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Neue Solidarität

LGBTIQ+ & Covid-19

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N° 181

€ 0,—

AUSGABE JUNI / JULI 2020 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1052 WIEN, P.B.B. | MZ 18Z041505 M


h c u a t z t e J . e n h mit o NE U

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e Der alkoholf reiRadler. Zitrone-Minze

n Radler: e h c is s s la k e r e s O d er u n go. Citrus oder Man

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Editorial Nie wieder Prä-Corona

Alexia Fin

Globale Pandemie. Punkt. Über das Coronavirus und seine diversen Auswirkungen auf unterschiedliche Lebensbereiche und -realitäten haben wir in den letzten Monaten sehr viel gelesen und diskutiert. Darüber, dass sich diskriminierende Strukturen im Kapitalismus durch die Corona-­Belastungen verstärken, dass systemrelevante ArbeiterInnen das Binnen-I in ihrer Jobbezeichnung meist klein schreiben oder darüber, dass sich »Bleib zu Hause!« vom Landhaus mit Waldgrundstück aus besonders leicht auf andere hinunterrufen lässt. Dazwischen immer wieder mal ein gerade noch an Sexismus entlang schrammender LunacekBashing-­Post. Dann der nächste Video-Call, der eine Mail hätte sein können. Vor allem von AkteurInnen der Kreativbranche hört man häufig den Vorsatz, aus dieser globalen Krise zu lernen und sich auch danach nie wieder dem Stressfetisch ihrer prekären Arbeit zu unterwerfen. Die psychische Belastung der Ausgangsbeschränkungen, ihrer Aufhebung und der generellen Anxiety, die ein motherfucking Killervirus verursacht, zeigen auf, dass gesundheitliche Missstände durchaus auch im Alltag zuvor bestanden haben. MusikerInnen und KünstlerInnen stehen vor dem Gratis-Content-Dilemma und diskutieren Wege, wie man die Kulturindustrie im und nach dem Veranstaltungsverbot nachhaltiger gestalten kann – und in welchem Ausmaß die Politik hier konkret in der Pflicht steht. Das sind alles Überlegungen, wie man mit einem dysfunktionalen System umgeht, wie man es transformiert, revolutioniert. Überlegungen, die Personengruppen mitunter bereits gedacht und praktiziert haben, die auch ohne Roland-Emmerich-Weltuntergangsszenario keinen Platz in der Mehrheitsgesellschaft einnehmen – wegen ihrer sexuellen Orientierung, Gender Identity, Herkunft, Erkrankung oder ihres sozioökonomischen Status. Reminder: Das System war für sie immer schon dysfunktional. Welche Praktiken das zum Beispiel in LGBTIQ+-Communitys sind – darum geht es in der Coverstory, die Teil eines großen Themenschwerpunkts in dieser Ausgabe ist. Nicht nur im Pride Month sollten wir nämlich mehr über PrEP, Queerbaiting oder österreichische LGBTIQ+-Geschichte reden. Egal, wie viele Video-Calls ihr heute noch habt, die euch daran erinnern, wie sehr wir immer noch in einer globalen Krise stecken: Es gibt eine Gesellschaft nach Corona. Und die hat noch einiges zu lernen.

Theresa Ziegler

Chefredakteurin • ziegler@thegap.at @raverresi

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Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher Chefredaktion Theresa Ziegler Leitender Redakteur Manfred Gram Gestaltung Markus Raffetseder AutorInnen dieser Ausgabe Bernhard Frena, Felicitas Freygöbl, Pia Gärtner, Sofie Kronberger, Oliver Maus, Sandro Nicolussi, Dominik Oswald, Rainer Praschak, Emily Staats, Maximilian Weissensteiner, Sarah Wetzlmayr KolumnistInnen Astrid Exner, Josef Jöchl, Gabriel Roland FotografInnen dieser Ausgabe Fabian Gasperl, Alex Gotter Lektorat Jana Wachtmann Coverfoto Josefin-Marie-Christin Sternbauer Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl Distribution Wolfgang Grob Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH, Raiffeisen Bank, IBAN: AT67 3200 0000 1160 0756, BIC: RLNWATWW Abonnement 6 Ausgaben; Euro 21,— (aktuell: Euro 9,90) www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz www.thegap.at/impressum Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der HerausgeberInnen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haften ausschließlich die Inserierenden. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmi­ gung der Geschäftsführung.

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Neue Solidarität Was die Post-Corona-Gesellschaft von LGBTIQ+-Communitys lernen kann

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Wo geht es hier zur Christopher Street? Österreichs queere Geschichte Mehr als Regenbogen-Content How To Be An Ally Das Verlangen nach Ampelpärchen Über Queerbaiting, Subtext und Repräsentation

Safe ist sexy PrEPen, aber richtig Zu-ga-be! Zu-ga-be! Was anderen in unserer AustroTOP-Liste fehlte Musikmachen in Zeiten von Corona Die wichtigsten Online-Tools

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Harald Schachenhofer / Zentrum Qwien, Ina Holub, Alex Gotter, Sebastian Tauber, Sandro Nicolussi

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Harald Schachenhofer / Zentrum Qwien, Ina Holub, Alex Gotter, Sebastian Tauber, Sandro Nicolussi

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Sofie Kronberger Sofie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt an der Schnittstelle von Critical Data Studies, Wissensproduktion, (Digital) Infrastructure Studies und Gender Studies. Sie liest und spricht am liebsten über Popkultur, Literatur, Politik und Feminismus und bestellt gerne im Konjunktiv Essen (Sternzeichen Waage!). Ein »hmu« schickt Sofie an alle raus, die einen Meme-Club mit ihr gründen möchten, in dem Lieblings­memes vorgestellt werden – Power-PointPräsentation gerne inkludiert.

Sandro Nicolussi

Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Charts 038 Workstation: Mavi Phoenix & Alex The Flipper Beyza Demirkalp & Ezgi Atas 042 Prosa: Mercedes Spannagel 044 Gewinnen 045 Rezensionen 048 Termine

Kolumnen

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Auch wenn Sandro auf Instagram @vorarlwiener heißt, sieht er sich mittlerweile nur noch als Wiener. Über besagten Account ist der 26-jährige Veranstalter und DJ auch zu The Gap gekommen. Neben seiner Leidenschaft für Abkürzungen mit »i« als Endung ist Sandro auch begnadeter WortwitzConnaisseur. Als Teil der Kollektive Hausgemacht und Tongraeber und des parteilosen Zusammenschlusses Kultur for President versucht er, »das Patriarchat anzusägen und dem Kapitalismus den Popo zu zeigen«.

049 »The Cut« ist The Gaps Antwort auf den »Bravo Starschnitt« unserer Jugend. In dieser und den kommenden Ausgaben liefern wir euch einen Print des Künstlers Peter Phobia in vier Teilen. Ihr müsst diese nur gewissenhaft an der gekennzeichneten Linie ausschneiden und mit einem Klebemittel eurer Wahl zusammenfügen. Peter Phobia ist in Deutschland aufgewachsen, studierte an der Angewandten in Wien und lebt mittlerweile in New York. Das Sujet »To Do #2« ist zentral in Peters Buch »Facts And Fiction«, das Fotos zu seinen aktuellsten Ausstellungen sammelt und bei Pool Publishing erschienen ist.

007 Einteiler: Gabriel Roland 008 Gender Gap: Astrid Exner 050 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl

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Charts Doris Felber TOP 10

Felber-Gebäck 01 Topfengolatsche, frisch genagelt 02 zerrissenes Mohnstriezerl 03 eingeschraubter Kürbiskernspitz 04 Österreichbrot, frisch gestrichen 05 Aromasemmel zum Verdrücken 06 Weckerl zum Hineinhäckseln 07 zugespitztes Salzstangerl 08 gefüllter Krapfen 09 Wiener Traditionsbrot zum Einschneiden 10 sommerfrischer Alpenlaib

TOP 03

Weinsorten 01 Gemischter Satz zum Alpenlaib 02 Grüner Veltliner zum Traditionsbrot 03 G’spritzter zum Salzstangerl Auch nicht schlecht: Mit genagelten Topfengolatschen als Bäcker-Queen gehypt werden. Doris Felber ist Inhaberin der Wiener Bäckereikette Felber. Die Unternehmerin gelangte während des nationalen Corona-Shutdowns mit einer Reihe von originellen Facebook- und Instagram-Videos zu beachtlichem Social-Media-Fame.

Charts Bernhard Frena TOP 10

TOP 03

Dinge, die ich an der Pride dieses Jahr nicht vermissen werde 01 Klatschnass vom Schweiß und/oder Regen sein 02 einen großen Bogen um den NEOS Wagen machen müssen 03 fragwürdige Gratiskondome von der Straße aufsammeln Auch nicht schlecht: 20 E-Mails auf einmal als gelesen markieren. Eine neue Serie auf Netflix finden, die ich auch tatsächlich ansehen will. Endlich wieder einen Kaffee im Kaffeehaus trinken.

Oliver Marcher, Bernhard Frena

Endgültige und hochoffizielle Punkte für den Song Contest 2020 12 Malta (Destiny – »All Of My Love«) 10 Island (Daði og Gagnamagnið – »Think About Things«) 08 Bulgarien (Victoria – »Tears Getting Sober«) 07 Russland (Little Big – »Uno«) 06 Irland (Lesley Roy – »Story Of My Life«) 05 Aserbaidschan (Efendi – »Cleopatra«) 04 San Marino (Senhit – »Freaky!«) 03 Georgien (Tornike Kipiani – »Take Me As I Am«) 02 Rumänien (Roxen – »Alcohol You«) 01 Litauen (The Roop – »On Fire«)

Bernhard Frena schreibt ab und an für The Gap, meistens über queeres Zeug.

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Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

Fabian Gasperl

Oliver Marcher, Bernhard Frena

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Einteiler A Quarantined View on Fashion

Die Seiten dieser Kolumne stehen beileibe nicht als Ausnahme da, wenn auf ihnen diesmal ein Blick nach innen anstatt nach außen geworfen wird. Als Anlass müssen dabei – und auch das sicher nicht nur hier – die Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie herhalten. So hat es sich halb aus Zwang, halb aus Laune ergeben, dass das suchende Auge des Kolumnisten nicht in die Kleiderkästen, Studios und Lager anderer fallen konnte, sondern im eigenen Fundus verharren musste – genauso wie so viele andere Augen auch. Ob der Lockdown das Anziehen denn verändere? Das fragt man sich erst einmal nicht beim Finden einer Bluse, deren Rücken beinahe ganz von einer sich mysteriös hinter einem Weinglas verbergenden Frau bedeckt ist. Neben ihrem durchdringenden Blick lösen das Muster ihres Hutes, ihr Make-up und ihre Ohrringe, die Dollarzeichen auf dem Kragen ihrer glitzernden Jacke, die Flüssigkeit im Glas (Farbe »Hot Pink«), aber auch ihr kleiner Klon auf der Vorderseite, und der Schnitt von Kragen und Tasche der Bluse, selbst etwaige Fra-

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gen mit vereinten Kräften vollends auf. Dann aber muss man eine Kolumne schreiben und die Frage greift pflichtschuldig wieder durch. »Gewand ist das, was man anzieht«, ist man versucht zu antworten. Konstruktionen aus den verschiedensten Materialien, die wir je für seine unterschiedlichen Regionen spezifisch in etlichen Schichten und Konstellationen um unseren Körper anordnen, das sind Kleidungsstücke. Was über den Schutz gegen die Elemente hinaus sozialen Regeln genügen muss und Signifikant von Position sein kann: Mode. Ein entscheidendes Kriterium ist in jedem Fall die Angewandtheit. Ohne Körper, ohne widrige Elemente, ohne Gesellschaft gäbe es keine Kleidung. Neben seiner Angewandtheit – und wohl auch wegen ihr – hat Gewand aber auch noch eine zweite ganz herausragende Qualität, die alles, was sich aus der ersten ergibt, relativiert: Es ist immer in einem hybriden Zustand, gleichzeitig Maske und Selbstbild, verschleiernd und enthüllend, Notwendigkeit und Luxus, Freiheit und Regelwerk. Gewand ist zugleich für und wi-

der den Körper und für und wider Geist und Vernunft. Da überrascht es auch nicht weiter, wenn Kleidung – zumindest halbwegs – auch ohne ihre angewandte Grundbedingung auskommt. Einerseits ist das natürlich eine gefinkelte Konstruktion, mittels derer der Kolumnist sich selbst darin bestätigen will, weiterhin ein Kleidungsstück aufzubewahren, das er gerettet hatte, nachdem es seiner von dessen Reizen unbeeindruckten Mutter überlassen wurde – ein Akt, den viele wohl für ebenso sinnlos halten wie die abgebildete Bluse für abstrus. Andererseits ist das Würdigen von Gewand über das reine Anziehen hinaus (die Bluse hing einige Zeit wie ein Bild an der Wand) ein wichtiges Eintreten für alle anderen nichtessenziellen Qualitäten von Mode und damit ein wichtiger Beitrag zum Schutz der großen Lust am und der Freiheit im Ausdruck, die sie bietet. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab Diesmal gibt’s nichts zu kaufen. Durchwühlt doch eure Truhen, Kisten und Kästen und schaut, was ihr schon habt.

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

Ja, jetzt ist irgendwie Corona passiert zwischen dieser und der letzten Kolumne. Kann man nicht nicht erwähnen. Es gibt in richtig vielen Punkten hohen Bedarf an feministischer Auseinandersetzung mit dem Geschehen der letzten Monate. Beginnend beim mantraartig wiederholten Adressat unseres Bundeskanzlers: der konservativ-traditionellen Kernfamilie Mutter-Vater-Kind, die Oma und Opa nicht besuchen soll. Daneben werden Lebensformen völlig negiert, die so alternativ gar nicht sind. Wir können auch durchaus kritisieren, dass wir bei dem Laserfokus auf eine spezifische Bedrohung die Thematisierung der psychischen Gesundheit vernachlässigt haben – was sich schleichend rächen wird. Schon jetzt sind häusliche Gewalt und die mannigfaltige Last der Care-­Arbeit für Kinder und ältere Personen akute Problemfelder, die zum größten Teil Frauen betreffen. Warum Männer anscheinend häufiger als Frauen an Covid-19 erkranken, dafür gibt es Theorien, die die Statistik mit tradierten Bildern von Männlichkeit in Verbindung bringen. Wer hat wohl eher Angst um sich und andere, wer fühlt sich eher unverwundbar?

Mechanismen am Werk Dass natürlich hauptsächlich Experten (sic!) aus den Medien zu uns gesprochen haben, als es brenzlig wurde, werden viele nicht als Issue werten. Man könnte sich aber auch mal überlegen, welche Mechanismen da am Werk sind. Bei Erscheinen dieser Ausgabe ist das ja vielleicht schon Schnee von gestern und wir haben unsere Aufnahmefähigkeit und den medialen Blick (zumindest bis zur nächsten Welle) wieder für andere Themenkomplexe geöffnet. Man könnte fast argumentieren, es würde dieser Kolumne ebenfalls guttun, die besprochenen Inhalte nicht nur aus einer feministischen Perspektive zu betrachten, sondern die Linse auch auf andere Themenkomplexe wie andere Arten der Diskriminierung zu richten. Gut, dass daran in der Fachwelt seit vielen Jahrzehnten unter dem Begriff Intersektionalität geforscht wird. Im Grunde bedeutet eine

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intersektionale Herangehensweise das Bewusstsein dafür, dass Formen der Diskriminierung oft nicht getrennt von anderen Faktoren betrachtet werden können. Mehrere Formen der Diskriminierung sind eben nicht bloß die Summe ihrer Teile, sondern sie überlagern und verstärken sich häufig gegenseitig. Das betrifft unter anderem ethnische, klassenspezifische und geschlechtliche Gruppenzugehörigkeit.

Übung in Toleranz Ich bin zum Beispiel eine Frau und darum schon einmal (Untertreibung) mit Sexismus konfrontiert gewesen. Ich erlebe aber weder Rassismus noch Benachteiligung aufgrund meiner Einkommenssituation oder sexuellen Orientierung, weil ich weiß, Teil der breiten Mittelschicht, cisgender und heterosexuell bin. Als Feministin übe ich aber täglich, die eigene Lebensrealität nicht als Maß aller Dinge zu verstehen. Gelingt mir natürlich nicht so oft wie gewünscht. Aber ein Bewusstsein dafür, dass Lebenssituationen und Lebensentwürfe viele verschiedene Formen annehmen können, hat mich schon vor dem einen oder anderen Trugschluss bewahrt und mir andere Sichtweisen und Voraussetzungen nähergebracht. Eine Übung in Toleranz und wahrer Chancengleichheit bedarf eines intersektionalen Zugangs. Eine bisexuelle Frau ist zum Beispiel zwei Dinge nicht: ein Mann und heterosexuell. Sie wird also nicht nur aufgrund ihres Genders diskriminiert, sondern auch aufgrund ihrer sexuellen Orientierung – die Intersektion von Bifeindlichkeit und Misogynie. Die Kulturwissenschaftlerin Beatrice Frasl hat das in ihrem feministischen Podcast »Große Töchter« beleuchtet und 2019 die Bisexualitätsforscherin Renate Baumgartner von der Universität Tübingen zu sich eingeladen. Wenn schon gesamtgesellschaftlich Themen aus LGBTIQ+-Kontexten an den Rand gedrängt werden, so hat es das Thema Bisexualität – der Buchstabe B der Abkürzung – in dieser Sphäre doppelt schwer und wird weder in der heteronormativen Sicht auf die Dinge noch in der LGBTIQ+-Community

stark thematisiert. Und das aus anderen Gründen als zahlenmäßige Unterlegenheit: Manchen Statistiken zufolge würden bisexuelle Menschen bis zu 75 % der Community ausmachen, so Frasl. Ihnen wird aber eine ganz besondere Form von spezifischer Diskriminierung zuteil. Frasl und Baumgartner diskutieren in der neunten Folge von »Große Töchter« einige Spezifika. Sie sprechen beispielsweise darüber, wie schwer es ist, Bisexualität in Liebesbeziehungen nach außen hin gut sichtbar zu performen. Ist eine bisexuelle Frau mit einer Frau zusammen, wird sie schnell einmal als lesbisch wahrgenommen. Ist sie in einer Beziehung mit einem Mann, wird oft automatisch davon ausgegangen, dass sie heterosexuell ist. Das führt zu einer weitgehenden Unsichtbarkeit von Bisexuellen. Eine monosexuell denkende Welt und sexuelles Begehren, das eben nicht zwischen Geschlechtern unterscheidet, funktionieren nicht miteinander. Diese Gleichzeitigkeit ist in Paarbeziehungen nach außen hin meistens nicht sichtbar. Eine Genderdiskrepanz stellen Frasl und Baumgartner bei der Frage fest, wer sich als bisexuell bezeichnet. Tendenziell seien viele, die sich innerhalb des Akronyms bi wiederfinden, Frauen. Dafür wurde der Begriff »BiInvisibility« eingeführt, den sie an dieser Stelle ins Spiel bringen. »Bisexual Erasure« wiederum bezeichnet die dezidierte Unsichtbarmachung der Bisexualität. Einen bekannten Fall orten sie bei der Schauspielerin Kristen Stewart. Diese datete bekannterweise ihren »Twilight«-Kollegen Robert Pattinson (#teamedward), war danach aber auch mit dem Model Stella Maxwell zusammen. Der Welt blieb scheinbar nur Zweiteres in Erinnerung und bezeichnet Stewart gern als Lesbe, obwohl sie ein anderes Label für sich selbst verwendet und im Guardian zu Protokoll gab: »It’s not confusing if you’re bisexual. For me, it’s the opposite.« Sie hat Recht, es ist wirklich nicht so verwirrend. Wir müssen uns nur mehr bemühen und wie so oft unser Denken in binären Kategorien hinterfragen. exner@thegap.at @astridexner

Michael Exner

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Gender Gap Bi wie Intersektionalität

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Entgeltliche Einschaltung Fotos: BMF/Adobe Stock

bmf.gv.at/corona

Coronavirus: Jetzt steuerliche Erleichterungen beantragen Zeiten der Krise dürfen nicht Zeiten der Bürokratie sein.

