urheber all dieser Geschichten deutete. Das nahm sich ganz lustig aus, aber so ist es hier nicht gemeint; Mime, erklärt der Regisseur im Programmheft, erscheine „in der Maske Richard Wagners und in KZHäftlingskleidung“. In der Tat ist Mime (ich schrieb es vor Zeiten) „ein pathologisches Selbstporträt seines Schöpfers – die Entlastung von allem dem, was diesen an sich selbst leiden machte, durch Entäußerung in der negativen Gestalt“. Und fügte hinzu: „Dass dieses Negativ-Porträt antisemitische Züge trägt, ist nicht verwunderlich. Wagner hat es zweifellos schwer gehabt, sich vor sich selbst als ‚Arier‘ zu behaupten – sein Antisemitismus ist, wie noch die meisten Rassenvorurteile, die Projektion eines Minderwertigkeitskomplexes.“ Solche Einsichten auf die Bühne zu bringen, geht meistens schief; dass das hier nicht geschieht, verdankt sich dem 33-jährigen Ya-Chung Huang aus Taiwan, der ein kleiner, zarter Mann mit großem, rundem, Wagner ganz unähnlichem Kopf ist (die ihm ursprünglich angeklebte Hakennase ist entfallen). Er stattet den grauhaarigen Alten mit einer verzweifelten Lustigkeit aus; mit genialischer Intensität gibt er einen pläneschmiedenden Tückebold von realitätsblinder Selbstverliebtheit. Als sein ungebärdiger Zögling steht ihm ein ausladender Riese mit strahlendem Tenor gegenüber: Clay Hilley aus Georgia, stimmlich exzellent, in der ihm ungemäßen Jünglingsrolle zwangsläufig unbeholfen. Ein Fell über dem grauweißen Rock tragend und die Gamaschen mit derben Bändern umwickelnd, ist er ein wandelndes Kostümzitat; Bayreuths erster Siegfried von 1876 war ebenso angetan. Wenn ihm eine Szene, eine Figur liegt, ist Herheim an ­Genauigkeit der Personenführung nicht leicht zu übertreffen. Das gilt von dem Dialog der beiden altgewordenen Kontrahenten,

deutsche oper

­ otans und Alberichs, die in der Nähe von Fafners Höhle W aufeinandertreffen, Repräsentanten zweier niedergehender Weltmächte, die über ihre Zukunft spekulieren. Fafner, den Wotan, seine Neutralität bekundend, vor Siegfrieds Ankunft warnt, gibt als goldglänzender Schalltrichter Auskunft; als der Jüngling ihn dann herausfordert, sieht dieser sich einer ganzen Batterie solcher Trichter gegenüber. Zuvor hat Siegfried, Mime vertreibend, eine Ruhepause eingelegt, bei der ihm das Waldvöglein in Gestalt eines zartgliedrigen Singknaben erscheint; im Hintergrund aber erscheinen weißgekleidet Mann und Frau, einander mit idealischer Geste zugewandt, und vertreten mit riesigen Engelsflügeln auf dem Rücken das von Siegfried berufene Elternpaar. Dazu waldgrüne Projektionen auf den hochgezogenen Prospekttüchern – die Szene kippt in den Kitsch, sie wird offensiv denunziert. Und der Drache, Krisenpunkt aller „Ringe“? Um ihn erscheinen zu lassen, muss die Kofferhalde abermals ihr Maul aufsperren, in dessen Innern sich zwischen rot illuminierten großen Linsen weißvermummte Gestalten bewegen, aus denen schließlich der Mensch Fafner hervortritt, um sich von Siegfried er­ stechen zu lassen. Worauf der Vögleinknabe dem Überwinder mit schwankendem Sopran den Weg hinunter zum Schatze weist. ­Indessen streiten sich Mime und Alberich, wer das größere Anrecht auf Ring und Tarnhelm hat; sie streiten so heftig, dass der erschlagene Fafner wieder erwacht und Ruhe gebietet. Dann kommt Siegfried mit Ring und Tarnhelm zum Vorschein und bemerkt, dass er, vom Drachenblut ermächtigt, Mimes Gedanken lesen kann, die ihm nichts Gutes verheißen. Das führt zu einer grässlichen Szene: Während der Schmied vergnügt seine Mordpläne ausplaudert, legt er die graue Perücke ab, entkleidet sich fast bis auf die Haut und steht schließlich kahlköpfig, wie zum Kinde verjüngt, als schutz- und wehrloser Tückezwerg vor dem Drachentöter, der ihm Notung in den Leib stößt. Was sich hier begibt, ist eine Totaldemontage, die die Figur aller Menschlichkeit beraubt. Worauf sich das Idyll mit Grünprojektionen und Flügelfiguren gesteigert erneuert. Das jugendliche Paar paradiert nun mit schwarzen Flügeln, andere Flügelgestalten treten hinzu, und der weißgewandete Knabe, inzwischen mit Fafnerblut befleckt, springt graziös herum, um mit brüchiger Stimme Weisungen zu erteilen. Auf dem Walkürenfelsen, der, leicht angehoben, die Kofferhalde ist, findet sich dann wieder die Schar der Flüchtlinge ein, das „Kollektiv der Flüchtigen, Reisenden, Suchenden, Fliehenden“ (Herheim), das das Geschehen mit angespannter Aufmerksamkeit verfolgt. Sie sind nach Kostüm und Physiognomie vollkommen individualisiert, da finden sich Hausfrauen und Angestellte, enttäuscht-neugierige Alte und hochbeteiligte Junge – wer sind diese fabelhaften Kleindarsteller, wer hat sie inszeniert? Als Statisterie der Deutschen Oper fungieren sie im Besetzungszettel – Werktätige, denke ich mir, die sich aus Opernbegeisterung in den Dienst des Hauses stellen. Auch ein heiter gestimmter kleiner Araber mit großem, schwarzem Bart ist dabei. Die Beschwörung Erdas, die unwillig aus dem Souffleurkasten steigt, findet das äußerste Interesse der Schar; es geht ersichtlich um große Dinge. Marina Prudenskaja gab die Erda einspringend mit aller Genauigkeit, eine zarte Person, die der Wanderer zu Boden wirft, als wäre er derselbe Flegel wie der Enkel, von dem er sich „erlösende Welttat“ erhofft. Erda hat das Interesse an dem

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Vater ihrer Töchter verloren und lässt sich im Halbschlaf wieder in den Kasten schieben. Immer wieder öffnen die Protagonisten den Flügel, greifen synchron zum Orchester in die stummen Tasten und blicken in den Klavierauszug, als wäre darin die Zukunft verzeichnet. Unterdes vergewissere ich mich des gut lesbaren Textes auf dem Bühnenportal und komme darauf, dass ich nicht eine Theateraufführung erlebe, sondern die Bild- und Tonillustration eines Textbuchs. Als Wotan den Enkel auf dem Weg zum Weib mit allerlei Fragen aufhält, produziert sich der erhoffte Welterlöser als ein gewaltbereiter Halbstarker; der ihm freundlich begegnende Alte ist hoffnungslos brüskiert. Zwischendurch kommt es Hand gegen Hand zu einer Kraftprobe, bei der Siegfried begreifen müsste, dass dies ein besonderer Wanderer ist. Als Siegfried den sperrenden Speer dann in einem komplizierten Arrangement zerschlagen hat, kommt es zu einer Pantomime zwischen Wotan und dem gleichfalls anwesenden Alberich; von verschiedenen Seiten zeigen beide mit langem Finger auf die Speerstücke, Wotan erleichtert, Alberich triumphierend. Die Herrschaft der Runen, also des Rechts, ist gebrochen, eine neue Welt ist in Kraft getreten. Wagner, der Bakunist, dachte sie sich als die bessere. Dann wird Brünnhilde auf dem Flügelaltar heraufgefahren, am Rand sind wieder Zuschauer zur Stelle und rücken näher, als Siegfried der reglos, aber mit angehobenem Bein Daliegenden die Brünne aufsäbelt und entdeckt: „Das ist kein Mann!“ Sie treten zuredend auf ihn zu – ein therapeutischer Moment wie auch ihre weitere Anteilnahme, bis hin zu dem Applaus, als er umfangend Mut zu Brünnhilde gefasst hat. Auch die Liebe, zeigt sich, soll vergesellschaftet werden. Aber die nun folgende Entkleidung der Schar geht ins Alberne; zu den Liebesgesängen der beiden auf dem Flügel erscheinen in weißer Unterwäsche acht jugendliche Paare und vertiefen sich in mehr oder minder lebhafte Umarmungen, wie in Vertretung der beiden Singenden, die ihre eigene Leib-

Verzweifelte Lustigkeit und ein ausladender Riese mit strahlendem Tenor: Clay Hilley (Siegfried) und Ya-Chung Huang (Mime) in „Siegfried“ in der Regie von Stefan Herheim an der Deutschen Oper. Foto Bernd Uhlig

lichkeit auf Distanz hält; der hingerissene Siegfried wirft herausgerissene Blätter des Klavierauszugs unter die Entzündeten. Am Ende blickt er wie Goethes Waldteufel lächelnd-irritiert zu dem kopulationsfreudigen Völkchen unter seinem Podest, ehe er sich zu den aufschäumenden Schlussklängen wieder Brünnhilden zuwendet.

Am Ende: die Putzfrau In „Götterdämmerung“, dem stärksten der vier Abende, trat die verhängnisvolle Kofferszenerie zum Heil des Abends zurück; an ihre Stelle trat die dunkelbraune Holztäfelung des Parkettfoyers der Deutschen Oper mit den beweglichen grauen Wolkenfeldern des amerikanischen Plastikers George Baker, die sich in der Folge sowohl vermehrten wie farbig-projektiv belebten. An dem vertrauten Ort flanierte – das Publikum, gleichsam das anwesende, um sich, als die Nornen hereinkamen, erschrocken auf den Boden zu legen. Beim Gesang der Hereingeschneiten erhoben sich einige wieder, wie narkotisiert taumelte man durch den Raum, der später mit einem dämonisch-präpotenten Hagen, einem depressiv-­ beflissenen Gunther und einer unauffälligen Gutrune die ränkeschmiedenden Gibichungen aufnahm. Die fantastischen technischen Möglichkeiten des Hauses zeigten sich, als die Szene langsam nach rechts verschwand, um links die Kofferhalde wieder in Sicht zu bringen, den Aufenthaltsort des glücklich vereinten Paars. Inzwischen hat sich ein Teil des Foyerpublikums seiner Kleider entledigt, den Koffern im Vordergrund entnimmt es bunte


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Umhänge mitsamt Federhelmen und Waffen und verwandelt sich mit ihrer Hilfe in eine gedoubelte Götterversammlung im Illustrationsstil der Wagnerzeit; mit einem in der Mitte thronenden ­Wotan nimmt sie auf einer Tribüne im Hintergrund Platz. Die Improvisationen einer Laienspielerschar als totales ­Theater auf ultimativem technischem Niveau – es ist ein Witz und nicht eben ein schlechter; ein Äußerstes an technischem wie inszenatorischem Raffinement (Bühnenbild Stefan Herheim und Silke Bauer) legt sich den Schein spielerischer Simplizität bei. Die immanente Paradoxie der Inszenierung kommt hier auf den ­Gipfel und tut es erst recht, wenn Siegfried, von Brünnhilde zu neuen Taten ausgesandt, durch den Flügel hindurch nach unten verschwindet; die Gemahlin winkt ihm in den Fahrstuhlschacht nach. Wenn es im zweiten Akt vor allem mit Festvolk ein Wiedersehen gibt und danach den Schwur der Betrogenen und des ­Betrügers, steigen die Nebengötter von ihrer Tribüne herab, um sich über den Schwurspeer zu beugen, der nicht Hagens eigener ist: Er hat ihn, zur Tribüne hinansteigend, Wotan aus der Hand genommen. Allein bleibt dieser auf der Tribüne sitzen, indes die Herabgestiegenen sich im Volk verlieren. Wie meisterlich dieser Regisseur Gruppenvorgänge in ­Szene zu setzen weiß, zeigt sich einen Akt später noch einmal an Siegfrieds Rencontre mit den koketten Rheintöchtern, die den Ring von ihm spendiert haben möchten und, als sie ein zweites Mal glatzköpfig als Nonnen der Weissagung auf den Plan treten, abermals zurückgewiesen werden. Beide, Brünnhilde durch die sie in grasgrünem Gewand bedrängende Waltraute und Siegfried durch diese Urbesitzerinnen, bekommen die Chance, sich der fluchbeladenen Fingerzier zu entledigen; der wahrsagende Tondichter richtet hohe Hürden auf, ehe es durch Leichtsinn und Selbstsucht zur Katastrophe kommt. Die ist schon im ersten Akt eingetreten, als Siegfried zusammen mit Gunther auf dem koffergefügten Brünnhildenfelsen erschien, beide im Hochzeitsfrack und mit einer Maske, die eine dämonisch verzerrte Clowns- oder Jokermaske war. Die beiden teilten Siegfrieds Gesangstexte unter sich auf, ein Doppelwesen war zur Gewalttat angetreten. Aber den Ring bekommt nur einer, er wird allen zum Verhängnis. Die Siegfriedverdoppelung ist wider Text und Logik des Stücks, aber sie hat die Sinnfälligkeit des Expressiven. Gilt das auch, wenn Gunther die Überwältigte nicht an seiner Hand vor das zum Empfang versammelte Volk führt, sondern die liegend in ein weißes Tuch Gewickelte an dem Ende eines zehn Meter langen Tuchs auf die Bühne zieht? Patrice Chéreau hatte hier eine Lösung von elementarer Richtigkeit gefunden: Gunther führte die weißgewandete Brünnhilde als Leidend-Abgeknickte an seiner Hand. Das war drastisch und blieb im realiter Möglichen – warum übernimmt es Herheim nicht? Die Gebote der Zunft verbieten es ihm, sie setzen das Aufbauen auf schon Gefundenem unter den Verdacht mangelnder Originalität. Regie muss heute alles neu und alles anders machen – ist das der Fluch dieses in vielen ­Details durchaus standhaltenden „Rings“? Er zeigt sich nach Siegfrieds Ermordung, als Herheim den Trauermarsch als Apotheose nicht des toten Siegfried, sondern seines Mörders umfunktioniert. Hagen hat die Insignien des ­Erstochenen – Panzerhemd, Schwert, Helm und Horn – an sich genommen und schwenkt sie triumphierend; dann schneidet er

deutsche oper

dem Toten den Kopf ab, hält ihn wie eine Trophäe in die Höhe und wirft ihn unter die Jagdgesellschaft. Auch und gerade hier unterliegt er dem Zwang, sich von Chéreaus Bayreuther Inszenierung abzusetzen, der sein Flüchtlingsspiel entscheidende Anregungen verdankt. An zwei zentralen Momenten hatte diese das Volk der Gegenwart als eine vielgestalte Schar einfacher Leute dem Schluss des Werks einbezogen: beim Trauermarsch, als diese den Getöteten trauernd umstanden, und am Ende, als sie zu den Schluss­ takten der Musik ratsuchend-hoffnungsvoll langsam nach vorn traten. Herheim stellt das beim Trauermarsch auf den Kopf; im Finale variiert er es, indem er Brünnhilde nach ihrem an Siegfrieds Bahre gesungenen Schlussgesang (dort hat auch Wotan den Ermordeten betrauert) in der diese umstehenden Menge verschwinden lässt; mit flackerndem Fingerspiel imaginiert diese die Flammen. Nur Hagen ist noch auf der Bühne und spricht links am Rand sein: „Zurück vom Ring!“ zu den unsichtbaren Rheintöchtern; dann geht er ins Parkett ab und gibt dem finalen Ton­ weben freien Raum. Dieser verdunkelt sich, ehe aus der Höhe eine bühnen­ füllende Batterie rotleuchtender Scheinwerfer hereinschwenkt, die nach Blau changiert, erlischt und danach einem vollständig neuen Bild Platz macht. Es ist der „Rheingold“-Anfang: die leere, bis zum technischen Hintergrund aufgerissene Bühne mit dem schwarzen Flügel inmitten. So sah es aus, als die Koffertragenden eintraten, die, eine lange Reihe bildend, ganz ähnlich aussahen wie die Volksmenge am Ende des Chéreau-„Rings“. Chéreau zu seiner Zeit, Mitte der siebziger Jahre, glaubte noch an Siegfried, er konnte ihn, als René Kollo sich den Fuß gebrochen hatte, sogar auf der Bühne spielen. Herheim glaubt fünfundvierzig Jahre später nicht mehr an die Katharsis der Tragödie, er nimmt den finalen Gedanken der berühmten Inszenierung auf, um dessen Konstellation, die Mut zur Hoffnung machte, zu dementieren. Am Ende der vier Abende ist nichts gewonnen, alles kann von vorn anfangen. Die Bühne ist so leer wie am Anfang; zu den Schlusstakten der Musik fegt eine Putzfrau den Boden und wischt den Staub vom Flügel. Das Publikum hält danach einige Sekunden inne. Es hat auf engen Sitzgelegenheiten mit musterhafter Disziplin stillgehalten, nun macht es sich Luft in stürmischen, dabei durchaus differenzierten Beifallsbekundungen. Nina Stemme und Clay Hilley werden gefeiert, kaum weniger der imposante Hagen Albert Pesendorfers; sie alle heben gladiatorenhaft beide Arme in die Höhe und applaudieren, sich nach unten beugend, dem Orchester, dessen Chef, Sir Donald Runnicles, als er oben erscheint, denselben Jubelschrei wie die primären Solisten auf sich zieht, und mit Recht; im Dramatisch-Exzessiven wie im deutend-mitgehenden Akkompagnement war hier auch im Orchester festspielmäßige Höhe erreicht. Es stand schließlich selbst auf der Riesenbühne wie auch der Chor und die Statisterie, was ein Verlegenheitswort ist, denn eben dies: statisch, waren diese stumm Beteiligten nicht. Die Deutsche Oper zeigte sich mit diesem neuen, nach pande­ mischen Krisen endlich fertiggeschmiedeten „Ring“ (ich sah und hörte den dritten Zyklus Anfang Januar) als ein perfektes WinterBayreuth mit über Berlins Grenzen weit hinausgehender Anziehungskraft; sie präsentierte sich nach allen Seiten als eins der leistungsfähigsten Häuser Europas. //

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Auftritt Berlin

Karlsruhe „[BLANK]“ von Alice Birch in der Regie von Anna Bergmann Memmingen „Natur“ von Lukas Hammerstein in der Regie von Robert Teufel Mülheim an der Ruhr „MiniMe“ von Kata Wéber in der Regie von Kornél Mundruczó

„Germania. Römischer Komplex“ nach Tacitus, Durs Grünbein u.a. in der Regie von Simone

Stuttgart „Verbrennungen“ von Wajdi Mouawad in der Regie von Burkhard C. Kosminski Wiesbaden „The Minutes – Die Schlacht am Mackie Creek“ von Tracy Derai

Letts in der Regie von Daniela Kerck


auftritt

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BERLIN Kammerspiel in Großverzerrung

ein behelfsmäßiger Trick, wenn Mundruczó

schiedenen Milieus, die sich gerade mit gro-

die ersten Szenen aus dem Inneren der Trutz-

ßen Erwartungen oder wachsendem Unmut

burg gefilmt auf die später hochgezogene

über das ausbleibende Angebot in der Volks-

­Außenwand projizieren lässt.

bühne versammeln. // Thomas Irmer

Die größte Überraschung ist indes das Spiel von Maia Rae Domagala als Mini. Mit geradezu umwerfender Natürlichkeit

VOLKSBÜHNE AM ROSA-LUXEMBURG-PLATZ: „MiniMe“ von Kata Wéber Regie Kornél Mundruczó Bühne Mona-Marie Hartmann, Stéphane Laimé

strahlt

sie

das

stürmisch

erwachende

Selbstbewusstsein ihres Pre-Teens von der

KARLSRUHE

Bühne. Auswendig gelernte Gedichte auf­ sagen und Temporaladverbien bestimmen? Wie öde! Aber tanzen, sich Moves ausdenken, Styles analysieren, das ist etwas, wo

Trümmer der nackten Gewalt

ihre Mutter schon nicht mehr mitkommt. Kathrin Angerer spielt diese Clau als –

BADISCHES STAATSTHEATER: „[BLANK]“ von Alice Birch (Deutschsprachige Erstaufführung) Regie Anna Bergmann Bühne Volker Hintermaier Kostüme Lane Schäfer

Kornél Mundruczó, dieser ungarische Wande-

­Kathrin Angerer. Sozusagen als Hausmarke,

rer zwischen Bühne und Film („Evolution“

die auch dieser Gastregie damit noch das

sein neuester), hat an der Berliner Volksbüh-

Flair einer ganzen Schauspielbiografie bis

ne sein Debüt als Gastregisseur gegeben. Sei-

zurück in die neunziger Jahre verleiht. Da

ne Arbeits- und Lebenspartnerin Kata Wéber

hat der männliche Widerpart einfach nichts

schrieb das Stück, ein Kammerspiel der Ab-

dazuzusetzen. Daniel Sträßer (sonst Wiener

gründe in einer Kleinfamilie, die irgendwo in

Burgtheater) kann für seinen jagenden

den Vorstädten in einer Art Luxusbunker

­Josef weder einen Figurenhintergrund vor-

100 Szenen voller Angst, Gewalt und unge-

haust. Das Thema steht gleich im Untertitel:

weisen noch mit einer volksbühnischen

stillter Sehnsucht greift die englische Autorin

Zehn Lektionen in Unterwerfung. Das un­

Spielkonnotation punkten. Dass der heim-

Alice Birch in ihrem Stück „[BLANK]“ aus

gefähr zehnjährige Mädchen Mini wird von

kehrende Jäger ansonsten der Großverdie-

dem Leben. In ihrer schroffen, kantigen All-

seiner Mutter Clau in häuslicher Abgeschie-

ner ist und einst auch die schöne Clau er-

tagssprache skizziert sie Frauen und Kinder,

denheit für schulische Leistungen und die

legte, das muss man sich aus der ohnehin

die im Straf- und Sozialsystem zermahlen

Performance bei Kinderstar-Wettbewerben

klischeehaft angedeuteten Vorgeschichte

werden. Dabei interessieren die 35-jährige

getrimmt, während der Vater Josef buchstäb-

zusammenklauben. Interessanter macht es

Theaterautorin, wie der T ­itel impliziert, die

lich auf der Jagd ist. Clau, ausgestattet mit

ihn, den Auslöser der Katastrophe, selbst-

Leerstellen im Leben der Menschen. Ihre

einer vorgeblich in der Mutterschaft versan-

verständlich mit einem Jagdgewehr, keines-

­Dramaturgie sperrt sich gegen jede Form. In

deten Model- und Schauspielkarriere, verfügt

falls. Das Stück von Mutter und Tochter

dieser Trümmerlandschaft erschafft Anna

über alle Motivationsparameter für die Toch-

wäre ohne ihn vermutlich sogar intensiver.

Bergmann, die Schauspielchefin des Staats-

terdressur, die auch eine sadistische Rache

Es ist nun nicht so, dass der unga­

für das eigene Geschick ist und außerdem,

rische Meisterregisseur sich hier verhoben

Ein betonkaltes Mietshaus ist Volker

falls es dann doch gut geht, eine Selbst-­

hätte. Von der Inszenierung, die sich an eini-

Hintermaiers Bühnenbild im ersten Teil der

Bestätigung sein könnte.

theaters Karlsruhe, große Theaterbilder.

gen Stellen wie der im großen Theaterraum

deutschsprachigen Erstaufführung. Das rosa-

Aber natürlich geht es nicht gut, am

als Stillstand wirkenden Botox-Spritzung der

rote Magnolienbäumchen im Hof wirkt da

wenigsten für MiniMe (lies: kleines Ich). Und

Tochter im Format verirrt, geht auf jeden Fall

seltsam fremd. Corinna Brocher hat Birchs

auch nicht für die Produktion als Ganzes.

die für Mundruczó typische, von unterschwel-

raue Worte in eine klare, kalte Alltagssprache

Denn der von Mona-Marie Hartmann und

ligen Aggressionen geprägte Atmosphäre aus.

übersetzt. Die Bühnenkonstruktion öffnet

Stéphane Laimé auf die Bühne geklotzte ­

Die Jagdgeschichte wird mit einer wie neben-

Lebenswelten. Im Licht der Wohnzimmer­ ­

Wohnbunker samt kalt moderner Einrichtung

bei wirkenden Erzählung von einem miss-

lampen quälen die Menschen einander. Bei

macht zwar optisch etwas für die Volksbühne

glückten Schuss auf einen Hirsch am Ende,

flüchtiger Lektüre mögen viele ihrer ver-

her, wo sich auch Bühnenbilder noch extra in

als sich die ganze Bühne noch einmal öffnet,

knappten Dialoge blutleer klingen. Doch

einer großen Tradition behaupten müssen,

ins Mythische gesteigert. Da hebt die Insze-

­dahinter verbergen sich Schicksale, die das

aber für die Anlage eines Kammerspiels ist

nierung wie ein kleines Wunder aus ihrer quä-

Ensemble tiefenscharf untersucht.

ein solches Setting schwierig. Da wirkt es wie

lerischen Optimierungshölle ab.

Mit geradezu umwerfender Natürlichkeit: Maia Rae Domagala in „MiniMe“ von Kata Wéber in der Regie von Kornél Mundruczó an der Berliner Volksbühne. Foto Thomas Aurin

Mit 16 Schauspielerinnen und Schau-

Für die atmosphärisch-stimmige Live-

spielern, die sich beherzt an Grenzen peit-

Musik sitzt Daniel Freitag wie ein Kinoklavier-

schen, formt das Regieteam die szenischen

spieler mit dezenter Begleitung vor der

Fragmente zu einem berührenden Ganzen.

­Bühne. Aber die hier mit den Mitteln des fil-

Denn Alice Birch, die mit ihrem Erfolgsstück

mischen Kammerspiels, durchbrochen von

„Anatomie eines Suizids“ in der Regie ihrer

Momenten des Horrorthrillers, gebotene Ge-

Weggefährtin Katie Mitchell 2020 beim

schichte scheint arg weit weg von den ver-

Theatertreffen in Berlin aufhorchen ließ, ­

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auftritt

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„Du sollst mit dem Lügen aufhören“, sagt

Als grinsenden Machtmenschen porträtiert

Gerhard zu seiner Frau. Die Kriminalkommis-

Jannek Petri seinen Gastgeber. Knallhart wird

sarin liegt in der Badewanne: „Lügen“, hakt

der Essenlieferant da vom Rad gekickt – eine

sie nach. „Dass Du sagst, alles wird ok.“

Demütigung, die Jannik Süselbeck ausreizt.

­André Wagner und Ute Baggeröhr liefern sich

Als Lehrerin Baby fordert Österberg in dieser

Zimmerschlachten, während ihre Tochter

schrägen Gesellschaft die falschen Ideale der

Marla am harten Alltag der Straße zerbricht.

Menschen heraus, die sich als Stützen der

Schön zeigt Luisa Krause, wie die Sprachlo-

Gesellschaft sehen, und die doch im Drogen-

sigkeit zwischen Eltern und Kindern alles er-

rausch und falschen Idealen versacken.

stickt. Schlagstöcke und Blut prägen den

Nackt und bloß stehen sie in Volker Hinter-

Alltag der Mädchen, auf die Bergmanns

maiers Bühnenraum, der an eine biblische

subtile Regiearbeit den Blick lenkt. Lane ­

Abendmahl-Szenerie erinnert. Dieser spiele­

Schäfer hat die Kostüme bewusst an die Rea-

rische Umgang mit Machtmechanismen in

lität angelehnt. Schuluniformen und graue

Zeiten von Machmissbrauch und #metoo-De-

Anzüge prägen das Bild.

batte bringt das dramatische Potenzial von

Dem stellt sie eine hilflose Staats­

Alice Birch auf den Punkt. Die junge Britin ist

gewalt gegenüber, in der Menschen wie der

eine der starken Stimmen ihrer Zeit, die Wun-

Sozialarbeiter keine Antwort mehr haben.

den in der politischen Kultur offenlegt. Mit

Krampfhaft klammert sich Timo Tank an das

ihrer starken Regiesprache wird Anna Berg-

letzte bisschen Macht, das ihm in der

mann ihrer dramatischen Kunst sehr gerecht. //

schrecklichen neuen Welt des Neoliberalis-

Elisabeth Maier

mus bleibt. Die Gesellschaft, die ihre Risse nur flüchtig kittet, zerstört ihre Kinder. Existenzkämpfe und verräterische Blicke fängt Sebastian Langner mit einem starken Video-

MEMMINGEN

konzept ein. Auf der Leinwand blickt das Publikum da in seelische Abgründe. Das ­ dunkle Sozialdrama löst Musiker Hannes Kein Schürfen an der Oberfläche: Wie Messerstiche rammen die knappen Sätze von Alice Birch Wut und Hass in die Psyche der Figuren. Bayan Layla in „[BLANK]“ von Alice Birch in der Inszenierung von Anna Bergmann am Staatstheater Karlsruhe. Foto Thorsten Wulff

Unerwiderte Liebe

Gwisdek in einer leicht fließenden Partitur auf. Mit ihrer glasklaren Stimme bringt die Opernsängerin Frida Österberg Sehnsüchte ins Spiel. Die Schwedin, die Bergmann fest ins

LANDESTHEATER SCHWABEN: „Natur“ (UA) von Lukas Hammerstein Regie Robert Teufel Bühne und Kostüme Rebekka Zimlich

Karlsruher Ensemble geholt hat, tritt im ersten Teil nur punktuell auf. Trotz der über­ zeugenden Leistung des Ensembles ist das

Auftritt: der Yeti. In der Memminger Urauf-

Sozial­drama im ersten Teil deutlich zu tro-

führung ein weißes Pelzwesen zwischen Eis-

schürft keinesfalls an der Oberfläche. Wie

cken geraten. Das löst Regisseurin Bergmann

bär und Homo sapiens. „Zurück zur Natur!“,

Messerstiche rammen ihre knappen Sätze

im zweiten Teil mit einem Kunstgriff auf, der

zitiert er eine populäre Parole unserer Zeit,

Wut und Hass in die Psyche ihrer Figuren.

die Qualität ihres verblüffenden Regiethea-

um gleich noch eine leicht irritierte Frage hin-

Als Grenzgängerin zwischen Filmdreh-

ters unterstreicht. Da schart sich eine Party-

terherzuschicken: „Wo bitte geht’s da hin?“

buch und Dramatik setzt Birch auf eine Spra-

gesellschaft von Intellektuellen und Neu­

Denn der Wegweiser zeigt ja mindestens zwei

che, deren plakative Verknappung verstört.

reichen um eine reich gedeckte Tafel.

