Berlin Valley #31, Oktober 2018

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DRUCK DIR DIE WELT Jetzt auch in 3D

CEOS UNTER 30 Was junge Gründer bewegt

MAN LERNT NIE AUS Bildung wird Startup-Sache

9€

BÄUME STATT MILLIONEN Warum Ecosia-Gründer Christian Kroll sein Unternehmen spendet

DIGITAL REVOLUTION


Sie sind irgendwie ein Nerd. Wir sind irgendwie Nerds. Wir sollten uns kennenlernen. porsche.de/karriere-eins-zu-null


EDITORIAL

Die Macht der verrückten Idee Liebe Leserin, lieber Leser, 15 Milliarden Bäume werden jedes Jahr abgeholzt. Und die Welt schaut tatenlos zu und konsumiert weiter ungebremst Palmöl und Fleisch, Hauptverursacher für die globale Rodung. Die Berliner Suchmaschine Ecosia investiert ihre Gewinne in die Aufforstung neuer Bäume und will bis 2020 insgesamt eine Milliarde Bäume pflanzen. Jetzt hat Ecosia-Gründer Christian Kroll beschlossen, sein Unternehmen zu spenden, um es dauerhaft vor „den kapitalistischen Gefahren“ zu schützen. Die ungewöhnliche Ankündigung des ohnehin schon außergewöhnlichen Startups verursachte bei unserer gesamten Redaktion Gänsehaut-Feeling. Grund genug, fünf Tage vor Redak­ tionsschluss nochmal die gesamte Coverstory umzuwerfen. Solche Gründer braucht die Welt. Begeisterung auch für den Bildungsmarkt, der sich aller festgefahrenen Trägheit zum Trotz in den kommenden Jahren stark verändern dürfte. In einem großen Spe-

cial stellen wir Defizite, Möglichkeiten, Standpunkte und Start­ups vor, die an unterschiedlichsten Bildungskonzepten feilen. Und es wird politisch: Zum einen starten wir mit unserem Partner Politik Digital die neue Reihe „Digitale Debatte“. Erste Gesprächspartnerin ist Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär. Zum anderen haben wir nachgefragt, wie zufrieden die Berliner Startup-Szene mit der Performance ihres Regierenden Bürgermeisters Michael Müller ist. Lob gab es wenig. Noch deutlicher ist aber die einstimmige Antwort der größten Berliner Startups: „Kein Kommentar“. Viel Spaß beim Lesen wünscht Euer/Ihr Jan Thomas

Vielen Dank! OHNE DIE UNTERSTÜTZUNG UNSERER SPONSOREN WÄRE DIESES MAGAZIN NICHT REALISIERBAR. DAFÜR GANZ HERZLICHEN DANK AN:

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48–58 Christian Kroll Ecosia gehört jetzt euch! Sieben Millionen Nutzer und ein Jahresüberschuss von fünf Millionen Euro: Ecosia, die Suchmaschine, die Bäume pflanzt, ist eine echte Erfolgsgeschichte. Jetzt hat Gründer Christian Kroll das Unternehmen der Allgemeinheit gespendet. Was dieser Schritt genau bedeutet, verrät er im Interview.

62–67 Michael Müller

108–121 Burning Man

Der Startup-Bürgermeister?

Aus dem Nichts heraus

Berlin ist Deutschlands Startup-Hauptstadt und Michael Müller ist Berlins Regierender Bürgermeister. Aber fühlt sich die boomende Startup-Szene von ihm ausreichend repräsentiert? Wir haben nachgefragt.

Seit den 80ern ensteht in der Wüste von Nevada innerhalb von Tagen eine Stadt voll verrückter Kreativität: Neben dem Who-is-Who des Silicon Valley lässt sich auch Deutschlands Startup-Szene inspirieren.


134–139 Zukünfte Johannes Kleske „Wandel ist nichts Einmaliges und hört eigentlich nie auf“, sagt der Zukunftsforscher im Interview. Der gefragte Speaker und Unternehmensberater erklärt die Analyse von Zukünften und will Alternativen aufzeigen, die Lust auf Veränderung machen.

Fotos: Patrick Debrosses, Franziska Turner, Carolin Weinkopf,, Marcus Meurer / DNX

INHALT

127–133 Dorothee Bär Neue Serie: Politische Debatte Zum Auftakt unserer neuen Interviewreihe in Kooperation mit Politik Digital haben wir uns im Bundeskanzleramt mit der Staatsministerin für Digitalisierung getroffen.

Editorial 3 Contributors 8 Momente 10-17 Gadgets 18-22 Eine Frage der Technik Startup-Basics 24–28 Alles zum Thema Unternehmensführung Unter 30 und CEO 32–46 Was junge Gründer wirklich bewegt Titelstory: Ecosia 48-58 Warum Gründer Christian Kroll sein Unternehmen spendet Michael Müller 62–67 So bewerten Gründer den Regierenden Bürgermeister 3D-Druck dir die Welt 68-80 Eine Revolution mit Luft nach oben Lernen ein Leben lang 82–98 Bildung wird Startup-Sache Kryptowährungen 100-105 Quo Vadis Bitcoin? Burning Man 108–121 Erwarte das Unerwartete Blockchain 124-125 Madana etabliert einen Marktplatz für Datenanalysen Neue Serie: Politische Debatte 127-133 Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung Johannes Kleske 134-139 Der Zukunfsforscher im Interview Energie Startups 142-146 Mit Cleantech gegen die Klimakrise Coworking International 150-153 Oh, wie schön ist Panama Medien 157–159 Interessante Neuerscheinungen Impressum 162


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Contributors Ein großer Dank gilt den folgenden Gastautoren, die uns bei der Erstellung von Berlin Valley 31 unterstützt haben.

Tim Schumacher Vor fünf Jahren beteiligte sich der Seriengründer an Ecosia, der Suchmaschine, die Bäume pflanzt. Jetzt hat er seine Anteile gespendet – und verzichtet damit auf Millionen. Was ihn dazu bewegt hat, erzählt er auf Seite 55.

Madison Bell Siebenmal hat die Mitgründerin von Kontist bereits das Burning Man Festival überlebt. Jedes Jahr ist sie wieder überrascht, was quasi aus dem Nichts heraus entstehen kann. Wie diese Erfahrung auch die Gründerszene auf ein völlig neues Level bringen kann, darüber schreibt sie auf Seite 112.

Sven Wagenknecht und Philip Giese Die beiden arbeiten als Chefredakteur und Analyst bei BTC-Echo, einer der reichweitenstärksten deutschsprachigen Medienplattformen für Bitcoin, digitale Währung und Blockchain. Mit der Entwicklung dieses Ökosystems beschäftigen sie sich seit 2015. Ihre Einschätzung zum Markt für Kryptowährungen lest ihr auf Seite 100.

Schon während seines Studiums entwickelte er das Konzept zu Iversity. Über die Herausforderungen im Bildungsbereich zu gründen, und wieso Iversity trotz seines Ausstiegs noch sein Baby ist, berichtet der Gründer und ehemalige Geschäftsführer der Lernplattform auf Seite 106.

UND SONST NOCH? Unser weiterer Dank für ihre Mitarbeit und Unterstützung im Rahmen dieser Ausgabe gilt: Philipp Sebastian Rogge, Christoph Gerber, Andrea Peters, Pia Poppenreiter, Prof. Sven Ripsas, Finn Age Hänsel, Gen Sadakane, Sascha Schubert, Masoud Kamali, Christian Amsinck, Christoph Räthke, Max Maendler, Dejan Mihajlovic, Angela Thiele, Eilika von Anhalt, Arndt Kwiatkowski, Stephan Beyer, Marcus Meurer, Sven Gábor Jánszky, Philip Siefer, Paula Schwarz, Nils Herrmann, Dana Sertel.

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Fotos: Yann Tincelin, BTC-ECHO, privat

Jonas Liepmann


Auf der einzigartigen Jobmesse DIGITAL TALENTS in Berlin präsentieren sich Startups und etablierte Big Player als Arbeitgeber: Für Techies, Young Talents und den digitalen Nachwuchs.

SAVE THE DATE

07.02.2019

DIGITAL TALENTS BY

DIE JOBMESSE DER BERLINER DIGITALSZENE 2019 ALLE INFOS UNTER

berlinvalley.com/digital-talents


Foto: The Ocean Cleanup

MOMENTE

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MOMENTE

Müllsammler der Meere Ein bisschen erinnert die 600 Meter lange Kunststoffröhre an eine überdimensionale Schwimmnudel. Die Konstruktion soll aber den Müll aus den Meeren sammeln. Ausgedacht haben sich das Ganze der 24-jährige Niederländer Boyan Slat und sein Team von The Ocean Cleanup. Am 8. September ist der Prototyp für einen ersten Test auf dem offenen Meer ins Wasser gelassen worden. Ziel ist das „Great Pacific Garbage Patch“ – eine Region, die auch als die Müllhalde des Pazifiks bezeichnet wird.

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MOMENTE

Seit August gibt es endlich einen Digitalrat, der die Bundesregierung zu digitalen Themen beraten soll. Baustellen gibt es genug: Breitbandausbau, DigitalPakt in den Schulen, E-Government – die Liste könnte beliebig weitergeführt werden. Doch etwas anderes beschäftigt die Öffentlichkeit tagelang: die Kleiderwahl von Ijad Madisch, Gründer des Wissenschaftsnetzwerks ResearchGate. Auf dem offiziellen Foto mit Kanzlerin und Ministern ist Madisch in kurzer Hose und Superman-Käppi zu sehen.

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Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler

Digitale Expertise in Shorts


MOMENTE

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Foto: Loon

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MOMENTE

Internet von oben Ein Ballon, an dem ein umgebauter Mobilfunkmast befestigt ist und der aus einer Höhe von 20 Kilometern die Welt mit Internet versorgt. Das ist die Vision von Loon – einst Forschungsprojekt, mittlerweile eine eigenständige Firma von Alphabet, dem Mutterkonzerns von Google. Passend dazu schloss Loon im Juli diesen Jahres einen ersten Geschäftsvertrag mit Telkom Kenya ab. Ab 2019 soll der Internetballon auch abgelegene Regionen im Land mit Internet versorgen.

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MOMENTE

Sonniges Leichtgewicht

Foto: Zephyr Solar

Ganze 26 Tage hielt sich der solarangetriebene Airbus Zephyr S in diesem Juli in der Luft – und hat damit einen Weltrekord aufgestellt. Zephyr S ist weder richtig Flugzeug noch Satellit, Airbus selbst nennt seine Entwicklung einen „Pseudo-Satelliten“. Der Flieger ist mit zwei Propellern und mit Solarpaneln auf den Flügeln ausgestattet. Wenn es dunkel ist, werden die Propeller mit Batterien betrieben. Zephyr S ist mit nur 75 Kilogramm ein Leichtgewicht.

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MOMENTE

Messe-Hündchen

Foto: IFA

Heimliches Highlight der diesjährigen Elektronikmesse IFA: Aibo, der Roboterhund von Sony. Aibo wedelt mit dem Schwanz, wenn man ihn streichelt, Sitz und Männchen machen kann er auch. Umgerechnet 3.000 Euro kostet das Hündchen; bisher gibt es ihn nur in Japan. Möglicherweise will Sony Aibo aber auch nach Europa bringen, das macht der Konzern vom Interesse der IFA-Besucher abhängig. Die scheinen schon mal sehr zugetan.

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GADGETS

Alles eine Frage der Technik Ein Leben ohne Gadgets – kaum vorstellbar. Wir zeigen die begehrtesten Fundstücke der Redaktion. Zusammengestellt von Justus Zenker

Wer weit kommen will, schaut einfach mal durch den Sucher der neuen Nikon Coolpix P1000. Tieraufnahmen, Flugzeuge und sogar Mondkrater fängt die 1,4 Kilogramm schwere 16-Megapixel-Kamera mit ihrem optischen 125-fach-Zoom ein. Die Brennweite von 24–3.000 Millimetern verdoppelt der Digitalzoom auf 6.000 Millimeter. Für ein scharfes Bild sorgt ein Bildstabilisator. Der Augensensor erkennt das Auge und schaltet automatisch von der Monitornutzung auf den elektronischen Sucher um. Neben Bildern im JPEGoder RAW-Format zeichnet die Kamera auch Videos mit 4K-Auflösung auf. Für die Datenübertragung stehen MicroUSB, WLAN oder Bluetooth zur Verfügung. Mit der Snapbridge-App lassen sich Bilder schon während der Nutzung synchronisieren und bereitstellen. Preis: 1.100 Euro. nikon.de

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Fotos: Lofree, Nikon, Owl, Segway-Ninebot

Alles mega


GADGETS

Tippi toppi Schreiben ist Handarbeit. Daran erinnert uns Lofree stilecht mit seinen Keyboards und Taschenrechnern, deren Tasten wie bei einer mechanischen Schreibmaschine deutlich ausgeprägt sind. Die in Rot, Weiß und Türkis erhältliche Dot-Tastatur ist ein Anschlag auf alle Flachtipper und Gleiter auf Touchdisplays. Überzeugungsarbeit leistet aber nicht nur das Design, sondern auch die Technik: Mac-Layout, sanfter Tastendruck, um dem als Mausarm bekannten RSI-Syndrom (Repetitive Strain Injury) entgegenzuwirken, sowie eine in drei Schritten regelbare Hintergrundbeleuchtung. Preis: 120 Euro. lofreeco.co

Auf Wolken

Live is life 18 Millionen Dollar im Februar und eine Zehn-Millionen-Dollar-Finanzspritze im August (Canvas Ventures) haben dem Silicon-Valley-Startup Owl ordentlich Schub für die Einführung einer neuen Autokamera mit LTE-Unterstützung gegeben. Die Owl Car Cam zeichnet nicht nur den Verkehr auf, sondern filmt auch den Innenraum und meldet Geräusche und Erschütterungen. Über das mobile Datennetzwerk kommt das Livebild direkt aufs Smartphone des Besitzers. Preis: circa 300 Dollar. owlcam.com

Segway hat seine mobile Balance-Technologie auf Schuhgröße geschrumpft. Die W1 E-Skates beschleunigen durch Gewichtsverlagerung auf maximal 12 Kilometer pro Stunde. Eine Akkuladung hält bis zu 45 Minuten. Im Dunkeln sorgen Umgebungs- und Rücklichter für Aufmerksamkeit, während Gummidämpfer die Skates gegen Stöße und vor Kratzern schützen. Erhältlich ab Oktober für 399 Euro. segway.com

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GADGETS

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Büroklimawandel DIYScreening Femtech boomt. Die Investorin Travy Warren schätzt das Marktpotenzial auf 200 Milliarden Dollar. Gemeint sind Gesundheitsprodukte für Frauen, etwa wie die Zyklus-Apps Clue, Ovy oder Trackle. Higia aus Mexiko hat einen speziellen BH entwickelt, der zur Früh­ erkennung von Brustkrebs beitragen soll. Sensoren im Eva genannten Wearable messen die Temperatur der Brust. Die Daten werden an ein per Bluetooth verbundenes Tablet oder Smartphone übertragen und ausgewertet. Forbes Mexiko listet Higia unter die 30 vielversprechendsten Start­ups 2018. Und gerade erst hat Y Combinator 120.000 Dollar in die Technologie investiert. Ein Verkaufsstart steht noch nicht fest. higia.tech

Bosch widmet sich dieser Aufgabe ab Frühjahr 2019 mit dem Wohlfühlsensor Smart Home Air (Abb. 1, 99,95 Euro, bosch-smarthome. com). Der Kubus misst Luftqualität, Temperatur, Luftfeuchtigkeit sowie Helligkeit und Lautstärke. Symbole an der Oberfläche zeigen den Status in Ampelfarben-Logik. Die zugehörige App protokolliert die Messwerte und stellt sie im Zeitverlauf dar. Wer ein Smart Home um Apples HomeKit-Protokoll verwendet, erhält mit Eve Room Solutions (Abb. 2, 99,95 Euro, evehome.com) Auskunft über Luftqualität, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Auch bei diesem Gerät lassen sich die Informationen direkt am Gerät ablesen, die detaillierte Auswertung und Meldungen erfolgen am Smartphone. Wer schlechter Luft außerhalb geschlossener Räume aus dem Weg gehen will, hält die akkubetriebenen Atmotubes in den Wind: Während Atmotube Plus (Abb. 4, 99 Dollar, atmotube.com) Luftverschmutzung, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit misst, erfasst die Atmotube Pro (189 Dollar) zusätzlich auch Feinstaub, Pollen und Schimmel. Atmotube Plus kommt im Dezember in den Handel, die Pro-Version folgt im März 2019. Das ideale Pendler-Gadget kommt vom französischen Startup Plume Labs: Flow (Abb. 3, 199 Euro, flow.plumelabs.com) misst Stickstoffdioxid, kohlenstoffhaltige Stoffe und Feinstaub und überträgt die Werte in eine Datenbank. Die Werte helfen, Routen oder Reisezeiten mit weniger Luftbelastung zu erkennen. Je mehr Menschen also die Luftqualität in einer Stadt tracken, desto besser die Datenbasis. Flow kommt im November in den Handel.

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Fotos: Eve Systems, Higia Technologies, Notanotherone, Robert Bosch Smart Home

Mit Sensoren gegen dicke Luft


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GADGETS

Eierlei Jährlich sterben in Deutschland 50.000 männliche Küken. Nur ein Grund, auf Eier zu verzichten und stattdessen mit Chia-Samen oder Bananen im Kuchen zu arbeiten. Sind Eier die Hauptzutat, liefert das Silicon-Valley-Unicorn Just nach veganer Mayo nun auch den Eier­ ersatz aus Mungobohnen. Der Vertrieb in Europa wird über den italienischen Eiprodukt-Distributor Eurovo laufen. Vorerst ist aber nur der Verkauf an Restaurants und Großhändler vorgesehen. justforall.com

Wall-E lässt grüßen Mehr als 180 Millionen Dollar hat das AIStart­up Anki bereits eingesammelt und mit dem Autorennspiel Overdrive für Aufsehen gesorgt. Nun folgt mit Cozmo ein neues Spielzeug mit künstlicher Intelligenz. Der kleine Roboter fährt zum Beispiel auf dem Tisch umher, bis er Hunger bekommt und nach einem der mitgelieferten LED-Würfel verlangt. Neue Fähigkeiten erlernt Cozmo durch Beschäftigung. Mit Scratch Blocks, einer Programmiersprache mit Baukasten-Logik, erlernen Nutzer das Coden. Das Design des Roboters stammt von einem Team um den Pixar-Animator Carlos Baena („Wall-E“). Preis: 199 Euro. anki.com

Apple II, Macintosh, iMac, iPod und iPhone sind Meilensteine der Tech-Geschichte, denen der kalifornische Kissenhersteller Throwboy ein kuscheliges Denkmal setzt. Als gut gefüllte Kissen finden die Gadgets nun ihren Platz in den Wohnlandschaften der Fanboys. Das bescheidene Fundingziel von 10.000 Dollar war bei Kickstarter nach zwei Stunden erreicht. Mittlerweile sind mehr als 78.000 Dollar zusammengekommen.. Ab Februar 2019 kommen die Kissen für 60 US-Dollar in den Handel. Vorbestellen unter: throwboy.com

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Fotos: Anki, Just, Throwboy

Digital Detox


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Führung ist ein zentrales Erfolgskriterium für jedes Unternehmen. Wir erklären, worauf es dabei ankommt. Von Justus Zenker

Seriengründer Gary Vaynerchuk hat eine ganz einfache Führungsphilosophie: „Alles kommt von oben“, sagt er. Gary ist überzeugt, dass der Erfolg eines Unternehmens – sei es ein Drei-Mann-Betrieb oder eine Multi-Milliarden-Dollar-Company – allein von der Person an der Spitze entschieden wird. „Alles, was in einem Unternehmen geschieht, ist zu 100 Prozent die Verantwortung des Unternehmensführers“, schreibt er in seinem Buch #AskGaryVee. Wenn man wie Gary eine geborene Führungspersönlichkeit ist, hat man Glück. Alle anderen müssen sich das Thema hart erarbeiten. Führung hat immer etwas mit der eigenen Persönlichkeit zu tun, jeder muss seinen eigenen Weg finden. Und diese Arbeit endet nicht damit, sich einmal für eine Führungsphilosophie zu entscheiden. „Ich arbeite jeden Tag daran, meine Führungsqualitäten und Effektivität zu verbessern“, sagt Gary.

Manager oder Leader? Zu Beginn sollte man sich über die eigenen Fähigkeiten klar werden: „Das Grundproblem ist, dass das Wort Führungskraft im Deutschen nicht eindeutig ist. Im Englischen unterscheidet man hingegen ganz klar zwischen Manager und Leader“, sagt Führungskräftecoach Andre

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Ottlik, der sich seit 2011 intensiv mit den Themen Teambuilding und Leadership befasst. „Vielen ist nicht klar, was Führung bedeutet. Die meisten übernehmen im Startup-Umfeld eher Management- als Leadership-Aufgaben. Ein häufiger Irrtum.“ Beide Aufgaben müssen erfüllt werden, wenn ein Unternehmen erfolgreich sein soll. Aber nicht unbedingt von derselben Person. Gründer sind in der Regel Macher: Sie haben eine Vision, beginnen mit der Planung und setzen sie um. Sie managen. „Dabei vergessen viele, die Vision zu teilen und den Fokus auf die Mitarbeiter zu richten, damit auch diese intrinsisch motiviert sind“, sagt Andre. Zwar sind diese Leadership-Aufgaben ganz am Anfang eines Unternehmens oft noch nicht so entscheidend, „aber wenn die ersten Probleme und Hürden auftreten oder sogar ein Teil des Teams wegbricht, fehlen häufig die Skills und das Bewusstsein, dass jetzt einer die Führung übernehmen und sich um die Leute kümmern muss“, sagt Andre. Aufgaben des Managers sind es, zu planen, umzusetzen und zu kontrollieren. Der Part des Leaders ist eine für das Unternehmen sehr viel prägendere Rolle. „Ein Leader muss sich Gedanken darüber machen, wo das Unternehmen hinwill, was die Vision ist, wie das Unternehmen

Foto: Ethan Weil/Unsplash

Alles kommt von oben


STARTUP-BASICS

mit seinem Produkt der Welt helfen will“, sagt Andre. Andere Fragen sind: Mit welchen Werten oder Spielregeln wollen wir das erreichen? Wie will ich die Organisation aufbauen und welche Menschen brauche ich dafür? Mit welchen Tools und welche Regeln wollen wir miteinander umgehen? „Die Geschwindigkeit in der heute neue Kursanpassungen gemacht werden müssen, nimmt ständig zu. Ich muss wahrnehmen, was draußen passiert, um nach innen handeln zu können“, sagt der Coach.“

Führung reflektieren Es ist möglich, beides – Manager und Leader – in Personalunion zu sein. Meist sticht jedoch eine Eigenschaft heraus. Man muss sich also entscheiden, ob man eher der Manager oder der Leader im Unternehmen sein will. Apple Gründer Steve Jobs zum Beispiel hatte ohne Zweifel Leader-Kompetenzen. Sein Führungsstil war jedoch ebenso dynamisch wie kontrovers und beruhte im Wesentlichen auf seiner Genialität. „Dass er oft sehr emotional und damit auch unvorhersehbar agierte, waren laut seiner Biografie eher negative Aspekte seines Führungsstils“, meint Andre. „Trotzdem wollten Menschen aus der ganzen Welt für ihn arbeiten.“ Ungeachtet der Genialität kann man das Thema Führung auch systematisch angehen. Das klingt banal, doch die meisten Gründer, die in die Leadership-Workshops und Seminare von Andre kommen, haben keine Vorstellung von Führung. „Sie haben diese Rolle übernommen, aber nicht wirklich darüber nachgedacht, weil sie ihre Zeit für vermeintlich wichtigere Dinge nutzen“, sagt And-

„Ein Beispiel zu geben, ist nicht die wichtigste Art, wie man andere beeinflusst. Es ist die einzige“ Albert Schweitzer, Nobelpreisträger

re. „Es fehlt an Reflexion und Bewusstsein. Von 100 Kunden kommen 80 erst, wenn es Probleme gibt.“ Feuerlöscher-Mentalität nennt Andre das. Das sieht er vor allem bei solchen Gründern, die direkt von der Uni kommen und noch nie bei einem Corporate gearbeitet haben.

Aufgaben priorisieren Es passiert vielen Führungskräften, dass sie die Sachen erledigen, die dringend sind, anstatt sich um die wichtigen Dinge zu kümmern, die nicht so dringend sind. Um hier den richtigen Fokus zu setzen, gibt es eine einfache, aber wirkungsvolle Methode, die auch Andre seinen Kurs­teilnehmern nahelegt: die Aufgaben anhand des

ANDRE OTTLIK

ist Gründer und Geschäftsführer von Startup Workshops in Berlin. Er befasst sich seit 2011 intensiv mit Teambuilding und Leadership und bildet inzwischen selbst Coaches und Trainer aus. Gemeinsam mit Marcel Barten gründete er 2016 die Everycademy, eine Online-Plattform zur Organisation interner Unternehmensakademien. Der studierte Wirtschaftsinformatiker ist Startup-Berater, Trainer und Coach unter anderem für die KfW und B!gründet sowie Dozent an der FH Potsdam, HTW, HWR, Beuth, TU Berlin und FU Berlin.

Eisenhower-Diagramms zu priorisieren. Das Spektrum reicht von „alles, was wichtig und dringend ist: sofort erledigen“ bis hin zu „was unwichtig und nicht dringend ist: in den Papierkorb werfen“. Sich auf die wenigen wichtigen Dinge zu fokussieren, das war übrigens die Erfolgsstrategie von Steve Jobs. „Die Leute denken, Fokus bedeutet, Ja zu den Dingen zu sagen, auf die man sich konzentrieren will. Aber das ist es überhaupt nicht. Fokus bedeutet, Nein zu den hundert anderen guten Ideen zu sagen, die es da draußen gibt“, sagte Jobs einmal in einem Interview. Auch heute unter Tim Cook gilt bei Apple immer noch: „Focus is key.“ Weil die meisten Gründer Macher sind, was gut ist, machen sie viele Dinge lieber gleich selbst, was schlecht ist, weil sich die Organisation so nicht entwickeln kann. „Sie gehen ihren Weg, sind gradlinig und straight. Das macht Macher-Charaktere aus“, sagt Andre. „Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass diese Menschen nicht besonders offen sind für Feedback.“ Es sei schon häufiger vorgekommen, dass er Workshops für das Mittelmanagement eines Unternehmens durchführte und das Top-Management erst Monate später zu ihm kam. „Sie haben die Fehler zunächst nicht bei sich selbst gesucht“, hat Andre beobachtet.