FÜR UNTERNEHMER

Michael Exner

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Ina Holub (oben, 2. v. l.) ist Teil des Wiener Voguing-Houses House of Dive. Josefin-Marie-Christin Sternbauer (rechts) gehört ebenso dazu und ist auch die Fotografin des Porträts, das auf dem Cover dieser Ausgabe zu sehen ist.

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Was wir seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie erleben, betiteln viele gerne als »Ausnahmezustand«. Unser Alltag in der Ausgangssperre ist allerdings nicht unbedingt so einzigartig, wie es die unzähligen Pressekonferenzen vermuten lassen. Personen, die sich als LGBTIQ+ identifizieren, sind es gewöhnt, von der breiten Öffentlichkeit ausgeschlossen zu werden, sich auf Straßen unsicher zu fühlen, Zusammenhalt in Communitys zu suchen und zu finden. Ein Plädoyer dafür, über »neue Solidarität« anstatt »neuer Normalität« nachzudenken. ———— »Hey all you cool cats and kittens! How is everybody holding up in solitude?«, steht in der Facebook-Veranstaltung des zum ersten Mal online abgehaltenen Rhinoplasty. Die Partyreihe mit queerem und nichtqueerem Publikum, die alle zwei Wochen mit wechselnden Mottos in Wien stattfindet, wurde aufgrund des Veranstaltungsverbots im April dieses Jahres notgedrungen ins Internet verlegt. Andy Reiter, Veranstalter und Gründer von Rhinoplasty, entschied sich für ein Motto, das das zweitgrößte Thema des angelaufenen Jahres widerspiegelt: die Netflix-Serie »Tiger King«. So sind in der Zoom-Party, die über Youtube übertragen wird, vor allem Joe-Exotic-Lookalikes und TigerPrints zu sehen. Alle TeilnehmerInnen des Livestreams sitzen dabei – für 2020 selbstverständlich – zu Hause. DJ Phirbit spielt neben seiner Zimmerpflanzensammlung, und man bekommt den einen oder anderen Einblick in die Küche einer bekannten Wiener Dragqueen, während sich Andy Reiter, ebenfalls in Drag, auf einem Fell räkelt. »Die erste Stunde

Elsa Okazaki

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war sehr seltsam, weil es auch für mich die erste Online-Party war. Über Zoom habe ich davor nur ›Siedler‹ gespielt oder es für unsere Theaterprojekte genutzt. Nach einer Stunde wurde das irgendwie normaler. Ich habe gemerkt, ich muss jetzt nicht die ganze Zeit performen, ich kann mich auch mal hinsetzen und nur schauen«, sagt Andy über den ersten Rhinoplasty-Livestream. Dabei ist Rhinoplasty auch sonst nicht nur eine physische Party im Club U. Die Tage davor bildet das jeweils dazugehörige FacebookEvent eine zweite Bühne für Shitposting und sonstigen motto-bezogenen Spaß. Da Mottos wie »Anne Geddes« oder »Male Pregnancy«

gendein Outfitvorschlag daherkommt, irgendein Tumblerism und ein Youtube-Video. Für mich war uns ist das Rhino auch immer mein kreatives Outlet, wo ich mich komplett ausleben kann, indem ich eben nur weirde Themen aussuche und mir dazu was überlege«. Livestream-Partys sind auch ein Teil dessen, was Medien und Politik derzeit gerne als »neue Normalität« bezeichnen. Hier wird sich aber, wie so oft, an einer konstruierten Mehrheitsgesellschaft orientiert, die nur ein einzelnes, sehr spezifisches Bild von Familie, Beruf, PartnerInnenschaft, und Lebensrealität zeichnet. Denn was Ausnahmezustand und was »neue Normalität« ist, wird gerade auf vielen Ebenen ausverhandelt. Dabei stellt sich auch die Frage, was das Wort Normalität eigentlich bedeutet. Wessen Normalität wird hier bezeichnet? Und was ist mit Personengruppen, für die Teile dieser neuen Normalität, die viele Menschen aus gutem Grund verzweifeln lässt, gar nicht so neu sind? Für die LGBTIQ+Community, die immer noch von starker Ausgrenzung betroffen ist, ist zum Beispiel der Zugang zu öffentlichem Raum immer noch mitunter stark eingeschränkt oder durch Diskriminierungserfahrungen gekennzeichnet. Safe Spaces, die von der Community selbst aufgebaut werden, sind deswegen von besonders großer Bedeutung. Und dabei können diese – wie Rhinoplasty – offline und online funktionieren. Auch Beatrice Frasl weiß ein oder zwei Dinge über Online-Spaces. Sie ist als Podcasterin und Kulturwissenschaftlerin auch als Aktivistin in den Sozialen

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Neue Solidarität Was die Post-CoronaGesellschaft von LGBTIQ+-Communitys lernen kann

»Über Zoom habe ich davor nur ›Siedler‹ gespielt oder es für unsere Theaterprojekte genutzt.« — Andy Reiter, Rhinoplasty Partythemen seien, die »eigentlich keine sind«, brauche es diese Online-Präsenz als eine »zweite Sphäre« für Rhinoplasy, wie es Andy formuliert: »Damit das mit solchen abstrusen Themen funktioniert, muss man diese irgendwie erklären, unterfüttern oder verständlich aufdröseln. Und daraus sind diese manisch-zugeschissenen Facebook-Events entstanden, in denen alle fünf Minuten ir-

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Karin Cheng (Mitte) ist als Mother des House of Dive quasi Familienvorstand. Was das für sie bedeutet? »Verantwortung und Freude.«

Medien präsent und verschafft hier queerfeministischen Themen wie der Sichtbarkeit von Bisexualität, aber auch der Dekonstruktion von Narrativen bezüglich psychischer Gesundheit mehr Platz im Diskurs. In ihrem auf Instagram gespeicherten Highlight »bi furious« zum Thema Bi-Negativität und BiPhobie finden sich 81 Slides, in denen Beatrice den Zusammenhang zwischen patriarchalen Strukturen, negativen Vorurteilen und Stereotypen sowie (sexueller) Gewalt gegen bisexuelle Menschen erklärt. Beatrice versteht das Sprechen über Themen, die sonst tabuisiert oder stigmatisiert werden, als eine solidarische Praxis, die einen Raum öffnet, der sonst mehrheitlich verwehrt wird. Sie bricht diese Tabus, um es auch für andere leichter zu machen, darüber zu sprechen. Beginnt Beatrice dann ein Thema zu öffnen, und andere nach ihren Erfahrungen zu fragen, werden die Slide-Punkte in ihrer Story ganz klein – so viele Antworten strömen herein. Viele sprechen dabei zum ersten Mal von ihren Erfahrungen und Gedanken und beschreiben das mit dem sprichwörtlichen Stein, der vom Herzen fällt. Beatrice betont, dass

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sichere Online-Spaces besonders für junge queere Menschen eine große Bedeutung haben können: »Bei anderen Diskriminierungsmerkmalen oder Identitätsmerkmalen, die zu Marginalisierungen führen – wie Klasse oder Migrationshintergrund – ist es meistens so, dass man zumindest zu Hause Menschen findet, die dieser Gruppe auch angehören, und vielleicht schon über Coping-Strategien verfügen. Bei queeren Jugendlichen ist es ganz oft so, dass sie dann überall alleine sind.«

Einladungsmanagement Andy Reiter hat sich als Jugendlicher auf dem Land immer vorgenommen, endlich Dragqueen zu werden, sobald er nach Wien zieht. »Dann bin ich nach Wien gekommen und schwules Fortgehen war eher so ›meh‹. Und Drag hat es auch kaum gegeben«, erzählt er. Auch aus dem Wunsch nach guten Partys mit queerem und nicht-queerem Publikum heraus veranstaltete Andy mit seiner damaligen WG riesige Hauspartys – in einem Jahr sogar sieben davon, mit je circa 150 Gästen. »Aber es war dann irgendwann ein bisschen anstrengend, alle zwei Monate die

Wohnung zu renovieren«, gibt er zu. Mit dem Umzug aus der privaten Wohnung in den Club U verlor Rhinoplasty aber diesen HauspartyCharakter nicht. Bis heute sind nach eigenen Aussagen des Veranstalters circa die Hälfte des Publikums bekannte Gesichter und enge FreundInnen. Vor ein paar Jahren habe es eine Phase gegeben, in der die Partys zu voll geworden wären, da Rhinoplasty in viele Veranstaltungskalender und Partyplaner aufgenommen wurde. Seither vermeide man zu viel öffentliche Kommunikation. Eine RhinoEinladung erreicht dich über deine private Community auf Facebook – oder nicht. Beim Voguing funktionieren Einladungen auf ähnliche Art und Weise. Houses stellen wichtige Community-Einheiten innerhalb der Voguing-Szene dar. Ein House fragt dich, ob du dazugehören möchtest, nicht andersrum. Voguing ist bekanntlich mehr als eine Tanzform und an sich schon politischer Aktivismus. Voguing-Houses sind als Gemeinschaften historisch gewachsen, in denen vorwiegend People of Color, die sich als LGBTIQ+ identifizierten, eine Form von Zugehörigkeit und Gefeiert-Werden fanden, die ihnen eine breite Öffentlichkeit verwehrte. Ina Holub ist Teil des House of Dive, einem Wiener VoguingHouse, dem Karin Cheng als House-Mother vorsteht. Als Ina ihren ersten Voguing-Ball als Besucherin in Berlin erlebte, war sie fasziniert von dem Fakt, dass eine dicke, schwarze Frau eine Kategorie gewann. Eine Person, die in Mainstream-Medien im schlimmsten Fall sanktioniert wird und im besten Fall schlicht nicht sichtbar ist, wird hier für das, was sie repräsentiert, ausgezeichnet. Voguing als Gegenöffentlichkeit der Wertschätzung. Die Gemeinschaft, die innerhalb des House of Dive praktiziert wird, beschreiben

Elsa Okazaki, privat

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Natürlich ist es sehr » wichtig, die Mehrheitsgesellschaft in Verantwortung zu halten. Aber es ist auch wichtig, die eigenen Sehgewohnheiten zu verändern.« — Ina Holub

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men von Community, abseits biologischer Familienstrukturen, sind für viele LGBTIQ+Personen essenziell. Dabei ist es besonders wichtig, die Deutungshoheit über Solidarität nicht jenen zu überlassen, die sie gerne an »Systemrelevanz« und »I Am From Austria«Zwangsbeschallung koppeln wollen.

Alternative Solidarität

Beatrice Frasl ist Podcasterin, Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin. Online-Safe-Spaces sieht sie besonders für queere Jugendliche als wichtige Austausch-Plattform. Auf Instagram und Twitter postet sie als @fraufrasl unter anderem zu Bi-Phobie.

Aber wie würde dann eine alternative Solidarität aussehen? Für Ina Holub ist es erst einmal wichtig, nicht nur von sich selbst auszugehen, sondern anderen zuzuhören. Dieses Zuhören selbst ist Praxis, die gelernt werden muss, aber auch in das tägliche Leben integriert werden kann. »Natürlich ist es sehr wichtig, die Mehrheitsgesellschaft in Verantwortung zu halten. Aber es ist auch wichtig, die eigenen Sehgewohnheiten zu verändern. Für jede Sache, die mich im Internet interessiert, gibt es immer auch eine Frau, eine Person of Color, eine Person mit Behinderung, eine Transperson, die das genauso gut kann«, so Ina. Diese Einschätzung deckt sich auch mit Beatrice Frasls Verständnis von Solidarität. Für sie bedeutet es auch zuerst, anderen zuzuhören, und dabei offen dafür zu sein, was die eigenen Privilegien eigentlich bedeuten, ob sie auf Kosten von anderen gehen könnten. »Ohne behaupten zu wollen, dass feministische Communitys es selber perfekt machen, ist hier dennoch das Bewusstsein für

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Ina und Karin beide als sehr eng und solidarisch. Man würde sich »gegenseitig fördern und feiern«, so Karin. Als Mother sei es ihr stets wichtig gewesen, »dass es ein nachhaltiges House wird, wo die Kids sich wirklich kennen und eine Beziehung zueinander haben.« Ina würde die Gemeinschaft innerhalb des House of Dive sogar als Familie bezeichnen. »Die House-Familie ist für mich auf jeden Fall eine Familie im allerbesten Sinne des Wortes. Und zwar so, wie man sich das vorstellt, ohne dass es an Bedingungen geknüpft ist – an die Bedingung, hetero zu sein, dünn zu sein, nicht aufzufallen oder nicht zu provozieren. Jede einzelne Person von Dive hat Diskriminierungserfahrungen gemacht – alle unterschiedlich, aber alle haben Erfahrungen. Und ich glaube, dass das in einer Kernfamilie im heteronormativen Sinn einfach nicht so ist«, erklärt sie. Karin fügt hinzu: »Durch die vergangenen Erfahrungen und die Sensibilität der Einzelnen verstehen alle, was es bedeutet, für sich und dadurch für andere einen Safe Space zu schaffen. Für die meisten ist die Öffentlichkeit kein sicherer Ort, das bildet eine Awareness für die Bedeutung von Safe Spaces.« Spätestens hier wird klar, wie einseitig und diskriminierend der Kernfamilienfetisch der österreichischen Regierung in den Corona-Pressekonferenzen ist. Andere For-

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Andy Reiter (Mitte) ist Gründer und Veranstalter der Partyreihe Rhinoplasty, die viel wiederkehrendes Publikum anzieht. Wann und mit welchem Motto die nächste Party stattfindet, erfährt man durch private Einladung aus der Rhinoplasty-Community, in der einige auch abseits des Clubs untereinander befreundet sind.

eine andere Form von Solidarität, als die, die wir jetzt von der österreichischen Regierung sehen, sehr groß.« Es sei eben nicht »Team Österreich«, und die Idee, dass alle im selben Boot sitzen würden. Stattdessen geht es darum, jenen, die schwächer gestellt oder marginalisiert werden, zuzuhören, und sich dann hinter die von ihnen erhobenen Forderungen zu stellen. »Der Platz im Boot von manchen Menschen ist 100 m2 groß, der von anderen nur 20«, so Beatrice.

Solidarität als Praxis Die Maßnahmen und die Debatte um das Coronavirus zeigen auf, wie sehr unsere täglichen Tätigkeiten Konsequenzen für andere haben. Solidarität ist also nicht etwas, das man erhält, wenn man sich eine staatlich verordnete Gesichtsmaske mit der Aufschrift »Solidarity« kauft. Aber eine solche könnte in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der Solidarität zu leben eben keine Praxis ist, die trainiert wird, zumindest ein Anfang sein. Denn auch das ist Solidarität: eine Tätigkeit, die geübt werden muss. Solidarische Tätigkeiten können sich dabei in vielen Facetten zeigen, was aber immer auch eine Reflektion der eigenen Privilegien und Wünsche bedeutet. »Ich glaube, dass So-

lidarität auch heißt, sich Privilegien bewusst zu werden und im Fall auch auf gewisse Privilegien zu verzichten, damit es eine andere Person in dieser Solidarität eben besser hat«, sagt Ina Holub. »Als weiße Person bin ich im Voguing – obwohl ich lesbisch und fett* bin – super privilegiert und passe deshalb auch auf. Ich muss nicht immer in der ersten Reihe stehen, ich muss nicht immer am meisten fragen, ich muss nicht immer die Lauteste sein, ich muss nicht immer die präsenteste Person sein. Ich kann mich auch zurückhalten, um Personen Raum zu geben, die es leider eh schon gewohnt sind, wenig Raum oder wenig Sichtbarkeit zu bekommen.« Fragt man Andy Reiter, was die PostCorona-Gesellschaft von queeren Solidaritätspraktiken lernen kann, betont er: »Andere Formen von Zusammenhalt! Dass man so ein bisschen offener für Leute wird, die man noch nicht kennt, und sich auf sie einlässt, irgendwie Gemeinsamkeiten findet. Dass man sich mit Leuten, die man nur online, oder nur vom Fortgehen kennt, dann auch fürs Kino trifft oder ihnen bei der Wohnungssuche hilft.« Dass die Bevölkerung durch die CoronaMaßnahmen nachhaltig lernt, Solidarität zu praktizieren, können wir zwar hoffen, sehr

laut traut sich diese Hoffnung aber dennoch niemand auszusprechen. Dies merkt man gerade auch, wenn es um Erfahrungen mit bisherigen Narrativen – wie der Mutter-VaterKind-Kernfamilie oder Menschen mit österreichischem Pass – geht, die sehr viele Menschen ausschließen. Dabei meint Ina, dass es gerade jetzt umso wichtiger wäre, dass diese Anstöße nicht nur einseitig sind: »Es kann nicht sein, dass es immer die Fetten*, die Lesben, die nicht-weißen Personen sind, die sich darum kümmern müssen, dass sich etwas verändert. Ein Educate-Yourself-Ansatz.« Sofie Kronberger & Theresa Ziegler

Das House of Dive ist unter @kikihouseof. dive auf Instagram zu finden. Karin Cheng informiert als @ooookarin über anstehende Voguing-Classes. Ina Holub postet unter @inaholub und betreibt ihre eigene VintageBoutique »Extraschön« in Wien. Beatrice Frasls Podcast »Große Töchter« könnt ihr auf allen gängigen Plattformen hören und auf Steady finanziell unterstützen. Rhinoplasty findet normalerweise jeden zweiten Samstag im Club U statt – derzeit aber online. *

Ina Holub benutzt das Wort »fett« als Selbstbezeichnung.