Ziele an: die Natur als Fluchtpunkt mensch­

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auftritt

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licher Sehnsucht nach Ursprünglichkeit; aber die Natur auch als komfortarmer Urzustand, den der Mensch dank zivilisatorischem Fortschritt weit hinter sich gelassen hat. Diese Janusköpfigkeit der Natur verkörpert auch der Yeti: ein Urzeitmensch, unverdorben, aber zugleich ungezähmt, so faszinierend wie furchterregend für uns heutige. Den Weg zurück zur Natur jedenfalls legt der moderne Mensch vorzugsweise im Auto zurück, geschützt vor den Zumutungen von Wind und Wetter. Das parkt er neben unzähligen anderen am Fuße irgendeines Bergs, um sodann mit Menschenmassen Gleichgestimmter Gipfel zu stürmen oder mit dem Snowboard respektive Mountainbike talwärts zu brettern. Für diese Erholungssuche, die einem Eroberungsfeldzug gleicht, rüstet er sich mit Funktionskleidung und allerhand technischem Hilfswerk.

zurücklegen, der feststellen muss, dass der

Lukas Hammersteins „Natur“ ist vor-

Planet (natürlich! – möchte man sagen) am

dergründig eine Satire, die sich genüsslich

einfachsten zu retten wäre, indem der

über

Freizeitverhalten

Mensch sich selber abschafft. Das ist die tra-

Natur-entfremdeter Zivilisationsbürger mo­

gische oder eben auch komische Fallhöhe

kiert. Das allein wäre zwar lustig, als abend-

dieser Komödie.

das

befremdliche

Ironische Fallhöhe: Den Weg zurück zur Natur möchte die Natur am liebsten ohne den Menschen zurücklegen. Regina Vogel (vorne) in der Inszenierung der Komödie „Natur“ von Lukas Hammerstein am Landestheater Schwaben in der Regie von Robert Teufel. Foto Monika Forster

füllendes Stück allerdings auch ein wenig

In der Inszenierung von Robert Teufel

läppisch. Doch Hammerstein dringt erfreu­

wird diese Fallhöhe bildlich. In ganzer Büh-

licherweise tiefer in die Materie ein. Er er-

nenbreite steigt eine gletscherblaue Schräge

zählt von der menschlichen Liebe zur Natur

von der Rampe Richtung Brandmauer steil

ohne jedoch die Figuren über die Klippe zur

als einer unerwiderten. Liebt uns die Natur

an, Kategorie „Schwarze Piste“. Oben lauert

Lächerlichkeit zu schubsen. Den Klima­

zurück? Mit Sicherheit nicht!

der Abgrund, an dem die Figuren des Stücks

wandel leugnet hier übrigens keiner. Im

Die Natur ist eben kein Paradies, sie

schon mal den Sturz aus der Welt proben,

Gegenteil: Die Einsicht, dass er kommt, ist

ist von Natur aus feindselig gegen den Men-

­indem sie schreiend hinunterpurzeln. Zuvor

zum wohl­ feilen Allgemeinplatz geronnen.

schen, der sie sich, um in ihr zu bestehen,

haben sie ihre Umweltsünden gebeichtet: zu

Weshalb alle, die das K-Wort in den Mund

erst untertan machen musste. Das lässt sich

viel geflogen, zu oft Fleisch gegessen, den

nehmen, einen Euro ins Phrasenschwein

die Natur nicht mehr länger gefallen und

Müll nur schlampig getrennt … Derlei

blechen müssen. Das ist der Running Gag

rächt sich mit Naturkatastrophen. Es sind ja

Schuldbekenntnisse reichen ihnen, um sich

dieser Komödie und zugleich deren bitterbö-

nicht nur die Eisbären, denen die Schollen

Absolution zu erteilen.

se Pointe.

unterm Hintern wegtauen, ganze Städte

Eine Seilschaft aus Prototypen hat der

„Natur“ ist alles andere als ein natura-

könnten in nicht allzu ferner Zukunft vom

Autor da versammelt: Politiker, Alpinisten,

listisches Stück. Neben dem Yeti tritt auch

­ansteigenden Meeresspiegel verschluckt wer-

Aktivisten und andere. Dem achtköpfigen

ein Umweltengel auf, und immer wieder for-

den. Den Weg zurück zur Natur möchte die

Memminger Ensemble gelingen dabei scharf

miert sich das Ensemble zu einem Chor der

Natur selbst am liebsten ohne den Menschen

konturierte, überzeichnete Rollenporträts,

Schneekanonen, der in versgebundener Spra-

Studium Schauspiel an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien Ausbildung für Theater und Film | Universität im Eigentum der Stadt Wien

Jetzt bewerben! Anmeldeschluss: 19.6.2022 www.muk.ac.at/schauspiel

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auftritt

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che das Ende der Welt, wie wir sie kannten, beschwört. Regisseur Robert Teufel bringt den Sprachwitz des Textes zum Leuchten, indem er ihn nicht mit einer Lawine von Regieeinfällen zuschüttet. Beispielhaft dafür die präzise Arbeit des Sprechchors, der sich zuletzt auch noch zum Gesang aufschwingt, frei nach dem frühen Umweltschlager von Sängerin Alexandra: „Mein Freund der Berg ist tot!“ Am Berg trifft sich das Stückpersonal übrigens, um einem Felssturz beizuwohnen, den Fachleute als Folge der Erderwärmung vorhergesagt haben. Doch statt sich davon verstören zu lassen, warten hier alle darauf wie auf ein Event. Das Ausmaß, in dem der Mensch die Augen verschließt vor dem Unausweichlichen, nimmt mitunter absurde Züge an. Lukas Hammerstein schreibt mit viel Sinn für diesen Aberwitz. Gerade weil er seine Beobachtungen nicht als moralinsaure Mahnung verpackt hat, ist ihm ein verschärft nachdenklich stimmendes Stück „Natur“ ge-

Finger von den unberechenbaren Germanen zu

lungen. //

lassen, gelesen und benutzt worden ist. Simone Christoph Leibold

Derai und seine Dramaturgin Paola Barbon verschmelzen Fragmente aus „Germania“ mit

Verschifft ins Heute: Simone Thoma als Archäologin in „Germania.Römischer Komplex“ am Theater an der Ruhr Mülheim in der Regie von Simone Derai. Foto F. Goetz

Gedichten und Szenen aus Durs Grünbeins

MÜLHEIM AN DER RUHR Deutsch-italienischer Bruderkrieg am Weserufer THEATER AN DER RUHR: „Germania. Römischer Komplex“ nach Tacitus, Durs Grünbein u. a. Regie/Videoregie Simone Derai Musik und Sounddesign Mauro Martinuz

„Römischer Komplex“ und Lyrik der römischen Dichterin Antonella Anedda und des

bungen öffnen sich zu Höfen voller Assozia­

US-Amerikaners Frank Bidart. Die Zweispra-

tionen und Schreckensbilder. Gloses Stimme

chigkeit der Aufführung und der sanft-geniale

klingt immer gefährlich, wie kurz vor der

Soundtrack von Mauro Martinuz, in den sich

­Explosion – er ist ein Raubtier, das jederzeit

die Stimmen der Schauspieler einmischen,

angreifen kann.

und bei dem selbst die Nebengeräusche der

Ein Knochenfeld wird sichtbar. Eine

Mikrofone und ihrer Stative noch mitspielen,

Archäologin, gespielt von Simone Thoma, sor-

machen aus dem Abend ein eindrucksvolles

tiert und prüft die Ausgrabungsstücke, dann

und spannendes Stück Musik-Theater.

bricht sie zusammen, liegt zwischen den Kno-

Es ist eine minimalistische Inszenie-

chen und weint überwältigt, ringt um Worte.

rung der einfachen und klaren Zeichen: Der

Aber sie ist vorbereitet, zückt ein Taschen-

Römer trägt eine schmucke rote Kette und

tuch, und mit einem Wirbelknochen in der

ein strahlend-orangefarbenes Hemd, der bar-

Hand rekonstruiert sie das Massaker und ver-

barische Germane hat seinen nackten Ober-

schifft uns ins Heute. Es ist eine Topografie

körper mit blaugrüner Farbe bemalt. Marco

des Todes, die sie beschreibt, die irgendwo

Menegoni und Bernhard Glose schildern die

liegen kann – im Hürtgenwald, in der Nor-

für das römische Heer so desaströse Varus-

mandie, in Srebrenica, in den Killing Fields

„Germania. Römischer Komplex“ ist bereits

schlacht aus der Perspektive des Gewinners

von Kambodscha, im Osnabrücker Land.

die zweite Inszenierung des italienischen Re-

und des Verlierers in italienischer und deut-

Nach einer Stunde tritt Roberto Ciulli

gisseurs Simone Derai, dem künstlerischen

scher Sprache, die jeweilige Übersetzung

auf, bis vor Kurzem der künstlerische Leiter

Leiter der in Treviso beheimateten Gruppe

­erscheint als Projektion auf einem mehrflüge-

des von ihm mitbegründeten Theater an der

Anagoor, und unbedingt eine Reise wert. Mo-

ligen Tafelbild. Der Römer steht wie ein Poli-

Ruhr. Er trägt zwei Lorbeerkränze bei sich,

tor des Abends ist der klassische Text des

tiker hinter einem Mikrofon, der Germane

die er wie eine Eintrittskarte abgibt. Notizen

Historikers und römischen Senators Tacitus,

hockt auf dem Boden, ein Wolfsfell im Schoß.

hat er sich gemacht, aber das Blatt Papier

dessen „Germania“ wahlweise als Schmäh-

In diesem perfiden Understatement, das im

faltet er schnell wieder zusammen. Nun hebt

schrift, ethnografische Studie, nationalis­

Übrigen mit der Nüchternheit des Textes

er an wie zu einer Zeugenaussage, wir – die

tisches Pamphlet, Sittenporträt oder Appell

wunderbar korreliert, entfalten ihre Worte

Zuschauer – sind die Geschworenen. Was er

an die römischen Zeitgenossen, besser die

eine phänomenale Wucht, und ihre Beschrei-

berichtet, ist die Geschichte seiner eigenen


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Emigration von Italien nach Deutschland und davon, wie er schließlich anfing auf Deutsch

STUTTGART

zu sprechen, zu fühlen, zu denken, zu träumen: „Und ich tauschte die Identität des ­Italieners, der ich nie war, aus durch den Ger-

Eine Frau im Krieg

manen, der ich unbedingt werden wollte.“ Sein fast zwanzigminütiger Monolog weiß von Vorurteilen und Missverständnissen, vom ­promovierten Spross einer reichen Mailänder Familie, der in Deutschland von ganz unten, als Fabrikarbeiter von vorne anfängt, der sich

SCHAUSPIEL: „Verbrennungen“ von Wajdi Mouawad Regie Burkhard C. Kosminski Bühne Florian Etti Kostüme Ute Lindenberg

hocharbeitet im Tempel der deutschen Kultur, dem deutschen Stadttheater, und reicht bis zur Gründung des eigenen Theaters –

Es gibt eine ganze Reihe möglicher Gründe für

„eine kleine Weltrepublik, in der das Fremd-

das anhaltende Interesse auch deutschspra-

sein kein Makel, sondern eine Qualität ist“.

chiger Bühnen an Wajdi Mouawad, dessen

Der Schauspieler Ciulli trägt all dies mit einer

Erstaufführungen hier, etwa „Verbrennungen“

Dringlichkeit vor, wie ein Zeitzeuge, der wider

(2006) und „Vögel“ (2018), jeweils eine

das Vergessen mahnt. Denn das Schlachtfeld

Nachspielwelle von Berlin bis zur Wiener Burg

des italienischen Gastarbeiters ist die Lohn-

auslösten. Da wäre zunächst der 1968 ge­

tüte, in der zu wenig Geld ist – denkt er. Ein

borene, aus einer maronitischen Familie

Missverständnis: „Brutto“ heißt für ihn „häss­

stammende Autor selbst, dessen Leben und

lich“, und so findet er sich damit ab, als

Schaffen – Kindheit im Libanon, 1976 Flucht

­andersartiger Fremder weniger wert zu sein.

vor dem Bürgerkrieg nach Frankreich und

„Die Kindheit ist ein Messer an der Kehle“: Noah Baraa Meskina und Evgenia Dodina in „Verbrennungen“ von Wajdi Mouawad in der Regie von Burkhard C. Kosminski am Staatstheater Stuttgart.

Die beiden Bluts-Brüder Flavus und

­Kanada – von den Nahost-Konflikten geprägt

Arminius setzen die Lorbeerkränze auf, die ­

ist. Mouawad, seit 2016 Chef des Pariser

Schauspieler „tauschen“ ihre Sprachen, aber

Théâtre de la Colline, vermeidet konsequent

das Ende ist verheerend. Wie zum Trost um-

Schlagwörter wie „Palästinenser, Israelis, Li-

armt die Archäologin am Ende die drei ver-

banesen“. Es geht ihm nicht um Ethnien, Par-

waisten Mikrofone. Das Theater an der Ruhr

teien, Religionen, Schuldzuweisungen. Seine

„Verbrennungen“ nach – in einer neuen, eben-

unter seiner neuen künstlerischen Leitung

Texte wahren eine eher säkulare, universelle

falls viersprachigen Version. Doch die Spra-

durch Helmut Schäfer, Sven Schlötcke und

Perspektive, lassen punktuell sogar aufkläreri-

chenvielfalt, die im „Vögel“-Text vorgegeben

Philipp Preuss geht mit diesem Abend ein

sche Zuversicht aufblitzen. Und nicht zuletzt:

war und sich aus den englisch, hebräisch, ara-

Stück weiter in seiner Metamorphose und er-

Seine aberwitzig konstruierten, fabulierfreu­

bisch und deutsch verorteten Schauplätzen

innert daran, mit welcher Selbstverständlich-

digen Plots stehen sprachlich in einer fran­

ergab, wirkt in „Verbrennungen“ – als Regiezu-

keit die Mülheimer schon seit Langem mit

zösischen Theatertradition, die Diskurs und

tat – weniger verankert, weniger organisch.

bilingualen internationalen Koproduktionen

Boulevard nicht als Gegensatz wahrnimmt.

Foto T + T Fotografie, Toni Suter

Mouawad erzählt hier in rund 40 zeit-

und Schauspielern, die schon immer auch

In jüngster Zeit setzt auch Stuttgart

lich vor und zurück springenden Szenen die

Performer waren, wie es eben die Truffal­

Mouawad-Impulse: 2018 mit „Vögel“, einem

Geschichte von Nawal, einer Frau, hinter de-

dinos, Brighellas und Pantalones es nun ein-

viersprachigen Nahost-Familienepos in der

ren jahrelangem Schweigen sich ein Lebens-

mal sind, an der Spitze der künstlerischen

­Regie von Intendant Burkhard C. Kosminski,

drama verbirgt, das die nun erwachsenen

Avantgarde des Theaters wohnen. //

2021 mit dem Europäischen Drama­ ti­ ker:in­

Kinder Johanna und Simon sukzessive erfor-

nen-Preis an den Autor. Jetzt legt Kosminski

schen. Hintergrund ist, obwohl nie explizit er-

Friederike Felbeck

SCH AU M AL , EIN VOGEL IM FLUG Ein Familienstück von Theo Fransz | Aus dem Niederländischen von Theo Fransz und Petra Fischer | Uraufführung [8 plus] Infos & Karten 0341. 486 60 16 | www.tdjw.de

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auftritt

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wähnt, der 1975 bis 1990 andauernde Bür-

keit später Jahre: ein starkes, unsentimenta-

gerkrieg im Libanon. In den Inszenierungen

les und doch subtil melancholisches Porträt

bis dato, auch in der Verfilmung 2010, war der

eines außergewöhnlichen Frauenlebens. Ein-

Umgang mit geschilderten Kriegserfahrungen

gebettet ist dies in eine respektable Ensem-

eine Art Lackmustest. Kosminski verzichtet

bleleistung mit Paula Skorupas empathischer

auf allzu Spektakuläres. Das Foto eines aus­

Johanna und Elias Krischkes zögerlichem

gebrannten Busses genügt. Der Stuttgarter

­Simon. Mit Ausnahme der stereotypen Fig­ur

­Intendant bleibt seinem behutsamen, unauf-

des lärmenden Gewalt-Junkies Nihan schafft

geregten und textnahen Stil treu. Anfangs ist

es Kosminski, das allmähliche Aufrollen von

die leere, abstrakte Bühne noch weiß, am

Nawals Leben auch als Erkenntnis- und Iden-

Ende aber sieht der Boden wie ein aufgerisse-

titätssuche der Folgegeneration zu zeigen.

nes Trümmerfeld aus – Sinnbild für den Aufde-

Wobei er die aufklärerischen Lichter – Nawal

ckungsprozess, in dessen Verlauf Johanna und

lehrte ihre Freundin Lesen und Schreiben –

Simon peu à peu eine endlose, verstörende

eher dämpft als verklärt. Dennoch lässt die

Kette von Gewalt ans Licht bringen. Die Tren-

Regie inmitten von Krieg und Terror ermuti-

Aus einem nächtlichen Häuserblock heraus

nung von Opfern und Tätern wird zunehmend

gende Bilder aufscheinen, die von subver­

strahlt das Licht eines einzigen Fensters.

unscharf, nie jedoch ganz verwischt.

WIESBADEN Der Schlächter von Big Cherry HESSISCHES STAATSTHEATER: „The Minutes – Die Schlacht am Mackie Creek“ von Tracy Letts Regie/Bühne Daniela Kerck Kostüme Hannah König

sivem Witz und von einer Befreiung aus der

­Davor legt sich Regen wie ein Schleier über

Dass Johanna und Simon beim Rück-

Gewaltspirale künden – frei nach Nawals

die Szenerie. Obgleich dieses Bild lediglich

wärts-Recherchieren neben den Traumata, den

­Credo: Nicht den Zorn als Erbe hinterlassen.

die Hintergrundkulisse in der deutschspra­

„Verbrennungen“ und der Vergewaltigung ihrer

Skeptisch-versöhnliche Ambivalenz dann im

chigen Erstaufführung von Tracy Letts’ „The

Mutter Nawal auch die fatalen Umstände der

Schlussbild: die Geschwister beim Essen im

Minutes – Die Schlacht am Mackie Creek“ am

eigenen Herkunft entdecken, entwickelt Kos-

Garten. Die tote Mutter, nun keine Leerstelle

Hessischen Staatstheater bildet, hat es eine

minski mit ruhiger Hand, knapp, schlaglicht­

mehr in der Erinnerung, schaut lächelnd zu.

nicht zu unterschätzende Symbolkraft: Es

artig – umso beklemmender. Striche bei wort­

Es regnet. //

Otto Paul Burkhardt

verdeutlicht den schweren Stand der Wahr-

reichen Exkursen steigern die Wucht der

heit inmitten einer Welt, in der man allzu

Kernsätze: „Die Kindheit ist ein Messer in der

­vieles gern im Dunkeln versteckt hält.

vom ersten Verliebtsein über Ausbrüche aus

Ein gleißendes Schlaglicht auf unseren widersprüchlichen Umgang mit politischer Korrektheit und aufrichtiger Erinnerungs­ kultur wirft der Text der tragi­schen Schmierenkomödie: „The Minutes – Die Schlacht am Mackie Creek“ von Tracy Letts in der Inszenierung von Daniela Kerck am Staatstheater Wiesbaden.

archaischen Zwängen bis hin zur Sprachlosig-

Foto Karl und Monika Forster

Kehle. Man zieht es nicht so leicht heraus.“ So entsteht eher leises Schauspielertheater, ein Ineinander von Menschheits- und Familiendrama, antiker Ödipus-Tragödie und Thriller-Suspense. Evgenia Dodina spielt Nawal, die Mutter, in vielen Lebensstadien –

So wäre es auch der Gemeinde­ versammlung der Kleinstadt „Big Cherry“ am liebsten, die zu Beginn der Aufführung, arrangiert von Daniela Kerck, zunächst noch durchaus heiter zusammentritt. Die Devise der in einem staatstragend anmutenden Plenum zusammentretenden Repräsentan­ ten (u. a. Lena Hilsdorf, Christoph Kohl­


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7. 3. – 10. 3. 22

4 Tage Digitalität im Theater – vor Ort und online Tickets + Infos: theaterchur.ch bacher, Tobias Lutze und Benjamin Krämer-

Schlächter. Fakten hin oder her – soll man

keit aufzeigen. Zum Zynismus des Dramas

Jenster): Business as usual – gäbe es da

sie nun, so der Streitpunkt, öffentlich

gehört schlussendlich, dass niemand den

nicht das neue Mitglied Mr. Peel (Lukas

machen und dadurch das wohlbehagliche ­

Weg der Aufarbeitung einschlägt. Zurück

Schrenk), der beharrlich ungemütliche Fra­

Dasein der Ortsbewohner aus der Spur

bleibt daher eine verschworene Gemein-

gen stellt. Vornehmlich jene, warum das

­werfen?

schaft, die – in Verkehrung des Postulats

Protokoll der letzten Sitzung, an der er

Dass Kerck diese tragische Schmie-

nicht teilnehmen konnte, verschwunden

renkomödie über eine korrumpierte und von

sei, treibt ihn an. Um ihn von seinem Insis-

Geschichtsklitterung geprägte Gesellschaft

Man mag diesem Abend seine Scharf-

tieren abzulenken, verweist Bürgermeister

ohne nennenswerte Regiefinessen auf die

züngigkeit, seinen Witz, seine Ironie und

Superba (Jürg Wisbach) auf die Agenda.

Bühne bringt, mag wohl auf das Ansinnen

allen voran seine Aktualität zugutehalten. ­

Neben der Ausrichtung des Stadtfestes dis-

zurückzuführen sein, insbesondere dem Text

Auch kann man gegenüber den stellen­

kutieren die Räte mitunter auch den barrie-

mit seinen gleichnishaften Zügen Raum zu

weisen Längen und den etwas zu klischier-

refreien Neubau eines Springbrunnens mit

geben, wirft er doch nicht zuletzt ein glei-

ten Figuren Nachsicht üben. Enttäuschend

dem Helden der Stadt, Sergeant Otto Pym.

ßendes Schlaglicht auf unseren in Teilen

mutet hingegen die fehlende Handschrift

Während die offizielle Geschichtsschrei-

widersprüchlichen Umgang mit politischer ­

der Regie an, die sich zu sehr auf den Dia­

bung ihn als Retter und Beschützer der Ge-

Korrektheit und aufrichtiger Erinnerungs­

logen ausruht und kaum zündende, schlag-

meinde gegenüber blutrünstigen Indigenen

kultur. Wie viel Ehrlichkeit verträgt eine Be-

kräftige Bilder findet. Nichtsdestotrotz lohnt

feiert, sieht die lange verschleierte Realität

völkerung? Auf wie viel Verdrängung gründet

der Besuch, da allein der Text jenes Phäno-

indessen anders aus. Nachdem Peels Nach-

sie ihr Selbstverständnis und ihre Moral?

men anschaulich diskutiert, das Slavoj Žižek

drücklichkeit doch noch einen Rückblick

Lediglich kurze Stromausfälle, begleitet von

unter dem Begriff „Postdemokratie“ ver­

auf die vergangene Sitzung erwirkt, wird

einem elektrischen Flackergeräusch, die den

handelt, nämlich eine in ihrer diskursiven

erkennbar, dass darin erstmals durch ein ­

mehrfachen Übergang zwischen der gegen-

Müdigkeit vollends erlahmende, bräsige,

nunmehr

Gremiumsmit-

wärtigen und vergangenen Sitzung einleiten,

dekadente Gesellschaft. Neben der Unter­

glied die Tatsachen über den vermeint­

vermitteln auf Ebene der Inszenierung, dass

haltung bezieht dieser Abend seine Legi­

lichen Helden zutage gefördert wurden.

es in diesem Gemeinwesen so manche Stö-

timation deswegen vor allem aus der Mah-

Demnach entlarvt sich der Verteidiger west-

rung gibt. Anfangs als Idealist angetreten,

nung – zur Wachsamkeit und zur Haltung. //

licher

wird Peel sie am Ende nicht der Öffentlich-

Björn Hayer

marginalisiertes

Werte

als

übler,

rassistischer

Adornos – das gute Leben im falschen hinnimmt.

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Abo-Vorteile Als Abonnent von Theater der Zeit kommen Sie in den Genuss zahlreicher Vorteile. Sie erhalten:

Lars Werner „Feinstoff“

Zeitschrift für Theater und Politik

Renate Klett über She She Pop / Friedrich Dieckmann über Stefan Herheims „Ring“ / Nachruf Dieter Mann Corona-Krise der kleinen Theater / Kunstinsert Solvej Helweg Ovesen / Werner Fritsch: Achternbusch

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März 2022 • Heft Nr. 3

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Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede

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auftritt

TdZ März   März 2022 / TdZ Januar 2018 2020///

CHANGES

Berliner Festspiele 2012–2021

Herausgegeben von Thomas Oberender

Formate Digitalkultur Identitätspolitik Immersion Nachhaltigkeit

Buchverlag Neuerscheinungen

Dieser Reader ist die Selbstanalyse einer Institution und ihres Pro­ gramms, und er ist gleichzeitig der Versuch, ästhetische und poli­tische Ereignisse, wie Botho Strauß es nannte, zusammenzudenken. Im Brennglas eines Jahrzehnts werden wesentliche Wandlungen in der Organisation von Festivals, Ausstellungen, Aufführungen und Diskursveranstaltungen entlang von fünf Leitbegriffen reflektiert: Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion und Nachhaltigkeit.

CHANGES Berliner Festspiele 2012 – 2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit Herausgegeben von Thomas Oberender

Hybrides Theater basiert auf digitalen Technologien, die physische und virtuelle Räume zeitgleich adressieren. Wie ein Ethnologe sammelt und studiert der Performer Arne Vogelgesang die unterschiedlichsten Netz-Communitys und -Phänomene und erschafft aus diesem thea­ tralischen und politischen Material hybride Theaterformate. In drei Gesprächen mit Thomas Oberender, dessen experimentelle Arbeit als Kurator und Vordenker neuer Formate sich stark mit neuen Raumkonzepten verbindet, diskutieren beide die Auswirkungen des Platt­ formkapitalismus auf die Kunstproduktion sowie alternative Konzepte von Authentizität, Skript, Figur und politischer Aktion. Thomas Oberender, Arne Vogelgesang Hybridtheater Neue Bühnen für Körper, Politik und virtuelle Gemeinschaften – Drei Gespräche

Paperback mit 520 Seiten ISBN 978-3-95749-­398-­9 (deutschsprachige Ausgabe) ISBN 978-3-95749-411-5 (English edition) EUR 24,00 (print) / EUR 19,99 (digital)

Paperback mit 204 Seiten EUR 20,00 (print) / EUR 16.99 (digital) ISBN 978-3-95749-403-0

Die Grand Opéra des 19. Jahrhunderts stellt sich als ein Vexierbild dar. Auf den ersten Blick zeigt sie sich als Vergnügungsapparat zur Erzeugung visueller und emotionaler Sensationen. In dieses Bild aber schreiben sich die Züge eines Seismografen ein, der die gesellschaftlichen Erschütterungen im Zeitalter der Revolutionen präzise verzeichnet. Das Buch untersucht die Szene der Grand Opéra und geht den Spuren ihres Nachlebens in Inszenierungen und Werken des zeitgenössischen Musiktheaters nach. Mit Gastbeiträgen von Merle Fahrholz, Anselm Gerhard und Klaus Zehelein.

