The Gap 136

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Prosa von Iris Blauensteiner

pärchenalptraum häuslbauen? iris blauensteiner lässt in dieser kurzgeschichte, exklusiv für the gap verfasst, den spiessbürgertraum eigenheim in staub, pilz und tierkadaver untergehen. allerdings nicht ohne hoffnung auf vollendung.

Hinterholz 8 ½ d u n k le eiche ————— »Schön haben wir’s hier.« Martin drückt die Zehen in die Erde unterm frischen Rasenstück. Die letzten Rauchfäden steigen aus dem Griller. »Wir machen uns unser Paradies.« Roland lehnt sich tiefer in den Gartensessel, stöhnt vom Muskelkater und blickt auf das Gerüst zwischen den Bäumen. Das Haus hinterm Gerüst ist noch verletzlich, lehmig graubraun und nass vom Regen. In ein paar Wochen wird es pastellgrün sein. Roland hat die Farbe ausgesucht. Er stopft die Stanniolpapierreste, Kartoffelschalen und Saucedosen in einen Kübel, holt eine Schüssel aus dem Campingwagen, füllt sie mit Wasser aus der Gartendusche und legt das Geschirr hinein. Das Radio kracht. Martin dreht am Empfänger, bis der »Sommer« aus den »Vier Jahreszeiten« leicht verkratzt heraustönt. Er legt die Beine in die letzten Abendsonnenstrahlen. Das Papier-Windrad im Karottenbeet dreht sich. »Nach einem richtig staubigen Arbeitstag ist so ein kühler Bierschaum das Schönste.« Seitdem die Steckdose funktioniert, ist das Bier eiskalt. Die Nächte verbrachten Martin und Roland mit Kabel-Einziehen. Martin schob an einem Kabelende, Roland zog am anderen und die Möglichkeit, das jeweils falsche Kabel anzuschließen, wuchs mit dem Kabelsalat in den Mauern. Eine Taube sitzt am Gerüst. Sie streckt einen Flügel hoch und gurrt. Roland mag die Tauben. Die wachen, kleinen Taubenaugen.

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Jeden Tag legt er Müslikörner auf das Campingwagenfensterbrett und freut sich, wenn sie in der Früh weg sind. Roland und Martin haben ein Haus gekauft. Drei Tage der Woche arbeiten sie in der Stadt. Vier Tage renovieren sie. Sie schlafen im Campingwagen, denn das ist praktisch. Gleich in der Früh legen sie damit los, den Verputz, der in der Nacht von den Mauern gefallen ist, aufzukehren und wegzubringen. Es ist wie Urlaub. Im Grünen. Am eigenen Grund. Im eigenen Haus. Bald. »Was willst du denn stattdessen?« – »Ja einfach eine ausgemalte Decke. Weiß oder vielleicht eierschalengelb.« Martin verdreht die Augen. »Dezentes Eierschalengelb!«, sagt Roland. Martin kippt den Schnapsbecher. »Komm, ist doch egal.« – »Martin, der Plafond muss weg. Die dunklen Eichenbretter sind wie ein plattgedrückter Sarg. Wenn morgen meine Eltern kommen, soll’s perfekt sein!« Martin hebt sich aus dem Stuhl und macht sich daran, das Bett, das in fünf Teilen zwischen Kofferraum und Rücksitz steckt, aus dem Auto zu laden. Er lehnt es ans Haus und wickelt Plastikfolie darum – falls es regnet. Roland bringt noch einen Schnapsbecher und säuselt: »Martin, unter den Balken wird schon irgendetwas sein. Gips oder was weiß ich. Da kann ich dann eierschalengelb drüberstreichen.« Martin macht heute nichts mehr. Roland klettert auf die Leiter. Diese hässlichen Eichenbretter kleben so fest, dass er sie nicht mit dem Schraubenzieher wegbiegen kann. Und auch nicht mit der Brechstange, die er zwischen einem Haufen aus Rechen, Besen

und einem vermangelten Gartenschlauch hervorgezogen hat. Die Eichenbretter sind wie angewachsen. »Ich hasse dunkle Eiche. Dieser Plafond ist hässlich. Ich geniere mich.« Martin reagiert nicht. Roland brüllt energisch: »Martin, liebst du mich jetzt oder was?« Martin holt die Kettensäge. Er sägt mitten in den Eichenbretterplafond hinein. Feiner Staub rieselt aus dem Spalt. Es kracht. Es poltert. Martin springt von der Leiter. »Raus!« Ein Wiesel fällt von der Decke und zischt fauchend zwischen Rolands Beinen durch. »Schnell! Raus!« Unglaublich. Martin nimmt Rolands Hand. Aus der Ferne sehen sie durch die offene Tür, wie die aschige Staubwolke sich senkt. Die Katastrophe schält sich aus dem Nebel. Irgendwo im riesigen Haufen aus pilziger Dämmwolle quiekt es aufgeregt aus einem Nest. Das Grundstück ist voll von beißendem Schimmelgestank, der am Körper juckt und in den Augen brennt. Kniehoch füllt schwarz vermoderte Dämmwolle das dachlose Haus aus. Die Dachbalken und Eternitplatten stecken zerbrochen mitten drin. Unzählige Tierleichen, Vögel, Siebenschläfer und Marder rotten mit ihren Nestern und allem, was in ihren Nestern drin war, in der Wolle. Wespen fliegen einzeln und verwirrt durch die Luft. Aus einem Fenster steht ein Eichenbrett nach außen, als würde es winken.

»Wann kommen morgen deine Eltern?« – »Mittags.«

13.06.13 16:35


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