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Menschenähnliche Wesen kehren in Sophie Utikals Werk »Coexisting« auf die Erde zurück, nachdem diese von den hierarchisch organisierten ErdbewohnerInnen zerstört wurde, um sie wieder zu befruchten. Zu diesem Motiv inspirierten Science-Fiction-Romane aus den 80ern, zur aktuellen und realen Situation passt es aber auch nicht schlecht. ———— Krisen­ bedingt wurden in den letzten Monaten alle möglichen Aspekte des öffentlichen Lebens in den virtuellen Raum verlegt, auch Kunst und Kultur. Was passiert, wenn die Notwendigkeit dafür wieder wegfällt, bleibt noch offen. Vielleicht wird sich der Screen zwischen Menschen und Kunst zumindest teilweise etablieren, oder eben nicht. Es stellen sich dabei auch viele Fragen, etwa wie befriedigend Zwischenlösungen für alle Beteiligten in diesem Bereich sein können: Ob der Stream wirklich das Live-Gefühl am Konzert ersetzen kann und die Wertigkeit beim Publikum ankommt? Vielleicht geht es aber überhaupt nicht ums Ersetzen, sondern darum, als Gesellschaft Kunst als wesentlichen Teil des Lebens zu begreifen, der genauso essenziell ist wie soziale Interaktionen und keinesfalls einfach wegfallen darf, nur weil die Bedingungen dafür gerade schwieriger sind. Lange ist unklar, ob laut Regierungsmaßnahmen gegen Covid-19 öffentliche Veranstaltungen stattfinden dürfen, weshalb auch die 17. Festivalausgabe von Soho in Ottakring nicht in geplanter Form durchführbar ist. Man wagt deshalb den Versuch und zeigt einen Teil des für heuer geplanten Programmes online. Damit sprengen die VeranstalterInnen ein Stück weit den Kern des Festivals: die Verortung im 16. Bezirk, mit Fokus auf das Gebiet Sandleiten am nordwestlichen Rand von Ottakring, und den expliziten Bezug auf dieses Umfeld. Neben dem Ort ist die Kollaboration mit den Menschen, die dort leben, beim Soho zentral. Wie funktioniert aber Interaktion mit der Community, wenn öffentliche Versammlungen verboten sind? Im Zusammenhang mit den vielen offenen Fragen, die über den Zustand der Demokratie aktuell gestellt werden müssen, will man – jetzt erst recht – einen künstlerischen und diskursiven Beitrag leisten. Zum schon vor der Krise gewählten Themenschwerpunkt »Wie meinen? Über Meinungsfreiheit und das Ringen um sie« wurden 17 KünstlerInnen aus dem ursprünglich geplanten Programm eingeladen, ihre Arbeiten online in Videoformaten zu präsentieren, die im Festivalzeitraum auf der Website von Soho in Ottakring zu sehen sein werden. Für Sophie Utikal, die Künstlerin der vierteiligen Stoffbildserie »Coexisting«, gehört zu einer funktionierenden Gesellschaft, in der Meinungsfreiheit herrscht, »dass man sich zusammentut, eine Verbindung auf Augenhöhe eingeht und etwas aus der gemeinsamen Verbindung schafft«. Die Titel ihrer im Rahmen der Ausstellung gezeigten Werke – »Join«, »Multiply«, »Relate« und »Connect« – weisen auf diese für sie zentralen Tätigkeiten hin. Sie näht die Textilien mit der Hand zusammen, Video ist normalerweise nicht ihr Medium. Für Soho in Ottakring aber filmt sie ihre Werke und plant eine interaktive Website. »Man kann als Künstler*in nicht alles können, solche Entwicklungen brauchen Zeit. Damit online vermittelte Kunst besser funktioniert, hilft kollektives und kollaboratives Arbeiten«, so Utikal. Pia Gärtner

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Sophie Utikal: Stoffbild-Science-Fiction Koexistenz in der Meinungsfreiheit

Soho in Ottakring 2020 wird von 6. bis 20. Juni in reduzierter Form als Online-Festival veranstaltet. Während des Festivalzeitraumes wird auf der Website von Soho in Ottakring täglich ein neues Video zu sehen sein.

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Eine Initialzündung für Wien: Bei der ersten Regenbogenparade 1996 zeigt sich die Community »loud and proud«. Bis dahin war es ein weiter Weg.

Die Geschichte davon, wie queere New YorkerInnen sich in der Nacht auf Samstag, den 28. Juni 1969, wegen einer Polizeirazzia des Szenelokals Stonewall Inn in der Christopher Street zur Wehr setzen und damit einen Wendepunkt für die Lesben- und Schwulenbewegung einleiteten, ist weit über die USA hinaus bekannt. Die Emanzipationshistorie der österreichischen LGBTIQ+-Bewegung kennen vor allem jene, die diese miterlebt haben. Zeit, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen. ———— Eine Polizeirazzia in einem queeren Szenelokal mündet in tagelange Proteste. Es war nicht die Begründung der LGBTIQ+-Bewegung, aber ihr wohl einschlägigster Moment, an den nach wie vor Straßenparaden weltweit erinnern. Darüber lässt sich leicht vergessen, dass auch im eigenen Land Rechte von LGBTIQ+-Personen mühselig erkämpft werden mussten. Es ist dem Einsatz vieler österreichischer AktivistInnen zu verdanken, dass sich das gesellschaftliche Leben für queere Menschen in den letzten 50 Jahren positiv entwickelt hat.

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Mehr noch als in den USA ist die Emanzipationsgeschichte der LGBTIQ+-Bewegung in Österreich vor allem ein fortlaufender Prozess. Die Ausgangssituation ist hingegen erst einmal ähnlich: Queeres Leben fand bis in die späten 60er-Jahre vor allem im Geheimen und unter strenger Aufsicht der Judikative und Exekutive statt. Paragraf 129Ib, der das Ende des dritten Reiches überlebt hatte, stellte in Österreich gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen als »Unzucht wider die Natur« unter Strafe. Bis 1971 blieb dieses Totalverbot in Kraft und bedingte die polizeiliche Verfolgung queerer Menschen. Eine Subkultur bildete sich trotzdem. Dass diese jedoch stets Strafe zu befürchten hatte, davon kann Günter Tolar berichten, ehemals Fernsehmoderator diverser Quizsendungen und später Vorsitzender der SPÖ-Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratie & Homosexualität (SoHo). In der Broschüre »Stonewall in Wien«, die von Marco Schreuder, damaliger Sprecher der Grünen Andersrum, in Zusammenarbeit mit Qwien, dem Zentrum für queere Geschich-

te in Wien, umgesetzt worden ist, berichtet Günter Tolar davon, wie das Szeneleben vor 1971 ausgesehen hat. Ein Szenelokal gab es zu dieser Zeit bereits. Bis zur Schließung vor wenigen Jahren war die Alte Lampe in der Heumühlgasse die älteste Schwulenbar Wiens und auch seinerzeit schon, als Tolar als junger schwuler Mann ausging, Anlaufstelle queerer Männer. Man habe sich dort Decknamen zulegen müssen, um sicherzustellen, dass im Falle einer Razzia niemand jemanden verraten könne. Tolar habe auch eine Nacht im Gefängnis verbracht, da er es wagte, in der Alten Lampe in Anwesenheit der Polizei seinen damaligen Freund zu küssen.

Geheimsache Homosexualität »Alle gleichgeschlechtlichen, sexuellen Handlungen standen unter Strafe. Das hatte insofern große Auswirkungen auf queere Menschen, weil die private Beziehung unter Beobachtung stand«, erklärt Andreas Brunner. Er ist Co-Leiter von Qwien, arbeitet als Historiker, Ausstellungskurator und als Stadtführer.

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Harald Schachenhofer / Zentrum Qwien

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Österreichs queere Geschichte Wo geht es hier zur Christopher Street?

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Noch nicht gegen den Uhrzeigersinn und deutlich kürzer als heute, aber bereits den Ring entlang: die erste Parade unter dem Motto »Sichtbar ’96«.

Ein Zusammenleben zweier homosexueller Männer beschreibt Brunner zu dieser Zeit als vergleichbar mit einem Leben im Scheinwerferlicht. Queeres Leben musste möglichst unauffällig im Geheimen stattfinden, was sich auch mit der Abschaffung des Totalverbots 1971 nicht schlagartig änderte. Das hing vor allem damit zusammen, dass vier neue Paragrafen an Stelle des §129Ib traten, die ein unterschiedliches Schutzalter für schwule Beziehungen (18 Jahre) gegenüber heterosexuellen und lesbischen Beziehungen (14 Jahre) festschrieben, männliche homosexuelle Prostitution unter Strafe stellten, aber vor allem auch »Werbung für Unzucht mit Personen desselben Geschlechts« und »Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht« verboten. »Diese Paragrafen zeigten ja ganz deutlich, dass der Gesetzgeber gleichgeschlechtliche Beziehungen nach wie vor nicht als gleichwertig erachtete. Wenn man dafür kei-

ne Werbung machen darf, wenn man diese nicht in einem positiven Licht darstellen darf, dann heißt das für die Betroffenen, dass sie sich zurückziehen sollen, dass sie nicht öffentlich auftreten sollen, dass sie gefälligst ihre Lebensweise im Dunkeln, im Verborgenen weiterführen sollen«, so Brunner.

Eine Bewegung formiert sich Von den Ereignissen, die sich Ende der 60erJahre als Stonewall Riots in der New Yorker Christopher Street abspielten, nahm man in Österreich vorerst kaum Notiz. Ihren Anfang hat die Emanzipierung von in Österreich lebenden LGBTIQ+-Personen erst in der Frauenbewegung, welche sich Anfang der 70erJahre auch in Wien mobilisierte. Sie wurde zur Heimat vieler lesbischer Frauen und ermöglichte Vernetzung. Innerhalb der Aktion Unabhängiger Frauen (AUF) etablierte sich 1976 die erste offene Lesbengruppe, und in der 1977 eröffneten Frauenbuchhandlung gab es von Anfang an lesbische Titel im Sortiment. Auch homosexuelle Männer schlossen sich

Crowdfunding mit der Bank Austria 2020 Ab dem 19. Mai ist es wieder soweit – das Crowdfunding geht in die nächste Runde! Die Förderung von Kunst und Kultur ist heuer vor dem Hintergrund der COVID-19-Krise noch wichtiger als sonst. Darum möchten wir auch dieses Jahr wieder möglichst viele Projekte mit unserer Crowdfunding-Unterstützung erreichen. Wir stellen 100.000 Euro zur Verfügung und übernehmen bei jeder Kampagne ein Drittel des Finanzierungsbedarfs. Damit ermöglichen wir die Bereitstellung von 300.000 Euro für die österreichische Kulturszene. Wir freuen uns auf Ihre Projekte! Die Ausschreibungsdetails und Teilnahmebedingungen finden Sie auf crowdfunding.bankaustria.at und auf der Plattform „wemakeit“.

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zusehends zusammen, um politisch aktiv zu werden. Mit der Gründung der Homosexuellen Initiative (HOSI) 1979 wurden zwei der diskriminierenden Paragrafen, das Versammlungs- und Werbeverbot, quasi totes Recht und man widmete sich vor allem öffentlichkeitswirksamer Aufklärungsarbeit. Infostände am Reumannplatz, in der Meidlinger Hauptstraße und im Schweizergarten zählten zu den wichtigen Aktivitäten der damaligen HOSI, die ab 1981 mit der Gründung einer internen lesbischen Gruppe schwullesbisch wird.

» Die klassische Transsexuelle war arbeitslos, ging auf den Strich oder war verbeamtet.« — Eva Fels

rücken innerhalb der Community statt. So nahm es auch die 2015 verstorbene Historikerin, Autorin und Aktivistin Ines Rieder wahr, die sowohl mit der Situation in den USA als auch mit jener in Wien vertraut war und 1988 das erste Buch über Frauen und die Aids-Krise verfasste. »Ich glaube die Aids-Krise und der Umgang damit, das war so die politische Schule für die Lesben und Schwulen, das war so ihre Möglichkeit, sich zu profilieren. Und da wurden sie auch als Einheit wahrgenommen«, wird sie in der »Stonewall in Wien«Broschüre zitiert.

Aids als »Schwulenseuche«

»Sichtbar ’96«

Die Stadt nicht nur rein optisch um eine Facette bunter machte außerdem die Türkis Rosa Lila Villa, die aus der HausbesetzerInnenszene heraus entstand und seit 1982 an der linken Wienzeile zu finden ist. Als Beratungsstelle und Informationszentrum agierend, beherbergt die Villa außerdem ein Wohnprojekt und stellt seit Mitte 1995 mit der Gründung des dort ansässigen Vereins Trans X eine zentrale Anlaufstelle für Trans*-Personen dar. »Es war sicherlich so, dass man damals kaum die Möglichkeit hatte, im Job zu bleiben. Die klassische Transsexuelle war arbeitslos, ging auf den Strich oder war verbeamtet«, berichtet Eva Fels, die seit 20 Jahren Obfrau von Trans X ist, über die schwierige Lebenssituation für Trans*-Menschen bis in die 90er-Jahre. Was der Verein über Arbeit innerhalb der Community und nach außen hin leistet, beschreibt sie als »Empowermentpolitik, dass Trans*-Men-

Die Aids-Krise legte aber auch rechtliche Probleme der Community offen, die sich zu drängenden Forderungen formulieren ließen. »Wenn einer starb, stand der andere auf der Straße, weil zufällig der falsche den Mietvertrag unterschrieben hatte. Oder man durfte einander nicht im Krankenhaus besuchen. Man war zu dem Menschen, der einem am nächsten war, gesetzlich ein Fremder«, so Brunner. Er sieht die Krise als einen Katalysator, um auch unterschwellige Diskriminierung in der Rechtsmaterie offenzulegen. »Das Strafrecht war immer offensichtlich, die Strafrechtsparagrafen hat man immer benennen können. Die anderen Diskriminierungsformen waren zum Teil schwer zu benennen.« Die Forderung einer Neuregelung, nach einem reformierten Partnerschaftsrecht und schlussendlich auch nach der »Ehe für alle« finden hier ihren Ursprung.

The_Gap_181_010-043_Story_MF_BBA.indd 20

schen nicht gebrochen durchs Leben gehen, sondern auch etwas repräsentieren und für sich einstehen können.« Einen erheblichen Einfluss auf die queere Geschichte hatte auch hierzulande die Aids-Krise. Die Ausbreitung des HI-Virus in den 80er- und 90er-Jahren erschütterte die LGBTIQ+-Community in teils verheerendem Ausmaß und bedrohte ein sich gerade erst herausbildendes Selbstvertrauen queerer Menschen. Aus historischer Perspektive strukturierte man sich durch die Krise jedoch auch neu. Wichtige Institutionen wie die Aids Hilfe wurden gegründet. Der Life Ball wurde ab 1992 veranstaltet und bot queeren Menschen seit seinem Bestehen eine große Bühne. Nicht nur entstand wegen der Aids-Pandemie wichtige Infrastruktur im LGBTIQ+Zusammenhang, es fand auch ein Zusammen-

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Claim your space: Die öffentliche Aneignung des Stadtraums als Symbol dafür, sich nicht mehr verstecken zu müssen.

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Von den Polizeirazzien in den 60er-Jahren, über die Räumung von Infoständen der HOSI in den 70er-Jahren, der Hausbesetzung der Villa und dem gemeinsamen Kampf gegen Aids machte Wien Mitte der 90er-Jahre einen großen Schritt, was die Sichtbarkeit queerer Menschen im öffentlichen Stadtraum betraf. Gemeint ist die erste Regenbogenparade, die am 29. Juni 1996 unter dem Motto »Sichtbar ’96« veranstaltet wurde. Das Veranstaltungsteam, dem auch Andreas Brunner angehörte, hoffte auf 5.000 TeilnehmerInnen. 25.000 Menschen kamen. Viele, die bei dieser ersten Parade dabei waren, reden heute noch davon. Brunner arbeitete zu dieser Zeit noch in der schwul-lesbischen Buchhandlung Löwenherz und erinnert sich daran, wie ein Kunde einige Tage nach der Parade zu ihm kam, ihn umarmte und erzählte: »Am Anfang bin i nu hinterm Bam gestanden – i hob ned gewusst, wos des is. Owa zum Schluss hob i auf der Stroßn mitgetanzt.« Ein Sinnbild dafür, wie sich die Ringstraße zu eigen gemacht wurde, um aus dem Versteck herauszutreten. Wenn die Emanzipationsgeschichte der LGBTIQ+-Bewegung ein Prozess ist, dann dauert dieser noch immer an – wenn auch

mit neuen Zielsetzungen. In den letzten Jahren und Jahrzehnten bemühte man sich vor allem darum, neben der Anerkennung gleichgeschlechtlicher PartnerInnenschaften und der Durchsetzung von nicht-diskriminierenden Adoptionsrechten, die »Ehe für alle« zu ermöglichen. Auch für Trans*-Personen hat sich vieles getan, was Eva Fels bestätigen kann: »Sie sind wesentlich gesünder. Es gibt noch immer erhöhte Depressionsraten unter Transleuten, aber es ist nicht das, was ich damals gesehen habe. Die Leute haben mehr Selbstbewusstsein.« Viel zu tun bleibt trotzdem noch. Zum Beispiel gibt es noch immer nicht die Möglichkeit, den eigenen Vornamen unabhängig vom eigenen Geschlecht zu wählen. Die Stadt Wien verlangt nach wie vor eine Diagnose zur »Transsexualität«, bevor geschlechtsangleichende Operationen vorgenommen werden können, und es werden noch immer medizinisch nicht notwendige Interventionen an intergeschlechtlichen Menschen durchgeführt. Um gegen die Diskriminierung HIV-positiver Menschen zu arbeiten, klärt die Aids Hilfe in Kampagnen darüber auf, dass HIV-Positive unter wirksamer Therapie nicht ansteckend sind. Der

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Situation queerer Geflüchteter widmet man sich beim Verein Queer Base, und auch mit Vereinen wie Afro Rainbow Austria und Mi Gay rücken Belange von LGBTIQ+-MigrantInnen in den Vordergrund. Das Erzählen der Emanzipationsgeschichte von queeren Menschen legt hier hoffentlich ein Potenzial offen – ein Erkennen, was die LGBTIQ+-Bewegung erreicht hat und dass man sich darauf nicht ausruhen muss. Oliver Maus

Die HOSI Wien bietet jeden Donnerstag einen Coming-out-Treff an, jeden Mittwoch steht der Lesbenabend auf dem Programm. Die Türkis Rosa Lila Villa bietet mit dem »Lila Tipp« mittwochs ein Beratungsangebot zur Lesbenund Trans*-Bestärkung an. Gruppentreffen von Trans X finden zweimal pro Monat statt – ebenfalls in der Villa. Über weitere Angebote informiert die Website www.dievilla.at. Kostenfreie Tests auf HIV und weitere Geschlechtskrankheiten sowie allgemeine Beratung durch die Aids Hilfe kann wochentags außer dienstags in Anspruch genommen werden. Hilfsangebote von Afro Rainbow Austria und Queer Base werden auf www.afrorainbow.at und www.queerbase.at vorgestellt.

