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N° 183 — Lydia Haider

AUSGABE OKTOBER / NOVEMBER 2020 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1052 WIEN, P.B.B. | MZ 18Z041505 M


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Editorial Man lernt nie aus!

Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher Chefredaktion Theresa Ziegler

Am 11. Oktober 2020 bietet sich für viele nicht-österreichische EWR-StaatsbürgerInnen die erste Möglichkeit einer Wahl in ihrer (Wahl-)Heimat Wien. Auch ich als zugezogene Deutsche darf zum ersten Mal mitbestimmen, was mit der »lebenswertesten« Stadt und meinem werten Leben hier passiert. Da liegt die Befragung der »Wahlkabine« nahe, und wie bei den meisten in meiner Bubble, die die 25 Fragen für sich beantwortet haben, neigt sich das Spektrum stark nach links, während einzelne Parteien sehr überraschend abschneiden. Politische Bildung kann also nicht aufhören, sobald man mit 16 das erste Mal googelt, für welche ausgeschriebenen Wörter die einzelnen Parteiabkürzungen stehen. Auch deswegen nicht, weil immer neue Parteien hinzukommen – wie etwa Bier und Sodom, die wir in der Workstation dieser Aus­ gabe vorstellen. Damit The-Gap-LeserInnen für das kommende Kreuzchen noch genauer gebrieft sind, haben wir die antretenden Parteien nach ihren Standpunkten unter anderem zu Clubkulturförderung, zum Umgang mit problematischen Denkmälern und zu barrierefreien Schwangerschaftsabbrüchen befragt. Während das Private schon längst politisch ist, wird das Politische auch zunehmend wieder Pop. Politische Bildung findet daher mittlerweile auch dort statt, wo sie ursprünglich keinen Platz hatte: auf Instagram. Unsere Autorin Vanja Nikolic hat mit Social-MediaAktivistInnen darüber geredet, wie viel Arbeit dahintersteckt, politische News shareable und trotzdem richtig aufzubereiten. Gewappnet mit Information kann man sich dann auch neben den Stammtisch der politischen GegnerInnen setzen, wie es Lydia Haider bereits zu Studienzeiten im Cafe Weidinger getan hat. Von der preisgekrönten Autorin, die ich in der Coverstory dieser Ausgabe porträtieren durfte, kann man überhaupt sehr viel lernen – nicht nur politisch.

Leitender Redakteur Manfred Gram Gestaltung Markus Raffetseder AutorInnen dieser Ausgabe Barbara Fohringer, Susanne Gottlieb, Tanja Holz, Oliver Maus, Sandro Nicolussi, Vanja Nikolic, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Kevin Reiterer, Emily Staats, Werner Sturmberger, Jana Wachtmann, Sarah Wetzlmayr KolumnistInnen Astrid Exner, Josef Jöchl, Gabriel Roland FotografInnen und IllustratorInnen dieser Ausgabe Eric Asamoah, Alexia Fin, Fabian Gasperl, Lisa Schrofner Lektorat Sarah Gerstmayer, Jana Wachtmann Coverfoto Eric Asamoah Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl, Thomas Weber Distribution Andrea Pfeiffer Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH, Raiffeisen Bank, IBAN: AT67 3200 0000 1160 0756, BIC: RLNWATWW Abonnement 6 Ausgaben; Euro 21,— (aktuell: Euro 9,90) www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien

Alexia Fin

Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz www.thegap.at/impressum

Theresa Ziegler

Chefredakteurin • ziegler@thegap.at @raverresi

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der HerausgeberInnen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haften ausschließlich die Inserierenden. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmi­ gung der Geschäftsführung.

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Magazin 010

Gebenedeit ist die Frucht deines Schreibens Lydia Haider im Porträt

25 Jahre, 4 Saiten, 1 Heart Lukas Lauermann in eigenen und fremden Worten Eine kleine Wien-Wahlhilfe The Gap fragt, die Parteien antworten

028 Karussell-Aktivismus Wenn Bildung shareable wird 046 Sag uns die Meinung! Die große The-Gap LeserInnenbefragung

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Julia Haimburger, Eric Asamoah (2), Malitzin Cortés, Vanja Nikolic

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Julia Haimburger, Eric Asamoah (2), Malitzin Cortés, Vanja Nikolic

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Eric Asamoah Eric hat bei The Gap fast einen Hattrick geschafft: Zwei Covers in Folge ziert je eines seiner Fotos. Für diese Ausgabe hat er Lydia Haider im Studio und im Cafe Weidinger abgelichtet. Generell geht es im Leben des gebürtigen Linzers hauptsächlich um die Fotografie. Inspiration holt er sich dabei von RegisseurInnen wie Chantal Akerman, Jean-Luc Godard, Mathieu Kassovitz, Joachim Trier und Akira Kurosawa. Ein bisschen Zeit fürs Auflegen am eigenen DJ-Pult bleibt aber doch – dann spielt er am liebsten Hip-Hop und House.

Vanja Nikolic

Rubriken

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Genervt von der Frage »Woher kommst du eigentlich ursprünglich?«, ist Vanja von Wiener Neustadt nach Wien gezogen – um »Niederösterreich« antworten zu können. Sie hat Publizistik studiert, ist freie Journalistin, und Kolumnistin beim Magazin Anschläge. Themen, die sie beschäftigen und über die sie schreibt, sind oft frauen-, migrationsoder arbeitspolitisch und popkulturell – so auch in dieser Ausgabe von The Gap (S. 28). Vanja ist fasziniert von Sekten, MLMs und HochstaplerInnen wie Anna Sorokin, weiß aber nicht, wieso.

Stay safe! Stay sane!

003 Editorial / Impressum 007 Charts 032 Wortwechsel 034 Workstation: Larissa Kopp Marco Pogo 038 Prosa: Maria Muhar 040 Gewinnen 041 Rezensionen 048 Termine

Kolumnen 006 Einteiler: Gabriel Roland 008 Gender Gap: Astrid Exner 058 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl

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Immer schön einen Babypanda Abstand halten – mit dem Mund-Nasen-Schutz von The Gap! Und für euer allgemeines Wohlbefinden in schwierigen Zeiten empfehlen wir das The Gap Spezialabo um nur € 9,90.

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Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

Die LeserInnen dieser Kolumne sind, soviel sei angenommen, viel zu gesittet, um anzuzweifeln, dass hier eine Jacke abgebildet ist. Die meis­ ten würden, weil sie aufmerksam sind, sogar bemerken, dass unter der Jacke auch noch ein Pullover steckt, der in frecher Abweichung vom konzeptuellen Korsett des Einteilers einfach mitfotografiert wurde. Was aber, wenn der Kolumnist das Vertrauen seines Publikums missbraucht hat und hier gar keine Jacke und auch kein Pullover zu sehen sind? Das ist ganz abseits von semiologischen Spitzfindigkeiten gemeint. Es geht also nicht darum, ob hier die tatsächliche Jacke an sich oder in abgeklatschter Instanz eine bildliche Repräsentation einer Jacke zu sehen ist. Nein, die Frage ist, ob der Fotograf (Fabian Gasperl, dem an dieser vielleicht etwas ungewöhnlichen Stelle auch einmal für seine treue, geduldige und treffliche Arbeit gedankt sei), als er mit dem Blick auf diese Zusammenfügung aus Stoff abdrückte, eine Jacke vor sich hatte. Sobald die Kunst am Bau zu einem Unding erklärt worden war, konnte die Architektur – eben als Architektur selbst und nicht etwa als Baukunst – in verschiedenen Formen und Intensitäten mit der bildenden Kunst koexistieren und zusammenwirken. Ein bisschen so

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wie Tom Waits und Iggy Pop, die in »Coffee And Cigarettes« befreit so viel rauchen können, wie sie wollen, weil sie ja aufgehört haben mit dem Rauchen. Die Verhältnisse sind klar und daher ihre Verunklärung kein Problem mehr. Im Gegensatz zur Architektur hatte die Mode nie ihren Moment der Abnabelung von der Kunst. Ein Haus kann eine Skulptur sein und eine Skulptur ein Haus. Darf aber so etwas Profanes wie eine Jacke von sich behaupten, Kunst zu sein? Ein namhafter Proponent der Wiener Kulturszene hat einmal gesagt, dass Kunst ist, was eine Künstlerin oder ein Künstler macht, und Design, wenn es von einer Designerin oder einem Designer kommt. Sollte das tatsächlich zutreffen – was, um das schon vorwegzunehmen, diese Kolumne hinterfragen will – kann hier von einer Jacke nicht die Rede sein. Auch wenn das Stück wie eine Jacke aussehen mag, handelt es sich dann um Kunst, die dem Zwang, Gewand zu sein, bestimmt enthoben sein muss. Es ist nämlich so, dass dieses jackenförmige Objekt (man erlaube den Hilfsausdruck) in Zusammenarbeit von Lisi Lang und Daniel Hafner entstanden ist. Lang gehört mit ihrem Label Lila und der dazugehörigen Boutique zum fixen Modeinventar Wiens. Hafner hin-

gegen ist bildender Künstler. Nun sind Kooperationen zwischen Kunst und Mode beileibe keine Seltenheit. Immer wieder verarbeiten ModedesignerInnen Beiträge von KünstlerInnen in ihren Kleidungsstücken. Ein Beispiel dafür ist der Pullover unter der Jacke, für den Hafner Applikationen gestaltete und der Teil der regulären Lila-Kollektion ist. Die Jacke aber geht einen Schritt weiter: Lang trug den wuchtigen Schnitt aus gefüttertem Malervlies bei, Hafner die airgebrushten Farbfelder. Präsentiert wurde sie in einer Ausstellung des KS Room im steirischen Ort Kornberg neben anderen Kunstwerken. Kaufen kann man sie nichtsdestotrotz auch in der Wiener Boutique der Designerin. Da stößt das System aus Intentionen und Berufsbezeichnungen an seine Grenzen. Ersetzen oder vielleicht auch nur erweitern kann es nur die Erkenntnis, dass sowohl Kunst als auch Design sich auf der Baustelle der Dinge betätigen, die uns umgibt, und dort mit ihren jeweils eigenen Werkzeugen arbeiten – gerne auch gemeinsam. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab Lisi Lang kann man in der Westbahnstraße 3 in 1070 Wien und auf www.lila.cx kennenlernen, Daniel Hafner auf www.danielhafner.com.

Fabian Gasperl

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Einteiler Gar keine Jacke

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1. RAND [30:09:20]

von Miroslava Svolikova / R: Tomas Schweigen

Charts Josef Jöchl

2. LOST IN SPACE AND TIME [OUT NOW more to come]

TOP 10

3. TRAGÖDIENBASTARD [30:10:20]

Dinge, die du getrost vergessen kannst 01 Fernsehserien 02 Cards Against Humanity 03 Instafame und dann als Digital Nomad leben 04 was du damals Komisches gesagt hast 05 einschlafen versuchen um 4 Uhr 06 deine Doktorarbeit 07 jede Doktorarbeit 08 Hashtags 09 Süßkartoffel-Fries 10 den Matzleinsdorfer Platz

TOP 03

Dinge, die du nie vergessen solltest 01 Maske aufsetzen 02 Dankbarkeit 03 »Uno« sagen

ein Spin-off des Stückes RAND von Tomas Schweigen und Ensemble / R: Tomas Schweigen von Evelina Benbenek / R: Florian Fischer

4. AM BALL [03:12:20]

Wider erbliche Schwachsinnigkeit von Lydia Haider mit der Gestalterin Esther Straganz / R: Evy Schubert

5. OXYTOCIN BABY [28:01:21] von Anna Neata / R: Rieke Süßkow

6. SHTF [25:02:21]

von / R: Kandinsky (London)

7. DIE ODYSSEE [03:21]

Konzept, Regie, Bühne: Jakob Engel & Jan Philipp Stange

8. BATAILLON [04:21]

von Enis Maci / R: Tomas Schweigen

9. ROTE BEETE REDEN. BURCACZANE ROZMOWY. [05:21]

Auch nicht schlecht: Emmy Blotnick, LINKS, mit der Bettdecke auf die Couch

Geschichten von Nie-Familien / Opowiescie o Nie-Rodzinach von und mit Arthur Romanowski und Brigitta / Brygida Najdowska / R: Arthur Romanowski

Josef Jöchl ist Comedian und The-Gap-Sexkolumnist. Corona hat ihm den einen oder anderen Strich durch die Rechnung gemacht.

BONUS: Hidden Tracks, Special Shows, Konzerte & Wiederaufnahmen

Charts Oska TOP 10

Alben, die 2020 ein bisschen besser machen 01 »Pet Sounds« – The Beach Boys 02 »Punisher« – Phoebe Bridgers 03 »Circles« – Mac Miller 04 »I Used To Know Her« – H.E.R. 05 »I Can’t Stand The Rain« – Ann Peebles 06 »Carrie & Lowell« – Sufjan Stevens 07 »Blue« – Joni Mitchell 08 »Pink Moon« – Nick Drake 09 »Give Me A Minute« – Lizzy McAlpine 10 »Fear Fun« – Father John Misty Ari Yehudit Richter, Marlene Burger

Fabian Gasperl

LOST IN SPACE AND TIME

TOP 03

Dinge, die man beim ersten Date NICHT sagen sollte 01 Ich 02 liebe 03 dich

TEAR DOWN THE

WALLS! DAS ORIGINAL JÜDISCHE FILMFESTIVAL. AUCH FÜR WIENER ORIGINALE.

Auch nicht schlecht: Ab und zu Mandala ausmalen und dabei »Bad Guy« von Billie Eilish hören Die Singer-Songwriterin Maria Burger veröffentlichte Anfang des Jahres ihre erste Single »Distant Universe« unter dem Künstlernamen Oska. Im Rahmen des Waves Festivals wurde sie mit dem XA – Music Export Award 2020 ausgezeichnet.

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus

Empowerment ist eine Lüge. Instagram ein trojanisches Pferd. Ihr könnt mich eh gleich »OK Boomer« schimpfen. Aber heute kommt der Reminder, wie schlecht soziale Medien für unser Selbstbild sind, von mir. ———— Bis vor wenigen Monaten habe natürlich auch ich zu viel Zeit auf solchen Plattformen verbracht. Typisch millennialmäßig habe ich endlos scheinende Energien in das Kuratieren meiner digitalen Präsenzen gesteckt und mich dann über die Maßen über diese definiert. Und dann habe ich einfach meinen Instagram-Account deaktiviert und damit aufgehört. Es war nicht das Ende der Welt! Im Gegenteil.

Instagram und ich Am Anfang sollte es nur eine kurze Insta-Pause werden. Das ist nun schon länger her, und trotzdem wird mein Daumen immer noch ganz träge, wenn ich ihn über dem lila Icon mit dem Farbverlauf schweben lasse. Ich kann mich schließlich noch gut daran erinnern, wie ich, nur vom kühlblauen Handyschein beleuchtet, durch die Tageshighlights von FreundInnen und InfluencerInnen swipe und mich dann wundere, wieso meine Laune kurz vorm Einschlafen immer in den Keller rasselt. FOMO, Neid und Selbstoptimierungsdrang vernebeln den Blick darauf, dass hinter jedem perfekten Selfie zig verworfene stehen und dass mir eure durch Instagram gefilterte Leben nur so glücklich vorkommen, weil auch ihr präzise auswählt, was davon die Welt sehen soll. Doch nun interessiert mich keine Ich-­AG, keine Personal-Branding-Strategie dieser Scheinwelt. Wenn ich wissen will, wie meine FreundInnen ihr Wochenende verbracht haben, muss ich zwar proaktiv schreiben oder gar anrufen. (Und Telefonate sind bekannterweise the worst!) Doch mit dem nötigen Abstand zu diesem Theater wird mir immer klarer, dass Zurückgehen keine Option ist. Meine Ohren schlackern bei dem, was selbst in woken Bubbles auf Instagram passiert: Jeder feministische Ansatz bekommt

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automatisch einen neoliberalen Spin. Die allgegenwärtige Botschaft von Empowerment ist nichts anderes als ein trojanisches Pferd. Empowerment gibt sich als flauschige Selbstliebe aus, macht aber eigentlich nur Druck, sich kontinuierlich optimieren zu müssen. »Lean in«, forderte die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg schon 2013 Frauen im gleichnamigen Karriereratgeber auf, sich in einer Welt, die ihnen ständig ein Bein stellt, doch einfach extra viel anzustrengen. »Feiere deine Dehnungsstreifen, verdammt!«, fordern mich Insta-Posts von Model-Oberschenkeln auf. Sie zeigen mir damit eine Schwachstelle, die mir nicht einmal bewusst war, und verlangen im gleichen Atemzug von mir, diesen vermeintlich wunden Punkt sofort zu embracen und zu ownen. Weckt mich bitte auf, wenn weniger fotogene »Mängel« im Trend sind.

Empowerment und Spätkapitalismus Was macht Instagram da? Für 15 Minuten Fame stellen wir unser Leben, unsere Körper auf den Prüfstand der Crowd. Wir denken uns Schlagwörter wie »Body Positivity« aus, die nur weitere Kategorisierungen innerhalb des grundkaputten Systems sind, um dem anonymen Algorithmus gerecht zu werden. Jedes dieser Schlagwörter will immer etwas verkaufen, und wenn es nur ein Yoga-Top oder das eigene Profil ist. Der Spätkapitalismus zeigt seine hässliche Fratze. Auch »Spätkapitalismus« ist natürlich ein Schlagwort. Wie bei anderen modisch-intellektuellen Begriffen, mit denen PhilosophieBachelorabsolventInnen wie ich gerne um sich werfen, bekommt man auch hier am bes­ten anhand von Beispielen ein Gefühl dafür, worum es geht. Als die (Weiße) Überinfluencerin Kendall Jenner 2017 in einem Werbespot eine Demonstrantin mimte, die zu einem – der Black-Lives-Matter-Bewegung nachempfundenen – Protest stößt und einem Polizisten

eine Dose Pepsi anbietet, zog sie den Hohn des selten so vereinten Internets auf sich. Kauf einfach etwas und schon sind alle politischen Probleme gelöst! Das legendär in die Hose gegangene Möchtegern-Luxusevent Fyre Festival: peak late capitalism. Aber auch das etablierte Musikfestival Coachella, das zum Stichwort für Fast-Fashion-Kampagnen geworden ist; teure Markenjeans mit beabsichtigten Rissen; der Wirecard-Skandal – allesamt Karikaturen eines Kapitalismus, der sich selbst auffrisst. Mir entgeht dabei nicht die Ironie, dass ich in der letzten Ausgabe ausgerechnet über feministische Börsenspekulation geschrieben habe. Instagram-UserInnen stellen sich und ihre Körper dem Werturteil der Crowd, auch wenn dies unter der Dachmarke der Body Positivity geschieht. Unsere gelassene Einstellung zum eigenen Körper hängt erst wieder davon ab, wie viel Zuspruch wir für den Hashtag-Aktivismus bekommen. Die Early Adopter sind freilich schon beim nächsten Schlagwort und feiern ihren vermeintlich wertbefreiten Zugang zu unterschiedlichen Körperformen als »Body Neutrality« ab. Das hat natürlich eine Daseinsberechtigung und ist für jedeN EinzelneN ganz sicher befreiend. Und trotzdem ist es nichts anderes als ein neuer Zwang, der einen alten ablöst. Finde deinen Körper jetzt sofort normal, sonst stimmt etwas nicht mit dir! Wir reden damit erst recht wieder über das, was uns eigentlich egal sein will, und rücken Äußerlichkeiten bloß unter einem anderen Vorzeichen ins fotografische Online-Gedächtnis. Man kann nicht nicht an einen rosa Elefanten denken. Empowerment heißt, stets die beste Version seiner selbst zu sein, um dem unter ständig neuen Vorzeichen stehenden Wettbewerb am Content-Fließband des Spätkapitalismus standzuhalten. Wie anstrengend. exner@thegap.at • @astridexner

Michael Exner

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Gender Gap Feiere deine Dehnungsstreifen, verdammt

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Lydia Haider wird gerne mit einem Label ver­ sehen, das für LiteraturkritikerInnen eindeutig zuordenbar ist – das Enfant terrible. Eindeutig und zuordenbar ist an der Autorin Lydia Haider aber gar nichts. Und an der Person Lydia Haider erst recht nicht. ———— »In meinem Spritzer schwimmt eine Nudel«, sagt Lydia Haider zum Kellner im Cafe Weidinger, den sie namentlich begrüßt. Er bringt später zwei neue Spritzer. Lydia lacht und dankt. Das Cafe Weidinger ist für Meetings mit der Schriftstellerin derart obligatorisch wie der szenische Einstieg bei einem journalistischen Porträt. Vor 16 Jahren ist Lydia Haider nach Wien gezogen. Schon damals ist sie gerne und günstig im Weidinger eingekehrt. Seither ist das Beisl am Gürtel ihr Stammlokal. »Es hat auch lange diesen FPÖler-Stammtisch gegeben. Das war immer spannend, wenn die komplett gegenteiligen Leute am Nachbartisch sitzen. Die treffen auf Gruppen, die vielleicht genau das unterwandern wollen. Da kann man ein bisschen horchen und sie horchen ein bisschen bei uns«, erzählt sie. Heute setzen sich manche Menschen nicht mehr an oder neben ihren Tisch. Warum KritikerInnen oft vorauseilend Abstand nehmen, dazu kommen wir später. Während die Schriftstellerin sich gerne an ihre Studienzeit im Weidinger erinnert, erinnern sich viele bei ihrem Namen wahlweise an die diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur, bei denen sie für den Bachmannpreis nominiert war und den Publikumspreis erhielt, oder das sogenannte »Babykatzengate« 2017.