Dieses Buch beleuchtet eine Produktionsstruktur für darstellende Künste in der Schweiz. Im Sommer 2022 kommt es im Theater Marie zu einem Leitungswechsel. Zehn Jahre haben Patric Bachmann und Olivier Keller das Kompetenzzentrum für Theaterproduktion im Kanton Aargau/Schweiz geleitet. Es sind rund 30 Produktionen entstanden, die an bis zu 90 unterschiedlichen Spielorten gezeigt wurden. Die Junge Marie wurde aus der Taufe gehoben und ist mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil des Theater Marie. Und das personelle und institutionelle Netzwerk ums Theater Marie ist um unzählige Fäden reicher und dichter geworden.

RECHERCHEN 161 Günther Heeg Fremde Leidenschaften Oper Das Theater der Wiederholung I Paperback mit 218 Seiten ISBN 978-3-95749-369-9 EUR 18,00 (print) / EUR 14,99 (digital)

Buchpremiere am 2. März 2022, Theater Marie, Aarau Ohne festen Wohnsitz Theater Marie 2012–2022 Herausgegeben von Patric Bachmann, Olivier Keller und Sophie Witt Paperback mit 128 Seiten ISBN 978-3-95749-404-7 EUR 22,00 (print) / EUR 17,99 (digital)

Erhältlich in der Einar & Bert Theaterbuchhandlung oder portofrei unter www.theaterderzeit.de

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stück

Lars Werner

Feinstoff Vier Versuche mit Seide Zeit: 1943, 1776-1786, 1986, 2154 Orte: Cottbus, Preußischer Königshof in Berlin, Kirche in Laki (Island) PERSONAL:

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M), 2. Teil Documenta Regular (Standardfont Reclam), 3. Teil Maxima (von G. Wunderlich, meist verwendete Schriftart der DDR), 4.Teil Courier New (Standard Drehbuch), Helvetica ist bei Passagen verwendet, die keine eindeutige zeitliche Zuschreibung haben

STADTPLANER Du hast das Stück zu lesen begonnen. Oder: Du hast eine Eintrittskarte gekauft

STADTPLANER Deine Hände haben die erste Seite umgeschlagen. Oder: Du hast dich in den Saal gesetzt.

der Stadtplanerin allen Zeiten 1776–1786: Charlotte – Waise und Autorin Friedrich II – Herrscher von Preußen Waisenhausleiterin Chor der Waisen 1943: Petr – sorbischer Lehrer Maren – sorbische Schülerin Direktor Chor der Schüler / Soldaten 1986: Pauline Schmitz Benny Marek Chor der inoffiziellen Mitarbeiter 2154: Millie – junge Person Tua – junge Person Sal – junge Person Chor der Seidenspinner Personen im Stück im Stück „Morus Alba“: Friedrich II Kammerdiener Josef Passagen des Stückes „Morus Alba“ sind z.T. entnommen u. abgewandelt aus „Die zwei Emilien“ von Charlotte von Stein, 1805 Danksagungen Vorliegender Text wäre nicht möglich gewesen ohne die Gespräche, das Lesen und Feedback von und mit: Deborah Jeromin (freischaffende Künstlerin, Dokumentarfilmerin, Film Verwundene Fäden über den Nationalsozialistischen Seidenanbau), Steffen Krestin (Museumsleiter, Museum Cottbus), Dr. Peter Schurmann (Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Sorbisches Institut Cottbus), Winfried Werner (mein Großvater, ehemaliger Abteilungsleiter der Pentacon-Kamerawerke der DDR), Dr. Christian Halbrock (Dr. phil. Christian Halbrock, Bundesarchiv Stasi-Unterlagen-Archiv, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung, ehemaliges Mitglied der DDR-Umweltbewegung), Thu Hoài Tran (Regisseur:in, Institut für Affirmative Sabotage), Ana Edroso Stroebe (Dramaturgin), Rafael Ossami Saidy (Regisseur), Fabian Gerhardt (Regisseur), Mariann Yar (Schauspielerin), Dana Liu (Dramaturgin), Uta Bierbaum (Autorin), Daniela Janjic (Autorin), Anno Bechte (Lektor, Verleger) Hinweis: 1. Teil in Garamond Antique (Vgl. Spectaculum, 1962, Suhrkamp Verlag Frankfurt /

STADTPLANER Fühl das Papier zwischen den Fingern. Oder: Streiche das Stoffpolster des Sitzes entlang. STADTPLANER Fühle, wie weich es ist. STADTPLANER Es ist aus Seide. STADTPLANER Fühle ihre fließende Glätte. Oder: Spüre die leichte Kühle des Stoffes. STADTPLANER Jetzt schlage noch eine Seide weiter Oder: Jetzt schau auf die Bühne STADTPLANER Das ist Cottbus. STADTPLANER Es ist das Jahr 1776. STADTPLANER Halt. Mein Fehler. Wir beginnen anders. STADTPLANER Es ist das Jahr 1943.

1. Zweiter Versuch mit Seide (1943) 1.1 Das Gymnasium im Cottbus nach Schulschluss. Petr allein. PETR Was war das? Dieses Geräusch? Dieses Knirschen. Quietschen. Altes Haus? Schweres Metalltor, das sich schreiend öffnet? Atmen nachts die Dielen aus, oder betritt da ein schwerer Stiefel die Aula? Ist es so kalt, wegen des Winters, oder weil eisblaue Augen nach mir schauen? Soll ich schauen? Hinter meiner Wand hervorkommen? Nur ein bisschen. Nur ein kleiner Blick in die leere Schule. Dass ich weiß, da ist nichts. Aber was ist, wenn doch; schwerer Stiefel, kalter Blick mir begegnen, zuerst der Blick dann die

Stiefel – Boden, Winter, langer Winter, bald zehn Jahre schon. Beruhig dich, Petr. Wie beruhigst du dich sonst. Flüstere deine Worte in die Wände. Flüstert: Lubosć Flüstert: Pokoj Flüstert: Spanje Nochmal. Er flüstert alles nochmal. Dann ertönt wieder ein Geräusch. Nein, diesmal ist es echt! Tiefer in die Wand, Petr. Beeile dich.

1.2 STADTPLANER Was bisher geschah? Nun wenn wir hier auf diese Karte einmal schauen wollen, sind da zuallererst keine Landesgrenzen zwischen diesen ehemaligen Kleinstkönigreichen mehr. Ein Einig Vaterland mit Preußisch als Staatsräson wurde angetrieben von frisch entdecktem Druck von Dampf aus der Kraft von Kohle kaum aufzuhalten und damit natürlich unabwendbar in den Wettbewerb, ach, was soll’s, in die Schützengräben mit allen anderen geschlittert. UND DANN ist dieses Einige Land auf den gasverseuchten Schlachtenfeldern weil Nationalismus eben ein recht einseitiges Reiseunternehmen ist. UND DANN wurde was an stolzem Hochmuth durch mangelnde Landesgrenzen geboren ward aufs Derbste kleingemacht. UND DANN: Kostete das Brot etwa, nun, grob geschätzt 100 Millionen Mark und Millionen sind arbeitslos. ABER DA kommen wir doch raus etwas planlos aber mit gerechten Wahlen und guten Reden bauen wir neue Straßen in – nehmen wir zum Beispiel Cottbus dass in die Stadt mehr Fabriken passen. Mehr Arbeiter in die Häuser und Hinterhäuser und Hinterhinterhäuser daneben so viele auf einem Zimmer, so viele in der Stadt, es ist so voll, nur für Probleme ist noch Platz. ALSO NUN als Folge all dessen als Folge der Einheit als Folge der Größe der Kriege als Folge der verlorenen Schlachten der verlorenen Gelder und Länder als Folge des teuren Brots als Folge all der vertanen und dummen und herrschsüchtigen und all der anderen Pläne kommt eine Partei aus dem deutschen nicht sehr weit unter der Oberfläche liegenden Bewusstsein gekrochen und zeigt mit den Fingern auf Juden, zeigt mit den Fingern auf Sorben, Russen, Engländer, Schwule und Sozialisten zeigt vor allem weit weg von sich mit weit gestrecktem Arm in all die Länder –


lars werner_feinstoff

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MAREN leise: Herr Szczepański! Nicht erschrecken. Ich bin’s. Wo sind Sie?

mir soll’s recht sein, als Stadtplaner habe ich überall zu tun – Und nun – will ich sehen, wie meine Planung in Handlung übergeht. Schüler, was liegt an. CHOR DER SCHÜLER Wir wachsen, denn es sind Zeiten gekommen. Sie kamen mit Dampf, dann kamen sie mit Gewehren, Kanonen, Bomben, Einheit, Einheit, Einheit, Feuer, Giftgas, Schlachten – Ende. Ruhe. Aufteilung. Aber jetzt neues Wachsen. Wir wachsen. Das ewige, industrielle Diktat. Was atmen will, muss größer werden. Größer. Unsere Schuhe sie sind bald zu klein. Also rein in die nächste Größe, in die Schuluniform und in der Schule überall ein Bild von einem Mann der genormt wie ein Lineal in den Himmel schaut und seine oder eine Stimme schnarrt durch die Gänge, dass wir auch in diesen Himmel schauen sollen, denn von dort oben fallen unsere Krieger deutsche Freiheit zu verteidigen, fallen sie, wenn wir nicht helfen, ohne Schirm. Und diese Schirme machen wir. Für die deutsche Freiheit, die wir an allen Fronten suchen, sollen nun Morus Alba – Maulbeerbäume gepflanzt, Seidenraupen mit den Blättern gefüttert, ihre Kokons geerntet, diese Kokons gekocht und dann die Fäden sauber abgewickelt werden. Viele Fäden werden ein Schirm, der Flügel des deutschen Helden.

www.hellerau.org

1.3 Maren betritt die leere Aula. Läuft die Wände entlang, suchend.

PETR dumpf durch die Wände: Hier wie immer. Tagsüber, wenn die Schüler lärmen, will ich, dass sie einstürzt, die schützende Wand, dass ich plötzlich, weiß vom Staub, vor meinen alten Schülern stehe, wie ein Gespenst und wie ein Gespenst werden sie mich respektieren und fürchten und dann kann der Unterricht beginnen. Aber nachts da will ich diese Wände um mich wickeln, dass sie mich wie viele Schichten umhüllen.

MAREN Ich bringe Ihnen Ihr Brot, Herr Szczepański. Mit Grüßen meiner Eltern. PETR kommt langsam hinter der Wand hervor: Gutes Kind. Warum tut ihr das alles für mich? MAREN Sie wissen warum. PETR Sag deinen Eltern, dass sie sich keine bessere Tochter wünschen konnten. Sag es besonders deinem Vater. Pause. PETR isst: Lassen Sie euch noch die Seidenraupen züchten? MAREN nickt: Wir sammeln die Blätter von den Maulbeerbäumen und werfen sie auf die kleinen windenden Körper der Raupen. Aber – PETR Es reicht nicht. MAREN Es reicht nie. Und jeden Tag kommen sie in ihren Uniformen. Ein Mal am Tag da kommen sie und beugen sich in ihren Mänteln, die wie lange Schatten sind, über unsere Arbeit und sie müssen

Dance Company

MAREN Werde ich in Gefahr kommen für das hier? Pause.

MAREN Er fragt nur immer, ob jemand weiß, wohin sie „verreisen“ wollten. Herr Szczepański, warum mussten Sie ausgerechnet dieses Stück zur Lektüre in den Unterricht bringen? Sie hätten doch wissen müssen, dass es Sie in Schwierigkeiten bringt.

PETR Wie ein Kokon, Maren. Wie ein Kokon.

Ballettabend Dresden Frankfurt

PETR Glaub ihnen das nicht, Maren.

PETR Ich weiß es nicht. Hat der Direktor einen Verdacht?

MAREN Wie ein Kokon.

02.–06.03.2022

gar nichts sagen. Es reicht nicht. Das wissen wir. Die Bäume gedeihen nicht, die Raupen haben zu wenig zu fressen. Und je weniger sie fressen, umso mehr Deutsche Soldaten fallen ohne Schutz vom Himmel. Und mit ihnen fällt unsere Freiheit.

PETR Morus Alba? Es ist so unbekannt, es steht noch nicht einmal auf ihren Listen. Das ist nicht der Grund, dass ich in die Wand musste. Pause. Kannst du noch den Einstiegsmonolog? MAREN „Sehet Volk, mein Gewand, wie es fließt und fließt und glänzt. Es verhüllet mich gerade so, dass ich spüre, wie zwischen mir und der Welt eine Grenze wächst. Nicht anders ist mein Titel, ein feines Wort, mich doch aber ganz empor zu den Göttern führend. Und beydes ist von euch gemacht – “ PETR Und weißt du noch, was es bedeutet? MAREN Wenn die Beherrschten erkennen, dass die Mächtigen sie mehr brauchen als andersherum, dann ist das der erste Schritt heraus aus ihrer Unmündigkeit. PETR Und zu Charlotte Neubers Zeiten verfügte die Macht, dass man ihr Seide liefert. Heute will sie dasselbe.

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MAREN „Die ehrenwerten Waffenmeister Preußens übten sich manche Stund’ an den Webstühlen mit den feinsten Seiden. Doch egal, wie sorgsam sie die Seide webten, es kam immer Stahl dabei heraus.“ PETR Das ist aus Akt 3! Hast du das Stück weitergelesen? Hast du etwa eine Exemplar zuhaus?

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DIREKTOR Wie machen sich die kleinen Biester? MAREN Gar nicht schlecht. Aber Mehr Blätter wären gut. DIREKTOR Unbedingt unbedingt. Und wie geht es Herrn Szczepański? Pause.

MAREN Ich habe ein wenig abgeschrieben von dem Buch, das bei Ihnen auf dem Lehrerpult lag. PETR Du musst diese Aufzeichnung schnell vernichten. MAREN Aber – PETR Nichts aber, noch heute Nacht. Geh nach Hause und verbrenn die Blätter.

MAREN Verzeihung? DIREKTOR War er nicht auch ein guter Freund Ihres Vaters? Ich dachte Sie, als seine beste Schülerin und noch dazu Sorbin, wie er, wüssten vielleicht – MAREN Sie haben ihn doch „beurlaubt“? Ich dachte also, er – ist im „Urlaub“. Pause.

MAREN Brauchen Sie noch etwas? PETR Ich komme zurecht. Bis morgen. Sie geht. Petr verschwindet in der Wand. Chor der Schüler tritt auf.

1.4 CHOR DER SCHÜLER Wir wachsen. Sagen Sie. Wir wachsen. Unter unseren Händen wachsen Maulbeerbäume. Wir pflücken die Blätter. Es ist ein Spiel. Wir spielen Ernte. Wir bringen die Ernte unseren Raupen. Kleine, knotige, agile Wesen. Sie liefern die Seide, die unsere Helden am Himmel hält. Zuerst machen wir die Seide, dann hält sie die Helden, bis wir irgendwann die sind, die vom Himmel fallen. Das ewige, industrielle Diktat. Der Aufsatz, den wir mit unseren Körpern schreiben sollen. Bis man uns, wie man eines Tages sagen wird, von uns befreit. Dann werden wir uns schlecht erinnern. An die Arbeit unserer Hände an das Ziel unseres Flugs.

DIREKTOR Nun werden Sie mal nicht vorlaut, Fräulein. MAREN Bitte um Verzeihung, Herr Direktor. DIREKTOR Sie wollen sicher hier wohnen bleiben, oder? Mit Ihrer Familie? Pause. Wenn Ihnen also noch etwas einfällt – MAREN Ich muss jetzt zu den Raupen, Herr Direktor.

PETR stürzt aus der Mauer: Maren! Danke, wie gut, dass du kommst. Ich hatte gerade den Eindruck, dass die Wand immer kälter würden, nicht nur die Temperatur. Sondern dass sie gewissermaßen auch meinem bisherigen Leben das Blut aus den Knochen zieht. Es verwirkt wirken lässt. Pause. Was ist? Du schaust so – MAREN Ich habe heute mit dem Direktor gesprochen. PETR Ich weiß, ich war zum Zeitpunkt in der Wand im Schulflur auf dem Weg zum – nun ja – MAREN Was meinte er mit, ob ich gern hier wohnen bleiben will? Pause. PETR Die Gauleitung verteilt die übrigen Sorben überall im Reich. Damit sich unsere Kultur verläuft. Damit wir nicht paktieren. MAREN Was haben sie gegen uns? Zuerst haben sie doch noch – ich erinnere mich noch, dass sie uns in unseren Trachten auf Fotos wollten – PETR Ach Kind. Vor zwanzig Jahren noch hätte ich dir Sorbisch hier in diesem Gebäude beibringen können. Aber seit die Deutschen eine Einheit sind, ist alles doppelt schlimm, was anders ist.

DIREKTOR Natürlich. Wie weit sind die Kokons?

MAREN Ja, aber – ein paar unserer Lehrer waren doch sogar in der Partei.

MAREN Morgen sollen sie gekocht werden, sonst schlüpfen die Raupen.

PETR Wir alle sind unrettbar mit der Zeit verwoben, in der wir leben.

DIREKTOR Dann spute dich.

Pause.

Maren geht davon. Der Direktor wendet sich auch ab. Bleibt vor der Wand kurz irritiert stehen, lauscht eine Sekunde, dann schüttelt er den Kopf und geht.

1.6 Der Tag geht zu Ende, es wird dunkel in der Schule.

MAREN Ah, fast hätte ich es vergessen. Hier, schauen Sie. PETR Was ist? Das ist Morus Alba! Und so – wie viel hast du abgeschrieben? Wie gut, dass du es nicht verbrannt hast. Willst du mit mir lesen? Die Stelle mit dem Feuer. Du liest den Josef und ich –

DIREKTOR Fräulein Menzel, auf ein Wort.

PETR Jetzt wird es wieder still im Haus. Der letzte Mensch hat es verlassen, selbst die Ratten schlafen unter der Speisekammer. Und ich bin hier so allein, wie man es sein kann. Eingesperrt in einer Wand. Mit einem Kissen, einer Decke. Habe eine Kerze, etwas Brot. Habe vor mir erhellte fünfzig Zentimeter, dann wird es dunkler, wird es eng. Mein Kokon aus Beton und Putz, eine Welt so weit, wie Kerzenschein.

MAREN als Friedrich: Gekrabbel, Flügelschlagen, wie ist mir, als würden Winde aus kleinem Flug mir sengend heiß einen Draht um die Kehle legen, helft, helft eurem König, ein Traum erwürgt ihn!

MAREN Herr Direktor?

MAREN Hallo, ich bin’s –

PETR als Kammerdiener: Exzellenz, Ihr riefet, was muss ich sehen, bleich

1.5 In den Gängen des Gymnasiums. Der Direktor holt Maren ein.

MAREN Den Kammerdiener? Ich würde lieber den Friedrich lesen.


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liegt das sonst so lebendige Gesicht, tiefe Furchen, wo sonst Lachfalten sind.

PETR Haha. Sehr richtig. Pause. Warte. Das ist es.

MAREN als Friedrich: Wie viel Tonnen, Josef, wie viel Tonnen Seide haben sie uns heut beschafft.

MAREN Was?

PETR als Kammerdiener: 6 Tonnen, Exzellenz.

PETR Komm, wir müssen in den Seidenkeller. Sie rennen ab.

MAREN als Friedrich: Geschwind, ruf er die Kutscher, sie mögen uns drei, ach was, Millionen der stärksten Gäule vor die Räder spannen –

Es wird Tag. Der Direktor tritt auf.

PETR als Kammerdiener: Mir ist, als höre ich von der Ferne her Getöse, wie als würden Welten bersten.

DIREKTOR schreit auf Wo sind sie! Oh, wenn ich das rausfinde, es wird ein schlimmer Sturm. Maren!

MAREN als Friedrich: Schneller, peitsch er die Pferde, dass sie fliegen.

MAREN tritt auf: Herr Direktor?

PETR als Kammerdiener: Wir treffen ein, Exzellenz, aber –

DIREKTOR Wie oft habe ich dir gesagt, dass du den Führer heilen musst.

MAREN als Friedrich: – wo das Lager ist – blecken Flammen. Die – PETR als Kammerdiener: Seide, sie brennt.

1.7

MAREN Sie schienen mir gerade in schlimmerer Not.

Maren ist verlegen. PETR Nun sag. MAREN Es ist, als die erste Lieferung der Seide kommt, da – PETR Badet er nackt in den wallenden Stoffbahnen und fordert seinen Kammerdiener auf, es ihm gleichzutun. Ja, die Stelle ist gut. Der preußische Übervater, angetan von Männern. Eine verschwiegene Seite der Geschichte. Etwas, das nicht passt, wird verdrängt. Aber nichts wird je ganz vergessen. MAREN Und Sie glauben nicht, dass man Sie dafür der Schule verwiesen hat? Dass wir Sie deswegen verstecken? Das war doch abzusehen, wenn sie uns Schüler sowas lesen lassen. PETR Es ist nicht nur mein Unterricht gerade. 1935 hab ich deinem Vater noch den Dienst getan, und dir heimlich sorbisch beigebracht. Erinnerst du dich? Der Direktor tut es. Es ist ihm eine späte Rache jetzt. MAREN Direktor jo swinja.

1.9 Es klingelt zur Pause, der Schulflur füllt sich mit Jugendlichen. Sie rennen durcheinander, schwatzen, rufen. Es klingelt zum Unterricht und sie rennen wieder in ihre Klassenzimmer. Nur Maren, bis dahin ungesehen in der Menge, bleibt einzeln zurück. MAREN Herr Szczepański! PETR Es ist bald so weit, Maren. Sie nagen sich schon durch die Kokons. Ich höre ganz leise das Rascheln von Flügeln, die sich in der Luft behaupten wollen. MAREN Ich wollte mich nur verabschieden. Wir werden umgesiedelt. Man hat bei meinen Eltern ein Sorbisches Wörter­buch gefunden und mein Vater hat doch früher den Verein geleitet, da wollte der Leutnant kein Risiko eingehen. Man schickt uns nach Thüringen. Pause.

DIREKTOR Du vorlaute Göre. Du steckst dahinter.

Pause. PETR Danke. Diese Stelle tröstet mich immer. Friedrichs Traum von der brennenden Seide, Sinnbild des Untergangs seiner Macht – was ist deine Lieblingsstelle?

Flüstert: Pokoj Flüstert: Spanje

MAREN Hinter was? DIREKTOR Wo sind sie? MAREN Wovon sprechen Sie, Herr Direktor. DIREKTOR Hm hm. Du verneinst es? Ich schicke dir einen Stoßtrupp SS nach Hause, dass deine Eltern vor Schreck Deutsch lernen, Sorbenkind. Ein letztes Mal: Wo sind die Kokons? Heute ist Kochtag, also müssen sie ins Kochbad, sonst ist es zu spät. MAREN Aber ich weiß doch nix, Herr Direktor. DIREKTOR Wir werden sehen. Er eilt davon. 1.8 PETR in der Wand: Nun bin ich wieder vom Geist zum Lehrer zurückverwandelt. Und halte meine schützende Hand, über Tausende Kokons, hier in meiner Wand. Ein lebendiger Dämmstoff, weiche, weiße Knäuel. Im Kerzenlicht kann man darin die kleinen Körper sehen, wie sie sich bewegen, wachsen. Hier haben sie es genügend warm für die letzten Stunden. Höre ich da schon etwas? Höre ich schon, wie kleinste Zähne sich durch die Hülle beißen? Geduldet euch noch ein wenig. Ihr habt die ganze Nacht für eure Geburt. Ich spreche euch meine Worte zu, dass ihr statt Licht einen Laut habt, dem ihr ins Freie folgen könnt. Flüstert: Lubosć

PETR Es tut mir leid, mein Kind. Pause. Ich kann es nicht gutmachen. MAREN Vielleicht ist es besser? Was eben noch Klassen­ kamerad, steckt jetzt in Uniform und rennt mir in die Wohnung. Das ist doch kein Zuhause, wo in den Schatten alte Freunde auf dich lauern. PETR Ich – hoffe es wird gut für euch. MAREN Bitte. Seien Sie nicht traurig. Ich bin stolz, dass wir ihnen wenigstens ein bisschen die Flügel gekappt haben. PETR Ja – du hast Recht. Es ist wenig, aber es ist gut. Kurze Pause. Lebewohl. Maren geht. Die Schulklingel klingelt.

1.10 Der Chor der Schüler tritt auf. CHOR DER SCHÜLER/ SOLDATEN Wir sind gewachsen, gewachsen, bis unsere Hände um Waffenläufe passen. Wir haben gehorcht, unseren Lehrern und dem Führer, unseren Leutnants und Offizieren und wir salutieren und wir marschieren und auf unseren Rücken falsche Flügel, damit wir vom Himmel fallen können, einfallen, einfallen wollen wir mit falschem Flügel vom armen Tier.

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Das kleine Wesen gewachsen für die große Sache doch – Pause. Herr Direktor! DIREKTOR eilt auf: Was ist? Alles durchsuchen Soldaten, irgendwo müssen sie sein. CHOR DER SCHÜLER/ SOLDATEN Die Raupen. Sie sind alle geschlüpft.

2.2 Waisenhaus. Zimmer von Charlotte. Im Zimmer steht ein Maulbeerbaum, dessen Äste an die Decke stoßen. Neben ihm ist gerade noch Platz für ein kleines Bett und ein Schränkchen sowie einen Bollerofen. Charlotte steht kreidebleich vor der Waisenhausleiterin, die sie streng mustert. CHARLOTTE Sie sind schon wieder abgehauen! WAISENHAUSLEITERIN Es sind lahme Kriechtiere, Charlotte.

2. 1. Versuch mit Seide 1776 2.1 CHOR DER WAISEN Wir haben dir zugehört, auf den Märkten, in den Gassen dieser Stadt, haben gehört, du hast dir gewünscht, du wärest nicht als du geboren worden. Ein Kind anderer, bessrer Eltern. Wärest lieber reicher und schöner woanders, oder nebenan auf dem Mond oder im Meer. Du hast dir einfach gewünscht, dass dein Leben bisschen anders wäre. Oder? Sag schon und schau hier stehen unsere Maulbeerbäume. Jede Waise hat einen, auf den es aufpassen muss dass ist schon mal mehr für den Baum als für die Waisen, oder? Jedenfalls möchten wir dir etwas vorschlagen Wir hätten gern deinen „Unglücksfall“ einer gestressten Mutterliebe und ungeklärter, väterlicher Distanz. Willst du mit uns tauschen? Wir haben das hat man uns gesagt ein Vater Land eine Mutter Sprache und Sprache und Land die unsere Hände brauchen. Wir werden gebraucht – das haben wir. Das ist ein schönes Gefühl Das könnten wir dir anbieten.

CHARLOTTE Ja, aber auch die können entweichen, wenn man länger nicht hinschaut. WAISENHAUSLEITERIN Du kennst die Vereinbarung. Jedes Waisenkind züchtet sich einen Maulbeerbaum in seinem Zimmer – CHARLOTTE – und lässt die Seidenraupen nicht aus dem Auge, bis sie sich verpuppen. WAISENHAUSLEITERIN Wenn du dein Pfund Seide nicht ablieferst, musst du dir was eigenes suchen. Es wird Zeit, wir brauchen den Platz. Ohnehin bist du schon zwei Jahre länger hier als üblich. CHARLOTTE Ist das meine Schuld? Die Hugenotten haben die letzten vom Krieg freien Häuser genommen, und die anderen sind bereits wieder baufällig. Dazu grassiert der Hunger und niemand will ein weiteres Maul noch stopfen. WAISENHAUSLEITERIN Die Dörfer? Die Wenden suchen immer fleiß‘ge Hilfe. CHARLOTTE Ich kann kein Sorbisch! WAISENHAUSLEITERIN Dann zieh zur Kayla Pinkus, sie braucht im Fachgeschäft eine Hand, hat man mir gesagt. CHARLOTTE Darf ich in einem jüdischen Geschäft arbeiten?! Eben. Ohne Eltern und Konfession geboren, keine

Spur von nichts an mir, aber durch Verweilen in diesem Haus so eingepreußt, dass ich mich dem dummen Hass der Gesetze fügen muss. WAISENHAUSLEITERIN Lerne ein oder zwei Sprachen mehr. Das verbessert deine Möglichkeiten. Jetzt geh schon endlich die Raupen fangen. Bevor sie in den Dielen zertrampelt werden von den anderen Waisen. Sie geht davon. CHARLOTTE allein: Geh dir selbst was fangen, du alter Bock. Wo seid ihr Kriechtiere, garstige weiße Stöcker, Gespensterwürmer, kusch kusch, wo – habt ihr euch in die Ritzen der alten staubigen Dielen verirrt, wollt ihr wie die Schaben leben? Na kommt, aha, tatsächlich, in den Rändern und Fugen eingekreucht habt ihr euch. Her in die Hand. Und zurück mit euch ins Zimmer zum Morus Alba. Du blöder, knechtender Baum. Tritt dagegen, heult auf vor Schmerz. WAISENHAUSLEITERIN Trittst du etwa nach dem Baume? Du weißt doch, was dir da blüht. CHARLOTTE Es war die Bettkante! Pause.