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Eine unvollständige Liste der Dinge, die du verinnerlichen solltest, wenn du ein solidarisches Leben an der Seite deiner queeren Mitmenschen führen willst. ———— »In einer rassistischen Gesellschaft reicht es nicht aus, nicht-rassistisch zu sein. Wir müssen anti-­ rassistisch sein.« – Dieses Zitat von Angela Davis, einer Aktivistin für BürgerInnenrechte, wurde vermutlich schon in allen (lesenswerten) Medien der Welt publiziert. Was dabei aber selten erwähnt wird, ist, dass die Amerikanerin seit über 20 Jahren offen lesbisch lebt und sich ihr Aphorismus problemlos auf den strukturell sexistischen Charakter vieler Gesellschaften weltweit übertragen lässt. Willst du als weiße cis-hetero Person solidarisch mit deinen queeren Mitmenschen sein, reicht es nicht aus, sich einmal im Jahr auf der Regenbogenparade mit einer lauwarmen Bierdose in der Hand das Shirt auszuziehen. Solidarität heißt füreinander einstehen – gerade dann, wenn es unangenehm wird. Menschen, die tagtäglich für die Rechte und

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gegen die Diskriminierung von marginalisierten oder diskriminierten Personen einstehen, werden »Allies« genannt, was soviel wie »MitstreiterIn« heißt. Bei einer weißen cis-hetero Person (sprich: einem heterosexuellen Menschen, der sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen biologischen Geschlecht identifizieren kann), wie sie auch der Autor dieses Textes ist, wird diese unterstützende Haltung oft von einer Unsicherheit begleitet. Die folgenden Punkte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit – auch wenn im Zuge der Recherche eine diverse und intersektionale Auswahl an LGBTIQ+-Personen nach hilfreichen Praktiken gefragt wurde. Dieser Beitrag soll dabei helfen, Unsicherheiten abzubauen und Allies den Rücken zu stärken, damit du beim nächsten Vorfall, den du bemerkst, couragiert und beruhigt eingreifen und unterstützen kannst – um die Welt so Tag für Tag zu einem besseren Ort für alle zu machen.

Nimm Selbstbezeichnungen von Personen ernst und gib dir Mühe, sie zu benutzen. Das gilt auch für Pronomen, die du mitunter noch nicht kennst. Solidarisch zu sein bedeutet auch sich anzustrengen. Die deutsche Sprache ist auf diesem Gebiet noch weit hinterher, verbale Kommunikation schafft aber trotzdem einen guten Teil des Bewusstseins und der Repräsentation. Sei dir deiner Privilegien bewusst und mach einen Schritt zurück. Schluck den neoliberalen Geist des Konkurrenzkampfs hinunter und lass strukturell benachteiligten Personen den Vortritt. Wenn du irgendwo bist, wo nur privilegierte Menschen auftreten, frag dich, warum das so ist und wie das geändert werden könnte. Binde marginalisierte Gruppen in allen Branchen und Bereichen ein. Ruf nicht sofort die Polizei. Es kommt vor, dass betroffene Menschen der Exekutive aufgrund von Vorerfahrungen nicht vertrauen.

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Mehr als Regenbogen-Content How To Be An Ally

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Schenk Betroffenen deinen Glauben – es geht nicht vorrangig um dich. Wenn du in schwierigen Situationen hilfreich sein willst, solltest du eher mit Empathie als mit ungläubigem Hinterfragen reagieren. Nimm Lebensrealitäten, die nicht deiner eigenen entsprechen, ernst und versuche, sie zu verstehen. Sprich deine Unsicherheiten an, aber erwarte nicht, dass du in jeder Situation beruhigt wirst. Wirst du ausgebessert, entschuldige dich nicht, sondern bedanke dich und merk es dir fürs nächste Mal, statt defensiv zu reagieren. Hinterfrage deinen Medienkonsum. Muss es unbedingt die Serie sein, in der nur Stereotype reproduziert werden? Lach nicht über diskriminierende Witze, um einer unangenehmen Situation zu entgehen. Wenn du kannst, hilf finanziell. Unterstütze queere Spaces und KünstlerInnen. Verschaffe Einladungen, Bookings, bezahlte Aufträge. Gib oft unsichtbar gemachten Menschen eine Plattform.

Tritt aus deiner Komfortzone heraus und gib dir Mühe. Steh früher auf und begleite deine FreundInnen zum Amt oder hilf bei Bewerbungen, wenn deine Unterstützung gebraucht wird. Wenn du die Möglichkeit hast, biete deine Hilfe aktiv an und warte nicht, bis du danach gefragt wirst. Aber: Erwarte keine Auskunft. Achte auf Intersektionalität. Eine weiße, nicht-binäre Person erfährt eine andere Diskriminierung wie eine Transperson of Color oder ein queerer Mann. Ziehe aus deinen Vorerfahrungen im Umgang mit diskriminierten Menschen keine Schlüsse auf andere Menschen. Erwarte keine Lobpreisungen, weil du ein guter Mensch bist. Es geht vorrangig um die betroffenen Personen, nicht um dich. Es ist leider nicht selbstverständlich, dass Menschen sich ausschließlich freundlich begegnen – um dafür zu sorgen, dass das in Zukunft so sein wird, sollte es das allerdings sein. Es ist ein ständiger Prozess, ein guter Ally zu sein. Ruhe dich nicht auf einer solidarischen Aktion aus. Es ist auch okay, wenn du an einem Tag »nur« einen homophoben Kommentar in sozialen Medien gemeldet hast. Versuch trotzdem, dein unterstützendes Handeln zu normalisieren und zu verinnerlichen. Sandro Nicolussi

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Außerdem kommt es auch zu Situationen, in denen die Polizei die Lage falsch einschätzt und damit die betroffene Person (wenn auch mitunter ungewollt) weiter diskriminiert oder verunsichert. Stichwort: Täter-OpferUmkehr.

illst du als weiße W cis-hetero Person solidarisch mit deinen queeren Mitmenschen sein, reicht es nicht aus, sich einmal im Jahr auf der Regenbogenparade mit einer lauwarmen Bierdose in der Hand das Shirt auszuziehen.

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Über die neuen Ampelpärchen hat unser Autor ziemlich viel zu sagen.

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Über Queerbaiting, Subtext und Repräsentation

Das Verlangen nach Ampelpärchen The_Gap_181_010-043_Story_MF_BBA.indd 24

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Queerbaiting ist ein Vorwurf, der immer öfter an Medienschaffende aller Art gerichtet wird. Er verurteilt das zynische Versprechen von queerer Repräsentation, bei gleichzeitiger Weigerung, dieses je tatsächlich einzulösen. Doch warum ist queere Repräsentation überhaupt wichtig? Was ist die Zukunft von Queerbaiting? Und könnte Subtext eigentlich besser sein als Text? ———— Wenn ich an einer Wiener Fußgängerampel ein gleichgeschlechtliches Ampelpärchen sehe, muss ich zunächst immer lächeln. Es ist eine unbewusste Reaktion, eine Freude daran, sichtbar zu sein. Mehr noch, es ist es eine Freude daran, gezeigt zu werden. Etwas, das man früher vor der Gesellschaft, vor FreundInnen und Familie verstecken musste, wird plötzlich nicht mehr versteckt. Nein, es wird von derselben Gesellschaft ausgestellt. Das ist die Kraft von queerer Repräsentation. Sie bedeutet, dass eine Öffentlichkeit sich nicht schämt, queere Menschen zu zeigen, dass sie mitunter sogar stolz auf sie ist. Sie symbolisiert, dass auch queere Menschen sich nicht mehr schämen müssen, sondern auf ihre Identität stolz sein können. Das macht queere Repräsentation so wichtig und verführerisch. Doch queere Repräsentation ist Mangelware. Queere Menschen in der Geschichte werden ignoriert oder umgedeutet. Queere Menschen in der Öffentlichkeit zögern immer noch vor dem Coming-out. Queere Figuren in Medien werden an den Rand relegiert oder existieren schlichtweg nicht. Jedes Beispiel, jeder Hinweis auf queere Figuren, queere Personen und queere Symbole wird somit zum Lichtblick. Als queerer Mensch wird man entsprechend darauf trainiert, diese Lichtblicke zu erspähen. Selbst wenn sie sich oft als Fata Morgana entpuppen. Selbst wenn es nur Ampelpärchen sind. Selbst wenn hinter diesen Ampelpärchen nur durchsichtiges Marketing steckt.

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Plötzlich Regenbogen Nach dem Lächeln über die Ampelpärchen folgt meist Ärger. Ärger über mich selbst und darüber, mit wie wenig ich zufriedenzustellen bin. Die Einführung der Ampelpärchen war ein reiner Marketing-Kniff. Als Conchita Wurst den Song Contest 2015 nach Wien holte, brachte sie mit ihm auch eine riesige, queere Fan-Community. Als Vorbereitung verpasste sich die Stadt einen weltoffenen Anstrich. Plötzlich überall Regenbogenflaggen, queere Tourismusbroschüren, Conchita und eben neue Ampeln. Nüchtern betrachtet verbesserten die Ampelpärchen nichts an der Situation von queeren Personen in Öster­

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reich. Die gleichgeschlechtliche Ehe war 2015 in Österreich immer noch nicht legal, Gewalt – verbal wie physisch – immer noch alltäglich und viele Rechte für LGBTIQ+Personen nach wie vor unerreicht. Die Ampelpärchen waren hübsche Fassade, sie brachten aber nicht mehr Rechte für queere Menschen. Sie machten eine homophobe oder transphobe Person nicht plötzlich tolerant. Und dennoch freue ich mich damals wie heute über ihren Anblick. Dieselbe innere Ambivalenz, wie gegenüber den Ampelpärchen, spüre ich auch gegenüber queerem Subtext. Queerer Subtext sind Inhalte in Medien, die nicht explizit queer sind, aber queer gelesen werden können. Etwa die enge Beziehung zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Figuren, wie zwischen Xena und Gabrielle in der Fernsehserie »Xena: Die Kriegerprinzessin«.

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Queere Menschen in der Geschichte werden ignoriert oder umgedeutet. Oder ein Auftreten, welches als stereotyp lesbisch oder schwul gelesen werden kann, wie bei jedem zweiten Bösewicht in den James-Bond-Filmen. Oder auch einfach der Ausdruck einer queeren Erfahrung, wie bei Arielle im Film »Die kleine Meerjungfrau«. Nichts davon ist eindeutige, queere Repräsentation. Trotzdem befriedigt es ein ähnliches Bedürfnis nach Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Obwohl »Die kleine Meerjungfrau« an der Oberfläche die Geschichte einer Hetero-Romanze repräsentiert, drückt sie doch queere Grunderfahrungen aus: Das Verlangen, anders zu sein, zu einer anderen Welt gehören zu wollen und der Topos der verbotenen Liebe. All das ist für eine queere Lesart offen, es erlaubt queeren Menschen, sich damit zu identifizieren. Gerade im Fall von »Die kleine Meerjungfrau« ist das kein Zufall. Howard Ashman, der die Songtexte schrieb, war schwul. Seine Erfahrungen als schwuler Mann im Amerika der Nachkriegszeit flossen notgedrungen in seine kreative Arbeit ein. Der Youtuber Dreamsounds hat ein 30-minütiges Video über »The Unique Queerness of Howard Ashman’s Songs« produziert. Ende der 80er-

Marina Naprushkina, Jetzt! Alles für Alle!, 2019, Installationsansicht Kunsthalle Wien, 2020

Wir haben wieder geöffnet!

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Jahre, am Höhepunkt der Aidskrise, schaffte es Ashman, der wenige Jahre später selbst an Aids verstarb, queere Erfahrungen in einen Animationsfilm für Kinder zu übersetzen. Dieses Streuen von queerem Subtext wird auch Queercoding genannt. Oft ist es eine bewusste Taktik, um Zensur oder Produktionsbeschränkungen zu umgehen. Oft geschieht es jedoch unbewusst, etwa im affektierten Auftreten von Bond-Bösewichten. Ein Stereotyp, das auf der langen Verbindung von Queerness mit Kriminalität beruht. Queercoding kann in einer intoleranten Gesellschaft die einzige Möglichkeit darstellen, queere Inhalte in Medien zu schmuggeln. Es kann andererseits aber auch Stereotype über queere Menschen schaffen und verfestigen.

Subtext in Fankulturen Letzten Endes erzeugt Queercoding aber Subtext und nicht Repräsentation. Dieser Subtext kann nicht allein bestehen. Er muss von Fans gesehen, interpretiert und adaptiert werden. Seit in den selbstgedruckten Fanzines der frühen 70er-Jahre über die romantische Beziehung von Kirk/Spock (lies: »Kirk Slash Spock«) geschrieben wurde, bildet Slash Fiction eine Säule der Fankultur. Slash Fiction und andere queere Fanworks machen sich den Subtext zunutze, um eigene Geschichten zu erzählen. Ohne Abhängigkeit von Studios, von Budgets oder von Marketing können queere Menschen dort Erfahrungen beschreiben, teilen und lesen. Subtext gibt Fans den Spielraum, persönliche Geschichten zu schreiben, aber auf einer bekannten Basis und für ein bestehendes Publikum an Fans. Subtext war deshalb für queere Fans lange etwas Positives. In ihrem Essay »Subtext Is Better Than Text«

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schreibt die Fanautorin und -forscherin Janis Cortese: »Text ist Beschränkung. Subtext ist Freiheit. Ich möchte Kontrolle. Subtext gibt sie mir. Wenn der Subtext zu Text wird, wird sie mir genommen.«

Gezielte Nicht-Repräsentation Doch für viele queere Fans ist Subtext nicht mehr zufriedenstellend. Subtext ist eben keine tatsächliche queere Repräsentation. Es ist das wissende Augenzwinkern, nicht die stolze Proklamation. Dieses Verlangen nach queerer Repräsentation ist der Grund, warum Anfang der 2010er-Jahre in den queeren Blogs auf Tumblr der Begriff Queerbaiting an Popularität gewann. Queerbaiting ist der Vorwurf an Medienschaffende, queere Fans mit queerem Subtext zu ködern, ohne den dahinterliegenden Willen, je tatsächlich offen queere Inhalte zu produzieren. Queerbaiting spielt mit dem Verlangen nach queerer Repräsentation in Medien. Während Ampelpärchen zumindest tatsächlich queere Repräsentation im Alltag darstellen – so schwach und fruchtlos diese auch sein mag – bietet Queerbaiting nicht einmal das. Queerbaiting ist die Andeutung von Repräsentation. Es ist die gezielte NichtRepräsentation. Es ist das Nicken in Richtung einer queeren Community, ohne die Absicht, dieser Community schlussendlich irgendetwas zu geben. Es sind die Werbeplakate für die »Rizzoli & Isles«, die die beiden Protagonistinnen mit Handschellen aneinandergefesselt zeigen. Es sind die Witze über die enge Beziehung von Watson und Sherlock in der bekannten BBC-Serie. Es sind Madonna und Britney Spears küssend auf der VMA-Bühne. Die britische Youtuberin Rowan Ellis sieht aber bereits eine neue Phase im Spiel mit

queeren Fans. Queercatching ist für sie der zynische Schlusspunkt in der Vermarktung von queerer Repräsentation. Während Queerbaiting sich in der Grauzone des Subtextes bewegt, spricht Queercatching im Brustton des Marketing-Managements. Es verkündet seine inklusiven, queeren Charaktere: »Hört! Hört! LeFou ist der erste offen schwule DisneyCharakter. Ein Meilenstein für queere Repräsentation!« In der Realität erschöpft sich diese Repräsentation dann in einem kurzen Tanz durchs Bild. Queercatching tut so als wäre der Subtext Text, aber nur gegenüber der queeren Community. Gleichzeitig bleibt der Film selbst nach wie vor frei von sichtbarer, queerer Repräsentation und kann ohne Probleme auch an ein konservatives Publikum vermarktet werden. Das Verlangen nach queerer Repräsentation ist für mich zutiefst verständlich. Ich spüre es jedes Mal, wenn ich ein Ampelpärchen sehe, jedes Mal, wenn eine Person sich öffentlich outet, jedes Mal, wenn eine neue Serie mit queeren Figuren auf Netflix anläuft. Ich stelle mir aber auch die Frage, ob Repräsentation wirklich ausreichend ist, ob ich mich nicht darüber ärgern sollte, dass ich immer noch nach Legitimation für meine Identität suche. Wäre es nicht besser, aktiv zu repräsentieren, statt passiv repräsentiert zu werden? Warum nicht beides? Der Vorwurf von Queerbaiting scheint für mich wie das Verlangen nach Ampelpärchen. Ultimativ fruchtlos und dennoch Bernhard Frena zwingend notwendig.