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Dabei hat Lydia Haider schon viel früher, nämlich 2015, ihren ersten Roman veröffentlicht. »Kongregation«, ein Roman in Wir-Form über Jugendliche und den Tod, machte damals schon klar, dass die oberösterreichische Schriftstellerin kein Abziehbild für die Literaturwelt ist, sondern ihr eigenes Ding durchzieht. Lydia dreht sich eine Zigarette, während sie gefragt wird, warum Tod, Zerstörung und die damit einhergehenden Machtverhältnisse so ein hauptsächliches Thema in ihren Werken darstellen. »Man kann dem ja gar nicht nicht begegnen. Ständig sterben Leute aus deiner Umgebung«, sagt sie schließlich, »Zerstörung passiert ständig mit dir selbst. Sei es jetzt die basalste Zerstörung, weil man Kinder kriegt. Ich nenne das immer die Entsubjektivierung am Anfang. Nachher muss man sich wieder alles zurückerkämpfen. Und auch die Machtverhältnisse, die man seit der Geburt für immer mitkriegt. Man kann nicht nicht über das schreiben.« Auch in »Am Ball. Wider erbliche Schwachsinnigkeit« ist das Sterben ständiger Begleiter. Die Protagonistin nimmt am Akademikerball teil, der sich langsam und in sämtlichen Räumen zu einem Anlass für Massensterben auf verschiedene Arten verwandelt. In der kommenden Spielzeit wird das Schauspielhaus Wien diesen Text auf die Bühne bringen. Doch damit nicht genug Haider-Content für die Wiener Theaterhäuser: Lydias dritter und kommender Roman »Zertretung« wird als eine Trilogie für das Volkstheater adaptiert.

Eric Asamoah

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Lydia Haider im Porträt Gebenedeit ist die Frucht deines Schreibens

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»Das ist ein Teil unserer Kunst- und Kulturgeschichte, ist aber immer so ehrfürchtig behandelt worden. Entweder du nimmst diese Sprache und behandelst sie brav, wie es ihr gebührt, oder du nimmst sie gar nicht. Was soll das sein?«, so Lydia. »Ich werde auch oft nach Lesungen gefragt: Wie können Sie denn bitte Mose fünf Vers irgendwas in diesen Kontext reinsetzen? Keine Ahnung! Ich habe ein Wort bei Bibel-Online eingegeben und dann geschaut, welche Zitate kommen. Es ist ein absichtliches Entweihen.«

»Missgeburt«, eine Messe Christlich-katholische Ikonografie als Stilmittel hat in der Musik vielleicht noch mehr Tradition, als in der Literatur. Ob es sich für Madonna jedes Mal bei Namenszuruf wie ein Gebet anfühlt oder ob Lady Gaga immer noch verliebt in Judas ist – für das Spiel mit Blasphemie braucht es keine Kirchentonarten. So braucht auch die Messe von Lydia Haiders Band nicht unbedingt eine Kirche – sie funktioniert auch als Album. »Missgeburt« heißt die erste LP der »literarisch-liturgischen« Gruppe Gebenedeit, deren Chefpredigerin Lydia Haider ist. Eine Familienband, wie sie es nennt, denn das Trio besteht neben ihr aus ihrem Schwager Johannes Oberhuber (Bässe, Orgel), mit dem Lydia bereits bei vertonten Lesungen zusammengearbeitet hat, und ih-

rem Freund Josua Oberlerchner (Trommeln und Klangbleche). »Missgeburt« ist dabei tatsächlich nicht nur eine LP, sondern eine Messe – wenn man so will, ein etwas anderes Konzeptalbum. »Es ist am Anfang eher zach. Find ich selbst, wenn man sich das anhört, das Album. Man wird erst mal runtergetreten, wie das typisch katholisch eben so ist. Und dann wird man am Ende zur Erlösung und zum wahren Glauben geführt«, erklärt die Sängerin der Band. Musik, nicht nur das eigene Musikmachen, hat für Lydia Haiders Schreiben generell immer schon eine wichtige Rolle gespielt – vielleicht sogar eine noch wichtigere als Bibelästhetik. Wenn man sie nach ihrem persönlichen Durchbruch fragt, sagt sie nicht etwa das Marokko-Reisetagebuch mit Stefanie Sargnagel und Maria Hofer, und was der österreichische Boulevard da rausgelesen hat. Sie spricht von einer Entdeckung, kurz nach ihrer Diplomprüfung 2013, als sie ihren ersten Roman zu schreiben begann: Mit lauter Musik via Kopfhörer kann sie sofort schreiben. Ein »Auto ohne Motor« sei sie zuvor gewesen. Mit Musikbegleitung düst sie dahin. So macht es auch nur Sinn, dass Lydia oft stundenlang im Schmauswaberl an der Wienzeile – ihrem anderen Stammlokal – in Kopfhörern verschwindet und mitten unter ihren FreundInnen an ihren Texten schreibt. In einem Schreibseminar habe sie mal ihre »Ur-Schreibsituation« wiederherstellen sollen. Sie habe sich zurückversetzt in eine Schreibszene als Kind, in der es abends war, alle anderen Kinder auch schon zu Hause und ihre Geschwister um sie herum im Wohnzimmer der Familie. Zwei Komponenten waren in diesem Setting wichtig, das schon für den kindlichen Schreibgeist der

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Schon 2015 hat Lydia Haider ein Theaterstück geschrieben. Dieses sei aufgrund hohen Personalbedarfs als nicht umsetzbar abgelehnt worden. Jetzt sind allerdings die Theaterhäuser auf sie zugekommen. »Irgendwie ist es logisch, weil die Texte von sich aus auf Mündlichkeit hin ausgelegt sind. Und weil sich Theater viel mehr trauen als klassische Romanverlage, die sich urschnell in die Hose machen, sobald es arg wird oder man sich sprachlich nur ein bisschen aus dem Fenster lehnt, was Theater ja sowieso muss«, findet Lydia. Dabei ist die Übersetzung von Text auf Bühne gar nicht so einfach – weder für die umsetzenden Institutionen noch für die AutorInnen. Lydia nimmt einen Schluck von ihrem Cola, bevor sie zugibt, dass sie von den Theaterfassungen von Texten anderer SchriftstellerInnen meistens enttäuscht war. »Ich habe in allen Gesprächen, die ich mit Theatermenschen hatte, immer gleich gesagt: Ich werde sicher enttäuscht sein, oder es ist gleichermaßen cool – dass ihr was noch Tolleres draus macht, kann ich mir nicht vorstellen.« Wenn ein Text am Blatt fertig ist, sei es für die AutorIn immer das Beste, was je rauskommen könne. An »Zertretung« schreibt Lydia seit 2014. Sie nennt ihn einen »fetten Roman«. Es ist der erste Text der 35-Jährigen, in dem sie als Person vorkommt. Die Handlung: Lydia Haider gegen Gott. A tale as old as time. Aber bei ihr als »Stirb langsam 3«-Cover. »Es endet ganz dramatisch und schirch. Das kann ich alles noch nicht sagen, sonst ist es ja fad. Aber dass es dramatisch und schirch endet, kann man sich bei mir eh denken«, sagt Lydia. Ihre »Helden« müssen dabei verschiedene Rätsel lösen, die Gott ihnen aufgibt. Doch für den initiativen Anlass dieses Disrespects, warum Gott Lydia Haider überhaupt herausfordert, war sie lange auf der Suche. Herausgekommen sind verschiedene biblische, dystopische Szenarien wie etwa die Auslöschung der Hunde, die Auslöschung der Männer oder der Sprache.

»Dass es dramatisch und schirch endet, kann man sich bei mir eh denken.« — Lydia Haider

Ehrfurcht entweihen Biblisch ist ein Begriff, der in so ziemlich jeder Rezension zu ihren Werken als Attribut gebraucht wird. Die gewisse altertümliche und ehrfürchtige Schwere, die in Lydias Sprache mit Dialektalem, Derbem und Radikalem vermischt und in ihrem ganz eigenen Vortragsstil gelesen wird, gibt so manchen LiteraturkritikerInnen Rätsel auf. Dabei ist der biblisch anmutende Ton in ihrer geschriebenen Sprache hauptsächlich Ergebnis einer spielerischen Herangehensweise, jede Nuance der gesamten Sprache potenziell miteinzubeziehen.

Lydia Haider trennt ganz klar zwischen ihr als Person und dem, was sie schreibt – und würde sich wünschen, dass die Literaturszene das auch tut.

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Foto: © Lieve Boussauw / Jeunesse – Musikalische Jugend Österreichs

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Lydia Haider ist oft im Cafe Weidinger anzutreffen. Sie kennt die KellnerInnen, »den Herrn Weidinger« und die andere Stammklientel.

Autorin funktioniert hat: Sie kann nichts versäumen und sie ist in Sicherheit. Obwohl es also tatsächlich ein bisschen FOMO ist, die dahinter steckt, wenn Lydia Haider mehrere Stunden des geselligen Abends in ihre Arbeit versinkt, hatten ihre Schmauswaberl-FreundInnen anfangs Probleme, das hinzunehmen: »Von der Umgebung hat das am Anfang viel abverlangt, weil da schon auch FreundInnen dabei waren, die gesagt haben: Was, jetzt schreibst du schon wieder? Ist dir leicht dein Schreiben wichtiger als wir? – Ja. Ist es jetzt gerade. Ihr wisst es eh und ich bin deswegen jetzt nicht weg, aber redet mich halt gach ein paar Stunden nicht an.« Mittlerweile, nach zwei, drei Jahren, sei das allerdings akzeptiert und ihr Umfeld würde andere potenzielle EinbrecherInnen in diese Schreibpraxis sogar abhalten. »Hey, die schreibt! Geh sofort weg! Da passiert was Tolles«, imitiert Lydia ihre FreundInnen.

»Wie bei der Mafia« Es ist Juni: Lydia Haider und Fanclub finden sich wie so oft im Schmauswaberl zusammen. Dieses Mal soll aber für das Publikumsvoting des Bachmannpreises die Werbetrommel gerührt werden. »Das war wie bei der Mafia. Es waren wirklich alle Netzwerke aktiviert. Ich

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habe immer nur Getränke serviert und alle haben in verschiedenen Sprachen telefoniert. Schön zu sehen, dass es so vielen Leuten wichtig war, dass ich den Preis kriege«, erinnert sich Lydia. Ihr Text für die Tage der deutschsprachigen Literatur besteht aus einem einzelnen Satz, der sich über neun Seiten schlängelt. Ein Hund, eine Protagonistin und eine Jury, die nicht ganz versteht, was das soll. Sogar von einem Tabubruch ist die Rede, als einer der Juroren Haider fragt, was sie mit ihrem Text bezwecke. Die Jury diskutiert über Maximalismus, den Vortragsstil und auch darüber, wer im Text eigentlich spricht. Doch genau diese Trennung von handelnder Person, schreibender Person, und der persönlichen Person hinter der schreibenden ist Lydia Haider sehr wichtig – im Gegensatz zum Rest des Literaturwesens, wie es scheint. »Das einzige voll Negative am Bachmannpreis war die Kritik, weil ich etwas ganz anderes erwartet habe. Nämlich eine harte Kritik, die mich zumindest trifft, damit ich nachher mit diesen Emotionen wieder was Neues schreiben kann. Aber das war es nicht. Ich hatte das Gefühl, es ist an ihnen vorbei gegangen oder sie hätten einen anderen Text vor sich gehabt«, sagt Lydia.

Es sei vergleichbar gewesen mit dem Gefühl, wenn sich jemand nicht mit an deinen Tisch setzen will. Letzteres passiere gar nicht so selten, denn viele schließen von Lydia Haider, der Autorin, nahtlos auf Lydia Haider, die Person. Als sei Abstraktion nicht sowieso Teil jedes Schreibens. Eine fälschliche Annahme, die besonders für weibliche AutorInnen eine lange Tradition hat. »Ich glaube, dass man Frauen das nicht zutraut, weil man ja in dieser langen Geschichte immer der Frau die Emotion zugerechnet hat und dem Mann den Verstand. Dass man bei einem Mann, der eine Kunstfigur erschafft, natürlich nicht nachfragt, denn der ist ja gescheit genug, das zu schaffen. Aber bei einer Frau? Selbst Menschen, die meine Sachen und mich gut kennen, glauben immer noch, dass das eins zu eins ist«, sagt Lydia. Es ist nahezu jedem Interview mit Lydia Haider anzukennen, dass zu verstehen versucht wurde, was hinter ihrer ungewöhnlichen Sprache und ihrem radikalen Duktus steckt – um sie schließlich endlich einordnen zu können. Doch genau in diesem Aufbrechen von dogmatischer Einordnung liegt die Essenz ihres Radikalseins. Es ist schwierig, keine starke Meinung zu ihrem Schreiben zu haben, ob im Positiven oder Negativen. »Dieses Gefühl, dass Leute von dir Abstand nehmen, obwohl sie dich als Person gar nicht kennen, sondern nur deine Texte, zeigt wieder, dass sie überhaupt nicht trennen können«, sagt sie. »Aber man bringt sich so auch um viele Gespräche, die vielleicht anecken oder die arg geworden wären. Dann find ich das fad. Und dann gehst du manchmal auch lieber in Lokale, wo einfach keiner weiß, wer du bist.« Theresa Ziegler

Lydia Haiders Text »Am Ball. Wider erbliche Schwachsinnigkeit« feiert als Bühnenstück am 3. Dezember Premiere im Schauspiel­ haus Wien. »Zertretung« wird in der Thea­ terfassung im Jänner 2021 im Volkstheater uraufgeführt und sucht in der Romanfassung derzeit nach einem Verlag. »Missgeburt« von Gebenedeit erscheint zu Allerheiligen bei Problembär Records.

Eric Asamoah

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Bei einem Mann, der » eine Kunstfigur erschafft, fragt man natürlich nicht nach, denn der ist ja gescheit genug, das zu schaffen. Aber bei einer Frau?« — Lydia Haider

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Golden Frame Zeitgenössische Kunst im angemessenen Rahmen

Malitzin Cortés, »Layering Corpus«, 2020, Web Virtual Reality Experience. Foto: Malitzin Cortés The_Gap_183_010-039_Story_END_KORR.indd 17

Farben, Formen, Bewegung, Töne. Die Künstlerin Malitzin Cortés aus Me­ xiko muss ihre Werke nicht mit »fragile« bestickert um den halben Globus schiffen, wenn sie ein österreichisches Publikum erreichen und begeistern möchte. Es genügen Klicks – denn ihre Kunst lässt sich virtuell durch den Äther schicken und virtuell bestaunen. Zum Beispiel in der Area for Virtual Art. ———— Die transdisziplinären Arbeiten von Malitzin Cortés sind verblüffende Reminder (oder auch Augenöffner) dafür, welch wunderschöne Abstrusitäten unsere Technologie so möglich macht. Live-Coding, LiveCinema, Installation, Virtual Reality, Generative Kunst, Sound-Design, experimentelle Musik und Sound-Art – you name it. Das Portfolio von Cortés ist vielfältig und trägt die Handschrift einer Musikerin, digitalen Künstlerin und Programmiererin. Den Rahmen für die – nennen wir es Ausstellung ihrer Virtual-Reality-Experience »Layering Corpus« bietet die Onlineplattform Area for Virtual Art. Ins Leben gerufen wurde diese zum einen von Soundframe, einer österreichischen Plattform für Immersive Art, die – als langjährige Veranstalterin des europäischen »Festival for Audiovisual Expressions« – die Stadt Wien zu einem Zentrum für audiovisuelle Kunst gemacht hat. Zweite Triebkraft hinter der Area ist Pausanio, eine Kölner Agentur für digitale Kulturkommunikation. Die Area for Virtual Art ist also ein komplett virtuell stattfindender Art-Space, der der Öffentlichkeit seit 9. September, dem Beginn der diesjährigen Ausgabe der Ars Electronica, zugänglich ist und seither schnell und sukzessive wachsen soll. Das Ausstellungsstück »Layering Corpus« ist dabei Teil der Vienna Design Week, es ist ab dem 25. September online und kann mit einer VR-Brille oder einfach von einem normalen PC aus besichtigt werden. So soll die Area for Virtual Art einen neuen Weg für die Präsentation, Kontextualisierung und Unterstützung aktueller digitaler Kunst- und Kommunikationsformen wie Extended Reality (XR), interaktive Arbeiten sowie Artificial-Intelligence-basierte (Art-)Works bieten. Ein anderer wichtiger Fokus der Area for Virtual Art liegt außerdem darauf, auch soziale Areale zu schaffen, die dazu einladen, Menschen aus der ganzen Welt zusammenzubringen. Da sich all dies im Rahmen eines Onlineformates abspielt, bleibt die Area for Virtual Art von den Corona-Maßnahmen und deren Auswirkungen auf physische Museen und Galerien mit geschlossenen Räumen und potenziell virenbehafteten Türklinken größtenteils verschont. Und zeigt uns so auf kreative und nachhaltige Weise, dass man eine Ausstellung auch in einer vollständig virtuellen Zukunft denken kann. Emily Staats

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Malitzin Cortés: Cor­pus De­lic­ti Virtuell und virensicher

»Layering Corpus« von Malitzin Cortés ist seit dem Start der Vienna Design Week am 25. September 2020 in der Area for Virtual Art zu finden.

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Julia Haimburger

Während Lukas Lauermann einem breiten Pub­ likum als gern gesehener Gast- und Studio­ musiker bekannt ist, ist er solo erfolgreich im Grenzland zwischen U- und E-Musik unterwegs. Mit »I N« präsentiert er nun sein zweites Solo­ werk, just in jenem Jahr, in dem er sein persön­ liches Cello-Jubiläum feiert: Ein Vierteljahr­ hundert währt die Liaison zwischen ihm und seinem Streichinstrument nunmehr. ———— Mit »I N« knüpft Lukas Lauermann dort an, wo er uns mit »How I Remember Now I Remember How« zurückgelassen hat – oder besser: er knüpft weiter. Von einem Klangteppich sollte man aber nur dann sprechen, wenn man sich darüber im Klaren ist, wie viel nicht zuletzt künstlerische Arbeit in einem von Hand geknüpften Teppich steckt – wie viel handwerkliches Geschick, wie viel Kunstfertigkeit in der Wahl von Motiven, Farben und Stimmungen. Im Vergleich zum Vorgänger erscheint der zweite Streich noch kompakter und vereint unterschiedliche Zugänge zu einem großen Ganzen von 22 Stücken, die zugleich für sich selbst stehen können. »Als Hintergrund für das erste Album habe ich viele Texte verwendet. Also alles Dinge, die für sich schon eine Aussage haben und an denen man Sachen aufhängen kann. Ich wollte mich aber nicht wiederholen und habe dieses Mal dann ohne dieses Sicherheitsnetz gearbeitet.« Es scheint fast so, als habe die bewusste Entscheidung, sich mehr Freiheit zu nehmen, auch gleichzeitig zu einem musikalisch größeren Zusammenhalt geführt. »Anders als beim ersten Album gibt es durchgehende musikalische Verbindungen – manche spannen sich über die gesamte Spieldauer. ›I N‹ ist als Kreis gedacht, der mehrere Einstiegsmöglichkeiten eröffnet, es ist stilistisch präziser und geschlossener.« Und das, obgleich einige Stücke als Improvisationen am Cello entstanden sind, andere als forschende Auseinandersetzung mit Kirchentonarten am Klavier. Dieses Instrument ist nun erstmals auch prominent in seiner Musik vertreten.