2.3 Der Stadtplaner nähert sich auf einem Pferd der Stadt Cottbus. STADTPLANER Da ist sie schon, die Stadt mit ihren kleinen Giebeln darüber Rauch, als wäre sie noch immer im Krieg! Aber zum Glück ist ja nun Stille außer in den Köpfen wo sich der Krieg wiederholt und wiederholt weil die Köpfe wie der verfluchte ertraglose Boden hier nicht vergessen können das Blut all die Pferde und das Stehen. Vor allem kann der Boden nie das Stehen der Heere vergessen und dann ihr Rennen Krachen Fallen. Es fielen alle und sie hinterließen


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vier Generationen Waisenkinder. Die, die dieses bisschen Stadt hier spärlich neu besiedelten bis sich ihnen ein neuer König angenommen hat, unser wunderbarer Friedrich, Exzellenzdurchlauchtwohlgeboren, der ihnen neue Leute schickte. Aus Frankreich kamen welche, aus Italien, es kamen Hugenotten, Juden, sie kamen zu den Sorben und Preußen und doch bleiben manche als Spuren des Krieges wie der karge Acker allein denen wollen wir mit Arbeit helfen dort steht es, weißgekalkt, braune Balken, ein hoher Giebel. Das Waisenhaus, ehrlichstes Gebäude dieser entkernten Welt.

CHARLOTTE Was nun wieder?

2.4 Waisenhaus. Zimmer von Charlotte. Voller Missmut betrachtet sie den Baum.

CHARLOTTE zu den Raupen: Habt ihr das gehört, garst’ge Gespenster? Man kann an den Hofe, wenn man euch nur gut versteht.

CHARLOTTE Blöder, nutzloser Blätterapparat. Die Wehranlagen haben sie für dich zurückgebaut, die Plätze für dich freigegeben. Nur damit der Friedrich den Italienern und Franzmännern das Geschäft mit Seide ruinieren kann. Hat dem Fritz mal wer vom Wetter in dieser seiner Welt berichtet? Es stürmt und windet, es graut in Preußen. Aber Sonne? Hier in Cottbus? Oh ja. Im Sommer berichten manche auf dem Markt, dass sie die Sonne draußen auf einem Feld bei einem Schwatz gesehen haben. Sie soll ja fließend alle Sprachen können, ist im Wendischen zuhause, wie im Jiddischen und Französischen. Sie könnte sich blendend durch die Straßen unseres kleinen Babels bewegen. Aber nein, Herr Friedrich, nein. Die Sonne ist an vornehmeren Orten und darum wächst dieser dummdämlichdepperte Baum auch kaum. Außer natürlich man wärmt ihn, als wäre das eigene Heizen Ersatz für das Klima. Scheit um Scheit in den Bollerofen, da hast du stumme Rinde, deine Raupen hast du wieder, jetzt gebt Ruhe, ich muss doch schreiben. Das leere Blatt ein Tor ins Weite die Tinte mein Schlüssel und –

STADTPLANER Im Namen seiner Exzellenz, Friedrich II, König von Preußen, ergeht folgendes Edikt. CHARLOTTE ruft aus dem Fenster: Ein Edikt! Oh! Schon wieder! Manch einem ersetzen die Edikte bald die Butter auf dem Brot! STADTPLANER Ruhe, Göre! Es geht dich an! Erlauchtheit Friedrich II, König von Preußen und Markgraf von Brandenburg, von Gottes Gnaden etcetera etcetera, verkündet, dass die im Seidenwerk gebildetsten Waisen am Hofe eine neue Heimat finden sollen.

Sie rennt zum Arbeitszimmer der Waisenhausleiterin. Diese sitzt an ihrem Schreibtisch und schaut sie an, als hätte sie Charlotte erwartet. WAISENHAUSLEITERIN Da bist du schon. CHARLOTTE Sie müssen mich dem Friedrich mit Brief und Siegel nur empfehlen und schon ist meine Stube frei! WAISENHAUSLEITERIN Da kommt gerade die, deren Baum am niedrigsten unter der Decke steht und deren Raupen sich in Spott ergehen. CHARLOTTE Ich bitte Sie, werte Leiterin. Nur eine Lüge, mehr verlang ich nicht! In Potsdam ist Kultur und Geist – nicht wie hier in unserem Cottbus – wo wir das allernötigste tagein tagaus nur denken und bestellen dürfen. Hier klammert sich der Geist ans Leben. Dort kann er wandern über jede Grenze hinweg. Pause.

STADTPLANER auf dem Markt Liebe Bewohner, Leute und Schaulustige.

WAISENHAUSLEITERIN Dein Glück ist, dass mir gerade eine reiche

Kaserne

Vom Marktplatz dringt plötzlich eine laute Stimme zu ihrem Fenster.

2.3. & 3.3. Alexandra Bachzetsis 2020: Obscene 11.3. Konzert: Carrousel 12.3.–16.3. Premiere: Christoph Frick / KLARA Theaterproduktionen DOS VIDAS. ZWEI LEBEN

Familie für eine Einzelkammer ganze vier Taler im Jahr anbietet, damit ihr Sprössling an der guten Leistung unserer Waisen sich ein Vorbild nimmt. CHARLOTTE Heißt das – WAISENHAUSLEITERIN Du wirst mir keine Schande bringen? Wirst das Pamphlet zum Seidenbau wie deinen Namen auf den Lippen wissen? Wirst noch ein paar Stunden das Handwerk üben? CHARLOTTE Alles, was Sie wünschen, es ist gemacht! Nur raus hier, raus! Zur Sprache, zu den Büchern, den Festen! Sie eilt zurück auf ihr Zimmer. Schaut zu den Seidenraupen. CHARLOTTE Endlich. Endlich, ihr Nagetierwürmchen, komm ich weg von euch. An einen Ort, an dem mit etwas Glück mein Geschlecht, meine Herkunft im Dunkel hinter der Bühne vergessen werden können, während vorn am Bühnenrand meine Worte auf lange Zeit als Erinnerung in die Köpfe der Menschen wirken. Geschwind. Die Sachen in den Beutel. Das Pamphlet zum Seidenbau, wo ist es? Hier – Jetzt heißt es studieren, dass die anderen Waisen bleich vor Neid, bleich wie die Raupen werden. Lies, Charlotte!

2.5 Marktplatz. Der Stadtplaner steht vor dem Waisenhaus und heißt Friedrich II willkommen. STADTPLANER Es hat Einfahrt Friedrich II, König von Preußen und etcetera Mark Brandenburg etcetera. FRIEDRICH II kommt hoch zu Ross am Stadtplaner vorbeigeritten und mustert ihn mit einem langen Blick: Hat er keine Zeit mehr für die Titel? Will er in Pommern Kartoffeln pflücken? STADTPLANER Pfui, diese Innovation Ihrer Majestät wird im preußischen Maul nie heimatlich werden.

18.3. Konzert: Stereo Luchs Support: Soukey

24.3.–28.3. Premiere: Antje Schupp, Sigal Zouk, Ayman Nahle The Rite of Spring – von Igor Strawinsky

20.3. Konzert: Femi Kuti & The Positive Force

29.3. Konzert: Bukahara

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FRIEDRICH Er hat Glück, dass ich seine Spöttereien vergnüglich finde. STADTPLANER Und meinen Anblick ebenso.

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FRIEDRICH Alleine weiter, hab ich gesagt. CHARLOTTE Dann im Winter, wenn sie ganz verpuppt sind.

FRIEDRICH Nun führ mir die Waisen vor, du sagtest, in dieser Stadt sind sie besonders schlau?

CHOR DER WAISEN Schmeißen wir die Kokons ins kochende Wasser. Wir wissen zu berichten von den sehr leisen Schreien

STADTPLANER Heran mit ihnen, nur die besten sind es. So dann, beweist, dass es sitzt.

CHARLOTTE Sonst, also wenn man das nicht tut. Kommen die schönsten Kreaturen daraus hervor.

Die Waisen treten auf.

FRIEDRICH Wer hat die empfohlen, die ist ja auch kein Kind mehr. Schau die Hände – voller Tinte und leicht verkrümmt, als würd sie im Geist etwas zurückhalten –

CHOR DER WAISEN (Charlotte tritt mit ihm auf und versucht mitzukommen, verhaspelt sich mehrmals, murmelt mit oder setzt aus) Seidenspinner sind wir spinnen Seide aus Bombyx Mori domestiziert vor 4500 Jahren Hochleistungstierchen frisst nur noch Maulbeerbäumchenblätterchen Morus Alba muss gut behütet werden wie auch wir sonst geht er draußen ein also FRIEDRICH II Stopp. Du da (zeigt auf Charlotte), was ist mit dir. Kannst du das nicht? Hat man mir dich nicht mit Brief und Siegel empfohlen. Los. Allein weiter. CHARLOTTE Ich – also die – Seidenspinner sie – CHOR DER WAISEN (ganz leise, sagt ihr es vor) Sie verpuppen sich mit Drüsen CHARLOTTE Sie verpuppen sich mit diesen Drüsen im Maul die legen sich um sie herum – in nur drei nein vier Wochen CHOR DER WAISEN Etwa 300 000. Mal. Vier Häutungen später.

CHARLOTTE Bitte Exzellenz. Nehmen Sie mich mit! STADTPLANER Was wagst du seine Majestät direkt anzusprechen? Und warum sind die Knie nicht eingeknickt beim Anblick seiner Herrlichkeit? FRIEDRICH Ach, er soll sie lassen. Sag an. Warum sollten wir es mitnehmen? Was soll uns das unwissende Gör am Hofe? CHARLOTTE Ich muss doch schreiben. Es geht doch gar nicht anders, hören Sie. FRIEDRICH Und was will es da kritzeln?

Natürlichkeit. So sage mir, wirst du diese suchen? Ganz nach französischer Mode? Wenn du das versprichst, sollst du einen Platz an meinem Hofe haben. STADTPLANER Aber Exzellenz, es ist nicht vorgesehen, dass dieses Kind bei Ihnen – FRIEDRICH Was vorgesehen ist, das befehle ich. STADTPLANER Natürlich. FRIEDRICH zu Charlotte: Nun? CHARLOTTE Natürlichkeit, eure Exzellenz, ich verspreche es. Pause. Aber was, wenn es nicht gedeiht? FRIEDRICH Nun, eines von beiden sollte es. Die Raupen, oder die Verse. Er wendet sich ab. STADTPLANER Eure Exzellenz beweist erneut, dass das Wesen der Aufklärung zu Herzensgüte führt. Nun zu euch anderen Waisen. Er begutachtet sie. Lässt sich die Hände zeigen. Gut. Du, und du – und du. Wir erwarten euch in Potsdam, wo es so manche Plantage besser schafft, als die verfluchte Cottbusser Zucht. Er und Friedrich gehen davon. Zwei Tonnen gerade mal. Dass sich der Bürgermeister nicht schämt.

CHARLOTTE Tragödien, Exzellenz.

FRIEDRICH Vielleicht gelingen ihm als Lohnknecht Kartoffeln besser.

FRIEDRICH Und wer kümmert sich um die Raupen?

STADTPLANER Eure Exzellenz ist heut’ zu köstlich.

CHARLOTTE Ich werde des Tages Seide spinnen und des Nachts Verse.

2.6 Königssitz in Potsdam. Kleine Kammer im Schloss des Nachts. Charlotte kommt herein.

Pause. FRIEDRICH Tragödien also. Ich sähe im Trauerspiel gern mehr

CHARLOTTE: Sie lässt sich auf den Stuhl sinken. Das mühsame Tagewerk ist vollbracht. Nun soll mir das Kratzen

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der Feder Erholung davon schaffen. Sie beginnt zu schreiben. Fritz sagt, das Versmaß meiner Strophen sitzt, nur die Sprache soll sich mehr an der Bühne orientieren. Aber es ist doch tot und alt, was er aus Frankreich spielen lässt. Warum soll ich mich nach diesen staubigen Meistern richten, wenn doch ihre Welt gar nicht mehr die Schnelligkeit und Vielfalt der meinen kennt? Und dann? Wenn von mir was fertig ist? Kommt es nicht auf die Bühne, obwohl es so einfach wäre. Nein. Das ist uns zu wenig französisch Charlotte Das ist zu verspielt Charlotte Interessiert Sie Schönheit nicht? Fräulein Charlotte? Wollen Sie nicht lieber eine Muse sein, für andere große Dramatiker? Interesse? Für diese Leidenschaft für Schwall und Echo meiner Weimarer Kollegen? Wenn da nicht aller drei Minuten ein Teufel durch die Hölle schreit versteht der Deutsche nichts zu seiner Zeit Nein, danke. Schreibt. Dann habe ich nichts für dich, Charlotte. Sie seufzt. Sei es drum. Wir alle sind unrettbar an den Traum verloren, den wir jagen.

2.7 Es klopft an ihre Zimmertür. Sogleich schwingt sie auf und der Stadtplaner kommt rückwärts in den Raum gelaufen und verbeugt sich zur Tür. STADTPLANER Seine Majestät, Friedrich der etcetera etcetera. Friedrich tritt mit verärgertem Blick zum Stadtplaner ein. Dann schaut er mit Genugtuung zu Charlotte, die ihn vom Schreibtisch aus erstaunt mustert. FRIEDRICH Sehr gut! Bei der Arbeit. Hat sie schon neue Zeilen? Mir ist gerad recht danach zumute. CHARLOTTE Ist seiner Exzellenz nicht gut? STADTPLANER Wo ist die Verbeugung, steh auf, du –

Friedrich winkt verärgert. Der Stadtplaner hält ein.

Gehör schenken, die Eure Regierungskunst gar zu kritisch betrachtet.

FRIEDRICH Ach, sie sieht wieder direkt durch mich durch. Er seufzt. Mein Bruder hat sich ganz ungünstig öffentlich verhalten. Und mein geliebter Kammerdiener –

Stadtplaner verlässt das Zimmer.

CHARLOTTE Der Josef?

FRIEDRICH Nun gut, lass mich sehen.

FRIEDRICH Ist zu ihm gerannt. Wie sie ja weiß, wollt ich ihm gerad doch das Zimmer neben mir verschaffen.

Er liest die Pergamente.

Pause. CHARLOTTE Mir ist heut nicht danach, Sie zu trösten, Exzellenz. FRIEDRICH mit kurzem Blick zum Stadtplaner, der höflich lächelt: Was wagt sie? Ich will lediglich lesen, was sie Neues verfasst hast. Sie reicht ihm ihre Zeilen. FRIEDRICH Was ist es? CHARLOTTE Ich wollte die Geschichte der Maulbeerbäume beschreiben. Der Raupen und der Seide. Es soll alles darin vorkommen. Der vielsprachige Lärm meiner Stadt, die Schwierigkeiten der Menschen bei der Zucht. Schließlich hier der Hof, als eine Art frivoles Gegenüber der harten Qualen. STADTPLANER Nein, zeigen Sie mir das – Sie wird nicht diese Geschichte – FRIEDRICH Was erlaubt er sich? Hinfort jetzt. Es scheint, er ist mir ohnehin schon viel zu sehr ein ungeliebter Schatten. STADTPLANER Ich muss doch – das ist meine Aufgabe! Ich muss doch planen und beobachten! Es gab eine Zeit, da wollten Sie es so. Und jetzt wollen Euer Erlaucht lieber der Stimme

FRIEDRICH Er soll verschwinden.

FRIEDRICH Oh – das ist neu. Ein ganz neuer Stil. Ungewohnt und auch stürmisch. Ich möchte fast sagen, leidlich modern. Hier am Hofe wird das wohl keiner spielen. CHARLOTTE Weil Sie es nicht wollen. Ein Fingerzeig würde genügen. FRIEDRICH Ich fürchte, meine Hand ist bald zu schwach. Sie hat ihn doch gerad gesehen, ein Lakai soll er sein, aber er erscheint hinter jeder Wand, kurz davor einen Befehl zu flüstern. CHARLOTTE Dann zeigen Sie Ihre Stärke mit lauter Stimme. Dann kann ich mein Flüstern an den Nagel hängen. Pause. Aber ich glaube, Ihre Exzellenz will nur die eigene Position nicht schwächen. Pause. CHARLOTTE Warum die Seide, eure Exzellenz? Verzeihen Sie, aber es funktioniert doch nicht. Es wächst kaum der Baum, es ist zu wenig Stoff. Und was auch immer Preußen an Zartheit versucht, am Ende kommt doch immer Stahl heraus. Die ganze feine Seide nur für Orden und Fahnen. Pause. FRIEDRICH Und für mich. Ich spüre mich am meisten, wenn mich dieser Kühle Schicht einhüllt. Eine Zartheit, die ich als Kind nicht kannte, vielleicht ist es das. CHARLOTTE Eine Zartheit, die ich an Ihnen bewundere. Aber

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– wenn Ihnen doch durch Männer so viel Schlechtes widerfahren ist, warum wollen sie dann die Frauen im Reich so unaufgeklärt belassen? Tauge ich nur als Haustier, das ein bisschen Verse wie ein gut eingeübtes Apportieren kann? Aber auf der Bühne darf nicht sein, was ich zu sagen habe. Pause. FRIEDRICH Ich komme zum Lesen, um mich von der Politik zu erholen und nun holt sie mich ein. Wir haben doch in Frankreich bei Olympe de Gouges gesehen, wie die Masse wütet und tobt, wenn das Stück einer Frau gespielt wird. CHARLOTTE Ich glaube, es ging vor allem darum, dass sie Sklaverei angesprochen – FRIEDRICH Nein, wirklich. Ich will sie ja unterstützen. Nur sind noch nicht alle bereit. Aber – sonst, willst du nicht sehen, dass überall Fortschritt ist? Dass ich die Faust, mit der ich, wir alle!, erzogen wurden, landauf landab mit aller Macht geöffnet habe? CHARLOTTE Ich sehe vor allem Stillstand. BRRRRRCH, KRCCCHHHH. Die Tür kracht auf und der Stadtplaner kommt herein. STADTPLANER Exzellenz, kommen Sie! BRCHHHH. Der Boden zittert. FRIEDRICH Was ist? Donnert etwa ein Krieg da in der Ferne? Sollte ich nicht gewarnt sein, vor solchen Dingen? STADTPLANER Nein, es ist kein Krieg. Es ist – das hab ich nicht vorhergesehen. Der Himmel führt eine dunkle Farbe, der Boden bebt. Wir müssen Sie schützen.

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ZWISCHENSPIEL Vulkanausbruch Laki, Island. 1783 FEUERPRIESTER JÓN STEINGRÍMSSON Zuerst schwillt der Boden an ungeheures Heulen EINE KIRCHENBESUCHERIN Priester Steingrimsson, schnell die Türe, wir müssen sie schließen. JÓN STEINGRÍMSSON Nun warte, ich beschreib doch gerad: Dann plötzlich ein Schrei lässt ihn bersten in viele Teile EINE KIRCHENBESUCHERIN Das war doch eher so ein Brrrrrch, Krccchhhh. JÓN STEINGRÍMSSON Ein Schrei! Legt sie bloß der Erde Eingeweide wie ein Tier seine Beute zerreißend. KIRCHENBESUCHERIN Haben wir hier eigentlich was zu essen? JÓN STEINGRÍMSSON Erst die Predigt. KIRCHENBESUCHERIN Erst die Predigt, hat der Priester gesagt, Leute. Na, wer murrt, kriegt später keine Suppe! JÓN STEINGRÍMSSON Äh, wo war ich. Ja! Von den kleinsten Löchern brechen Flammen und Feuer aus. Große Blöcke Gestein und Teile des Grases werden geworfen hoch in die Luft und in unbeschreibliche Höhen. KIRCHENBESUCHERIN Etwa so vier Meter. JÓN STEINGRÍMSSON Die Erde zittert ohne Unterlass

wie schrecklich ist es das zu sehen – lso die Lava kommt auf die Kirche zu. JÓN STEINGRÍMSSON – so ein Zeichen eines zürnenden Gottes jetzt ist es Zeit ihm zu beichten!1* KIRCHENBESUCHERIN Ah! Oh. Es geht los, Leute! JÓN STEINGRÍMSSON Oh Gemeinde, sehet aus den Fenstern das ist die Glut des Teufels die ihr zu lange schon vor euren Türen geduldet habt! Gott persönlich duldet heute diese Flammen, damit sie euch die Seelen waschen. KIRCHENBESUCHERIN Die Lavaströme haben eingehalten! JÓN STEINGRÍMSSON Faltet die Hände, dass ihr eure Herzen IHM ganz entgegen halten und – Was? KIRCHENBESUCHERIN Ja, seht doch. JÓN STEINGRÍMSSON Ja, genau vor der Tür versiegt der Strom und kalt wird er und das Spucken aus dem Boden es versiegt! Ein Zeichen der Liebe Gottes, Gemeinde. KIRCHENBESUCHERIN Hat der uns nicht eben noch voll gehasst?

3. 3. Versuch mit Seide 1983 3.1 BESCHLAGNAHMTES TAGEBUCH VON PAULINE SCHMITZ 23.03.1964: Heut haben wir auf dem Hof die Seidenraupen gesetzt. Mutti hat gesagt, das machen wir schon lange. Ich fand sie ganz süß, 1 *Jón Steingrímsson, Bericht des Ausbruchs,https://blogs.scientificamerican.com/ history-of-geology/8-june-1783-how-the-lakieruptions-changed-history/


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die kleinen Dinger. Ich hoffe, auch so ein schönes Tuch machen zu können, wie es Mutti hat. Am Abendbrottisch hat Vati wieder mehr gehustet als gegessen.

3.2 STADTPLANER Was ist – wo bin ich – Exzellenz? Direktor? Beide weg? Schon lange tot? Meine Versuche der Planung dahin? Dieser Vulkanausbruch hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Seine Asche hat Europa ein Sommer lang jedes Licht geraubt hat sich auf Ernten vernicht und sich auf Lungen gelegt. Hat mir die Sicht geraubt, mir die Zeiten durcheinander und mich durch die Zeiten gehauen. Es ist schon so schwer genug Geschichte zu machen. Und in den Zeiten das notwendige Übel zu erkennen, gleichzeitig das Gute zu fördern. Und beides zu hemmen, wo es nötig ist. Es ist fast unmöglich unter dieser ganzen Asche die Fäden zu erkennen, an denen ich wieder anknüpfen kann. Aber endlich sehe ich wieder! Wie neue Städte entstehen. Sie stellen Schlote in den Himmel aus denen es schwersteigend qualmt. In denen Menschen – nein Genossen! – das Licht des Landes an fließenden Bändern hochglutheißer Maschinen befeuern. Oh Cottbus du Motor lässt ein halbes Land und ein ganzes großes Experiment erleuchten – Laugen mischen zischen, Chemikalien, Platinen, künstliche Seiden – ein Betrieb in nie endender Schicht – Ich habe nun einmal beobachtet, und einmal gedient. Nun will ich aktiver sein. Und diesem Koloss von Industrie ein Heer wachsamer Augen geben. Es soll mir nicht noch mal passieren, dass meine Erzählung so willkürlich gebrochen wird.

3.3 BERICHT DES CHORS DER INOFFIZIELLEN MITARBEITER Frage: Wie viel? Antwort: Wir sind 10 500 auf 120 900 Inoffizieller pro ein Dutzend Einwohner dieser Stadt. Frage: Wer Antwort: Wir sind deine Freunde, vom Sportverein, vielleicht die eine, die in letzter Zeit etwas stiller ist. Deine Väter, die hilflos ins Telefon schweigen, während du schon lange nicht mehr abnimmst. Deine Frau, wenn sie abends so lang wegbleibt, dein Geliebter, der sich immer entzieht und du weißt nicht, soll das ein Spiel sein, oder bist du sein Ziel. Dein Kind, das plötzlich wieder zu Besuch kommt. Dein Lehrer, der so auf Kumpel macht. Deine Trainerinnen, die dir sagen, dass die Pillen gute Vitamine sind. Deine Polizisten, die dich nachts freundlich an den Staat erinnern. Deine Lieblingsschauspieler, du glaubst, du guckst ihnen im TV zu, aber sie schauen heimlich zurück. Deine Trauzeugin, vielleicht wollte sie dein Leben und hat nur ihres. Dein Tagebuch, wenn du es verlierst, wir sind – so viele, wir sind wie eine eigene Gesellschaft, ein Spiegel der euren, ein Echo in den Akten wir stehen hier so dicht an dicht manchmal stehen wir im Schatten des Anderen. Und nur die Akten können es wissen. Die Akten, in die wir flüstern: Bericht, Cottbus 10.12.1983 Gedächtnisprotokoll Ankunft Pauline Schmitz in Cottbus mit Gefangenentransport. Die Inhaftierte hat den Zug bei Verlassen Grotewohl-Express genannt. Satirischer Begriff häufig von staatskritischen Subjekten vertreten. Die Inhaftierte hat daraufhin wissen wollen, wo Station gemacht worden ist.

Frauen auf meiner Zelle. Wir sind vierzehn auf 20 Quadratmetern und keine weiß, wo wir sind. An Schlaf ist nicht zu denken. Wir wechseln uns ab mit Sitzen auf der Schüssel, der Pritsche, dem Lehnen an der Wand. Können wir Decken haben! Hallo?

3.5 STADTPLANER 11.12.1983 Beginn 06.00 Uhr Vernehmungsprotokoll der Beschuldigten Pauline Schmitz. Die Beschuldigte wurde vor Beginn der Vernehmung darüber in Kenntnis gesetzt, dass gemäß § 106 StPO über die Vernehmung zusätzlich eine Schallaufzeichnung angefertigt wird. PAULINE SCHMITZ Ich habe die Mitteilung zur Kenntnis genommen und das Magnetband vor Beginn der Vernehmung mit meiner Unterschrift und dem heutigen Datum abgezeichnet. STADTPLANER Haben Sie schon einmal das Magazin „Grenzfall“ gelesen? PAULINE Nein. STADTPLANER Es lag auf der Feier, wo wir sie verhaftet haben. PAULINE Ich habe auf der Feier gefeiert. Nicht gelesen. STADTPLANER Aber Sie lesen gerne, oder? PAULINE Sicher. STADTPLANER Das Buch, das wir bei Ihnen gefunden haben – Morus Alba von Charlotte Neuber. PAULINE Es ist nicht verboten.

3.4 PAULINE SCHMITZ Hallo? Wo bin ich? Hallo? Da sind vierzehn

STADTPLANER Und der Titel? Nur ganz zufällig auch der Name

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der Umweltgruppe „Morus Alba“. Deren bekanntesten Vertreter auf der Feier waren, auf der wir Sie festgenommen haben? PAULINE Auch diese Gruppe ist nicht verboten. Sie trifft sich in der Kirche. Das dürfen wir. STADTPLANER Was bedeutet diese unterstrichene Stelle hier? Liest: Friedrich stöhnt vor Schmerz: Welche Mannigfaltigkeit, welche Schönheit liegt nicht in diesem Stoffe? Vielleicht sind diese fließenden Formen die letzten Kräfte des entfliehenden Lebens, die der hinaufsteigende Götterfunke nicht mehr braucht. PAULINE spricht mit: Charlotte: Ich will Sie heut nicht trösten, Exzellenz. STADTPLANER Friedrich: Ich fürchte, heute wirst du es sein, die Trost braucht. PAULINE Und dann stirbt er. STADTPLANER Warum ist die Stelle unterstrichen? PAULINE Ich finde sie besonders schön. STADTPLANER Weil die Macht des Königs vergeht? PAULINE Weil er ganz zum Schluss einsieht, dass nur dann etwas von seiner Herrschaft bleibt, wenn alle Menschen mündig werden. STADTPLANER Es hat sich so nicht zugetragen! PAULINE Dann ist es nur eine Geschichte. Und Sie müssen keine Angst davor haben. Pause. STADTPLANER Benny Marek. Was können Sie uns über ihn sagen. Sie kamen als seine Begleitung.

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PAULINE Ich will nicht weiter aussagen, bevor die Nachtbefragungen nicht abgebrochen wurden. Zudem verlange ich Decken auf unserer Zelle und die Möglichkeit zum Waschen.

3.8 STADTPLANER Vernehmungsprotokoll. Pauline Schmitz 20.12.1983. Beginn 12 Uhr. Wach bleiben!

Pause.

PAULINE Bitte, ich muss schlafen.

STADTPLANER Mitarbeiter!