Die Videos von Dreamsounds und Rowan Ellis finden sich auf Youtube. Die Ampel­ pärchen finden sich in freier Wildbahn auf den Straßen Wiens.

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Subtext, der queer gelesen werden kann, bedeutet nicht, dass hier LGBTIQ+Personen tatsächlich repräsentiert werden.

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Mehr als 57.000 Mitglieder nutzen das kostenlose Online-Portal für eine gute Nachbarschaft Das Netzwerk für deine Nachbarschaft The_Gap_181_010-043_Story_MF_BBA.indd 27

Das Netzwerk für deine Nachbarschaft

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PrEPen, aber richtig Safe ist sexy The_Gap_181_010-043_Story_MF_BBA.indd 28

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Daniel Rajcsanyi

Unter heterosexuellen Menschen wird die Pille derzeit kaum wahrgenommen – sie findet fast ausschließlich bei Männern, die Sex mit Männern haben, Anwendung. In Österreich wird die Zahl der PrEP-NutzerInnen derzeit auf ungefähr 1.500 Menschen geschätzt. 2019 wurden 430 Neuinfektionen mit dem HI-Virus in Österreich festgestellt – wie in den Vorjahren eine gleichbleibende Tendenz.

Risiko Online-Apotheke Menschen, die sich bereits mit HIV infiziert haben, dürfen die PrEP nicht einnehmen, weil das zu einer Medikamentenresistenz des Virus führen kann. Deswegen sind unbedingt FachärztInnen aufzusuchen – von Bestellungen über Online-Apotheken ist dringend abzuraten, weil nicht sichergestellt ist, dass die Wirkstoffe tatsächlich enthalten sind. Mit dem Aufkommen der PrEP wurde auch schnell die Kritik laut, dass Menschen, die keine Kondome verwenden, unachtsamer mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten umgehen würden. Daniel versteht das. Seit seiner PrEP-Vorbeugung hatte er Tripper und Chlamydien: »Aber das Risiko geht man ja bewusst ein und es ist auch halb so schlimm.« Gerade in Europa kommt es kürzlich, unabhängig von der PrEP, zu einem Anstieg von STDs unter queeren Personen. Dies könnte allerdings auch daran liegen, dass genauer hingeschaut wird. Durch die regelmäßigen Untersuchungen bei fachkundigen ÄrztInnen können weitere Krankheiten auch ohne auftretende Symptome schneller erkannt werden. Bei der dreimonatlichen Untersuchung müsse man allerdings explizit danach fragen. Daniel wünscht sich mehr Aufklärung – vor allem auch in heterosexuellen Kreisen. Die Langzeitfolgen der Dauereinnahme sind beispielsweise noch sehr oberflächlich erforscht. Der Künstler selbst hat bisher keine ernsten Nebenwirkungen bemerkt. Die PrEP ist in Österreich rezeptpflichtig und nur bestimmte Behandlungszentren und Praxen dürfen ein solches ausstellen. Lebt man in Niederösterreich sucht man beides vergebens und muss nach Wien fahren. Die Praxis Schalk & Pichler am Alsergrund setzt sich seit der Einführung des Medikaments dafür ein, dass mehr Praxen und ÄrztInnen auf die Behandlung aufmerksam werden und das Medikament verschreiben. In puncto Gesellschaftsfähigkeit von PrEP gibt es also noch einiges zu tun. Daniel fasst zusammen: »Ich verstehe es irgendwo, dass ÄrztInnen nicht alles tausendmal wiederholen wollen – vor allem in der heutigen Zeit, in der alles mit einem Klick selbst recherchiert werden kann.« Sandro Nicolussi

»Ich verstehe es irgendwo, dass ÄrztInnen nicht alles tausendmal wiederholen wollen.« — Daniel Rajcsanyi

Relativ hochschwellig Seit 2016 ist die PrEP-Pille in der gesamten Europäischen Union zugelassen. Tenofovirdisproxil heißt der Wirkstoff, der ursprünglich erst nach einer erfolgten Infektion mit dem HI-Virus zur Behandlung eingesetzt und schlussendlich unter dem Handelsnamen Truvada auch zur Vorbeugung verwendet wurde. Zu Beginn war PrEP allerdings – vor allem finanziell – relativ hochschwellig: Das Originalpräparat kostete rund 1.000 Euro monatlich und war somit quasi unleistbar. Mitte 2017 kamen erste zugelassene Medikamenten­

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imitate, sogenannte Generika, auf den Markt. Diese beinhalten dieselben Wirkstoffe wie das Originalmedikament, können aber wegen der wegfallenden Entwicklungskosten deutlich günstiger angeboten werden. Seit 1. Jänner 2018 bietet die MarienApotheke in Mariahilf ein Generikapräparat für 59 Euro an. In Wien gibt es die günstigeren Pillen ansonsten nur in der Salvator-Apotheke. Flächendeckend geht anders. In Deutschland beispielsweise ist die PrEP seit September 2019 eine Kassenleistung. Untersuchung, Rezept und Medikament sind daher weitgehend kostenfrei und rechtlich zugesichert. Da PrEP, wie der Name schon sagt, eine präventive Maßnahme ist, muss sie hierzulande noch selbst bezahlt werden. Auf ein Jahr gerechnet macht das bei regelmäßiger Anwendung, wie Daniel Rajcsanyi sie betreibt, 720 Euro. Die Pillen können dauerhaft täglich eingenommen werden – dann bieten sie den besten Schutz. Zwischen Sexualkontakten kann das Medikament auch problemlos abgesetzt werden. Um Geld zu sparen, greift Daniel

während der aktuellen Coronakrise auf diese Option zurück: »Ich habe derzeit keinen Sex, also sehe ich auch keinen Grund, die Tabletten aktuell zu nehmen.« Bei der Alternative, der anlassbezogenen Anwendung, werden die Tabletten nur einige Tage vor und nach dem ungeschützten Verkehr eingenommen. Diese Anwendung ist allerdings nur dann empfehlenswert, wenn man genau weiß, wann man Sex haben wird, und wenn man die Tabletten auch diszipliniert einnimmt. Eine konsequente Einnahme des Medikaments vermindert ein Ansteckungsrisiko um 90 bis 95 % – das macht die PrEP ungefähr so sicher wie Kondome, wie mehrere Studien bestätigen. Egal, wie sie angewendet wird, in beiden Fällen stellen ÄrztInnen in Österreich ein Rezept nur für maximal drei Monate aus – dann wird wieder eine Untersuchung fällig. Dabei wird das Blut auf den HI-Virus getestet, auf weitere STDs wird nur im Verdachtsfall untersucht. Die PrEP, die täglich eingenommen wird, soll vor allem Menschen mit hohem HIVRisiko vor einer Ansteckung schützen. Dies betrifft etwa homosexuelle Männer oder auch die PartnerInnen HIV-positiver Menschen, die sich zusätzlich schützen möchten.

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Eine kleine blaue Pille, die ohne die Verwendung von Kondomen vor einer Infektion mit HIV schützt. PrEP macht das möglich und gilt als relativ sicher, ist aber nicht unumstritten. Ihre Wirksamkeit wurde zwar durch Studien bereits mehrfach belegt, vor allem in Österreich gibt es allerdings noch einige Hürden bei der Pillenvorsorge. ———— Wird heutzutage über den Schutz vor HIV-Infektionen und Safer Sex gesprochen, kommt man am Kondom nur selten vorbei. Es gibt allerdings auch andere Möglichkeiten, sich beim Sex vor einer Infektion zu schützen. Eine Variante, die schon ein paar Jahre zugelassen und in Gebrauch ist, ist die sogenannte Prä-Expositions-Prophylaxe (kurz: PrEP), also eine medikamentöse Vorbeugung, die die behandelte Person vor einer Infektion schützt, bevor sie in Kontakt mit einer HIV-positiven Person kommt oder Risikokontakte hat. Mit der Einführung der PrEP wurde auch ein wichtiger Schritt gegen die Diskriminierung und gesellschaftliche Ausgrenzung HIVpositiver Menschen getan. Nach Jahrzehnten der Angst sind wir auf dem Weg, die Pandemie soweit in den Griff zu bekommen, dass das UN-Ziel, HIV bis 2030 weltweit auszurotten, möglicherweise erreichbar sein könnte. Die Prä-Expositions-Prophylaxe trägt dazu einen wichtigen Teil bei, ist aber noch relativ unbekannt. Hauptsächlich aber bietet PrEP eine Möglichkeit für Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Kondome verwenden wollen oder können, beinahe risikolosen Geschlechtsverkehr zu haben – zumindest in Bezug auf HIV. Denn queere Menschen, allen voran Männer, die Sex mit Männern haben, sind generell einer erhöhten Gefahr einer Infektion mit HIV ausgesetzt. Vor allem die passive, also empfangende Person, kann sich über Schleimhäute, etwa in der Vagina oder dem After, relativ schnell infizieren. Der 28-jährige Wiener Künstler Daniel Rajcsanyi verwendet PrEP seit ungefähr zwei Jahren und hat damit bei Risikokontakten die Angst vor einer HIV-Infektion verloren. Er spricht von einem gelockerten Umgang mit Körperflüssigkeiten und Sex im Allgemeinen – sexuelle Freiheit ohne Stigma für queere Menschen in Österreich.

Weiterführende und detailliertere Informationen erhaltet ihr bei der Aids Hilfe Wien sowie in der Gruppenpraxis Schalk & Pichler.

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Zu-ga-be! Zu-ga-be! Was anderen in unserer AustroTOPListe fehlte

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Dass der eine oder andere Eintrag vermisst werde, sei bei solchen Projekten unvermeidlich, so eine Rückmeldung auf unsere mit viel Liebe überschüttete, aber gleichzeitig auch heiß diskutierte Liste der »100 wichtigsten österreichischen Popsongs«. Welche das konkret sein könnten, haben wir zehn BranchenkollegInnen gefragt.

Als ein »Monumentalwerk der Liebhaberei« beschrieb unser ehemaliger Kollege Thomas Spitzer die Liste der »100 wichtigsten österreichischen Popsongs«, die unter dem Kürzel »AustroTOP« die letzte Ausgabe von The Gap füllte. Wir hätten die »wohl vollständigste und akkurateste Geschichte des Austropop« in Listenform gebracht, zeigte sich Ink-Music-Mastermind Hannes Tschürtz beeindruckt. Und es sei »genau die Art von Eskapismus, die wir in Zeiten des kollektiven Hausarrests brauchen«, meinte Oliver Lehmann, Journalist und Organisator des Wiener Balls der Wissenschaften. Aber natürlich war uns bewusst, dass eine Liste wie die unsere nicht nur Lob, sondern eben auch Diskussionen auslösen würde, ja, eigentlich sogar auslösen sollte. Zum einen schleichen sich bei einem Projekt dieser Dimension fast unvermeidlich Fehler ein – sorry, Herr von Goisern, sie sind natürlich kein Kärntner, und, ja, liebe aufmerksame KollegInnen der Falter-Fehlleistungsschau »Welt im Zitat«, die Objektifizierung von Frauen war gemeint, nicht deren Objektivierung. Und zum anderen, noch wesentlicher: Irgendwas fehlt natürlich immer. Die Diskussion darüber wollten wir auch für unsere LeserInnen abbilden, weshalb wir zehn KollegInnen aus der Musik- und Medienbranche um je einen dieser »übersehenen« Einträge gebeten haben. In diesem Sinne: Zehnmal geht’s noch! P. S.: Nicht nur so manchen Song haben wir vernachlässigt, sondern auch die Würdigung eines Subkulturexperten, der in der Tat – danke für den Hinweis an Gerhard Stöger vom Falter – die Diskussion über österreichischen Pop und seine Geschichte maßgeblich beeinflusst und auch deutliche Spuren in unserer Liste hinterlassen hat: Al Bird Sputnik (alias Al Bird Gore bzw. Al Bird Dirt) mit seinen Trash Rock Archives und seiner Compilation-Reihe »Schnitzelbeat«. Sorry dafür – und: maximaler Respekt!

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Klitclique Der Feminist F€M1N1$T (2016) Zwar ist »Der Feminist F¤M1N1$T« noch zu frisch, um beanstanden zu können, dass er nicht in die The-Gap-Annalen des österreichischen Pop aufgenommen worden ist, aber einer der größten – nennen wir es – Art-Popund Post-Cloud-Rap-Tracks des Landes ist er jetzt schon. Klitclique fassen auf »Der Feminist F¤M1N1$T« zusammen, was alles beim Sexismus der anderen und der eigenen feministischen Praxis schiefläuft. Die Wienerinnen G-udit und $chwanger verbinden ihre Jahre an Untergrund-Battle-Rap- und artsy Bobo-­Szenen-Erfahrung, um im DissTrack gegen jede und jeden zu deklarieren: Ihr seid alle Arschlöcher, aber wir sind’s leider auch ein bissi. ­Dalia Ahmed (Radio FM4)

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Leena Conquest & Hip Hop Finger Boundaries (1993) Natürlich könnte man unendlich Rosinen aus dem Katalog von EAV, Ja, Panik oder Garish picken – all diese prägenden Namen sind aber zumindest mit einem ihrer Songs in der TheGap-Liste vertreten. Natürlich müsste man Hansi Lang und Arik Brauer, vielleicht auch Kottans Kapelle hineinreklamieren – es ist ein herrliches, endloses Spiel, für das man Danke sagen sollte. Letztlich habe ich mich aber zwischen zwei Songs entscheiden müssen, die mich in frühen Jahren auf unterschiedliche Art geprägt haben: »Der Bundesbahn-Blues«, als der eine, hat mich als Kind Helmut Qualtingers Humor nähergebracht. Kaum hatte ich Qualtinger kennengelernt, war er (1986) schon viel zu früh verstorben. Der andere aber öffnet dem Teenager-Ich 1994 gleich eine ganze Welt: »Boundaries« von Leena Conquest & Hip Hop Finger tanzt mitten zwischen dem groß aufblühenden Hip-Hop und den ersten zarten Knospen der »Wiener Schule« – und plötzlich klingt Wien wie eine Weltstadt. Für den im burgenländischen Hinterland aufgewachsenen, gerade aufzulegen beginnenden Hannes eine Offenbarung! Der selige Demon Flowers und Rodney Hunter produzieren – und reiten auf dem Rücken eines genialen Funk-Samples aus den 70ern (»Stop The Rain« von der Average White Band) bis in die US-Charts. Zwei Jahre später sollte ich in Wiesen anheuern und in der JazzHochburg fast täglich Aha-Erlebnisse zu Musikgeschichte und Jazz-Samples haben. Hannes Tschürtz (Ink Music)

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Drahdiwaberl Mulatschag (1985) Vor 35 Jahren erschien »Mulatschag« als Vorabsingle zu »Jeannys Rache«, dem vierten Album der Band rund um Stefan Weber. Die Anspielung auf Falco war amikal, zupfte er doch fünf Jahre lang für die Combo den Bass und veröffentlichte ursprünglich auf deren Debütalbum seine erste Single »Ganz Wien«. Die wohl wichtigste österreichische MusikTalentschmiede neben der Hallucination Company galt als einer der besten Live-Acts des Landes und hatte sich bis dahin schon viele Auftrittsverbote erspielt. Denn Drahdiwaberl waren für ihre derben Bühnenshows inklusive Gruppensex und fliegende Nahrungsmittel bekannt. Selten war daher ein Song so Programm wie »Mulatschag« (aus dem Ungarischen: besonders ausgelassenes Feiern). In den Charts zwar mäßig erfolgreich, hat sich dieser Kracher mit seiner antreibenden Hookline – ebenso wie Mastermind Stefan Weber – unwiderruflich ins kollektive Musikgedächtnis Österreichs eingebrannt. Alice Cooper, Marilyn Manson, Gwar – alles Pipifax gegen die wahren und einzigen österreichischen SchockrockerInnen. Markus Höller (Magazin Wiener)

Ein Popsong ist ein Popsong ist ein Popsong. Ein guter Popsong geht darüber hinaus – er muss etwas transportieren, verdichten und auf den Punkt bringen, was jenseits reinen Zeitvertreibs und modischer Gefälligkeit existiert. Und ein exemplarisch guter Popsong, bei dem das zentrale Stichwort »Relevanz« lautet, rangiert nochmals eine Ebene höher. Insofern war ich doch erstaunt über die The Gap-Auflistung der »100 wichtigsten österreichischen Popsongs«, weil da ein immergrünes, epocheprägendes, tatsächlich enorm relevantes Stück hiesiger Populärkultur gänzlich fehlte: »Keine Angst« von Hansi Lang. Das geht freilich nicht. Ich kann es nur einem Generationen-Shift zuschreiben, eine solche Hymne der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts und ihren Urheber und Interpreten nicht ungebrochen in den Ganglien vorrätig zu haben. Dabei ist dieses aus heutiger Sicht relativ formatradiountaugliche, disparate Austro-New-Wave-Eckstück (das eigentlich zwei Kompositionsbrocken recht zackig unter einen Hut zwingt) aktueller denn je. Der Refrain-Schlachtruf stand tatsächlich einst auf vielen Mauern dieser Stadt, manche Graffiti sind noch nicht verblichen. »Es gibt ein tiefes Bedürfnis des Publikums nach deutschsprachigen Liedern, die intelligent, aber auch ehrlich sind«, erläuterte einmal Marco Michael Fitzthum (Wanda) seine Liebe zu Falco und Hansi Lang. »Uns schmeichelt der Vergleich.« Einer tiefer reichenden Mythologisierung bedarf es nicht. Walter Gröbchen (Monkey Music, Schallter Audio & Records)

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Hansi Lang Keine Angst (1982)

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Rucki Zucki Palmencombo Südseeträume (1982)

Steaming Satellites How Dare You! (2011)

STS Großvater (1985)