Die eigene Entwicklung planen Erst einmal machen und sehen, was passiert, das ist keine gute Idee für einen Führungsstil, ist Andre überzeugt. In leistungsorientierten Organisationen sei es zwar möglich, Menschen allein als Humanressource zu betrachten, die ersetzbar ist. „Aber wer ein Team groß machen, Personal entwickeln und gute Zusammenarbeit erreichen will, der sollte auf die Menschen eingehen und sich nachhaltig mit ihnen beschäftigen“, sagt der Coach. Ein leaner Ansatz wie in der Produktentwicklung sei im Umgang mit Mitarbeitern nicht nachhaltig. Mitarbeiter wollen nicht nur im Alltag geführt werden. Sie wollen Karrriere­ chancen sehen und langfristig geführt werden. Viele junge Gründer, die selbst noch nicht genau wissen, wohin es geht, und die womöglich selbst auch keinen Mentor hatten, sind mit dieser Aufgabe oft überfordert. „Eine gute

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STARTUP-BASICS Führungskraft setzt sich mit dir hin und überlegt mit dir gemeinsam, wohin du dich entwickeln kannst“, sagt Andre. „Das gilt übrigens auch für den CEO selbst. Auch er sollte sich überlegen, wohin er sich entwickeln will.“ So könne sich ein CEO zum Beispiel vornehmen, künftig mehr Außenwirkung zu haben, das Unternehmen auf Messen und Events zu promoten. Auch der Chef sollte seine eigene Entwicklung im Blick haben.

„Ein Heer von Schafen, das von einem Löwen geführt wird, schlägt ein Heer von Löwen, das von einem Schaf geführt wird“

Den Reset-Button drücken Die Reflexion über das eigene Führungsverhalten sollte regelmäßig auch auf die gesamte – im besten Fall ja wachsende – Organisation ausgedehnt werden. Am Anfang, wenn das Team noch klein ist, werden die Aufgaben unter den Leuten aufgeteilt, die gerade zur Verfügung stehen. Wenn das Startup wächst, muss immer wieder überprüft werden, ob die richtigen Leute auch auf den wichtigen Posten sitzen. „Wo stehen wir? Diese Frage sollte sich das Management regelmäßig stellen“, rät Andre. „Dabei sollte man immer wieder den Reset-Button drücken und die Aufgaben neu verteilen.“ Klingt einleuchtend, ist aber keineswegs eine Selbstverständlichkeit. „Ich kenne Firmen, die sind acht Jahre am Markt und haben immer noch keine Job-Descriptions, obwohl ihre aktuelle Organisationsstruktur welche bräuchte“, sagt Andre. Eine gute Führungspersönlichkeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich um die Menschen kümmert. Das muss nicht einmal viel Zeit kosten. „Manchmal reicht es, sich pro Mitarbeiter am Tag eine Minute Zeit zu nehmen und zu überlegen, was könnte der Mensch gebrauchen, dass es ihm besser geht. Ratzfatz ist das Thema Leader­ ship für den Tag erledigt. Häufig sind Führungskräfte jedoch zu lang mit operativen Aufgaben befasst. Ziel sollte es dagegen sein, dass eine Task von der Person in der Hierarchie der Organisation ausgeführt wird, die diese

Arabisches Sprichwort

Aufgabe gerade noch hinbekommt – und eben nicht vom Chef selbst. „Das wird wegen des Zeitdrucks oft nicht gemacht“, kritisiert Andre. „Wenn sich das einpendelt, werden sich die Mitarbeiter nicht weiterentwickeln und niemals in der Lage sein, die Aufgaben selbst zu übernehmen.“ Auch das ist eine Wachstumsbremse.

Authentisch und flexibel sein Gute Führung hat zwei Dimensionen. Die eine ist die Wahrnehmung der Außenwelt: Die Führungsperson muss eine Vision haben und eine gute Lücke sehen, wo sie mit ihrem Unternehmen erfolgreich wirken kann. Die andere Dimension ist die Innenperspektive: Hier muss sich die Führungsperson fragen, nach welchen Kriterien sie sich ihre Leute aussucht und wie sie mit ihren Leuten kommunizieren will, mit denen sie ihre Vision umsetzen will. „Dazu ist es wichtig, dass ein Mensch authentisch und zugleich flexibel ist“, sagt Andre.

WICHTIGKEIT

DAS EISENHOWER-PRINZIP

EXAKT TERMINIEREN UND SELBST ERLEDIGEN

SELBST ERLEDIGEN

NICHT BEARBEITEN

DELEGIEREN

DRINGLICHKEIT 26

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SOFORT


STARTUP-BASICS

START

STOP

CONTINUE

Schafft Bewusstsein: täglich je drei Sachen starten, stoppen und fortsetzen.

Zur Authentizität gehört auch die Integrität. „Wenn ich etwas gesagt habe, sollte ich als Leader auch dazu stehen“, sagt Andre. Auch Fairness gehört dazu, ebenso wie die Fähigkeit, Fehler zuzugeben. „Für eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens ist Integrität wichtig – und zwar nach innen und nach außen“, sagt der Führungskräftecoach. „Die Leute folgen deinen Taten, nicht deinen Worten. Und wir lernen, indem wir uns Sachen abgucken.“ So sieht das übrigens auch Gary Vaynerchuk: „Die einzige effektive Methode für echte Führung ist, voranzugehen und die Verhaltensweisen vorzuleben, die sie bei ihren Mitarbeitern sehen wollen. Das ist womöglich die wichtigste Variable für den Erfolg eines Unternehmens.“

Micromanagement oder Autonomie Führungsstile gibt es unzählige zwischen den beiden Extremen: totale Kontrolle und vollkommene Autonomie. „Beide haben ihre Berechtigung“, sagt Andre. „Den autoritären Führungsstil brauche ich, wenn es brennt. Solche Feuerwehr-Situationen sind keine Zeitpunkte für demokratische Prozesse.“ In der Masse der Situationen rät ­Andre dazu, eher autonom zu führen. Dazu muss aber auch die Organisation entsprechend aufgebaut sein, denn ein Heer von Praktikanten kann man nicht sich selbst überlassen. Der lockere, kooperativ coachende Führungsstil setzt viel Vertrauen und Verantwortung auf beiden Seiten voraus. „Mehr Coach als Chef zu sein, das ist der Führungsstil, wohin sich die meisten Unter-

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SYSTEMAKKREDITIERT nach

durch


STARTUP-BASICS nehmen in Wissensgesellschaften hinbewegen“, erläutert Andre. „Er schafft die ideale Umgebung, damit Menschen kreativ arbeiten können und intrinsisch motiviert sind.“ Dennoch gilt es, den Führungsstil an den tatsächlichen Entwicklungsstand des Startups anzupassen. In welcher Situation ich mich gerade befinde, entscheidet darüber, welcher Führungsstil gerade am sinnvollsten ist. „Ein Junior fühlt sich hilflos, wenn ich ihn autonom führe“, warnt Andre. „Coaching bedeutet in dem Fall, dass ich den Einzelnen anschaue und erkenne, wie er geführt werden sollte.“

Führung kann man lernen Auch wenn es Menschen gibt, die natürliche Anführer zu sein scheinen, so kann man mit gewissen Techniken Führung auch lernen – zumindest kann man sich vornehmen, eine bessere Führungskraft zu werden. „Grundsätzlich sollten sich Führungskräfte über die eigenen Werte klar werden“, rät Andre. „Dabei hilft es auch, sich daran zu erinnern, welche guten und schlechten Führungskräfte man selbst erlebt hat. Daraus kann man schon einiges für den eigenen Führungsstil ableiten.“ Wenn man geklärt hat, was man wie sein Vorbild machen und was man auf keinen Fall machen will, hilft es, sich ein eigenes Leadership Mission Statement aufzuschreiben. „Alle zwei bis drei Jahre sollte man es überdenken und gegebenenfalls anpassen“, sagt Andre. Um das Bewusstsein für den eigenen Führungsstil zu schaffen, schlägt Andre zwei Reflexionstools vor: Das eine sind Leitfragen, die man sich täglich, wöchentlich und monatlich stellen sollte (siehe Stefan Merath: Der Weg zum erfolgreichen Unternehmer), um das eigene Führungshandeln zu reflektieren. Das andere ist die Übung: Start – Stop – Continue. „Dabei nimmst du dir jeden Morgen drei Sachen vor, die du starten, drei Sachen, die du stoppen, und drei Sachen, die du weitermachen möchtest“, erklärt Andre. „Das geht schnell, ist einfach – schafft aber Bewusstsein.“ Überhaupt ist Andre ein Fan von Mentaltechniken. „Leader sollten Rituale in den Alltag einbauen, um sich

selbst zu reflektieren und zu kontemplieren. Sich einfach zu bestimmten Zeiten hinsetzen und drei Minuten Augen zu, auf den Atem achten und schauen, was an Ideen kommt“, schlägt Andre vor. „Das hilft dir, dich emotional zu grounden, und so kannst du auch emotional für deine Mitmenschen da sein.“ In Startups wird generell viel mit den Begriffen Manager und Leader hantiert. Viele nennen sich Team Lead oder Vice President. „Ich sehe viel Bullshit Bingo auf Visitenkarten“, berichtet Andre. Bei den meisten Startups finde ich mehr Manager als Leader, auch wenn etwas anderes auf der Visitenkarte steht.“ Die Frage ist: Wie viele Leader und wie viele Manager braucht eine Organisation wirklich? „Es kommt darauf an“, sagt der Führungskräftecoach. „Wenn du sehr autonom führst, führen sich mehr Menschen selbst. In einer modernen Organisation achten die Menschen mehr aufeinander, viele haben Leader­ shipqualitäten.“ In einer autoritär geführten Organisation reicht womöglich ein Leader. In einem Netzwerk auf Augenhöhe gibt es dagegen mehrere Leads (siehe Frederic Laloux: Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit). Auch wer glaubt, kein angeborenes Talent als Leader zu haben, sollte nicht aufgeben: „Du kannst lernen, genau hinzuschauen, zu reflektieren und bessere Fragen zu stellen“, sagt Andre. „Dann kannst du auf jeden Fall besser werden.“

„Alles, was in einem Unternehmen geschieht, ist zu 100 Prozent die Verantwortung des Unternehmensführers“ Gary Vaynerchuk

Buchtipps

Design a better business zeigt mit neuen Tools, Skills und Mindsets, wie man vom ersten Funken einer Idee bis zur Skalierung eines Geschäfts kommt. Mit dabei: Steve Blank über Innovation und Nancy Duarte über Story­telling. Vahlen, 269 Seiten, 34,90 Euro

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It doesn’t have to be crazy at work: Jason Fried und David Heinemeier Hansson, Gründer der Softwarefirma Basecamp, erklären ihr Konzept der „ruhigen Firma“ und wie sie damit Angst, Stress und Zeitverschwendung im Job reduzieren. Harper Business, 240 Seiten, 21,99 Euro

Management by Sauron: Harri V. Hietikko stellt Führungskonzepte aus Mittelerde vor – praktische Anwendungen, Ideen und Anregungen für Manager von heute, abgeleitet aus der Sage Herr der Ringe. Vahlen, 180 Seiten, 19,80 Euro


Spare me the blah-blah. Give me substance.

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More and more successful tech companies are becoming investors themselves. Both need a partner that speaks their language. That’s why we provide excellent relationships for the tech ecosystem. Whether arranging access to venture capital, providing debt solutions or supporting IPOs, our tech specialists make complex decisions easy. So, let’s talk – just without the blah-blah.

hvb.de/tech


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„Wir können uns nicht mehr ausschließlich auf die eigene Innovationskraft verlassen“ Bernhard Schambeck im Interview über die Wichtigkeit von Startups für die Innovationskraft der BMW Group und seine persönlichen Erfahrungen als Gründer einer eigenen Brauerei. Bernhard, seit sechs Monaten bist du nun der Head of BMW Startup Garage in München. Wie fühlt es sich an? Teil dieses kreativen und engagierten Teams sein zu dürfen, macht mich stolz und ist wahnsinnig spannend. Jeden Tag stehen wir mit den Top-Startups dieser Welt in Kontakt. Jeden Tag lernen wir interessante Menschen mit außerordentlichen Fähigkeiten kennen. So sind wir am Puls der Zeit und erfahren schnell von den neuesten Trends und Technologien. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen dabei stets die Kundinnen und Kunden: Wie möchten sie sich in Zukunft fortbewegen und was ist für sie die perfekte Mobilitätslösung? Startups helfen uns dabei, die Zukunft der individuellen und nachhaltigen Mobilität noch besser zu verstehen und Lösungen dafür zu finden. Erkläre doch kurz das Konzept: Wie funktioniert eure Zusammenarbeit mit den Startups? Die BMW Startup Garage ist eine Venture Client Unit. Das heißt, wir wollen Kunde des Startups werden. Voraussetzung dafür ist, dass das Startup eine Technologie anzubieten hat, die einen wesentlichen innovativen Beitrag für unsere Produkte, Services oder Systeme liefert. Unser Fokus liegt dabei auf EarlyStage-Startups, denn gerade in der frühen Phase geht es für eine junge Firma darum, ihr Produkt oder Geschäftsmodell marktreif zu entwickeln. Dafür braucht es Kunden – am besten solche, die Innovationsführer in ihrem Bereich sind. Wir wollen der erste Automobilkunde für die Startups sein und den Zugang zur Automobilindustrie eröffnen. Im Gegenzug erhoffen wir uns einen frühen Zugang zu den Innovationen. Kern des Programms ist die Entwicklung eines funktionalen Prototyps im Rahmen eines Pilotprojektes, das für die BMW Group eine relevante Anwendung durchspielt. Bereits für das Pilotprojekt bekommt das Startup einen Auftrag von der BMW Group, eine Lieferantennummer und generiert somit Umsatz. Zudem erklären wir dem Startup im

Detail alle relevanten Automotive-Prozesse, helfen beim Aufbau des Netzwerks im Konzern und unterstützen bei der Entwicklung eines Businessplans, um den nachhaltigen Transfer in die BMW Group zu sichern. Warum sind Startups für die BMW Group so wichtig? BMW ist Anbieter für Premium-Mobilität. Premium heißt unter anderem, innovative Produkte und clevere Lösungen anzubieten, die unsere Kunden begeistern. Was uns täglich antreibt, ist die Motivation, immer das beste Produkt oder den besten Service auf den Markt zu bringen. Als Technologie-Unternehmen wäre es gefährlich, sich ausschließlich auf die eigene Innovationskraft oder die unserer etablierten Lieferanten zu verlassen. Branchenübergreifende Kooperationen sowie die Zusammenarbeit mit Tech-Startups helfen uns dabei, auch zukünftig unsere Innovationsführerschaft zu sichern. Was sind eure Pläne für die Zukunft? Wohin soll sich die BMW Startup Garage unter deiner Führung entwickeln? Der Fokus der Zusammenarbeit mit Startups lag bisher stark auf Produkt- und Service-Innovationen. Das wird auch weiterhin der Schwerpunkt unserer Aktivitäten bleiben. Zukünftig wollen wir aber möglichst alle Unternehmensbereiche bei der Zusammen-

„Wir wollen die weltbesten Startup-Innovationen erschließen“


ANZEIGE arbeit mit Startups unterstützen. Mein Team und ich haben bereits in diesem Jahr damit begonnen, die BMW Startup Garage zu einer unternehmensweiten Plattform auszubauen. Wir sind in den letzten Monaten stark gewachsen. Das ermöglicht uns, über Forschung und Entwicklung hinaus weitere Unternehmensbereiche wie Produktion, IT, Sales & Marketing sowie Financial Services bei der Zusammenarbeit mit Startups zu unterstützen. In diese Richtung wollen wir dieses Jahr noch weiter gehen. Außerdem werden wir uns international noch breiter aufstellen, damit wir tatsächlich sicher sein können, die weltbesten Startup-Innovationen für die BMW Group zu erschließen. Wir haben also noch viel vor mit der BMW Startup Garage. Wie kann sich ein Startup bei euch bewerben? Unter bmwstartupgarage.com können sich interessierte Startups online bewerben. Die Auswahl läuft dann direkt über die BMW Startup Garage, in enger Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen der BMW Group. Was unterscheidet das Programm der BMW Startup Garage von dem der Mitbewerber? Die BMW Startup Garage ist eine bottom-up gewachsene Einheit, entwickelt von BMW-Mitarbeitern. Also so ähnlich wie ein Startup innerhalb unseres großen Konzerns. Wir haben uns ganz bewusst dagegen entschieden, die Zusammenarbeit mit Startups an eine externe Beratungsfirma auszulagern. Stattdessen haben wir genau analysiert, was für uns, die BMW Group, wesentliche Erfolgsfaktoren sind, um Innovationen erfolgreich ins Unternehmen zu transferieren. Natürlich haben wir da auch einen Lernprozess hinter uns, und dieser Lernprozess geht kontinuierlich weiter. Wir sind aber sehr zufrieden mit der bisherigen Entwicklung und mit dem, was wir bisher im Unternehmen bewegt haben. Allerdings glaube ich auch, dass jedes Unternehmen sein eigenes Konzept entwickeln muss. Es gibt kein Patentrezept. Was funktioniert, hat viel mit der eigenen Unternehmenskultur zu tun – und die verstehen am besten die eigenen Mitarbeiter. Du hast selbst schon einmal ein Unternehmen/Startup gegründet. Wie kam es dazu? Oh ja, ich habe mich tatsächlich – etwas fachfremd zwar – am Bierbrauen versucht und eine eigene Craft-Bier-Brauerei ge-

Fotos: max. 100 Zeichen

BMW Startup Garage in Garching bei München

Bernhard Schambeck, Head of BMW Startup Garage

gründet. Bierbrauen war und ist nach wie vor eine Leidenschaft von mir. Ich habe das einige Jahre als Hobby betrieben. Nach und nach wurde das Bier in meinem Wohnort immer bekannter. Durch viel Zuspruch von Freunden und Bekannten habe ich mich dann mit einem Partner zusammengetan und gemeinsam haben wir eine Brauerei gegründet. Dafür habe ich mir bei BMW ein Sabbatical von sechs Monaten genommen, um mich dem Aufbau unserer kleinen regionalen Brauerei zu widmen. Wir sind sehr schnell gewachsen und haben in kurzer Zeit erstaunlich viel erreicht. Nach 1,5 Jahren bin ich dann ausgestiegen – auch, damit ich mich voll und ganz meiner Aufgabe bei der BMW Startup Garage widmen kann. Die Brauerei gibt es aber immer noch. Wie profitierst du in deinem heutigen Job von dieser Erfahrung als Gründer? Ein Startup zu gründen, heißt, täglich neue Probleme zu lösen. Du löst ein Problem und stellst danach fest, dass in der Zwischenzeit neue Probleme aufgetaucht sind, für die du ebenfalls Lösungen finden musst. Anders als in einem großen Konzern ist man im eigenen Startup für alles verantwortlich. Und damit meine ich wirklich alles. Von der Müllentsorgung bis hin zum erfolgreichen Verkauf des Produktes. Solange das Bierbrauen noch ein Hobby war, kümmert man sich nur ums Produkt und den Genuss desselbigen. Als Unternehmer steht man jedoch vor einer Vielzahl von Herausforderungen: Ein Vertriebs- und Marketingkonzept muss her, es braucht Branding, Finanzplanung, Qualitätsmanagement, Verkaufsgespräche, Einkauf, Gespräche mit Bürgermeistern und regionalen Politikern, Genehmigungen, Steuerinformationen und so weiter. Das alles zu meistern, war eine lehrreiche und prägende Erfahrung. Und ich kann mich jetzt bei der BMW Startup Garage auch in meine Gegenüber, die ebenfalls vor solchen Herausforderungen stehen, bestens hineinversetzen.

bmwstartupgarage.com


SUPERSTARS UNTER 30

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SUPERSTARS UNTER 30

Beim Gründen lernt man mehr fürs Leben! Eine Begeisterung, die alle jungen Gründer teilen und die auch immer stärker gefördert wird. Nur an deutschen Schulen wird weiter Sicherheitsdenken gelehrt.

Fotos: Frauke Schumann, Dominik Butzmann, Astrid Eckert, Naga Group, Lisk

Von Josefine Köhn-Haskins

„Jeder Mensch sollte wenigstens einmal im Leben das Risiko eingehen und versuchen, etwas zu gründen“, sagt Max Kordek. Der heute 26-Jährige hatte Anfang 2016 mit dem ICO für Lisk für Furore gesorgt. Innerhalb eines Monats wurden 14.000 Bitcoin eingesammelt, schon damals umgerechnet 5,2 Millionen Euro. Natürlich wusste Max nicht, dass seine Idee so viel Anklang finden würde, aber: „Ich wollte versuchen, etwas aufzubauen, hinter dem ich mit voller Passion stehe und einen echten Impact auf die Welt haben kann.“ Rubin Lind ging es ähnlich. Noch während seiner Schulzeit bewarb er sich mit seiner Idee für eine App, mit der Lernen Spaß machen kann, beim Schülerwettbewerb Startup Teens – „ohne vorbereiteten Pitch oder richtige Präsentation“, erinnert er sich. Es reichte dann auch nicht für den erhofften Geldpreis, dafür habe er viel durch den Austausch mit anderen gelernt. Mittlerweile ist der heute 19-Jährige zum Gründer des Jahres 2018 gekürt worden, leitet ein kleines Team, wird als Speaker und Berater angefragt und hat für Skills4School eine sechsstellige Investitionssumme gesichert. Studium? Vielleicht mal später. Mittlerweile hätten sich sogar seine Eltern damit abgefunden. Zu ihrem Trost: Die Ansicht, dass Gründer tatsächlich mehr für Leben und Karriere lernen, als ihnen im Studium jemals angeboten wird, ist mittlerweile weit verbreitet. „Wenn ich mein Wirtschaftsstudium mit dem vergleiche, was ich heute mache, war das ziemlich realitätsfern“, meint Maxim Nitsche, der nach dem Exit von Math42 an Chegg in der Geschäftsführung dort tätig ist. Weder er noch sein Bruder bereuen es, für Math42 das Studium geschmissen zu haben. „Direkt nach der Schule zu studieren, ist schon eine deutsche Obsession“, meint Maxim. „Wir haben einfach was Interessantes gemacht – und wir haben Spaß dabei.“

wenn ich nach Leuten für unser Team suche, ist ein Studium nicht das Hauptkriterium“, erklärt Raphael Nitsche. Cornelia Röper, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle mit ihrer Online-Plattform Wefugees eine Skalierung der viel zu geringen Anzahl an Beratern ermöglichte, kann dem nur zustimmen: „Gründergeist und unternehmerisches Denken, das wird leider gar nicht an den Schulen gelehrt, sondern genau das Gegenteil: In der Schule lernst du Boxen auswendig. Im Unternehmertum musst du schauen, wie du aus der Box rauskommst – und echte Lösungen findest.“

Sollen Schüler gründen?

24 %

64 %

12 %

Gründer lernen mehr fürs Leben Vielleicht liegt es ja daran, dass sie mit Chegg neue, digitale Lehr- und Lernmöglichkeiten entwickeln, dass die beiden Brüder nicht an das Standardmodell des deutschen Bildungssystems als Erfolgsgarant für die spätere Karriere glauben. „Ich habe Programmieren nicht an der Uni gelernt, sondern online Sachen nachgeschaut, selbst ausprobiert. Ob ich gut bin oder nicht, das hat nichts damit zu tun, ob ich studiere oder nicht. Ehrlich gesagt,

Nein

Ja

Unter Umständen

Quelle: Bitkom Research/Aris; bundesweit wurden repräsentativ 505 Lehrer an weiterführenden Schulen befragt.

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Gründen lernt man nicht in der Schule. Man macht es einfach.

Eine Ansicht, die von den Ergebnissen des Global Entrepreneurship Monitors 2017/18 bestätigt wird. Im Vergleich zu anderen Ländern werden die schulische und außerschulische Grundausbildung sowie die gesellschaftlichen Werte und Normen in Deutschland von den Experten als sehr negativ für die Förderung von Unternehmertum und Gründergeist bewertet. 64 Prozent der Lehrer an weiterführenden Schulen in Deutschland raten laut Bitkom Research ihren Schülern von einer Gründung ab.

Dabei braucht Deutschland Gründer. Die Bundesregierung unterstützt zahlreiche Förderprogramme; Mentoring- und Netzwerkangebote an den Universitäten werden ausgebaut. Alleine 2018 wurden in Deutschland 170 Wettbewerbe für Startups ausgeschrieben (siehe Infobox). „Es gibt wirklich ein breites Angebot, aber es ist nicht so einfach, das richtige zu finden“, meint Maria Driesel, die mit Inveox einen spannenden Beitrag für das Patho-

Anlaufstellen für junge Gründer Das Exist-Gründerstipendium fördert junge Gründerinnen und Gründer aus Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen. exist.de Die Social Entrepreneurship Akademie sieht sich als zentrale Anlaufstelle für alle Vorhaben im deutschsprachigen Raum, die unternehmerisches Handeln mit sozialem Denken in Einklang bringen. seakademie.de Startup Teens unterstützt junge Menschen zwischen 15 und 19 Jahren bei der Umsetzung ihrer Idee. startupteens.de

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Jugend gründet ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderter Wettbewerb für Schüler und Auszubildende. Aufgabe ist es, eine Geschäftsidee in einen Businessplan umzuwandeln. jugend-gruendet.de Mit dem German Accelerator unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) deutsche Startups beim Eintritt in den US-amerikanischen und südostasiatischen Markt. germanaccelerator.com

Der European Youth Award ist ein europaweiter Ideen-Wettbewerb für junge Gründer, die soziale und ökologische Herausforderungen mithilfe digitaler Technologien in Angriff nehmen. eu-youthaward.org

Bay Startup ist eine vom Bayerischen Wirtschaftsministerium und der Wirtschaft geförderte Institution, die Unternehmen in der Startphase unterstützt und bis zur Internationalisierung begleitet. Hier findet ihr Businessplan-Wettbewerbe, Investoren-Matching, Coaching- und Mentoringprogramme. baystart­up.de

Generation D ist ein bundesweiter Ideen- und Gründungswettbewerb im Social Entrepreneurship für Studierende und Young Professionals. generation-d.org

UnternehmerTUM ist ein an die TU München angegliedertes Innovations- und Gründerzentrum mit vielen tollen Einzelprogrammen und einem großen Netzwerk. unternehmertum.de

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Foto: Regina Sablothny Startup Teens, Priscilla du Preez

SUPERSTARS UNTER 30



SUPERSTARS UNTER 30

Millionäre unter 30: Sieben große Exits junger Unternehmer Von Monica Dick

Christian Reber (Alter beim Exit: 29), 6Wunderkinder, Summe: 183 Millionen Euro: Einen erfolgreichen Exit konnte Reber schon mit 29 Jahren abhaken: Satte 183 Millionen Euro brachte der Verkauf der To-doListen-App Wunderlist ihm und seinen fünf Mitgründern von 6Wunderkinder ein. Käufer war niemand Geringeres als Microsoft. Lea-Sophie Cramer (Alter beim Exit: 28), Amorelie, Summe: 17,5 Millionen Euro: Eine satte Summe und zwei Prozent Anteile für Lea-Sophie Cramer: ProSiebenSat1 kaufte 2015 erst 75 Prozent des Online-Erotikversandhandels, mittlerweile sind es 98 Prozent. Fabian Heilemann (Alter beim Exit: 29), Dailydeal, Summe: 114 Millionen Euro: Nach dem Abtritt an Google 2011 kauften Fabian und sein Bruder Dailydeal zwei Jahre später wieder zurück und gründeten weitere Startups wie Freighthub. Catalin Voss (Alter beim Exit: 20), Sension, Summe: k/a: Als Wunderkind gefeiert gründete er mit 18 in Stanford das Startup Sension, mit dessen Software Autisten die Gefühle ihres Gegenübers deuten können. Im Mai 2015 folgte der Verkauf nach Japan. Alexander, Oliver und Marc Samwer (Alter beim Exit: 25, 28, 29), Alando, Summe: 50 Millionen Euro: Ihr Einstieg in die deutsche Startup-Szene gelang den Samwer-Brüdern 1999 mit der Gründung des Internet-Auktionshauses Alando, das nach nur 100 Tagen an eBay verkauft wurde. Mittlerweile verfügen die Brüder über ein beeindruckendes Startup-Portfolio, darunter Jamba und Travelbird. Marcus Börner (Alter beim Exit: 27), ReBuy, Summe: unbekannt: Mit nur 18 rief Abiturient Börner den Re-Commerce-Anbieter ReBuy ins Leben, knapp zehn Jahre später verabschiedet er sich 2013 aus dem operativen Geschäft. Später gründete mit einem Kindheitsfreund das Fintech OptioPay. Michael Brehm (Alter beim Exit: 27), studiVZ, schuelerVZ, meinVZ; Summe: 85 Millionen Euro: Für Medienrummel sorgte 2007 der Verkauf der VZ-Netzwerke an Holtzbrinck. Das soziale Netzwerk studiVZ verschaffte Mitgeschäftsführer Behm ein Millionenkapital, das er in weitere Startups investierte.