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Das Cello dient auch auf diesem Album als Schallquelle, die klanglichen Möglichkeiten werden aber nicht mehr nur – wie beim Debüt – mit spieltechnischen Ansätzen ausgelotet. In einer radikalen Zuspitzung fungiert es phasenweise nur als Resonanzkörper und Tonabnehmer für das Klavier, aber auch als Stimmgabel und Synthesizer. Diese klanglichen und musiktheoretischen Forschungsarbeiten sind keine leidenschaftslose, kalte Wissenschaft. Es ist mehr eine Form von Klangalchemie, die behutsam mit dem Zauber der Musik umgeht – ihn in seinem Biotop beobachtet, anstatt ihn im Labor zu sezieren. Lauermann beschreibt seine Musik selbst als »barrierefreie moderne, klassische Musik«. Behelfsmäßig könnte man das wohl als Am-

»Ich dachte immer, man muss 13 und ein Wunderkind sein, um ein Instrument zu studieren.« — Lukas Lauermann bient einordnen oder minimalistisch nennen, eine Reduktion, deren Ziel nicht das Aussparen ist. Es geht darum, sich zu vertiefen, in Klänge, Emotionen und Gedanken, Freiräume zu schaffen – um »I N«-trospektion, die die Einflüsse der Welt bewusst wahrnehmen will, um in einen Dialog mit ihr zu treten. Das ist Ausdruck einer Haltung, die Lukas Lauermann als Musiker, aber auch als Mensch auszeichnet. »I N« ist nicht zuletzt auch Testament der fortwährenden Liebesbeziehung zwischen dem Musiker und seinem Instrument. Seine musikalische Laufbahn begann aber mit dem

Klavier der Familie. Das musste noch vor dem ersten Klavierunterricht als Ausgangspunkt für die handfeste Erforschung von Klangwelten herhalten. Mit zehn Jahren trat dann das Cello in sein Leben – mehr prosaisch, denn spektakulär: »Ich wollte ein zweites Instrument lernen und habe mir deshalb ein paar angeschaut. Beim Cello bin ich dann geblieben.« So nüchtern die Entscheidung damals war, so innig ist die Beziehung zum Instrument, das er auch als Teil von sich beschreibt, heute. Da ist es fast selbstverständlich, dass es dem Cello manchmal nicht viel besser ergeht als dem elterlichen Klavier und dass es ordentlich »hergeritten« wird, wenn es der musikalische Ausdruck verlangt. Um diesen zu erweitern, hat er sich ein für ein Streichinstrument überraschend breites Klangrepertoire angeeignet. Dabei spielen Boden-Effektgeräte eine genauso große Rolle wie alternative Spieltechniken aus der Neuen Musik, die Lukas Lauermann ausdrucksstark, aber nicht effekthascherisch einzusetzen weiß. Besonders deutlich wird das bei seinen Solo­aufnahmen. Später sollte er noch Gitarre lernen. Sie stellte Eintrittsticket zum Banddasein dar, nicht aber zum musikalischen Durchbruch: Seiner Metal-Band war nur ein Auftritt beschieden. Dass das Cello damit wieder oberste Priorität hatte und gar eine spätere Karriere begründen sollte, war damit aber noch nicht klar: »Ich dachte immer, man muss 13 und ein Wunderkind sein, um ein Instrument zu studieren.« Fast hätte es ihn deshalb zum Puppentheater verschlagen – die zwangsweise theatrale Bühnenpräsenz, die die dafür notwendige Schauspielausbildung mit sich gebracht hätte, ließ ihn aber davon Abstand nehmen und es folgte ein Cello-Studium in Wien. Nach wie vor ist es aber so, dass er auf der Bühne lieber seine Musik, denn sich selbst ins Rampenlicht rückt. Die Lust, in einer Band zu spielen, blieb weiterhin groß. Ein TV-Interview von A Life, A Song, A Cigarette bildete den Auftakt zum

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25 Jahre, 4 Saiten, 1 Heart Lukas Lauermann in eigenen und fremden Worten

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zweiten deutlich erfolgreicheren Band-Anlauf. Auf die Frage, was man sich denn noch an Instrumenten wünschen würde, antwortete die Band: »Naja, ein Cello wäre leiwand.« Zum großen Erstaunen wurde dieses dann in Form von Lukas Lauermann vorstellig. Die Band meinte zwar, das sei alles nicht ganz so ernst gewesen, aber er solle halt mal zu einer der Proben vorbeikommen. Das erste gemeinsame Konzert fand im Frühjahr 2006 im Künstlerhaus am Karlsplatz statt und es sollte diesmal nicht das einzige bleiben. Aus dem Unernst wurde damit das neue Bandmitglied und Lukas Lauermann einer größeren Öffentlichkeit und anderen MusikerInnen bekannt.

Ernsthafte, tiefgründige Art In unterschiedlichsten Konstellationen beweist er seitdem, dass er ein klassisches Instrument außerhalb klassischer Musik ohne Exotismus gleichberechtigt einzubringen weiß: von André Heller über Der Nino aus Wien bis Soap & Skin. Während Lauermann für Bands wie Tocotronic als Studiomusiker arbeitete, ist er etwa bei Donauwellenreiter fixes Mitglied und Teil des kreativen Prozesses: »Was für ein Glück, dass 2013 keiner der von uns angefragten Akkordeonisten zeitlich verfügbar war. So kam – etwas unerwartet – Lukas in die Band, und hat mit seiner ernsthaften und tiefgründigen Art die weitere Entwicklung wesentlich mitgeprägt«, sagt Maria Caffonara, Sängerin und Geigerin von Donauwellenreiter. Es ist nicht nur die musikalische Ausdruckskraft, im technischen, wie im künstlerischen Sinne, die andere MusikerInnen und Publikum begeistert. Es ist auch die Haltung, aus der heraus Lukas Lauermann Musik macht: Die Melancholie, die seiner Musik innewohnt, sollte man aber nicht als bloße Traurigkeit, sondern mehr als Empfindsamkeit und Ernsthaftigkeit begreifen. Sie tritt gleichsam als Introvertiertheit zutage, die sich auch auf die Welt außerhalb der Musik erstreckt. Etwa, wenn man ihn in den Cafés und Bars seines

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geliebten Stuwerviertels alleine antrifft – und er dann oft auch dankbar dafür ist, wenn man ihn genauso belässt: mit einem Buch und einer Zigarette oder einfach nur beim Leuten-Zuschauen und Ideen-Niederschreiben, die dann darauf warten, am Klavier wieder ausgepackt und ausprobiert zu werden. Ein Bild, das sich auch bei MitmusikerInnen festgesetzt zu haben scheint: »Ich stelle mir den Lukas, egal in welcher Lebenslage, immer rauchend, mit einem rätselhaften Blick in die Ferne blickend vor. Der stille Beobachter, der immer und überall seine Gedanken in einem Heft festhält. Er ist einer dieser Menschen, mit dem man gerne schweigend zusammensitzt«, sagt die Geigerin und SingerSongwriterin Emily Stewart. Lauermann ist auf ihrem aktuellen Album »The Anatomy Of Melancholy« zu hören. Während er früher Konzerte am liebsten weitgehend stumm bestritt und sich nach Shows gern aus der Schusslinie nahm, schlägt er mittlerweile auch gerne verbal eine Brücke zum Publikum. Dennoch besteht kein Zweifel am Primat der Musik als bevorzugtem Ausdrucks- und Kommunikationsmittel: »Obwohl wir viele tiefe und bedeutungsvolle Momente zusammen – inside of art – hatten, stelle ich mir vor, dass Lukas einen einfacheren Zugangspunkt findet, um seine tieferen Gefühle zu teilen. Und zwar mit denen, die dazu fähig sind, in Zeit und Rhythmus zu reagieren, in Harmonie oder Missklang, ohne dass das ›Wort‹ die Kommunikation ständig durcheinanderbringt«, resümiert Derrick Ryan Claude Mitchell, Initiator von Saint Genet. An mittlerweile fünf Produktionen des PerformanceKollektivs war Lauermann beteiligt. Die große Ernsthaftigkeit, mit der Lauermann seine Musik vorträgt, verstellt aber gleichzeitig den Blick auf andere Facetten seiner Persönlichkeit: »Ich muss zugeben, aus der ersten Zuschauerreihe eines seiner frühen Solokonzerte im großen Sendesaal des ORF-Radiokulturhauses habe ich mich bei der Frage ertappt, ob dieser Kerl denn auch ir-

gendwann lächeln oder lachen würde?«, sagt Caffonara. Eine Frage, die sie vier gemeinsame Alben später (zuletzt erschien »Delta«) so beantwortet: »Lukas spricht wenig. Wahrscheinlich ist er der Mensch in meinem engeren Umfeld, der am wenigsten Worte benutzt, um zu kommunizieren. Und dennoch ist seine Präsenz eine starke, unverkennbare. Und was er sagt, sitzt dann meistens. Und auch der Schalk sitzt, und zwar nicht zu wenig, im Nacken dieses Künstlers. Also doch Lächeln und Lachen«, so die Geigerin. Ein Eindruck, den auch Emily Stewart zu teilen scheint: »Er hat eine tiefe, leicht dunkle, aber doch humorvolle Seele, sagt mit einem Blick viel, viel mehr als mit tausend Sätzen. Und wenn er schon etwas sagt, so bringt er es perfekt auf dem Punkt mit einer Ironie, die ich besonders schätze.« Eine Seite, die auch Derrick Ryan Claude Mitchell an Lauermann mag. In einem Gespräch verriet ihm dieser den Namen seines Cellos. Der Hintergrund: die Geschichte von Columbos kurzfristigem Begleiter, einem Basset Hound, der entweder Fido, Munch oder Beethoven heißen hätte sollen. Columbo beließ es aber bei Dog. Analog dazu heißt Lauermanns Cello einfach Cello.

Nachhaltig verrückt »Es gibt eigentlich keinen Grund für Lukas, Rituale in verlassenen Fabriken in Traiskirchen, noch bevor der Morgen graut, zu begleiten. Es gibt eigentlich keinen Grund für ihn, seinen Zeitplan zu verschieben, um in letzter Minute ohne Probe in einer achtstündigen Madness-Opera aufzutreten. In dieser Unvernunft wird jedoch diese große Verrücktheit sichtbar, das Unausgesprochene, eher das Unaussprechliche. Lukas’ Spiel wird zu seiner Präsenz – eine treibende Kraft, die in den angsteinflößendsten, traurigsten und schwierigsten Momenten der Aufführung das Stück nach vorne treibt«, sagt der SaintGenet-Gründer. Seine Solo-Cello-Tour (de Force) durch China lässt sich hier genauso nahtlos einreihen wie das eben erschienene zweite Album. Das macht ihn zu einem rundherum spannenden Menschen und Musiker, der die Wiener Szene und die Musikwelt über diese hinaus nachhaltig bereichert hat. Dass ihn Musikjournalist Robert Rotifer unlängst zur »Koryphäe« adelte, passt genauso ins Bild, wie dass er das Kompliment bescheiden mit einem verschmitzten Lächeln zur Kenntnis nahm. Werner Sturmberger

»I N«, das zweite Soloalbum von Lukas Lauer­ mann, ist bei Col Legno Music erschienen. Für die kommenden Wochen sind einige Konzerte geplant, u. a. eine Album-Release-Show am 15. Oktober im Wiener Konzerthaus.

Joe Albrecht

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Derrick Ryan Claude Mitchell von Saint Genet: »Ich habe gesehen, wie Lukas Cello spielt. Es bringt die Seelen wieder in den Körper, und ich denke, das sollten alle KünstlerInnen anstreben.«

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MEHR GRÜN FÜR WIEN

T F F A H C WER S , A M I L K S E D N GESU T H C I N WENN ? WITEON BER: 11. OK N I R E T S I E M R E VIZEBÜRG HEBEIN BIRGIT

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Eine kleine Wien-Wahlhilfe Die Fragen

SPÖ – Bürgermeister Dr. Michael Ludwig

FPÖ – Freiheitliche Partei Österreichs

Die Grünen – Grüne Alternative Wien

Sind die Wiener Clubs als kul­ turelle Einrichtungen fördersowie schutzwürdig?

Ja, deshalb haben wir auch eine eigene Programmförderung und Anschubfinanzierung für die Clubszene in der Höhe von drei Millionen Euro in die Wege geleitet.

Selbstverständlich! Die Wiener Clubs sind europaweit beliebt und ein wichtiger Tourismusmagnet, der Tausende Arbeitsplätze sichert. Die FPÖ fordert seit Monaten Lösungen für die Nachtgastronomie in der Corona-Krise und Überlebensförderungen.

Ja, selbstverständlich. Seit 2018 werden auf Initiative der Grünen Veranstaltungen der Clubkultur mit ca. 1 Million Euro pro Jahr gefördert. In Zeiten von Corona ist es für die Weltstadt Wien zentral, dass das Musikerlebnis in Form des Clubbesuches so rasch wie möglich zurückkehrt. Dazu helfen wir als Stadt Wien mit weiteren 3 Millionen Euro für die Wiener Clubs.

Soll kommerzieller Erfolg ein essenzielles Kriterium für Kulturförderung durch die Stadt sein?

Nein, Wien hat schon in der Vergangenheit bewiesen, dass es bei Kunst und Kultur vor allem auf Qualität ankommt.

Förderungen sind Steuergelder und sollten sinnvoll und zweckgebunden eingesetzt werden, gerne auch, um Kulturprojekte überhaupt möglich zu machen. Kulturelle Angebote, die aber niemanden ansprechen, sollten auch nicht gefördert werden.

Nein. Eine Kulturförderung zielt ganz besonders auf jene Kulturveranstaltungen, die sich sonst nicht selbst tragen könnten.

Sollen Denkmäler für his­ torische Figuren, die in der Gegenwart als problematisch gelten, umgestaltet bzw. entfernt werden?

Nein, wir setzen darauf, solche Denkmäler entsprechend zu kontextualisieren.

Natürlich nicht. Denkmäler erzählen die Geschichte unserer Heimat, auch wenn wir heute mehr wissen und die Geschichte in anderem Kontext sehen. Anstatt die Geschichte zu zensurieren, muss sie für die nächsten Generationen erklärt werden.

Hier muss jedes Denkmal einzeln bewertet werden. Eine Umgestaltung kann durchaus eine sinnvolle Maßnahme sein, um mit aus heutiger Sicht problematischen Denkmälern umzugehen.

Sollen Schwangerschaftsab­ brüche innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft kosten­ frei und ohne Hürden möglich sein?

Ja, Schwangerschaftsabbrüche sollen in ganz Österreich auf Krankenschein möglich sein und von der Gesundheitskasse bezahlt werden.

Die FPÖ steht für Familie und Tradition und damit gegen inflationäre Drive-in-Abtreibungen. Auch wenn die Geburtenkontrolle die persönliche Entscheidung jeder Frau ist, hat auch das ungeborene Leben Rechte. Die geltenden Gesetze sind ausreichend.

Ja.

Soll Autofahren angesichts seiner gesamtgesellschaft­ lichen Folgekosten teurer bzw. durch Einschränkungen erschwert werden?

Nein, wir wollen die Alternativen zum Autofahren – z. B. öffentlichen Verkehr – attraktiver und günstiger machen und innerhalb der Stadt den Verkehr intelligent steuern.

Die Autofahrer zahlen schon jetzt genug. Wer weniger Autos in der Stadt haben möchte, muss bessere Alternativen für den Umstieg anbieten. Die FPÖ fordert seit Jahren eine Verlängerung der U-Bahn-Linien an den Stadtrand und bessere P&RAnlagen.

Derzeit werden zwei Drittel der Straßenfläche vom Autoverkehr oder als Parkraum verwendet. Das wollen wir ändern. Wir wollen die Stadt wieder den Menschen zurückgeben, die am schützenswertesten sind: den Fußgänger*innen und Radfahrer*innen – und zwar mit einem Ausbau der Öffis, einer Umgestaltung des öffentlichen Raums, sicheren Radwegen sowie mehr Grünräumen.

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Haltungsübung Nr. 19

An Veränderung wachsen. Unsere Welt befindet sich im Wandel. Und es liegt an jeder und jedem einzelnen von uns, dass es ein Wandel zum Besseren wird. Regelmäßige Haltungsübungen helfen uns dabei: Zum Beispiel jeden Tag aufs Neue zu versuchen, an Veränderung zu wachsen. derStandard.at

Der Haltung gewidmet.

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The Gap fragt, die Parteien antworten Die Fragen

ÖVP – Die neue Volkspartei Wien

NEOS – Erneuerung für Wien

Team HC Strache – Allianz für Österreich

Sind die Wiener Clubs als kul­ turelle Einrichtungen fördersowie schutzwürdig?

Definitiv ja. Genau deshalb setzt sich Landesparteiobmann Gernot Blümel in seiner Funktion als Finanzminister für die Clubs ein. Waren es zunächst 75 Prozent, so bekommt die Nachtgastronomie nun einen 100-prozentigen Fixkostenzuschuss.

Ja. Die Wiener Clubszene als wichtige Kultureinrichtung und Wirtschaftsfaktor wurde in der COVID19-Krise von der Politik im Stich gelassen. NEOS unterstützen die Forderungen der Clubbetreiber, werden die angekündigten Maßnahmen genau prüfen und ggf. weiter Druck machen.

Unbedingt. Es kann nicht sein, dass diese durch staatliche Lockdownund Sperr-Verordnungen ohne staatliche Hilfe in den Ruin und Bankrott getrieben werden und Menschen auf Dauer in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden.

Soll kommerzieller Erfolg ein essenzielles Kriterium für Kulturförderung durch die Stadt sein?

Der Erhalt der Vielfalt der Wiener Kulturlandschaft soll im Rahmen der Fördervergabe im Vordergrund stehen. Dabei ist insbesondere auch eine ausgewogene und effiziente Verteilung der vorhandenen Subventionsmittel wesentlich.

Nein. Derzeit gibt es eine massive Ungleichverteilung der Subventionen, nämlich zu wenig für freie Projektförderung und dafür 40,2 Millionen Euro für die Vereinigten Bühnen Wiens, obwohl Musicals kostendeckend arbeiten oder gar Gewinne erzielen.

Kultur muss auch Menschen positiv ansprechen und kann nicht nur zum Selbstzweck sein bzw. dienen. Es braucht daher auch ein Kriterium, ob Kultur von den Bürgern angenommen wird, ein Interesse auslöst und kommerziell bestehen kann.

Sollen Denkmäler für his­ torische Figuren, die in der Gegenwart als problematisch gelten, umgestaltet bzw. entfernt werden?

Denkmäler historischer Persönlichkeiten sollen im Bedarfsfall kontextualisiert werden. So ist es z. B. sinnvoll, auf Denkmälern eine erklärende Zusatztafel zur historischen Einordnung anzubringen.

Wichtig ist vor allem eine breite Diskussion darüber, warum manche historische Personen problematisch sind. Aus dieser Debatte können sich entsprechende Handlungen ergeben (Umgestaltung oder ggf. Entfernung von Denkmälern, Platzbenennungen usw.).

Nein, ich verwehre mich gegen den Denkmalsturm im Allgemeinen. Zusatztafeln mit Erklärungen ergeben da oder dort Sinn.

