the Hundert Vol. 5 - Old meets New Economy

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T H E H U N D E R T // Gastbeitrag

WOLFGANG WOPPERER BEHOLZ ist gelernter Philosoph und ungelernter Unternehmer. Er ist Mitgründer des Hamburger Tech-Inkubators mindmatters und des betahaus Hamburg. Er begleitet Innovationsprojekte und Produktentwicklungen für Startups und etablierte Unternehmen; daneben schreibt und spricht er zu den Themen Innovationskultur, neue Abeitsformen und Maker Culture.

Größe und Innovation: Geht das zusammen? von Wolfgang Wopperer Beholz

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roß ist effizienter als klein – zumindest in der Natur: Ein Elefant etwa verbraucht pro Kilogramm Körpermasse nur ein Zwanzigstel der Energie, die eine Maus benötigt. Kleiber’s Law heißt das Gesetz, das beschreibt, wie Größe und Energieverbrauch zusammenhängen – und es gilt nicht nur für Lebewesen. In den 1990er-Jahren fanden Komplexitätsforscher um Geoffrey West heraus, dass sich Städte genauso verhalten: Je größer die Stadt, desto geringer der Energieverbrauch je Größeneinheit – desto effizienter also die Stadt. Doch nicht nur ihre Effizienz, auch die Innovativität von Städten folgt Kleiber’s Law. So ist eine zehnmal so große Stadt nicht zehnmal, sondern 17-mal so innovativ. Die Menge von Innovationen pro Einwohner wächst mit der Größe der Stadt – Städte werden immer innovativer, je größer sie sind. Unternehmen dagegen, sagt die Forschung, werden immer uninnovativer, je größer sie sind – je größer das Unternehmen, desto weniger Innovation pro Mitarbeiter. Die Ursachen dafür liegen in der Struktur großer Unternehmen: Produktion und Organisation sind auf Skalierung und Effizienz ausgerichtet, die Optimierung bestehender Technologien und Produkte bestimmt den Alltag. Oft fehlt deshalb die Fähigkeit, disruptive Technologien zu entdecken und zu nutzen. Zu Beginn haben solche Technologien oft einen Leistungsrückstand; ihr Potenzial ist noch nicht ausgereizt. Misst ein Unternehmen nun primär Effizienz und Skalierbarkeit, wird schnell der Rückstand betont und das Potenzial vernachlässigt – die Neuerung erscheint wirtschaftlich unattraktiv und wird deshalb nicht weiterverfolgt. Die Instrumente, mit denen man sehr erfolgreich evolutionäre Verbesserung steuert, verhindern systematisch das disruptiv Neue.

In der Natur ist das disruptiv Neue die Entstehung neuer Arten. Und sie funktioniert ganz anders, als wir uns Evolution lange vorgestellt haben: Nicht die Jahrtausende dauernde Ansammlung kleiner Veränderungen bringt eine neue Art hervor, sondern wilde Variation innerhalb weniger Generationen. Sie ist sogar der Normalfall, der sich bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen nur immer wieder „ausmittelt“ und deshalb folgenlos bleibt. Ändern sich aber die Bedingungen plötzlich, dann kann eine der Varianten „festgeschrieben“ werden – wenn die anderen Varianten nicht mit der neuen Situation zurechtkommen und aussterben. Schnelle Variation ohne vorgegebenes Ziel, Variantenproduktion auf Vorrat: Das nennt die Innovationsforschung das „fuzzy front end of innovation”, den ungeordneten, unscharfen Anfang von Innovation. Und seine Natur steht in krassem Gegensatz zu konventionellen Unternehmen: informellen, flexiblen, netzwerkartigen Strukturen stehen formalisierte, rigide, hierarchische gegenüber; in dem einen System arbeiten Gründer und Selbstständige, im anderen Manager und Angestellte; hier werden Kreativität und Mut belohnt, dort Vorhersagbarkeit und Fehlervermeidung. Das eigentliche Defizit großer Unternehmen ist es, dass sie diesem „fuzzy front end” keinen Raum geben, sondern auf Anpassung und Eingliederung bestehen – dass sie sich, anders als Städte, zu wenig Vielfalt leisten. Auf die Frage, warum größere Städte innovativer sind, Unternehmen aber nicht, meinte Geoffrey West einmal: „Cities tolerate crazy people. Companies don’t.“

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