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logielabor der Zukunft entwickelt. Wichtigster Tipp der 28-Jährigen an alle, die sich fürs Gründen interessieren: „Von Beginn an netzwerken, denn auch vom gegenseitigen Austausch lebt man als Startup-Unternehmer.“ Und dann natürlich auch, den Schritt zu wagen: „Es gibt einfach keine bessere Ausbildung, als zu gründen“, schwärmt Henriette Schmidt, Mitgründerin von Wefugees. „Wenn du merkst, dass du einfach eine Idee haben und diese umsetzen kannst, das macht wirklich viel mit dir.“ Natürlich würde sie wieder gründen, wie eigentlich alle, die es schon mal versucht haben – übrigens völlig unabhängig davon, ob die erste Gründung erfolgreich war oder nicht.

Jeder zweite Student möchte Beamter werden „Auch Scheitern ist wichtig“, erklärt Alexander Osterwalder. Denn ohne Scheitern gäbe es keine Innovationen. Basierend auf dieser Einsicht etabliert der Gründer von Strategyzer und Entwickler des Business-Modells Canvas Innovation und Wandel in großen Unternehmen. Tatsächlich geht es auch hier sehr viel darum, die Angst vor Fehlschlägen zu nehmen. Denn Scheitern werde immer noch als Makel gesehen. Und im sicherheitsverliebten Deutschland gilt deshalb die Devise: „Mach´ erst mal was Vernünftiges.“ Wenig überraschend scheinen daher die Ergebnisse einer Umfrage des Personaldienstleisters Univativ: Jeder zweite deutsche Student würde demnach eine Verbeamtung begrüßen.

„Jeder, der nicht gründet, verpasst etwas“ Benjamin Bliski, Gründer und CEO Naga-Group

„Die Leute haben Angst davor, etwas zu riskieren. Aber was habe ich denn tatsächlich zu verlieren?“, fragt Rubin Lind. „Das Horrorszenario wäre, wenn ich in weniger als zwölf Monaten insolvent ginge. Dann muss ich zwar ein Insolvenzverfahren anmelden und habe zwei Jahre an Ausbildungszeit verloren, dafür aber ein großes Netzwerk aufgebaut und praktische Erfahrung. Man hat nichts zu verlieren. Viele machen sich das zu wenig bewusst. Da muss ein Umdenken stattfinden.“

2.230 Schüler beim Gründer-Wettbewerb „Unternehmerisches Denken und Handeln haben noch niemandem geschadet“, meint Susanne Maack von Startup Teens. Die seit drei Jahren bestehende Nonprofit-Organisation aus Hamm unterstützt Teenager mit Online-Trainings, einem Mentoring-Programm und einem jährlichen Businessplan-Wettbewerb dabei, ihre Idee umzusetzen. Die Hemmschwelle ist niedrig – und hat in diesem Jahr 2.230 Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 19 dazu bewogen, ihre Ideen für den mit sieben Mal 10.000 Euro dotierten Wettbewerb einzureichen. Zu den Siegern gehörte eine Lern-App, die Schüler mit älteren


Gründungsausbildung an deutschen Schulen Wertschätzung des Themas Wirtschaft in den Lehrplänen der Primar- und Sekundarstufe

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Anregung von Kreativität, Selbstständigkeit und Eigeninitiative im Schulunterricht

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Vermittlung von Kenntnissen über das Funktionieren der Marktwirtschaft im Schulunterricht

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Wertschätzung des Themas Entrepreneurship und Unternehmensgründung im Schulunterricht

eher negativ

Menschen vernetzt, individuell zusammenstellbare Superfood-Produkte oder eine App, die erblindenden Menschen dabei hilft, das Braille-Alphabet zu lernen. „Natürlich ist nicht jeder zum Unternehmer und Gründer geboren“, meint Susanne, aber sich „damit zu beschäftigen, ist für jeden ein Gewinn. Denn auch Arbeitgeber suchen heute nach Mitarbeitern, die die unternehmerischen Ziele des Konzerns im Auge behalten und selbst mitdenken.“ „Niemand wird dir böse sein, wenn du in den Zwanzigern zwei, drei Jahre verlierst, weil du ein Unternehmen an die

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eher positiv

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Wand fährst“, sagt Naga-Gründer Benjamin Bliski. „Es ist doch letztlich egal, ob du mit 35 oder mit 38 Juniorpartner in einer Beratung oder Investmentbank wirst, aber genau diese zwei, drei Jahre kannst du nutzen, um zu sehen, ob deine Unternehmensidee funktioniert. Wir leben in einer Zeit, in der es so viele Möglichkeiten für Startups und junge Entrepreneure gibt. Alle, die es nicht versuchen, verpassen etwas.“ Also, worauf wartet ihr noch? Lasst euch von den jungen Gründern und Gründerinnen auf den nächsten Seiten inspirieren.

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SUPERSTARS UNTER 30

Junge Gründer: Fünf Erfolgsgeschichten Noch keine 30 und schon ganz oben: Warum es ein Kick ist, ganz jung sein eigener Boss zu sein. Von Josefine Köhn-Haskins

a i r a M l e s e i Dr

erin d n ü , Gr (28) n Inveox vo

Medizinisches Fachwissen brachte die 28-Jährige nicht mit, dafür aber Neugier, ein vielseitiges Interesse und den unbeugsamen Willen, dort, wo es wichtig ist, etwas voranzutreiben. „Das fing schon in der Schulzeit an, egal ob Klassenprojekt oder Schulorchester, ich war involviert und wollte es weiterbringen.“ Wie wichtig diese Eigenschaft für eine Startup-Gründerin ist, erkannte sie damals natürlich noch nicht. Erst im Rahmen ihres Wirtschaftsingenieur-Studiums an der Technischen Universität (TU) München und ihres Stipendiums im Entrepreneurship-Programm „Ma-

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nage & More“ schärfte sich ihr Blick dafür, eine innovative Idee zu erkennen und „innerhalb von kurzer Zeit durchzuspielen, ob das ein Geschäftsmodell wird“. Programme, wie das an der TU integrierte UnternehmerTUM und die Möglichkeit für Auslandssemester waren also ein wichtiger Baustein für Maria, um die Grundlagen zum unternehmerischen Denken zu entwickeln.

„Als Startup-Unternehmer lebt man auch vom gegenseitigen Austausch“ „Es gibt wirklich ein breites Angebot an Programmen, aber es ist nicht so einfach, das richtige zu finden“, meint Maria. Ihr wichtigster Tipp an alle, die sich fürs Gründen interessieren, ist deshalb: „Von Beginn an netzwerken, denn auch vom gegenseitigen Austausch lebt man als Startup-Unternehmer.“ Genau so lernte Maria auch ihren Mitgründer, Dominik Sievert, kennen. „Wir hatten zur gleichen Zeit voneinander unabhängig die gleiche Produktidee und haben diese dann gemeinsam weiterentwickelt.“ Was dabei die größten Herausforderungen waren? „Als Gründer prasseln ja Themen von allen Seiten auf dich ein. Einmal musst du dich um Patentrecht kümmern, dann um Engineering und in den nächsten fünf Minuten geht es darum, wie man einen Flyer am schönsten gestaltet“, erzählt Maria. „Die Fokussierung auf die wichtigsten Themen und sich in alles reinzudenken, das war nicht immer leicht, aber daran wächst man ja dann auch.“ Und dabei waren Maria und Dominik schon beim nächsten wichtigen Thema: dem Aufbau des Teams, womit sich die beiden 2017 intensiv beschäftigt haben. Als Nächstes wird es nun um den Markteintritt und die Skalierung von Inveox gehen. Dazu sind fünf Pilotprojekte geplant, von denen einige bereits laufen. Unterstützt wurde Inveox dabei auch in der diesjährigen Finanzierungsrunde in Höhe von fünf Millionen Euro von denselben vier Privatinvestoren, die bereits in der Seed-Phase investiert hatten. „Bei der Zusammenarbeit mit den Investoren war es uns wichtig, dass sie uns auch als Mentoren und Ansprechpartner mit ihren Erfahrungen weiterhelfen“, erklärt die junge Gründerin.

Foto: Astrid Eckert

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uf die Idee für ihr aktuelles Geschäftsmodell ist Maria Driesel zufällig gekommen. „Ich kam mit einem Pathologen ins Gespräch und habe angefangen, richtig nachzubohren, als er mir erzählte, welche Herausforderungen er im Arbeitsalltag hat, für die es aus technologischer Sicht noch keinerlei Lösungsansätze gibt“, erinnert sich die Gründerin. Heute ist sie CEO von Inveox, einem Medizintechnik-Startup aus Garching bei München, das die Probenvorbereitungsprozesse in der Histopathologie mittels eines Automatisierungssystems optimiert. Das sorgt für weniger Fehlerpotenzial bei der Krebsdiagnose und höhere Effizienz im medizinischen Pathologielabor der Zukunft.


SUPERSTARS UNTER 30

n i m a j n e B y k s l Bi der n ü r ,G (29) oup r G aga N r e d

Foto: NAGA Group

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chon als Teeanger hat er MP3-Player aus China importiert und auf dem Schulhof weiterverkauft. Die Geschäftserweiterung auf eBay lief so gut, dass er bald einen eigenen Shop ins Internet stellte – und danach ließ ihn der E-Commerce nicht mehr los. Damals konnte sich Benjamin Bilski mit den Erlösen seinen ersten Motorroller leisten. Heute wird der Wert seiner Firma, der Naga Group, auf 280 Millionen US-Dollar geschätzt. Noch schwankt der Aktienkurs stark, der ICO 2017 musste wegen des damals noch zu strikten deutschen Regelwerks über Zypern laufen – aber die Idee ist zukunftsweisend. Naga bietet die erste Plattform, auf der traditionelle Aktien, Kryptowährungen und virtuelle Güter (Gaming-Assets) nebeneinander gehandelt werden können. Roboter Cybo berät Neulinge aufgrund von Schwarmintelligenz bei der Geldanlage – und Benjamin hat durchaus vor, mit der NAGA Coin und neuen Ideen den überholten Bankensektor weiter zu revolutionieren. „Hauptaufgabe ist es, die Unicorn-Bewertung hinzubekommen“, sagt der heute 29-Jährige. „Ich glaube, dass wir im Bereich Fintech noch ganz viel Verbesserungspotenzial haben. Es gibt so viele Leute, die kein Konto, keinen Zugang zu Banking haben. Diese Verbindung, nicht nur Geld speichern zu können, sondern auch am Finanzmarkt teilzunehmen, das wollen wir hinbekommen, für alle, egal in welchem Land, auf welchem Kontinent.“ Groß – und vor allem profitorientiert – zu denken, war für Benjamin noch nie ein Problem. Während der Schulzeit erkämpfte er sich als Profischwimmer einen Platz in der deutschen Nationalmannschaft. Und nicht nur das: Er nutzte die Reisen mit dem Team auch gleich, um sein nächstes E-Commerce-Unternehmen zu gründen. Der Hobbyangler kaufte sich im Ausland gern mal Zubehör und entdeckte schnell, dass sich dieses mit einer 80- bis 90-Prozent-Marge in Deutschland weiterverkaufen ließ. „Also hängte ich das Schwimmen an den Nagel und gründete angelplatz.de“, erinnert er sich. „Wir haben ziemlich

schnell sieben, acht Millionen Euro Umsatz gemacht. Da war ich 22 Jahre alt.“ Mit dem Geld finanzierte er sich ein Studium an einer Privatuni. Dabei ging es ihm weniger darum, tatsächlich etwas Neues zu lernen, sondern darum, „ein gutes Fundament zu haben und noch ein paar Kontakte zu knüpfen“. Tatsächlich brachten die neue Kontakte auch neue Ideen. Doch zuerst gründete Benjamin schnell noch ein Unternehmen. Diesmal die von Tinder inspirierte App für Modeartikel, Swipy. Bankerfreund Yasin Sebastian Qureshi erkannte das Potenzial. „Er meinte, der Aktienmarkt sei viel zu komplex, wir sollten deshalb ein Swipy für Aktien machen“, erinnert sich Benjamin. SwipeStox war geboren. Benjamin ging nach London, Sebastian sicherte die Banklizenz. „Und dann kam 2014 die Deutsche Börse AG auf uns zu. Wir sollten ihnen helfen, den Aktienhandel einfacher und spielerischer zu machen und es ermöglichen, auch virtuelle Güter an der Börse zu traden.“ Das war der Startschuss für SwipeX, das „wir dann in die Naga Group integrierten.“ „Wir sind einfach davon ausgegangen, dass Gamer und Aktienhändler als Kunden die gleichen Attribute aufweisen“, erzählt Benjamin. Aber nehmen seriöse Banker die Gaming-Industrie wirklich ernst? „Jetzt ja“, sagt der Gründer. „Naga hat 21 Monate nach der Gründung den schnellsten Börsengang in Deutschland hingelegt. Hauck und Aufhäuser sowie das chinesische Konglomerat Fosun sind in uns investiert und dann haben wir mit der Nasa Coin noch einen der Top ICOs in Deutschland gelauncht.”

„Hauptaufgabe ist es, die Unicorn-Bewertung hinzubekommen“ „Unsere Vision ist klar und ich denke, wir machen genau das, was in den nächsten Jahren Nachfrage erhält. Zalando oder Amazon, die sind von der Datenauswertung her zehnmal besser als die Banken, denn darauf basiert ihr Geschäftsmodell. Die großen Finanzinstitute lassen Daten immer noch links liegen. Deshalb haben wir bei der Naga mit Yassin als Banker und mir als E-Commerce-Experten mit Erfahrung im datengetriebenen Management genau die richtige Kombination.“

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a i l e Corn r e p ö R

derin n ü r ,G (28) fugees We von

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rsprünglich wollte Cornelia Röper nur helfen. „Doch als 2015 die Flüchtlingsthematik so richtig hochbrodelte, war ich grade Vollzeit in einem jungen IT-Startup angestellt und hatte nicht die Zeit, mich in eine Suppenküche zu stellen”, erinnert sich die heute 28-Jährige. Deshalb fragte sie kurzerhand ihre beiden ebenfalls jungen Chefs, ob sie sich nicht zwei Praktikanten ausleihen dürfe, um herauszufinden, was wirklich gebraucht werde. „Wir haben dann ganz viel Tee getrunken, mit Heimleitern, Helfern und Geflüchteten gesprochen und schnell herausgefunden, dass der Informationsfluss furchtbar chaotisch ist. Alleine für potenzielle Helfer gab es 42 verschiedene Facebook-Gruppen.”

Gemeinsam mit den Geflüchteten In mehreren Co-Design-Workshops mit den Geflüchteten selbst entwarf Cornelia dann den Prototyp von Wefugees – gesponsert von ihren beiden Chefs, die mit ihrem Unternehmen Enabee praktischerweise auch Websites konzipieren und programmieren. „Am Anfang haben sie das Projekt voll getragen – und dafür bin ich den beiden Jungs unendlich dankbar.” Geplant als Nebenprojekt, legte Wefugees völlig unerwartet einen Raketenstart hin. Statt der anvisierten „100-200 Flüchtlinge – was ja schon viel mehr gewesen wäre, als

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„Man muss es doch auch schaffen, den sozialen Aspekt mit reinzubringen“

wir persönlich hätten erreichen können – hatten wir in den ersten zwei, drei Monaten bereits mehrere Tausend Leute auf der Plattform und Anfragen aus ganz Deutschland, Österreich, England, Holland, wann wir Wefu­gees dort aufbauen könnten. Dann waren wir erst mal völlig baff und wussten nicht, was wir tun sollten”, erinnert sich Cornelia. Sie konnte dann quasi gar nicht anders, als ihren bisherigen Job zu kündigen, und stieg Vollzeit bei Wefugees ein. Im Januar 2016 wurde ein richtiges Team aufgesetzt und eine Finanzierung über verschiedene Hybrid-Modelle gesichert.

Nicht nur über Spenden finanzieren Unterstützung kam über CSR-Modelle (Corporate Social Responsibility) von großen IT-Unternehmen wie der Telekom und Cap Gemini, über zwei Ecken auch Geld direkt aus dem Bundeskanzleramt. „Wir haben schnell gemerkt, dass wir uns nicht über Spenden finanzieren, sondern ein richtiges Geschäftsmodell hinter Wefugees haben wollen”, erinnert sich Cornelia. Ein wichtiges Learning, meint ihre Mitgründerin Henriette Schmidt, die Anfang 2016 ins Team einstieg. „Da wir schon eine funktionierende Plattform und Infrastruktur mithilfe von Freiwilligen und auf Volunteer-Basis aufgebaut hatten, kam oft die Frage, warum wir denn dann noch Geld bräuchten, wenn es doch auch so funktionierte.” Sowohl Henriette als auch Cornelia sehen es als eine riesige Chance, Ideen mit einem positiven sozialen Inhalt durch ein funktionierendes Geschäftsmodell zu finanzieren. „Es kann doch nicht sein, dass das ausschließliche Ziel eines jeden Unternehmens die maximale Gewinnerzielung ist, man muss es doch auch schaffen, den sozialen Aspekt mit reinzubringen”, meint Cornelia und freut sich heute sehr, dass ihr dies schon bei ihrem ersten Unternehmen gelun-


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e tt e i r Hen idt Schmderin

SUPERSTARS UNTER 30

Förderfinanzierung ohne Stress Du konzentrierst Dich auf Dein Kerngeschäft Wir erledigen den Rest

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gen ist, obwohl sie es eigentlich erst wagen wollte, wenn sie mal „groß und weise” ist. „Dass es gleich beim ersten geklappt hat, hat mich tatsächlich etwas überfordert”, gesteht die heute 28-Jährige ein. Aber nicht lange.

Foto: Dominik Butzmann

Sein Ego zurückschrauben „Über Ashoka, eine Organisation, die sozial engagierte Unternehmer fördert, haben wir sehr viel über Systemwandel gelernt und wie man sein Ego zurückschrauben muss. Da haben wir auch schnell gemerkt, dass wir mit Wefu­gees nicht reich werden, aber möglichst vielen Leuten helfen wollen”, erinnern sich die beiden. Ziel war es deshalb, das Projekt in eine größere Struktur abzugeben, die mittlerweile mit dem paritätischen Wohlfahrtsverband gefunden wurde. Cornelia und Henriette halten zwar noch im Hintergrund die Fäden zusammen, sind aber beide längst in neue Projekte involviert. Cornelia hat für Ada Health die Business-Strategie mitentwickelt und wird demnächst als Geschäftsführerin für ein Community-orientiertes Unternehmen im Gesundheits- und Pflegebereich antreten. Henriette engagiert sich bei Ashoka für Intrapreneurship-Programme, denkt jedoch bereits über neue Projekte nach. „Langfristig schlägt mein Herz schon fürs Gründen”, sagt sie. „Jetzt hat man ja schon so viele Fehler gemacht, da muss ich doch nutzen, was ich gelernt habe.”

Wir schaffen Freiheit Als führender Spezialist für VC-finanzierte Unternehmen beraten wir vor allem Start-ups, die durch digitale Technologien Innovationen erreichen. Wir sind gespannt auf Eure Projektideen! Mehr unter foerderbar.de


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om Studenten zum Multimillionär: Über den ICO für Lisk sammelte Max Kordek Anfang 2016 Millionen – in kürzester Zeit. Dabei hatte alles ganz klein angefangen, in einer winzigen Studentenbude in Aachen. Max war damals 24, interessierte sich für Mathe, Informatik und Investmentbanking. „So habe ich schnell meinen Weg zu Bitcoin gefunden”, erinnert er sich. „Ich kaufte mir einen Miner, der mein kleines Apartment ziemlich schnell aufheizte – und laut war er auch. Ich habe einen richtigen Hass gegen Mining entwickelt”, meint er schmunzelnd. Kurzerhand suchte er nach Alternativen, die kein Mining voraussetzen. Zuerst wurde er für NXT aktiv, arbeitete dann für ein – leider nicht sehr erfolgreiches – Blockchain-Startup und beschloss deshalb gemeinsam mit seinem Kollegen, Oliver Beddows, etwas Eigenes aufzubauen. „Grundidee war und ist es, Entwicklern die Tools an die Hand zu geben, um einfacher und schneller ihre eigene Blockchain in JavaScript zu entwickeln, um darauf dezentrale Apps bauen zu können.” Finanziert werden sollte das Projekt, wie so viele, über eine ICO – allerdings mit einem Unterschied: „Damals wurden die meisten ICOs ja nur über kleine Forenposts bekannt gemacht, in dem Stil: Das ist meine Idee, bitte schickt mir Geld. Und das völlig anonym. Wir wollten das von Anfang an professioneller gestalten”, erzählt Max. Gesagt, getan: Es wurde ein richtiges Portal programmiert, auf dem sich Interessierte registrieren konnten, dazu kam eine schicke Website inklusive Bildern und den realen Namen der Teammitglieder. Der „professionelle ICO-Pitch” kam so gut an, dass Max teilweise 18 Stunden am Tag Anfragen beantwortete – und am Ende 14.000 Bitcoin (damals 5,2 Millionen Euro – heute hält die Lisk Stiftung 72 Millionen Euro) einnahm. „Bei dieser Summe war klar, dass wir eine solide legale

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Basis brauchten. Bis auf Ethereum hatte sich in der Community noch niemand wirklich über gesetzliche Grundlagen Gedanken gemacht”, schildert Max die Situation. „Zuerst haben wir es in Deutschland versucht, aber das ging gar nicht. Darum bin ich froh, dass es jetzt bei Madana (siehe Seite XY) so gut funktioniert.” Damals blieb den Lisk-Gründern nichts anderes übrig, als nach Zug in der Schweiz auszuweichen. Ein halbes Jahr dauerte es, bis sie dort eine Stiftung aufgebaut und die Gelder transferiert hatten – ohne sie einmal angefasst zu haben. „Während dieser Zeit haben wir uns selbst finanziert, mit Biegen und Brechen.” Den Rest lernten Max und Oliver „on the go”. „Wir lesen sehr viel, besuchen Workshops, arbeiten mit Mentoren – und stellen neue gute Leute ein, die dann natürlich auch helfen”, erklärt Max den Weg vom Studenten zum Präsidenten der Lisk Stiftung und gleichzeitig zum Geschäftsführer der Berliner Lightcurve GmbH. Unter diesem Dach beschäftigen Max und Oliver mittlerweile 50 Mitarbeiter in ihrem Büro am Berliner Potsdamer Platz, die mit voller Kraft daran arbeiten, die Lisk-Blockchain noch zugänglicher für Entwickler zu machen. „Dezentralisierung ist uns extrem wichtig – und muss voll in unsere Gesellschaft integriert werden. Sonst wird sich die Macht ausschließlich auf die großen Konzerne konzentrieren”, sagt Max. Währenddessen liegt der Studienabschluss auf Eis. „Mir fehlen noch ein paar Klausuren, die ich innerhalb der nächsten acht, neun Jahre nachholen kann, aber ich fürchte, das passiert nicht mehr”, lacht der 26-Jährige. Er habe auch so jede Menge gelernt. „Durch die Gründung bin ich viel selbstbewusster geworden und ein echtes Multitalent.” Und das viele Geld? Das scheint für Max eher Nebensache zu sein. „Natürlich habe ich jetzt eine schönere Wohnung und eine schickere Uhr, aber ich fühle mich ganz normal.” Und das rät er auch anderen Gründern. „Am Boden bleiben und nicht das Geld aus dem Fenster werfen.” Was ihm aber noch wichtiger ist: „Jeder Mensch sollte einmal im Leben versuchen, etwas zu gründen. Es ist einfach mega, einerseits dein eigener Boss zu sein, aber auch andererseits etwas aufzubauen, wo du mit voller Passion dahinterstehst und was wirklich einen Impakt auf die Welt haben könnte.”

„Dezentralisierung ist uns extrem wichtig – sonst wird sich die Macht ausschließlich auf die großen Konzerne konzentrieren“

Fotos: Lisk, Frauke Schumann

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Zeit lernt, ist einfach unbezahlbar.” Seit Mitte September gibt es Skills4School im neuen Design. Die Demo-Lernpakete sind gratis, danach können sich Schüler entscheiden, ob sie die komplette App oder nur einzelne Fachbereiche wie Mathe, Bio, Geschichte oder Informatik abonnieren wollen. Auch Latein soll es bald geben. „Wir setzen auf Fächer, für die man viel auswendig lernen muss – und bei denen Grundprinzipien verstanden werden müssen”, sagt Rubin. Eine Herangehensweise, mit der sich auch der Schulunterricht selbst verbessern lassen würde. „Manche verstehen eine Ableitung beim ersten Mal, andere müssen das mehrere Male durchgehen. Das ist auch kein Problem, denn jeder hat andere Kompetenzbereiche. Aber dann nutze ich eben eine App, um mir solches Wissen beizubringen, und nutze die Zeit in der Schule lieber für Gruppenarbeiten und Präsentationen. Denn das kann ich nicht am Handy lernen.”