Sollen Schwangerschaftsab­ brüche innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft kosten­ frei und ohne Hürden möglich sein?

Wir haben uneingeschränkt Achtung vor dem Leben. Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch können bereits jetzt im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen übernommen werden. Wir setzen uns für mehr Beratung und Unterstützung für Schwangere ein.

Ja. Die freie Entscheidung einer Frau, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, darf nicht von ihrer finanziellen Lage abhängig sein. Sexuelle und körperliche Selbstbestimmung und ein flächendeckender Zugang zum Abbruch müssen hergestellt werden.

Nein, denn es handelt sich um ungeborenes Leben. Es soll eine verpflichtende psychologische Beratung vor einer allfälligen Entscheidung stattfinden.

Soll Autofahren angesichts seiner gesamtgesellschaft­ lichen Folgekosten teurer bzw. durch Einschränkungen erschwert werden?

Gerade in Wiens Außenbezirken müssen die öffentlichen Verkehrsmittel ausgebaut werden. Wir fordern zudem eine neue Parkraumbewirtschaftung mit Lenkungseffekt und mehr P&R-Anlagen an den Stadtgrenzen.

Ja. Wir sind für eine Umschichtung der Steuerlast von Arbeit in Richtung einer CO2-Steuer. Eine aufkommensneutrale CO2-Steuer verteuert umweltschädliche Mobilität und senkt somit deren gesamtgesellschaftliche Folgen. In Wien wollen wir den Ausbau des öffentlichen Verkehrs vorantreiben, besonders in den Außenbezirken.

Nein, denn dies würde dem Wirtschaftsstandort und Arbeitsmarkt weiter massiv Schaden zufügen.

(Antworten von H.-C. Strache)

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Unseren Fragenkatalog haben wir– mit der Bitte um kurze, prägnante Antworten – an jene neun Parteien ausgesandt, die bei der Wiener Gemeinderatswahl am 11. Oktober 2020 in allen Wahlkreisen antreten.

Die Fragen

LINKS

BIER – Die Bierpartei

SÖZ – Soziales Österreich der Zukunft

Sind die Wiener Clubs als kul­ turelle Einrichtungen fördersowie schutzwürdig?

Ja. Die Wiener Clubszene ist ein essenzieller Kulturraum für viele, gerade junge Menschen. Besonders nicht kommerzielle Akteur*innen brauchen nicht nur in der CoronaKrise besondere Unterstützung durch die Stadt – Stichwort Raumschutzgesetz.

Unbedingt. Wien zeichnet sich durch eine vielfältige (Live-)Kulturszene aus, die Clubs sind Brutstätten für neue Bewegungen, Genres und auch Bands und sind daher dringend erhaltenswert. Das zeichnet Wien aus, dafür mach ich mich stark.

Ja.

Soll kommerzieller Erfolg ein essenzielles Kriterium für Kulturförderung durch die Stadt sein?

Nein. Kulturarbeit liegt im Interesse aller. Zu ihren Aufgaben gehört es, gesellschaftliche und auch Marktstrukturen zu hinterfragen und aufzubrechen. Deshalb braucht Kultur öffentliche Förderungen und Kulturarbeiter*innen existenzielle Sicherheit.

Nein, Kultur ist Kultur. Es gibt natürlich lukrativere Kultur und weniger lukrative Kultur, aber vor allem die Projekte, die es eh nicht leicht haben, muss man unterstützen. Sonst gibt’s am Ende des Tages nur noch das Theater in der Josefstadt.

Nein, weil wenn es ein kommerzieller Erfolg wäre, würde man nicht für eine Förderung ansuchen. Es soll aber ein Mitentscheidungsgrund sein.

Sollen Denkmäler für his­ torische Figuren, die in der Gegenwart als problematisch gelten, umgestaltet bzw. entfernt werden?

Statuen mögen in Stein gemeißelt Ja. sein, die Bewertung der Geschichte ist es nicht! Antisemit*innen haben keinen Anspruch auf Monumente. Beim Lueger-Denkmal gibt es bereits viele Ansätze zur Umgestaltung – die bisher am Willen der Stadt Wien scheitern.

Nein, aber mit Hinweisschildern zur problematischen Geschichte versehen werden. Sollte man sie entfernen, dann ins Museum stellen.

Sollen Schwangerschaftsab­ brüche innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft kosten­ frei und ohne Hürden möglich sein?

Ja. Schwangerschaftsabbrüche müs- JA! sen nicht nur straffrei, sondern eine normale Kassenleistung sein. Bis das von staatlicher Seite gewährleistet ist, möchte LINKS in Wien sichere und anonyme öffentliche Beratungszentren schaffen, die Abbrüche durchführen.

Ohne Hürden schon, aber nicht kostenfrei. Wir sind aber für kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln.

Soll Autofahren angesichts seiner gesamtgesellschaft­ lichen Folgekosten teurer bzw. durch Einschränkungen erschwert werden?

Ja. 65 Prozent der Fläche Wiens gehören als Parkplätze und Straßen Autos. Wir wollen eine Stadt der Menschen und fordern Parkpickerl in jedem Bezirk, längerfristig eine Verlagerung des Parkraums auf ausschließlich Garagen und Tempo 30 im Stadtgebiet.

Das wäre zu einfach, im Umkehrschluss muss eigentlich der öffentliche Verkehr mehr unterstützt werden. Reisen darf kein Privileg der Reichen werden.

Ja, aber nur wenn man umweltfreundliche Mobilität fördert und den Zugang dazu erleichtert.

(Antworten von Marco Pogo)

(Antworten von Martha Bißmann)

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01 In Belarus dauern die Proteste gegen den autoritären Staatschef Lukaschenko seit Wochen an, DemonstrantInnen werden gefoltert. 02 Eine massive Explosion in Beirut schafft für die Einwoh­ nerInnen der Stadt, neben der Pandemie und den ökono­ mischen Folgen nach einem 15-jährigen Bürgerkrieg, noch größeres Leid. 03 Jemen erlebt gerade die größte humanitäre Krise des 21. Jahrhunderts. 04 In Deutschland versucht jeden Tag ein Mann, seine Frau zu töten. 05 Laut Statistik passiert Racial Profiling in Österreich häufiger als im Rest Europas.

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Lisa Schrofner

In den letzten Monaten wurde Instagram zu einer Plattform für Bildungsarbeit. Seit dem Corona-Lockdown, vor allem seit dem Mord an George Floyd und den andauernden, hefti­ gen Protesten gegen Polizeigewalt in den USA entstehen immer mehr Insta-Accounts, die Informationen leicht verständlich aufarbeiten. In Karussell-Postings wird aus komplexen po­ litischen und gesellschaftlichen Sachverhalten eine swipebare Zusammenfassung. Sie werden in Storys geteilt, verlinkt, getagged, empfoh­ len. Das Weltgeschehen hat man schneller am Schirm als auf jeder Startseite einer Tageszei­ tung. Wer steckt hinter diesen Accounts? Wie beeinflusst das unsere Weiterbildung? Können sie eine Chance für den Schulunterricht sein? Und was hat das Ganze mit Schafen zu tun? ———— Die älteren Millennials unter uns werden noch wissen, wofür Instagram ursprünglich genutzt wurde. Das Jahr ist 2010. Auf random Fotos von irgendwelchen Kirschblüten, Hummustellern, Bücherstapeln, Selfies in Spiegeln mit Blumenkleidern wurden sehr kontrastreiche oder sehr ausgewaschene Filter draufgeklatscht. Immer ein bisschen retro, immer ein bisschen vintage. Hefe, Nashville, Toaster, Walden, 1977, Kelvin. Life is good. Ein paar Jahre später wurde alles etwas gestriegelter, VSCO-Filter, weiße Rahmen, InfluencerInnen posten gesponserte Beiträge und essen perfekt arrangierte Frühstücksbowls. Während Instagram hauptsächlich da war, um mit schönen Selfies, lustigen Partyfotos und coolen Urlaubsorten ein etwas spannenderes Leben zu inszenieren, gewinnt das Teilen der politischen Meinung nun zunehmend an Bedeutung. Als die Migration

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syrischer und afghanischer AsylwerberInnen im Jahr 2015 zunahm, teilten UserInnen auch auf Instagram immer wieder ihre Positionen zu dem Thema. Seitdem stieß man häufiger auf »ernstere« Postings, konnte Screenshots aus Online-Artikeln und Rants in den Storys entdecken. Intensiviert haben sich konkrete Bildungsformate vor allem, seit George Floyd im Mai dieses Jahres in Minneapolis von Polizisten ermordet wurde. Unter dem Hashtag #blacklivesmatter, den es bereits seit 2013 wegen Polizeigewalt gegenüber BPOC in den USA gibt, verbreiteten sich nicht nur Postings zu den Zahlen und Fakten der Ereignisse. Mit rasanter Geschwindigkeit erfuhren wir, wie man sich als weißer Ally verhält, wie man sich zum Thema Rassismus weiterbilden kann, warum der Polizeiapparat an sich rassistisch ist und abgeschafft werden muss. Seitdem wird Content dieser Art zahlreicher: »What is happening in Beirut?«, »What is happening in Belarus?«. Aber auch: »What

»Es hat mich genervt, dass so viele Menschen in Österreich nichts über Srebrenica wissen, und ich wollte aufklären.« — Emina Mujagi

is toxic positivity?«, »What does abolishing the police mean?«, »Why is the self-made millionaire a myth?«. Das Design ist clean, die Infos sind kurz, sie werden in mundgerechten Häppchen serviert. UserInnen kennen sich nach dem Weg zur nächsten Bushaltestelle aus, was auf diesem Planeten abgeht. So schnell, wie wir das Weltgeschehen aufsaugen, so anspruchsvoll kann das Erstellen dieser Postings sein. Denn die Recherche und Aufbereitung kostet Zeit – wenn den AccountBetreiberInnen korrekte Fakten wichtig sind.

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Karussell-Aktivismus Wenn Bildung shareable wird

Die Arbeit hinter der Bildung Das erzählt auch Emina Mujagi , 24 Jahre alt und Wiener Aktivistin mit bosnischen Wurzeln. Auf ihrem Instagram-Account @real­ talkwithemina klärt sie über den bosnischen Genozid im Juli 1995 auf, empfiehlt Bücher dazu, gedenkt den Opfern von Christchurch, oder fasst die politische Lage in Montenegro zusammen. Generell könnte man meinen: Ein Blick in ihren Feed, und man weiß über alles Bescheid. Print ist tot – wegen Insta­ gram-Infographics. »Ich habe damit im Juni 2020 angefangen. Es hat mich genervt, dass so viele Menschen in Österreich nichts über Srebrenica wissen, und ich wollte aufklären. Ich dachte nie, dass das Posting so oft geteilt wird. Weil ich viele positive Reaktionen bekommen habe, wollte ich weitermachen. Jedem sollte Politik wichtig sein, jeder sollte sich dafür interessieren«, sagt Emina. Sie hat Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert und weiß, dass man vor allem bei News von privaten Social-Media-Accounts vorsichtig sein muss. Deshalb hat sie einen sehr hohen

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Anspruch an sich und ihre Arbeit. So hoch, dass es manchmal an ihr zehrt: »Mir ist es natürlich extrem wichtig, dass all die Fakten in meinen Postings aus verlässlichen Quellen kommen. Dafür sammle ich Infos aus Tageszeitungen, lese wissenschaftliche Papers zu den Themen oder spreche mit verschiedensten Organisationen. Manchmal bin ich aber komplett fertig und müde, aber ich muss es einfach machen. Ich habe das Gefühl, dass ich es einfach weitermachen muss.« Einen ähnlichen Motivationsgrund hat auch Dunia Khalil: »Wenn ich das nicht mache, wer dann?« Die Wiener Jus-Studentin leistet mit ihren 26 Jahren bereits bemerkenswerte Arbeit. Bei Zara, dem Verein für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit, in verschiedensten Projekten und Arbeitsgruppen, unter anderem bei der OSZE, setzt sich Dunia gegen Rassismus und Hass im Netz ein. Den Fall des Wiener Rappers T-Ser, der im Herbst 2018 Opfer von Racial Profiling wurde, vertritt sie vor dem Verwaltungsgericht. In ihren Karussell-Postings auf dem Account @duniakhalilcevic bereitet sie Statistiken über Polizeigewalt in Österreich so gut auf, dass man mit diesem Wissen lästige, relativierende Diskussionen über das Thema im Vorbeigehen gewinnen kann.

Lieblingsfach Instagram Ihre Themen und Quellen bezieht sie aus den Organisationen, in denen sie arbeitet, also aus Studien und Gesetzestexten. »Ich habe durch meine Arbeit gesehen, wie viel eigentlich falsch läuft, und wo kann man heutzutage besser Bildungsarbeit leisten als auf Social Media?«, sagt Dunia. Ihre Motivation? Ihr hat bei diesen Postings der Bezug zu Österreich gefehlt: »In Österreich läuft, was Rassismus angeht, sehr viel schief und ich denke, es ist auch meine Verantwortung, das aufzuzeigen.« Sie bekommt für ihre Arbeit viel Zuspruch, auch von SchülerInnen, und das bedeutet ihr besonders viel. »Ich war selbst als Schülerin naiv und wusste nicht, was Rassismus alles sein beziehungsweise beeinflussen kann.« Dunias Eltern sind aus Ägypten, in ihrer Schulzeit waren Themen wie Diskriminierung von Minderheiten kein Teil des Unterrichts. »Das ist so ein komplexes Thema. Ich habe das erst mit 21 gecheckt, nach zwei Jahren Studium, nachdem ich mich selbst weitergebildet und eingelesen habe. Sozialisierung ist mächtig und beeinflusst nun mal, wie und was wir denken. Wir sollten früher – schon in der Schule – lernen, kritisch zu denken.«

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»Ich habe durch meine Arbeit gesehen, wie viel eigentlich falsch läuft, und wo kann man heutzutage besser Bildungsarbeit leisten als auf Social Media?« — Dunia Khalil Dieses kritische Denken sollten SchülerInnen nach der Grundschule bereits beherrschen. Zumindest sind laut Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung unter anderem interkulturelle Bildung, Medienbildung, reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung, Sexualpädagogik und politische Bildung »als Unterrichtsprinzipien im Unterricht aller Gegenstände zu berücksichtigen«. Genau da liegt aber der Knackpunkt. Die Unterrichtsprinzipien sind nicht an den Lehrplan gekoppelt, weil sie »nicht nur einzelnen Unterrichtsgegenständen zugeordnet werden können«. Es ist also erwünscht, aber nicht verpflichtend oder wirklich überprüfbar, ob, wie und in welchem Ausmaß diese Themen in den verschiedenen Fächern behandelt werden. LehrerInnen müssen immer mehr Stoffgebiete abdecken. Manche schaffen diesen Spagat, andere nicht. Klara P. ist 27 und unterrichtet an einer NMS in Wien. Ihr ist es wichtig, mit ihren SchülerInnen politische Themen zu besprechen, und dafür arbeitet sie gerne mit Social Media. Seit Neuestem auch mit KarussellPostings: »Wenn etwas in der Welt passiert, dann bespreche ich das mit den Kindern. Ich mag auch diesen newsmäßigen Insta-Aktivismus, weil die Inhalte gut und locker aufbereitet sind. Bei Black Lives Matter und George Floyd waren sie sehr interessiert. Ich merke, dass die 15-Jährigen generell viel besser informiert sind.« Bezüglich akkurater Fakten ist Klara ebenfalls skeptisch, bespricht Quellenkritik aber auch mit ihren SchülerInnen: »Ich find’s total wichtig, das mit einzubauen und zusammen zu recherchieren, was jetzt wahr ist.« Wie wesentlich medienkritisches Denken ist, konnte der Tiktok-User @frosted­jake mit einem kleinen Experiment beweisen. Seine Annahme: JedeR kann auf dem eigenen Instagram-Account Postings veröffentlichen und sich AktivistIn nennen. Also teilte er Karussell-Infographics des Troll-Accounts @annoyedteenager in seinen Storys. Die Titel der Postings: »Genitalwarzen sind schön und sexy«, »Wie Regelblut trinken das Patriarchat zerstört«, »Normalisiert Inzest«. Die Reakti-

onen: Lob, Zuspruch, Applaus-Emojis. Sein Urteil: Menschen sind Schafe. Klaras SchülerInnen sind zum Glück keine Schafe, ihr war es vor allem während des Corona-Lockdowns wichtig, die Instagram-Accounts der Kinder mit vertrauenswürdigen Quellen zu »fluten«, wie sie sagt, »um informiert zu bleiben, also Seiten von Medien-Outlets wie der ›ZiB‹ oder dem Standard«. Emina von @ real­talkwithemina zitiert am Ende jedes Karussells, woher sie ihre Infos für das Posting bezogen hat. So könne ihr niemand nachsagen, sie würde Sachen erfinden, sagt sie. Das ist guter Selbstschutz, aber auch ein Zeichen, wie ernst sie ihre Bildungsarbeit nimmt und wie professionell sie ihren Account aufzieht.

Revolution mit Schafen? Sind wir durch Instagrams Karussell-Aktivismus viel schneller schlauer? Müssen Schulen mehr Verantwortung übernehmen? Sind wir am Ende doch nur Schafe? Es stellt sich wieder die Frage aller Fragen im Web: Wenn Dolce Vita auf Instagram nur eine Performance ist, ist Online-Aktivismus dann auch nur Fake-Awareness? Alles schnell in die InstaStory gekloppt – »mein Teil ist erledigt, seht mich an!« Wo polarisierende politische Haltungen diskutiert werden und AnhängerInnen finden, lauern auch immer Edge-Lords: »Immer nur reden, nie machen. Immer nur sharen, nie machen. Das ist ja nur ein Trend.« Das ist bei Instagram so, das war mit FacebookProfilbildfiltern so, das wird es immer geben. Wahrscheinlich gibt es auch diejenigen, deren Motivation hinter Aktivismus tatsächlich einfach nur der Trend ist. Das können wir nicht wissen, ist aber auch nicht weiter schlimm. Solange eine Message Wellen schlägt und zur Veränderung beiträgt, ist sie effektiv. Und zum Thema »machen«: Über Probleme sprechen, sie niederschreiben, die Informationen teilen, gehört grundsätzlich ebenso zum Aktivwerden. Es ist das Fundament des »Machens«. Schließlich sind im Juli 50.000 Menschen nicht aus unerfindlichen Gründen in Wien zur Black-Lives-Matter-Demo zusammengekommen. Vanja Nikolic

Die Aktivistinnen Emina Mujagić (@realtalk­ withemina) und Dunia Khalil (@duniakhalil­cevic) sind vor allem auf Instagram aktiv. Unsere Autorin empfiehlt außerdem folgende Channels, die ebenfalls interessante Bildungsarbeit leisten: @soyouwanttotalkabout, @rise.and.revolt, @berfin.marx, @actuallynot.de, @hoe__mies, @bsannefrank sowie @varathas.

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11. Oktober

T H C I N S WEIL’ , T S I T H C WURS

WENN WIR   FLÜCHTENDE   KINDER NICHT AUFNEHMEN.  besser.neos.eu

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Wortwechsel Wie sieht die Zukunft von institutioneller Bildung aus?

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Anna Koller

Hochschulvertretung Pädagogische Hochschule Wien

Anna Koller studiert an der PH Wien Lehramt Primarstufe und ist seit Juli dieses Jahres Vor­ sitzende der Hochschulvertretung der PH Wien.

Theresa Ziegler

Lehren mit Leidenschaft ———— Angefangen bei der Schweizer Primarschule über die Hauptschule am Land bis hin zu Realgymnasium und anschließendem Studium in Wien bin ich auf meinem Bildungsweg vielen unterschiedlichen Bildungsinstitutionen begegnet und habe Vor- und Nachteile selbst erlebt. Dabei blieb aber eines immer gleich – egal, welches Modell: War die Lehrperson Feuer und Flamme beim Unterrichten, so waren es auch wir! Natürlich scheinen manche Bildungsmodelle vielversprechender als andere, doch steht und fällt die Umsetzung mit den Menschen. Nicht jedes Modell ist für jede Lehrperson, geschweige denn für jedes Kind, gleich zielführend. Individualität, Inklusion und Differenzierung werden heute und gerade bei der LehrerInnenbildung großgeschrieben. Aber was heißt das?