3.6 BERICHT DES CHORES DER INOFFIZIELLEN MITARBEITER Frage: Warum? Antwort: Der Spion liebt die Information aber hasst ihren Verräter und darum sind wir alle Mitarbeiter denn wer mitarbeitet der ist doch gleich irgendwie auf Augenhöhe Frage: Wie? Antwort: Reingepresst oder freiwillig aus Überzeugung und Opportunismus manchen ist es ein Abenteuer andere wollen einfach petzen. Unsere Ziele sind Menschen und darum sind wir genauso unterschiedlich.

3.7 BESCHLAGNAHMTES TAGEBUCH VON PAULINE SCHMITZ 10.05.1974 Ich muss raus aus diesem Dorf. Alle trinken zu viel. Das nennen sie dann Feste. Jeden Tag sind Feste. Vier Männer an einem Tisch sind ein Fest. Vor ihnen ein Füllhorn, zwei Zentiliter merkwürdig klare Freude. Wenn es regnet, räumt Mutti die Wäsche rein – und uns.

STADTPLANER Wir sind Ihrem Wunsch nachgekommen. Keine Nachtvernehmungen mehr. Nun müssen Sie uns entgegenkommen. PAULINE Aber Sie halten mich nachts doch wach. Alle halbe Stunde geht das Licht an, wenn Kontrolle ist. Es gibt im Tigerkäfig keine Pritsche. Nur den Boden. STADTPLANER Nochmal von vorn. Das Magazin „Grenzfall“, die Umweltgruppe „Morus Alba“. Die Feier. PAULINE leiert: Ich bin als Begleitung von Benny Marek gekommen. Wir haben die erfolgreiche letzte Fahrraddemo gegen den Ausbau des Kohlekraftwerks Cottbus gefeiert. STADTPLANER Wer hat das Magazin dabeigehabt? PAULINE Das Magazin wird in Berlin gedruckt und von einzelnen Leuten republikweit verteilt. „Morus Alba“ hat es immer bei sich liegen. Ich weiß gähnt nicht, wer es – STADTPLANER Wach bleiben! Was bedeutet die unterstrichene Zeile in „Morus Alba“? Wer plant die Aktionen der Gruppe? PAULINE Niemand plant irgendwas. Das begreift ihr nicht, nein? Dass Leute einfach Impulse haben, einfach machen. Wir leben doch einfach nur noch in den Tag hinein. Als würden wir hier irgendwas wollen. Ihr habt uns die Straßen senkrecht in den Himmel gepflastert. Die ganze Luft habt ihr uns zugepflastert. Wir warten doch nur. Pause.

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STADTPLANER Frau Schmitz, ich will Ihnen helfen. Was halten Sie davon? Keine Tigerzelle mehr, sondern eine richtige Zelle mit Fenster und Bett und Zellennachbarin. Ist das ein Angebot? PAULINE Was? Ja! STADTPLANER Dann müssen Sie mir entgegenkommen. PAULINE In welcher Stadt sind wir? STADTPLANER Was spielt das für eine Rolle? PAULINE Wenn Sie mir sagen können, wo wir sind, glaub ich Ihnen auch, dass Sie mir eine Zelle mit Fenster geben. STADTPLANER Wir sind in Cottbus. Pause. PAULINE Ich will eine Zelle zum Hof. Dass ich ein bisschen Himmel sehe. Pause. STADTPLANER Gut.Pause. Für was ist Ihr Freund Benny Marek verantwortlich? Pause. PAULINE Es wird ihm nichts Schlimmes passieren, oder? STADTPLANER Die Zelle mit Fenster, Frau Schmitz. Pause. PAULINE Benny hat die ganzen Kontakte nach Berlin und holt dort die Magazine. Wir anderen wissen nicht, mit wem er spricht. Der Stadtplaner notiert.

STADTPLANER Sehen Sie, wie einfach das war?

3.9 CHOR DER IM Protokoll. Abgehörtes Gespräch zwischen Pauline Schmitz und Zellennachbarin Heike Lewandowski. Heike Lewandowski wollte von P.S. wissen, wie schlimm die Tigerzelle gewesen sei. P.S. wollte dazu keine Stellung nehmen. H.L. meinte, wenn sie nicht sprechen würde, mit niemanden, dann wäre sie doppelt eingesperrt. Pauline Schmitz antwortete, man sei hier bereits schon immer doppelt eingesperrt. Wenn sie schon nicht sprechen wolle, meinte H.L., dann wolle sie wenigsten zusammen mit ihr aus diesem Stück über Seide lesen. Das Reclam-Heft hatte P.S. nach Vernehmung zurückerhalten. Pauline Schmitz meinte daraufhin, sie wolle die Stelle lesen, wo die Seidenvorräte Friedrichs brennen. Heike Lewandowski fragte, warum nur immer diese. P.S. sagte: Wenn du das nicht weißt, warum bist du überhaupt hier? Anmerkung: Es ist davon auszugehen, das P.S. H.L. nicht gänzlich vertraut. Wir empfehlen einen Abzug von H.L., eine Verlegung von P.S. nach Hoheneck und dort gezieltere Beschattung durch angeworbene Mitglieder der Umweltbewegung.

3.10 BESCHLAGNAHMTES TAGEBUCH VON PAULINE SCHMITZ 10.05.1980 Die Straßen in Cottbus sind beinahe so eng wie der Himmel überm Dorf. Die Leute schauen sich misstrauisch an. Gestern gab’s eine Feier an der Uni zu Ehren unserer aufrechten Arbeiter im Tagebau. Der Unidirektor hat einen der Arbeiter auf die Bühne geholt. Wir mussten lachen. Sie hatten ihn in seinen schmutzigen Arbeitsklamotten zum Fest befohlen. Hab später dann endlich zum ersten Mal mit Benny gegammelt.

3.11 STADTPLANER liest Berichte: Die Ausfuhr der Stoffe, der Kohle ist gut. Es ist ein guter Motor diese Stadt. Der Himmel ist meist dicht bewölkt, aber es sind

– kontrollierte Wolken. Und die Leute, husten leicht, wenn sie sich begrüßen, aber es ist gewolltes Husten – Zeichen gesunder Wirtschaft. Die Methode der direkteren Einwirkung ist gut fürs stadtplanerische Geschäft. Wie die Maschinen haben alle Menschen einen Hebel und ich weiß, wie man ihn Richtung Fortschritt stellt. CHOR DER IMs tritt auf: Kommen Bericht zu erstatten – STADTPLANER Das ist höchst ungewöhnlich. Folgen Sie bitte dem normalen Amtsweg. CHOR DER IMs Es eilt. STADTPLANER Dann stehen Sie hier nicht. Raus damit. CHOR DER IMs Wir haben Benny Holtsauer in seiner Wohnung aufgegriffen, verhaftet und das Haus durchsucht. STADTPLANER Er ist verhaftet, sehr gut. Was soll nun die ganze Aufregung? Das hätten Sie mir im Wochenbericht ganz einfach darlegen können. CHOR DER IMs Ja, das würden. Wäre da nicht ein Tagebuch dass wir bei ihm gefunden haben. Von Pauline Schmitz. Aus dem hervorgeht, dass sie – STADTPLANER Was? CHOR DER IMs die ganze Organisation der Gruppe – STADTPLANER Nein! CHOR DER IMs verantwortet. STADTPLANER Wie konnte euch das entgehen? Auf 12 Menschen

THE FIRST BAD MAN PAN PAN THEATRE

A live performance based on a reading of THE FIRST BAD MAN, a novel by Miranda July.

22. – 26.3.

fft-duesseldorf.de

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habt ihr einen Mitarbeiter. Ihr sitzt in jeder Stube und seid überall zu Gast, aber eine Anführerin könnt ihr nicht erkennen? CHOR DER IMs Mit Verlaub. Frauen sind keine Anführer, sondern Begleitung der Männer, auf die werden wir angesetzt – so bringt man es uns bei. STADTPLANER Raus mit euch! Bringt mir Pauline Schmitz. CHOR DER IMs Nun – das ist der andere Grund für unsere Eile. STADTPLANER Was steht ihr hier noch rum? Holt sie sofort her. CHOR DER IMs Das geht leider nicht.

3.12 BESCHLAGNAHMTES TAGEBUCH VON PAULINE SCHMITZ Eintragung vom 14.03.1983 Hab Christian und die anderen letzte Woche in die alte Hugenotten-Kirche in Cottbus beordert. Ideen ausgetauscht. Wahlbeobachtung hat breiten Anklang gefunden. Haben heute das Baum­ pflanzen im Stadtraum fortgesetzt. Als Erinnerung an Petr Szczepański Seidenraupenraub habe ich an der Gefängnismauer einen Maulbeerbaum gepflanzt. Vielleicht ist er eines Tages hoch genug, dass jemand über seine Äste in die Freiheit steigen kann.

3.13 STADTPLANER Cottbus, 03.03.1984 Vernehmungsprotokoll mit Benny Marek. Beginn: 08.00 Uhr STADTPLANER Name?

Darum bin ich hier. Er lacht. Ihr seid solche Witzfiguren.

STADTPLANER Beruf. BENNY Gelegenheitsarbeiter.

STADTPLANER Hören Sie auf. Was glauben Sie, wer Sie – wo ist Pauline Schmitz.

STADTPLANER Asozial.

Benny lacht weiter. BENNY Kunde.

BENNY Stehts nicht dort in deinen Akten, Stadtplaner?

STADTPLANER Nicht mal der Kopf Ihrer Bewegung sind Sie.

Pause.

STADTPLANER Was sagst du? Stadtpl –warten wir mal ab, wie Sie das nach ein paar Tagen in der Zelle sehen. Wachen!

STADTPLANER Warum „Morus Alba“? Warum dieses vergessene Stück? Was bringt euch das? Es ist doch nichts. Schlecht geschrieben, unbekannt. Was soll das?

Die Wachen transportieren Benny ab. Er lacht noch immer. In allen Gängen Gebäudes ist das Lachen hörbar. Es bleibt im Raum hängen.

Pause.

STADTPLANER Was soll dieses Feixen – raus aus dem Zimmer.

BENNY Bist du doch auch nicht.

BENNY Bin ich eigentlich festgenommen oder werde ich befragt? STADTPLANER liest aus seinen Notizen: „Benny hat die ganzen Kontakte nach Berlin und holt dort die Magazine. Wir anderen wissen nicht, mit wem er spricht.“ Das ist ihre Freundin Pauline Schmitz. Was sagen Sie dazu?

Er schlägt die Tür zu, verrammelt das Fenster. Schiebt Regale vor die Tür. Aber das Lachen bleibt. STADTPLANER erschöpft: Es muss werden, wie ich es will. Muss sich mir fügen. Wenn nicht mit Akten, dann durch Erzählung. Auf ein letzten Versuch!

4. Versuch mit Seide Bombyx Sapien 2154

Pause. BENNY Sie lügen. STADTPLANER So, wie es gerade steht, bringt Sie diese Aussage nach Bautzen. Ich könnte Ihnen helfen. Dafür müssen Sie mir nur beantworten, wo Frau Schmitz‘ Kontaktleute sind. Pause.

BENNY Benny Marek.

Benny lacht weiterhin.

BENNY Ach so. Sie ist euch entwischt! Die kluge Pauline.

STADTPLANER Ihr habt eure haptischen Ganzkörperanzüge angezogen. Pause. Fühlt wie weich ihr Material ist. Wie die Motoren und Sensoren kühl auf eurer Haut liegen. Pause. Ihr habt eure Augmented-Lenses eingesetzt. Die Surround-Implantate aktiviert. Pause. Ihr habt euch eingeloggt.

Ich habe genug. Über Abschiede. Mit Bach. 2./4./5./6. März Bühne Aarau, Alte Reithalle Marie und Robert, Paul Haller 17./18. März KKThun

verdeckt, Ariane Koch 23./24. März Schlachthaus Theater Bern

Schleifpunkt, Maria Ursprung 25. März ThiK Theater im Kornhaus Baden

THEATER MARIE

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Und wartet auf die Show. Lass mich sie euch zeigen. STADTPLANER Zuerst ist ein Black. Dann blendet es langsam auf und CUT TO: EXT. TAG. COTTBUS LUFTRAUM. STADTPLANER (CONT‘D) Jetzt eine Totale. Breathtaking. Im wahrsten Sinne. Gelber Nebel über grünen Wäldern, Hügel im gleißenden Sonnenlicht des Morgens. Die Kamera fliegt in etwa 200 Metern Höhe über die Landschaft der Lausitz auf Cottbus zu. Schon kommen erste kleinere Steinhäuser in Sicht. Jetzt mehr und mehr hölzerne Hochhäuser, außen begrünt. Dazwischen große Turbinen und Solarabsorber. Die Kamera fliegt über das Cottbuser Staatstheater, passiert das blinkende Mobilitätszentrum der Bahn. Sie erreicht die äußeren Randbezirke von Tesla-City, dem stetig wachsenden Wohnbezirk des Autogiganten bei Berlin. Und endlich liegt er vor uns: Der gewaltige Ostsee-Sumpf. Ein kilometerweites Areal von üppig grünem Moos – und Grasland, das durchsetzt ist von einer Vielzahl kleinerer Tümpel. An ihren Rändern wachsen meterhohe Bäume, die ihre Kronen in das braungrüne Wasser hängen lassen. In der Luft darüber schwirren Vögel und Mücken und dazwischen kleine Aerosol-Messdrohnen. Am Rand wird der Sumpf überragt von einem opulenten Gebäude aus Fichtenholz und Graswänden. Fast wie gewachsen fügt sich dieser Bau in die prachtvolle Landschaft ein. Die Kamera fliegt auf das Haus zu. Es ist das gerade eröffnete Friedrich-Der-ZWEITE-Museum für Stadt- und Naturgeschichte. Vor dem Bau ist ein Platz. Hunderte Menschen haben sich versammelt. Ihr seid mitten unter diesen Anwesenden. Schaut mit ihnen zu der Person auf einem Podium. Hinter ihr werden drei überlebensgroße Hologramme von drei Personen in die Luft gespiegelt. CUT TO: EXT. TAG. PLATZ VOR DEM MUSEUM. STADTPLANER (CONT‘D) Die Menge lauscht der Museumsdirektorin. Die Kamera schweift durch die Menge, durch die vielen Gesichter.

MUSEUMSDIREKTORIN (OFF SCREEN) So möchte ich mich mit einem Zitat aus Friedrichs Werk „Morus Alba“ schließen. So endigt sich dieser Tag glücklicher als der Anfang es versprach. In diesem Sinne ist es mir eine enorme Freude hier an diesem geschichtsträchtigen Platz das Friedrich-der-Zweite Museum zu eröffnen mit seinen drei – nun ja – Schutzgeistern – STADTPLANER Die Menge lacht höflich über diesen Scherz. Die Kamera dreht sich um nimmt die Hologramme ins Bild. MUSEUMSDIREKTORIN (O.S.) Da wären Friedrich der Zweite himself, der im Geheimen selbstkritische Theatertexte über die Seide schrieb. Dann der Direktor des Cottbusser Gymnasiums, der Petr Szczepański vor der SS versteckte. Und natürlich Umweltaktivist Benny Marek, der die Umweltgruppe in Cottbus anführte. Wie niemand sonst stehen diese drei für unsere neue Stadtpolitik. STADTPLANER Die Kamera schweift von den Hologrammen ab und wendet sich wieder der Menge zu. MUSEUMSDIREKTORIN (O.S.) Auf der Suche nach Held:innen muss man in den Lücken der Geschichte suchen. Dann findet man Ideen für Morgen. Wo ist das wichtiger als hier am Beginn des Ostsee-Sumpf-Pfades. Dieses Museum wird von nun an die Stadtgeschichte und Naturgeschichte der Lausitz auf ihre Strukturbrüche, ihre versteckten Held:innen und –

SAL auch ohne zu sprechen: Was ist? TUA ohne zu sprechen: Millie spürt was. STADTPLANER Die Teenager beginnen ein Gespräch! Sie wollen den Ablauf der Veranstaltung stören. SAL ohne zu sprechen: Was spürst du, Millie? Lass es uns spüren. MILLIE ohne zu sprechen: Kommt auf meine Frequenz. SAL ohne zu sprechen: Ich fühl es. Dieses ganz Setting. Irgendwas ist daran nicht richtig. TUA ohne zu sprechen Ich bin auf der Frequenz. Ja, das ist alles falsch hier. Und – etwas beobachtet, nein – erzählt uns. Was ist das? SAL ohne zu sprechen Es fühlt sich alt an. STADTPLANER Die Teenager setzen sich in Bewegung. Ihr Ziel sind die Hologramme. In ihrer jugendlichen Hast wollen sie ein Zeichen setzen gegen die sorgsame – MILLIE zuckt zusammen: Aber hört ihr das? Etwas anderes ruft uns. MILLIE ohne zu sprechen Der Sumpf, die Tiere, fluoreszierende Farben, Bänder formend, wie Codes scheinen sie mir und da ist diese – andere Stimme.

STADTPLANER Die Kamera schweift jetzt suchend, beinahe chaotisch, wie einem richtig guten Arthouse-Film, also wie ein Betrunkener auf einer Hochzeit, durch die Menge. Bis sie vor Millie, Tua und Sal, drei Jugendlichen, stehen bleibt, die sichtlich gelangweilt sind von der Rede. Sie unterhalten sich leise.

TUA ohne zu sprechen Andere Stimmen! Noch unhörbarer aber viel wahrer als das hier.

MILLIE ohne zu sprechen: Hey.

SAL ohne zu sprechen Jede Stimme ein Band.

TUA ebenfalls ohne zu sprechen: Was?

STADTPLANER Die Teenager gehen zum Podium, um die Hologramme zu sabotieren, sie – Nein, sie – sind verschwunden.

MILLIE ohne zu sprechen: Spürt ihr das?

THEHOST.IS/DARSHAHEWITT How to beam: Do-it-yourself-teleportation in hybrid times MATTER OF FACTS STUDIO Generalpause LAURIE PENNY »Sexuelle Revolution. Rechter Backlash und feministische Zukunft« KAINKOLLEKTIV, BURAK ÖZDEMIR & ORCHESTER MUSICA SEQUENZA

Kassia - Songs of Care(volution). Eine Cyborg Oper

HENDRIK QUAST Spill your guts EUN-ME AHN Dragons QUEER B-CADEMY World of Wisdom SKART FEAT. MOBILE ALBANIA Seele essen Angst auf

2 2 0 2 Z R M GEL HA KAMPNA

MBURG

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BLACK. STADTPLANER Was – die Kameraübertragung ist abgebrochen. Nein, stopp, das Bild ist wieder da – EXT. TAG. OSTSEE-SUMPF STADTPLANER (CONT’D) Die Szenerie wird verschlungen von rankenden Pflanzen. Der Museumsbau wird von gigantischen Pilzen überlagert. Auf ihnen landen Vögel in schimmernden Farben. Die drei Teenager stehen inmitten der Szenerie, ihre Körper umringt von einem Band aus gleißendem Nebel. Da sind sie, Kamera, behalte sie im Frame. TUA Ich sehe es, Millie! Ich seh es alles. Aber was bedeutet das. MILLIE Wir müssen fliehen. In den Sumpf. TUA Aber wir können doch nicht einfach hinterher. Wir müssen später mit der Klasse zurück. MILLIE Versteh doch. Es gibt keine Klasse mehr. Das war nur eine Geschichte. STADTPLANER Ich hab wieder die Kontrolle über die Kamera. Habe die drei lokalisiert. DISSOLVE TO: STADTPLANER (CONT’D) Die drei gehen durch die Rankengewächse hinein ins dunkle Moor. Das Licht wird heller – nein – dunkler. Ok. Es setzt langsamer Drone-Sound ein. Zuerst unmerklich, dann immer lauter, dröhnender. Jetzt flirren die Farben des Moores mal greller und überblendet. Dann wieder verwirbeln sie. Und jetzt – jetzt gesellt sich zum Drone ein vielstimmiges Tuscheln, wie von einem Chor, der heimlich über den Regisseur lästert. Die Teenager sind schon wieder entkommen. Sie haben sich hinter den Farben wie in Luft aufgelöst. Die Kamera sinkt herab. Sie durchstreift die Farn– und Rankengewächse. Da hinten sind sie. Jetzt vorsichtig nähern, dass sie die Kamera nicht bemerken. CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Die drei Freund:innen schieben mehrere riesige Seerosengewächse beiseite. Vor ihnen tut sich ein etwa hundert Meter breites Wasser auf. MILLIE Irgendwo hier muss ein Boot sein. Ich weiß es. SAL Sollten wir hier überhaupt – man muss den Weg doch in Begleitung machen. STADTPLANER Tua umfasst Sals Hand und dann umfasst Sal Millies Hand. Die Kamera geht von ihnen weg und schwebt über dem See. Umfasst alles in einer

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großen Totale. Die drei Teenager stehen am Rand des Sees umringt von dschungelhaftem Gewächs, die Geräusche der Tiere werden leise – nein, na gut, lauter. Über ihnen wird der Himmel ultraviolett. Und jetzt – was ist das. Da sind schwebende Bänder um die Körper der drei Teenager, sie verbinden sich durch ihre Berührung, formen eine Fessel aus Licht. Sie setzen sich – GLITCH MILLIE (O.S.) Wir setzen uns in Bewegung. Von allein. Im Museum hat man uns gesagt, dass wir am Rand der Geschichte geboren sind. Dass vor uns ein Abgrund liegt. Hinter uns alles und vor uns das Nichts. Die Pflanzen dringen wieder in unsere Behausungen ein, die Tiere sind wieder unser Feind, an zweihundert Tagen im Jahr brauchen wir eine Sauerstoffmaske und Schutz vor dem violetten Regen. Aber das ist nicht das Ende. Die, die das erzählten, glauben das Zentrum gewesen zu sein. Das Zentrum der Geschichte, das Zentrum der Geschlechter, des Umganges mit der Welt. Aber ich bin hier mit den Menschen, die ich liebe – und etwas ruft zu einem neuen Zentrum. Eine fragile, bedrohliche, schöne Entdeckung liegt vor uns. Und die, die bisher den Faden der Erzählung in den Händen hielten werden daran keinen Anteil haben. STADTPLANER in Bewegung. Ah, ich höre mich wieder. Ich – ich – alles ist unter Kontrolle. Die Sequzenzen kommen jetzt in schneller Folge. Wir wechseln von der Totale zum Boot. Also cut to: Die Drei in einem Boot auf dem Wasser. Die Kamera richtet sich zur sengenden, flirren, violetten Sonne. CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Was!? Petr Szczepanski steht in der Aula seiner Schule. Die Decke des Raumes ist über und über bedeckt mit Seidenfaltern, strahlendes, flügeschlagendes Weiß! DISSOLVE TO: STADTPLANER Close-Up der drei Teenager im Boot. Sie ziehen GLITCH

TUA (O.S.) Wir ziehen das Boot an den Rand des Sees. Im Museum haben sie berichtet vom ausgehenden 20. Jahrhundert. Der Salton Lake in den USA war ein beliebtes Reiseziel. In den 1980ern warnten Wissenschaftler:innen davor, dass er schrumpfen würde, seine reproduzierenden Kräfte verlieren würde. In den 90ern schafften es die Fische gerade nur noch so lange zu leben, bis sie sich vermehren konnten, dann starben sie und wurden an Land gespült. Die ganze Küste des Sees eine aufgeblähte, stinkende Pflichterfüllung. Der See zu groß, um ganz zu verdunsten. Die ehemaligen Ferienressorts Crackküchen und Abstellhalden der Zivilisation. MILLIE Ein 3D-Raum hat uns gezeigt, wie 2022 die Japanische Atombehörde begann verstrahltes Wasser vom Fukushima-Ereignis ins Meer abzuleiten. Ein Diagramm zeigte uns die Mutation der Korallen.

TUA Vor 200 Jahren, informierte uns die Museumsdirektorin, gefielen sich die Menschen des Alten Westens darin Katastrophenfilme zu drehen. In ihnen vereinigte sich die Menschheit angesichts immenser Bedrohungen wie eines nahenden Asteroiden oder Besucher:innen aus dem All. Als sich 2053 die Große Platte der Arktis löste, stritten sich die Nationen darüber, wer die neu entstehenden Strandabschnitte bekommen würde. SAL Auf einer Tafel im Museum wurde uns erklärt, dass die letzten Wasserreserven, die vom Ostsee bei Cottbus geblieben sind, die üppige Flora und Fauna, die dank der Jahresdurchschnittstemperatur von 30 Grad Celsius gedeiht, ernähren. Sie haben Dörfer zerstört, Menschen umgesiedelt für die Kohle, noch in unserem Jahrtausend. Sie haben die alten Kohleabbaugebiete geflutet in einer Zeit, als die anderen Seen im Umland verdörrten. Dann haben sie dort, wo zerstörte Dörfer waren, neue Grundstücke verkauft. Die ersten Villen standen, als der See bereits zu verdunsten begann. STADTPLANER das Boot an Land. Was? Wo bin ich? Was sehe ich? CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Luftaufnahme von Efeu überwachsener Ruinen. Zwischen ihnen nach oben stechende Flammen. Charlotte Neuber steht zwischen brennenden Seidenballen und liest ganz ruhig aus Friedrichs – GLITCH – Nein, na gut – aus ihrem eigenen Stück. CLOSE UP ihrer Hände, die Papier umfassen. Die Hände umspannt ein Band aus Seide. CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Ha! Die drei Jugendlichen um ein Lagerfeuer! Hab ich euch. Die Kamera nähert sich den Dreien. Das Getuschel der Stimmen wird lauter. SAL Hey Tua, hey Millie. Hört ihr das? MILLIE und TUA Wir hören es. SAL Dieses Tuscheln – es besteht aus all den Sprachen, die hier gesprochen wurden. MILLIE flüstert: Lubosć TUA flüstert: Ookoj SAL flüstert: Spanje. MILLIE Das andere ist wieder da.

STADTPLANER Die drei Teenager drehen sich plötzlich zur Kamera um und schreien auf. Fluchtartig verlassen sie die Szene durch das kniehohe


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Sumpfgras. Aber die Kamera ist ihnen auf den Fersen. Sie hetzen und schreien, immer wieder drehen sie sich panisch um. Ihr Weg führt zurück zu – GLITCH MILLIE Das Getuschel wird erkennbar. Es sind sorbische Worte, überlagert von ihren jiddischen, deutschen und französischen Übersetzungen. Sie vermischen sich, ein Sprachwirrwarr entsteht. Die flirrende Luft scheint immer stärkere Bänder zwischen den drei Teenagern zu weben. Immer weiter führt ihr Weg durch die Schlingpflanzen, aus dem Dunkeln werden sie von glänzenden Augen beobachtet. TUA Wir haben es abgeschüttelt. SAL Ich glaube, wir haben uns verirrt. MILLIE Dann geht unsere Reise jetzt los. STADTPLANER Das ist nicht geplant. Sie müssen zurück zum Museum, sie müssen zu Ende erzählt werden. GLITCH

CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Ein Käfig, in den Kronen eines Maulbeerbaumes. Ein langer Seidenschal führt zum Boden. Pauline Schmitz steht am Fuß des Baumes. Sie schaut in die chaotische, lebendige, bedrohliche Natur. Neben ihr ein Tiger. GLITCH CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Friedrich II auf dem Todesbett! Vergebt mir Exzellenz, vergebt mir – GLITCH CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Die deutschen Soldaten stürzen wie Quallen vom Himmel auf Kreta. Sie bringen Seide zurück, die sie von derselben Insel stahlen. Die Frauen der gefallenen Partisanen nähen später Kleider aus der Seide der gefallenen Quallen.– CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Die drei Teenager halten einander in den Armen, die leuchtenden Nebelbänder hüllen sie nun beinahe ein. Danke! Danke, dass ich euch sehen darf. Sie flüstern: TUA Wie kommen wir hier jemals wieder raus? SAL Man wird uns nie finden. MILLIE Ich will weiter. STADTPLANER CUT TO: Die Kamera schwirrt über dem Sumpf. Sie ist im freien Fall. GLITCH Die Bilder wechseln in immer rascherer Folge. Schwirren. CUT TO: STADTPLANER (CONT’D)

Charlotte zerhackt den Baum in ihrem Zimmer. CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Maren steht vor einem amerikanischen Seidenfallschirm. CUT TO:

SAL Immer Seidenfalter. Das Flüstern scheint von ihnen auszugehen. Es überst GLITCH die SurroundImplantate. Feedback-Kreischen. Stock GLITCHende Ein extrem – GLITCH die Zuschauer:innen GLITCH wollen sich die GLITCH abreißen

STADTPLANER (CONT’D) Der Tiger wird von Pauline losgelassen, er springt auf mich zu – CUT TO:

TUA Ein paar SeidenfädeGLITCH schwirren durch die Luft.

STADTPLANER (CONT’D) Ich, der Stadtplaner, in verschiedenen Kostümen aus Seide, sie zerfallen, verwelken – CUT TO: STADTPLANER (CONT’D) Die Kamera schlägt auf dem Boden ein und kippt auf die Seite. Durch ein paar Grashalme hindurch fokussiert sie die Teenager. Sie kommen auf eine Lichtung. In der Mitte der Lichtung steht ein gigantischer Baum. Er wird umschwirrt von Tausenden Faltern. Das Tuscheln ist nun unendlich laut. Richte dich auf, Kamera. Richte dich auf!