Die Eltern hätten ihren Sohn lieber an der Uni gesehen

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m Anfang war die Idee – und die hatte Skills4School-Gründer Rubin Lind schon in der Schule: „Ich sitze halt nicht gerne ein paar Stunden am Schreibtisch und habe mich immer gefragt, warum wir uns nicht interaktiv auf Prüfungen vorbereiten können”, erzählt der heute 19-Jährige. Kurzerhand überlegte er sich eine App, mit der Lernen sogar Spaß machen kann. Ein Algorithmus ersetzt den Nachhilfelehrer, macht pauken flexibel und zeitoptimiert. „Meine Generation ist ja ohnehin einen Großteil des Tages am Handy, da können wir die Zeit doch auch sinnvoll nutzen.” Gesagt, getan, die Idee kam an – aber bei den ersten Wettbewerben ging Rubin leer aus. „Anfangs hatte ich nicht mal eine richtige Präsentation”, erinnert sich der junge Gründer. „Aber das Mentoring, das ich dann etwa durch meine Teilnahme bei Startup Teens bekommen habe, war viel mehr wert als jedes Geld. Hätte mir damals jemand 200.000 Euro gegeben, hätte ich gar nicht gewusst, wie ich sie richtig einsetze.”

Es macht Spaß, andere voranzubringen 2017 kam Skills4School dann ins Finale, mittlerweile konnte Rubin sogar eine sechsstellige Investition für sein Unternehmen sichern und ist gerade zum Gründer des Jahres gekürt worden. Er leitet ein 8-köpfiges Team, unterstützt Startup Teens bei ihren Social-Media-Aktivitäten und hat mit einem guten Freund im Juli eine kleinere Investmentfirma gegründet. „Es macht einfach Spaß, andere junge Leute voranzubringen”, sagt er. „Häufig sind da ganz unnötige Ängste, aber ich denke mir: Nutzt doch die Zeit nach der Schule! Im Endeffekt muss natürlich nicht jeder ein Unternehmen gründen, das funktioniert auch nicht. Aber jeder kann es mal ausprobieren. Denn was man in dieser

Rubin selbst entwickelte diese Skills, indem er seine Idee immer wieder neu vorstellte. Mittlerweile wird er zum Thema Bildung sogar als Referent angefragt. Wie lange hat es gedauert, um als Teenager so richtig ernst genommen zu werden? Lachend zeigt er auf seinen Bartansatz: „Damit ich nicht mehr zu hören kriege, dass ich mir erst mal einen Bart wachsen lassen soll, damit ich nicht nur Kakao serviert bekomme.” Am schwersten war es aber wohl, seine Eltern von dem etwas ausgefallenen Karriereweg zu überzeugen. Sie hätten ihren Sohn lieber an einer Uni gesehen, vor allem, als er an der renommierten Code University der Factory Berlin aufgenommen wurde. „Klar fand ich das sehr spannend und bin auch jetzt gerne in der Factory. Mein Gedanke war aber, dass ich die meiste Zeit nicht ins Studium, sondern in Skills4School stecken würde – und nicht nebenbei programmieren lernen kann. Was bringt die Uni dann tatsächlich, außer dass ich einen Bachelor-Abschluss habe? Und wenn ich später mal in einem Unternehmen arbeite, dann muss das Unternehmen eben erkennen, dass ich durch mein Netzwerk und meine Erfahrungen als Gründer auch einiges mitbringe.”

„Egal, ob es klappt oder nicht: Was man beim Gründen lernt, ist einfach unbezahlbar“ berlinvalley.com

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Der Verkauf von Math 42 machte die Brüder zu Medienstars. Heute sind sie Anfang 20, Multimillionäre und haben einiges zu erzählen. Das Interview führte Josefine Köhn-Haskins.

Wie war das eigentlich, als ihr den Millionen-Deal gemacht und Cogeon, die Firma hinter Math 42, an Chegg verkauft habt? Maxim: Wir haben ziemlich genau vor einem Jahr, am Freitag, dem 13. Oktober, unterschrieben, ganz ahnungslos. Dann hat die dpa eine Pressemitteilung rausgeschickt, Spiegel Online hat berichtet – und der Rummel ging los. Raphael: Zwei Wochen lang hat sich ganz Deutschland für uns interessiert. Jetzt ist alles wieder normal. Immerhin seid ihr jetzt Millionäre. Hat sich dadurch nichts verändert? Maxim: Das ist doch der Erfolg der ganzen Familie, nicht nur von uns beiden. Raphael: Ich würde schon sagen, dass sich unsere Lebenssituation verändert hat. Man kann sich halt manchmal was leisten. Maxim: Es sind die kleinen Sachen im Leben, die einfacher werden. Ich ziehe etwa um, in eine schönere Wohnung. Wir gehen gerne auf Konzerte. Aber wenn ich jetzt rein unsere Familie anschaue und ein Jahr zurück denke, dann sehe ich keinen Unterschied.

Foto: Franziska Turner

Habt ihr nicht euer Mathe-Studium beendet, um für Chegg weiter an Math 42 zu arbeiten? Maxim: Es wurde einfach zu viel. Wenn man ein Startup aufzieht, macht jeder ohnehin schon gefühlt zwei Jobs. Für das Studium blieb einfach keine Zeit und da haben wir uns dazu entschieden, uns ganz auf Math 42 zu fokussieren. So eine Chance bekommt man ja auch nicht ganz so oft im Leben. Macht es nicht mehr Sinn, erst zu studieren und dann zu gründen? Maxim: Ich finde, es spielt keine Rolle, in welcher Reihenfolge man das macht. Direkt nach der Schule zu studieren, ist schon eine deutsche Obsession. Wir haben halt einfach was Interessantes gemacht und richtig Spaß daran gehabt. Okay, es gab auch schwierige Zeiten, aber am Ende hat es geklappt.

Raphael: Es gab für uns ja kein großes Risiko. Was soll schon passieren, wenn du während deiner Schulzeit etwas gründest oder kurz danach? Viel schlimmer wäre es, wenn du nach dem Studium scheiterst, denn dann musst du diesen Fehlschlag auf deinem Lebenslauf erklären. Ihr wart 14 und 15 Jahre alt, als ihr Math 42 programmiert habt. Was hat euch dazu inspiriert? Maxim: Da wir in einem Mathematiker-Haushalt aufgewachsen sind, hatten wir selbst nie echte Probleme damit und haben viel Nachhilfe gegeben. Dabei mussten wir häufig die gleichen Fragen zehnmal beantworten. Gleichzeitig haben wir einen Vater, der alles automatisiert und etwa den Schachcomputer Mephisto programmiert hat. Da fanden Raphael und ich die Idee für eine Mathe-App natürlich nicht abwegig. Hat euer Vater euch unterstützt? Maxim: Also am Anfang hielt er es für eine Schnaps­ idee. Aber nachdem wir ihn mit Marktdaten (alleine in Deutschland wird jährlich 1 Milliarde Euro für Nachhilfe ausgegeben) und einem Businessplan überzeugt hatten, hat er vieles in die Hand genommen. Auch unsere Mutter Oxana hat uns unterstützt. Raphael: Genau. Das geht in der Presse immer unter, wahrscheinlich, weil es keine so sexy Geschichte ist. Wie kam es eigentlich zu dem Deal mit Chegg? Maxim: Das lief über drei Ecken und David Klett, der Math 42 auf einer großen Bildungskonferenz in den USA erwähnt hatte. So wurde der Geschäftsführer von Chegg Studies auf uns aufmerksam. Gleichzeitig hat David uns Chegg gezeigt. Es gab zwar richtig gute Textbücher, die wie auch Math 42 den exakten Lösungsweg für Matheaufgaben zeigen, allerdings händisch. Und außer Nachhilfe per Chat, Forum und Video gab es keine wirklich innovativen digitalen Lösungen. Wir haben ihnen dann unsere App vorgestellt und kurz darauf durften wir unsere Technologie bei einem Treffen in New York detaillierter erklären. Die Verhandlungen dauerten dann aber immer noch ein Jahr.

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Zwei Brüder, ein Team: Gemeinsam haben Raphael und Maxim Nitsche die besten Ideen.

Wie ist das, mit 22 und 23 für ein Team beziehungsweise ein Unternehmen verantwortlich zu sein? Maxim: Ich habe mich auch bei Math 42 schon viel um das Geschäftliche gekümmert, obwohl wir natürlich alle Gespräche zu dritt oder viert geführt haben. Dadurch habe ich gelernt, dass ich mich in diesem Bereich am wohlsten fühle: Teams koordinieren, planen, wie bestimmte finanzielle Ziele erreicht werden können, das ist super spannend. Es macht Spaß, ist aber momentan 100 Prozent Learning by Doing, obwohl ich natürlich Unterstützung von einigen tollen Mentoren bekomme. Raphael: Allgemein ist die Arbeitsatmosphäre sehr angenehm, weil niemand apodiktisch vorgibt, sondern sich vieles aus der Diskussion heraus ergibt. Hättet ihr es denn auch verkauft, wenn ihr dann danach kein Mitspracherecht mehr gehabt hättet? Raphael: Also letztlich verkauft man eine Firma und besteht dann nicht auf weitere Rechte, aber es ist natürlich schön, dass wir das Produkt jetzt noch weiterentwickeln können. Und es ist ja auch im Sinne der Firma. Maxim: Ich sehe den Verkauf an Chegg als eine Chance, die Idee jetzt wirklich groß zu machen. Natürlich gab es am Anfang eine Phase, in der beide Seiten erst mal sehen mussten, ob es funktioniert.

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Und? Funktioniert es? Maxim: Es scheint so, sonst wären wir ja nicht mehr hier. Mit 100 Milliarden Euro jährlich ist der weltweite Markt für Mathe-Nachhilfe riesig, was zum einen eine wahnsinnige Geschäftschance ist für Chegg. Zum anderen ist da aber natürlich auch ein riesiges Problem, das gelöst werden muss, wenn Leute bereit sind, 100 Milliarden dafür auszugeben. Das Schöne an Chegg ist, dass sie unsere Vision teilen und zuerst an die Schüler denken. Wir müssen also kein Lehrprodukt entwickeln, das sich an den Lehrplänen der Kultusministerien orientiert – oder irgendetwas machen, weil es sich dann besser verkauft. Natürlich wollen wir das Produkt verkaufen, gehen dabei aber von dem Grundsatz aus: Wenn das Produkt für den Schüler besser ist, verkauft es sich besser. Ganz einfach.

„Ich sehe den Verkauf als eine Chance, die Idee wirklich groß zu machen“ Raphael: Das ist das Schöne an dem, was mir machen: Wir holen die Schüler individuell da ab, wo sie gerade sind. Das bedeutet, dass ich auch in einer komplett heterogenen Klasse jedem individuell weiterhelfen kann. Etwas, was im Frontalunterricht bisher prinzipiell nicht möglich ist. Das ist das Schlimme an der Schule: Es gibt ja nicht nur Kinder, die Nachhilfe brauchen. Es gibt auch viele Kinder, die im Unterricht sitzen müssen, obwohl sie schon alles verstanden haben. Ich würde sagen, dass da auch eine Menge Gehirnkapital verschwendet wird.

Foto: Franziska Turner

2017 hat der US-Konzern Chegg euer Unternehmen gekauft – und euch angestellt. Was macht ihr genau? Raphael: Also, ich leite das Projekt auf der technischen Seite. Wir haben das Know-how, wie man so eine App baut – und darauf ist Chegg angewiesen. Maxim: Genau, Rapha hat die ganze architektonische Gestaltung des Systems und der Technologie übernommen. Er leitet das Berliner Team. Und ich habe mich interimsweise zuerst auf das Produkt konzentriert; darauf, wie es aussehen soll und wie die Schüler am Ende interagieren können. Dafür haben wir aber jetzt ein eigenes Team, deshalb kann ich mich mehr auf die geschäftliche Seite konzentrieren.


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Business ganz nach oben bringen mit dem TechBoost-Programm der Telekom

KONTOWECHSEL IN SECHS MINUTEN Wie Startup fino die Finanzwelt umkrempelt und das Telekom Programm TechBoost dabei hilft. Zu hohe Kontoführungsgebühren, ein Umzug oder bessere Konditionen für den Immobilienkredit: Es gibt viele Motive, die Bank zu wechseln. Doch laut Deutschem Bankenverband haben 67 Prozent der Deutschen das noch nie getan. Ein möglicher Grund: Ein Kontowechsel ist ein langwieriger, bürokratischer Prozess und kann bis zu acht Stunden Zeit fressen. Das Startup fino aus Kassel hat diesen Prozess auf sechs Minuten verkürzt und komplett digitalisiert. Zum Zeitpunkt der Gründung im Jahr 2015 waren vier der sechs Gründungsmitglieder unter 30 Jahre alt. Mit Unterstützung des TechBoost-Förderprogramms der Telekom konnte das Startup erfolgreich starten.

Der richtige Zeitpunkt ist immer jetzt „Gründer unter 30 sind schnell dazu bereit, ihre Komfortzone zu verlassen. Diese Neugier und den Mut querzudenken definiere ich als klaren Vorteil“, sagt Alexander Vey, Mitgründer von fino. „Bei der Gründung war ich erst 27 Jahre alt. Die Idee vom ersten digitalen Kontowechselservice von meinem Mitgründer Florian Christ hat mich davon überzeugt, schon unter 30 Gründer zu werden.“ Der Mut hat sich ausgezahlt. Mittlerweile umfasst das Team des Startups mit Hauptsitz in Kassel 60 Mitarbeiter. Heute nutzen mehr als 300 Partner das Programm von fino als Grundlage für eigene Softwarelösungen. Auch das Produktportfolio hat sich in den vergangenen Jahren erweitert. Herzstück ist die digitale Kontoanalyse, ein intelligenter Algorithmus, der für Banken die Kontoaktivitäten ihrer Kunden analysiert und Kunden Tipps zum Sparen gibt.

Telekom TechBoost: Qualitätssiegel für Startups Grundlage der Produkte von fino sind Kontodaten – sensible Zahlen für Kunden und Banken. Mit der Telekom als starkem Digitalisierungspartner konnte fino potenziellen Kunden signalisieren, dass ihre Daten bei allen Finanzprodukten geschützt sind. „Über das TechBoost-Programm hat sich der Kontakt zur Telekom ergeben und weiter vertieft“, sagt Alexander Vey. Mit dem TechBoost-Programm unterstützt die Telekom Tech-Startups mit IT-Infrastruktur sowie Vertriebs- und Marketing-Know-how und stellt Kontakte zu mittelständischen Unternehmen her. „Die Open Telekom Cloud konnten wir mit einem Guthaben von 100.00 Euro im ersten Jahr testen. Gerade als Start­­ up in einer frühen Phase sind solche geldsparenden Möglichkeiten sehr wertvoll“, sagt Vey. Jungen Gründern rät er: „Ganz allein wird man als Gründer nicht weit kommen. Versucht nicht alles selbst zu machen, sondern sucht euch die richtigen Partner.“

Für das TechBoost-Programm der Telekom bewerben „Mit TechBoost bieten wir Startups ein enorm hilfreiches Paket: Wir bringen sie mit Kunden zusammen, geben Guthaben für die Technologie und helfen ihnen, sich auf ihr Business zu konzentrieren“, sagt Matthias Schievelbusch, Leiter Startup-Kooperationen bei der Telekom. Bewerben können sich Startups mit digitalem Geschäftsmodell oder einer ersten Idee. Einfach das Bewerbungsformular auf www.telekom.de/techboost ausfüllen. Fragen können dem TechBoost-Team jederzeit unter techboost@telekom.de gestellt werden. Oder live beim NFK Summit am 15. November 2018 in Berlin.


DER ÜBERZEUGUNGSTÄTER

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Foto: Patrick Desbrosses

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Ziel der Berliner Suchmaschine Ecosia ist es, die Welt nachhaltig zu verändern. Wie Gründer Christian Kroll die Ära des Postkapitalismus einläuten möchte und warum er dazu sein Unternehmen spenden musste, verrät er im Interview. Das Gespräch führten Josefine Köhn-Haskins und Jan Thomas.

Ecosia hat sich von Anfang an dazu verpflichtet mindestens 80 Prozent des Gewinns in Baumpflanzaktionen zu stecken. Jetzt hast du das gesamte Unternehmen gespendet. Was heißt das eigentlich genau? Gemeinwohlorientiert zu sein bedeutet, dass Ecosia jetzt für immer unabhängig bleiben wird, auch nach meiner Zeit. Mir ist es sehr wichtig, trotz unseres Erfolgs und der Skalierungsziele glaubhaft zu bleiben. Nur dann kann ich von den Nutzern erwarten, dass sie ihr Herz öffnen und wirklich sagen, „Mensch, das ist etwas, was ich richtig spannend finde, das liebe ich“. Wir haben Ecosia mit dem Ziel gegründet, eine grünere und bessere Welt für alle zu schaffen. Mit dieser Transformation ist das wirklich rechtlich verbindlich und irreversibel verankert. Ich persönlich sehe mich nicht länger als Ecosias Eigentümer, sondern als Anteilseigner einer Bewegung, die viel größer ist als ich selbst. Die Restriktionen, keine Gewinne zu entnehmen und Ecosia niemals zu verkaufen, gelten übrigens sowohl für mich als auch für Ecosias Mitgründer Tim Schumacher, der bislang fünfzig Prozent des Unternehmens gehalten hat. Tim hat uns sowohl finanziell als auch mit seinem Wissen sehr unterstützt hat, auch zu einer Zeit, als noch niemand wusste, ob diese verrückte Idee überhaupt funktionieren würde. Wo steht Ecosia denn jetzt? Also es sieht ja so aus, als könnten wir tatsächlich ein großes bedeutendes Unternehmen werden. Fünf Millionen Euro Jahresüberschuss sind ja schon eine Menge. Dadurch haben wir jetzt zum ersten Mal überhaupt die Freiheit, über solch fundamentale Sachen wie die Zukunft des Unternehmens nachzudenken und auch juristisch die entsprechenden Schritte in die Wege zu leiten. Das ist schon eine gewisse Luxusposition. Denn mit dem Wachstum der letzten Jahre und Monate ist auch die Verantwortung für mich nochmal größer geworden. Was passiert, wenn jetzt etwas schief geht? Oder wenn mir etwas zustößt und das Unternehmen dann an Microsoft verkauft würde. Dann wären ein paar Millionen Menschen ziemlich enttäuscht. Ein ungewöhnlicher Schritt. Glaubst du nicht, dass du es irgendwann bereust, Ecosia zu gespendet zu haben? Nein. Selbst wenn ich Ecosia verkaufen würde, würde ich anschließend genau das tun wollen, was wir jetzt

mit Ecosia machen. Außerdem bin ich überzeugt, dass wir unsere Ziele nur erreichen können, wenn wir uns aus dem kapitalistischen System ausklinken. Damit schützen wir uns auch vor profitorientierten Investoren. Denn das würde nicht mit dem zusammenpassen, was wir als Unternehmer erreichen wollen. Wir haben jetzt mit der gemeinwohlorientierten Form einen echten Ausreißer geschaffen. So geben wir dem Unternehmen die Möglichkeit, Erfolg zu haben, ohne von Profit getrieben zu sein. Ich werde versuchen, Ecosia als Treuhänder in die richtige Richtung zu führen. Irgendwann, vielleicht auch erst in 50 Jahren, würde sich ohnehin die Frage stellen, was mit Ecosia passieren wird? Und diese Frage haben wir jetzt klar beantwortet. Ecosia wird nie verkauft werden können. So hat es die Möglichkeit, aus diesem Hamsterrad des Kapitalismus heraus zu kommen. Das könnte neben dem Pflanzen der Bäume vielleicht das wichtigste Zeichen sein, das wir setzen können. Es geht ja nicht nur darum, an Gewinnmaximierung zu denken, sondern auch um andere Dinge, die eine viel größere Rolle spielen. Woher stammt diese Überzeugung? Da muss ich etwas ausholen. Mit 16 Jahren habe ich angefangen, mit Aktien zu spekulieren. Natürlich ging es nicht um große Summen und ich habe auch viel Geld verloren - aber irgendwie habe ich Blut geleckt. Auf der Suche nach unterbewerteten Unternehmen habe ich Stunden vor dem Computer verbracht, komplett ohne Gewissen. Das war schon eine merkwürdige Beschäftigung. Während des BWL-Studiums wurde mir bewusst, dass meine Kommilitonen weder sonderlich glücklich noch reflektiert wirkten - und der reine Fokus auf Geschäftsdenken viel zu eng ist. Niemand hat hinterfragt beziehungsweise erkannt, dass man Unternehmen auch nach ganz anderen Gesichtspunkten entwickeln kann als auf die reine Profitmaximierung hin. Etwa, ob die Mitarbeiter glücklich sind oder ob man möglichst viel Gutes tut für die Welt. Das hat mich schon gewundert. Damit war für mich klar, dass dieser typische Karriereweg nichts für mich ist. Weil ich nach dem Studium aber auch keinen besseren Plan hatte, bin ich erstmal viel herumgereist, habe ein halbes Jahr in Nepal gelebt und dann zehn Monate in Südamerika. Dort habe ich diese sozialen globalen und ökologischen Ungerechtigkeiten hautnah miterlebt und realisiert: „Mensch, da muss man doch irgendwas machen!“. Dort wird derart viel Regenwald für

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Nachhaltig programmieren zwischen viel Grün. Die meisten Möbel sind gebraucht gekauft.

„Du musst das System verstehen, um es ändern zu können“ Und so ist die Idee für Ecosia entstanden? Auf Umwegen, ja. 2006/2007 haben mein Mitbewohner und ich gemeinsam an Webseiten herumgebastelt. Wir hatten viele blöde Ideen, von denen aber nichts richtig funktioniert hat. Aber so habe ich begonnen, das Internet zu verstehen - und auch, welche Macht Google hat. Mit der fixen Idee im Hinterkopf, dass Google ja unglaublich viel Geld verdient, habe ich während meiner Zeit in Nepal versucht, eine Suchmaschine aufzuziehen. Das ging natürlich prächtig schief, denn erstens nutzen in

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Nepal nicht sehr viele Menschen das Internet. Es ist extrem langsam und wir hatten auch nur an vier Tagen in der Woche Strom. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wie man ein Unternehmen aufzieht - und schon gar nicht vor dem dortigen interkulturellen Kontext. So gab es Tage, an denen ich als einziger ins Büro gekommen bin, weil ich nicht wusste, dass Feiertag ist. Aber es war toll, etwas aufzubauen. Mein erstes Experiment mit eigenem Geld. Und weil Miete und Mitarbeiter in Nepal nicht so teuer sind, konnte ich das noch aus meiner Reisetasche finanzieren. Und wie ging es dann weiter? Ich bin weiter nach Südamerika. Zwar hatte ich nicht mehr das Geld, um mir Leute einzustellen, aber ich hatte viel Zeit und habe mich daran erinnert, dass ich den Code meiner Suchmaschine noch auf dem Laptop hatte. Irgendwie habe ich mir aber beigebracht, das selber weiter zu programmieren - und das dann fokussiert durchgezogen. Ich bin zwar abends auch mal weggegangen und habe ein Bier getrunken, habe aber ansonsten tagsüber nichts anderes gemacht, meinen Freiraum dafür genutzt, mich um etwas zu kümmern, woran ich geglaubt habe. Das war eine extrem glückliche Situation. So entstand Forrestle, was so etwas wie der Vorläufer von Ecosia war. Am Anfang haben wir sogar mit Google zusammengearbeitet, die uns aber leider schon nach zwei Wochen die Suchergebnisse abgeschaltet haben. Wir hatten direkt am Anfang ein paar Tausend Nutzer, aber durch Googles Kündigung fiel alles wieder in sich zusammen. Googles offizielle Erklärung war, dass sie nicht nachvollziehen konnten, ob die Leute wirklich aus Interesse auf die Werbung geklickt haben oder nur um den guten Zweck

Foto: Patrick Desbrosses

Rinderzucht oder Soja-Plantagen abgeholzt. Man fährt stundenlang im Bus und hunderte von Kilometern siehst du nichts anderes als Soja. Und irgendwann kommst du im Regenwald an und es ist auf einmal fünf Grad kühler, die Vögel zwitschern und du merkst, dass da auch Leute leben und alles wirklich schön und im Einklang ist. Und dann kommst du ein paar Jahre später nochmal dorthin und auch dieses Stück Regenwald ist weg. Das tut dann richtig weh. In Indonesien passiert das gleiche, nur dass es dort statt um Soja um Palmöl geht.


TITELSTORY zu unterstützen. Ich glaube, dass diese Erklärung fadenscheinig war und sie nur keine Lust hatten, dass ihnen jemand das Wasser abgräbt. Mit 95 Prozent Marktanteil hat Google in Deutschland ein absolutes Monopol und wollte nicht, dass Ecosia davon einen Anteil bekommt. Aber wir hatten Blut geleckt und fanden die Idee weiterhin toll. Und so sind wir bei Yahoo gelandet. Das war dann nicht mehr so ein Boom am Anfang, sondern die Nutzerzahlen sind erst langsam nach oben geklettert. Wie wurde Ecosia dann so richtig erfolgreich? Ecosia war lange nicht in der Lage, ein Gehalt zahlen zu können. Am Ende der Durststrecke kam dann meine Schwester dazu und hat sich ein bisschen um Kommunikation gekümmert. Sie hat dann Kinder bekommen, weshalb ihr die Mischung aus Familie und stressigem Startup-Leben zu viel wurde. Gleichzeitig hatte ich Tim Schumacher kennengelernt, dem die Idee von Ecosia gefallen hat. Und so hat Tim meine Schwester rausgekauft und noch ein bisschen Kapital ins Unternehmen gesteckt. Viel wichtiger war jedoch, dass wir mit Tim nun einen Partner an Bord hatten, der genau weiß, wie man ein Unternehmen groß macht. Ich habe Tim auch von Anfang an gesagt, dass Ecosia ein Nonprofit-Unternehmen ist und er sein Geld wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen wird. Aber das war okay für ihn und das rechne ich ihm wahnsinnig hoch an. Auch wenn er nicht am Hungertuch nagt, aber hätte er seine Meinung geändert und auf Gewinnmaximierung gepocht, hätte ich ihn rechtlich nicht dazu zwingen können, sein Versprechen einzuhalten. Erst die Spende des Unternehmens hat sein Versprechen verbindlich gemacht. Was hat sich durch Tim bei Ecosia geändert? Am Anfang, also 2013, hat Tim ungefähr zwei Tage pro Woche in Ecosia gesteckt. Das wurde schrittweise weniger, weil Ecosia erwachsen wurde. Aber am Anfang hat Tim extrem viel Wissen eingebracht. Manchmal waren es kleine Dinge wie der grüne Rahmen um unsere Anzeigen, den wir auf Anraten von Tim entfernt haben. Das hat sofort zu 25 Prozent mehr Umsatz geführt. Um etwas verEcosia gemeinsam weiterentwickeln ist Christian Kroll (l.) wichtig.

Visionär für eine bessere Welt: Christin Kroll hat sein Unternehmen gespendet.