Die Individualität der Lernenden wie auch der Lehrenden sollte berücksichtigt werden, um gemeinsam – also inklusiv – differenzierten, an die Bedürfnisse des Individuums angepassten Unterricht zu gestalten. Uns muss bewusst werden, dass Bildung so viel mehr ist, als reine Wissensvermittlung. Bildung ist, sich mit dem Gelernten auseinanderzusetzen, es in Beziehung zu setzen, sich mit einzubringen und kritisch zu hinterfragen. Ich finde gerade momentan ist Bildung so ein flüchtiger Begriff und hat an Tiefe verloren. Zwar sind es Schulen und Universitäten, die den Bildungsbegriff umsetzen, doch ist es die Mentalität, die wir der Bildung entgegenbringen, die ein Handeln kaum möglich macht. So sollten wir versuchen, die Einstellung zur Bildung an sich zu ändern. Bildung ist etwas so Wertvolles und wir sollten dankbar sein, dass es für uns hier in Österreich eine Selbstverständlichkeit ist, Bildung zu erfahren. Bildung sollte nicht nur gesellschaftlich mehr Anerkennung finden, sondern auch seitens der Politik mehr Wertschätzung erhalten. Wenn man in Bildung investiert, investiert man in die Zukunft der Menschen, und für mich gibt es nichts Lohnenswerteres als das.

Jules JSphotography, Pauline Graf, Maria Ziegelböck, Benno Kossatz / AKS

Der »Ernst des Lebens« – mit Blick auf die eigene Schullaufbahn fallen wohl allen, die in konventionellen Bildungssystemen groß geworden sind, mehr oder weniger traumatische oder zumindest immens prägende Erfahrungen ein. Es gibt viel, was man an institutioneller Bildung kritisieren muss: die falschen Foki der Lehr­ pläne, struktureller Sexismus und Rassismus seitens der Lehrenden, veraltete Ansichten, welche Kompe­ tenzen einen zum funktionierenden Erwachsenen machen. Das alles wird auch im sekundären und tertiären Bildungsbereich nicht unbedingt viel besser. Wie aber sollen Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Zukunft Bildung erfahren? Wie können uns Schule und Universität in der heutigen Zeit zu mündigen, kritischen und emphatischen Menschen machen? Und welche Bildungsansätze sind dabei am vielversprechendsten?

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Jules JSphotography, Pauline Graf, Maria Ziegelböck, Benno Kossatz / AKS

Theresa Ziegler

Florence Holzner

Andrea B. Braidt

Nina Mathies

Voneinander lernen ———— Düster! Und damit meine ich, dass grundlegende Änderungen dringlich wären. Menschen haben wohl das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit, Zugehörigkeit und Gestaltbarkeit in ihrem Lebensumfeld. »Künstliche Orte«, wie Spielplätze, Kindergärten und Schulen, die so strukturiert sind, dass sie wenig bis keinen realen Bezug zum Leben haben, machen wenig Sinn in einer Zeit, in der Automation und KIs in viele Lebensbereiche vordringen und das »Wissenslernen« zu einem Großteil übernehmen werden. Die nächste Innovation ist nicht, dass die Buchschule von der Tabletschule abgelöst wird. Wir brauchen Orte, an denen wir vor allem Menschlichkeit erfahren. Für mich bedeutet dies die Schaffung realer Orte mit realen Personen, realen Aufgaben und real erlebten Wirkungskreisläufen. Real im Sinne einer (be-) greifbaren Lebenswelt. Dazu drei Punkte:

Queere Didaktik ———— Die Zukunft institutioneller Bildung ist queer. Was das heißt? Wir müssen an der Universität dem Befund Rechnung tragen, dass Wissen keine absolute Größe ist, die einfach von Alt nach Jung vermittelt werden soll. Fridays For Future zeigt, dass Wissensvermittlung anders gehen muss. Wir tragen die Verantwortung, dafür universitäre Settings zu schaffen, die die Praxis des »Unlearning« (Fred Moten) ermöglichen: kollektive Wissensproduktion, die nicht an einem willkürlich gesetzten »Anfang« eine Geschichte oder Wahrheit zu erzählen beginnt, sondern die sich aus der Mitte heraus verbreitert. Queer ist diese Art der institutionellen Bildung, weil der Rahmen der traditionellen Wissensproduktion dekonstruiert wird. Wir suchen gemeinsam jene Fragen, deren Beforschung unsere Schwarmintelligenz für sinnvoll, für lebensverbessernd, für politisch relevant erachtet. Universitäten sind – wie alles andere auch – durchdrungen von neoliberalen Effizienzmaximierungsmaximen. Schneller, aktiver, produktiver, keine Drop-outs, bessere Abschlussquoten, limitierte Zulassung. Dies ist auch der bedrohten Existenz so vieler Studierender geschuldet, für die Bildung der einzige Weg in ein gutes Leben ist, die keine reichen Eltern haben, die jahr(zehnt)e langes Studieren finanzieren, und die also angewiesen sind auf ein gut organisiertes, studierbares Studium. Doch die Universitäten sind dennoch voller subversivem Potenzial, voller Abschweifungen und (hoffentlich bald wieder) voller aufregender Bewegungszonen. Nehmen wir für die Zukunft der institutionellen Bildung den Schlachtruf des Philosophen Paul B. Preciado mit: »Sie sagen Identität. Wir sagen Vielheit. Sie sagen Krise. Wir sagen Revolution.« Solange wir solche Sätze an der Universität zu hören kriegen, muss uns nicht bang sein.

Gegen soziale Selektion ————Wenn ich auf die Meilensteine meines bisherigen Lebens zurückblicke, fanden die meisten davon in einer Bildungseinrichtung statt. Schule kann gerade junge Menschen enorm formen und Platz zur Entfaltung bieten. Leider wird dieses Potenzial, das Österreichs Schulen hätten, gerade nicht wirklich ausgeschöpft. Unsere Bildungseinrichtungen entwickeln sich immer weiter in ein System, das primär dem Aufbau von Wirtschaft und Arbeitsmarkt dienen soll und nicht den SchülerInnen, die darin lernen. Das ist klar erkennbar an dem steigenden Leistungs- und Notendruck in unseren Schulen. Ein ständiger Wettbewerb und Perfektionsdrang lasten schwer auf den Schultern der SchülerInnen, und viele zerbrechen unter dieser Last. Einschnitte wie die der vergangenen Monate zeigen ganz klar: Bricht unsere Wirtschaft zusammen, ist unser Bildungssystem auch nicht mehr stabil. Während des Lockdowns haben sich viele Probleme verschlimmert. Unsere Schulen sind nicht genug digitalisiert, mentale Probleme von SchülerInnen haben sich verstärkt und sozioökonomische Unterschiede zwischen den SchülerInnen wurden klar ersichtlich: Denn eine AkademikerInnenfamilie mit großem Haus, fünf Computern und einer guten Internetverbindung kann ihr Kind im E-Learning viel besser unterstützen als eine ArbeiterInnenfamilie in einer kleinen Wohnung ohne Internetzugang. Dieser sozialen Selektion muss Österreich klar entgegenwirken. Wir brauchen ausfinanzierte Schulen, um für alle die gleiche Ausrüstung und gleiche Chancen zur Verfügung zu stellen. Wir brauchen inklusive Schulen, in denen alle SchülerInnen voneinander lernen und nicht in verschiedene Schultypen differenziert werden. Wir brauchen aufgeschlossene Schulen, in denen verschiedene Sexualitäten, Geschlechter, Herkünfte und Religionen gleichermaßen akzeptiert und auch thematisiert werden. Jede Ärztin, jeder Manager, jede Arbeiterin – alle gingen irgendwann selbst zur Schule. Wenn wir Veränderung in der Gesellschaft einfordern, sind unsere Schulen der Schlüssel dazu.

1) Verlässliche und heterogene Bindungen zu Menschen LehrerInnen sind mehr als nur WissensvermittlerInnen. Sie sollen wieder fassbare Vorbilder werden. Durch den Aufbau einer starken Bindung ist dies möglich. Weg von der Wettbewerbssituation und dem Miteinander von fast ausschließlich Gleichaltrigen. Kinder wieder mehr in die Eigenverantwortung nehmen. 2) Mitwirksamkeit Kinder wollen sich etwa ab zwölf (auch früher) im wirklichen Leben erproben, Verantwortung übernehmen, wirkliche Erfahrungen mit echten Auswirkungen und Feedbackkreisen erleben. Bildungsorte zu schaffen, an denen dieses frühe Mitwirken in einer stark gehaltenen Umgebung gelebt wird, ist dringlich. 3) Die Art, wie wir lernen Stupides Auswendiglernen können wir getrost den KIs überlassen. Wir wollen die Freude am Lernen nicht verlernen. Im Colearning Wien arbeiten und lernen Erwachsene vor den Kindern und um die Kinder herum, das schafft einen Sog. Die Bildungsinstitutionen der Zukunft sind vielfältige Orte. Handwerk neben Büroarbeit neben Lernenden. Generations- und professionsübergreifend.

Universität Wien

Andrea B. Braidt ist Studienprogrammleiterin der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien, wo sie mit Nicole Kandio­ ler, Claudia Slanar und Katja Wiederspahn im Herbst die Online-Tagung »Screenfest. Queer Film Festivals« organisiert.

Aktion kritischer SchülerInnen

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Colearning Wien

Nina Mathies ist seit 2017 in der SchülerInnen­ vertretung aktiv und seit Juli Bundesvorsitzende der Aktion kritischer SchülerInnen.

Florence Holzner ist Bautechnikerin und Lernbegleiterin bei Colearning Wien, einer freien Bildungseinrichtung und -plattform für Lernende jeden Alters.

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Workstation Menschen am Arbeitsplatz Alexia Fin

Theresa Ziegler

Larissa Kopp Sodom Vienna

Aus Wien eine perverse Liebesrepublik zu machen, ist laut Facebook das Ziel der neuen Partei. Als AblegerIn der Perversen Partei Österreichs ist Sodom aber natürlich nicht nur auf Social Media zu Hause. Auch wenn Sodom nicht wirklich zur Wienwahl antritt, nutzt die Partei ihren Wahlkampf, um auf Demos und mittels Performances öffentlichen Raum zu besetzen. »Das reicht vom schwimmenden Protest auf der Alten Donau bis hin zur queeren Revue basierend auf dem sündigen Wien der wilden 20er – mit dem Ausblick auf ein wildes, freies Wien für die neuen 20er-Jahre dieses Jahrtausends«, sagt Parteimitglied Larissa Kopp. Sie ist dabei unter anderem für die Kostüme für öffentliche Auftritte zuständig. Der Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung spiegelt sich hier auch in der Ästhetik der ArbeiterInnenbewegung wider – mit Arbeitskleidung, Overalls und Latzhosen. Neben transnationaler Solidarität und einer Neudefinition des Familienbegriffs steht Sodom für einen »neuen Menschheitsfrühling für alle«. Oder wie Larissa es formuliert: »Der Kampf gegen Faschismus und Sexismus sowie eine positiv-lustvoll-queere Utopie für die Zukunft müssen unser aller Priorität sein.«

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Satireparteien

Marco Pogo Die Bierpartei

Als Vorsitzender der Bierpartei ist Marco Pogo nie weit vom namensgebenden Getränk entfernt. So auch an seinem »Arbeitsplatz«, dem Würstlstand Endstation in Simmering. Als Politiker sei es schließlich enorm wichtig, dass die Leute wissen, wo man ihn treffe. Marco Pogo ist bereits zur Nationalratswahl 2019 angetreten, wo seine Partei nur in Wien auf den Wahlzetteln stand. Zur Landtags- und Gemeinderatswahl wartet die Bierpartei in der Wahlkabine nun wieder auf ein Kreuz. »Ich möchte eine Bierokratie. In einer Bierokratie geht die Macht vom Bier aus. Das ist immerhin g’scheiter, als wenn die Macht von unfähigen Politikern ausgeht«, so Pogo. Der Frontmann der Band Turbobier betreibt neben Politik und Musik auch sein eigenes Label. Wie er das alles, falls er 2020 einen Wahlerfolg erzielen kann, weiterhin unter einen Hut bringen möchte? »Ich denke, dass man als Politiker genügend Freizeit hat, um nebenbei noch lustige Dinge zu machen. Keiner unserer Politiker erweckt mir den Anschein, unter der Last der Arbeit zusammenzubrechen.«

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PROSA — MARIA MUHAR

ES GIBT BRÖSEL

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Maria Muhar macht in ihrer Kurzgeschichte »Panier« Mehl, Eier und Brösel zu einer präsenten Hülle, die durchbrochen werden muss. Ein Text, der geschickt zwischen dem bleiernen Innenleben seines Protagonisten und exaltierter Außen-Performance der Mitmenschen changiert.

PANIER A. Perner, mit ausgetrocknetem Marker auf ein gelbes Post-it geschrieben, links und rechts mit Gaffa fixiert. Das provisorische Türschild erinnert Daniel an die Beschriftungen der unzähligen Ordner und Kartons, die hinter der Tür warten. Die Wohnung, wie eine weitere Kiste, ein weiteres von Alex’ Projekten. Der Schlüsselbund in seiner Hosentasche gehört ihm, Daniel wohnt jetzt hier und fühlt sich wie ein Einbrecher. Drei Sicherheitsschlösser, drei verschiedene Wohnungsschlüssel, mehrfach hat Alex auf die Wichtigkeit des vollständigen Versperrens hingewiesen. Grün ist der Anfang und die Hoffnung, die Hoffnung, dass der Ablauf stimmt. Seufzend greift Daniel in die Tasche. Eine lächerliche Eselsbrücke, denkt er, fischt mit der rechten Hand den Schlüssel mit der grünen Plastikkappe aus dem Bund und streckt die linke nach dem Türgriff aus. Sachte berühren die Fingerspitzen den kühlen Knauf, er zieht sie zurück. Zuerst ins Mittlere oder doch ins Obere? Nein, erst ins Obere, zwei Mal ganz normal nach links drehen, raus. Wechsel: den kleinen, goldenen ins Untere, jetzt drei Mal nach rechts drehen, raus. Wechsel: der, auf dem SALAT steht, ins Mittlere, jetzt wieder zweimal nach links drehen, den Knauf dabei immer fest zu sich ziehen, bis es klickt, halten, nicht krampfen. Klick. Im Vorzimmer legt Daniel den Schlüsselbund in ein Hundemaul aus Porzellan und zieht sich die Schuhe aus. Semmelbrösel rieseln aus seinen Einlagen. »Wir haben uns halt gefragt, ob es nicht an der Zeit ist, unter unsere Panier zu schauen, und uns als das wahrzunehmen, was wir sind: ein Stück Fleisch«, hat der Performer vorhin gesagt. Dann hat er sich gemeinsam mit zwei anderen nackt in einen Käfig gedrängt, ehe sie herauskrochen, um sich in Mehl, Eiern und Semmelbröseln zu wälzen. Daniel hatte sich nachmittags dazu aufgerafft, den

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leerstehenden Schnitzelimbiss, der seit einigen Wochen von ein paar befreundeten Künstlern zwischengenutzt wird, aufzusuchen. Aus der Decke des, bis auf die fettigen Fliesen entkernten Raumes, ragten bunte Schläuche und Kabel, an der Stelle, an der früher die Fritteuse verbaut gewesen war, standen nun drei Badewannen, die als Panierbecken dienten. 30 Kilo Mehl, 200 Eier, 30 Kilo Semmelbrösel. Das Publikum war überschaubar, weswegen sich Daniel nicht zu gehen traute, obwohl ihn diese massive Müdigkeit im Griff hatte. Er musste die neue Dosierung endlich unter Kontrolle kriegen. Er musste sitzen. Alle standen, keine Stühle, kein Fleck des Fliesenbodens, der nicht mit Semmelbröseln übersät war. Sein wattierter Kopf neigte sich langsam zur Schulter, er spürte wie seine Lider beim Befeuchten der Augen immer länger aufeinander verweilten. Wie einem Junkie, sackten ihm alle paar Sekunden die Knie ein. Er stützte sich an der mit Ei bespritzen Wand ab, versuchte irgendwie wach zu bleiben, einen Fokus zu finden. Über den Spuren eines herausgerissenen Tresens, hingen noch die bläulich verblassten Speisefotos von der Decke: Fischsemmel Leberkäsesemmel Käse-Leberkäsesemmel Im Mehl knirschende Körper Camembert gebacken Emmentaler gebacken Port. Preiselbeersauce gebacken 2 Stk. Nutella Palatschinken gebacken XL Kaiser Cordon bleu Hawaii Im verquirlten Ei quietschende Haut

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Krautsalat Rahmgurkensalat Mexikosalat Müllerin Art An seinem Arm das Tippen Port. Sauce Tartare 10 dag. Scholle ohne Beilage Zigeunerschnitzel im Hemd Pepsi Port. Cocktailsauce Pepsi Port. Cocktailsauce Pepsi Pepsi An seinem Arm das Tippen Tiramisurschnitzel

ist 1986 in Wien geboren, ab­ solvierte eine Kochlehre und studierte danach an der Akade­ mie der bildenden Künste sowie am Institut für Sprachkunst. Sie veröffentlicht Lyrik, Prosa und Kurzhörspiele. Zuletzt erschien ihr Text »Schlachthausgasse« in der Anthologie »Und wie wir has­ sen!« (herausgegeben von Lydia Haider) beim Verlag Kremayr & Scheriau. Sie ist Teil des Auto­ rinnenkollektivs Wiener Grippe / KW77, mit dem sie Reiseberichte schreibt und Lesungen veranstal­ tet. Gegenwärtig arbeitet Maria Muhar an ihrem ersten Roman.

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Maria Muhar

Apollonia Theresa Bitzan

Irgendwann fand er sich vorm Lokal sitzend wieder, jemand bot ihm eine Zigarette und ein Glas Wasser an. Er konnte sich nicht daran erinnern, eigenständig herausgegangen zu sein und während er, an die Glasscheibe gelehnt, trank und rauchte, tastete er mehrmals seinen Hintern ab, um sicher zu gehen, dass er eine Hose trug. Auf dem Weg nach Hause fragte er sich, ob die Performance seinetwegen unterbrochen wurde oder ob die ganze Sache von seinen Bekannten halbwegs unbemerkt geblieben war. Daniel hängt seine Jacke an den verschnörkelten Garderobenhaken, bückt sich und schiebt die Brösel rund um seine Schuhe mit den Händen zusammen. Er kennt Alex noch nicht gut, aber gut genug, um zu wissen, dass sie so etwas stören würde. Als er sich wieder aufrichtet, merkt er, wie viel Kraft ihn das auf einmal kostet. Wie ihn etwas Schwindelerregendes am Boden hält. Die Müdigkeit ist zurück; steigt hinauf in seinen Körper, stapelt sich kiloweise bis zum Kopf. Seine Beine biegen sich unter der Last, die vollgeräumten Regale biegen sich unter der Last. Der Raum biegt sich. Und wieder sinkt Daniel in die Knie. Mit der Hand voll Brösel steht er wankend da, will einfach nur in sein Zimmer gehen, und kommt nicht von der Stelle. Wie angeschissen, denkt er, als er sich im Vorzimmerspiegel entdeckt. Angeschissen in der eigenen Wohnung.

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1 Vienna Comic Con Zum fünften Mal lädt die Vienna Comic Con in die Messe Wien, wo am 21. und 22. November rund 400 AusstellerInnen auf VertreterInnen allerlei Fandoms und Comic-Universen warten. Dabei ist die Vienna Comic Con mehr als nur eine Messe zum Durchblättern. Allein die trotz Corona zahlreichen Stargäste – Mads Mikkelsen und Christopher Lambert zum Beispiel dürften auch außerhalb der Kernzielgruppe ein Begriff sein – machen klar: Hier geht 14:41 es um Austausch innerhalb einer riesigen und internationalen Subkultur. Wir verlosen 3 � 2 Weekend-Tickets.