MILLIE Der leuchtende Nebel hüllt uns nun gänzlich ein. STADTPLANER Ihr müsst zurück. Das Museum ist euer GLITCH SAL Der Nebel verdichtet sich. Das Bild briGLITCH ab. Das Publikum kann nicht mehr GLITCH MILLIE Nebel wird zu Kokons um GLITCH Körper. Die GLITCH Kokons pulsieGLITCH . Die Seidenfalter GLITCH

MILLIE Was ist das?

TUA

STADTPLANER Tua hält sein Display zum Baum und scannt ihn.

MILLIE Alles leuchtet. Wir werden GLITCH

GLITCH

ist Februar 2154. Es sind 43 Grad.

TUA Es ist ein Maulbeerbaum. SAL studiert ebenfalls sein Display: Morus Alba. MILLIE Wie das Stück? SAL Genau. MILLIE Aber ich dachte, sie wachsen hier nicht. Nicht so gut. STADTPLANER Die Kamera nähert sich ihnen – mühsam. Die drei nähern sich dem Baum. Bleibt stehen! Ein paar der Seidenfalter kommen zu ihnen herangeschwirrt. Stopp. Millie fasst nach ihnen. SAL Hier steht, dass der Morus Alba besonders in feuchtwarmen Gegenden gut gedeiht. Also ich denke, das hier ist eine ganz gute Gegend. STADTPLANER Nicht! Die drei Jugendlichen gehen zu dem knotigen, großen Baum und berühren ihn. Die Kamera fängt sie jetzt wieder ein – GLITCH – MILLIE Nein. Die Kamera sieht dabei zu, wie auf Millies Finger ein Falter landet. Langsam versagt die Übertragung der Bilder in die Augmented Lense der Zuschauenden. Störsign– GLITCH tauchen auf euren Pupillen auf, sprunghaftes Flackern, einzelne Pixel löschen GLITCH. Andere verfärben, übersteuern –

© Hartmann und Stauffacher GmbH Verlag

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Magazin Dynamische Fortsetzung Die Münchner Biennale für neues Musiktheater Die Post-Ost-Vision Pläne für das KAHO in Berlin-Karlshorst Neues Ufer Neuer Zirkus Die Berliner Ballettschule und Schule für Artistik öffnet sich neuen Zirkus­ formen Graben nach Zusammenhängen Alexander Kluges Kommentar zu Kunst, Geschichte und Politik – anlässlich seines 90. Geburtstags Der Befreiungskämpfer Zum Tode von Herbert Achternbusch Das weiße Hemd Zum Tode des Schauspielers und Intendanten Dieter Mann Bücher Julia Buchberger / Patrick Kohn / Max Reiniger (Hg.): Radikale Wirklichkeiten – Festivalarbeit als performatives Handeln.


magazin

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Dynamische Fortsetzung Die Münchner Biennale für neues Musiktheater Einige der Uraufführungen im Münchner Programm vor zwei Jahren wurden nach dem ersten Lockdown noch im gleichen Jahr unter dem treffenden Titel „Point of NEW Return“ an verschiedenen Orten nachgeholt. Die künstlerische Leitung, Daniel Ott und Manos Tsangaris, wollte so die aufwendig vorberei­ teten Produktionen retten und ahnungsvoll einen Stau in die folgende Ausgabe des ­Festivals für neues Musiktheater verhindern. Die diesjährige Ausgabe ist als „Dynamisches Festival“ deklariert, mit mehreren Vorab-Aufführungen außerhalb Münchens und in online-Präsentationen, bevor dann im Mai das Hauptprogramm in München unter dem Motto „Good Friends“ stattfindet. Den Auftakt machte die schon für 2020 angesetzte Produktion „Once to be realised“, eine Begegnung mit dem griechischen Komponisten Jani

Glasfassade zuschaut. Im „Sisyphos-Hof“ gibt

Christou, in der für Neues mittlerweile legen-

es dann ein raumgreifendes Ausschwärmen

dären Tischlerei der Deutschen Oper Berlin.

der Sänger:innen in das verstreut stehende

Einfallsreiche Durchbrechung von Aufführungskonventionen: die Münchner Musikbiennale. „Once to be realised“. Foto Thomas Aurin

Christou, Komponist und Avantgardist

Publikum hinein. An den Wänden kann man

der szenisch erneuerten Musik-Performance in

weitere Projektskizzen studieren, in denen

den 1960er Jahren, hinterließ bei seinem­

Christou seine revolutionären Vorstellungen

­frühen Unfalltod 1970 in Athen ein umfang-

von einem erweiterten Musik- und Tanztheater

Die Uraufführung von Bernhard Ganders „Lie-

reiches Konvolut an Projektskizzen, insgesamt

jenseits der Bühne festhielt. Falls solche Ide-

der von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“

130 sogenannte project files. Einige der

en vor fünfzig Jahren Opernfräcke und Ball-

mit dem Libretto des ukrainischen Schriftstel-

durchnummerierten Entwürfe wurden nun von

kleider erschreckt haben könnten, sind sie

lers Serhij Zhadan in der Regie von Alize Zand-

sechs Komponist:innen der Gegenwart adap-

heute auch im Musiktheater längst erprobte

wijk wird in München die aktuell brisanteste

tiert und in einem Parcours von dem griechi-

Praxis

Irritationsspielraum.

Produktion sein. Sie behandelt die Situation

schen Regisseur Michail Marmarinos insze-

Wenn dann auf der Bühne der Tischlerei alles

eines Grenzpostens zwischen Russland und

niert. Als roter Faden für die meist kurzen

konzentriert zueinander findet, geht es tat-

der Ukraine, in der es keine richtige Entschei-

Hommage-Stücke von Olga Neuwirth, Samir

sächlich mit dem griechischen Ensemble dis-

dung mehr gibt. //

Odeh-Tamimi, Christian Wolff, Barblina Meier-

sonArt unter der Leitung von Cordula Bürgi

hans, Beat Furrer und Younghi Pagh-Paan ist

allein um Musik mit ungewöhnlicher Perkussi-

7.–19. 5. „Good Friends“ in München:

die einfallsreiche Durchbrechung von Auffüh-

on und Gesang, vor allem in dem längeren,

www.muenchenerbiennale.de

rungskonventionen zu erleben. Auf der Straße

auch antike Bezüge aufgreifenden Stück

geht es los, das Publikum geteilt in zwei Grup-

­„After Jani Christou“ von Christian Wolff.

mit

geringem

pen, von denen die eine dann in der Kantine

Eine Irritation gelingt am Ende aber doch

der von Samir Odeh-Tamimi komponierten

in Berlin, nachdem das Publikum mit den Mu-

Verzweiflung eines erschöpften Pianisten bei-

sikern die Plätze getauscht hat und nach Beat

wohnt, während die andere Gruppe zusammen

Furrers „Akusmata I–VII“ vom gesamten En-

mit einem kleinen Chor von draußen durch die

semble von der Tribüne aus beobachtet wird, wie es nur unsicher die Bühne verlässt oder

Kontinuum zwischen Musik, Menschen, Raum und gewiss auch Geräuschen: die Münchner Musikbiennale. „Once to be realised“. Foto Thomas Aurin

einfach sitzen bleibt. Das ist ein Kontinuum zwischen Musik, Menschen, Raum und gewiss auch Geräuschen, wie es Jani Christou in seinen Überlegungen unbedingt interessiert hat.

Thomas Irmer

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Die PostOst-Vision Pläne für das KAHO in Berlin-Karlshorst

Die Scheinwerfer stammen aus dem ehemaligen Palast der Republik, jetzt will das KAHO einen Austausch über eine „Post-Ost“-Vision entwickeln: das Theater Karlshorst in Berlin.

Selbst als Berliner Theaterwissenschaftlerin

GE gehört, Eigentümer. Letztere ließ bereits

muss ich gestehen, dass ich von diesem

2008 Gebäudeteile sanieren, verpachtete Seg-

Theater noch nie gehört hatte. In Berlin­

mente an die Lichtenberger Schostakowitsch-

Karlshorst gibt es ein Theater? In der Tat.

Musikschule und brachte das Theater dann in

Der imposante neoklassizistische, denkmal-

die 2018 gegründete Stiftung Stadtkultur ein.

geschützte Bau steht genau neben dem

Diese kann so sowohl für den Umbau als auch

gleichnamigen S-Bahnhof und wurde im ver-

für den Folgebetrieb Drittmittel akquirieren.

gangenen Herbst 2021 als Leuchtturm­projekt

Der Stiftung steht seit 2020 die Theater­

der Stiftung Stadtkultur wieder zum Leben

wissenschaftlerin und ehemalige Leiterin der

angehen lässt, beweist unter anderem „Foyer“

erweckt. Zumindest für eine kurze Zeit. Denn

Schwankhalle Bremen, Pirkko Husemann, vor.

von hannsjana. Das Kollektiv hat mit ehemali-

nun wird das KAHO, wie sich der neue „Raum

Sie hat für das Interim ein vielseitiges Pro-

gen Besucher:innen des Theaters Zeitzeugen-

für Kultur“ nennt, erst einmal saniert, bis er

gramm aus Performances, Lesungen, Filmen,

Interviews geführt und Auszüge in ihren Walk

2025 als „multifunktionaler Veranstaltungs-

Konzerten und Tanzabenden kuratiert. Es um-

montiert. So erfahren Teilnehmende, dass es

ort“ wiedereröffnet werden soll.

fasste Auftragswerke wie den Audiowalk „Foy-

im Gebäude früher schon muffig roch, dass

er“ von hannsjana oder die partizipative Perfor-

stets viel Russisch im Publikum zu vernehmen

wurde

mance „Rumpel-Wunder-Kammer“ von Mobile

war und dass sich besonders lebendig an Mu-

1948/49 als Reparationszahlung Deutsch-

Albania ebenso wie eine Berlin-Premiere von

sicals, Kabarett-Aufführungen oder abgehalte-

lands an die Sowjetunion unter der Bezeich-

Antonia Baehr & Lucile Desamory oder die In-

ne Jugendweihen erinnert wird. Als Pirkko

nung „Militärobjekt Nr. 5“ errichtet und stand

tervention „Asingleline“ der Choreograf:innen

Husemann mich bei unserem Gesprächster-

zunächst nur den Mitgliedern und Angehöri-

Fabrice Mazliah und May Zarhy – und damit vor

min durch das Theater führt, das in Umfang,

gen der sowjetischen Besatzungsmacht offen.

allem Akteure aus der freien Szene.

Schnitt und Baumaterialien an das HAU 1 er-

Das für gut 600 Gäste entworfene „Dramatische

Theater

Karlshorst“

Foto Joshua Dullroy

Erst Mitte der sechziger Jahre durften auch

Wird das KAHO dann ab 2025 viel-

innert, weist sie mich auf die Scheinwerfer

DDR-Bürger:innen im Saal Platz nehmen. Was

leicht ein neues Haus für die freie Szene? Pirk-

hin, die noch aus dem ehemaligen Palast der

bis zur Umwandlung jenes „Hauses der Offi-

ko Husemann macht deutlich, dass man au-

Republik stammen sowie auf den kleinen

ziere“ in ein Nachwende-Privattheater außer

genblicklich noch keine konkreten Angaben

Stern über der Harfe am Portal, der lediglich

Stücken von Maxim Gorki, Gastspielen der Pe-

darüber treffen könne, was das KAHO program-

seine rote Farbe verloren habe. Nachträglich

kingoper oder des russischen Staatsballetts

matisch und betrieblich für ein Haus werde.

höre ich auf dem YouTube-Kanal das Gespräch

auf dem Spielplan stand, entzieht sich aller-

Nichtsdestotrotz lässt sich heraushören, dass

„Erinnern stören“ zum gleichnamigen Band

dings größtenteils der Theatergeschichte.

es erste Visionen gibt, so z. B. die einer räumli-

von Lydia Lierke (und Massimo Perinelli) nach

Denn dieses Wissen schlummert verschlossen

chen „Hausgemeinschaft“ von kunstproduzie-

und realisiere, dass eine Auseinandersetzung

im russischen Militärarchiv. Interessanterwei-

renden Akteuren im angrenzenden Gebäude, in

mit dem KAHO in seiner Geschichte, Gegen-

se existieren auch nur wenige Dokumente zum

dem aktuell noch die HOWOGE sitzt. In jedem

wart wie Zukunft zuvorderst eine Beschäfti-

Spielplan der ersten Nachwendejahre. Im

Fall soll der Kulturstandort für den Bezirk reak-

gung mit dem Verschwinden der DDR und der

­Gebäude legen einige wenige, erhalten geblie-

tiviert werden und mit spartenübergreifendem

immer noch sehr lückenhaften Aufarbeitung

bene Schaukästen Zeugnis darüber ab, dass

Angebot sowohl lokale als auch überregionale

postsowjetischer wie Ostberliner Geschichte

hier in den nuller Jahren noch Liedermacher

Publika ansprechen. Und das Interim verfolgte

ist. Und genau das ist KAHOs Alleinstellungs-

wie Reinhard Lakomy, Gerhard Schöne und

eben auch diesen Zweck: Erkenntnisse für ein

merkmal. Mit dem Interim hat Husemann eine

das Duo Ulf und Zwulf auf der Bühne standen.

trag- und zukunftsfähiges Betreiber- und Nut-

erinnerungspolitisch immens wichtige Einla-

zungskonzept zu generieren.

dung für einen gemeinsamen, multiperspek­

Was gleichfalls zur neueren Geschichte des Hauses gehört, sind seine interes-

Darüber hinaus ging es beim Inte-

tivischen Austausch über eine „Post-Ost“-Vision

santen Eigentumsverhältnisse. Denn 1994

rim aber auch explizit um einen Auftakt zur

ausgesprochen und initiiert, im mehrfachen

wurde die Wohnungsbaugesellschaft Lichten-

Spurensuche. Dass sich die Archivlücke mit-

Sinne die Peripherie zum (neuen) Zentrum zu

berg, die inzwischen zur landeseigenen HOWO-

tels verkörperter biografischer Gedächtnisse

machen. //

Theresa Schütz


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Neuer Zirkus ist im Kommen, sogar in Deutschland. Und da auf allen Ebenen. Die bislang vor allem der tradierten Artistik verpflichtete Staatliche Ballettschule Berlin und Schule für Artistik öffnet sich für die neue Zirkusform und schließt perspektivisch eine gravierende Ausbildungslücke. Damit kann die Schule, in der bis vor Kurzem der BallettZweig noch als der wichtigere galt, der aber wegen der Querelen um die frühere Leitung in den letzten Jahren massiv in Verruf geriet, einen Weg in eine nicht belastete Zukunft finden. In Bochum basteln Enthusiasten des „Open Space“, einer ursprünglich für die

Neues Ufer Neuer Zirkus Die Berliner Ballettschule und Schule für Artistik öffnet sich neuen Zirkusformen

til“, sondern auch wissenschaftlich. Er lehrt und forscht am Artistikbereich der University of the Arts in Stockholm. In den skandinavischen Ländern und in Frankreich, wo einst Jérôme Savary mit seinem Le Grand Magic Circus Furore machte, ist der neue Zirkus längst etabliert, von Schulen über Spielstätten, Förder- und Residenzprogramme bis hin zur Promotionsmöglichkeit. „Neuer Zirkus entstand in den 1970er Jahren in Frankreich, parallel zu 1968. Die jungen Kreativen zu der Zeit stammten nicht aus Zirkusfamilien, sie waren gegen Normen und Konventionen, und gegen die kapitalisti-

Street Art Szene von Biking, Tricking und Par-

sche Gesellschaft. Ihnen ging es nicht mehr

kour etablierten Trainingshalle, gar an einer

um immer mehr und immer höher, sondern

Ausbildungslaufbahn von Regelschule bis zur

um andere Erzählformen und künstlerische

Universität für Artisten. Die akademische Stu-

Ausdrucksmöglichkeiten“, erzählt Alice Green­

fe soll mit der Folkwang Universität der Küns-

hill, selbst aus Frankeich stammend und im

te entwickelt werden. Parallel bekommen klei-

letzten Jahr Mitorganisatorin von „Zeit für Zir-

nere Spielstätten wie das Berliner Chamäleon,

kus“, Theater der Zeit. Sie bedauert, dass

das Jahre lang bereits der neuen Kunstform

Jugendliche, die hierzulande Feuer für diese

eine Bühne gab, Flankenschutz durch größere

Kunstform gefangen haben, ins Ausland ge-

Institutionen. Der scheidende Berliner Fest-

hen müssen, wenn sie ihre Leidenschaft zum

spiele-Intendant Thomas Oberender holte

Beruf machen wollen.

Cirque-Nouveau-Produktionen zumindest spo-

Diesem Mangel möchte die Berliner

radisch ins Programm. Die Berliner Volksbüh-

­Artistenschule in Zukunft abhelfen. „Man sieht,

ne stellte ihren Neuanfang unter René Pollesch sogar ganz unter das Zeichen des Zirkus. Sie bemühte allerdings eher die Assoziationen des tradierten Zirkus, mit Zelt, rollenden Wä-

Abstrakte Jonglage mit ungewöhnlichen Objekten: Benjamin Richter beim Circus Dance Festival. Foto Andrea Salustri

gen und fahrendem Volk. Aber immerhin. Und

dass ein Markt da ist. Schule ist natürlich ein schwerer Tanker, aber wir versuchen, die Bewertungskriterien umzuschreiben und die relevanten Ausbildungsbereiche für den zeitgenössischen Zirkus einzubeziehen“, erzählt Jens

der deutsche Ableger der französischen Dach-

Becker, Artistiklehrer an der Schule, Theater der

organisation Territoires de Cirque, die weltweit

wandtheit gelingen ihr sehr eindrückliche

Zeit. Die Schule ist dafür prädestiniert; es han-

im November eine dreitägige Nacht des Zirkus

­Bewegungssequenzen zu den Themen Leis-

delt sich um die Staatliche Schule für Ballett

in Anlehnung an die Fête de la Musique ein-

tungsbereitschaft und Leistungszwang in der

und Artistik. „Das Gute ist, dass wir alles im

führte, organisierte im letzten Jahr unter dem

Körperkunst, über die Anstrengungen, kon-

Haus haben, was es braucht. Wir haben im be-

Label „Zeit für Zirkus“ bundesweit Aufführun-

ventionelle Weiblichkeit herzustellen sowie

ruflichen Gymnasium noch das besondere Profil

gen und Workshops in 13 Städten.

über die Rebellion dagegen.

‚Tanz Theater Theorie‘. Das kann man nutzen.

Dort konnte man erahnen, welches Po-

Einen anderen Weg schlagen die ge-

Wir haben die Fachrichtung Bühnentanz, für

tenzial die Kunstform hat. In der autobiogra-

lernten Jongleure Christoph Rummel und

den klassischen Tanz, aber auch modern und

fisch inspirierten Kölner Produktion „3x Eva“

Benjamin Richter ein. Rummel operierte

contemporary. Und wir haben Lehrkräfte in der

etwa zeigten die Artistinnen Laura Runge,

ebenfalls in Köln mit weißen Kugeln, die er in

Artistik, von denen einige sich bereits aus eige-

Rahel Gieselmann und Yolande Sommer, wel-

weißen Würfeln mal verschwinden ließ, sie

nem Interesse weiterbilden, um selber zeitge-

che Bilder von Weiblichkeit Zirkus, Ballett

mal zu Figuren türmte und sie auch Flugfigu-

nössisch unterrichten zu können. All das können

und Turnen erzeugen, wie elementar dabei

ren in der Luft unternehmen ließ. Es handelt

wir zusammenfügen“, meinte die neue Schul­

die sexuelle Aufladung dieser Bilder und wie

sich um eine Hybride aus Jonglage, Magie

leiterin Martina Räther zu Theater der Zeit.

fließend die Grenze zum Missbrauch ist. Ein

und Choreografie mit Objekten. Richter, ein

Für die Schule, die in den letzten Jah-

Apfel hängt hoch in der Manege als symboli-

in England ausgebildeter Jongleur, der jetzt in

ren vor allem wegen Missbrauchsvorwürfen

sches Ziel der drei Evas. Sie versuchen, die

Berlin lebt, erkundet die Bewegungsqualitä-

und harschen Konflikten zwischen mittlerweile

antike Schönheitsprämierungsfrucht zu errei-

ten von so ungewöhnlichen Objekten wie

ehemaliger Leitung und einzelnen Lehrkräften

chen. Runge, der dies gelingt, nimmt sie,

Weingläsern und Steinen oder weißen Stelen,

in den Medien war, könnte die inhaltliche

klemmt sie zwischen ihre Beine und vollführt

die in Galerien als Stützen für Vitrinen und

­Annäherung der beiden Ausbildungsbereiche

am Trapez zahlreiche Schwünge und Figuren,

Displays benutzt werden. Er betreibt seine

den Aufbruch zu einem neuen Ufer bedeuten.

ohne dass der Apfel dabei zu Boden fällt. Mit

Studien zur „Language of Objects“ nicht nur

Neuer Zirkus bedeutet auch neue Chancen. //

ihrer in vielen Jahren Training errungenen Ge-

künstlerisch wie in seiner Produktion „Tak-

Tom Mustroph

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Graben nach Zusammenhängen Alexander Kluges Kommentare zu Kunst, Geschichte und Politik – anlässlich seines 90. Geburtstags „Das Erzählen ist für den Menschen wie für den Maulwurf das Graben. Alle meine Werke bilden einen Zusammenhang.“ Der Autor und Filmemacher Alexander Kluge wurde 90. Foto Jürgen Bauer, Suhrkamp Verlag.

„Seit 1962 schreibe ich Geschichten“, sagt

phones Erzählen seine Resonanz, verdichten

Alexander Kluge zum Erscheinen seiner bei-

sich seine Geschichten zu einem Chor der

den neuen Bände „Das Buch der Kommenta-

Erinnerung, in dem die bisher Sprachlosen

re. Unruhiger Garten der Seele“ und „Zirkus/

ihre Sprach-Räume finden. In seinen Frank-

Kommentar“. „Außerdem mache ich Filme.

furter Poetik-Vorlesungen von 2012 hat er

Ausgebildet bin ich als Jurist. Die Sachlich-

dieses Prinzip als ein „Sammeln, Finden und

keit dieses Berufs schätze ich. Sie ist der

Erzählen mit Lakonie und Gründlichkeit“ be-

logischer Arbeit in Literatur und Kino. Sein

Phantastik und der Poetik einigermaßen ent-

schrieben. Wenn man erfahren will, mit wie

„Russland-Kontainer“ von 2020 enthält Ge-

gegengesetzt, von der ich lebe und die ich

viel Empathie und Sachlichkeit er als Autor

schichten, die deutlich machen, was für eine

liebe. In Büchern lässt sich beides verbinden:

dabei zu Werke geht, sollte man sich diese

komplexe Sicht auf dieses Land und seine

EMPATHIE und SACHLICHKEIT. Das ist mein

Vorlesungen ansehen und anhören.

Menschen nötig wäre, um unserer histori-

Kluges Wappentier ist der Maulwurf,

schen Verantwortung gerecht zu werden. Im

Viel mehr muss man über Herkunft und

der in seinen Reflexionen immer wieder auf-

„Buch der Kommentare. Unruhiger Garten

Methode des seit dem 14. Februar neunzig-

taucht: „Das Erzählen ist für den Menschen

der Seele“ zeigt Kluge, wie tief wir graben

jährigen Autors und Regisseurs nicht wissen,

wie für den Maulwurf das Graben. Alle meine

müssen, um uns von den Ideologien der line-

um sich in seine Bücher und Filme zu vertie-

Werke bilden einen Zusammenhang: Maul-

aren Erzählungen zu befreien. Und es wirkt

fen. Vielleicht sollte noch ergänzt werden,

wurfstunnel führen von einem zum anderen.“

wie ein Finale, wenn Kluge im „Zirkus/Kom-

dass auch die Emanzipation seines Publi-

Die Tunnel, die er mit seiner „Archäo-

mentar“ seiner Liebe zu den Artisten in der

kums von traditionellen Denk- und Sehweisen

logie der Erinnerung“ freilegt, leuchtet er mit

Zirkuskuppel und im Alltag, aber auch zu den

im Sinne der Kritischen Theorie der Frankfur-

der Strahlkraft seiner kritischen Scheinwerfer

Tieren, die jetzt für immer aus den Manegen

ter Schule von Anfang an sein Anliegen war.

aus und findet immer wieder neue Gänge.

verschwinden, noch einmal seine Reverenz

Das Formprinzip des Kommentars ist ihm

Seine Zuschauerinnen und Zuschauer müs-

erweist. Alexander Kluges neue Bücher ent-

dabei zur „Arbeitsform der poetischen Kritik“

sen deren Verbindungswege selber finden,

halten für Theater, Literatur und Film jede

geworden. Man kann dieses Programm an den

Kluge schreibt sie ihnen nicht vor. „Es geht

Menge „Arbeit für morgen“. //

Titeln seiner bisher wichtigsten Bücher und

darum, durch Montage unsichtbare Bilder

Filme ablesen: „Lebensläufe“ (1962), „Ab-

herzustellen, die im Kopf der Zuschauer ent-

schied von Gestern“ (1965), „Öffentlichkeit

stehen“, sagte er in der zweiten Vorlesung

und Erfahrung“ (1972), „Geschichte und

über sein „Handwerkszeug für Text und

­Eigensinn“ (1981), „Der Angriff der Gegen-

Film“. Damit steht er in der Tradition von Ei-

wart auf die übrige Zeit“ (1985), „Chronik

sensteins Montage und Brechts Epischem

der Gefühle“ (2000), „Die Kunst, Unter-

Theater, aber auch in der Dramaturgie von

schiede zu machen“ (2003), „Geschichten

Kleist und Heiner Müller. Die Gespräche, die

vom Kino“ (2007), „Nachrichten aus der

er mit dem befreundeten Dramatiker zwi-

ideologischen Antike“ (2008) und „Das Boh-

schen 1988 und 1995 für seine dctp-Pro-

ren dicker Bretter“ (2011).

gramme geführt hat, zeigen Kluges Kunst,

Thema.“

Mit Moment- und Nahaufnahmen, in Zeitlupen und Zeitraffern hat Alexander Kluge

mit kritischen Nach-Fragen das Denken zum Tanzen zu bringen.

eine fortgesetzte Chronik geschaffen, die in

„Glück kann man aufsammeln. Das ist

der Bilder- und Informationsflut unseres All-

das, was die Poeten tun.“ Kluge hat niemals

tags erstaunliche und erschreckende Zusam-

aufgehört, Geschichten aufzusammeln und

menhänge aufzeigt. In dieser „Architektur

zu erzählen. In seinen letzten drei Büchern

des Zusammenhangs“ bekommt Kluges poly-

zieht er ein Fazit aus sechzig Jahren archäo-

Holger Teschke

Alexander Kluge Theorie des Erzählens – Frankfurter Poetikvorlesungen 2 DVDs, 240 Minuten mit Audiobonus, 29,90 Euro Russland-Kontainer 444 Seiten, 34 Euro Das Buch der Kommentare. Unruhiger Garten der Seele 400 Seiten, 32 Euro Zirkus/Kommentar 176 Seiten, 28 Euro Suhrkamp Verlag Berlin 2020–2022


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Herbert Achternbusch. Foto Peter Peitsch