»Er hat viel zu wenig Geld, dass er hinaus kommt in die weite Welt«, sang Bernhard Tragut mit einer leichten Brise Kapitalismuskritik über den vom Fernweh gepackten Rudi, den Protagonisten seines Songs. Großer Pop schöpft aus der Ambivalenz von Sehnsüchten und Realitäten (»Südseeträume sind auch nur Schäume, drum bleibt Rudi zuhause«, sagt der Refrain) und »Südseeträume« ist ein Lehrstück dafür. Die Single – wie die erste LP »Ruck ’n’ Zuck!« produziert von Wilfried – ist bis heute erfrischend punkig und unverstellt. »Das rechne ich ihm hoch an, der hat uns einfach so aufgenommen, wie wir waren«, sagt Bernhard Tragut, der später Bassistin Gabi Kirsch heiratete (Drums: Ronnie Urini). Das One-Hit-Wonder eines Sommers gab ihnen allen recht – der Song schaffte es bis auf Platz 6 der Charts und hat auch 2020 nichts von seinem Charme und zum Tanzen animierenden Ungestüm verloren. Die Rucki Zucki Palmencombo macht mit den Traguts als Kern seit 2000 wieder – lässige! – Musik. Rainer Krispel (Musikarbeiter und Autor)

Das Salzburger Land und die sogenannte Mozartstadt haben bekanntlich einiges zu bieten. Beim genauen Hinsehen bzw. Hinhören gibt es noch ganz andere Kulturschätze als Mozart (der insgeheim alle SalzburgerInnen nervt), wie zum Beispiel die Steaming Satellites. 
Als gebürtige Salzburgerin kann ich mich nur zu gut an den Moment erinnern, als ich zum ersten Mal »Das finstere Tal« (Regie: Andreas Prochaska) gesehen habe – und dann beginnt, in einer entscheidenden Szene, dieses unglaubliche Lied. »How Dare You!« unterstreicht die ohnehin pointiert erzählte Geschichte auf einer geschickt eingeflochtenen auditiven Ebene und stellt für mich auch viele Jahre später einen der gelungensten Syncs der heimischen Kinogeschichte dar. Es ist einer dieser Songs, die es schaffen dich ins eigene Kopfkino zu transportieren und sowohl Melancholie als auch eine gewisse Aufbruchsstimmung zu vermitteln. 
Der Track ist übrigens keine Ausnahme – davon kann sich überzeugen, wer sich durch das gesamte künstlerische Schaffen der Band hört. Lea Spiegl (Lehrgangsleiterin »Music Business«, SAE Institute Wien)

Wahnsinn, was alles in diesem Song steckt! Verrat und Vergebung. Krieg und Pazifismus. Angst und Furchtlosigkeit; eine sentimentale Mischung aus Weisheit, Alltags- und Weltkriegsbewältigung. Auch wenn viele vielleicht nur »Großvater!« Im Ohr haben, die Anrufung des längst Verstorbenen im Refrain. Doch wer Thomas Bernhard gelesen hat, wird bei einem ausformulierten Stoßseufzer wie »Kaunnst du ned owakumman auf an schnölln Kaffee« und »I möcht da so vü sogn, wos i erst jetzt versteh« auch an dessen Sentenz »Die Großväter sind die Lehrmeister« denken. Verständnis für die Mutter (eine geforderte Alleinerzieherin) wird da in der Erinnerung vom Besungenen eingefordert; gleichzeitig spendet dieser selbst Trost und Beistand. Ein Jahr vor der Waldheim-Debatte differenziert Gert Steinbäcker (selbst 1952 im lange über das Kriegsende hinaus nationalsozialistisch geprägten Graz geboren): Da war einer im Krieg und trotzdem kein Böser. Kann sogar Vorbild sein. »Wann du vom Kriag erzählt host, wie du am Russn Aug in Aug gegenüba gstanden bist. Ihr hobt’s eich gegenseitig an Tschik anboten, die Hand am Abzug hat zittert vor lauter Schiss.« Ganze Generationen haben diesen Großvater auf ihren eigenen projiziert, vermutlich als »Was wäre wenn?«. Denn wieviele Großväter haben schon wirklich vom Krieg erzählt? Thomas Weber (Biorama, ehem. Herausgeber The Gap)

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Wipeout I’m In Good Shape So I’m Fine (2002)

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Jugo Ürdens Yugo (2018) Manche können ihn schon riechen, sobald sie die vier Buchstaben sehen: den Yugo. Das Auto. Aus der Feder von Jugo Ürdens. Man kann auch mit der »Mona Lisa der schlechten Autos« der Größte sein, denn der Yugo glänzt und fährt. Bringt einen aufs Donauinselfest, wo das Publikum den Refrain lauthals mitsingen kann. Der Rapper und Producer mit mazedonisch-serbischen Wurzeln lebt seit Anfang der Nullerjahre in Wien, wächst in der Nähe der Manner-Fabrik auf – was auch das spätere Artwork seiner Single »Dies Das« erklärt. Rosa Zuckerguss fließt über sein Gesicht. Mit dem Track »Österreicher« macht Jugo Ürdens 2017 auf sich aufmerksam und besingt die Bedeutung eines rot-weiß-roten Reisepasses. Hier erwähnt er erstmals einen Zastava, der in der Tiefgarage parkt. Ein Jahr später dann das Debütalbum, benannt nach dem berühmtesten fahrbaren Untersatz des ehemaligen Jugoslawien. »Maurice hat seinen Lambo« und Jugo Ürdens also seinen Yugo. »Rumprahlen mit dem, was man hat. 45 PS, aber Autobahn – gib ihm!«, meint der Musiker im Interview über dieses musikalische Denkmal. Wer vom Yugo nicht genug hat: Es empfiehlt sich das Album mit seinem leicht melancholischen Grundtempo in voller Länge zu hören: Ob hinterm Steuer, als BeifahrerIn oder zuhause beim »Fifa«-Spielen, ist egal. Susi Ondrusova (Radio FM4)

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Wilfried Ziwui, Ziwui (1974) Im oberösterreichischen Bad Goisern geboren zu werden, ist Rock-’n’-Roll-technisch betrachtet ein Standortnachteil, der sich im Falle des Wilfried Scheutz zusätzlich über einen Schulkameraden namens Jörg Haider manifestierte. Doch während der eine an der Kleingeistigkeit bis in die finale Kurve festhielt, ergab sich der andere der wilden Musik aus dem Radio. Die vermischte er mit jener Sprache, die er als Kind einer Wirtin tagtäglich im Gasthaus hörte. 1974 zeitigte diese Mischkulanz das Lied »Ziwui, Ziwui«. Es ist der einzige Top-Ten-Hit der Welt, in dem das Wort »Zechenkas« vorkommt. Wilfried wurde damit zu einem der ersten Protagonisten des Austropop, eine Zuschreibung, die er hasste. »Ziwui, Ziwui« klingt heute noch exotisch, so als wären CCR auf einem Bad Trip hängen geblieben. Die verwegene Kreuzung aus Rock und Landler-Geigen war ein Zeichen der Selbstbemächtigung im Sinne der Überwindung des provinziellen Miefs, ohne eine falsche Herkunft vorzutäuschen. Der Song strotz vor Kraft und Irrsinn, dem Treibstoff jeder anständigen und unanständigen Befreiungsmusik. Karl Fluch (Der Standard)

»One, two, three, four, five, six, seven / Still not in pop star heaven.« Vier Minuten und zehn Sekunden, die das MusikerInnendasein gnadenlos in lieblichen Melodien widerspiegelt. Die Linzer Elektro-Pop/Techno-Forma­ tion Wipeout – rund um Didi Bruckmayr und Wolfgang »Fadi« Dorninger – hat schon Anfang der Nullerjahre mit diesem Lied alles gesagt, was zu sagen war und ist. Und die beiden machen trotzdem weiter. Weil sie nicht anders können, und wohl auch wollen. Und sie tun gut daran. Erfinden sich immer wieder neu, lassen sich antreiben und begeistern. Machen das, was sie seit vielen Jahren machen: Musik auf höchstem Niveau. Aber zurück zum Lied und warum es in die AustroTOP-Liste gehört: Wie schon geschrieben, spiegelt es das vermeintliche Popstar-Leben in Österreich (und wohl auch im Rest der Welt) wider. Der Refrain beißt sich in jenen Stellen deines Gehirns fest, die wohl für die emotionale Verarbeitung von Tönen zuständig sind. Es braucht keinen zweiten Durchlauf, um mitzusingen, zu wippen und zu tanzen. Er hat alles, was ein guter Popsong für mich braucht – bis auf den verdienten Erfolg. Melodien, die dich reinziehen, Beats, die dich tragen, und alles nicht zu heavy. Und wenn man es wie Bruckmayr schafft, 18 Jahre nach Veröffentlichung eines Songs seinem Spiegelbild mit erhobenem Haupt einen der tragenden Sätze daraus vorzusingen, dann hat man alles richtig gemacht. Chapeau, Herr Bruckmayr, »you’re in good shape, so you’re fine!« Dominik Uhl (Noise Appeal Records)

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Die Corona-Krise und die wegen ihr getroffenen Maßnahmen machen es Musikschaffenden aktuell unmöglich, ihren Haupttätigkeiten – nämlich Konzerte zu spielen, gemeinsam face to face zu musizieren oder Unterricht zu geben – nachzugehen. Sie sind angehalten, wie alle anderen auch, soziale Distanz zu wahren. Das bedeutet aber nicht, dass man nicht trotzdem gemeinsam Musik machen und an Produktionen arbeiten kann. Rainer Praschak von mica – music austria hat hier ein paar nützliche Dienste aufgelistet, die das Zusammenarbeiten übers Internet ermöglichen und erleichtern. ———— Vorab etwas Grundsätzliches, und zwar zum Thema Datenschutz: Bei der Verwendung von Web-Tools gilt es zu bedenken, dass Dienste, deren BetreiberInnen sich innerhalb der EU befinden, strengeren Gesetzen der Datenschutzverordnung unterliegen als andere. Dienste von AnbieterInnen außerhalb der EU sind daher stets mit größerer Vorsicht zu betrachten, da deren Geschäftsmodell, vor allem im Free-Use-Bereich, meistens auf die Sammlung und Indizierung jeder Art von NutzerInnendaten in Verbindung mit der Monetarisierung selbiger hinausläuft.

Die gemeinsame Jamsession Durch die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 sind neben den abgesagten Veranstaltungen auch die Möglichkeiten zum gemeinsamen Musizieren, für Proben oder einfach nur für Sessions sehr eingeschränkt. Hier empfiehlt es sich, die aktuellen Entwicklungen – im Speziellen die Situation mit Proberäumen und anderen Orten zur kreativen Entfaltung – zu beobachten. Kein Online-Service kann die Emotionen und die Stimmung ersetzen, die beim gemeinsamen Musizieren in einem Raum entstehen. Es existieren einige Dienste, die es ermöglichen, auch in der Zeit der Isolation gemeinsam zu

Die Zahl der Apps, mit denen gemeinsam an Projekten gearbeitet werden kann, wird immer größer. musizieren und sich mit anderen Musikschaffenden digital zu vernetzen. Die meisten Dienste, die wir zur alltäglichen Kommunikation verwenden, sind wegen zu hoher Latenz (Verzögerungszeit des Datenaustausches) ungeeignet. Voraussetzung für die gemeinsame Jamsession im Internet sind eine gute Qualität und die ausreichende Schnelligkeit der Datenverbindung, um tatsächlich in Echtzeit miteinander Musik machen zu können. Eine schnelle stabile Internetverbindung, idealerweise eine Standleitung (LAN), das entsprechende Programm und an den Computer angeschlossene Instrumente sind notwendig, um loszulegen. Die bekanntesten Plattformen sind Jam Kazam, Sofasession und Jammr. Jammr bietet wirklich nur das Notwendigste an, aber das funktioniert sehr gut. Sofasession wird direkt aus dem Browser bedient und der Funktionsumfang ist wesentlich größer als bei Jammr. Es gibt eine aktive Community und mittels sozialer Funktionen kann es sein, dass man sich plötzlich in einer Session mit anderen Musikschaffenden aus den unterschiedlichsten Ländern befindet. Ähnliche Funktionen und Möglichkeiten bietet Jam Kazam. Die anderen MusikerInnen werden per Videostreams nicht nur gehört, sondern auch gesehen. Die meisten Plattformen bieten an, dass die Musik – auch als Einzelspuren – gespeichert und im An-

Special Being a Band

schluss gemeinsam weiterbearbeitet werden kann. Für MusiklehrerInnen bietet JamKazam auch eine eigene Online-Plattform namens »Jam Class« speziell für den OnlineUnterricht. Auch Doozzoo ist eine spezialisierte Lösung für Online-Musik-Unterricht. Wer größeren Aufwand nicht scheut und technikaffin ist, kann mit Hilfe von Open-Source-Software virtuelle Sessions selbst hosten. Die Ergebnisse mit Open-Source-Programmen wie Jamulus oder Jamtaba sind oft zufriedenstellender als bei Jam Kazam und den anderen Apps bzw. Diensten. Anleitungen und Informationen sind im Netz leicht auffindbar.

Livestreaming Livestreams aus der Wohnung oder der leeren Location sind momentan eine der wenigen Möglichkeiten, ein weitaus größeres Publikum als die Familienmitglieder oder die MitbewohnerInnen zu erreichen. Dienste wie Caffeine, Crowdcast, Moment House, StageIt oder Streamlabs bieten Features an, mit denen Tickets oder Abonnements für Livestreams verkauft werden können. Mit Broadcasting-Programmen wie Restream oder OBS Studio können Livestreams zeitgleich auf verschiedenen Plattformen wie Twitch, Facebook, Youtube oder Mixer verbreitet werden.

Kollaborative Software für DAW-BenutzerInnen Plug-ins wie Steinberg VST Connect für Cubase oder Avid Cloud Collaboration für Pro Tools bieten die Möglichkeit, auch online mit der gewohnten Produktionssoftware/Digital Audio Workstation (DAW) zu arbeiten. Diese Tools eignen sich hervorragend, um an entfernten Standorten gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten und beinhalten auch die Möglichkeit über Video zu chatten.

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Musikmachen in Zeiten von Corona Die wichtigsten Online-Tools

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Pibox Music wiederum wurde speziell für die Zusammenarbeit mit anderen MusikerInnen entwickelt. Live-Chat, Screen-Sharing, Kommentare mit Zeitstempel und die Historie der Mix-Versionen sind nur einige Beispiele für die Möglichkeiten, die der Dienst bietet. Die Plattform ist zudem ein geeigneter Ort, um sich mit MusikerInnen aus anderen Erdteilen und Genres zu vernetzen.

Avid stellt – wie viele andere AnbieterInnen auch – in der aktuellen Situation seine Angebote vergünstigt oder für einen bestimmten Zeitraum kostenlos zur Verfügung.

Kollaborative Plattformen und Apps zum Musikmachen

MusikerInnensuche

File-Sharing-Dienste File-Sharing-Dienste wie Dropbox, We­ transfer und Google Drive werden von vielen Musikschaffenden und ProduzentInnen genutzt und eignen sich gut zum Teilen von Projekten. Bounce Boss erleichtert den Austausch von Audiodateien mit anderen über das Internet. Es ist damit zwar keine Echtzeit-Kollaboration möglich, man kann dem virtuellen Gegenüber jedoch Kritik und Feedback hinterlassen. Außerdem kann man verschiedene Versionen eines Tracks hinterlegen, um diese zu vergleichen. Pibox Music und Splice gehen dabei noch ein Stück weiter. Splice Sounds ist die vielleicht größte Sammlung benutzergenerierter Samples und Loops im Internet. Man kann seine DAW-Projekte mit dem Studio-Feature von Splice speichern. In der Community kann man mit anderen NutzerInnen zusammenarbeiten und Projekte austauschen. Es gibt auch die Möglichkeit, an Remix-Wettbewerben auf der Plattform teilzunehmen.

Diese Plattformen sind für alle interessant, die nach professionellen MusikerInnen, TontechnikerInnen für Mixing und Mastering oder anderen Music Professionals suchen, um sie für die Mitwirkung am eigenen Projekt zu gewinnen. Soundbetter ist ein Marktplatz, um Dienstleistungen – wie z. B. Mixing oder Mastering – von etablierten ProfessionistInnen zu erwerben. Tunedly ist vernetzt SongwriterInnen, SängerInnen und andere Musikschaffende mit Session-MusikerInnen. Ähnliche Angebote sind auch auf den Plattformen Air Gigs, Studio Pros, Audiu oder Melboss zu finden. Rainer Praschak

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Die Zahl der Apps, mit denen gemeinsam an Projekten gearbeitet werden kann, wird immer größer. Eine einfach zu bedienende kollaborative Plattform ist Soundtrap (im Besitz von Spotify), eine robuste, moderne DAW, die vollständig online läuft. Ursprünglich zum Erstellen von Podcasts gedacht, ist dieser Dienst, der über ein Abo-Modell bezahlt wird, eine einfache Lösung, um Musik aufzunehmen und Beats zu produzieren. Soundtrap ist browserbasiert mit einer leicht verständlichen Benutzeroberfläche und so für AnfängerInnen und gelegentliche NutzerInnen ein guter Einstieg. Eine andere Online-DAW mit mehreren Millionen Usern ist BandLab. Es wird damit geworben, MusikerInnen ein komplett kostenloses Rundum-sorglos-Paket für Laptops, Tablets und Smartphones anbieten zu können. Trackd ist eine weitere kostenlose Social-Music-App (für iOS-BenutzerInnen) mit angeschlossener Community, die »schnelles, einfaches und hochgradig kollaboratives« Musizieren in Echtzeit ermöglicht. Bei Soundstorming, ebenfalls eine App, kann man zwar nicht in Echtzeit miteinander Musik machen, aber eine globale Community von MusikerInnen kann sich einbringen, brainstormen und an den hochgeladenen Songs mitarbeiten. Kompoz wiederum ist ein soziales Online-Netzwerk, das für Musikschaffende entwickelt wurde, um Songs mit anderen MusikerInnen aus der ganzen Welt zu erstellen. Seit über einem Jahrzehnt wird in diesem Netzwerk über Werke diskutiert, Feedback eingeholt und an gemeinsamen Projekten gearbeitet.

Sämtliche Links zu den angesprochenen Services sowie weitere Beiträge zum Thema sind unter www.thegap.at/being-a-band zu finden. Dieser Artikel ist Teil einer ContentPartnerInnenschaft mit mica – music austria. Das österreichische Musikinformationszentrum ist dein professioneller Partner bei allem, was mit Musikschaffen in Österreich zu tun hat. Hier gibt es kostenlose Beratungen und Tipps von ExpertInnen, die dabei helfen, sich im Musik-Business zurechtzufinden.