ändern zu können, muss man erstmal das System verstehen. Mit Tim haben wir angefangen, uns richtige Ziele zu setzen. Wir waren zwar innerhalb von vier Jahren schon soweit gekommen, eine Million Bäume zu pflanzen, aber solange jedes Jahr Milliarden von Bäumen abgeholzt werden, bleibt das nur ein kleiner Tropfen. Deshalb haben wir dieses irrsinnige Ziel ausgerufen, bis 2020 eine Milliarde Bäume zu pflanzen. Wir wollten Skalierung erzwingen, weshalb wir einige Dinge geändert haben. So haben wir am Anfang etwa 80 Prozent des Umsatzes in das Pflanzen von Bäumen gesteckt. Nach den Fixkosten blieb dann fast nichts mehr übrig, um Mitarbeiter und Büro zu bezahlen. Dieses Modell hat uns wirklich kaum Luft zum Atmen gelassen, weshalb wir es geändert haben, was wir auch transparent kommuniziert haben. Heute stecken wir 80 Prozent des Gewinns in Pflanzaktionen und dürfen auch Rücklagen für größere Investitionen bilden. Für mich bedurfte es ein radikales Umdenken, denn plötzlich war Nonprofit nicht etwas, womit man sich selbst bestraft, sondern ein Modell, mit dem man vernünftige Gehälter bezahlen kann. Nur wenige Monate später konnten wir wieder dieselbe Summe wie vorher in Pflanzaktionen stecken. Der Anteil am Kuchen wurde zwar kleiner, aber der Kuchen insgesamt wurde viel größer. Und so lief das eigentlich die ganze Zeit. Wir sind weiter gewachsen, indem wir dort Investitionen getätigt haben, wo es Sinn machte: Marketing etwa, wodurch wir mehr Nutzer gewinnen konnten. Oder unser Team, das wir jetzt innerhalb von einem Jahr verdoppelt haben. Wie viele Mitarbeiter habt ihr jetzt? Momentan sind wir 50 Leute, vor allem Programmierer und Designer aber auch Kommunikation, Marketing, Social Media - und natürlich unser Happiness Officer und unseren Tree Planting Officer Pieter (siehe S. 53). Jeder, der bei uns anfängt, darf nach der Probezeit auch zu einem unserer Projekte reisen, um ein Gefühl von unserer Arbeit zu bekommen. Wie funktioniert die Technik hinter Ecosia? Bisher nimmt uns Microsoft die wichtigste Komponente ab. Wir bekommen die Suchergebnisse von Micro-

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TITELSTORY soft geliefert. Würden wir das selber machen, müssten wir wohl einen ganzen Stadtteil anmieten. Meines Wissens arbeiten bei Google immer noch die Hälfte der Leute am Suchalgorithmus. Es wäre unmöglich, das selber zu schultern. Und natürlich profitieren wir von den Werbekunden Microsofts. Und was, wenn Microsoft euch den Hahn abdreht? Natürlich birgt diese Partnerschaft ein fundamentales Risiko. Wir schließen unsere Verträge aber mit einer Laufzeit von zwei Jahren ab, so dass wir uns darauf einstellen und reagieren könnten. Strategisch gesehen sind wir für Microsoft sehr sinnvoll. Im Vergleich zu den 95 Prozent Marktanteil bei Google hat Microsoft in Deutschland vielleicht fünf und sieht durch uns eine Chance, mehr Anteile zu holen. Unsere Aufgabe ist es, Nutzer für unsere Suchmaschine zu gewinnen. So verliert Microsoft durch unsere Partnerschaft zwar Geld, aber der strategische Gewinn überwiegt. Das größere Risiko ist aus meiner Sicht, dass wir es nicht schnell genug schaffen wirklich fundamental etwas an der Welt zu ändern, bevor es zu spät ist. Wir als Gesellschaft müssen verstehen, dass wir ein paar Dinge nicht mehr so machen können wie bisher. Auch wenn wir mit Ecosia mal eine Milliarde Bäume pro Jahr pflanzen können, wird trotzdem weiterhin Regenwald abgeholzt. Ein buntes Team - mit einer gemeinsamen Mission: mehr Grün für die Welt.

Weltweit gibt es rund drei Billionen, also 3000 Milliarden, Bäume, von denen wir jedes Jahr ungefähr 15 Milliarden verlieren. Was sind eure Pläne für die Zukunft? Wo siehst du Ecosia in fünf Jahren? Bis 2020 haben wir das Ziel, eine Milliarde Bäume zu pflanzen. Momentan sind wir bei mehr als 38 Millionen. Um das Ziel zu erreichen, müssten wir unsere Nutzerzahlen verzehnfachen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Erreichen wir das, haben wir nochmal eine ganz andere Schlagkraft, auch für technologische Investments. Und jetzt träume ich mal: Bei uns kostet ein Baum durchschnittlich 20 Cent. Würde Google unser Modell adaptieren, dann wäre das Thema Klimawandel schlagartig gelöst. Generell finde ich das Thema Suchmaschine sehr spannend, weil es uns alle direkt beeinflusst. Allerdings berät uns Google ohne Moral oder ethische Komponente. Das muss sich ändern. Deshalb arbeiten wir an verschiedenen kleinen Maßnahmen, um uns in der Praktikabilität näher an Google anzunähern, damit der Wechsel weg von Google für den Nutzer einfacher wird. Es mag albern klingen, aber wir haben gerade für den englischen Markt eine Wettervorhersage im Browserfenster integriert. Google bietet das seit sieben Jahren, aber für die Nutzer ist das wichtig. In den nächsten Monaten wollen wir weitere Zusatzfeatures entwickeln - vor allem im Öko-Bereich. Dadurch werden wir uns abheben. Aus der Suchmaschine, die Bäume pflanzt, kann also ein grüner Berater werden? Ja, genau. Wenn du in fünf Jahren eine Waschmaschine suchst, würde dir Ecosia diejenige mit dem niedrigsten Stromverbrauch anzeigen. Statt Produkte nach Provision

und Gewinnmaximierung zu priorisieren, würde Ecosia danach filtern, wo die Rohstoffe herkommen, oder ob der Hersteller faire Löhne bezahlt und auf Kinderarbeit verzichtet. Also eher so eine grüne Variante des Suchalgorithmus. Das sind aber Themen für die Zukunft. Insgesamt hoffe ich, dass Ecosia als Marke irgendwann nicht mehr nur für eine Suchmaschine steht, sondern für eine Bewegung, eine Art Postkapitalismus. Für die Überzeugung, dass man Dinge anders machen kann und nicht abhängig sein muss vom aktuellen System. Und ich hoffe, dass wir irgendwann mal Webseiten nach ethischen und ökologischen Werten hervorheben können, weil wir uns eben nicht auf Profitmaximierung konzentrieren müssen. Damit stehen wir zwar noch ganz am Anfang, aber perspektivisch wollen wir den Leuten helfen, wirklich gute Entscheidungen zu treffen - nicht nur für sich selbst, sondern für die Menschheit.

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Foto: Patrick Desbrosses

„Für mich ist Altruismus der Kern, der über Ecosia als Suchmaschine hinausgeht“


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Träumen ist erlaubt, wobei der Ecosia-Gründer auch auf Skalierung setzt.

Wie funktioniert das eigentlich mit den Pflanzaktionen? Seid ihr selber vor Ort? Momentan machen wir die Baumpflanzungen noch nicht selber. Man muss ja den Kontext vor Ort verstehen, die ökologischen Komponenten und auch in die Gemeinschaft eingebunden sein. Ohne langjährige Erfahrung ist das nicht möglich. Im Grunde geht es darum, einen nachhaltigen Kreislauf aufzubauen. Der Schlüssel zum Erfolg wird es sein, den Leuten vor Ort eine Alternative zu bieten, um ihr Land nicht an eine Palmöl-Firma verkaufen zu müssen. Um Krankenhausrechnungen bezahlen zu können oder die Kinder in die Schule zu schicken. Unser Ziel

ist es, den Leuten die Grundlage für ein Lebenskonzept zu geben. Damit wir nicht nur Bäume pflanzen, sondern daraus auch ein Geschäftsmodell für die Leute vor Ort entsteht. Im Idealfall so lukrativ, dass sie damit ihr Land von den großen Unternehmen zurückkaufen können. Es ist wichtig, dass unsere Baumpflanzaktionen für die Leute vor Ort Sinn machen, etwa weil ihre Ziegen dazwischen Gras finden oder sie Nüsse verkaufen können. Wo seid ihr derzeit aktiv? Momentan unterstützen wir über 60 verschiedene Projekte in 16 verschiedenen Ländern. Die Partner vor Ort ANZEIGE


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Was tust du ganz persönlich für die Umwelt? Ich bin Vegetarier und versuche möglichst wenig und nachhaltig einzukaufen. Auch in meiner Wohnung gibt es nicht so viele Dinge und vieles davon ist gebraucht gekauft – wie auch in unserem Büro. Nicht, weil ich mir das Geld sparen möchte, sondern weil ich glaube, dass es so reicht. Ich will nicht hungern müssen und auch mal essen gehen können und mir einen Kaffee kaufen. Aber um ehrlich zu sein, ein normales Gehalt reicht dazu schon. Alles darüber hinaus fände ich für mich irgendwie obszön. Ich verdiene bei Ecosia auch nicht das höchste Gehalt, sondern bin eher so an der unteren Grenze vom oberen Drittel. Grundsätzlich ist Reisen natürlich schwierig, denn es ist das einzige, worauf ich nicht verzichten kann und weshalb ich auch ein schlechtes Gewissen habe. Natürlich neutralisiere ich meinen CO2-Ausstoß, aber eine wirklich gute Lösung hat man da noch nicht gefunden – obwohl wir da an so einem Baum-Projekt dran sind … Wie passt es zusammen, dass ihr euch über ein System finanziert, das du eigentlich ablehnst? Du musst das System verstehen, um es ändern zu können. Und das finde ich so spannend an den Werten der eher dunklen Seite der Macht. Es gibt im Prinzip zwei Richtungen, in die wir gehen können. Ich habe früher viel Star Trek geschaut und dort wird eine Welt gezeigt, die viel von dem hat, wo ich gern hin möchte. Es gibt keine Hierarchien und einen sehr starken ethischen und moralischen Kodex. Außerdem habe ich bei Star Trek noch nie jemanden über Geld sprechen hören, das heißt es muss abgeschafft sein. Um in der Filmwelt zu bleiben, wäre die andere Richtung etwa Mad Max, also eine Welt, in der jeder von reinem Egoismus getrieben wird und so viel wie möglich für sich selbst anhäuft. Dort gibt es keine Bäume und kein Wasser mehr, Mitgefühl und Altruismus fehlen völlig. Für mich ist Altruismus die Kernidee, die über Ecosia als Suchmaschine hinausgeht. Leider sind wir in großen Teilen auf dem Weg in die andere Richtung, in der wir uns Schritt für Schritt - vermutlich aus Bequemlichkeit - mit den Angebo-

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Aufforstung als Business-Modell etablieren: Ein weiteres Ziel des Ecosia-Gründers.

ten der großen Konzernen in Richtung Abgrund bewegen. Deshalb liegt meiner Meinung nach die große Chance auch im Bereich Finanzen - in Modellen, aus denen Leute einen direkten finanziellen Nutzen ziehen, wenn sie in Bäume investieren. Deswegen konzentrieren wir uns derzeit darauf, Aufforsten als Business-Modell zu etablieren. Und ich hoffe natürlich, dass wir uns in Zukunft noch mehr für gesellschaftlichen Wandel engagieren, unsere Stimme erheben und Leute mobilisieren können, um so eine relevante kritische Masse zu erreichen, die von der Politik nicht ignoriert werden kann. Momentan haben wir beispielsweise kein Budget, um Aktionen wie etwa den Hambacher Forst zu unterstützen. Ich bin jetzt auch kein Aktivist und es gibt auch charmantere Wege, etwa die Leute vor Ort dazu zu bewegen, zu einem grünen Stromanbieter zu wechseln. Warum ist denn nicht schon früher jemand auf diese eigentlich simple Idee gekommen? Es gab viele Versuche, das Konzept zu kopieren. Aber man muss es groß ziehen und skalieren. Dazu brauchst du Durchhaltevermögen, Glück und eine gewisse Aggressivität. Aggressivität schadet auch einem sozialen Unternehmen nicht, um die nötige Skalierung konsequent umzusetzen. Das fehlt vielen Leuten, die gute Ideen haben. Ein bisschen was Gutes zu tun fühlt sich zwar gut an, aber wenn ringsherum hundertmal so schnell Bäume abgeholzt werden und man den Kurs der Menschheit verändern möchte, dann reicht „ein bisschen“ eben nicht aus.

CHRISTIAN KROLL

als Speaker beim NKF Summit 15.11.2018, Radialsystem Berlin

Digitalkonferenz: nkf-summit.com

Fotos: Patrick Christian Desbrosses, Werner Eyeo

schlagen Projekte vor und wir finanzieren das dann. Natürlich kontrollieren wir die Umsetzung, teilweise mit Satelliten, teilweise über Nachzählungen. Dazu arbeiten wir zusätzlich mit Zertifizierungs-Organisationen zusammen. Ein spannendes Fallbeispiel ist Burkina Faso. Durch die langen Dürreperioden und die Übernutzung waren dort alle Bäume verschwunden. Der Boden dort ist so hart wie Beton. Wenn du etwas pflanzen willst, musst du mit einer Spitzhacke ein Loch in den Boden schlagen. Es regnet zwar genauso viel wie hier in Berlin, das aber stark konzentriert in zwei Monaten im Jahr. Dann gibt es kurzzeitig ein bisschen Grün und dann ist wieder alles trocken. Um das Wasser länger zu speichern, sind wir mit einem Traktor kreuz und quer durch die Wüste gefahren und haben viele kleine Löcher gebuddelt, damit das Wasser sich dort sammelt. So macht man aus den zwei Monaten vier Monate - und Schritt für Schritt baut sich so wieder eine Vegetation auf. Der Boden kann Wasser speichern, der Wasserspiegel steigt und viele Brunnen sind wieder voll. Dieser ökologische Aspekt der Pflanzaktionen ist genauso wichtig wie die ökonomischen Komponenten. Wenn wir es schaffen, diesen Trend der Verwüstung umzukehren, haben wir wirklich einen großen Beitrag geleistet.


TITELSTORY

Für eine grünere Welt Vor fünf Jahren beteiligte sich Seriengründer Tim Schumacher an Ecosia. Jetzt hat er, wie auch Gründer Christian Kroll, seine Anteile gespendet. Seine Beweggründe schildert er hier. Ein Gastbeitrag von Tim Schumacher

Zwischen 2013 und 2018 haben Christian und ich Ecosia gemeinsam aufgebaut. Die „Suchmaschine, die Bäume pflanzt“ war für mich einfach die perfekte Kombination meiner beiden Leidenschaften: Ökonomie, genauer gesagt Internet-Technologie, und Ökologie. Erstere hat über die Jahre mein Geschäftsleben als Gründer und Investor dominiert, letzteres ist noch tiefer in mir verwurzelt. Zum einen bin ich in Freiburg aufgewachsen, der „grünsten Stadt der Welt”, zum anderen habe ich als Teenager gegen Atomkraft und neue Straßen demonstriert, leider erfolglos: Der Kernreaktor Fessenheim ist immer noch da, und die neue Bundesstraße B31 wurde trotz unserer Proteste gebaut. Heute treibe ich vor allem meine Frau und meine Kinder mit meiner Leidenschaft für Mülltrennung in den Wahnsinn. Als ich Christian, den Gründer von Ecosia, traf, hab ich sofort an seine Idee geglaubt: Ecosia nutzt die Macht der Internetnutzer um eines der größten globalen Probleme anzugehen, die Rodung von (Regen-)wäldern. Bäume sind die effizientesten CO2-Absorber der Welt, helfen, den Klimawandel zu mildern, Wasserzyklen wieder in Gang zu setzen, Wüsten vor der Ausbreitung zu bewahren und unfruchtbare Böden wieder in fruchtbare Wälder und Ackerland zu verwandeln. Bäume stehen für eine glückliche Umwelt, gesunde Menschen und eine starke Wirtschaft. Manchmal sind die besten Lösungen sehr einfach. Ecosia nutzt das profitabelste aller Online-Geschäfte, nämlich Suchmaschinen, um Millionen von Nutzern die Möglichkeit zu geben, Millionen von Euro zu generieren, mit denen wiederum Millionen von Bäume gepflanzt werden. Bis 2020 sollen es eine Milliarde Bäume werden. Ein ehrgeiziges Ziel, aber machbar. Ecosia wächst und würde nach klassischen Standards heute im hohen zweistelligen Millionenbereich bewertet werden. Ein toller Erfolg, doch irgendetwas fühlte sich nicht richtig an. Ecosia war für uns immer mehr als nur ein Unternehmen, eher schon eine Bewegung. Im vergangenen Jahr haben wir uns deshalb viele Rechtsmodelle angeschaut, um den Status von Ecosia zu ändern. Wir haben

uns mit Stiftungen, Genossenschaften, B-Corps und anderen Optionen beschäftigt, bis wir uns auf das relativ neue Modell der „Purpose AG” geeinigt haben, welche für Unternehmen das Konzept des „Verantwortungseigentums“ ermöglicht. Grundsätzlich funktioniert das wie eine normale Gesellschaft, allerdings gibt zwei wichtige Einschränkungen: 1. Aktien dürfen nicht gewinnbringend verkauft oder von Personen außerhalb des Unternehmens gehalten werden. 2. Es können keine Gewinne aus dem Unternehmen entnommen werden. Für die meisten traditionellen Geschäftsleute wohl eher eine schreckliche Idee. Warum sollte ein kluger Geschäftsmann ein Unternehmen gründen wollen, wenn er es nicht verkaufen oder Geld entnehmen kann? Ecosia ist aber eine völlig andere Art von Unternehmen. Wir sind nicht daran interessiert, Gewinne zu maximieren; unser oberstes Ziel ist es, eine grünere und bessere Welt für alle zu schaffen. Für Ecosia ist es daher sinnvoll, ein solches gemeinnütziges Unternehmen zu werden. Deshalb spenden sowohl Christian, der Gründer von Ecosia, als auch ich heute gerne unsere Anteile. Von jetzt an wird Ecosia. org zu einem den Grundsätzen von Verantwortungseigentum verpflichteten Purpose-Unternehmen. Ansonsten verspreche ich, die Entwicklung von Ecosia weiter voranzutreiben, so wie ich es in den letzten fünf Jahren getan habe. Ich lade euch alle ein, sich der Ecosia-Bewegung mit uns anzuschließen. Fangt direkt heute mit der Installation der Ecosia-Erweiterung an, erzählt es morgen allen euren Freunden - und umarmt einen Baum.

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TITELSTORY

OUlaDnting W D I N M ls Tree P Davor

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TITELSTORY

Fruchtbare Triebe Der Tree Planting Officer kümmert sich bei Ecosia ums Bäume pflanzen - zusammen mit den lokalen Bewohnern. Von Sarah Heuberger

Auf der Ecosia-Suchmaske kann man einem Zähler dabei zusehen, wie er unermüdlich die Zahl der von Ecosia gepflanzten Bäume aktualisiert. Um diese Bäume kümmert sich Pieter van Midwoud, der Tree Planting Officer bei Ecosia. Er und sein Team suchen sich dafür Orte aus, deren Biodiversität stark bedroht ist. Madagaskar zum Beispiel, Indonesien oder große Teile des brasilianischen Regenwalds. Manchmal kommen Vorschläge auch von Ecosia-Nutzern, die selbst einmal bei den jeweiligen Projekten als Freiwillige gearbeitet haben. Der Niederländer von Midwoud besucht die Aufforstungsprojekte regelmäßig, „sonst versteht man das nicht“. Insgesamt leitet er 16 Projekte in 60 Ländern. Eines der Projekte ist in Burkina Faso, wo Ecosia seit drei Jahren aktiv ist. Zusammen mit der lokalen Partnerorganisation Hommes et Terre wurden dort schon mehr als sechs Millionen Bäume gepflanzt.

rung sorgt im Gegenzug dafür, dass die Flächen geschützt sind und keine Kühe oder Ziegen auf die Fläche kommen. Aber auch per Hand graben Dorfbewohner die Mulden in den Boden. So können sie sich in der trockensten und unwirtschaftlichsten Zeit des Jahres ein Einkommen sichern. Von der Aufforstung sollen die Menschen und die Natur gleichermaßen profitieren. Deshalb werden vor allem Bäume gepflanzt, deren Produkte später auch verkauft werden können: Kautschuk aus Akazien zum Beispiel oder Baobab-Früchte. Ein Projekt beginnt nur, wenn das Team das Gefühl hat, dass die Dörfer wirklich mitmachen wollen. Doch an Motivation mangelt es nicht, eher im Gegenteil, wie der Tree Planting Officer erzählt: „Die Dörfer führen fast einen Wettkampf miteinander, wenn sie sich gegenseitig überLangsam wächst auf dem sandigen Boden wieder Grün.

Halbmonde im Boden Ecosia und ihre Partnerorganisationen arbeiten sehr eng mit der lokalen Bevölkerung zusammen. Häufig melden sich die Dorfgemeinschaften von selbst, weil sie von dem Programm gehört haben: Die Böden sind unfruchtbar, ihre Tiere haben nichts zu fressen und die Dörfer wollen etwas dagegen tun. Die Lösung in Burkina Faso sind kleine Halbmonde, die in den staubtrockenen Boden geschlagen werden. In der Regenzeit speichert der Boden so den Regen besser, die Samen können besser wachsen. Ecosias Partnerorganisation in Burkina Faso Hommes et Terre hat erst vor kurzem zwei eigene Traktoren angeschafft. Die Dorfbevölke-

Fotos: Ecosia

In halbmondförmigen Löchern wird das Regenwasser gesammelt.

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TITELSTORY

Erstes zartes Grün setzt sich durch.

Mit dem Traktor werden Löcher in den Boden gehackt.

bieten, wie viel Land sie schon aufgeforstet haben“, so der Tree Planting Officer. Die Projekte stärkten auch den sozialen Zusammenhalt zwischen den einzelnen Gruppen, erklärt van Midwoud. Männer, Frauen und Kinder arbeiten zusammen, Nomaden genauso wie Mitglieder der verschiedenen Stämme.

Das erste Grün Schon jetzt, nach einigen Monaten, kann man in Burkina Faso die Auswirkungen der Bepflanzung sehen. Die Bäumchen sind mittlerweile 30 bis 50 Zentimeter groß. Und da der Boden das Wasser nun besser festhalten kann, färben sich zwischen den Bäumchen erste Streifen des sandigen Bodens grün. Dieses Gras verwenden die Bewohner schon als Futter für ihre Kühe. Bald wollen sie auch Bohnen anpflanzen. Bei seinen Besuchen in Burkina Faso hat van Midwoud die Dorfgemeinschaften persönlich kennengelernt. Als Gastgeschenk hat er mal ein Schaf, mal eine Ziege, mal eine große Tüte voller Erdnüsse bekommen. Mit zurück nach Deutschland nehmen konnte er nur die Erdnüsse.

Pieter van Midwoud, Tree Planting Officer

Es ist nicht leicht, den Boden wieder fruchtbar zu machen.

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Fotos: Ecosia

„Die Dörfer überbieten sich gegenseitig bei der Aufforstung“


Ich investiere nachhaltig. Und bei der Weberbank. ROBIN ERIC HAAK , ENTREPRENEUR UND INVESTOR

Die Privatbank der Hauptstadt.


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EY Entrepreneurial Winning Women™ Class 2018/19 Peter Lennartz (EY), Judith Häberli, Maria Veronica Celis Vergara, Herna Munoz-Galeano, Nicole Hänel, Julie Linn Teigland (EY) SoMe DE Winning Women 215x104mm.indd 1

Auf die Leidenschaft kommt es an, nicht auf das Wissen Fünf Unternehmerinnen starten ins dritte Jahr des EY-Mentoren-Programms „EY Entrepreneurial Winning Women™“ Wenn sie jungen Unternehmerinnen einen entscheidenden Ratschlag für ihre Karriere geben sollte, dann wäre es schlicht und ergreifend: „Seid mutig“, sagt Julie Linn Teigland, Regional Managing Partner bei EY für Deutschland, Österreich und die Schweiz (GSA). Bereits im dritten Jahr in Folge hatte sie gemeinsam mit EY-Partner Peter Lennartz, dem Leiter der Start­ up-Initiative, an diesem Abend erneut in Berlin zum Dinner geladen, um den neuen Jahrgang des Mentoren-Programms „Entrepreneurial Winning WomenTM" zu begrüßen.

„Ihr alle seid für mich so etwas wie die Sterne in der Nacht, die anderen den Weg weisen, andere dazu inspirieren, dass es sich lohnt, für seine Idee zu kämpfen“, sagte Julie Linn Teigland bei ihrer Begrüßung. Natürlich sei ihr bewusst, dass der Alltag jeder einzelnen dieser Frauen nicht immer einfach sei, aber sie alle wüssten: Die Erfolge würden am Ende all ihre Anstrengungen belohnen.

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Entscheidungen treffen, kreativ sein, Verantwortung übernehmen Und einer dieser Erfolge sollte an diesem Abend in dem Loft in Berlin-Charlottenburg gebührend gefeiert werden: Aus insgesamt 29 Bewerbungen hatte die Jury fünf Unternehmerinnen ausgewählt, die in intimer Runde ihre Mentorinnen aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens EY kennenlernen sollten. Über ein Jahr hinweg werden die Mentoren den Unternehmerinnen nun mit Rat und Tat zu Seite stehen – egal, ob es um Prozessoptimierung, Finanzierung oder andere unternehmerische Fragen geht – die man sich im Businessleben, das weiß Peter Lennartz selbst nur gut genug, jeden Tag aufs Neue stellt. „Julie und ich müssen tagtäglich zahlreiche Entscheidungen treffen, das bringen unsere Jobs mit sich“, betonte er bei seiner Begrüßung. „Aber bei Unternehmerinnen wie euch sind es Tausende Entscheidungen am Tag. Man muss schnell reagieren, man muss

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offen sein, immer wieder neue Dinge dazuzulernen. Man muss kreativ sein und man muss Verantwortung übernehmen. Aber das Wichtigste: Man muss eine große Portion Leidenschaft mitbringen, und das ist etwas, was wir bei EY fördern wollen.

Fünf Frauen, fünf Erfolg versprechende und förderungswürdige Geschäftsideen Und obwohl Berlin als die Startup-Metropole Deutschlands gilt, hatte sich die Jury in diesem Jahr für Unternehmerinnen entschieden, die in anderen „Startup-Ökosystemen“ gewachsen sind, so Lennartz. So hatten sich die Jury-Mitglieder in ihrer Mentee-Auswahl unter anderen für Herna Munoz-Galeano aus Fürth entschieden, die mit ihrem Unternehmen „HMG Systems Engineering GmbH“ das Ziel verfolgt, aus Wissenschaft Innovationen zu entwickeln. Begeistert waren sie auch von der gebürtigen Chilenin Maria Veronica Celis Vergara aus Ulm, die mit ihrem Unternehmen „EnlightAID“ dafür sorgen möchte, dass Social Entrepreneurs via App Spenden auf einem transparenten und effizienten Weg sammeln können.