2 »Monsieur Killerstyle« Quentin Dupieux, der vor über 20 Jahren als Mr. Oizo das gelbe Stofftier Flat Eric mit dem Killertrack »Flat Beat« in die Clubs entsandte, kann mittlerweile auf ein beachtliches, ziemlich abgedrehtes filmisches Œuvre verweisen. Ließ er in »Rubber« noch einen Autoreifen namens Robert blutige Spuren ziehen, so ist es in »Monsieur Killerstyle« eine Wildlederjacke, die aus Georges (Jean Dujardin) und Denise (Adèle Haenel) willfährige HandlangerInnen macht, denn: Es kann nur eine Jacke geben! »Monsieur Killerstyle« ist digital, auf DVD und Blu-Ray erhältlich. Wir verlosen zwei DVDs und eine Blu-Ray.

3 »Harriet – Der Weg in die Freiheit« Basierend auf einer wahren Begebenheit, erzählt »Harriet« die Geschichte der US-amerikanischen Freiheitskämpferin Harriet Tubman. Nachdem ihr selbst die Flucht aus der Sklaverei gelungen war, half sie bis zum Ende des Sezessionskrieges Hunderten Menschen dabei, von den Süd- in die Nordstaaten oder nach Kanada zu fliehen. Cynthia Erivo wurde für ihre Darbietung für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert. Ebenfalls zu sehen: Janelle Monáe. »Harriet – Der Weg in die Freiheit« ist ab 12. November auf DVD und Blu-Ray erhältlich. Wir verlosen je eine DVD und eine Blu-Ray.

4 »The King Of Staten Island«

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Spätestens seit der Highschool-Serie »Freaks And Geeks« begleitet uns Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Judd Apatow durch die diversen Phasen des (Nicht-)Erwachsenwerdens. In »The King Of Staten Island« erzählt er von Scott (Pete Davidson), der in sehr jungen Jahren seinen Vater, einen Feuerwehrmann, bei einem Einsatz verloren hat. Inzwischen Mitte 20, hat er es nicht viel weiter als zum Parade-Slacker gebracht. Als seine Mutter (Marisa Tomei) beginnt, einen Feuerwehrmann (Bill Burr) zu daten, muss sich Scott seiner Vergangenheit stellen. »The King Of Staten Island« ist ab 5. November auf DVD und Blu-Ray erhältlich. Wir verlosen zwei Blu-Rays.

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Rezensionen Musik

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Christian Sundl

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Tief im Westen gibt es keine Kreisverkehre. Du kannst nur ins Tal hinein oder aus dem Tal heraus. Nur ein kleines bisschen Entscheidungsfreiheit, weil: Auch im nächsten Tal scheint nie die Sonne. Je weiter du nach Osten fährst, desto mehr Auswahl hast du. Erste Ausfahrt, zweite, dritte, oder eben wieder retour. Aber, so ist das halt bei »uns«: Düster bleibt es überall, geistiger Horizont und so. In der Hauptstadt sind die Möglichkeiten zwar unbegrenzt, aber auch hier wieder: dieses Morbide. Du kommst ihm einfach nicht aus, in der Musik schon gar nicht. Was jedoch die aus Salzburg stammende Margarete Wagenhofer, die schon vor Ewigkeiten über die Kreisverkehre – zweite Ausfahrt quasi – nach Wien gefahren ist, gemeinsam mit Lili Kaufmann und Jasmin Strauss aus dem Sujet macht, ist aller Ohren wert. Die gemeinsame Band Zinn begibt sich – einem diabolischen Bund mit dem Beelzebub entsprungen (»Der Typ is da Teifl und wir san jetzt z’samm’«, heißt es etwa in »Black Lake«) – mit ihrem Debüt auf die Spuren des Vergänglichen. Die drei instrumentieren ihren Dark Folk höchst anmutig: bewusst doomig, mit düsterjazzigen Flächen, die aus eigentlich knackigen Popsongs (im weitesten Sinne) sanft-somnambule Elegien zaubern. Diese klingen gleichzeitig vulnerabel und doch vehement. Acht Stücke auf 40 Minuten. Den Instrumenten – es sind zumeist die besonders finsteren und bassigen – wird jener Raum zum Atmen gelassen, den sich die Texte, die mantrahaft in die Synapsen gebrannt werden, nicht erlauben. Schließlich sind die Melancholie und die belastende Schwere des Lebens monothematisch: In »Diogenes«, der ersten Aufnahme der seit 2018 gemeinsam konzertierenden Gruppe geht’s um die Schwere der Last auf den eigenen Schultern, in der zweiten Single »Lethargie« um die Schwere, wenn gar nichts mehr geht. Prototypisch für die im Dialekt vorgetragenen Stücke – ein Muss bei diesem Sujet – steht aber vor allem eine Zeile aus »Quahlia«: »Manche lieben sich so schee / Und bei anderen tuat’s immer nur weh«. Man kann nur raten, wie das bei Zinn ist. Aber wie so oft: Das Leiden zahlt sich aus. Schließlich ist »Zinn« ein Riesentrumm von einem Album, ein Meilenstein der Melancholie. (VÖ: November) Dominik Oswald

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Zinn — Numavi Records

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Rezensionen Musik

Rosa Anschütz

Culk

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Spätestens seit der Kobosil-Remix von Rosa Anschütz’ Track »Rigid« im vergangenen Jahr über sämtliche Techno-­Dancefloors fegte, sollte der Name der in Berlin geborenen Künstlerin, die mittlerweile Wien zu ihrer zweiten Heimat gemacht hat, all jenen ein Begriff sein, die etwas von avantgardistischer beziehungsweise experimenteller Musik halten. Auf ihrem Debütalbum, das über die letzten drei Jahre in Zusammenarbeit mit dem Berliner Produzenten Jan Wagner entstanden ist, schafft die transmediale Künstlerin ein zeremonielles Ambiente, das ihre teils stark mit Effekten beladene und zwischen gesprochenem Wort und Gesang wechselnde Stimme in wärmende Gitarren-, Bass- und Synthesizersounds hüllt. Eine schnelle Wikipedia-Recherche ergibt, dass ein Votiv eine Opfergabe bezeichnet, die von einem Gelübde begleitet an eine höhere Macht dargebracht wird – um vor Notlagen geschützt zu sein. Und das ist nicht nur stabiles Funfact-Wissen für den nächsten Spaziergang, der an der Wiener Votivkirche vorbeiführt, sondern beschreibt auch die düster-­ melancholische Stimmung des Albums, bei der aber doch eine tiefe Ruhe, wenn nicht sogar Hoffnung mitschwingt. Ein bisschen fühlt es sich so an, als säße man inmitten eines Gottesdienstes, der wegen seines hypnotisierenden Charakters ein spätes Ende verlangen lässt. Auf der lyrischen Seite ist das Album trotz Minimalismus nicht weniger tiefgehend. Die mantraartig wiederholten Textpassagen eröffnen auch ohne komplexe und doppeldeutige Botschaften Interpretationsspielraum, indem sie die Basis für gesprochenes Wort schaffen. Die poe­ tischen Zwischenkundgebungen sind angeblich aus einer Sammlung von gelegentlich notierten Textfetzen entstanden und hatten so wohl genügend Zeit, gemütlich vor sich hin zu reifen. Im Mantel des hallenden Hintergrunds verschmelzen sie zu einem dem Ohr schmeichelnden Erlebnis. »Votive« ist eine der Platten, die uns durch die Winterdepression helfen werden. (VÖ: 1. November) Sandro Nicolussi

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Zerstreuen über euch — Siluh Records In der Mitte des Begriffs »Verantwortung« steckt die Antwort auf eine jener Fragen, die sich die Wiener Band Culk auf ihrem zweiten Album stellt: Warum ist jedes Sprechen immer auch ein Versprechen? Weil kein Wort, egal wie dick es zuvor mit Luftpolsterfolie umwickelt wurde, je frei von Macht und Verantwortung sein kann. Aber auch die Nicht-Worte, die Culk schon seit ihrem Debütalbum begleiten, sind mächtig. Sie können sogar zu Ohnmacht führen, singt Sophie Löw mit zwischen Trance und Trotz changierender Stimme im Stück »Dichterin«. Es ist auch jener Song, in dem sich die Themen, derer sich Löw, Johannes Blindhofer, Benjamin Steiger und Christoph Kuhn auf »Zerstreuen über euch« annehmen, auf besonders eindringliche Weise verdichten. Kurz zusammengefasst: Es geht darum, dass Worte nicht nur sichtbar, sondern auch unsichtbar machen können. »Zerstreuen über euch« ist kein Album, das Mut macht. Dafür ist es – so deprimierend das in diesem Zusammenhang auch klingen mag – einfach zu ehrlich. Und auch der zwischen Shoegaze, Post-Punk und New Wave angesiedelte Sound, der vor allem durch Sophies einprägsame Stimme zusammengehalten wird, möchte dieses Gefühl nicht so recht aufkommen lassen. Aber das Album bietet die Möglichkeit anzuknüpfen, und zwar nicht mit einfach wieder aufzulösenden Luftmaschen, sondern mit festen Knoten, die tatsächlich Halt geben. Auf »Zerstreuen über euch« wird eine klare Haltung vermittelt, von Zerstreuung ist zumindest auf inhaltlicher Ebene nichts zu spüren. Eher ist es der Sound, der einen abdriften lässt in scheinbare Widersprüche und eigene Geschichten. Denn für Erzählungen abseits vor- und immer wieder abgeschriebener Rahmenhandlungen ist auf diesem Album auf jeden Fall genug Platz. Größe und Form dieses Rahmens selbst festzulegen, dazu ermutigen Sophie und ihre Bandkollegen auf »Zerstreuen über euch« nämlich schon. (VÖ: 9. Oktober) Sarah Wetzlmayr Live: 30. Oktober, Wien, WUK

Anna Breit, Antonia Mayer

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Votive — Quiet Love Records

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Anna Breit, Antonia Mayer

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Rezensionen Musik

Mynth

Wandl

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Bereits drei Jahre ist es her, dass die Elektro-Pop-Band Mynth den Amadeus Award in der Kategorie »Electronic / Dance« eingeheimst hat – und seitdem hat sich bei den Zwillingen Giovanna und Mario Fartacek einiges getan, allem voran soundtechnisch. Bestachen die ersten beiden Alben noch mit einer Mischung aus Elektro-Pop und TripHop, stellen Mynth auf ihrem im November erscheinenden dritten Studioalbum »Shades | Mynth« reduziertere, weichere Klänge in den Mittelpunkt. Der 2019 erschienene Song »Casablanca« deutete bereits einen Aufbruch in softere Gefilde an – perfektioniert haben Mynth den Wandel nun auf ihrem neuen Album. Softer Zuckerwatte-Pop trifft auf sphärische Synthieklänge und harmonische Gitarrenriffs, darüber schwebt Giovannas zwischen zart und drängend changierender Gesang, der auf eine Reise zwischen Traum und Reminiszenz entführt. Im Kontrast zu den luftigen und verträumten Sounds stehen auf »Shades | Mynth« die Geschichten, die das Album erzählt: Die Lyrics handeln von Leben und Tod, Dunkelheit und Licht, von latenten Ängsten, Sehnsüchten und dem Gefühl der Überforderung. »Moment after moment / Day by day / This summer was passing / And we couldn’t stay«, heißt es im Intro zum Musikvideo zu »Tulum« – und die Worte sind Programm. »Shades | Mynth« klingt wie eine Hommage an einen verklärten Sommer, in dem alles gar nicht so viel besser war als heute, und trifft mit seinen melancholischen Klängen genau den Zeitgeist einer mit Ängsten und Krankheit kämpfenden Gesellschaft. Mit dem Album gelingt die Flucht in eine nostalgische Gedankenwelt, ohne den Bezug zum Wesentlichen zu verlieren. Ein Soundtrack für triste Wintertage, an denen man sich die Leichtigkeit des vergangenen Sommers zurückwünscht – oder auch für die nervenaufreibende Wartezeit auf das ausstehende COVID-­19-Testergebnis. (VÖ: 6. November) Tanja Holz Live: 6. Oktober, Linz, Posthof — 8. November, Wien, Supersense — 19. Februar, Salzburg, Rockhouse — 25. Februar, Graz, Orpheum — 26. Februar, Wien, WUK

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Womb — Affine Records Wird man für Wortspiele mit den Namen von KünstlerInnen eigentlich immer noch verteufelt? Egal – Wandl-bar muss drin sein. Der gebürtige St. Pöltener, der quasi beim und mit dem Musikmachen groß geworden ist, beschert uns ein Album, das ein neues Zeitalter der Kurzweiligkeit markiert. Denn »Womb« kommt daher wie ein heimliches Stöbern in Wandls musikalischem Notizenordner. Stellenweise fragt man sich beim Durchhören, ob da nicht die eine oder andere halbfertige Nummer durchgerutscht ist, an anderen Stellen besteht ein Track dann wieder aus zwei quasi eigenständigen Stücken. Dieser zerfaserte Charakter macht neben aller Verwirrung allerdings auch die Spannung des neun Tracks umfassenden Tonträgers aus. Wandl spielt damit in der Topliga der Aufmerksamkeitsökonomie, ohne dass dabei direkt eine aggressive Hook aus den Boxen geballert wird, bevor überhaupt so etwas wie ein Beat zu erahnen ist. So schnell, wie man abgeholt wird, ist es dann aber auch fast wieder vorbei. Die Tracks dauern im Durchschnitt nämlich gerade mal drei Minuten. Lasst einfach die ungeschickteste Person in eurem FreundInnenkreis den CBD-Ofen rollen, dann könnt ihr währenddessen locker das gesamte Album durchhören. Das kurze Vergnügen ist dafür ein zufriedenstellendes. Soulige Lo-FiAmi-Type-Beats treffen auf Wandls charakteristischen, Reverb-geschwängerten Gesang. Außerdem strahlt die Platte eine gewisse Unangepasstheit aus, die sich in der teils stark stromlinienförmigen Popkultur immer schwerer finden lässt. Immerhin ist es alleine schon eine Leistung, das allseits bekannte und nicht minder nervige Hip-Hop-Airhorn so als Instrument zu verwenden, dass es nicht den gesamten Hörgenuss zerbröseln lässt. Wandl meistert auf »Womb« die Unkonvention. Und auch wenn die Texte teilweise schwere Themen transportieren, passiert das auf die bekömmliche Art. »Womb« ist jedenfalls ein Part von Wandls Diskografie, den man sich ruhig öfter hintereinander genehmigen kann – und auch sollte, will man alle Details aufschnappen. (VÖ: 2. Oktober) Sandro Nicolussi

Patricia Narbon, Maria Oikonomou

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Shades | Mynth — Assim Records

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Weil wir’s wissen wollen.

Was passiert gerade auf den Bühnen von Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Lifest yle? Welche Bedeutung haben diese Ereignisse? Und w ie hängen sie zusammen? Unser Leben w ird begleitet von Fragen, auf die es keine einfachen Ant worten gibt. Die Redaktion der „Presse“ ist täglich bestrebt, den Dingen und Geschehnissen auf den Grund zu gehen, zu informieren und analysieren sow ie Ihnen ein möglichst breites Meinungsspektrum zu den Themen der Zeit zu bieten.

Jetzt für alle Wissbegierigen unter 27: „Die Presse“ DIGITAL und „Die Presse am Sonntag“ um nur 10 € pro Monat!

DiePresse.com/U27

Patricia Narbon, Maria Oikonomou

–70 %

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Sag uns die Meinung! Die große The-GapLeserInnenbefragung Alle Jahre wieder brennt es uns gehörig unter den Fingernägeln. Dann wollen wir wissen, was ihr, werte LeserInnen, eigentlich von The Gap haltet, welche Formate ihr besonders gut oder schlecht findet und welche Themen wir vielleicht öfter aufgreifen sollten. Und weil uns eure Meinung etwas wert ist, verlosen wir folgende Goodies unter allen, die an der großen The-Gap-LeserInnenbefragung teilnehmen.

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2 � »Monopoly für schlechte Verlierer« von Hasbro 01

3 � Buch »Einmal noch schlafen, dann ist morgen« von Manuel Rubey 10

Ganze FreundInnenkreise sind schon wegen einer Partie »Monopoly« zerbrochen. Endlich die Rache: Bei dieser Ausgabe des Spieleklassikers gewinnt, wer normalerweise verlieren würde.

Ob als Falco oder liebenswerten Hipster – Manuel Rubey kennt man in vielen Rollen. Als Autor ist dies sein erstes Werk. Thema: Entschleunigung.

Nicht einmal ein Jahr nach »Lover« hat Taylor Swift mit dem Release von »Folklore« ziemlich überrascht. Das Album ist ungeplant im Lockdown entstanden und neigt sich in seiner Reduziertheit Richtung Folk.

1 � Russell Hobbs Velocity-Toaster 02

3 � Buch »Die Ambassadorin« von Sebastian Janata 11

1 � Vinyl »None Of Us Are Getting Out Of This Life Alive« von The Streets 20

»Toasted« hat laut Urban Dictionary eine etwas andere Bedeutung, als man unschuldigerweise annehmen würde. In diesem Fall kommt der Toast aber tatsächlich aus dem schnellsten Toaster im Sortiment.

Nach und nach entpuppt sich das Romandebüt von Sebastian Janata (Ja, Panik), in der ein junger Exil-Berliner zurück in seine burgenländische Heimat kommt, als packende Rural Legend mit subtilem Krimiplot.

Man nennt es wohl ein Comeback, wenn man sich wie Rapper und Producer Mike Skinner neun Jahre Zeit lässt, ehe ein neues Album erscheint. Und ein gelungenes noch dazu, bei dem jede Menge Gäste mit von der Partie sind.

3 � 50-Euro-Gutschein von Blue Tomato 03

2 � DVD »Du hättest gehen sollen« 12

Blue Tomato ist seit 1988 dein Shop für Snowboard, Freeski, Surfen, Skaten und Streetwear. Der Gutschein ist im Shop in deiner Nähe und auf www.blue-tomato.com einlösbar. Was du dir dort aussuchst, ist ganz dir überlassen.

Ein Ausflug aufs Land als letzter Versuch, das Scheitern der gemeinsamen Ehe zu verhindern, wird zum Albtraum: Kevin Bacon und Amanda Seyfried, verfolgt von einer finsteren Macht. Nach dem gleichnamigen Buch von Daniel Kehlmann.

3 � Vinyl »Magnolia« von Marco Kleebauer 21

1 � Parafina-Sonnenbrille »Arroyo« in Pink 04

3 � Set »Vanilla Pumpkin« von The Body Shop 13

1 � Vinyl »Women In Music Pt. III« von Haim 22

Diesem schicken Teil von der umweltfreundlichen Eyewear-Marke Parafina sieht man es gar nicht an, dass sie in einem früheren Leben mal mehrere PETFlaschen war.

Die neue limitierte Special Edition aus dem Hause Body Shop duftet nach Kürbis und Bourbon-Vanille – und passt somit perfekt zu Halloween. Im Set enthalten sind Duschgel, Handcreme und Körperbutter.

Die drei Haim-Schwestern Este, Danielle und Alana haben auf ihrem dritten Album ein paar veritable persönliche Krisen verarbeitet – was ihren eingängigen Songs Tiefe, aber nicht unbedingt Schwere verleiht.

3 � Eyeshadow-Palette »Naked Reloaded« von Urban Decay 05

2 � Wien Gin 14

1 � CD und 1 � Vinyl »Homesick« von Avec 23

3 � Jahreskarte Kunsthalle Wien 06 In ihrem 28-jährigen Bestehen hat sich die Kunst­ halle Wien längst als Institution der Museenlandschaft etabliert. Im Museumsquartier, am Karlsplatz – und immer gesellschaftskritisch.

1 � Kopfhörer Sennheiser HD 350BT in Weiß 07 Audio-Spezialist Sennheiser hat mit dem HD 350BT einen kabellosen Bluetooth-Kopfhörer im Angebot, der hohe Klangqualität, kraftvolle Bässe und kabellose Freiheit kombiniert – bei einer Akkulaufzeit von 30 Stunden.

3 � Nivea-Paket »Pure & Natural« 08 Bevor du eine Creme an deine Haut lässt, willst du natürlich wissen, was drin ist. Bei der Nivea-Serie »Pure & Natural« sind das zu 99 Prozent Inhaltsstoffe natürlichen Ursprungs.