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Workstation Menschen am Arbeitsplatz Alex Gotter

Emily Staats

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Mavi Phoenix & Alex The Flipper Vor nicht allzu langer Zeit haben Mavi Phoenix und Alex The Flipper hier in Alex’ Studio in Linz noch gemeinsam an Mavis Album »Boys Toys« gearbeitet. Um gute Musik machen zu können, ist für Mavi aber Vertrauen zu den Leuten in seiner Umgebung viel wichtiger als der eigentliche Ort – Alex The Flipper ist nicht nur sein Produzent, sondern auch ein sehr enger Freund. Als »Boys Toys« das Licht der Welt erblickte, war das eine Welt ohne Konzerte, erst recht ohne Tour. »Während des Lockdowns habe ich wieder selber Songs from scratch produziert, Gitarre geübt. Im Nachhinein eine sehr schöne Erfahrung für mich. Trotzdem kann ich’s kaum erwarten, wieder live zu spielen«, sagt Mavi. Sein Studio bewahrte Alex The Flipper vor Homeoffice-Struggles und blieb tägliche Konstante. »Der Lockdown war für mich, rein künstlerisch betrachtet, eine Art Chance für mehr Fokussierung. Mein Alltag wurde eigentlich noch simpler. Frühstücken, ins Studio gehen und Dinge ausprobieren, für die ich mir sonst keine Zeit genommen hätte«, erzählt Alex.

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Beyza Demirkalp & Ezgi Atas Als das Pop-Duo Aze haben Beyza und Ezgi im Winter ihre erste Single »Visions« veröffentlicht. Ein gutes Team sind die Musikerinnen auch abseits des Produzierens und Schreibens – AZE sind beste Freundinnen und leben zusammen mit Mitbewohnerin Lilli in ihrer Wiener WG. Schon bei einem Song wie »At Home« schimmert durch, dass ihnen Orte – als harmonisches Zuhause genauso wie als Gefühl – wichtig sind. »Egal, ob in der Küche oder im Schlafzimmer, solange wir fühlen, an welchem ›Platz‹ die andere war, als die Musik entstand, gibt es Potenzial, ein gutes Lied zu schreiben«, erklären sie. Im Lockdown haben es Beyza und Ezgi genossen, mehr Zeit füreinander und für neue Musik zu haben. »Alles kommt, wie es muss, wir holen das Beste aus dieser Zeit heraus«, ist ihre Einstellung, obwohl es besonders hart ist, Releases und Shows mit einem ungewissen »tba« (kurz für: to be announced) zu versehen, wenn man wie sie am Anfang seiner Reise steht. Für die Zukunft haben Aze jedenfalls schon einiges geplant. Die nächste Single steht bereits in den Startlöchern.

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MusikerInnen im Corona-Lockdown – fotografiert über Videokonferenz


PROSA — MERCEDES SPANNAGEL

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Mercedes Spannagel zählt zu den spannendsten AutorInnenstimmen unter 30. Ihre Kurzgeschichte »Die Touristin« zeigt einmal mehr warum. In ebenso rasanter wie elegant, knapper Sprache, bringt die 25-Jährige die aufgeladene Atmosphäre einer Reise durchs gelobte Land zu Papier. In zwölf Einträgen kreiert sie einen subtil witzigen Roadtrip zweier Frauen, bei dem ausgerechnet ein Katzenbaby zum Katalysator latenter Pärchensticheleien wird.

DIE TOURISTIN 1. Sef hatte die Hände am Lenkrad und eine Zigarette im Mund. Ich hatte ein Katzenbaby auf meinem Schoß und fragte mich warum. Sef sagte, dass es sonst in seinem Kä­ fig in dem Tiergeschäft verreckt wäre. Ich sagte, dass Kat­ zen dafür verantwortlich gewesen seien, dass ich fast ver­ reckt sei, weil ich früher eine Katzenhaarallergie gehabt hatte, daher komme auch meine Beziehungsunfähigkeit. Und Sef fragte bei 120 km/h: Deine menschliche Bezie­ hungsunfähigkeit?

2. Wir fuhren den King’s Highway durch die Steinwüste. Ich kurbelte das Fenster ein wenig hinunter und musste we­ gen all dem aufgewirbelten Staub niesen. Das Katzenbaby erschreckte sich, ich lachte. Sef sah mich an, aber ich sah ihre Augen hinter der Sonnenbrille nicht. Der Himmel, unter dem wir fuhren, war sehr blau, die Berge in der Fer­ ne auch. Das Katzenbaby hatte sich noch mehr in meine Kleidung gekrallt und sah dann trotz wildem Herzschlag eher leblos aus.

ner oben gewesen sei, nachdem ich ausgerufen hatte: Was, das ist das Land deiner Eltern, und du warst noch nie im Toten Meer?

5. Ich erzählte von dieser irrsinnigen Begeisterung und Befrie­ digung, die ich seit meiner Kindheit kannte, wenn man das Meer endlich sah. Wir bogen auf die Straße, die direkt an diesem arg blauen Meer entlangführte. Sef sagte: Ich habe gehört, du hältst es nur fünf Minuten in diesem Salzwasser aus. Danach musst du dir das Salz sofort abwaschen. Sonst wirst du zu einer Salzsäule wie die Frau des Lot. Ich sagte, dass ich mich mit griechischer Mythologie nicht auskennen würde, aber dass ich mir sicher nicht das Meer schlecht­ reden lasse von irgendeiner mythologischen Geschichte.

6.

4.

Wir saßen im Sun Set Restaurant der Hotelanlage beim Abendessen. Ich kostete für das Kätzchen das Fleisch vor, es war Leber. Nachdem ich kurz dachte, ich müsste mich übergeben, es aber nicht tat, begann ich Sef zu erklären, dass im Endeffekt niemand gerettet worden sei, dass sie nämlich mit dem Kauf des Kätzchens bloß das System unterstützt hätte. Ein Hotelangestellter kam zu unserem Tisch und sagte etwas zu Sef, worauf sie antwortete I don’t speak Arabian, worauf er aufs Kätzchen deutete und sie sagte Milk und er nickte und ging. Ich fragte, was er ihr gesagt hatte vorhin. Und Sef lehnte sich vor und sagte: Er hat gesagt, dass meine Freundin die Klappe halten solle mit ihrer scheiß Alles-oder-nichts-Einstellung.

Nachdem wir uns beim Fahren abgewechselt hatten, hat­ te Sef die nackten Füße am Armaturenbrett, Datteln im Mund, die Kerne spuckte sie aus dem Fenster. Sef fragte mich, ob ich schon einmal am beschissenen Großglock­

In der Früh schob ich den Vorhang der Dusche auf die Seite und schaute durch die Glaswand auf das Meer. Das

3. Ich sagte, dass ich tanken würde, hatte bereits einen Fuß auf dem Asphalt, als ein Mann zur Zapfsäule kam. Auf seiner Jacke stand Jo Petrol und er übernahm ganz selbst­ verständlich, sagte grinsend OK und dabei hatte er eine Zigarette im Mund. Ich lehnte mich zurück und sagte zu Sef: Na schau, in welche Gefahr du das Kätzchen bringst.

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Meer ist tot, sagte ich, da liegt es. Sef zog sich hinter mir den Pyjama aus, kam zu mir, nahm mir die Duschbrause aus der Hand. Sie fragte: Heißt du Nietzsche? Sie ließ das erste, noch kalte Wasser auf meine Füße rinnen.

8.

9. Wir wollten die in steingemeißelte Schatzkammer sehen. Als wir mit einem Schwall deutscher Pensionisten aus dem Canyon vor das Monument gespült wurden, deutete Sef auf einen weißen alten Mann mit Safari-Hut und sag­ te: Ist das nicht einer von unseren Politikern, der immer gegen muslimische Flüchtlinge hetzt? Ich sagte: Ich glaube, das ist Indiana Jones.

10.

Mercedes Spannagel geboren 1995 in Wien, lebt in Wien und erhielt u. a. den Rauriser Förderungspreis 2017. Vor zwei Jahren gewann sie den FM4Wortlaut-Kurzgeschichtenwettbewerb und 2019 wurde sie mit dem Manfred-Maurer-Literaturpreis ausgezeichnet. Ihre Texte erschienen bis dato in Literaturzeitschriften und Anthologien, ihr Romandebüt soll voraussichtlich im Herbst 2020 folgen.

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Anschließend wanderten wir durch steiniges Gebiet. Manchmal gingen wir zwischen Zelten und Ziegen. Et­ was von uns entfernt ging eine Frau ein paar Schritte vom Zelt weg und hob das lange Gewand, sie trug eine lange Hose darunter, sie schaute kurz in unsere Richtung, als sie sich daranmachte, ihre Hose hinunterzuschieben. Wir schauten schnell weg, aber Sef sagte dann, dass sie das richtig finde, dass mehr Frauen in der Öffentlichkeit aufs Klo gehen sollten, dass die Hockposition außerdem viel natürlicher sei, dass die entwickelte Welt uns zur Unnatürlichkeit zwinge. Ich hob die Augenbrauen so hoch, dass mir die Sonnenbrille von der Nase rutschte.

Es war schon dunkel, unter dem Licht einer Straßenla­ terne wühlte eine Katze in einer Mülltonne, und als wir vorbeigingen, hob sie den Kopf und schaute uns an mit ihrem übriggebliebenen Auge. Iiih, sagte ich und drückte das Kätzchen näher an mich.

11. Der Hotelangestellte schenkte uns süßen Salbeitee nach, sagte Mmmmh und fragte das Kätzchen: And what do you want to become when you are older? Und das Kätz­ chen sagte: Miau. Ja, mmmh, sagte er, I see, you will be­ come a lion.

beigestellt

12. Daraufhin spielten wir am nächsten Tag »König der Löwen« nach, als wir einen Berg bestiegen hatten. Ich hielt das Kätzchen in die Höhe. All das, sagte ich, gehört dir. Uns war klar, dass wir uns vom Kätzchen trennen mussten, aber wer wollte schon darüber reden. Natürlich, sagte Sef, wäre es was anderes, wenn ich hier aufgewach­ sen wäre, aber jetzt bin ich bloß eine Touristin. Ich sagte, dass das sehr spannend sei, diese ganzen Identitäts- und Heimatgeschichten, aber dass ich dringend aufs Klo müsse. Aber hier? Unsere haben eh schon genug Menschen gesehen, sagte Sef, also ging ich beruhigt um den Felsen, hockte mich hin und zeigte der kargen Landschaft meine Vulva.

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ORF. WIE WIR.

AUS DEM ORF RADIOKULTURHAUS

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im Videostream:

DER NINO AUS WIEN

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LUKAS KÖNIG & LEO RIEGLER 1

ANKATHIE KOI

3

& NICK RATTERTON

IGUDESMAN & JOO

JOSEF HADER radiokulturhaus.ORF.at

5 4 1 HYLO EYE CARE® Augenbefeuchtung Web-Meetings, Binge Watching, always on – unsere Arbeits- und Lebensgewohnheiten werden zurzeit regelrecht auf den Kopf gestellt. Wir verbringen außergewöhnlich viele Stunden pro Tag am Laptop, am Handy oder mit Fernsehen. Für unsere Augen ist dies eine echte Herausforderung. Augenbefeuchtung spielt daher eine wichtige Rolle. Die HYLO EYE CARE® Produkte von Ursapharm unterstützen euch dabei. Wir verlosen 20 Gewinnspielpackages bestehend aus je 5 x HYLO CARE® Augentropfen, 1 x Posiforlid Augenmaske und 10 x Traubenzucker.

klopapier gehamstert?

2 Lady Gaga »Chromatica« Allerspätestens mit »Rain On Me« (mit Ariana Grande) machte Lady Gaga die ganze Welt kirre vor Vorfreude auf ihr neuestes Album. Seit 2013 hat sich Stefani Germanotta von ihrem campy Over-the-Top-Image stückweise entfernt, bis sie uns nun mit »Chromatica« ein vom Rave-Pop der 90er und Disco-Sound der frühen 80er inspiriertes Album liefert, auf dem auch Elton John Platz findet. Wir verlosen 3 Exemplare der Vinylversion des Albums.

Hygienepapiere haben einen Anteil von rund 10 % an unserem Papierverbrauch. Ein Großteil der europäischen Zellstoffimporte kommt aus Lateinamerika. Neue Holzplantagen entstehen vor allem dort, wo zuvor Regenwald war.

lektüre vergessen?

3 »Mind The Gap« Nach »Bauer unser«, mit dem Robert Schabus die Probleme der Landwirtschaft kritisch und präzise in den Blick genommen hat, widmet sich der Regisseur mit »Mind The Gap« nun jener Kluft, die unsere Gesellschaft in GewinnerInnen und VerliererInnen teilt. Dass die Abgehängten schnell auch ihr Vertrauen in die Politik verlieren, birgt letztlich große Gefahren für die Demokratie. Ein Film wie ein Weckruf. Wir verlosen 3 DVDs.

4 »7500«

kurzabo 3 × bioRAmA

10,–

– klimafakten in perspektive gesetzt.

Mit »Alles wird gut«, seiner Abschlussarbeit an der Filmakademie Wien, konnte der deutsche Regisseur Patrick Vollrath eine Oscar-Nominierung einfahren. Sein Langfilmdebüt wird deshalb nun von US-Star Joseph Gordon-Levitt veredelt – als Pilot im Ausnahmezustand, der sich gegen Terroristen zur Wehr setzen und in seinem Cockpit folgenschwere Entscheidungen treffen muss. Wir verlosen 2 DVDs und 2 Blu-Rays.

5 »1917« Meisterregisseur Sam Mendes (»American Beauty«, »Skyfall«, »Spectre«) lässt die beiden Soldaten Schofield (George MacKay) und Blake (DeanCharles Chapman) einen Wettlauf gegen die Zeit antreten. »1917« ist ein sogenannter One-Shot-Film – kommt also ohne (sichtbaren) Schnitt aus –, läuft in Echtzeit und stellt die Kriegserfahrung auf äußerst authentische Weise dar. Wir verlosen 1 DVD und 1 Blu-Ray jeweils inklusive Promokit.

biorama wird auf Recyclingpapier gedruckt.

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Rezensionen Musik

Mile Me Deaf

Beate Ponsold

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2017 habe ich in der The-Gap-Rezension zu »Alien Age« geschrieben, dass sich in den Lyrics die »Resignation über die Menschheit bis zu ihrer Ausrottung« steigere. Wolfgang Möstl hat mit seinem damaligen Album das Ende einer Mile-Me-Deaf-Zivilisation beschlossen. Dazwischen warf er eine Archivsammlung mit dem Besten aus seinen Back-ups auf den Markt, doch die »Alien Age«-Dystopie war bis heute das logische Ende einer linearen Erzählung. So sieht das auch der Maestro selbst: »Es ist schwierig, Songs über eine Welt zu schreiben, die du praktisch zerstört hast.« Aber natürlich ist so eine Wiedergeburt auch die ultimative Chance, seine eigene musikalische Identität zu zerdenken. Vor dem ersten Hören kann die neue von Mile Me Deaf also alles sein. Tatsächlich sind die acht Songs auf »Ecco« immer noch eindeutig dem Ursprungsprojekt zuzuordnen – wohl auch, weil im nationalen Musikmarkt wenige diese weirde Spielart von »Indie liebt Pop« ihr Eigen nennen. Doch schon mit der perfekten Symbiose, die die ersten drei Songs im nahtlosen Übergang miteinander bilden, sind wir alle Gläubige der Religion namens: Wolfgang Möstl, der Produzent. In den Jahren zwischen den Alben war Möstl ständig für andere Artists, zum Beispiel Dives und Voodoo Jürgens, im Studio. Und auch wenn seine Songs immer schon ein ganz eigenes Finish hatten, merkt man »Ecco« die zusätzlichen Jahre als Indie-Timbaland Österreichs durchaus an. »To The Outside World« ist derart geschliffener Bop, dass man ihn in seiner austarierten Feinheit zwangsweise lauter drehen muss. Kopfhörer sind im Übrigen bei der ganzen LP empfohlen, um Details wie Panflöten-Sounds auch in ihrer Komplexität erkennen zu können. Wer das Album als Ganzes durchhört, wird keinen einzigen Übergang zwischen diesen acht im besten Sinne repetitiven Songs verspüren. »Ecco« ist aber vor allem als Narrativ die perfekte Lösung für das »Danach« eines Weltuntergangs. Es ist die paradiesische Utopie, die daraus folgen kann. (VÖ: 10. Juni) Theresa Ziegler

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Ecco — Siluh Records

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Rezensionen Musik

Def Ill

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Obwohl der seit 1996 aktive MC, Producer, Labelbetreiber und Community-Initiator Def Ill (aka Ruffian Rugged) mit »Lobotomie« erst sein drittes Album aus der Taufe hebt, sollte das nicht als Trägheit missverstanden werden. Nicht weniger als 19 Releases stehen bei ihm auf der Habenseite, ganz zu schweigen von zahlreichen Gastbeiträgen. »Lobotomie« stellt nun wohl eines der konzeptionell ausgefeiltesten Projekte seines an Ideen überbordenden Katalogs dar. Der Handlungsstrang erstreckt sich über 20 Tracks (plus Bonustrack), wovon der erste und der letzte Hörspielcharakter haben. Wie der Albumtitel unmissverständlich erklärt, ist eine am Protagonisten durchgeführte Lobotomie das zugrunde liegende Thema. Alles beginnt mit seiner Entlassung aus der Psychiatrie, wirren Notizen und einem Tape, das er vortragen möchte, da er dessen Inhalt nicht deuten kann. Was folgt, sind unterschiedliche Perspektiven, defizitäre gesellschaftliche Zustände und persönliche Schilderungen, die durch eine Vielzahl an Skits und Features ergänzt werden. Das eisige Klangbild schafft nicht zuletzt die dafür notwendige schauerliche Atmosphäre. Man ist dazu aufgefordert, Def Ills Kabinett des Wahnsinns zu betreten: »Willkommen in meinem Gehirn!« Der erste Track »Outro« (sic) stellt auf cineastische Weise die Weichen für den weiteren Ablauf. Popkulturelle Referenzen gehen nahtlos in die Musik über, die sich zu in einem rollenden Beatmonster entwickelt. Auf »Codein« vereinen US-Legende Afu-Ra sowie die österreichischen Größen Digga Mindz und Drk Poet als Gäste ihre Kräfte für ein Silbenfeuerwerk. Die offiziell zweite Single »Panamapaperstreet« zieht dahingehend nochmal mehr an und lässt auch Labelkollegen P.tah zu Wort kommen. Bei all der Schwere, wird auch der Selbstironie im Konzept ein zentraler Platz eingeräumt, wie z. B. »Olle schuid« mit Mononbrother beweist. Die Liste an weiteren Mitwirkenden ist lang, was dem Album aber erst seinen besonderen Facettenreichtum verleiht. Ohne die gesamte Story vorwegnehmen zu wollen: Jede Sekunde wird vollste Konzentration vorausgesetzt, denn die Wörter donnern regelrecht auf einen ein. (VÖ: 6. Juni) Maximilian Weissensteiner