Fotos: EY

Auch Lena Büker aus Osnabrück, die mit der „ehorses GmbH & Co. KG“ Europas Pferdemarkt revolutionieren will, überzeugte die unabhängige Jury. Eine weitere Mentee aus dem Jahrgang 2018 ist die Schweizerin Judith Häberli, Gründerin der „Urban Connect AG“, deren Unternehmen sich auf die Fahnen geschrieben hat, smarte Lösungen für urbane Mobilität zu entwickeln. Ihre Geschäftsidee: Unternehmen mit Fahrrad-Flotten auszustatten, um damit gleich drei Vorteile zu generieren: Geld zu sparen, die Umwelt zu schonen und das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu fördern. Die Runde komplett macht die Kölnerin Nicole Hänel, deren Unternehmen „ninepoint consulting GmbH“ sich auf vertriebsorientiertes Produktmarketing spezialisiert hat.

„Ihr alle seid für mich so etwas wie die Sterne in der Nacht, die anderen den Weg weisen“ Julie Linn Teigland

Die Idee und die Überzeugung zählen – nicht der berufliche Background Auffällig ist, dass nahezu alle der innovativen Geschäftsideen und Projekte nur durch die immer weiter fortschreitende Digitalisierung zur Umsetzung kommen konnten. Umso überraschender: Viele der Mentees haben keinen technischen beruflichen Hintergrund. Vielmehr hätten sie anscheinend alle einen starken Unternehmergeist und seien von ihrer Idee überzeugt, fasste es Miriam Wohlfarth, Gründerin und Managing Director des Fintech-Unternehmens RatePAY, in ihrer Keynote an diesem Abend zusammen. „Ich habe weder einen Tech-Background, noch kannte ich mich bei der Gründung meines Unternehmens gut mit Zahlen aus – aber ich habe die richtigen Kollegen an meiner Seite, mit denen ich gemeinsam viel bewegen kann“, betonte Miriam Wohlfarth. „Man kann nur erfolgreich sein, wenn man für etwas brennt, von einer Sache zutiefst überzeugt ist – und auch mal ein Risiko eingeht. Aber dafür wird man belohnt.“ Nicht immer alles perfekt machen zu wollen, sondern einfach zu machen – dies sei einer der wichtigsten Ratschläge, den die Unternehmerin an die Mentees weitergeben wollte, was mit Applaus belohnt wurde – besonders von Julie Linn Teigland, die sichtlich stolz auf das Projekt, die vielen erfolgreichen Frauen und die geballte Ladung Unternehmergeist an diesem Abend war. „Wir von EY haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Welt jeden Tag erneut ein kleines bisschen besser zu machen“, sagte sie noch einmal mit Nachdruck. „Und dieses Programm ist eines, das genau darauf einzahlt: Frauen – und heute sind es besonders diese Frauen hier im Raum – machen die Welt zu einem besseren Ort. Dies zu fördern, ist mein Ziel.“

EY Entrepreneurial Winning Women™ ist ein Führungskräfteprogramm und wurde entwickelt, um einer ausgewählten Gruppe von Unternehmerinnen mit außergewöhnlichen Geschäftsideen zu helfen, ihr Unternehmen weiter voranzubringen und das Wachstum ihrer Erfolg versprechenden Firmen zu unterstützen. Von Oktober bis Oktober unterstützt EY die #WinningWomen mit einem persönlichen EY Mentor und lädt zu diversen Veranstaltungen ein. Im April 2019 beginnt wieder die Bewerbungsphase. Fragen gerne direkt an: WomenFastForward@de.ey.com #WinningWomen #WomenFastForward

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Berlin ist Deutschlands Startup-Hauptstadt und Michael Müller ist Berlins Regierender Bürgermeister. Aber fühlt sich die boomende Startup-Szene von ihm ausreichend repräsentiert? Wir haben nachgefragt. 62

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Fotos: Carolin Weinkopf/SPD Berlin

Der StartupBürgermeister


POLITIK

„USPs im Verfall begriffen“

Christoph Gerber Gründer und CEO von Talon.One GmbH

Philipp Sebastian Rogge Gründer und CEO von Styla GmbH

Fotos: Klaus Madengruber, Talon.One

Der Standort Berlin galt lange Zeit als äußerst attraktiv für Startups in Deutschland und Europa. Günstige Mieten, ein attraktives kulturelles Angebot und eine ganze Szene, die sich der Kreativität verschrieb und innovative Lösungsansätze verfolgte. Leider sind diese Punkte, die quasi die USPs Berlins waren, im Verfall begriffen. Dabei sind manche Dinge schlecht steuerbar, andere gut. So ist es selbstverständlich, dass die Attraktivität einer Stadt in zentralen Bereichen die Mieten steigen lässt. Aber dass Büro- und Wohnungsmieten in wenigen Jahren um mehr als 100 % steigen, ist dann doch Zeichen einer verfehlten Immobilienpolitik. Ein weiterer Aspekt mit natürlichen Entwicklungen und gleichzeitigen Versäumnissen ist der Fachkräftemarkt. Berlin hat eine gewisse Anzahl an Programmierern und Webdesignern und diese sind natürlicherweise hart umkämpft. Dass aber kleine Unternehmen geeignete Mitarbeiter nur im Ausland und nur über teure Headhunter und Equity-Optionen finden können, belegt eine falsche Incentivierung und Steuerung der Zuwanderung in den Berliner Arbeitsmarkt. Hinzu kommen mehr und mehr Sicherheitsbedenken möglicher Kandidaten, die hinter zugehaltener Hand Fragen zu No-go-Areas stellen und ob sie in Berlin gut aufgehoben sind. Hier wünsche ich mir klare Initiativen der Berliner Regierung. Berlin hat nur dann gegenüber London und Paris eine Chance im Startup-Wettbewerb, wenn es weiterhin günstiger bleibt und exzellente Fachkräfte anziehen kann, die sich hier sicher fühlen.

Herr Müller, Berlin ist gescheitert und in diesem Sinne sage ich Ihnen wenig Neues, weil es das tägliche Leben aller Berliner bestimmt und auch Ihnen nicht neu ist. Ihre Sozial-Grüne-Linke-Regierung schafft durch Cliquenwirtschaft, verquere Ideologie und geballte Inkompetenz ein lebensfeindliches, unsoziales Berlin, welches sich „brutale” Kapitalisten und „wirtschaftsnahe” Liberale nicht mal in ihren Wunschträumen vorstellen würden: eine gescheiterte Wohnungsbaupolitik von lebensfeindlichen „Aktivisten” der Grünen in Kreuzberg. Eine linke Bausenatorin, deren Arbeit mit „Unfähigkeit” noch höflich zu bezeichnen ist. Eine Infrastruktur der Stadtverwaltung, die den Begriff „Verwaltung” nicht mehr verdient hat. Dabei grinsen Sie, Herr Müller, jederzeit breit in die Kamera – und mir als geborenem Berliner kommt das Essen vom Vortag hoch. Herr Müller, verabschieden Sie sich. Sie machen diese Stadt kaputt. Herr Müller, Sie haben keine Lösung – Sie sind das Problem. Mit Grüßen, Christoph Gerber

„Sie sind das Problem“ berlinvalley.com

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POLITIK

„Nicht Opfer des eigenen Erfolgs werden“ Pia Poppenreiter

Andrea Peters Vorstandsvorsitzende von media:net berlinbrandenburg e.V. Die Startup-Szene und Digitalwirtschaft hier vor Ort entwickelt sich toll und der Senat um Michael Müller hat das Potenzial schon vor längerer Zeit erkannt und sehr unterstützt. Jetzt steht die Stadt vor der Aufgabe, sich auch für das einzusetzen, was die Talente und Kreativen angezogen hat und Berlins Einzigartigkeit ausmacht: Freiräume, günstige Mieten, Off-Kultur und viele Entfaltungsmöglichkeiten. Da gilt es, eine gute Balance zu finden, um nicht Opfer des eigenen Erfolgs zu werden.

„Mehr Vertrauen in die lokale Wissenschaft“

Werfen wir einen Blick auf die aktuellen Forderungen der Gründer in Deutschland an die Politik, ist scheinbar der dringendste Anklagepunkt der Abbau von regulatorischen und bürokratischen Hürden für Startups. Da frag´ ich mich: Ist es nicht der Grundgedanke eines Startups, Dinge mutig neu zu denken? Um eine disruptive Geschäftsidee schnell zu validieren, muss man nicht fast Regeln – reflektiert im sinnvollen Maße – brechen, um voranzukommen? Muss man vielleicht gar nicht auf die Politik warten, um Hürden abzubauen? Meiner Meinung nach braucht es Folgendes in der deutschen Startup-Szene: transparente Term Sheets, prozessähnlich strukturierte Finanzierungsrunden mit gesetzter Timeline sowie gezielte Förderung und Weiterbildung von Gründern. Um das zu schaffen, braucht man auch kein politisches Mitwirken eines Michael Müller. Wir wären in diesem Fall auch nicht mal die Ersten, die das täten. Im Silicon Valley gehen sie mit gutem Beispiel voran. Da frag´ ich mich, warum hat das ein Oliver Samwer nicht kopiert?

Prof. Dr. Sven Ripsas Professor für Entrepreneurship, HWR Berlin Berlin ist in den letzten zehn Jahren zu einem Global Player in Sachen Startups geworden. Aus Sicht der Hochschulen ist vor allem die Entscheidung von Michael Müller zu begrüßen, Staatssekretär Stefan Krach mit dem Wissenschaftsressort zu betrauen. Stefan Krach hat es verstanden, die Hochschulen im Bereich Entrepreneurship zu fordern und zu fördern. Doch reicht dies nicht aus, um dem Senat insgesamt ein „befriedigend“ als Zeugnisnote zu geben. Es ist wenig effizient, immer neue Projekte zur Gründungsförderung zu initiieren. Vielmehr bedarf es eines Forums, das die wissenschaftliche Kompetenz der Hochschulen zu konkreten Fragen des Entrepreneur­ ship-Ökosystems bündelt und gemeinsam mit dem Senat nachhaltige Strukturen für die Weiterentwicklung definiert. Entrepreneurship ist ein komplexer Prozess und stellt die Grundlage unseres Wohlstandes dar. Sehr geehrter Herr Müller, sehen Sie dies als Einladung an, sich intensiver mit dem Phänomen „Entrepreneurship“ zu befassen. Lassen Sie uns gemeinsam das Berliner Start­ up-Ökosystem gestalten. Die Hochschulen haben mehr zu bieten, als zurzeit abgerufen wird.

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„Ein Politiker so unscheinbar wie sein Name“

Fotos: Die Hoffotografen, Anna Wasilewski

CEO von Ohlala


POLITIK

„Das Rote Rathaus bleibt gründerfreie Zone“

Finn Age Hänsel CEO von Movinga

Fotos: Movinga GmbH, Georg Roske, privat

Was macht der Senat eigentlich für die Startups in Berlin? Liest man die letzten Nachrichten vom (wahrscheinlich) gescheiterten Siemens-Startup-Campus in Berlin, ist das ein sinnbildlicher Vorgang in der Tradition des derzeitigen Senats. Man muss es so sagen: Berlin ist nicht dank Unterstützung des Senats Gründungshauptstadt geworden – sondern eher trotz der Ignoranz des Senats. Was hätte der Senat nicht alles für Chancen, die Gründerszene vor der Haustür zu nutzen? Smart-City-Ansätze, Digitalisierung von Prozessen, Bürgerportale mit ordentlicher UX – die Liste ist endlos. Alles liegt vor der Tür und viele Gründer in der Hauptstadt lechzen gerade danach, der Politik digital auf die Beine zu helfen. Die Antwort bleibt aber leider Desinteresse. Während viele Gründer zu Beratungen im Kanzleramt ein- und ausgehen, bleibt das Rote Rathaus gründerfreie Zone. Man ist sich gegenseitig fremd. Ein Fehler: Denn während andere Städte wie Paris und London massiv um Startups werben und Rahmenbedingungen schaffen, scheint sich Berlin auf seinem Besitzstand auszuruhen. Eine vertane Chance.

Gen Sadakane Gründer und Creative Director von EyeEm

Who is Michael Müller? Das war mein erster Gedanke. Berlin wird erwachsener, das Party-Image ist wichtig, aber Nachhaltigkeit und Verantwortung werden auch immer wichtiger und präsenter. Auch die Berliner Startup-Welt wird erwachsener, so zumindest mein persönliches Gefühl. Und da ist es natürlich wichtig, dass grundlegende Meilensteine für die Stadt gesetzt werden. Startup-Ideen und Gründer werden professioneller und schneller. Sie tragen einen großen Beitrag zum Berliner Standort bei. Berlin muss ein Ort der Kreativität bleiben, Künstler, Designer, Gründer aus der ganzen Welt kommen hierher. Und sie sollen auch in Zukunft kommen. Berlin ist mannigfaltig und sollte nicht nur in eine Schublade gesteckt werden. Es ist nicht die Fashion-Hauptstadt, nicht die Medien-Hauptstadt oder nur die Startup-Hauptstadt. Es ist eine Hauptstadt für alle. Und das ist auch schon gelungen. Herr Müller sei profillos, heißt es. Ich kenne ihn nicht persönlich und eventuell stimmt das auch. Wir würden uns über einen Besuch freuen und die aktuellen Herausforderungen diskutieren, wie beispielsweise die stark steigenden Gewerbeimmobilienpreise. Wir arbeiten eng mit der Kreativagentur Spring Brand Ideas und ihrem Kunden Berlin Partners zusammen und helfen gerne dabei, Berlin so zu gestalten, wie wir Berlin kennen und haben wollen, um das zu bewahren, warum wir hierher gezogen sind. Denn das können wir nur alle gemeinsam erreichen – gerne mit Herrn Müller.

“Who is Michael Müller?“ berlinvalley.com

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POLITIK

Masoud Kamali

Sascha Schubert Stellvertretender Vorsitzender im Bundesverband Deutscher Startups Berlin ist Startup-Hauptstadt und Michael Müller damit Startup-Bürgermeister. Die Note, die Berliner Start­ ups ihrer Landesregierung geben, ist nach einem kleinen Zwischenhoch aktuell wieder auf 3,6 gefallen. Berlin ist das seit Jahren am schnellsten wachsende Bundesland, hat die Arbeitslosigkeit halbiert und erwirtschaftet einen Überschuss. Die Stadt ist direkt von der Krise in die Growth-Phase geschlittert. Wäre Michael Müller Gründer und Berlin ein Startup, dann würde er spätestens jetzt wissen, dass ein Hockey Stick nicht nur ein Sportgerät ist. Doch während von Startup-Gründern und -Gründerinnen Wachstum als wünschenswert angesehen wird, regiert Müller eine Stadt, die darüber diskutiert, ob Wachstum gut oder schlecht ist. Die Verwaltung schwankt zwischen Überforderung und Reformunwilligkeit. Was ist die Konsequenz? Schlechte Glasfaserversorgung, zu wenig Gewerbeimmobilien, zu wenig Wohnungen, langsame und analoge Verwaltung, alte und marode Schulen, Straßen und U-Bahnen. Die Stadt muss besser, effizienter, digitaler, schneller werden. So wie unsere Startups.

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Die Wowereit-Ära begann mit zwei Aussagen: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“ und „Berlin ist arm, aber sexy“. Mit seiner ersten Aussage hat Wowereit eine Situation beschrieben: Deutschland ist bunt, divers und liberal. Mit der zweiten hat er die Jugend aufgefordert, nach Berlin zu kommen, wo eine liberale Gesellschaft auf sie wartet und wo es, weil noch arm, auch bezahlbar ist! Zuerst kamen die Künstler und dann die Startups. Und jetzt kommt langsam, aber sicher auch die „Deutschland AG“, die sogenannten Corporates. Obwohl Wowereit länger an der Macht klebte, als man erwartet hatte (welcher Politiker gibt schon freiwillig auf ?), hat er das Land vorangetrieben. Berlin ist eine Boomstadt und wächst und wächst. Es ist nicht mehr arm, aber sexy. Herr Müller folgte zunächst dem Kurs von Wowereit und wurde mit einigen Problemen konfrontiert. Allerdings sind die Probleme der Start­ ups auch jene, die alle anderen in der Bevölkerung haben, zum Beispiel bezahlbarer Wohnraum, fehlende Fahrradwege oder digitale Verwaltung. Aber für das langsame Internet kann Herr Müller doch nichts! Dies ist die Aufgabe der Industrie: der Deutschen Telekom, von Vodafone und der Bundesregierung. Wobei es in Berlin wirkliche Probleme mit dem Internetzugang nicht gibt. Das Einzige, was Herr Müller wirklich für die Startups machen könnte, wäre, die Stimme der Startups im Bundesrat zu sein. Die bayerische Regierung macht sich stark für die Autoindustrie. Herr Müller, werden Sie bitte Mr. Startups von Deutschland!

„Herr Müller, werden Sie bitte Mr. Startups von Deutschland!“

Fotos: Stefan Kny, WestTech ventures

„Zwischen Überforderung und Reformunwilligkeit“

CEO von West Tech Ventures GmbH


POLITIK

„Lorbeeren sind der falsche Platz zum Ausruhen“

Christoph Räthke Gründer der Berlin Startup Academy

Christian Amsinck Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg

Fotos: Yasmina Haryono

Dass Berlin ein Top-Standort für Startups ist, daran zweifelt niemand. Hier finden Gründer so viele Ideengeber, Investoren, Mitarbeiter und Unterstützer wie nirgends sonst in Europa. Das kommt nicht von ungefähr. Hochschulen und das Startup-Ökosystem arbeiten eng zusammen, an neu eingerichteten Lehrstühlen erforschen Professoren die Digitalisierung, Dutzende Konzerne errichten Digital Hubs an der Spree – das geht auch zurück auf die Politik. Doch Lorbeeren sind der falsche Platz zum Ausruhen. Will Berlin Digitalhauptstadt werden, ist noch viel zu tun. Etwa in der Verwaltung, die noch zu analog und zu wenig weltläufig arbeitet. In vielen Punkten könnten Startups Know-how und frische Ideen einspeisen – wenn man sie denn fragte. Auch die digitale Infrastruktur lässt zu wünschen übrig. Schon bald werden Business-Anwendungen superschnelle Breitbandnetze erfordern – daran mangelt es. Zudem steigen die Mieten, für Gewerberäume ebenso wie für Wohnungen. Die harte Flächenkonkurrenz setzt gerade junge Firmen unter Druck. Hier müssen Michael Müller und der Senat Abhilfe schaffen – sonst läuft Berlin Gefahr, vom eigenen Erfolg überrollt zu werden.

Was kann Lokalpolitik tun, um Startups zu fördern? Nicht so viel, wie manche denken – was nicht von alleine wächst, kann man auch nicht ziehen. Noch weniger allerdings tut der Berliner Senat. Die Stadt könnte zum Beispiel die Produkte lokaler Startups nutzen, Stichworte Mobilität oder Fintech. Oder örtliche Mittelständler ermutigen, Pilotprojekte mit Startups zu beginnen. Oder Silodenken und Ineffizienz der Berliner Unis beim Thema Gründung angehen. Oder ihren Bürgermeister zur Symbolfigur der Einladung an talentierte Menschen aus der ganzen Welt machen. Nichts davon, weder auf konzeptioneller noch symbolischer oder konkreter Ebene, ist in den letzten Jahren passiert und es wird sich auch nichts rühren, solange Berlin weiter links wählt. Wäre Berlin ein Startup, wäre es eines ohne CEO.

„Wäre Berlin ein Startup, wäre es eines ohne CEO“ berlinvalley.com

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Fotocredit: max. 60 Zeichen

3D-Drucker in Aktion: Ob KunstBildunterschrift: stoff, Metall, Titan, Gold, Silber, Holz (max 160 Zeichen) oder Keramik – die additive Fertigung Sed que estia vidciu nda kann mittlerweile (fast) alles. ndig enitasperat quam corepedi quam faccus num es aliquam repptatemquo exeraeade es aliquam.


3D-DRUCK

REVOLUTION MIT LUFT NACH OBEN Neue Entwicklungen im 3D-Druck zeigen das gewaltige Potenzial, das in der additiven Fertigung steckt.

Foto: serts/iStock

Von Bernd Skischally

Maschinen sind Menschen, Tieren und Pflanzen vor allem in einem Punkt unterlegen: Sie sind nicht in der Lage, sich eigenständig fortzupflanzen. Bislang. Dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern könnte, lassen unlängst veröffentlichte Experimente der Augsburger Firma Kuka Robotics erahnen. Der Roboter-Hersteller kombinierte seine hoch entwickelten Greifarme, die zum Beispiel in der Auto-Fertigung eingesetzt werden, mit einem 3D-Drucker. Heraus kam eine Maschine, die imstande ist, sich zu reproduzieren. Teilweise zumindest. Spektakuläre technische Durchbrüche wie dieser zeigen deutlich, wie viel Potenzial in der 3D-Druck-Revolution schlummert. Bemerkenswert vor allem: Kuka Robotics verwendet kein spezialisiertes Sondermodell, sondern einen 3D-Drucker von Maker Bot. Der New Yorker Hersteller zählte vor rund zehn Jahren zu den Ersten, die 3D-Drucker für den Heimgebrauch vertrieben, und ist heute führender Vertreter seiner Branche. Nun ist der anfängliche Hype um die neue Möglichkeit, Formen jederzeit auch zu Hause digital zu verbreiten und zu reproduzieren, gerade etwas abgeflacht. Dafür spielt der 3D-Druck eine immer größere Rolle im industriellen Bereich. Die nächste Welle an technischen Innovationen und eine Reihe Startups mit frischen Ideen stehen schon in den Startlöchern.

ähnelnde technische Prinzipien entstanden. Egal, ob bei der Stereolithografie, dem 1983 erfundenen, ersten 3D-Druck-Verfahren, dem Lasersintern oder dem erst seit wenigen Jahren etablierten Binder Jetting: Mit Techniken lassen sich durch computergesteuerten, schichtweisen Aufbau dreidimensionale Gegenstände erzeugen. Die endgültige Form wird durch Härtungs- und Schmelzprozesse erreicht. Fast alle Materialien, die sich leicht verformen lassen, können dafür eingesetzt werden – dazu zählen Kunststoffe und Kunstharze ebenso wie Keramik, Glas, Metall und sogar Lebensmittel wie Schokolade. Der 3D-Druck bietet im Vergleich zu anderen Verfahren wie zum Beispiel dem Fräsen (subtraktive Fertigung) oder Gießen (formgebende Fertigung) zahlreiche Vorteile. So lassen sich etwa mit moderner 3D-Druck-Technologie Design- und Herstellungsprozesse entscheidend beschleunigen und die Herstellungskosten spürbar senken. Gleichzeitig ermöglicht die additive Fertigung eine weitaus höhere Individualität und Design-Freiheit bei Produkten und sorgt zudem dafür, dass weniger Abfall als bei traditionellen Herstellungsverfahren anfällt. Ein weiterer Pluspunkt im Sinne der Nachhaltigkeit: Transportwege für Produkte lassen sich durch dezentrale 3D-Druck-Fertigung massiv verringern.

Mehr als nur Plastik – auch Metall und Schokoladen lassen sich drucken Um das wirklich Revolutionäre am 3D-Druck zu verstehen, lohnt ein Blick auf seine Entstehungsgeschichte. Am Anfang ging es vor allem um industriell eingesetzten 3D-Druck – auch additive Fertigung oder Additive Manufacturing (AM) genannt –, wobei verschiedene sich

„Endlich reif für die Massenproduktion“ „In den ersten 20 Jahren des 3D-Drucks war die Technologie zu langsam und zu teuer, weshalb sie hauptsächlich für das Prototyping verwendet wurde. Heute wird der 3D-Druck endlich für die Massenproduktion eingesetzt“, sagt Ric Fulop, CEO und Mitgründer von Desktop Metal. Das US-Startup zählt weltweit zu den wenigen Fir-

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3D-DRUCK

„DAS ZIEL: JEDES PRODUKT AN JEDEM STANDORT BAUEN“ Ric Fulop, CEO und Mitgründer von Desktop Metal

men, die sich auf das komplexe Verfahren des Metall-3DDrucks spezialisiert haben. Ab 2019 will Desktop Metal erstmals einen massenmarkttauglichen Metall-3D-Drucker vertreiben. Kostenpunkt: rund 750.000 Euro. Das Technologie-Magazin Wired sieht hinter der bevorstehenden Markteinführung der Drucker den endgültigen Durchbruch des 3D-Drucks. „Fast alles, was Unternehmen machen – von Telefongehäusen über Propeller bis hin zu Bohrern –, besteht aus Metall oder Verbundwerkstoffen aus Metallen und anderen Materialien“, schreibt Jason Pontin, Wired-Autor und ehemaliger Chefredakteur der MIT Technology Review. Desktop Metal-CEO Fulop ist fest davon überzeugt, dass die neue Generation an 3D-Metalldruckern das Zeug dazu hat, innerhalb weniger Jahre die Verarbeitungsbranche auf den Kopf zu stellen: Montagelinien könnten damit konsolidiert, Lieferketten abgekürzt und die Massenproduktion angepasst werden. Seine Zukunftsprognose: „Heute stellt ein Unternehmen Motoren an einem Ort und medizinische Displays an einem anderen her. Mitte des Jahrhunderts wird derselbe Hersteller in der Lage sein, jedes Produkt an jedem Standort zu

bauen und es an den lokalen Markt anzupassen, indem die meisten Teile gedruckt und die Endmontage vor Ort durchgeführt wird.“ Weltmarktführer deutscher Mittelstand Doch nicht nur in den USA, auch in der deutschen Industrie herrscht Aufbruchstimmung in Sachen Additive Manufacturing. Hier hat man das Potenzial der 3D-Druck-Technologie nicht nur längst erkannt, in manchen Bereichen sind mittelständische Unternehmen bereits Weltmarktführer. Bis zum Jahr 2020 will laut einer Umfrage der Beratung EY ein Viertel der Firmen aus relevanten Branchen wie der Auto-, Luftfahrt- und Maschinenbauindustrie Endprodukte per Drucker herstellen. Bereits jetzt nutzen laut EY fast 40 Prozent der heimischen Unternehmen 3D-Druck-Technologie, was der höchste Wert innerhalb der Industrieländer ist. Große Hoffnungen ruhen dabei auch in Deutschland auf der additiven Fertigung mit Metall. Zum Teil wird diese schon gewinnbringend eingesetzt, wie ein Beispiel von Siemens zeigt. „Normalerweise benötigte Siemens 44 Wochen, um einen verschlissenen Brenner in einem Kraftwerk zu reparieren. Heute sind es nur noch vier Wochen. Statt Ersatzteile herzustellen, werden von den verschlissenen Brennerköpfen elf Millimeter abgetragen und per 3D-Metalldruck die verlorenen Formen wieder aufgetragen“, rechnet Horst Wildemann, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der TU München, in der FAZ vor. Derzeitiger Weltmarktführer für 3D-Metalldrucker ist die EOS GmbH mit Sitz im bayerischen Krailing. Angesprochen auf die neue Konkurrenz aus den USA, die nicht nur

Cody Wilson, Chef der Firma Defense Distributed, löste diesen Sommer nicht nur in den USA, sondern weltweit eine Debatte aus über die Frage, wie gefährlich 3D-Drucker sein können. Genauer gesagt: wie gefährlich Waffen aus dem 3D-Drucker sind. Der Waffen-Aktivist und Geschäftsmann Wilson ist studierter Jurist und bot zunächst über seine Webseite Druckdaten für Waffen-Vorlagen zum freien Download an. Als ihm das per einstweiliger Verfügung untersagt wurde, verkaufte er die Dateien online. Preis: mindestens einen Dollar-Cent. Mittlerweile ist ihm

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auch das untersagt. Richter mehrerer US-Staaten beurteilten die in 3D-Druckern hergestellten Schusswaffen aus Plastik als ein allgemeines Sicherheitsrisiko, weil sie keine Seriennummer besäßen und damit die Strafverfolgung erschwerten. Auch an den Sicherheitskontrollen an Flughäfen könnte man Kunststoffwaffen aus dem 3D-Drucker problemlos vorbeischmuggeln. Wenig schmeichelhaft: Die US-amerikanische Wired zählt Cody Wilson zu den 15 gefährlichsten Menschen der Welt.