Werner Fritsch

Der Befreiungskämpfer Begegnungen mit Herbert Achternbusch PROLOG Auf den Tag genau vor 46 Jahren änderte sich mein Leben: 5.2.76 Lieber Werner Fritsch! Ich finde Deine Texte überraschend stark, OFFEN am besten. Ich würde sie meinem Verlag schicken, wenn ich sie dort in guten Händen wüßte, mein Lektor des Vertrauens ist nicht mehr dort. Wenn Du einmal mehr hast, lese ich es gern und helfe Dir auch, wenn ich kann. Schau auf Deine Provinz! Jerry Lewis und Erich von Stroheim sind die besten! Servus! Herbert Achternbusch, 8035 Buchendorf Für den Fünfzehnjährigen, der, auf Hinweis seines Lehrers, Herbert Achternbusch erste Texte geschickt hatte, war diese Postkarte ein Donnerschlag. Später durfte ich meine Abiturarbeit über Achternbusch schreiben. ERSTES ANALOGES TREFFEN: BUCHENDORF 1978 HA Was krallst jetzt in meinen Büchern umeinander? Lacht Ach ja, das merkt eh keiner, daß ich eine ganze Seite vom Horváth abgeschrieben hab! WF Ich werde schweigen wie ein Grab! HA Erst nach meinem Tod! WF Horváth, Fleißer – und sonst auf dem Theater? HA Lieber Aristophanes als Aristoteles! Jarry! Ein scharfer Hund ist der Wolfi Bauer! Im Juli war er da: Ewig gesoffen! Bis uns der Buchendorfer Kirchturm nachgelaufen ist! Original! Samt der Glocken! Zum Glück ist mir der Revolver im Schreibtisch eingefallen, mit dem sich meine Mutter erschossen hat … Und ich schieß im Garten das Magazin leer auf den Kirchturm. Jetzt kommt die Gerda daher: „Seids ihr total wahnsinnig? Die Kinder zelten doch heut Nacht im Garten.“ WF Ich hab euch beide gesehen: im KasparHauser-Film von Herzog … Und Beckett? HA Als ich „Ella“ inszeniert hab in Stuttgart … Jetzt sitzt da in der Südfunk-Kantine der Beckett. Hat ein Fernsehspiel realisiert … Keiner sich hingetraut … Bin ich hinaus in meinen VW-Bus, Whiskey geholt. Hin zu ihm, auf den Whiskey gezeigt. Hat mich der Beckett mit einer noblen Geste eingeladen, Nobelpreisträger, weißt schon: Ich pflanz mich hin, schau ihn nur an, schenk ihm ein, mir … Den ganzen Whiskey

geleert, kein Wort ist gefallen! Anderntags erzählt Werner Spies, dass Samuel Beckett gesagt hat: Gestern in der Kantine hätt er sich mit einem jungen Deutschen sehr gut unterhalten … REGIEASSISTENZ BEI ANALOGEM FILM: AMBACH 1982 Aufgrund meiner Abiturarbeit, erschienen im Suhrkamp-Materialienband zu Herbert Achternbusch, bot er mir die Regieassistenz bei „Der Depp“ an. Hochinteressant sein Umgang mit Laien, die er – im Gegensatz zu Regisseuren des Neorealismus – nicht das, was sie im Leben ohnehin sind, spielen ließ (schon auch), sondern Laien-Theater im Film, en passant einen hochtheatralischen Verfremdungseffekt erzeugend. Gegen Ende der Dreharbeiten, eines Morgens: HA Der Fassbinder ist tot! Das ist das Ende des Neuen Deutschen Films! Ich werd ein Holzhaus kaufen im Bayrischen Wald und Laotses „Tao te king“ übersetzen … Er boxt mich wie ein Zen-Meister auf die linke Schulter. HA Jetzt mach dein eigenes Zeug! Das Zeug dazu hast du! Statt in Einsamkeit und Tao te king stürzte er sich jedoch noch tollkühner ins Tohuwabohu des Filmemachens, in Fassbinders Fußstapfen … Kurzum: Ich habe viel für meine eigene Arbeit gelernt. Vor allem, dass ich es, um originär zu sein, wieder ganz anders machen muß als er, geschweige anders als all die andern. Jedenfalls machte und mache ich – in Berlin – mein eigenes Zeug: Der Neue Deutsche Film ist immer noch nicht tot, aber dessen Zuschauer … DAS LETZTE ANALOGE TREFFEN: MÜNCHEN 2007 Unterwegs zur Akademie, seh ich Achternbusch schweren Schrittes aus dem Weißen Bräuhaus kommen … HA Wo kommst her? WF Aus Ägypten. Und ich zeige auf mein schwarzes T-Shirt voll weißer Hieroglyphen. HA 6. Dynastie, Grab des Wesirs Teti … WF Wow! HA Wo gehst hin? WF In die Akademie … HA Bist Professor worden? Hab ich dir nicht

gesagt: Du sollst dein eignes Zeug machen? WF Tu ich ja! Jetzt werd ich ja nur Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste … HA Aja … Das wär nix für mich … WF Bist ja selber Mitglied! Eich war es auch! HA Aja? Gestern hab ich meinen Briefwechsel mit Günter Eich verbrannt. Und mit der Asche und chinesischem Tee ein Bild gemalt: „Die Tränen des Tschuang Tse … “ WF Wer’s glaubt, hehe! HA lächelt WF Die Kalauer der Eich’schen „Maulwürfe“ als Revolte gegen das eineindeutige BürokratiePolitik-Wissenschafts-Deutsch schreibst du in jedem Fall fort … HA Um jeden Preis unverständlich bleiben! Wer versteht, gehorcht! WF Die Asche von Günter Eich ist unter Johannesbeerbüschen verstreut … HA Wo? Unter roten oder schwarzen Johannisbeeren? WF Sag ich dir nicht, sonst malst du auch noch mit der Asche von Günter Eich! HA Hieroglyphen aus der 6. Dynastie! WF Ein Totenbuch? HA Das Herz wird gewogen! EPILOG: ACHTERNBUSCH DIGITAL? Heiner Müller: „Herbert Achternbusch ist ein Klassiker des antikolonialistischen Befreiungskampfes auf dem Territorium der BRD“. In Wirklichkeit ist Herbert Achternbusch ein Klassiker von ungleich größerer Aktualität: Herbert Achternbusch ist ein Klassiker dessen, was heutigentags im Netz an spontanen Notaten und Selfies gepostet wird. Nur dass es in seinem Fall und in seiner Zeit erst nach einem halben Jahr als Buch erschien – und ungleich zeitloser ist. Auch sind seine Filme nun, da jeder Fotos und Reels von sich im Netz postet, Selfies avant la lettre, monu:mentale Home Movies auf Zelluloid … Servus Herbert! Vale Poeta! Non vivere – navigare necesse est!

Seoul 5. 2. 2022


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Das weiße Hemd Zum Tode des Schauspielers und Intendanten Dieter Mann Er konnte ganze Stücke zwischen seinen Lip-

me, gerade gezogen wie eine Schwertschnei-

aus einem leidenschaftlich ehrlichen, über-

pen zusammenpressen, bis sie ihren Wesens-

de. Großartig kühl, metallisch müde. Alle

zeugend kritischen Theater-Lagebericht bei

schrei ausstießen. Er malmte den Text nicht,

Tatsachen sprechen da gegen einen Men-

SED-Kulturchef Kurt Hager), war ein Sieg des

ein kurzer Biss quasi, der genügte, und Spra-

schen, nur sind Tatsachen halt nicht seine

Ensembles – dessen künstlerische Anzie-

che war gepackt in ihrem bittersten, kältesten

Sache. Vielleicht ist solche Ignoranz die wah-

hungskraft so legendär strahlte wie sein Ab-

Kern. Und dann sprangen die Sätze spitz,

re Freiheit, sie machte bei Dieter Mann sogar

stoßungswille gegen „Eindringlinge“ von

durchschlagend wie Funken von den Zähnen

einen Mächtigen zum Menschen – vorher frei-

draußen. Das Novum dieser Intendanz bis

ab. Oder er spuckte das Wort grinsend aus

lich wollte gestorben sein.

1991: Frank Castorf und Heiner Müller, Tho-

wie einen Dartpfeil: bohrende Grüße aus ei-

Und sein Lear, ebenfalls in Dresden,

mas Langhoff und Rolf Winkelgrund am

nem Gletscherbezirk. Er verschwand – spie-

2008, Regie: Holk Freytag: wie ein Panorama

Haus! Eine Wende, nicht ohne Wunden, doch

lend – nicht gern in einem bewegungsflam-

dessen, was Dieter Manns Figuren-Kosmos

Manns Leitung muss als sehr klug, uneitel,

menden Rausch. Er schnürte zusammen, wo

der Reifezeit ausmachte. Ein Gesicht auf Le-

konzentriert, unspektakulär eingestuft wer-

andere ins Fließen kämen. Rosows Wolodja,

bensweltreise: hart, herrisch, hassend, plötz-

den, sie hat ihren großen Platz in der DT-­

Plenzdorfs Wibeau, Lessings Tempelherr,

lich hellwach. Ein wenig glaubt dieser Ex-

Geschichte. Wahrscheinlich bestand diese

Goethes Antonio, Shakespeares Ariel, Bechers

König schon, dass er Gott sei und bleibe: so

Klugheit wesentlich darin, die eigene Moral

Hörder,

Strauß’

gnädig von oben herab. Bis um ihn herum

zu behaupten, aber sie nicht, als allgemeines

Odysseus, Tschechows Sorin, Dorn, Gajew.

nichts mehr wirklich ist, aber alles Bittere so

Gesetz, den anderen aufzudrängen.

Über 45 Jahre Deutsches Theater Berlin!

kopfschmerzend wahr wird.

Hauptmanns

Wehrhahn,

Die von ihm verkörperten und gelesenen

Als er spät auch am Berliner Ensemble

Der Berliner vom Jahrgang 1941, ein

Gestalten offenbarten des Schauspielers wahr-

arbeitete, an Castorfs Volksbühne, am Wiener

Acht-Klassen-Schüler, hatte Dreher gelernt,

lich tolle Gabe: Stücken die Stirn zu kühlen.

Burgtheater, bei den Nibelungen-Festspielen in

ging zur Arbeiter-und-Bauern-Fakultät. Er er-

Jede Seele versehen mit einem Senkblei der

Worms und vor allem in Dresden (Nathan, der

zählte, er habe als junger Mensch dann, wenn

Selbstbeherrschung. Die Herzkammern licht-

alte Moor), sah man seiner Kunst an: Die sinn-

er eine Schallplatte hörte, nicht geraucht.

dicht. Klar, ein berückend schnoddriger Komö-

und freudestiftenden Zusammenhänge seines

Schönes Indiz einer ehrfürchtigen Annäherung

diant (bis hin zu Auftritten im TV-„Kessel Bun-

Lebens waren ihm nicht mehr zu nehmen. Be-

an Kunst. Eine Begegnung, die nie Kumpanei

tes“), selbst un-verschämt grinsende Komik

merkenswert, wie er der Zeit nachblickte, die an

werden wollte, die aber soziales Erwachen be-

musste bei Dieter Mann durch Grenzkontrol-

ihm vorüberzog – wie etwas, das man nicht auf-

deutete und zugleich etwas spüren ließ von der

len. „Ich fühle mich mit Menschen und Din-

halten soll, wenn man denn weiter lustvoll blei-

Macht einer größeren Kraft – die Geheimnis

gen verbunden, die schon lange vor mir waren

ben möchte. Es gibt eine Neugier aufs Leben,

blieb. Das Deutsche Theater der grandiosen

und lange nach mir sein werden. Ich bin kein

die erfüllt sich im Loslaufen, eine andere setzt

Schauspielerinnen und Schauspieler bedeute-

sehr optimistisches Gemüt, aber wenn man

Loslassen voraus. Zu Manns Charakter gehörte:

te ihm dann: Olymp. Hohe Ebene. Hohe Ebe-

etwas aufrufen kann, das unsere kleine Exis-

wie er das ihm Unangemessene jederzeit wür-

nen sind klein. Wie Boxringe. Die Kämpfe,

tenz plötzlich weit öffnet – das ist doch Hoff-

dig missachtete und in belästigenden Zumu-

künstlerisch und politisch, waren nicht gering.

nung über Hoffnung.“ Am 3. Februar 2022 ist

tungen preußisch unantastbar bleibt.

Auch Dieter Mann war Kämpfer. Beherrschte

Dieter Mann mit 80 Jahren in Berlin gestor-

das offene Visier wie die Deckung. „Hingabe

ben. //

Der Wallenstein am Staatsschauspiel Dresden, 1999 in der Inszenierung von Hasko

Hans-Dieter Schütt

ja, Preisgabe nie“, sagte er im Gespräch.

Weber: Inmitten der militärischen Erhitzun-

Der Schüler und Gefährte von Wolf-

gen und familiären Exaltationen ein Minima-

gang Heinz und vor allem Friedo Solter wurde

list der Emotion. Alles Leiden scheint ihm

1984 Intendant des DT. Seine Berufung (ihn

eine widerwärtige Regung zu sein. Eine Stim-

selber überraschend, der Vorschlag erwuchs

„Hingabe ja, Preisgabe nie.“ Dieter Mann in „Wallenstein“ am Staatstheater Dresden 1999. Foto HL Böhme


magazin

/ TdZ März 2022 /

Festivalarbeit als performatives Handeln?

­eigenen Erfahrungen aus, die sie während ­der

vals. Ihre Ausführungen sind dabei auch auf

gemeinsamen Organisation des kollektiv orga-

Theaterfestivals übertragbar. In ihren Ausfüh-

nisierten Festivals transeuropa fluid gemacht

rungen, aus denen auch das eingangs ange-

„Ich habe zehn Tage lang gearbeitet, jeden

haben, das 2018 in Hildesheim stattfand.

führte Zitat stammt, zeigt sie schlüssig, aber

Tag von 11 Uhr bis nachts spät, meistens bis

Diese, wie die Herausgeber:innen es nennen,

auch erschreckend auf, wie die Motivation für

4 Uhr morgens, aber manchmal auch nur bis

„ganzheitliche“ Betrachtungsweise der Festi-

das Absolvieren von sowie der Umgang mit

2 Uhr, weil ich keine Kraft mehr hatte. Und

valarbeit soll im Band „Radikale Wirklich-

Praktika und Volunteering letztendlich dazu

am Ende habe ich 0 Euro bekommen.“

führt, prekäre Arbeitsbedingungen, Konkur-

Festivals und damit auch die Arbeit an,

renzdruck und die Ökonomisierung des Kul-

auf und mit ihnen, haben seit den 1940er

Julia Buchberger / Patrick Kohn / Max Reiniger (Hg.) Radikale Wirklich­ keiten – Festival­ arbeit als performa­ tives Handeln. Transcript Verlag, Bielefeld 2021, 216 Seiten, 38 Euro

Jahren einen festen Platz in der Kultur- und Theaterlandschaft. Allein im deutschsprachigen Raum gibt es über einhundert Festivals, in deren Rahmen Theateraufführungen produziert und/ oder gezeigt werden – meist ­unter prekären und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen mit befristeten oder inhaltlich schwammig formulierten Verträgen. Gleichzeitig werden Festivals als Experimentier­ felder, manchmal sogar als Utopie für neue,

turbetriebs fortzuführen. Oft steht die Arbeit an Festivals dadurch in einem ambivalenten Verhältnis zur gezeigten Kunst. Diese These stützt auch der vielleicht ein bisschen nischige, aber darin umso exemplarischere GesprächsBeitrag mit Thomas Friemel, Mitbegründer der freitagsküche. Eigentlich sollte er erklären, wie Festivalgastronomie und Vermittlung in Beziehung zum künstlerischen Programm eines Festivals gebracht werden, beziehungsweise ohnehin schon stehen. Das Gespräch entpuppt sich

gerechtere und progressivere Theaterarbeit

jedoch als scharfe Kritik daran, wie Ver­

und Ästhetiken gehandelt. In ihrem Sammelband „Radikale Wirk-

keit“ überprüft und theoretisch ausgeführt

mittler:innen auch im Festivalkontext zu

lichkeiten – Festival­arbeit als performatives

werden. Der Band ist in drei Kapitel unter-

„Künstler:innen zweiter Klasse“ werden und

Handeln“ stellen die Herausgeber:innen Julia

teilt, die sich Theaterfestivals in ihrer Funk-

ihre Formate oft weniger, als behauptet, in

Buchberger, Patrick Kohn und Max Reiniger

tions- und Wirkungsweise als Arbeitsumfeld

einen inhaltlichen sowie strukturellen Kon-

die Arbeit an Festivals in den Fokus der

(1), dem Wechselspiel zwischen Strukturen

text zu den eingeladenen Arbeiten integriert

Betrachtung und lassen die Autor:innen in ­

und Ästhetiken von Festivals (2) sowie dem

sind.

Essays, Aufsätzen und Gesprächen das per-

Drumherum, sprich Verpflegung, Vermittlung

formative Potenzial der Festivalarbeit dis­

und Kritik (3) annehmen.

Es wäre wünschenswert gewesen, die Herausgeber:innen hätten die Fülle an ver-

kutieren. Radikale Wirklichkeit heißt hier die

Die Beiträge spannen dabei ein Feld

schiedenen Beiträgen am Ende nochmals

Methode, mit der Theaterfestivals in ihrer

von Bewerbungsarbeit und Residenzformaten

­zusammengeführt und so einen Ausblick für

Funktion und Wirkungsweise als Produktions-

über Diversitätsentwicklung sowie die Rolle

Festivals gewährt. So könnte aus der Methode

und Arbeitsumfeld betrachtet werden.

der Geschäftsführung von Festivals bis hin zu

der „Radikalen Wirklichkeit“ vielleicht sogar

Die radikale Betrachtungsweise soll

Festivalarchitekturen und Studierendencam-

eine lebbare Utopie werden. //

den Anspruch markieren, „die gesamte

pi. Besonders spannend ist der Beitrag von

Arbeit, also die vielfältigen kuratorischen, ­

Bianca Ludewig, die sich eines arbeitssozio-

künstlerischen, administrativen, koordinie-

logischen Blicks auf Praktika und Voluntee-

renden und aus­führenden Tätigkeiten, die zur

ring im Rahmen von Transmedia Festivals

Entstehung, Umsetzung und Nachbereitung

annimmt. In ihren e­ mpirischen Untersuchun-

eines Festivals beitragen, gleichberechtigt

gen befragt sie ­sowohl Festivalmacher:innen

zum Objekt der Betrachtung zu machen.“ Die

als auch Prakti­kant:innen und Volunteers auf

Heraus­ geber:innen gehen dabei von ihren

mehreren internationalen Transmedia Festi-

Bewerben und Studieren Zeitgenössisches Theater | Film | Performancepraktiken

Regie Abschluss Bachelor of Arts Bewerbungsfrist 31.03.2022

Dramaturgie Abschluss Master of Arts Bewerbungsfrist 31.03.2022

Lina Wölfel

Weitere Informationen www.adk-bw.de

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aktuell

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Sandro Lunin. Foto Andy Tobler

Meldungen ■ Das Theater Pforzheim stellt sein neues Leitungsteam vor. Ans Haus wechseln ab der neuen Spielzeit neben dem designierte Intendant Markus Hertel, der Verwaltungsdirektor Uwe Dürigen, Andreas Frane als Schauspieldirektor und Stellvertreter des Intendanten, die Leiterin des Jungen Theaters Stephanie

vorübergehenden Einschränkung der Möglich­ keit der arbeitgeberseitigen Beendigung solcher Arbeitsverträge und der Verpflichtung zur Zahlung von Ausfallhonoraren an Gast­ künstler/innen, die wegen pandemiebedingter Vorstellungsausfälle nicht zum Einsatz kommen. Über beides war der Bühnenverein ohne nähere

Begründung

nicht

verhandlungs­

bereit.

Kuhlmann und Ausstattungsleiterin Esther ■ Die Akademie der Künste hat 30 neue Mit-

Bätschmann an Theater Pforzheim. Adolphe Binder und Tilman O’Donnell. Foto Christian Knörr

glieder aufgenommen. Die Wahlen fanden auf der 57. Mitgliederversammlung (12.–14. November 2021) in Berlin statt. Alle neu ■ Sandro Lunin wird im Juli 2023 sein Amt

hinzugewählten Mitglieder haben mittlerweile

als Künstlerischer Leiter der Kaserne Basel

ihre Wahl angenommen. In der Sektion Dar-

auf eigenen Wunsch niederlegen. Nach fünf

stellende Kunst wurden Lars Eidinger und

Jahren als Künstlerischer Leiter wird Lunin

Ulrich Rasche aufgenommen. Aktuell zählt

im Jahr 2023 im Alter von 65 Jahren pen­

die Akademie der Künste 426 Mitglieder in

sioniert. Der Vorstand der Kaserne und eine

ihren sechs Kunst-Sektionen.

Findungskommission wird sich nun um eine Nachfolge kümmern. Sandro Lunin war von

■ Die Hochschule für Schauspielkunst Ernst

2007 bis 2018 Leiter des Zürcher Thea­

Busch hat die Einrichtung und den Betrieb

terspektakels gewesen. Zuvor hatte er das

einer Photovoltaikanlage auf dem Dach des

Schlachthaus Theater in Bern und das Thea-

neuen Standortes an der Zinnowitzer Straße

terbüro der Roten Fabrik in Zürich geleitet.

mit den Berliner Stadtwerken vereinbart. Mit

■ Adolphe Binder wird Kuratorin und Künstle-

der neuen Anlage sollen 27 Prozent des

rische Direktorin der Ballettcompagnie am

■ Der Aufsichtsrat des Städtischen Deutschen

Strombedarfs der Hochschule gedeckt wer-

Theater Basel. Sie übernimmt damit von

Theaters München hat am Freitag nach eige-

den.

2023 bis 2025 die Künstlerische Leitung des

nen Angaben die Geschäftsführung des Hau-

Balletts am Theater Basel. Unterstützt wird

ses abberufen. Dies gelte mit Wirkung zum

■ Der Schauspieler Arthur Hughes wird der

sie dabei vom deutsch-amerikanischen Tanz-

1. Februar. Hintergrund seien nicht erfolgte

erste Schauspieler mit körperlicher Behinde-

künstler Tilman O’Donnell. Zuletzt verantwor-

Auszahlungen von Zulagen an die Beschäftig-

rung, der an der Royal Shakespeare Company

tete Adolphe Binder mit dem Tanztheater

ten. Der Aufsichtsrat des Theaters werde die

Richard III spielt. Regie der Produktion, die

Wuppertal Pina Bausch die ersten abendfül-

Zahlung der Zulagen an die Beschäftigten in

am 23.6.2022 an der RSC Premiere haben

lenden Uraufführungen seit einem Jahrzehnt.

die Wege leiten. Der Spielbetrieb des Hauses

wird, führt Gregory Doran. 2018 führte die

mit vielen Gastspielen sei gewährleistet.

Besetzung von Lars Eidinger an der Ber­

■ Bettina Bruinier wechselt ans Tiroler Lan-

liner Schaubühne zu einer Cripping-Up-­

destheater Innsbruck. Zum Ende der Spielzeit

■ Die dritte Runde der Tarifverhandlungen

Debatte in der deutschsprachigen Theater-

2022/23 verlässt die Intendantin das Saar-

über die pandemiebedingte Wiederaufnahme

landschaft.

ländische Staatstheater und wechselt in die

von Kurzarbeit an den kommunal getragenen

Co-Direktion des Schauspiels in Innsbruck.

Theatern und Orchestern zwischen dem

■ Die drei Gewinnerinnen des Wettbewerbs

­Deutschen Bühnenverein und den Künstler­

für zeitgenössische griechische Dramatik

■ Ute Haferburg übernimmt Intendanz des

gewerkschaften DOV, GDBA und VdO endete am

­MYTHOS, den das Theater Regensburg gemein-

Theater Casino Zug. Am 18. Januar 2022 Ute

17.1.2022 mit sehr unterschiedlichen Er-

sam mit dem Nationaltheater Nordgriechen-

Haferburg gemeinsam als geschäftsführende

gebnissen: Während für die Orchestermu-

lands in Thessaloniki auslobt, stehen fest.

Intendantin des Theater Casino Zug gewählt.

siker/innen eine Einigung erzielt werden

Das teilte das Theater Regensburg am 10.

Ute Haferburg ist damit für die künstlerische

konnte, brach der Bühnenverein die Verhand-

Februar 2022 in einer Pressemitteilung mit.

Leitung und gleichzeitig die Gesamtleitung

lungen für die künstlerisch Beschäftigten der

Aus den insgesamt 126 eingereichten Texten

des Theater Casino Zug in der Zentralschweiz

Bühnen ab. Aufgrund der negativen Erfahrun-

wählte die Jury (Antigone Akgün, Franziska

verantwortlich. Ab dem 1. August 2022 wird

gen beider Beschäftigtengruppen in zurück­

vom Heede, Klaus Kusenberg, Prodromos

sie die Geschäftsführung sowie die künstleri-

liegenden Kurzarbeits-Phasen haben die zu-

­Tsinikoris und Stella Papadimitriou) die drei

sche Leitung des Theater Casino Zug von Phil

ständigen Gewerkschaften VdO und GDBA

Texte aus. Das erstprämierte Stück wird in

Danken übernehmen, der das Theater zuvor

die Zustimmung zu den Forderungen des

Regensburg uraufgeführt. Die Gewinnerinnen

in einem befristeten Interimsmandat geleitet

Bühnenvereins von spezifischen Absicherun-

sind: 1. Preis Natassa Sideri 2. Preis Danai

hatte.

gen abhängig gemacht, insbesondere einer

Epithymiadi 3. Preis Stellina Vogiatzi.


aktuell

/ TdZ März 2022 /

■ Die 10er Auswahl des 59. Theatertreffens

gard Haug; Elfriede Jelinek „Lärm. Blindes

eine

steht fest. Die Jury des Theatertreffens 2022

Sehen. Blinde sehen!“, Regie: Karin Beier;

Online-Publikumsvotum geben, für das die ­

präsentierte gemeinsam mit der letztmaligen

Sarah Kilter „White Passing“, Regie: Thirza

ausgewählten Fragmente digital produziert

Festivalleitung Yvonne Büdenhölzer am 3.

Bruncken; Akın Emanuel Şipal „Mutter Vater

und auf der Webseite des Landestheaters

­Februar 2022 „die zehn bemerkenswertesten

Land“, Regie: Frank Abt. Mehr als die Hälfte

Detmold veröffentlicht werden. Dem Gewin-

Inszenierungen des vergangenen Theaterjah-

der Nominierten dieses Jahres ist zum ersten

nertext soll als (szenische) Lesung am Lan-

res“. Die seit 2020 geltende Frauenquote von

Mal eingeladen: Nora Abdel-Maksoud, The­

destheater Detmold inszeniert werden. Ein-

50 Prozent in der Regieposition wurde auch

resa Dopler, Sarah Kilter und Akın Emanuel

reichungen sind bis 15. Mai 2022 möglich.

dieses Jahr berücksichtigt. Die Jury, bestehend

Şipal.

aus den Kritiker:innen Mathias Balzer, Georg

dieses Jahr die Theaterkritiker:innen Eva ­

Kasch, Sabine Leucht, Petra Paterno, Katrin

Behrendt (Theater heute), Christine Dössel

Ullmann, Sascha Westphal und Franz Wille

(Süddeutschen Zeitung), Wolfgang Kralicek

wählte aus 540 Inszenierungen aus dem

(Theaterkritiker, u. a. Süddeutsche Zeitung,

Auswahlkommission

und

ein

anschließendes

gehören Hans Neuenfels: kranichfoto

Der

Jury

deutschsprachigen Theaterraum aus. Nomi-

Falter und Theater heute) Stephan Reuter

niert sind: „All right. Good night. Ein Stück

(Basler Zeitung) und Christine Wahl (nacht-

über Verschwinden und Verlust“ von Helgard

kritik.de) an. Kategorie KinderStückePreis:

Haug (Rimini Protokoll), Text und Regie Hel-

Raoul Biltgen: „Zeugs“ Regie: Paola Aguilera;

gard Haug; „Das neue Leben. Where do we go

Felix Ensslin „Die seltsame und unglaubliche

from here“ frei nach Dante Alighieri, Meat

Geschichte des Telemachos“, Regie: Felix

Loaf und Britney Spears auf Grundlage einer

Ensslin; Milan Gather „Oma Monika – was

Übersetzung von Thomas Vormbaum, Re-

war?“, Regie: Milan Gather/Sergej Gößner;

gie Christopher Rüping; „Der Tartuffe oder

„Der fabelhafte Die“, Regie: Kristo Šagor; Lena

Kapital und Ideologie“ von Soeren Voima

Gorelik. Als die Welt rückwärts gehen lernte“

nach Molière und nach „Kapital und Ideo­

Regie: Judith Huber Der Auswahlkommission

■ Der Regisseur Hans Neuenfels ist tot. Der

logie“ von Thomas Piketty, Regie Volker

dieses Jahr gehörten Thomas Irmer (Theater

Theater- und Opernregisseur, Schriftsteller

Lösch; „Die Jungfrau von Orleans“ nach

der Zeit), Werner Mink (freier Theaterregis-

und Filmemacher ist am 6. Februar in Berlin

Friedrich Schiller in einer Bearbeitung von

seur) und Theresia Walser (Dramatikerin) an.

gestorben. Hans Neuenfels, 1941 in Krefeld geboren, hat in Wien und Essen Schauspiel

Joanna Bednarczyk, Regie Ewelina Marciniak; „Die Ruhe“ Eine Performance-Installation

■ Das Kleist Forum Frankfurt (Oder) und die

studiert und in den 1960er Jahren in Wien

von SIGNA, Konzept und Regie Signa Köstler;

Stadt Frankfurt (Oder) haben den Preisträger

am Theater am Naschmarkt begonnen zu in-

„Doughnuts“ von Toshiki Okada aus dem

des „Kleist-Förderpreises für junge Drama­

szenieren. Berühmt wurde er für seine Zu-

Japanischen ­

tikerinnen und Dramatiker“ 2022 bekannt

sammenarbeit mit dem Dirigenten Michael

­Regie Toshiki Okada; „Ein Mann seiner Klas-

gegeben. In diesem Jahr geht die Auszeich-

Gielen und dem Dramaturgen Klaus Zehelein

se“ nach dem Roman von Christian Baron für

nung an Amir Gudarzi für sein Stück „Won-

an der Frankfurter Oper mit der Inszenierung

die Bühne bearbeitet von Lukas Holzhausen

derwomb“. Der Kleist-Förderpreis ist mit ei-

von Guiseppe Verdis „Aida“ 1981, die zum

und Annika Henrich, Regie Lukas Holz­

nem Preisgeld von 7 500 Euro dotiert und mit

Skandal wurde. Ende der 1980er Jahre wurde

hausen; „humanistää! eine abschaffung der

einer Uraufführungsgarantie verbunden, die

er Intendant der Berliner Volksbühne. 2010

sparten“ nach Ernst Jandl, Regie Claudia

in diesem Jahr vom Hessischen Landesthea-

war er erstmals bei den Bayreuther Festspie-

Bauer; „Like Lovers Do (Memoiren der Med­

ter Marburg (HLTM) übernommen wird.

len eingeladen. Für sein Lebenswerk erhielt

von

Andreas

Regelsberger,

usa)“ von Sivan Ben Yishai; Regie und Cho­

er den Theaterpreis Der Faust.

reografie Pınar Karabulut; „Slippery Slope.