1 � Kette Silver Silk von Xenox 09 Diese vergoldete Halskette aus Sterlingsilber ist ein wahres Statement-Piece. Der runde Anhänger gibt sich mit seiner unregelmäßigen Oberfläche betont charaktervoll und intensiv glänzend. Ein Eyecatcher!

3 � Eau de Toilette »1 Million« von Paco Rabanne 15 Parov Stelars Song »All Night« wird für immer mit der Parfumlinie des spanischen Labels Paco Rabanne in Verbindung gebracht werden. Nicht nur deswegen ein Klassiker!

1 � Remington Endurance Groomer MB4200 16 Bart ist nicht gleich Bart und so brauchst du für ein anständiges Bartdesign auch das dazugehörige Tool: Dieser Groomer erlaubt Trimmvariationen von einem bis 15 Millimeter.

1 � Vinyl »Love, Death & Dancing« von Jack Garratt 17 »Tanzmusik für Leute, die nicht gerne ausgehen«, so beschreibt Jack Garratt das, was auf seinem neuen Album zu hören ist. In anderen Worten: der charts­ erprobte R&B-Pop eines introvertierten Engländers.

3 � CD »Imploding The Mirage« von The Killers 18 Heartland-Rock, der selbstbewusst die Faust in die Luft streckt. Die Band aus Las Vegas hat sich erst vor Kurzem mit diesem neuen Album und ihrem durch und durch amerikanischen Sound zurückgemeldet.

Er produziert für Bilderbuch und Oehl, er komponiert als eine Hälfte von Leyya – man weiß einfach, wer Marco Kleebauer ist. Mit »Magnolia« zeigt er, dass sein Name auch als Solomusiker funktioniert.

Auch wenn wir 2020 eher Fern- als Heimweh haben, ist die Sehnsucht nach einer Heimat eine, die die Menschheit eint. Dass das auch die oberösterreichische Singer-Songwriterin Avec weiß, zeigt ihr Album »Homesick«.

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Die Naked-Paletten sind mittlerweile ein moderner Klassiker unter anständigen Beauty-InfluencerInnen. Die neue Variante definiert Nude-Töne mit zwölf Farbnuancen erfrischend neu.

In Sachen Gin hat sich in den letzten Jahren eine erfreuliche Vielfalt und handwerkliche Qualität etabliert. Auch auf regionaler Ebene: Der Wien Gin ist verspielt, spritzig, traditionsbewusst und doch modern. Längst legendär.

3 � CD »Folklore« von Taylor Swift 19

3 � CD »Father Of All Motherfuckers« von Green Day 24 Die aus Kalifornien stammenden Punk-Superstars haben sich einen kleinen Bruch erlaubt: Auf »Father Of All …« gibt’s manischen (Glam-)Rock, der keine Gefangenen, der Band dafür aber hörbar Spaß macht.

3 � CD »Wir bauten uns Amerika« von Provinz 25 Gerne werden Provinz in einem Atemzug mit Annen May Kantereit und Faber genannt. Ihre Musik ist direkt, unpoliert und geprägt vom fieberhaft hingeschmetterten Gesang Vincent Waizeneggers.

1 � Vinyl und 2 � CD »Manic Acid Love« von Schmieds Puls 26 »Ein Album über die Liebe, Selbstbestimmtheit und die eigene Verletzlichkeit«, das war bei uns anlässlich der Veröffentlichung von »Manic Acid Love« zu lesen.

3 � Vinyl »Shakalaka« von Safari 27 Das Werk des schwedisch-österreichischen Brüder­ duos hat etwas Verspieltes – das beginnt beim Spaß an Worten wie eben »Shakalaka« und endet bei der stilistischen Offenheit ihres Elektro-Pop.

Zum Teilnehmen einfach hier entlang: www.thegap.at/leserinnenbefragung The_Gap_183_040-058_Rezis_Termine_END_KORR.indd 47

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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

Termine Musik

SPITTING IBEX 20.10.2020

© Georgi Sarkezi

KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

Lylit / Mira Lu Kovacs Der neue Konzerthaus-Zyklus »Singer-Songwriter – Female« wurde Ende September von Ankathie Koi eröffnet. Mit dem Duo Lylit und Mira Lu Kovacs geht es hochwertig weiter. Von weltgewandtem Soul bis zu zarten Gitarrenklängen reicht dabei die Palette, jeweils begleitet von einer ausdrucksstarken Stimme, die auch in der Ruhe große Kraft entwickeln kann. Weitere Konzerte des Zyklus: Violetta Parisini am 3. November sowie Sigrid Horn und Alicia Edelweiss am 10. März 2021. 12. Oktober Wien, Konzerthaus

Blue Bird Festival Wenn der blaue Vogel im Wiener Jazzclub Porgy & Bess landet, bringt er für gewöhnlich Musik mit, deren verbindendes Element das Songwriting ist, das heißt also: eher erzählerische Musikformen. Unter seinen Schwingen – um im Bild zu bleiben – hat dabei auch heuer wieder vieles Platz: die filigrane Poesie von Garish ebenso wie der verquere Folk von Alicia Edelweiss (Foto); und trotz Corona-Reisebeschränkungen sogar internationale Acts, etwa This Is The Kit und Anna B. Savage. 19. bis 21. November Wien, Porgy & Bess

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Ahoi! Pop Festival Mit einer Spezialausgabe unter dem Titel »Heimspiel« lädt der Linzer Posthof zum zehnten Jubiläum des Ahoi! Pop Festivals in seine konzerterprobten Räumlichkeiten. Zu sehen sind: Oehl und Mynth (6. Oktober), Der Nino aus Wien (15.), Hikee Bikini (29.), Ankathie Koi und Yukno (5. November), Anger (Foto) und Skinny B (6.), Lisa Pac (7.) sowie My Ugly Clementine (11. Dezember). 6. Oktober bis 11. Dezember Linz, Posthof

Clara Luzia / Voodoo Jürgens

Manuel Fronhofer, Kevin Reiterer

Severin Koller, Eva Kelety, Olesya Parfenyuk, Stefan Plank, Christoph Liebentritt, Ingo Pertramer, Andreas Jantsch, Alex Gotter, Julia Dragosits

Beide wurden im Verlauf ihrer Karriere schon bei den Amadeus Awards ausgezeichnet. Der Voodoo zum Beispiel erst unlängst: mit einem Preis fürs »’S klane Glücksspiel« als »Album des Jahres«. Jetzt geben Clara Luzia und er ein Doppelkonzert im Festspielhaus in St. Pölten. Ein Abend, der vieles zu bieten hat: Songwriting-Pop – mal zart, mal mit Punch – und Gschichtln, wie sie nur das Leben schreiben kann. 9. Oktober St. Pölten, Festspielhaus

Kommando Elefant In Zeiten wie diesen ein Album zu veröffentlichen, birgt natürlich Risiken. Schließlich löste sich zuletzt so mancher Plan schneller in Luft auf, als man »Corona-Ampel« sagen konnte. Andererseits: In Zeiten wie diesen kein Album zu veröffentlichen? Auch keine Lösung! Danke also an Kommando Elefant, die mit »Seltene Elemente« erneut nicht uncharmante Pop-Gassenhauer mit hohem Identifikationspotenzial vorlegen. 15. Oktober Wien, Chelsea

highlights Di. 06.10. Ahoi! Pop 2020

Oehl / Mynth

Mo. 12.10. bis Di. 13.10. Kabarett

Wir Staatskünstler: Jetzt erst recht

Mi. 14.10. Kabarett

Stefan Waghubinger: Ich sag’s jetzt nur zu Ihnen

Do. 15.10. Ahoi! Pop 2020

Der Nino aus Wien

Fr. 16.10. Kabarett

Gunkl: So und anders

Mo. 19.10. Lese/Zeichen 2020

Valerie Fritsch im LiteraturSalon zu Gast

Mi. 21.10. Lese/Zeichen 2020

Clemens J. Setz im LiteraturSalon zu Gast

Bild: Max Zerrahn / Suhrkamp Verlag

Termine Musik

Lou Asril

Indie Label Woche Bei der zweiten Ausgabe der Österreichischen Indie Label Woche präsentieren sich an sechs Abenden heimische Indie-Labels wie Problembär Records, Monkey Music, Silvertree Records oder Rhythm & Poetry im Wiener Traditionslokal Reigen. Dürfte – wie schon im Vorjahr – eine abwechslungsreiche Sache werden. Unter anderem mit: Strandhase (Foto), Maddy Rose und Go! Go! Gorillo. 19. bis 24. Oktober Wien, Reigen

Rote Augen

Tents

Ant Antic

»Augenlieder« heißt das Debüt dieser »Neulinge« rund um Sänger und Songschreiber Matthias Krejan (The Sado-Maso Guitar Club, The Incredible Staggers). Auffälligstes Novum: deutschsprachige Lyrics. 9. Oktober Graz, PPC — 10. Oktober Wien, Chelsea — 22. Jänner Klagenfurt, Mammut Club

Nach ihrem ausgezeichneten (und relativ späten) Debütalbum »Stars On The GPS Sky« aus dem Jahr 2018 gab’s vor einigen Wochen mit den Songs »Hex« und »Locker« erstes neues Material der zum Duo geschrumpften Tents. Der Weg vom Post-Punk zum Art-Pop wird dabei konsequent weitergegangen. 10. Oktober Wien, Fluc

Eklektische Beats, warmes Surrounding, eine Prise Pop-Appeal und Tobias Koetts klagende, aber hoffnungsvolle Stimme – das neue Album »Good Vids, Vile Times« zeigt, dass der gebürtige Oberösterreicher den Sound seines Projekts Ant Antic in seiner Wahlheimat Berlin abermals verfeinern konnte. 17. Oktober Wien, Fluc

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Do. 22.10. Polittalk

Florian Klenk & Florian Scheuba: Sag du, Florian …

Do. 29.10. Ahoi! Pop 2020

Hikee Bikini

Do. 05.11. Ahoi! Pop 2020

Ankathie Koi / Yukno

Fr. 06.11. Ahoi! Pop 2020

Anger / Skinny B

Bild: Dela Charles

Dass wir Fans von Lou Asril sind, wisst ihr spätestens seit der Coverstory unserer Februar/März-Ausgabe. Zuletzt hat sich auch Conchita Wurst dazu bekannt und gemeinsam mit Lou ein Update des Supermax-Klassikers »Lovemachine« veröffentlicht. Würdig! 18. Oktober Klosterneuburg, Galerie Gugging — 24. Oktober Innsbruck, Treibhaus — 13. November Graz, Orpheum extra — 21. November Krems, Kino im Kesselhaus — 29. November Wien, WUK

Sa. 07.11. Ahoi! Pop 2020

Lisa Pac

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Veritas Kartenbüro, oeticket und alle oberösterreichischen Raiffeisenbanken.

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Termine Festivals

4 Fragen an Eva Sangiorgi

Direktorin der Viennale

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Die Viennale führt gewissermaßen die heurige Tradition fort, herauszufinden, wie man Kino mit der COVID-19-Situation kombinieren kann. Welche Lösungen habt ihr gefunden? Es ist momentan eine sehr unklare und sich ständig ändernde Situation. Wir versuchen, ein Festival zu schaffen, das die Vorgaben respektiert und den BesucherInnen trotzdem ein abwechslungsreiches Programm bietet. Aber es wird sich vermutlich vieles wieder ändern und ich muss bis zur letzten Minute flexibel bleiben. Welche Vorteile hat eine Viennale momentan gegenüber Venedig und Cannes, die in ihrer Funktion ja sehr stark an ihren Wettbewerb und internationale Gäste gebunden sind? Die Menschen fühlen sich von der Atmosphäre, von der Cinephilie angezogen. Wir möchten mit dem Festival diese Verbindung zwischen dem kulturellen Leben der Stadt und den Menschen schaffen. Wir sind kein Festival, das nur ein paar spezifische Stars besuchen. Bei der Viennale holt man heuer auch die Diagonale mit ins Boot. Wir sind alle Teil der Film-Community hier in Österreich. Wir öffnen die Tore der Viennale, weil wir stattfinden können. Wir hatten Glück, daher bieten wir in diesem Neustart der Kinolandschaft auch den weniger Glücklichen einen Platz. Eine der dominanten Diskussionen seit dem Lockdown war die Frage um Online-Festivals. Welchen Weg schlägt die Viennale in Zukunft ein? Solange ich da bin, werden wir nicht online gehen. Das habe ich von Anfang an klargestellt, dass ich hier keine Formate mixen will, weil ich nicht glaube, dass ich für diese Aufgabe berufen worden bin. Aber ich werfe den anderen nichts vor. Manchmal kann es ein Projekt retten und einen Film in Umlauf bringen, der es sonst nicht geschafft hätte. Viennale – Vienna International Film Festival 22. Oktober bis 1. November Wien, diverse Locations

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Potentiale Die Potentiale Feldkirch nutzt den herausfordernden Moment, um gewohntes Festivalterrain zu verlassen und sich – in einem auch zeitlich erweiterten Format – verstärkt auf ihre Kernanliegen zu besinnen: »Gute Gestaltung & Begegnung«. Hier wird Gestaltung transdisziplinär gedacht, in enger Zusammenarbeit mit der regionalen und internationalen Szene – für eine nachhaltigere, fairere Zukunft und einen verantwortungsvolleren Umgang mit der Natur. Mit der neuen Reihe »Im Hier und Jetzt« werden Impulse gesetzt und Begegnungsmöglichkeiten geschaffen. Und zwar analog, an naturnahen Orten der Stadt und voller Zuversicht bezüglich einer möglichen Jetzt- und Zukunftskultur. Man darf gespannt sein! 6. bis 23. November Feldkirch, diverse Locations

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Termine Festivals

Susanne Gottlieb, Jana Wachtmann, Theresa Ziegler

Alexi Pelekanos, Angela Lamprecht, FIrma Films, Maria Frodl

2020 gedenken wir 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs und 30 Jahre Fall der Berliner Mauer. »Tear down the walls!«, das Motto des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals, greift diese doppelte historische Bedeutung auf und fragt: Welche Mauern würdest du niederreißen, um eine bessere Welt zu schaffen? Ein Highlight aus dem Spielplan ist »Douze Points« (Foto) von Danny Sirkin, eine Komödie über einen schwulen Sänger, der seine Heimat Frankreich beim Eurovision Song Contest vertreten will, während sein extremistischer Kindheitsfreund einen Anschlag auf das Event plant. 7. bis 21. Oktober Wien, diverse Locations

Cinema Next Tour Jede Spring-Summer- und jede Fall-Winter-Saison geht Cinema Next, die Initiative für junges Kino in Österreich, auf Tour, um Nachwuchsfilmschaffen unter die Leute zu bringen. Im Frühjahr 2020 wurde diese Filmreise ins Internet verlegt. Für Herbst sieht es gut aus, dass sich nicht nur das Bewegtbild bewegt – Kurzfilme galore in Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck und Linz. 7. bis 20. Oktober diverse Städte und Locations

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Jüdisches Filmfestival

100 Jahre tschechoslowakischen, tschechischen und slowakischen Animationsfilm feiert die Retrospektive »Animace / Animácia« im Filmmuseum. Mag nischig klingen, war aber lange großer und wichtiger Exportschlager und ist immens divers in seinen Inhalten. Für die Filmauswahl haben sich so einige Kategorien ergeben – von »Folklore & Science-Fiction & Legenden« über »Politik« bis hin zu »Puppe(n)« ist jede Animationsnuance dabei. bis 19. Oktober Wien, Filmmuseum

Blickfang Was wäre ein Wiener Herbst für Design-Interessierte ohne die Blickfang? 70 neue AusstellerInnen zeigen heuer ihre Produkte und Ideen auf der Designmesse. Dabei sind nicht nur heimische VertreterInnen der Creative Industries am Werk. In Kooperation mit der dänischen Botschaft und ständigen Vertretung in Wien sind auch dänische DesignerInnen hier, um echte Scandi-Vibes zu verbreiten. Damit sich sonst nichts verbreitet, gilt Maskenpflicht. 9. bis 11. Oktober Wien, MAK

Vienna Comic Con

Wien Modern Auch wenn es die 33. Ausgabe des Festivals für Neue Musik ist, sind es 32 Tage an 32 Spielstätten, die Wien Modern heuer ausmachen. Das Programm gibt dabei neben Edu Haubensaks elf Klavieren im Konzerthaus, einem virtuellen Kopfhörerraum von Fennesz und einem begehbaren Klangbad im Kunsthistorischen Museum auch Platz für neue Partnerschaften mit fünf österreichischen Musikunis – und z. B. das Projekt »Wechselwirkung« des Forschungsteams um die Grazer Musikwissenschaftlerin Pia Palme (Foto), das nach Musiktheaterformen fürs Anthropozän sucht. 29. Oktober bis 29. November Wien, diverse Locations

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Comic-Conventions sind ein Safe-Space für Subkulturen, die sonst wenig ernst genommen werden – und das weit über den klassischen Comic-Begriff hinaus. Bei der Vienna Comic Con finden auch die »VIECC Championships Of Cosplay« Platz sowie eine Ausprobier-Area für allerlei Pen & Paper, Table­ top, RPG und Live Action Roleplay. Das Beste nach wie vor: Den oder die liebste/n KünstlerIn in der Artist Alley Corona-sicher mit Ellenbogen begrüßen. 21. bis 22. November Wien, Messe

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Termine Kunst World Press Photo 2020 Bereits zum 19. Mal findet die Pressefotografie-Gruppenausstellung im Westlicht statt, insgesamt 44 FotografInnen präsentieren ihren visuellen Blick auf das Weltgeschehen des vergangenen Jahres. Egal ob bedrohte Orang-Utans auf Sumatra, die Protestbewegung in Hongkong, australische Waldbrände, Polizeigewalt in Algerien oder abstruse »Tiger King«-Gestalten wie Doc Antle in den USA – das Zeitgeschichtejahr 2019 hatte es in sich. Zum »Foto des Jahres« wurde ein Werk des japanischen Fotografen Yasuyoshi Chiba gekürt, das Demonstrierende im Sudan im Schein von Handylichtern zeigt. bis 25. Oktober Wien, Westlicht

Michaela Pichler The_Gap_183_040-058_Rezis_Termine_END_KORR.indd 53

Go-Pro-Videoinstallationen, ein Skulpturengarten, der die Grundtypen der Verpackungsindustrie feiert, und jede Menge Affen beherrschen die Stockwerke im Kunsthaus Bregenz: Als Hälfte des Künstlerduos Fischli / Weiss hinterließ Peter Fischli einst mit seinem leider bereits verstorbenen Kollegen David Weiss Spuren in der Kunstszene des späten 20. Jahrhunderts. Für die Personale in Bregenz kreiert er plakative Interventionen, die sich teils aus eigens für die Ausstellung angefertigten Werken speisen. bis 29. November Bregenz, Kunsthaus

Hommage à Valie Export Eine Künstlerin wie ein Schlagwort in der österreichischen Nachkriegsära: Valie Export hat in ihren Filmen, Konzepten und Aktionen immer wieder den Körper als Subjekt porträtiert, erforscht und inszeniert. Die »Hommage à Valie Export« im Lentos widmet sich in Ausschnitten dieser Auseinandersetzung. Die Stahlstadt zelebriert damit nun pünktlich zum 80. Geburtstag Leben und Werk der renommierten und in Linz geborenen Medien- und Performancekünstlerin sowie Filmemacherin. bis 10. Jänner Linz, Lentos

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Yasuyoshi Chiba / Agence France, Peter Fischli, Maschek S., Sebastian Stadler, Michael Wörgötter / Bildrecht, Steve White / Frith Street Gallery

Peter Fischli

Iman Issa In ihrer multidisziplinären Kunst vereint Iman Issa Fakten mit Erinnerungen, das Bestimmen mit dem Erkennen und untersucht das Zusammenspiel von Text und Abbild. Dabei entstehen Installationen aus Objekten, Skulpturen, Foto­ grafien, Videos und Soundarbeiten, die immer wieder die Macht der Darstellung hinterfragen. »Proxies, With A Life Of Their Own« im Taxispalais in Innsbruck ist die erste umfassende Einzelausstellung der ägyptisch-amerikanischen Künstlerin. ab 7. November Innsbruck, Taxispalais Kunsthalle Tirol