Foto: EOS GmBH, Defense Distributed

WAFFEN AUS DEM 3D-DRUCKER


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Viel Platz zum Drucken: In Maisach, am neuen Produktionsstandort von EOS kรถnnen auf insgesamt 9.000 Quadratmeter bis zu 1.000 Systeme pro Jahr gefertigt werden.

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DIE GRENZEN SETZT UNS NUR DAS MATERIAL BigRep will zeigen, welches Potenzial der 3D-Druck birgt. CEO Stephan Beyer im Interview. Das Gespräch führte Sarah Heuberger.

In den Anfangsjahren wurde 3D-Druck belächelt. Was hat sich nun verändert? Es gab damals riesige Erwartungen an die Industrie, die die Maschinen nicht erfüllen konnten. Das waren ganz einfache Maschinen, gebaut für einfachste Anwendungen. BigRep ist anders aufgestellt, wir fokussieren uns auf die Industrie. Das ist ein ganz anderer Markt, der sich mit extremer Dynamik entwickelt. Hier erlebt die additive Fertigung gerade eine technische Revolution.

Ihr verkauft eure Produkte ausschließlich an Industriekunden. Trotzdem zeigt BigRep immer wieder, was mit der 3D-Druck-Technologie alles möglich ist, zum Beispiel mit der Entwicklung eines gedruckten Fahrradreifens. Versteht ihr euch auch als Lobbyist für die Sache? Auf jeden Fall. Stell dir vor, du bekommst ein komplett neues Werkzeug in die Hand. Das wirst du nur nutzen, wenn dir jemand zeigt, welche Vorteile es hat. Mit dem Fahrrad­ reifen haben wir uns für den 3D-Druck ein Produkt ausgesucht, das die Leute aus ihrem Alltag kennen. Das war für uns technologisch keine große Herausforderung, aber wir können damit das Potenzial der Technik zeigen. Seit einem halben Jahr arbeitet BigRep mit BASF zusammen. Was hat sich für euch daraus entwickelt?

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BigRep produziert seine Drucker für Industriekunden.

BASF will Materialien zur Verfügung stellen, die wir zum Drucken verwenden können. Im Industriesegment stellen die Kunden sehr hohe Anforderungen an das Material. Wir arbeiten mit BASF zusammen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden und Speziallösungen anbieten zu können. Welche Herausforderungen siehst du für den Standort Deutschland im Hinblick auf das Thema 3D-Druck? Führend in dem Bereich sind momentan die Amerikaner und Israelis, Deutschland steht vielleicht auf Platz 3. Die größte Herausforderung sehe ich bei der Marktdurchdringung. Der deutsche Markt ist nicht so agil wie der amerikanische. Ich glaube aber, dass der zukünftige Wettbewerb aus China kommen wird. Asien und vor allem China haben das Thema für sich entdeckt und werden sehr stark in diesen Markt hineindrängen. Das hat man schon beim Thema Robotik gesehen: Chinesische Unternehmer kaufen sich in deutsche Firmen ein, um sich die Produktionstechnik anzueignen. Das Gleiche wird auch mit 3D-Druck geschehen. Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können, brauchen wir in Deutschland eine sehr starke Technologie.

ERanz- und Techu-nd Y E B AN g im Fin ründer

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Fotos: BigRep

Welche unbekannten Bereiche könnten noch relevant werden für den 3D-Druck? Man kann die Technologie im Prinzip überall verwenden. Die Grenzen setzt uns eigentlich nur das Material. Wenn ein Material nicht schmelzbar ist, kann es nicht zum Drucken genutzt werden. Ein Kunststoff, der erst bei 1.000 Grad schmilzt, wäre zum Beispiel schwierig. Bei Metallen ist das ein bisschen anders, aber wir bei BigRep konzentrieren uns nur auf Kunststoffe.


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BigRep: Das Berliner Startup hat mittlerweile auch Büros in Singapur und New York.

durch Startups wie Desktop Metal, sondern auch durch Großkonzerne wie General Electric und Hewlett-Packard droht, gibt man sich in Bayern selbstbewusst: „EOS wurde vor 30 Jahren gegründet. Wir sind ein Pionier und haben einen sehr großen Beitrag zum heutigen Stand des 3D-Drucks geleistet. Unser Ziel ist es, unseren Marktanteil zu halten. Dazu sind wir bestens aufgestellt“, betont EOSCEO Adrian Keppler im Wirtschaftsmagazin Capital. Deutsche Startups wissen sich zu behaupten Die erfolgreichsten deutschen 3D-Druck-Startups konzentrieren sich auf die industrielle Fertigung, darunter die beiden Berliner Startups 3Yourmind und BigRep. Neben weiteren Berliner Startups wie Trinkle (Online-3DDruck-Service), 3DYourBody (3D-Scan und -Druck), Fab Lab (offenes Labor), VOJD Studios (Fashion-Design) finden sich auch außerhalb der Hauptstadt Erfolg versprechende junge Unternehmen wie beispielsweise 3DTrust aus München und Additive Works aus Bremen. Das Berliner Startup 3Yourmind, eine Ausgründung der TU Berlin, bietet seit 2014 speziell auf industrielle AM-Prozesse zugeschnittene Software-Plattformen an und zählt unter anderem Siemens, die Deutsche Bahn und Continental zu seinen Kunden. Das Startup BigRep wiederum vertreibt erfolgreich großformatige 3D-Drucker zur professionellen sowie industriellen Fertigung und hat unlängst eine Forschungskooperation mit dem Chemie-Giganten BASF vereinbart (siehe Interview auf der linken Seite). „Wir freuen uns, dass wir in der heimischen Start­ upLandschaft mit BigRep einen so starken Partner in Sa-

chen 3D-Druck finden konnten“, sagt Christian Pokropp, Head of Investor Relations and Corporate Communications beim Duisburger Unternehmen Klöckner & Co. Der international agierende Stahl- und Metallhändler zählt in seiner Branche zu den Digitalisierungsvorreitern und hat sich bereits 2017 über die Venture-Capital-Tochter kloeckner.v an dem Berliner Startup beteiligt. „Seit unserem Investment hat sich BigRep ausgezeichnet entwickelt, was auch der Einstieg eines namhaften DAX-Konzerns wie BASF zeigt. Diese Zusammenarbeit wird BigRep sicher auf der Materialseite nochmals nach vorn bringen“, so Pokropp. Auch das jüngste Investment bei BigRep unterstreicht die Ambitionen der Berliner, sich zu einem global führenden Hersteller von additiven Manufacturing-Systemen zu entwickeln: So konnte im August der internationale Technologiekonzern Körber als weiterer Investor gewonnen werden. Im Sommer attestierte das Manager Magazin dem Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt eine „starke Ausgangsposition“ in Sachen 3D-Druck – meldete gleichzeitig jedoch auch leise Zweifel an der aktuellen Entwicklung an: „Genügt das, um den serienmäßigen 3D-Druck aus Deutschland heraus zu einem neuen Big Business, einer neuen Kernbranche zu formen? Oder erleiden die 3D-Spezialisten das gleiche Schicksal, das zuvor bereits die MP3-, Solar- und Windradentwickler ereilte: ganz früh dran, dann aber zu ängstlich und kleinteilig beim Vermarkten und ganz schnell wieder raus?“

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FÜNF 3D-DRUCK-TRENDS Von Bauteilen bis zu Pullovern, 3D-Druck kann alles. Hier sechs Bereiche, in denen die Technologie genutzt wird. Zusammengestellt von Bernd Skischally

Gesundheit

Zahnärzte waren die ersten Mediziner, die 3D-Druck für sich entdeckten. Nun ziehen immer mehr Healthcare-Bereiche nach. Das Münchner Hightech-Startup Kumovis beispielsweise entwickelt 3D-Drucker, die speziell auf medizintechnische Anforderungen zugeschnitten sind und Schädelplatten- oder Wirbelsäulenimplantate herstellen können. Im Fokus steht dabei die Verarbeitung des Hochleistungspolymers PEEK, das bereits in der Medizintechnik etabliert ist. kumovis.de

Poietis Nicht nur Hartteile des Körpers lassen sich additiv nachbilden: Das französische Startup Poietis hat nun menschliche Haut mittels 3D-Bioprinting hergestellt. Seit 2014 hat das Biotechnik-Labor aus der Nähe von Bordeaux experimentiert, um eine Struktur mit dermalen und epidermalen Anteilen zu schaffen. Offenbar erfolgreich. Zu den ersten Partnern zählen die Kosmetikunternehmen L´Oréal und BASF Beauty Care Solutions. poietis.com

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Fotos: Kumovis, Divergent 3D, BigRep

Kumovis


3D-DRUCK

Divergent 3D Das 2013 gegründete Startup aus Los Angeles hat sich – ebenso wie US-Vorreiter Local Motors – auf die Produktion von Fahrzeugen spezialisiert, deren Bauteile ausschließlich aus dem 3D-Drucker stammen. Im Vordergrund steht dabei der Nachhaltigkeitsgedanke, denn die Fertigung soll weitaus weniger ressourcenintensiv sein als in der traditionellen Autoindustrie. Manche Bauteile sind etwa um bis zu 90 Prozent leichter als in derzeitigen Fahrzeugen. divergent3d.com

Mobilität

BigRep Das Berliner Startup vertreibt eigene Großformat-3D-Drucker und liefert gleich innovative Konzepte für Einsatzmöglichkeiten – wie etwa den Airless-Fahrradreifen, der nicht durch Luft, sondern durch eine speziell gedruckte Wabenstruktur straßentaugliche Belastbarkeit erhält. „Das Design lässt sich so anpassen, dass es den Anforderungen bestimmter Arten des Radfahrens gerecht wird, etwa Mountainbiking und Straßenrennen“, sagt Marco Mattia Cristofori, Produktdesigner bei BigRep. bigrep.com

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Ernährung

Foto: Dinara Kasko

Kuchenkunst Auch in der Gastronomie ist der 3D-Druck angekommen. Mithilfe von selbst gedruckten Kuchenformen erschafft die Konditormeisterin Dinara Kasko komplex geometrische Torten. Damit ist die Ukrainerin gerade in den sozialen Medien sehr erfolgreich. Eigentlich hat Krasko Architektur studiert, bevor sie ihre Liebe zu Kuchen entdeckte. Mit einem 3D-Druck-Programm entwickelt sie die Kuchenformen aus Silikon. Das Architekturstudium war also nicht ganz umsonst. dinarakasko.com

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Product Note SICRIT® GC/SPME Module 3D-DRUCK

Plasmion Dieses Startup mit Sitz im bayerischen Augsburg verwandelt Laborgeräte in eine „elektronische Nase“: Labore können Proben nun erstmals ohne aufwendige Probenvorbereitung direkt messen. Die Geräte selbst können automatisiert als Geruchssensoren eingesetzt werden, zum Beispiel in der Sicherheitsindustrie. Analysiert werden kann so ziemlich jeder Geruchsstoff – vom Kaffee über krebserregende Stoffe in Abgasen bis hin zu Drogen und chemischen Kampfstoffen. plasmion.de

Simple. Smart. Sensitive. The SICRIT® GC/SPME module combines the SICRIT® ionization technology with state-of-the-art sample separation and/or enrichment techniques enabling GC- and SPME-MS coupling.

SICRIT® Technology The SICRIT® (soft ionization by chemical reaction in transfer) is the a real flow-through soft ionization technique for ambient pressure ionization (API) mass spectrometry (MS) instruments. The patented design of the ion Bevor Bauteilemodule oder gar ein ganzes Haus converts any MS into a ® The SICRIT GC/SPME brings source aus dem 3D-Drucker gezaubert werden, be- and selective electronic state-of-the-art sample enrichment sensitive darf es erst einmal gründlicher Planung. Geand separation to your MS. nose, opening unlimited onlinenau hier setzen Startups wie 3Faktur an. Das measurement capabilities to 2014 in Jena gegründete Unternehmen bieThe key feature of the module your MS. The combination with tet das komplette Leistungsspektrum für die is the special design of the inner the SICRIT® GC/SPME module Planungsphase an: von der Erstellung des enables direct SPME-SICRIT®-MS vaporizer unit where thermodreidimensionalen Modells bis hin zum ferdesorption of the introduced measurements as well as direct tigen Produkt. Dabei nutzt 3Faktur neben analyte einer molecules takes place. coupling with any GC system for Vielzahl von Softwarelösungen auch The implemented carrier gas soft ionization GC-SICRIT®-MS 3D-Scan-Technologie. supply ensures a defined atmosmeasurements. Thus, SICRIT® 3faktur.com phere and loss-free transport features the full scope of qualitaof the analytes into the SICRIT® tive, quantitative and structural ion source, allowing for sensitive analysis, providing an easy and quantitative trace analysis in plug&play solution for almost numerous fields of application. every analytical task and analyte.

3Faktur

SICRIT® Advantages • Adaptable to all available API mass spectrometers • Direct manual or automated quantitative SPME-MS measurements • Sensitivity down to ppq level • Soft ionization with broad analyte range • Flexible interfacing of any GC with your MS • Robust 24/7 operation • Expert manufacturer support Intended Fields of Application The SICRIT® GC/SPME module is intended for use in combination with the corresponding SICRIT® SC-20X ionization set. It provides an all-in-one SICRIT®-MS-approach showing unique benefits in comprising analyte enrichment, separation, soft ionization, and ultra-sensitive detection.

Plasmi n Simple Smart Sensitive

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Auch in der Architektur bringt die additive Fertigung frischen Wind – und zwar dank immer neuer Möglichkeiten mit Beton. Während mancherorts bereits komplette Häuser im 3D-Druck-Verfahren betoniert werden, spezialisieren sich immer mehr Startups auf Teilbereiche. So etwa Mobbot aus dem Schweizer Lausanne: Das Unternehmen entwickelt – wie der Name schon andeutet – Technologie für mobil einsetzPlasmion GmbH - Am Mittleren Moos 48 - 86167 Augsburg - Germany bare Roboterarme, die Beton genau an den Abmessungen einer Baucall: +49 8137 6292-136 or mail: info@plasmion.de stelle extrudieren. mobbot.ch

Architektur

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plasmion.de

Fotos: Plasmion, 3Faktur, Velo3D

Mobbot


3D-DRUCK

Velo3D 2015 hat das kalifornische Startup beeindruckende 90 Millionen Euro eingesammelt, um dann drei Jahre in aller Ruhe vor sich hin zu entwickeln. Ende August nun präsentierte Velo3D sein erstes Produkt: ein System, das in der Lage ist, geometrisch komplexe Metallobjekte in 3D zu drucken, indem ein Pulverbett – ganz ohne zusätzliche Stützstrukturen – mithilfe eines Lasers verschmolzen wird. velo3d.com

Maschinenbau

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3D-DRUCK

Ministry of Supply Das 2012 von MIT-Studenten gegründete US-Startup Ministry of Supply arbeitet mit 3D-Strickmaschinen, die praktisch auf Nachfrage einen kompletten Pullover produzieren können – ohne Nähte oder Näharbeiten. Dabei verwendet das Unternehmen die gleichen temperaturregulierenden Hightech-Materialien, die auch die NASA für ihre Astronauten-Ausrüstung einsetzt. ministryofsupply.com

Mode

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Die in Berlin ansässigen VOJD Studios haben sich sehr erfolgreich auf 3D-gedruckte Schönheiten spezialisiert: Accessoires und Schmuck. Um ausgetretene Designpfade zu verlassen, setzt man auf eine Symbiose aus traditioneller Handwerkskunst und neuesten technologischen Innovationen. Kooperationen gab es unter anderem schon mit Ale­ xander McQueen, Loewe, Carolina Herrera, Akris und Prabal Gurung. vojdstudios.com

Foto: Ministry of Supply

VOJD Studios


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LEBENSLANGES LERNEN

DENN MAN Der Bildungsmarkt gilt als komplex – und bietet Potenzial für findige Gründer. Denn Lernen wird jetzt Startup-Sache.

LERNT Von Sarah Heuberger

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Schon um Christi Geburt outet sich der griechische Philosoph Seneca als Fan des lebenslangen Lernens: „Du musst lernen, solange du nicht weißt, du musst lernen, solange du lebst.“ Durch neue Technologien und sich ständig verändernde Berufsbilder ist lebenslanges Lernen wichtiger als je zuvor. Sich nach Studium oder Ausbildung noch weiterbilden zu wollen, das galt bis vor einigen Jahren noch eher als Eingeständnis der eigenen Defizite. Heutzutage ist es andersrum – wer nicht lernt, der kann schnell abgehängt werden. Auch Firmen haben das erkannt, so wie das Berliner Start­up Babbel, dessen gleichnamige App zum Sprachenlernen bereits weltweit mehr als eine Million zahlende Kunden hat. Lebenslang lernen, das sollen nicht nur die Kunden, sondern auch die Mitarbeiter von Babbel. Die Angestellten können aus einem umfangreichen Kurs­ programm wählen, das vom Führungskräftetraining mit Pferden bis zum Mindfulness-Seminar reicht. Die Weiterbildungen werden ihnen als Arbeitszeit angerechnet.


LEBENSLANGES LERNEN

NIE AUS Doch was ist mit denen, die keine Lust haben, an den Angeboten teilzunehmen – müssen die mit Sanktionen rechnen? Darauf antwortet Christian Hillemeyer, Leiter der Kommunikation bei Babbel, mit einem klaren „Jein“: Da gebe es zwar keine direkten, aber es werde trotzdem erwartet, dass die Mitarbeiter an ihren Schwächen arbeiten. Beim Führungskräftetraining von Pferden lernen Auch die Startup-Welt hat das Thema Bildung für sich entdeckt. Gründer und Investoren sehen ein riesiges Potenzial in Edtech, kurz für Education Technology. „Edtech ist das neue Fintech“, verkündet David Bainbridge 2016 enthusiastisch auf dem Portal Techcrunch. Bainbridge ist Gründer und CEO von Knowledgemotion, einem Startup, das Lernvideos produziert. Es spricht vieles dafür, dass Edtech ein gewinnbringender Markt für Investitionen ist. Laut Zahlen des Marktforschungsinstituts Metaari betragen die weltweiten Investitionen in Lerntechnologien im Jahr 2017 mehr als 9,5 Milliarden US-Dollar. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine 30-prozentige Steigerung. Auch der Medienkonzern Bertelsmann investiert immer stärker in das Thema, vor allem in den Bereich Weiterbildung. Erst im September 2018 erwarb Bertelsmann OnCourse Learning, eine amerikanische Plattform für Online-Fortbildungen.

Wer nicht lernt, wird abgehängt Allein am Investitionsvolumen kann das Potenzial von Edtech jedoch nicht abgelesen werden. Dafür ist das Thema Bildung als Produkt und als Markt einfach zu komplex. Anders im Fintech-Bereich reicht es nicht, einfach Geld einzusparen – bei Edtech geht es vor allem um die Akteure, um die Schüler, die Lehrer und die Eltern. Und es dauert eine lange Zeit, bis die Erfolge und Misserfolge von Edtech-Anwendungen abzusehen sind. Vielleicht zu lange für schnelllebige Investoren. Doch der Bedarf für Innovationen ist groß, gerade im deutschen Schulsystem. Das steht momentan vor großen Herausforderungen wie etwa Inklusion, immer heterogeneren Klassen und dem Ansturm auf Gymnasien. Umso wichtiger wird eine individuelle Förderung, die ein einzelner Lehrer aber immer schlechter leisten kann. Außerdem hängen die Bildungschancen in Deutschland immer noch sehr stark von der Herkunft ab. Im Jahr 2016 schafften es 79 Prozent aller Kinder aus Akademikerfamilien an eine Hochschule, im Vergleich zu 27 Prozent aller Kinder, deren Eltern keinen Hochschulabschluss haben. Das zeigen die Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW).

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„Edtech ist das neue Fintech“ David Bainbridge, CEO Knowledgemotion

Schwerfälliger Bildungsriese Deutschland Technologien allein werden dieses Ungleichgewicht nicht ändern können. „Bildung ist mehr als ein bunter Bildschirm“, kritisiert etwa der Journalist und Bildungsexperte Ranga Yogeshwar im Interview mit Berlin Valley. Doch Befürworter erhoffen sich durch Education Technology mehr Chancengleichheit und eine bessere individuelle Förderung. Gerade naturwissenschaftliche Fächer eigneten sich besonders gut für den Einsatz von Edtech. Davon ist Arndt Kwiatkowski überzeugt, ehemaliger Gründer von Immobilienscout24 und heutiger CEO von bettermarks, einer Online-Plattform zum Mathe-Lernen. Denn gerade in mathematischen Fächern sei es wichtig, dass die Schüler den Stoff in ihrem eigenen Tempo erarbeiten. Und anders als in Geschichte oder Sozialkunde gebe es bei Mathe eindeutige Richtig-oder-falsch-Antworten.

„Politik und Startups als Partner im Ökosystem Bildung“ Arndt Kwiatkowski, CEO bettermarks

Wie schleppend technologische Innovationen wie bettermarks in den Schulen angenommen werden, davon zeigt sich Kwiatkowski enttäuscht. „Einmal sollten wir für eine Zulassung bei einer Behörde Farbausdrucke unserer cloudbasierten Software einreichen. Die umfasst aber über 100.000 verschiedene Aufgaben!“ Nicht nur auf offizieller Seite läuft es schleppend, auch die Schulbuchverlage zeigen sich bisher wenig kooperativ – aus Angst vor Konkurrenzmodellen. Doch langsam tut sich etwas. Einzelne Bundesländer wie etwa Hamburg setzen immer gezielter auf digitale Lehrmittel. Dass Bildung in Deutschland Sache der Bundesländer ist, macht die Koordination nicht leichter. Das bestätigt auch die deutsche Staatsmininsterin Dorothee Bär (im Interview auf Seite 127). „Da müsste es eine viel engere Abstimmung geben.” Auch im Bereich der Hochschulbildung sind die

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Edtech-Anwendungen angekommen. Massive Open Online Courses (MOOCs) sind vor allem durch Startups wie Udacity oder Coursera bekannt geworden. Doch nach anfänglichem Hype stehen diese Modelle zunehmend in der Kritik, nicht das zu halten, was sie versprechen. Udacity-Gründer Sebastian Thrun selbst nannte seine MOOCs 2013 in einem Interview ein „lausiges Produkt“, später relativiert er seinen Kommentar wieder. Immer mehr MOOC-Anbieter konzentrieren sich mittlerweile auf unternehmenszentrierte Businessmodelle. Das Karriere-Netzwerk LinkedIn zum Beispiel hat 2015 für 1,5 Milliarden US-Dollar die Lernplattform Lynda gekauft und bietet jetzt unter dem Namen „LinkedIn Learning“ selbst Kurse an.

„Ältere Menschen lernen nicht schlechter, nur anders als jüngere“

Kleinkinder oder Senioren – alle lernen Edtech-Startups sind aber nicht nur im traditionellen Bildungsmarkt unterwegs, sondern begegnen uns prinzipiell überall dort, wo es um Wissen und Lernen geht. Denn der Begriff lebenslanges Lernen umfasst alles von frühkindlicher Bildung über Schule, Universitäten bis hin zur Erwachsenenbildung. Das schließt Kleinkinder genauso ein wie Senioren. Studien haben gezeigt, dass ältere Menschen nicht schlechter lernen, sondern nur anders als jüngere Generationen. Im Fall von Babbel etwa ist die Hälfte aller Lernenden älter als 45 Jahre, fast ein Fünftel ist älter als 65. Beispiele wie bettermarks oder Babbel zeigen, dass Startups dazu beitragen, Bildung für alle Altersschichten zugänglicher zu machen. Dafür müsse die Politik Startups nicht nur strukturell und finanziell unterstützen, sondern auch als Partner im Ökosystem Bildung anerkennen, das wünscht sich bettermarks-Gründer Arndt Kwiatkowski. Dazu gehöre auch, neue Lebenskonzepte anzuerkennen, die nicht dem geradlinigen Weg von Schule, Arbeit und Rente folgen. In Dänemark zum Beispiel kommt der Staat pro Bürger und pro Jahr für zwei Wochen Weiterbildungen und Umschulungen auf. 70 Prozent aller Dänen sehen berufliche Veränderungen im Laufe der Karriere als etwas Gutes, im Vergleich dazu sind es nur 30 Prozent im Rest Europas. Seneca hätte so eine „mid-career transition” sicherlich auch super gefunden.



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Wertvolle Wissensware Lernen aus Investorensicht: Wieso Edtech Bildung nicht automatisch demokratischer macht, erklären Anton Weitz und Mila Cramer vom Berliner VC-Fonds Project A. Das Gespräch führten Jan Thomas und Cosima Justus.

Welche Gründe sind das? Anton Waitz: Das ist zum einen der gesellschaftliche Wandel: Das Thema Weiterbildung gewinnt immer mehr an Bedeutung, auch weil es viele Jobs, die es heute gibt, in rund 15 Jahren vermutlich nicht mehr geben wird. Zum anderen sind das technologische Innovationen, die neue Lernkonzepte wie Personalisierung ermöglichen. Zuletzt wird der Weg auch durch Staat und Institutionen geebnet, die langsam erwachen und die nötige Infrastruktur bereitstellen. Ein gutes Beispiel dafür ist der DigitalPakt.

Bildung ist ihr Thema: Anton Weitz und Mila Cramer von dem Investmentfonds Project A in ihrem Büro in Berlin-Mitte.

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Welche technologischen Entwicklungen sind für euch im Moment am wichtigsten? Anton Waitz: Machine Learning spielt eine große Rolle, aber auch mit anderen Technologien wie etwa Virtual Reality können ganz neue Lernerfahrungen gemacht werden. Beides sind Technologien, bei denen in den nächsten fünf bis zehn Jahren irrsinnig viel passieren wird.