■ Das Landestheater Detmold und die Grabbe-

Almost a Musical“ von Yael Ronen, Shlomi

Gesellschaft Detmold schreiben den Christian-­

Shaban und Riah Knight, Itai Reicher,

Dietrich-Grabbe-Preis 2022 aus. Gesucht wer-

­Regie Yael Ronen.

den

Theatertexte,

die

die

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Beziehungen

zwischen demokratischem Staat und indivi-

JOËL POMMERAT

■ Die Mülheimer Theatertage geben ihre No-

dueller Verantwortung innovativ beschreiben,

minierungen für den 47. Mülheimer Dramatik-

sich den Widersprüchen der globalen Gegen-

preis und den Kinderstückepreis 2022 be-

wart widmen und über Perspektiven und Neu-

DIE WIEDERVEREINIGUNG DER BEIDEN KOREAS

kannt. Beide Preise sind mit je 15 000 Euro

entwürfe von politischer und gesellschaftli-

Regie: Stefan Wolfram

dotiert. Nominiert sind: Nora Abdel-Maksoud

cher Realität nachdenken. Der Hauptpreis in

„Jeeps“, Regie: Nora Abdel-Maksoud; Sivan

Höhe von 15 000 Euro teilt sich in ein Preis-

Deutsch-Sorbisches Volkstheater

Ben Yishai „Wounds Are Forever (Selbstport-

geld von 7 500 Euro und einen Urauffüh-

Premiere in Bautzen: 4. März 2022

rät als Nationaldichterin)“; Regie: Marie

rungsvertrag von ebenfalls 7 500 Euro auf.

Bues; Theresa Dopler „Monte Rosa“, Regie:

Das prämierte Werk wird in Theater der Zeit

Matthias Rippert; Helgard Haug (Rimini Pro-

abgedruckt. Für den mit 5 000 Euro dotierten

tokoll) „All Right. Good Night.“, Regie: Hel-

Förderpreis wird es einen Vorentscheid durch

MERLIN VERLAG

21397 Gifkendorf 38 Tel. 04137 - 810529 info@merlin-verlag.de www.merlin-verlag.de


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aktuell

/ TdZ März 2022 /

Premieren

März 2022

Altenburg Theater G. Hauptmann: Die

Schaus: Die Kartoffelsuppe (A. Gruhn,

Kassel Opernhaus B. Brecht: Die Dreigro-

Schroeder: Alte Liebe (S. J. Fischer,

Ratten (M. Kressin, 18.03.)

12.03.); K. Röggla: Kinderkriegen 4.0 (J.

schenoper (M. Berger, 19.03.) Staatsthe-

12.03.); A. Tschechow: Der Kirschgarten

Baden-Baden Theater C. Kettering: IM

Wissert, 19.03.)

ater Kassel O. Preußler: Krabat (18.03.)

(K. Minkowski, 12.03.); H. v. Kleist: Die

WALD (O. Bereska, 25.03., UA)

Dresden Staatsschauspiel A. Liebmann:

Kiel Theater T. Storm: Der Schimmelreiter

Marquise von O. (R. David, 27.03.)

Berlin Berliner Ensemble C. Brückner/A.

Leben nach der Kunst (A. Liebmann,

(D. Karasek, 04.03.); M. A. Yasur: In der

Rudolstadt Theater E. Künneke: Der Vet-

Angst/S. Matter/M. Miedler/H. Perleth/M.

11.03., UA); H. Ibsen: Ein Volksfeind (L.

Schwebe (J. Nowinski, 06.03.)

ter aus Dingsda (A. Harden, 05.03.); T.

Schultz: Neue ungehaltene Reden unge-

Linnenbaum, 19.03.)

Klagenfurt Stadttheater G. Verdi: Rigolet-

Storm: Der Schimmelreiter (J. v. Kann,

haltener Frauen (S. Klösener, 06.03.); W.

Eisenach

to (R. Schuster, 17.03.)

09.03.); H. v. Kleist: Der zerbrochene

Borchert: Draußen vor der Tür (M. Thal-

durch Eisenach (C. Macha/C. Gnädig/M.

Köln Schauspiel W. Shakespeare: FALS-

Krug (M. Fennert, 26.03.)

heimer, 25.03.) Deutsches Theater n. J.

v. Schurer, 17.03., UA); Licht! Eine tänze-

TAFF – LET’S GET DRUNK ON LIFE! (J.

Schleswig Theater S. Langmack: He-

W. v. Goethe: Werther (E. Marciniak,

rische Sehreise. (A. Plucis, 26.03., UA)

Bosse, 18.03.);

ringstage (S. Langmack, 19.03., UA)

04.03.); n. T. Bernhard: Auslöschung. Ein

Essen Schauspiel n. J. Safran Foer: Extrem

Krefeld Theater A. Lloyd Webber: Sunset

Schwedt/Oder Uckermärkische Bühnen

Zerfall (K. Henkel, 05.03., DEA); L. Tolstoi:

laut und unglaublich nah (T. Ladwig, 04.03.)

Boulevard (F. De Carpentries, 12.03.)

T. Müller: Planet der Hasen (T. Esche,

Auferstehung (A. Petras, 17.03.); J. Sam-

Esslingen Württembergische

Landes-

Leipzig Schauspiel W. Lotz: Die lächerli-

17.03.); T. v. Hasselt: Hans im Glück (A.

jatin: Wir (M. Didenko, 27.03.) Theater-

bühne S. Heym: Der große Hanussen (K.

che Finsternis (J. Fürstenau, 05.03.);

Nicke, 19.03., UA)

discounter M. Porter: Trauer ist das Ding

Hemmerle, 19.03., DEA)

Mount Average (J. Hetzel, 09.03., DEA);

Stendal Theater der Altmark J. Teller: Nichts.

mit Federn (M. Buss/M. Grill/Sabrina,

Frankfurt am Main Künstlerhaus Mou-

Undine (A. Mahler, 26.03., UA)

Was im Leben wichtig ist (D. Moser, 24.03.);

11.03.) theaterforum Kreuzberg H. E. v.

sonturm Die Spitzköpfe und die Rundköp-

Linz

Oppeln-Bronikowski: Luther, der Kardinal

fe (G. Ligna, 10.03., UA); Tanz ist eine

Geschichten aus dem Wiener Wald (S.

Stralsund Theater Vorpommern S. Göß-

und die Daten (A. Poland, 23.03.,

tolle rhythmische Bewegung zu Musik (J.

Mohr, 19.03.)

ner: Mongos (A. Kuß, 15.03.)

UA) Volksbühne R. Pollesch/F. Hinrichs:

Batelaan/Theater

24.03.,

Mainz Staatstheater A. Dalferth/S. Bauer:

Tübingen Werkstatt H. El Kurdi: Angst-

Geht es dir gut? (R. Pollesch, 24.03., UA)

UA) Schauspiel R. Wenig: Die Zeit, die

Fish Forward (A. Dalferth, 04.03., UA); J.

män (O. Kostecka, 05.03.)

Landestheater

Durch

Artemis,

und

Landestheater

Ö.

v.

Horváth:

D. Mamet: Oleanna (J. Gade, 25.03.)

Biel / Solothurn TOBS Molière: Der Ein-

Stadt und wir (R. Wenig, 06.03., UA); L.

Hader/A.

gebildete Kranke (K. Rupp, 12.03.); J. W.

Buñuel:

der

06.03., UA); E. Filippou: Rob (W. Menar-

v. Goethe: FAUST I (N. Søgaard, 15.03.)

Bourgeoisie (C. Bauer, 12.03., UA); M.

di, 13.03., DSE); M. Kagel: Zählen und

Wasserburg am Inn: Theater W. Mastrosi-

Bielefeld Theater G. Hauptmann: Rose

Kuhl: Langer Atem (M. Kuhl, 22.03.)

Erzählen (C. Deuper, 19.03., UA)

mone: Sunshine (U. Bertram, 11.03.)

Bernd (A. Buddeberg, 12.03.); K. Kästner:

Freiberg Mittelsächsisches Theater F.

Memmingen Landestheater Schwaben n.

Weimar Deutsches Nationaltheater &

Das Material (K. Kästner, 18.03., UA); Mo-

Richter/n. F. u. Attar: Welcome to Paradise

J. W. v. Goethe: Iphigenie auf Tauris (G.

Staatskapelle C. Kettering: Ausnahmezu-

lière: Der eingebildete Kranke (C. Schlüter,

Lost (A. Wöhlert, 19.03.)

Tureček, 25.03.)

stand (Klassenzimmerstück) (M. Barra-

19.03.); E. Labiche: Die Affäre Rue de

Graz Schauspielhaus n. A. Tschechow/J.

Mönchengladbach Theater A. Tsche-

wasser, 24.03., UA)

Lourcine (M. Heinzelmann, 26.03.)

Koslowski/N. Stuhler: Forst der Finsternis.

chow: Drei Schwestern (D. Baron, 27.03.)

Wien Kosmos Theater P. Ansari: HOFF­

Bochum Schauspielhaus n. F. Dürrenmatt:

(J. Koslowski/N. Stuhler, 10.03.); P. Skin-

Mülheim an der Ruhr Theater an der

NUN’ (F. Brunner, 15.03., UA)

Der Besuch der alten Dame (N. Stemann,

ner: Linda (D. Schnizer, 11.03., ÖEA)

Ruhr n. A. Neft: VOM LICHT (S. Derai,

Wilhelmshaven Landesbühne Nieder-

02.03., DSE); S. Boogaerdt/B. v. d. Schoot/E.

Greifswald Theater Vorpommern W. Mou-

19.03., UA)

sachsen Nord F. Schmalz: Jedermann

Whien: Headroom (B. v. d. Schoot, 12.03.,

awad: Vögel (A. Pullen, 12.03.); M. Svoli-

München Residenztheater F. X. Kroetz:

(stirbt) (T. Egloff, 12.03.)

DEA); W. Mahne/Drama Control: Weg vom

kova: Rand (D. Czesienski, 13.03.)

Der Drang (L. Steiner, 04.03.); E. O’Neill:

Zittau Gerhart-Hauptmann-Theater Gör-

Fenster (W. Mahne, 26.03., UA)

Hamburg Schauspielhaus É. Louis: Die

Gier unter Ulmen (E. Titov, 05.03.); n.

litz-Zittau n. Gebrüder Grimm/M. F. Lange:

Bonn Junges Theater n. R. Seethaler: Der

Freiheit einer Frau (F. Richter, 05.03., DEA)

Molière/PeterLicht:

Trafikant (B. Niemeyer, 04.03.) Theater L.

J. Mounsey/P. Mills Weiss: Protec/Attac

Schwein der Weisen (C. Bauer, 26.03.); J.

Zürich Theater Kanton U. Widmer: Top

Perceval/n. H. Fallada: Kleiner Mann –

(19.03., UA)

Thalia Theater n. E.T.A.

Tannahill: Ist mein Mikro an? (D. Kranz,

Dogs (F. Prader, 19.03.); G. Kasperski:

was nun? (J. Neumann, 18.03.)

Hoffmann: Der Sandmann. Oper von Anna

30.03.) Teamtheater S. M. Salzmann:

Einfach Yeshi! (J. Böckli, 24.03.)

Bremen bremer shakespeare company J.

Calvi und Robert Wilson (C. Sprenger, 26.03.)

Muttersprache Marmeloschn (J. Eisa,

Zwickau Theater Plauen-Zwickau F. Dür-

Kuckart: Kommt ein Clown in ein Hotel (J.

Hannover Schauspiel n. G. Büchner:

02.03.) Villa Stuck A. Stramm: Stramm –

renmatt: Der Besuch der alten Dame (P.

Kuckart, 03.03.) Theater n. J. S. Bach:

Lenz (J. Heidorn, 18.03.); Euripides/A.

Eine Intervention (J. Höft, 15.03.)

Kube, 05.03.); G. Soublin: Pig Boy 1986–

Erbarmen (A. Zandwijk, 19.03.)

Carson: Every heart is built around a me-

Münster Theater E. Placey: Wild! (M. Ko-

2358 (C. S. Garaway, 24.03., DSE); R.

Bremerhaven Stadttheater D. Greig: Gel-

mory (F. Heller, 19.03.)

sik, 20.03.)

Reiser/Ton Steine Scherben: Wir sind Rio

ber Mond – Die Ballade von Leila und Lee

Heidelberg Theater und Orchester J. Haen-

Nürnberg Staatstheater A. Henrich: Halt

(F. Ritter, 26.03.)

(B. S. Henne, 18.03.)

ni: Angst oder Hase (N. Kalmbach, 06.03.,

mich auf (A. Stiepani, 04.03., UA); H. v.

Bruchsal Badische

Der

diskrete

Charme

Dorfer:

Indien

(M.

Tartuffe

Reisig,

oder

das

Ulm Theater E. Labiche: Das Sparschwein (J. Brandis, 10.03.)

Schneewittchen (R. Stanzel, 05.03.)

FESTIVAL

Landesbühne C.

UA); S. Beckett: Endspiel (H. Schultze,

Kleist: Amphitryon (A. Lenk, 26.03.)

Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpe-

18.03.); M. Svolikova: Der Sprecher und die

Paderborn Theater – Westfälische Kam-

Ludwigshafen Theater im Pfalzbau Com-

nick (A. Retzlaff, 10.03.); L. Sommerfeldt:

Souffleuse (B. Ender, 25.03., DEA)

merspiele V. Wyatt: Die Bademattenrepu-

mon Places (13.03.–12.03.)

Mädchen mit Hutschachtel (P. Jenni,

Heilbronn Theater H. Wells: Die Zeitma-

blik (P. Neukampf, 03.03.)

Magdeburg Puppentheater 13. Internatio-

11.03., UA)

schine (B. Bell, 12.03., UA)

Potsdam Hans Otto Theater T. Melle: Die

nales Figuren Theater Festival Blickwech-

Chemnitz Theater Ö. v. Horváth: Hin und

Ingolstadt Stadttheater W. Shakespeare:

Lage (E. Finkel, 04.03.); P. Shaffer: Amade-

sel BESTE FREUNDE – EIN GANZES

Her (C. Knödler, 05.03.); Molière: Amphitry-

Die zwölfte Nacht oder was ihr wollt (P.

us (B. Jahnke, 11.03.); E. Albee: Wer hat

JAHR (16.03.–19.03.)

on (N. Charaux, 25.03.); R. Koall/n. W.

Moschitz, 26.03.)

Angst vor Virginia Woolf? (M. Peters, 25.03.)

Herrndorf: Tschick (N. Mattenklotz, 26.03.)

Innsbruck Tiroler

Cottbus Staatstheater n. C. Hein/U. Müller:

Frisch: Homo Faber (L. Grit, 12.03.); G.

on Cast (H. Fuhrmann, 06.03.)

Landestheater

M.

Regensburg Theater B. Bicker: Deportati-

Frau Paula Trousseau (U. Müller, 12.03.)

Steinbruch: Gute Geständnisse besserer

Rendsburg Theater Raumstadtspieler:

Darmstadt Staatstheater W. Shakespeare:

Menschen (P. Lorenz, 18.03., UA); T.

Who shot the Sheriff? (K. Springborn,

Romeo und Julia (C. Mehler, 26.03.)

Kusher: Engel in Amerika. Die Jahrhun-

18.03.); G. Ravicchio/N. d.: Robinson &

Dinslaken Burghofbühne n. F. Kafka/A. Mül-

dertwende naht (F. Hafner, 26.03.)

Crusoe (L. Thode, 29.03.)

ler-Elmau: Amerika (M. Schombert, 04.03.)

Jena Theaterhaus K. Lenhart: Endlich mal

Rostock Volkstheater D. Pfluger: Frivole

Dortmund Theater S. B. Yishai: Die to-

was Schönes – Teepark Produktion (K.

Lieder (04.03.); F. M. Dostojewski: Der

night, live forever oder Das Prinzip Nosfe-

Lenhart, 03.03.); H. v. d. Paardt: FEST (H.

Traum eines lächerlichen Menschen (P.

ratu (P. Spittler, 10.03.); M. Cremer/H.

v. d. Paardt, 05.03.)

Stuppner, 11.03.); E. Heidenreich/B.

Angaben ohne Gewähr. Theaterspielpläne und Premierendaten können sich aktuell kurzfristig ändern. Premierendaten bitte bis zum 5. des Vormonats an redaktion@tdz.de.

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Täglich aktuelle Premieren finden Sie unter www.theaterderzeit.de


/ TdZ März 2022 /

AUTORINNEN UND AUTOREN März 2022 Otto Paul Burkhardt, Kritiker, Stuttgart

impressum/vorschau

/ 79 /

Vorschau

Friedrich Dieckmann, Essayist und Schriftsteller, Berlin Werner Fritsch, Autor, Regisseur und Filmemacher, Berlin Björn Hayer, Kritiker, Lemberg Lutz Hillmann, Regisseur und Intendant, Bautzen Renate Klett, Theaterkritikerin, Berlin Christoph Leibold, Theaterkritiker, Berlin Grit Lemke, Kulturwissenschaftlerin und Autorin, Berlin Stephan Märki, Regisseur und Intendant, Cottbus Ute Müller-Tischler, Kunstwissenschaftlerin und Autorin, Berlin Tom Mustroph, Journalist und Autor, Berlin Armin Petras, Regisseur und Autor, Berlin Hans-Dieter Schütt, Autor, Berlin Theresa Schütz, Theaterwissenschaftlerin, Berlin Holger Teschke, Schriftsteller und Regisseur, Berlin

IMPRESSUM

Der Bühnenbildner, Maler und Architekt Richard Peduzzi erhält am 18. März 2022 den Großen Kunstpreis Berlin. Peduzzi entwarf u. a. Bühnenräume für Theater- und Operninszenierungen von Patrice Chéreau, mit dem sogenannten Jahr­ hundert-Ring in Bayreuth 19761980 als einen von vielen künstlerischen Höhepunkten. Laudator und Bühnenbild-Kol­ lege Mark Lammert wird in der April-Ausgabe das Künstler­ insert zu Richard Peduzzi zusammen mit seiner Rede zur Preisverleihung gestalten.

Richard Peduzzi. Foto Adrian Selbert

Friederike Felbeck, Kulturjournalistin, Düsseldorf

Theater der Zeit – Die Zeitschrift für Theater und Politik

Martin Esser, Rosa Falkenhagen, Janus Torp und Fabian Hagen in „Treuhandkriegspanorama“ von Thomas Freyer in der Uraufführung am Nationaltheater Weimar. Foto Candy Welz

1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer, Harald Müller und Frank Raddatz Herausgeber Harald Müller Verlagsbeirat Kathrin Tiedemann, Prof. Dr. Matthias Warstat Redaktion Thomas Irmer (V.i.S.d.P.), Elisabeth Maier, Michael Bartsch, Nathalie Eckstein (Assistenz) und Lina Wölfel (Assistenz) Korrektur Sybill Schulte Gestaltung Gudrun Hommers Bildbearbeitung Holger Herschel Druck PIEREG Druckcenter Berlin, Benzstraße 12, D-12277 Berlin Verlag und Redaktion Theater der Zeit GmbH, Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-17 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44 redaktion@tdz.de / www.theaterderzeit.de Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@tdz.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@tdz.de Anzeigen Harald Müller, +49 (0) 30.44 35 28 5-20, anzeigen@tdz.de Lizenzen lizenzen@tdz.de 77. Jahrgang. Heft Nr. 3, März 2022. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 05.02.2022 © an der Textsammlung in dieser Ausgabe: Theater der Zeit, © am Einzeltext: Autorinnen und Autoren und Theater der Zeit. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. © Fotos: Fotografinnen und Fotografen

LESERSERVICE

Stückabdruck: „Treuhandkriegspanorama“ von Thomas Freyer wurde am Deutschen Nationaltheater Weimar uraufgeführt. Das neue Stück des aus Gera stammenden Autors verschränkt den Nachwende-Protest der Kali-Kumpel im thüringischen ­Bischofferode mit dem Bauernkrieg vor 500 Jahren in der Region. Kein Dokumentarstück, aber vielleicht gerade deshalb ein wich­ ­ tiger Beitrag zu dem weiter anschwellenden Neunziger-­ Jahre-­ Aufarbeitungsbedarf. Ein Bericht über die Inszenierung ­zusammen mit der Kritik einer weiteren Uraufführung von Dirk Laucke am selben Haus.

Bestellung abo-vertrieb@tdz.de / +49 (0) 30.44 35 28 5-12 Einzelverkaufspreis € 9,50 (Print) / € 8,50 (Digital) Jahresabonnement € 95,– (Print) / € 84,– (Digital) / € 105,00 (Digital + Print) 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch 20 % Rabatt für Studierende, Rentner, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. Preise gültig innerhalb Deutschlands und inkl. Porto und Versand. Lieferungen außerhalb Deutschlands zzgl. € 25,-

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Welche akuten und langfristigen Folgen haben die Pandemie-­ Einschränkungen für Studierende an den Theaterschulen? Was bedeuten Zukunftsangst und Pandemie-Erschöpfung? Für ihren Report zum Thema Corona und Ausbildung hat die Autorin ­Friederike Felbeck verschiedene Jahrgänge der Essener FolkwangSchule wiederholt besucht und befragt.

www.instagram.com/theaterderzeit www.theaterderzeit.de

Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. April 2022.


Was macht das Theater, Carsten Knödler? Schauspiel und Figurentheater in Chemnitz

Der Umzug soll etwa zwei Wochen hinter

müssen für rund zwei Jahre in eine Aus-

dem Plan liegen – nur zwei Wochen bei ei-

weichspielstätte umziehen. Das einen reich-

nem so ehrgeizigen Vorhaben. Halten Sie

lichen Kilometer von der Oper entfernte

trotzdem die nicht minder ehrgeizige Fülle

Schauspielhaus machte auf den ersten Blick

der März-Premieren?

noch gar keinen so sanierungsbedürftigen

Ich selbst stecke gerade in den Proben zu

Eindruck?

Horváths selten gespieltem Stück „Hin

Vielleicht wäre die Bestuhlung wirklich

und Her“. Momentan scheint sicher, dass

einmal sanierungsbedürftig, aber ent-

wir mit allen sechs Premieren im März

scheidend waren Fragen des Brand- oder

­herauskommen. Alle Beteiligten arbeiten

Lärmschutzes und der Elektrik. Wir konn-

mit Hochdruck daran, über die finalen

ten nicht riskieren, dass dieser Bestands-

Termine werden wir uns in der dritten

schutz plötzlich einmal aufgehoben wird.

­Februarwoche verständigen.

Wir sprechen daher eher von einer Ertüchtigung, damit wir weiterspielen können.

Dieser „Premierenstau“ hängt vermutlich

Die Debatte um einen Neubau ist damit

sowohl mit dem sächsischen Winter-Lock-

erst einmal beendet.

down als auch mit dem Umzug zusammen? Die pandemische Lage konnte für uns so-

Ihr großer Saal ist ja auch gar nicht so groß,

gar als Vorteil gelten, weil wir wussten,

sondern bietet eine gewisse intime Atmo-

dass wir im Januar und Februar ohnehin

sphäre.

nicht spielen. Wir haben intensiv geprobt,

Alle sind eigentlich ziemlich begeistert

um in kurzer Zeit ein Repertoire für die

von ihm. Bei 400 Zuschauern kann man

neuen Spielstätten zu erarbeiten und die-

nahezu kammerspielartig agieren, auch Zwei-, Dreipersonenstücke aufführen.Man hört gut, die Sichtachsen stimmen. Trotzdem kann man auch einen großen Shakes­ peare auf die Bühne bringen. Nun ziehen derzeit Schauspiel und Figurentheater in einen Volkseigenen Betrieb aus

se einzurichten, was allein lichttechnisch Carsten Knödler ist seit 2013 Schauspiel­direktor am Theater Chemnitz. Der ­studierte Chemiker wurde an der Leipziger Hochschule für M ­ usik und Theater zum Schauspieler ausge­bildet. Von 2009 bis 2013 leitete er als Schauspielintendant das Gerhart Hauptmann Theater in Zittau.

mehrere Tage pro Übernahme in Anspruch

Foto Nasser Hashemi

ten wir uns verabschieden, andere, die

nimmt. Nur zwei Premieren wurden im Dezember Opfer der Schließungen, der „Superbusen“ und „Leb wohl, Judas“. Von einigen Produktionen, die Schnür­ boden oder Unterboden brauchen, muss-

DDR-Zeiten um. Die Gebäude des Spinnerei-

zuletzt vor der Pandemie liefen, haben wir

maschinenbaus dienten ja in der Vergangen-

wieder ausgegraben.

heit schon als Kunstdomizil, etwa den Begehungen 2015.

als Glücksfall. Denn die Spielgenehmigung

Noch zwei Spielzeiten, dann beginnt jene

Der eigentliche „Spinnbau“ war bis vor Kur-

für die kleinere Bühne war schon entzogen,

2024 / 25, die ins Kulturhauptstadtjahr hinein-

zem noch recht ruinös, einige Firmen haben

und durch die Pandemie kamen verschärfte

führt. Beschäftigen Sie schon Pläne für das

sich auf dem Gelände angesiedelt. Die Raum-

Anforderungen etwa an die Lüftung hinzu.

Groß­ereignis?

situation ist dort wirklich großzügig, die Kos-

Gleichwohl fanden die ersten Proben dort un-

Zuerst hoffen wir, dass das vertraute Haus

tümwerkstätten sind schon eine Weile dort.

ter pioniermäßigen Bedingungen statt, die

dann wieder zur Verfügung steht. Die Kultur-

Wir brauchen ja auch drei Spielstätten, neben

Presslufthämmer dröhnten und Wände wur-

hauptstadt-Auswirkungen sind ja schon lange

dem großen Schauspiel Ersatz für den belieb-

den eingerissen. Umso schöner empfanden

bei uns angekommen, langfristige Projekte,

ten experimentellen „Ostflügel“ und für das

wir die ersten Premieren, beginnend mit

Dauerthemen wie der Bergbau in der Region

Figurentheater, sie sind alle von einem eige-

„Jede Stadt braucht ihren Helden“ von Phil-

oder Nachhaltigkeit. Der historische Chem-

nen, großzügigen Foyer mit Industriecharme

ipp Löhle. Es herrscht weiterhin Werkstatt­

nitzer Vorzeigewissenschaftler Georgius Agri-

aus zu erreichen. Der große Saal hat fast so

atmosphäre, zwei Säulen müssen in die

cola soll für ein großes Event Pate stehen.

viele Plätze wie bisher und war der Kultursaal

Insze­ nierungen immer einbezogen werden,

Unser kleines, studentisch orientiertes Festi-

des Maschinenbaubetriebs, in dem ich selber

und die Raumhöhe beträgt kaum mehr als

val Nonstop mit internationalen Gastspielen

noch Konzerte und Diskotheken erlebt habe.

bühnenunfreundliche vier Meter. Der Jugend-

wollen wir in den nächsten Jahren stetig aus-

klub spielt dort, und wir können den Besu-

bauen. Alle Sparten des Chemnitzer Theaters

Mit dem „Ostflügel“ sind Sie ja schon zum 1.

chernachwuchs hier offenbar ganz gut abho-

stehen in direkter Verbindung mit dem Kul-

Oktober des Vorjahres umgezogen. Sie konnten

len. Das Stammpublikum kann eine gute

turhauptstadtteam. Und der Spinnbau soll

also schon Erfahrungen sammeln, wie die Leute

Verkehrsanbindung, einen Bus bis vor die Tür

auch nach unserem Auszug als Kulturquartier

mitgehen – wörtlich und bildlich gemeint.

nutzen. Auf die Neugier der ehemaligen VEB-

genutzt werden. //

Diese Ausweichmöglichkeit empfanden wir

Beschäftigten können wir auch setzen.

Die Fragen stellte Michael Bartsch


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