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Product — Speed Of Light Records Dass sich die Welt im Jahr der Veröffentlichung ihres neuen Albums pandemiebedingt in einer Art Pausenmodus befinden wird, konnten die Musiker von M185 beim Schreiben und Aufnehmen von »Product« nicht wissen. Das macht aber ganz und gar nichts, denn auch wenn selbsternannte Zukunftsforscher teilweise anderer Meinung sind, wird uns das angestrengte Hecheln, das auf dem Song »Boy (Oh Boy)« zu hören ist, schon sehr bald wieder eingeholt haben. Etwas anders sehen das die fünf Musiker, wenn es um ihre eigene musikalische Arbeit geht. Denn die letzte Platte, die den Namen »Everything Is Up« trug, ist 2014 erschienen. Außerdem halten es M185 nicht für notwendig, irgendwelchen Trends oder vermeintlichen Vorbildern hinterherzuhecheln, auch wenn ihnen von Beginn an ein gewisses Naheverhältnis zu Bands wie Sonic Youth oder den Talking Heads zugeschrieben wurde. Weil es aber gar nicht anders sein kann, werden M185 dann doch hin und wieder von der Vergangenheit eingeholt. So passt der Titel ihrer allerersten EP, »Soundscapes And Coincidences«, auch für ihr aktuelles Album sehr gut. Und auch der Einfluss der bereits genannten Bands klingt immer wieder durch. M185 machen es ihrer musikalischen Vergangenheit allerdings nicht wirklich leicht, sie zu erwischen. Das Tempo auf »Product« ist hoch und durch zahlreiche Kehrtwendungen und Musikrichtungswechsel verhindern es die Songs, dass die Verfolgungsjagd in geordneten Spuren verläuft. Dabei ist es aber nie so, dass man als HörerIn nicht mehr mitkommt. Immer wieder drosseln die Musiker das Tempo ein wenig und sorgen so dafür, dass man auf einer kleinen Lichtung inmitten ihrer extrem variantenreichen und teilweise experimentellen Soundscapes zum Verschnaufen kommt. M185 machen auf »Product« ordentlich Druck, ermahnen gleichzeitig zur notwendigen Pause und schaffen es mit fast schon mantraartig gesungenen Sätzen wie »You will feel like nothing is ever gonna break your heart again«, dass man sich auch selbst so fühlt, als könne einen die eigene Vergangenheit niemals wirklich einholen. (VÖ: 20. Juni) Sarah Wetzlmayr

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Lobotomie — Duzz Down San

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Domas Schwarz, Julia Hürner, Gwen Meta

Pauls Jets

Highlights zum Einschlafen — Lotterlabel

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Es sollte dir egal sein, was all die anderen sagen. Vor allem, wenn sie sagen, das zweite Album wäre das schwerste. Und vor allem, wenn du Pauls Jets bist. Das erste »Alle Songs bisher« war eine kleine Offenbarung, ein Anker für viele verzweifelte Herzen, für all jene, denen im üblichen Sumpf der österreichischen Popmusik etwas gefehlt hat, etwas melancholische Lakonie. Es war ein Außenseiteralbum, musikalisch und in der Rezeption, ignoriert oder geliebt, polarisierend, ohne Zwischenton. Sie sagen, für das erste Album hast du dein Leben lang Zeit. Sie sagen, für das zweite vielleicht nur zwei Jahre. Was aber – und davon geht ja eigentlich niemand aus, davon kann man gar nicht ausgehen –, wenn sich durch das Zusammenwachstum einer Band das Songwriting auf eine neue Stufe hebt? Dann – und davon durfte man eben nicht ausgehen – entsteht ein so wunderbares Werk wie »Highlights zum Einschlafen«. Natürlich ist der Name wie schon beim ersten Album Quatsch, weil zum Einschlafen ist da gar nichts. Es hält dich einfach wach. Es ist halt schon ruhiger, noch melancholischer, irgendwie aber auch nonchalanter und einfach viel trauriger. Es lässt dich nicht einschlafen, es lässt dich Gedanken sammeln und schwer loswerden, Schlaflosigkeit fast. »Die Songs sind depressiver, wenn ich allein bin« heißt es dazu im vielleicht intimsten und gleichzeitig simpelsten Song »Der Teufel«. Auch das mitunter ganz schön verzerrte »Blizzard«, mit Betonung auf »schön«, weißt von Lugubrität zu erzählen, von der Agonie mit der reinen Vorstellung von Zweisamkeit: »Stell dir vor, wir könnten uns kennen. Stell dir vor, wir könnten in den Prater gehen.« Und das ebenfalls nicht gerade erbauliche, aber existenzialistische und gleichzeitig dynamische »Für die Fische« fragt konsequenterweise: »Ist das alles, was wir haben, für die Fische? Miteinander schlafen, miteinander leben?« Selbst Stücke wie »Trap Band«, in dem erzählt wird, wie gerne doch eine solche Gruppe gebildet werden möchte, wohnt das Traurige inne. »Highlights zum Einschlafen« will niemanden glücklich machen, aber es wird sehr schön sehr unglücklich machen. (VÖ: 29. Mai) Dominik Oswald

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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik »The Cut« findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5.

Termine Kultur Vienna Pride Corona heißt auch, dass die Pride-Parade nicht wie gewohnt auf der gesperrten Ringstraße stattfinden kann. Weil das aber noch längst nicht heißt, dass der Paraden-Spirit generell abgesagt werden muss, hat sich die Vienna Pride mit dem Dachverband EPOA und Inter Pride zusammengeschlossen und sich einen Slot in der online stattfindenden Global Pride gesichert. Der Stream wird in ausgewählten Lokalen in Wien übertragen, zusätzlich zum Auto- und Motorradkorso, der die Ringstraße zumindest ein bisschen zum Regenbogen macht. 27. Juni Wien und online

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Dotdotdot Das Kurzfilmfestival Dotdotdot hat sein Publikum schon im März und April unter dem Motto »A Film A Day« mit einem täglich neu ausgewählten Werk aus seinem Archiv versorgt. Im Juli soll das eigentliche Festival unter freiem Himmel stattfinden. Auch wenn die Festivalsparte für Kinder ganz abgesagt werden musste, konnte zumindest das Kernprogramm an die Corona-Beschränkungen angepasst werden. So erwartet uns auch 2020 fast ein ganzer Monat Open-Air-Filmfestival mit 120 Kurzfilmen aus 40 Ländern und begleitendem Diskurs­programm. Dabei betont Dotdotdot seinen Fokus auf die maximal mögliche Barrierefreiheit und setzt trotz Maskenpflicht und Abstandsregeln inklusive Ansätze um. 5. Juli bis 25. August Wien, Garten des Volkskundemuseums

Online-Videolesungen Joseph Roth Die Wiener Reportagen von Joseph Roth sind mittlerweile 100 Jahre alt und dabei auch heute noch ein lesenswertes Zeitdokument der Stadt zwischen den Weltkriegen. Das Ensemble des Landestheaters Linz hat das Jubiläum dieser Texte zum Anlass genommen, sie Stück für Stück und in einer Online-Übertragung zu verlesen. Und so gibt es noch bis in den Sommer hinein regelmäßig Snippets von SchauspielerInnen des Theaters, wie sie aus der Sicht des Autors über den »Marktplatz der Kettenhändler« oder Tiere in Schönbrunn berichten. bis 31. Juli Youtube

Kulturterrasse Werk

Kultursalon Guckloch Von allen Branchen, die Covid-19 besonders beeinträchtigt, wird über Sexarbeit wohl mit am wenigsten geredet. Dabei kann in dieser Berufssparte seit März praktisch niemand arbeiten – eine ähnlich schwierige Situation wie in der vieldiskutierten Kulturbranche. Der Journalistin Verena Randolf kam die Idee, ein leerstehendes Peepshow-Lokal als Bühne zwischenzunutzen, auf der MusikerInnen und KünstlerInnen auftreten können. Schließlich sind Kabinenshows ja geradezu prädestiniert fürs Social Distancing. Für Performances im Peepshow-Lokal haben unter anderem Doris Knecht, Ankathie Koi, Clara Luzia und Sir Tralala zugesagt. Der Eintritt basiert auf freiwilliger Spende, die den Vereinen Sophie und LEFÖ/TAMPEP zur Unterstützung von SexarbeiterInnen zugutekommt. bis 30. Juni Wien, Laufhaus Peepshow Burggasse

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KünstlerInnen kamen die letzten Wochen nicht umhin, sich von zu Hause aus Inspiration zu suchen. Mit den Lockerungen für Museen und Galerien öffnet das Kunsthaus Bregenz im Juni und startet in die erste Ausstellung nach dem Lockdown, die unter anderem Werke der britischen Turner-Prize-Trägerin Helen Cammock, des libanesischen Künstlers und Filmemachers Rabih Mroué und des Österreichers Markus Schinwald zeigt. Alle Ausstellungsstücke sind dabei Corona-related entstanden – ein Zeitdokument. 5. Juni bis 30. August Bregenz, Kunsthaus

Zeit für Kalender-Sync! Weitere kulturelle Termine, die du dir markieren solltest, findest du im The Gap Kulturkalender unter: www.thegap.at/kulturkalender

Felicitas Freygöbl

Unvergessliche Zeit

dotdotdot / Olga Pohankova, Nicole Heiling

Unsere den Sommer erwartenden Herzen sehnen sich nach Outdoor-Fun. Eine Alternative zum sonstigen Schanigarten-Camping hat sich das Werk überlegt: Am Donaukanal wird statt der Indoor-Veranstaltungen eine Open-Air-Bühne für Musik, Lesungen sowie einen Markt mit regionalen Produkten aufgebaut. Musikalisch steuert unter anderem FM4 Unlimited bei, nach Sonnenuntergang gibt’s Visuals auf die einzigen Gesichtsorgane, die nicht bedeckt sind. Trotz allem Spaß: Abstand halten! ab 5. Juni Wien, Werk

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Josef Jöchl

artikuliert hier ziemlich viele Feels

Wann immer ich eine dieser kleinen LEDLichtboxen sehe, überlege ich einen Moment, womit ich sie beschriften würde. Es scheint insgesamt drei Auswahlmöglichkeiten zu geben: »Home sweet home«, »Live love laugh« oder »Good vibes only«. Mein Verdacht ist, dass Leute, die sich eine LED-Lichtbox kaufen, den Spruch aus der Packung einfach stehen lassen und sich dann sagen: Live love laugh, so ist das eben jetzt. Das ist natürlich ein Vorurteil. Ich kenne niemanden persönlich, der eine LED-Lichtbox besitzt, so wie ich auch niemanden kenne, der einen Minikühlschrank neben der Couch stehen hat oder sich die Wohnzimmerwand hat tätowieren lassen. Schon eher kenne ich Leute, die ihre Wohnumgebungen liebevoll aus Willhaben, Ikea, Nachlässen stilvoller Verwandter und Geschenken internationaler FreundInnen kuratieren, aber damit kann ich umgehen. Fast alle haben graue, breite Sofas. Seit Marie Kondo haben sie weniger Zeug, das sie ökonomischer aufbewahren. Ein nach Farben sortiertes Bücherregal ist in der Regel der größte Unsinn, mit dem ich zu rechnen habe.

Nett hast du’s hier! Bis ich jemanden kennenlerne. In einer Millionenstadt mit Tausenden von Menschen gibt es immer die lebendige Chance auf Störimpulse in der homosozialen Matrix. Jedes Mal, wenn ich eine fremde Wohnung betrete, setze ich potenziell einen Fuß in eine neue Welt. Breite, graue Sofas gibt es schließlich in weit mehr als 50 Schattierungen und auf Erasmus lernt man die verschiedensten Leute kennen, die einem irgendwann auch mal was schenken. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen habe, scanne ich binnen weniger Momente Ablageflächen, Abstellräume und Buchrücken wie die neugierigsten KandidatInnen bei »Das perfekte Dinner«. Erst wenn ich weiß, mit wem ich es zu tun habe, kann ich mich entspannen und in 100 % aller Fälle sagen: Nett hast du’s hier.

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So wie zuletzt. Nach einem Kinobesuch – Arthouse, nicht zu weit hinten, Mitte – schlug er vor, noch auf ein letztes Glas zu ihm zu gehen. Er wohnte im Altbau, drei Stiegen hinauf. Schon im Vorzimmer wurde ich überrascht: Ziemlich durchschnittlicher Einrichtungsgeschmack für einen postmaterialistisch-orientierten Schwulen mit tertiärem Bildungsabschluss. Das Wohnzimmer war dominiert vom Centerpiece, dem Strandmon-Sessel in Nordvalla-Grau, dahinter Grüppchen kleiner Bilder von ganz besonderen Erinnerungen. Fand ich alles ganz gut, man möchte sich in seiner Durchschnittlichkeit ja auch irgendwie wiederfinden. Schlagartig nüchtern wurde ich erst im Schlafzimmer.

Eleganza, Romantica, Siempre Ich kenne wenige Tabus. Boxer Briefs sind eines davon, aber noch kein Dealbreaker. Vor meinen Augen lag der textilgewordene Buzzkill: hässliche Bettwäsche. Eleganza, Romantica, Siempre – und wie die Bettwäschedekore von Tchibo, Leiner und Armin Center noch so heißen mögen: Es wird nicht funktionieren. Meine Libido reagiert empfindlich auf Streifenoptik und Kreisornamente. Wer Bettwäsche-Aquarelle malt, ist vielleicht nicht ohne Grund auf der Akademie abgelehnt worden. Auch Lichtausmachen hilft in solchen Fällen nicht. Poly, okay! Aber Polyester – next! Leicht abgestoßen saß ich auf der Bettkante, vor mir mein Date, hinter mir eine bereits zurückgeschlagene Zudecke. Bisher hatte alles so gut zueinander gepasst. Doch in jenem Moment zeigte sich mir die Gesamtsituation in neuem Licht. Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen: »Does he still spark joy?« Folglich führte ich das schwere, aber unvermeidliche Gespräch. Nicht du bist der Grund, sondern deine Bettwäsche. Ich hatte mit vielen Reaktionen gerechnet. Vielleicht hatte er die Bezüge von seiner verstorbenen Oma geschenkt bekommen oder eine Wette im Freundeskreis verloren. Vielleicht prankte

er mich auch gerade auf besonders perfide Art und Weise. Doch nichts von alledem. Geknickt gab er zu: Ja stimmt, er habe wirklich hässliche Bettwäsche. Er wolle sich aber bessern und folge bereits einigen ausgewählten Interior-Design-Blogs, worauf ich sagte, dass alles nicht so schlimm wäre, und wir uns bis in die Morgenstunden innig umarmten.

Ich brate selbst mit Olivenöl So ist das Ganze selbstverständlich nie passiert. Als er sich zu mir aufs Bett setzte, sagte ich: Nett hast du’s hier. Dann schmusten wir ein bisschen und ich ging nach Hause. Ich weiß ja selbst nicht, wie man richtig wohnt. InteriorDesign-Blogs behaupten gerne, die Wohnung sei der Spiegel der Seele. Sollte das wirklich stimmen, wäre ich ein ziemliches Arschloch. Was bei Dorian Gray noch ein Gemälde auf seinem Dachboden war, ist bei mir bereits eine raumgreifende Installation, mixed media, courtesy of myself. Bevor sich auf dem Weg vom Bade- ins Schlafzimmer nicht mindestens ein vollständiges Birchermüsli auf meinen Fußsohlen ansammelt, hole ich den Staubsauger erst gar nicht aus dem Abstellraum. T-Shirts einrollen habe ich genau einen Tag durchgehalten, außerdem brate ich mit Olivenöl. Vielleicht sollten sich Leute, die etwas zu intensiv feine Unterschiede sezieren, öfter mal vor Augen halten: »Live love laugh«. Am Ende zählen »Good vibes only« im »Home sweet home«. Schaut auch gut aus in einer kleinen LED-Lichtbox. joechl@thegap.at • @knosef4lyfe Josef Jöchl ist Comedian. Sein Programm »Nobody« feiert im Herbst Premiere. Alle Solotermine findet man unter www.knosef.at. Ari Y. Richter

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Sex and the Lugner City »Good vibes only«

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Foto: Bohmann/Andrew Rinkhy

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Neustart in eine geschützte Kindheit Viele Menschen wünschen sich eine Familie. Viele Kinder suchen ein neues Zuhause. Pflegefamilien machen beide Träume wahr. Nadja und ihr Ehemann Roman sehnten sich nach einer großen Familie. Als es mit dem zweiten Kind nicht klappte, brachte ihre leibliche Tochter sie auf die Idee, Pflegeeltern zu werden. So konnte der Elternwunsch damit verbunden werden, Kindern in Not ein neues Zuhause und Geborgenheit zu bieten.

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KINDER BLÜHEN AUF Heute leben vier Pflegekinder in der Familie, die allesamt richtig aufgeblüht sind. „Anfangs waren einige von ihnen sehr schüchtern, heute stehen sie bei Schulaufführungen selbstbewusst auf der Bühne“, erzählt die stolze Pflegemutter. Unter den Kindern stimmt die Chemie ebenfalls.

Sie spielen, lachen und streiten – wie echte Geschwister eben. „Da spielt die Biologie überhaupt keine Rolle, die Kinder sind ebenso glücklich wie wir“, sagt Nadja. Mehr Infos beim Referat für Adoptiv- und Pflegekinder, Tel. 01/4000-90770 oder -8011, wien.gv.at/pflegeeltern

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