Maja Vukoje Popkultur und Postkolonialismus, Kaffee, Orangen und ein bisschen Zucker – die in Wien lebende Künstlerin Maja Vukoje spielt in ihren Gemälden mit kultureller Hybridität, die in einer globalisierten Welt längst den Status quo wider­spiegelt. In Vukojes Werken wird das Hybride unserer Gesellschaft nicht nur in den Bildmotiven dargestellt, sondern auch in Material und Verfahrensweise. Die Schau widmet sich dieser Auseinandersetzung und den daraus entstandenen Malereien aus 15 Jahren Arbeitspraxis. 12. November bis 25. April Wien, Belvedere 21

Fiona Tan Kunst als Analyse – so lässt sich der Arbeitsprozess von Fiona Tan beschreiben. Die in Indonesien geborene Künstlerin nutzt die Fotografie als Dokumentationswerkzeug und kombiniert diese mit ihrer wissenschaftlichen Arbeitsweise, bestehend aus Recherche und Archivarbeit. So werden in der Mid-Career-Retrospektive »Mit der anderen Hand« in der Kunsthalle Krems Fotos und Video­ installationen präsentiert, die sich zwischen Geschichtlichkeit und Utopie auch sozialen Themen widmen. 21. November bis 14. Februar Krems, Kunsthalle

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Termine Filme & Serien

3 Fragen an Noah Saavedra

Ein bisschen bleiben wir noch Regie: Arash T. Riahi ———— Bereits 1994 ist Monika Helfers Roman »Oskar & Lilli« erschienen, in dem die beiden titelgebenden Geschwister aufgrund der psychischen Probleme ihrer Mutter ihr Zuhause verlieren. Nun erfolgt – mit Coronabedingter Verspätung – der Kinostart des auf diesem Roman basierenden Films von Arash T. Riahi. Wie im vielfach ausgezeichneten »Ein Augenblick Freiheit« setzt Riahi auch dieses Mal das Thema Flucht in den Fokus: Die Familie wird auseinandergerissen, die Kinder wollen ihre Mutter suchen. »Ein bisschen bleiben wir noch« wurde beim Filmfestival Max Ophüls Preis mit dem Publikumspreis in der Kategorie Spielfilm ausgezeichnet. Der Regisseur, der 1982 mit seiner Familie selbst nach Österreich geflüchtet ist, betrachtet den Film als zweiten Teil seiner Trilogie über Flucht. Empfehlung! Start: 2. Oktober

Welche Herausforderungen gab es beim Dreh? Was ist dir in Erinnerung geblieben? Es gab nicht so wirklich Orte, an denen man sich zurückziehen konnte. Wir haben während des Drehs sehr viel Zeit miteinander verbracht und das war schon eine Herausforderung. Schlussendlich ist dies aber, so glaube ich, essenziell für den Zusammenhalt der Gruppe und das Gefühl auf der Leinwand gewesen. Wenn man so will: Glück im Unglück. Was soll der Film beim Publikum bewirken? Habt ihr euch da Gedanken gemacht? Meines Erachtens nach wirft dieser Film die Frage nach der eigenen Untätigkeit auf. Wie es möglich ist, unsere Welt zu verändern – ob mit Diskussionen oder Gewalt – und welches Mittel wann legitim ist. »Und morgen die ganze Welt« Start: 30. Oktober

Das schaurige Haus Regie: Daniel Prochaska ———— Ende Oktober steht Halloween vor der Tür und pünktlich dazu kommt »Das schaurige Haus« in die österreichischen und deutschen Kinos. Wem ein Corona-Herbst also nicht gruselig genug ist: bitte hier entlang! In Daniel Prochaskas Mystery-Film zieht eine junge Familie nach Kärnten. Und nein, das ist noch nicht die komplette Story – ihre neue Bleibe macht den BewohnerInnen nach und nach mehr Angst. Daniel Prochaskas »Das schaurige Haus«, basierend auf der gleichnamigen Romanvorlage von Martina Wildner, ist dessen Kinoerstling. Prochaska studierte Digital Film und war zuvor als Filmeditor tätig. 2018 gab er mit der ORF-Stadtkomödie »Geschenkt« (nach einer Erzählung von Daniel Glattauer) sein Regiedebüt. Als Cutter wurde Prochaska mehrmals ausgezeichnet (u. a. für »Das finstere Tal«). Nun nimmt seine Karriere als Regisseur Fahrt auf. Start: 30. Oktober

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Stefan Klüter, Filmladen Filmverleih (2), Jasper Savage / Netflix, Natalie Seery / HBO

Warum hast du dich für die Rolle in »Und morgen die ganze Welt« entschieden? Was mich an dem Film interessiert hat, war die kritische Hinterfragung der Anwendung von Gewalt – und ob diese in solch brenzligen Zeiten angebracht ist. Und spezifisch an meiner Rolle Alfa hat mich sehr interessiert, einen vermeintlich harten, an der Speerspitze der radikalen Linken stehenden jungen Mann zu porträtieren, der von einer neu ankommenden und zu Beginn unterschätzten Kollegin nicht nur in seiner Radikalität überholt wird, sondern auch durch sie seine Prinzipien hinterfragen muss und eine Schwäche zeigt, die man sonst bei Menschen in seiner Position eher nicht findet.

Barbara Fohringer

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Schauspieler in »Und morgen die ganze Welt«

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Vergiftete Wahrheit Regie: Todd Haynes ———— Mittlerweile werden ja nicht mehr nur Romane fürs Kino adaptiert, sondern auch der eine oder andere Zeitungsartikel (siehe etwa: »Hustlers« oder »The Bling Ring«). »Vergiftete Wahrheit« basiert nun auf einem Bericht Nathaniel Richs aus dem New York Times Magazine. Thematisiert wird ein Umweltskandal, die Hauptrolle hat Mark Ruffalo übernommen. 90 Prozent der KritikerInnen bei Rotten Tomatoes sind bereits überzeugt. Start: 8. Oktober

Robolove

Regie: Andreas Buciuman, Dominik Bochis ———— Zwei Freunde, ein Traum: Mit dem Rad gemeinsam die Welt entdecken. Gesagt, getan. Die Oberösterreicher Andreas Buciuman und Dominik Bochis setzten sich auf ihre Räder und fuhren los. Von Österreich nach Australien – 18.000 Kilometer und 19 Länder. Aus dem Spaßprojekt wurde eine ehrliche Dokumentation, deren Rezeption immerhin garantiert ohne Schweiß erfolgen kann. Start: 9. Oktober

I Am Greta Regie: Nathan Grossman ———— Vor, nach und während Corona begleitet uns die Klimakrise. An vorderster Front: Greta Thunberg, die schwedische Schülerin und Klimaschutzaktivistin, die im Sommer 2018 mit ihren Schulstreiks fürs Klima weltweit Aufmerksamkeit erlangte. Sie inspirierte die globale, meist von jungen Menschen getragene Bewegung Fridays For Future. Nathan Grossmann zeichnet in seiner Doku ihren bisherigen Weg nach. Start: 16. Oktober

Niemals selten manchmal immer Regie: Eliza Hittman ———— Die 17-jährige Autumn (Sidney Flanigan) wird ungewollt schwanger. Mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) bricht sie nach New York auf, um eine Abtreibung durchführen zu lassen. Regisseurin Eliza Hittman ließ sich für ihren Film, der am Sundance Fes­tival uraufgeführt wurde, von realen Ereignissen inspirieren. In einer Nebenrolle ist Sängerin Sharon Van Etten zu sehen, die Musik stammt von Julia Holter. Start: 29. Oktober

Grand Army

I May Destroy You

Entwickelt von Katie Cappiello ———— Serien und Filme mit Teenagern im Fokus werden gerne als oberflächlich abgetan. Zuletzt gab es da aber einige Gegenbeispiele: Serien wie »Sex Education« oder »Euphoria« präsentieren junge Menschen als komplex. Der Cast ist oft divers(er), die Themen wie Sucht, Sex, Sexismus, Rassismus, Homophobie sind bedeutender. »Grand Army« folgt dieser Entwicklung und erzählt die Geschichte von fünf SchülerInnen und deren Problemen. Start: 16. Oktober Netflix

Entwickelt von Michaela Coel ———— Es war die Serie »Chewing Gum«, eine ungewöhnliche Coming-of-Age-Story, die der Autorin und Schauspielerin Michaela Coel 2015 größere Bekanntschaft bescherte. Auch »I May Destroy You« stellt nun eine junge Schwarze Frau in den Fokus: Eines Abends geht Arabella (Coel) feiern, am nächsten Morgen kann sie sich an nichts mehr erinnern. Der Guardian beschrieb die von Trauma handelnde Serie als »a true TV gamechanger«. Start: 19. Oktober Sky

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želimir žilnik, frühe werke (produktionsfoto), 1968 • Foto: Andrej Popović, Courtesy der Künstler

Austria 2 Australia

želimir  žilnik

Regie: Maria Arlamosvky ———— Die Corona-Krise ist auch eine Krise des menschlichen Miteinanders. Dazu durchaus passend stellt sich Maria Arlamosvkys Doku »Robolove« die Frage, wie wir Menschen mit humanoiden Robotern umgehen (werden). Die Regisseurin begleitet Personen, die an der Entwicklung dieser Roboter arbeiten, und rückt dabei auch in den Fokus, wie wir als Gesellschaft mit weiblich gelesenen Körpern umgehen. Start: 9. Oktober

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Termine Bühne

Frau verschwindet (Versionen)

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Oracle And Sacrifice 1 Für ihr erstes Solo hat sich die in Wien und Berlin lebende Künstlerin Claudia Bosse von den Blutopfern und Eingeweideschauen der BabylonierInnen und EtruskerInnen inspirieren lassen. Sogenannte Haruspices lasen aus der Leber eines Schafes anhand kosmischer Übertragung das Weltgeschehen und gaben damit Empfehlungen für politische Entscheidungen. Im Denken mit ihrem Körper als poetische Praxis verhandelt Bosse diese Verknüpfung vom körperlich Inneren zum umgebenden Äußeren. Was wäre, wenn wir die Zukunft in unseren Eingeweiden tragen? »Oracle And Sacrifice 1« beschäftigt sich mit unseren Organen, ihrem Verhältnis zur Welt, totem Fleisch und der Konstitution der Gemeinschaft. 9. bis 11. Oktober Wien, Tanzquartier

Die Tür einer verlassenen Wohnung steht offen, eine Frau ist verschwunden. Vier Frauen betreten die Wohnung und durchsuchen sie, um sich ein Bild von dieser Frau zu machen, die nicht mehr dort ist. Dabei spiegeln sie sich mit und unterscheiden sich von ihr, sind gefangen in dieser Zuschreibung »Frau«, Geschlechterklischees. Die Schweizer Dramatikerin Julia Haenni stellt in ihrem Stück die Frage nach dem Platz der Frauen in der Gesellschaft und nach dem Raum, den sie einnehmen wollen. 20. Oktober bis 7. November Wien, Kosmos Theater

Ton Die Sache mit den Kreisläufen: In der Natur veraltet und verjüngt sich alles – wieso nicht auch der Mensch? Fragte sich bereits Friedrich Hölderlin – und nun fragen sich das auch Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott, die Regisseurinnen dieser »Performance In A Circle«. Ihr Forschungsgegenstand ist der Werkstoff Ton, der in ein Verhältnis zum Menschen gesetzt werden soll. »Ton« ist zudem eine Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Gerold Tusch. 6. bis 14. November Salzburg, Toihaus

Soft Skills

Jeder Biss ein Denkmal

Ein Willhaben-Austausch, eine Bettdecke, eine politische Debatte. Die Performance »Soft Skills« ist eine körperliche Auseinandersetzung mit der Frage, was Hassparolen mit uns machen. Claudia Lomoschitz, Choreografin, Performerin und bildende Künstlerin, beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit dem Verhältnis von Digitalität, Objektophilie, Sozialität und Körperempfindungen. In »Soft Skills« geht es um den Umgang mit Rechtsradikalismus im privaten Umfeld und darum, was passiert, wenn ein unpersönlicher, digitaler Kontakt plötzlich emotional wird: »Welche Formen der Radikalität erscheinen im Zwiegespräch mit dem Objekt, welche Gegensätze berühren einander und welche Intimsphären werden ideologisch zugedeckt?« 10. bis 12. Oktober Wien, Brut

1980 nahm sich Heiner Müller den Briefroman »Gefährliche Liebschaften« von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos zur Vorlage für sein meistgespiel­ tes Werk »Quartett«. Darin liefern sich die Marquise de Merteuil und ihr ehemaliger Geliebter Vicomte de Valmont unaufhörliche Streits, zwischen Machtkampf und sadomasochistischem Lustgewinn, verortet in konkret historischer Vergangenheit (der Französi­ schen Revolution) und fiktiver dystopischer Zukunft. 30. September bis 6. Dezember Wien, Off Theater

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Oliver Maus

Die Programmreihe »Vorbrenner« des Brux hat es sich zur Aufgabe gemacht, Versuchsformate für zeitgenössische Kunst zu fördern. Teil davon ist in der neuen Theatersaison »Campfire«, eine »Collective XR (Extended Reality) Experience« um ein digitales Lagerfeuer. Feuer steht hier für menschlich gelebte Praktiken, sich ums Feuer zu scharen, um Feuer als Element, das die Menschheitsgeschichte mitgeprägt und mitbegründet hat. Ein Versuch, das Lagerfeuer in eine digitale Kultur zu überführen. 23. bis 25. Oktober Innsbruck, Brux

Eva Würdinger, Moritz Franz Zangl

Campfire

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VIENNA INTERNATIONAL FILM FESTIVAL

22. OKTOBER– 1. NOVEMBER PROGRAMM AB 13. OKTOBER, 20 UHR TICKETS AB 17. OKTOBER, 10 UHR viennale.at

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Josef Jöchl

artikuliert hier ziemlich viele Feels

In Stresssituationen kann es schon mal vorkommen, dass man wesentliche Charakterzüge einfach vergisst. Um zu bewältigen, wirft man in einer Nanosekunde über Bord, wie man sich selbst begreift. Wenn mich der 13A auf der Hofmühlgasse jagt, fällt mir plötzlich nicht mehr ein, wie freundlich ich bin, und wenn so eine weltweite Pandemie haust, dass ich eigentlich nicht rauche. In einer Juniwoche ist mir für einen Moment meine Soziophobie abhandengekommen, als ich einen wildfremden Menschen aus dem Internet für fünf volle Tage und Nächte zu mir einlud. Dummerweise habe ich sie wenige Stunden nach seiner Ankunft wiedergefunden.

First rule: Don’t talk about Fight Club Da hatte ich aber schon längst aufgeräumt und frisch überzogen, nur ein paar riesengroße Preisschilder hingen noch an meinen Billy-Regalen und dem Wohnzimmertisch in Form eines Yin-Yangs. Zunächst schien alles prima. Wir hingen in den Straßen Neubaus ab, kickten ein paar Bierdosen und berührten uns kumpelhaft an den Schultern und später, bei mir zuhause, weniger kumpelhaft. Ich war tief beeindruckt, denn er war in allem besser als ich. Hatte bessere Haare, konnte für alle Rough-Trade-Platten der 90er-Jahre den Labelcode buchstabieren und ein offenes Hawaiihemd ohne Unterleiberl rocken. Er dachte einfach deepere Gedanken. Doch schon am nächsten Morgen erwachte ich wie der Lindsay-Lohan-Charakter in einer Bodyswitch-Komödie oder vielmehr wie Lindsay Lohan. Schon beim Frühstück begann er von der beißenden Konsumkritik des Films »Fight Club« zu sprechen und was das alles mit postmoderner Männlichkeit zu tun habe. Wir alle würden in Jobs arbeiten, die wir hassten, um

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Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchten, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mochten. Zwischendurch schüttelte er immer wieder den Rest Hafermilch im Tetrapack, wie um zu sagen, dass da wohl jemand schnell zu Denn’s müsse, der bestimmt nicht er war.

Second rule: Don’t talk about Fight Club In diesem Moment wollte ich laut aufschreien: »Hey Baby, bist du das Sperma eines 13-Jährigen? Weil du gehst auf den Keks.« Stattdessen habe ich es nur getweetet und meinen HandyTimer auf viereinhalb Tage im Voraus gestellt. Wenn ich nur intensiv genug auf das Display starrte, würde die Zeit schneller vergehen, dachte ich mir, doch da begann mein iPhone schon auf einem Ast in meinem Mini-Zengarten zu zerschmelzen. Vier Tage, zwölf Stunden: Er sprach ohne Unterlass von Pflanzen, Tarkowski, DMT. Vier Tage, elf Stunden: Selbstgemachter Gin ist lecker. Vier Tage, zehn Stunden: Seife herstellen ist wie kochen. Ständig wies er mich auf Dinge hin, die ich seit Jahrzehnten geflissentlich ignoriere, wie rote Ampeln und das Gesamtwerk von David Lynch. Ich reagierte mit Aggressionen, aber vorwiegend gegen mich selbst. Weil er Nichtraucher war, wurde ich augenblicklich zum Kettenraucher. Am zweiten Tag begann ich dann schon nachmittags, mich zu betrinken. Mein Kurzzeitgedächtnis wies immer größere Lücken auf. Längst hatte ich vergessen, welchen Tag wir hatten. Ich erwachte inmitten einer Armada von Dudes, die nichts anderes taten, als Bierdosen auf ihrer Stirn zu zerdrücken. Er hatte alle Plattennadeln mit einem Stein geschärft und mit demselben Stein ein kleines Lagerfeuer auf meinem Wohnzimmerteppich erzeugt. Da durchfuhr mich plötzlich ein Schreck. Im

gleißenden Licht der Flammen kamen die Erinnerungen zurück wie Blitzlichter. Ich, am Frühstückstisch, wie ich mit stolzgeschwellter Brust doziere, dass es nicht Sinn machen, sondern Sinn ergeben heißen müsse. Mein besserwisserisches Selbst im Supermarkt, wie es erklärt, dass weiße Schokolade keine echte Schokolade sei. Am schlimmsten aber war, wie ich mich selbst beobachtete, auf Fahrradausflügen, während Performances und in veganen Bäckereien nur von einem Thema zu sprechen: »Fight Club«, »Fight Club«, immer wieder »Fight Club«.

Third rule: Someone yells »Stop!«, the fight is over Ich machte Grindr auf und scrollte durch seine letzten Nachrichten. Vor wenigen Tagen hatte er mir geschrieben: Hey maybe it’s a little too intense if I show up for 5 days in a row, *HangLoose-Emoji*. Erleichtert stelle ich fest: Er hatte mich nie besucht, ich litt nur an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung! Es war alles nur ein übler Traum gewesen. Doch da saß ich schon nicht mehr in meiner Wohnung, sondern hinter einem Klapptisch auf dem Feschmarkt, verkaufte Ziegenkäse-Gin aus alten Freitag-Taschen und tanzte zu Electro-Swing. Auf einmal fiel mir wieder ein, wer ich eigentlich war. Ich schrie: »Stop!« Augenblicklich schleuderte ich meinen Zylinderhut in die Ecke und spazierte in das nächstgelegene verlassene Hochhaus. Dort pumpte ich »Where Is My Mind« von den Pixies und blickte auf den Sternenhimmel, der sich über der Stadt aufspannte. Mood. joechl@thegap.at • @knosef4lyfe Josef Jöchl ist Comedian. Im Herbst feiert sein Soloprogramm »Nobody« Premiere. Aktuelle Termine sind unter www.knosef.at zu finden.

Ari Y. Richter

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Sex and the Lugner City Don’t talk about Fight Club

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Gerechtigkeit ist gekommen, um zu bleiben. Die Arbeiterkammer setzt sich seit 100 Jahren für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein. Sie steht für soziale Gerechtigkeit in Österreich. Damals. Heute. Für immer.

ARBEITERKAMMER.AT/100

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#FÜRIMMER

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