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Wie geht ihr bei euren Investments vor? Anton Waitz: Wir sehen uns etwa 3.000 Unternehmen pro Jahr an und sprechen mit 1.000. Die gesamte Startup-Welt auch hier in Europa wird immer komplexer, sowohl technologisch gesehen als auch hinsichtlich der Bandbreite an Geschäftsmodellen. Um da richtig zu investieren, müssen wir uns stärker auf bestimmte Themen fokussieren. Wir nennen das Deep Dives, von denen wir immer vier oder fünf parallel laufen haben. „Education“ ist seit einem Jahr dabei, einer unserer längsten Deep Dives. Daneben haben wir noch Themen wie „Digital Health“, „Mobility“, „Industrie 4.0“, „Construction Tech“ und „E-Sports“. Seht ihr Parallelen zwischen einzelnen Deep Dives, zum Beispiel zwischen „Digital Health“ und „Education“? Mila Cramer: Da gibt es tatsächlich sehr viele Parallelen, zum einen wegen der verkrusteten Strukturen und zum anderen, weil bei beidem immer eine große staatliche und politische Komponente dabei ist. Und sowohl für den Bereich Health als auch Education sehen wir mehr potenzielle Investitionen außerhalb von Deutschland. Wir hoffen aber, in Zukunft auch hierzulande mehr zu sehen und zu investieren. Wie würdet ihr das Potenzial für Edtech in Deutschland einschätzen? Anton Waitz: Mit dem DigitalPakt soll jetzt viel Geld in die Infrastruktur von Schulen, teilweise auch von Universitäten, gesteckt werden. In anderen Ländern wie Großbritannien zum Beispiel spielt die Digitalisierung schon eine viel größere Rolle. Beim britischen „Teaching-Excellence-Framework“ werden die Unis nach ihrem Innovations- und Digitalisierungsgrad gerankt. Und wer im unteren Drittel abschneidet, bekommt weniger Geld. Das ist natürlich ein echter Anreiz, sich mit digitalen Themen zu beschäftigen. Eines unserer Portfoliounternehmen ist zum Beispiel ein Learning-Management-System namens Aula, eine Art Slack für Universitäten. In Deutschland würde das ewig dauern, bis sich die Universitäten selbst dafür interessieren würden. In Großbritannien kommen viele Unis selbst auf Aula zu!

Foto: Marcus Glahn

Warum investiert ihr in den Bereich Bildung? Anton Waitz: Bildung ist ein riesiger Markt, in dem Digitalisierung noch erhebliches Effizienzpotenzial hat. Ich glaube, Bildung wird ihren Internet-Moment noch erleben. Es gibt viele Gründe, die uns daran glauben lassen, dass die Digitalisierung der Bildung ein noch viel größeres Thema wird, als es heute schon ist.


„Bildung wird ihren Internet-Moment noch erleben“ Anton Weitz

Haben es dann Anwendungen leichter, die sich an private Nutzer und nicht an staatliche Institutionen richten? Mila Cramer: Ja, das ist generell einfacher. Aber speziell in Deutschland ist die Bereitschaft, für Bildung zu zahlen, extrem niedrig, weil wir einfach sehr daran gewöhnt sind, Bildung staatlich subventioniert zu bekommen. In anderen Ländern, in denen ein Studium bereits hohe Kosten verursacht, stehen private Ausgaben für das Lernen in einem ganz anderen Verhältnis. Auch hier sehen wir wieder Parallelen zum Health-Bereich. Wie definiert ihr Edtech überhaupt? Mila Cramer: Edtech ist eigentlich alles, wo Technologie uns hilft zu lernen. Eine Möglichkeit, das Thema anzugehen, ist die Unterteilung nach Lebensabschnitten. Das beginnt in sehr frühem Alter, auch für Kleinkinder gibt es schon sehr viele iPad-Applikationen. Dann natürlich K12 – das umfasst eigentlich alles vom Kindergarten bis zum Schulabschluss. Der Kunde hier ist in der Regel eine staatliche oder halbstaatliche Institution, nämlich die Schule. Dann gibt es den Bereich Higher Education, also den ganzen Universitätsbereich. Es geht weiter mit dem Weiterbildungsbereich, mit Corporate Education und dem etwas unbestimmten Begriff des Life-Long Learnings. Unter Life-Long Learning fallen auch zum Beispiel Sprachlern-Apps wie Babbel.

Wo liegen die Schwerpunkte von Project A? Anton Waitz: Wir konzentrieren uns vor allem auf die Bereiche Higher Education und Corporate Learning. Wir haben uns viele Themen im Universitätsbereich angeschaut. Wir glauben zwar nicht daran, dass die Universität durch virtuelle Tools und Technologien komplett ersetzt wird. Wir denken, dass sie als soziale Struktur immer bestehen bleiben wird, genauso wie die Schule. Da geht es vor allem um sogenannte Soft Skills, beispielsweise, wie man sich im Team verhält oder klar kommuniziert. Und das funktioniert nur durch soziale Interaktionen. Diese komplett digital abzubilden, ist schwierig, wird aber durch Edtech-Tools wie Aula oder Peergrade unterstützt. Beide erlauben es Studenten und Dozenten, so zu kommunizieren, wie es bisher nur offline möglich war. Wieso setzt ihr den Fokus gerade auf Universitäten? Anton Waitz: Auf universitärer Ebene gibt es wahnsinnig viele Möglichkeiten, durch Digitalisierung Effizienzen zu schaffen. Die Strukturen sind längst nicht so verkrustet wie im Bereich K12. Bei den Schulen ist immer gleich der Staat involviert. Universitäten sind autarke Gebilde, bei denen man zwar den Vizepräsidenten überzeugen muss, aber das ist immer noch besser als gleich das Land Mecklenburg-Vorpommern. Der Bereich, den wir uns am intensivsten anschauen, ist aber Corporate Learning, weil da unfassbar viel Geld drinsteckt. Als Fonds müssen wir am Ende auch wirtschaftlich denken und können nicht nur die Welt verbessern, auch wenn wir das gerne würden. Der Fachkräftemangel treibt viele Arbeitgeber um, dadurch spielt das ganze Thema Weiterbildung eine große Rolle. Den Bereich Corporate Learning haben also auch die Startups für sich entdeckt? Mila Cramer: Weil im Corporate-Learning-Bereich so viel Geld steckt, versuchen viele Startups, den High­

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Wie meinst du das? Anton Waitz: Zu Beginn der MOOCs gab es eine Zeit, in der sich alle sicher waren, dass es in zehn Jahren keine Unis mehr gibt. Und jetzt haben wir diese Developer Schools, die natürlich viel mit digitalisiertem, skalierbarem Material arbeiten, das man sich von zu Hause aus aneignen kann. Wichtiger Bestandteil ist aber auch, den Großteil der Zeit mit Leuten in einem Raum zu sein und physisch zu interagieren, auch wenn am Ende alle nur nebeneinandersitzen und coden. Ist das Konzept der MOOCs also gescheitert? Anton Waitz: MOOCs waren auch deshalb nicht so erfolgreich, wie man damals gedacht hätte, weil sie keinerlei Interaktionsmöglichkeiten bieten. Nach dem ersten oder zweiten Kurs gehen die Teilnehmerzahlen signifikant nach unten. Denn du brauchst auch analoge Strukturen, um Bildung zu überliefern. Ich erinnere mich an nur noch sehr wenig, was ich in der Schule im Biologie-Unterricht gelernt habe. Aber ich erinnere mich noch genau, wie ich damals mit Leuten interagieren musste, um im sozialen Gefüge wahrgenommen zu werden oder mich durchzusetzen. Das prägt viel stärker, egal in welchem Alter. Einer der Ursprungsgedanken bei MOOCs war es ja, Bildung zu demokratisieren. Anton Waitz: Ja, eigentlich schon. Das Interessante ist, dass mittlerweile der Großteil der MOOCs Bezahl-

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schranken einzieht, wenn es sich nicht gerade um ein Leuchtturmprojekt von MIT oder Harvard handelt. Mila Cramer: Der Wille dieser Universitäten, der breiten Masse Zugang zu bieten, ist auf jeden Fall noch da – aber einen Abschluss bekommt man dabei nicht, und der ist heute eben immer noch viel wert. Aber trägt Edtech denn zur Demokratisierung von Bildung bei? Anton Waitz: Durch die Digitalisierung ist es zumindest möglich, etwas qualitativ Hochwertiges skalierbar anzubieten. Wenn man sowohl Inhalte als auch Tools einer breiten Masse zur Verfügung stellen kann, muss auch der Preis nicht so hoch angesetzt werden. Solche Angebote können dann einen echten Mehrwert für die Gesellschaft bedeuten. Wahre Demokratisierung findet al-

UND iR E e-Cap M entur eal­ A V r R e D C lin MILA N WEITPZartner bei dehme BInevrestmenatpsituanl-dAktivitäANTO ist General r die Bereic Venture-C Investment Waitz ct A und fü aute er die ramer ist chnology Anton ila C er b n Te roje . Vorh USA auf. M Educatio nds P n tal-Fo ntwortlich n e e d Them era er in flow v xel Spring und für die .com A a A n t t o ojec rojec ten v ch. pr bei P li r e rt o g tw Mana veran ravel und T

Foto: Marcus Glahn

er-Education-Bereich mit dem Corporate-Learning-Bereich zu verbinden. Ein Beispiel dafür sind private Developer Schools, bei denen Schüler mit verschiedensten Hintergründen zusammenkommen, um programmieren zu lernen. Viele dieser Schulen monetarisieren nicht durch klassische Studiengebühren, sondern sichern sich einen Anteil am zukünftigen Gehalt – wie eine Headhunter-Gebühr. Der zukünftige Arbeitgeber finanziert also die Bildung. Anton Waitz: Diese Development Schools sind übrigens auch der perfekte Beleg für meine These, dass die virtuelle Universität die physische Universität nicht ersetzen wird.


LEBENSLANGES LERNEN lerdings nicht statt. Zwar hat jemand in Bolivien jetzt eher die Möglichkeit, sich einen MIT-Vortrag anzuhören, was eine super Entwicklung ist – trotzdem wird ein Großteil an Edtech-Produkten für Menschen in Industrieländern entwickelt. Bildung ist ja aktuell sehr demokratisch in Deutschland, da geht der Trend leider eher Richtung Privatisierung – das sehen wir an den zahlreichen Privatschulen, die besonders hier in Berlin-Mitte aus dem Boden sprießen.

„Deutsche sind es gewohnt, Bildung staatlich subventioniert zu bekommen”Mila Cramer Wie misst man denn den Erfolg von Edtech? Mila Cramer: Der Effekt von Änderungen im Bildungssystem ist oft erst über Generationen nachweisbar. Im ganzen Education-Bereich ist es deshalb extrem schwierig, Erfolge messbar zu machen. Unser zweites Edtech-Startup Peergrade zum Beispiel nutzt sogenanntes formatives Feedback. Da bekommt der

Lernende während des Lernprozesses von anderen Lernenden Feedback. Wir glauben, das hat einen positiven Einfluss aufs Lernen, und wissenschaftliche Studien geben uns da recht – wirklich wissen können wir es aber nicht. Deshalb stützen sich viele Institutionen auf das sogenannte Evidence-Based Learning, also die Anwendung von Lernkonzepten, die über Generationen hinweg erwiesenermaßen effektiv sind. Anton Waitz: Wir als profane Investoren messen natürlich auch die monatlich wiederkehrenden Umsätze, die gemacht werden. Als Investoren müsst ihr natürlich auch immer an einen Exit denken. Wer käme denn da für eure Edtech-Startups infrage? Anton Waitz: Einerseits große Verlage, die in der Lage sind, so große Investments zu tätigen. Pearson etwa oder Bertelsmann, das den Education-Bereich als strategisches Feld für sich identifiziert hat. Im Fall von Aula zum Beispiel gäbe es noch die alten, großen Learning-Management-Systeme, die sich irgendwann erneuern müssen. Die kaufen dann oftmals lieber etwas, damit sie es nicht selbst entwickeln müssen. Eine ganz große Rolle spielen aber auch hier Google, Apple und Microsoft, die sich ihren eigenen Kampf im Education-Bereich liefern. Beispielsweise stellen sie ihre Hardware zu günstigeren Preisen zur Verfügung, um so Zugang zu den Schulen zu bekommen und dann vor allem auch ihre Software zu etablieren.

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Nachgefragt Was Bildung heute können muss und wie Edtech dabei helfen kann - das sagen die Experten aus Theorie und Praxis. Zusammengestellt von Sarah Heuberger

DEJAN MIHAJLOVIC LEHRER UND MITGLIED VON D64, ZENTRUM FÜR DIGITALEN FORTSCHRITT

MAX MAENDLER GRÜNDER LEHRERMARKTPLATZ.DE

In einer sich immer schneller drehenden Welt bedeutet Bildung vor allem die Fähigkeit, sich schnell auf neue Umstände einlassen zu können. Da sind die Schulen gerade extrem gefordert. Erfolgreiche Bildung hängt vor allem vom einzelnen Lehrer ab. Die größten Chancen bietet Edtech deshalb, wenn Lehrer dabei unterstützt werden, ihren Unterricht zu verbessern. Ich wünsche mir, dass die Politik sich traut, den im Bildungswesen lähmenden Föderalismus abzuschaffen. Wichtiger noch: Schulen brauchen mehr Management (wie in England) und Schulleiter mehr Entscheidungsfreiheit (wie in Holland). Letztlich sollte die Verwaltung aufhören, technische Lösungen für die Schulen selbst zu bauen und mehr auf Startups vertrauen.

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ANGELA THIELE SCHULREKTORIN UND ENTWICKLERIN DER ELEMENTAREN LERNARCHITEKTUR

Edtech bietet Möglichkeiten, in lösungs­ orientierten, selbstbestimmten Lehr-­ LernSzenarien zu agieren. Der Zugang zu Information, Wissen und unterschiedlichsten Gestaltungs- und Kommunikationstools in einem vernetzten digitalen Szenario macht Lerner unabhängig vom Lernort, von der Lehrkraft und ihren Angeboten, geprägt durch ihre Denk- und Handlungsvorgaben. Möglicherweise wäre damit die Abhängigkeit der sozialen und kulturellen Voraussetzung weniger entscheidend, als es in zahlreichen aktuellen Erhebungen zurzeit gemessen wird. Voraussetzung ist eine pädagogische Basis, die den Lernenden einen Selbstlernraum zur Verfügung stellt und auch erlaubt, diesen individuell zu nutzen und mit persönlichen Potenzialen zu gestalten. Wir benötigen darüber hinaus eine veränderte Haltung von Lehrenden bezogen auf Lehren und Lernen.

Foto: privat

Bildung müsste Menschen jeglichen Alters dazu befähigen, sich im digitalen Transformationsprozess nicht nur souverän und mündig zu bewegen, sondern den gesellschaftlichen Wandel mitgestalten zu können. Konzepte wie eduScrum zeigen, dass Schulen von Startups bezüglich der Prozessgestaltung einiges lernen können. Um in Startups zu arbeiten oder welche zu gründen, braucht es ein besonderes Mindset. Ich befürchte, dass die dafür notwendigen Grundlagen im aktuellen Bildungswesen kaum bis gar nicht gelegt werden. Hier könnte eine projektbasierte Kooperation mit lokalen Startups ein möglicher Ansatz sein.


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Ausstieg bei Iversity Gründer Jonas Liepmann erzählt, wieso die Lernplattform trotzdem immer noch sein Baby ist. Ein Gastbeitrag von Jonas Liepmann

Als ich 2007 anfing, mich für die Start­ up-Welt zu interessieren, fiel mir auf, dass Studenten sehr aktiv auf Social-Media-Plattformen waren. Im Kontrast dazu hatten Unis nur abgeschlossene E-Learning-Plattformen – ohne Möglichkeit, etwas zu veröffentlichen oder sich zu vernetzen. Ich habe ein großes Potenzial gesehen, Lerninhalte hochschulübergreifend zugänglich zu machen. Das war und blieb die treibende Grundidee von Iversity. Diese Idee zu etablieren, erwies sich aber als deutlich schwieriger als erhofft. Das lag unter anderem daran, dass es in Deutschland damals wenig Raum für Innovation im Bildungsmarkt gab. 2011 kam auf allen Seiten mehr Bewegung in den Markt – hauptsächlich getriggert durch den Boom amerikanischer Bildungs-Startups wie Coursera oder Udacity. Bei Iversity habe ich Mitte 2013 einen Teilexit gemacht und bin aus der Geschäftsführung ausgestiegen. Das war auf dem Höhepunkt der Euphorie über die MOOC-Bewegung. Iversity war noch mitten in einer Startup-Phase, in der es noch kein tragfähiges Geschäftsmodell gab. Es ist in Deutschland generell schwer, Geschäftsmodelle für

Online-Bildung zu finden, außerdem hat die personelle Unruhe der Unternehmensentwicklung geschadet. Besonders im Bereich der akademischen Bildung braucht man einen langen Atem – das ist für typische VC-Finanzierungen schwierig. Deshalb freue ich mich, dass nun mit Springer Nature eine wissenschaftliche Verlagsgruppe Iversity weiterführt. Denn auch wenn ich mich schon lange von meinem Baby verabschiedet habe, freue ich mich zu sehen, dass es bei allen Turbulenzen weiterläuft. Wenn man den Launch des Prototypen mit einrechnet, hatte Iversity im April dieses Jahres zehnjähriges Jubiläum. Rückblickend würde ich die Gründung noch mal wagen. Die Erfahrungen und die Begegnungen möchte ich auf gar keinen Fall missen. Aber nach dem intensiven Fokus auf Iversity fand ich es in den letzten Jahren toll, ganz verschiedene Dinge zu tun. Ich habe ein Restaurant gestartet, eine Agentur für Bildungsvideos gegründet, andere Startups beraten und mal wieder geschauspielert. Derzeit überlege ich, mich gesellschaftspolitisch mehr zu engagieren – vielleicht wird da Bildung wieder eine Rolle spielen.

JONAS LIEPMANN

entwickelte bereits während seines Studiums das Konzept zu Iversity. 2013 verließ er das Unternehmen, das im Jahr 2016 Insolvenz anmelden musste. Nach einem Invest­ment von Holtzbrinck ist Iversity nun an die Verlagsgruppe Springer Nature angegliedert. iversity.org

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ARNDT KWIATKOWSKI Gründer und CEO von bettermarks

Geschäftsführerin von Bureau Anhalt Bildung bedeutet für mich Leben. Solange wir lebendig, neugierig und Teil einer Gemeinschaft sind, lernen wir durch Interaktion und Erfahrungen. Dies bildet uns. Schule sollte neben dem wirklich wichtigen Wissen wie Rechnen und Schreiben insbesondere vermitteln, wie man lernt. Also wie man Erfahrungen, Wissen und Information gesund, kritisch und kreativ verarbeitet und der Welt neugierig und tolerant begegnet. Edtech macht viele Prozesse effizienter: Wissen kann individualisiert, auf das Interesse und die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler zugeschnitten, vermittelt werden. E-Klassenbücher können die Kommunikation zwischen Lehrern vereinfachen. Insbesondere die individuellen Daten, Statistiken und Informationen können über die gesamte Schullaufbahn hinweg Fähigkeiten und Stärken aufzeigen und so unser sehr eingeschränkte Notensystem ablösen. Der Politik fehlt insbesondere die Kreativität, der Mut und der junge, smarte Nachwuchs, der keine Angst vor dem digitalen Zeitalter hat. Schule und Lehrer brauchen einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft und das gesamte System muss von Grund auf neu durchdacht werden.

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STEPHAN BEYER

Gründer und CEO von Sofatutor Wie Fintech- oder Healthtech-Unternehmen den Finanz- beziehungsweise Gesundheitssektor revolutionieren, so spezialisieren sich Edtech-Unternehmen auf Technologien im Bereich Bildung. Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche und macht dabei auch vor der Bildung nicht halt. Einer der größten Vorteile liegt darin, dass man immer und überall auf alle Inhalte zugreifen kann – und das unabhängig von Schule, Ausbildung oder Uni. Zudem eröffnen digitale Medien ganz neue Wege für die individuelle Förderung von Schülern: Eine Lehrerin oder ein Lehrer kann im normalen Alltag nicht immer den Wissensstand aller Schülerinnen und Schüler auf dem Schirm haben. Mit Edtech lässt sich dagegen ganz einfach abbilden, wer was verstanden hat oder eben noch nicht. Diesen Vorteil sehen inzwischen immer mehr Lehrende, die digitale Medien gezielt im Unterricht einsetzen, um stärker auf individuelle Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen zu können. Denn letztlich lernt jeder etwas anders. Hier bietet Edtech unterschiedliche Medien und Erklärstile, die das eigenständige Lernen dem eigenen Tempo entsprechend fördern.

Fotos: privat, Bettermarks, Sofatutor

EILIKA VON ANHALT

Bildung ist für mich die Fähigkeit, im Leben zurechtzukommen. Bildung ist die Voraussetzung, um Verantwortung zu übernehmen – erst mal für mich selbst und dann auch für andere, für Projekte, für die Gemeinschaft. Und dafür brauche ich neben Charakter auch Fachwissen und gewisse Werkzeuge – zusammen genommen: Initiative und Problemlösungskompetenz. Mithilfe von Edtech kann Fachwissen viel effizienter und aktueller vermittelt werden. Edtech schafft damit gleiche Bildungschancen für alle – und das gerade in Schwellenländern nicht nur für Schüler, sondern auch für Lehrer. Von der Bildungspolitik würde ich mir wünschen, dass mit der zeitnahen Umsetzung des DigitalPakts für die allgemeinbildenden Schulen auch die Digitalisierung im Bereich der Ausbildung angegangen würde. Das könnte zwar auch von den Kammern oder den Unternehmensverbänden kommen, aber die haben über ihre einzelnen Unternehmen hinaus bisher keine Initiative gezeigt und deshalb muss die Bildungspolitik diese Aufgabe übernehmen.



Fan der Wissenschaft: Seit 25 Jahren moderiert Yogeshwar die Sendung Quarks.

„Bildung ist mehr als ein bunter Bildschirm” Ranga Yogeshwar spricht über das deutsche Bildungssystem und wieso Edtech dabei helfen kann, mehr zu fördern als zu filtern. Das Gespräch führte Cosima Justus

Welche Konsequenzen hat das genau? Bildung ist vielleicht das einzige Gut, von dem sicher alle profitieren, je mehr es da-

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von gibt. Ganz im Gegensatz zu anderen Ressourcen, da profitieren nur einige wenige von einer ungleichen Verteilung. Ein anderer Aspekt ist, dass Bildung früher in einem sehr abgeschotteten Raum stattfand. Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit: Es gab in jedem Klassenzimmer nur einen einzigen Lehrer, der außer den Schülern keine wirklichen Referenzen hatte. Wir befinden uns jetzt in einer Phase, in der der Bildungsprozess transparenter wird. Auf einmal können Lehrer mit vielen anderen Lehrern, nämlich denen aus dem World Wide Web, verglichen werden. Das bietet die enorme Chance, den Bildungspro-

zess qualitativ zu verbessern. Geniale Lehrer, von denen früher nur wenige Schüler profitieren konnten, können heute global agieren. Und das ist der Digitalisierung zu verdanken? Das ist definitiv der Digitalisierung und der weltweiten Kommunikation zu verdanken. Ein konkretes Beispiel: Auf YouTube gibt es den Kanal 3Blue1Brown, der Mathematik vermittelt und inzwischen über eine Million Abonnenten hat. Das ist einfach toll! Man kann also mit etwas sehr Spezifischem global ganz viele Leute erreichen.

Fotos: H. C. Gesch, Klaus Göhren

Welche Chancen bietet die Digitalisierung Ihrer Meinung nach für das Thema Bildung? In der digitalen Welt organisiert sich die Verteilung von Wissen neu. Wir leben in einer Zeit, in der junge Menschen digital an nahezu dieselben Informationen kommen, egal ob sie gerade in Berlin oder Bombay sitzen. Das hat einen immensen Einfluss auf Bildung im globalen Sinne.


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„Schüler in Berlin oder Bombay kommen online an dasselbe Wissen” Ist das für Sie schon Edtech? Edtech ist für mich ein Beispiel, wie mit der Zeit ein Öffnungsprozess stattfindet. Wir reden ja von Edtech speziell im Bereich von Universitäten. Deren Öffnung führte dazu, dass in kürzester Zeit mehr Studenten online eingeschrieben waren als in der gesamten Geschichte von MIT und Harvard. Und wie verändert sich dadurch die Rolle des Lehrers? Ich glaube, dass sich durch diese Technologien das breite Potenzial des Lehrers entfalten kann. Die Rolle des physischen Lehrers verändert sich, er hat jetzt mehr Zeit für die individuelle Betreuung und muss nicht mehr den harten Wissensvermittler im engeren Sinne spielen. Die Individualisierung des Lernprozesses wird in unserem Bildungssystem eigentlich als Katastrophe betrachtet, weil wir alle über einen Kamm scheren und den Gleichschritt verlangen. Das löst sich aber langsam auf. Wir sind also nicht mehr gezwungen, dienstags um zehn Uhr Englisch und um elf Uhr Mathematik zu lernen, was völlig anorganisch ist. Und ist dieser Öffnungsprozess schon im deutschen Bildungssystem angekommen? Das Bildungssystem in Deutschland stammt noch aus dem 19. Jahrhundert und stellt sich auch noch so dar. Wir lernen Konformität, wir lernen Anpassung und Gleichschritt. Hinzu kommt, dass in Deutschland die Bundesländer für das Bildungssystem zuständig sind. Es ist absurd, dass Schüler in Bremen Mathematik anders lernen als Schüler in München und dass Familien, die umziehen, dadurch ein riesiges Problem haben. Die Liste der Absurditäten geht weiter bis hin zur Tatsache, dass wir alleine im deutschen Bildungssystem einen Investitionsstau von über 30 Milliarden Euro haben, was Gebäude betrifft. Es sind bereits die ganz elementaren Dinge, die überhaupt nicht funktionieren. Zuallererst müsste also an der Infrastruktur gearbeitet werden? Man müsste nicht nur an der Infrastruktur arbeiten, sondern den gesamten Bildungsprozess in Deutschland anpacken – und das nicht nur für wenige Wochen vor der Wahl. Denn Bildung ist auch ökonomisch der Schlüssel zum Wachstum. Dabei geht es nicht

darum, dass wir in Zukunft alle Kinder vor den Bildschirm setzen. Bildung ist mehr als ein bunter Bildschirm. Es geht um ein Unterstützen und Fördern und nicht um ein Aussieben. Das deutsche Bildungssystem ist immer noch ein Filtersystem. Das fängt schon in der Grundschule an, wenn es um die Frage nach der weiterführenden Schule geht. Es gibt kein anderes Land weltweit, das seine Schüler so früh in ihren Bildungskarrieren aufteilt. Dieses System ist extrem unfair, weil es sehr stark mit dem Sozialindex zusammenhängt – das Portemonnaie der Eltern entscheidet wesentlich über die Bildungskarriere des Kindes. Besteht hier die Chance für Startups, neue Lernansätze zu bieten, ohne auf die Politik zu warten? Wir haben alleine in Deutschland einen Markt für Nachhilfeunterricht von etwa zwei Milliarden Euro, das allein ist schon ein Ausdruck der Kapitulation eines Bildungssystems. Ich habe selbst vier inzwischen erwachsene Kinder. Alle Eltern wissen, dass im Grunde genommen nachmittags nach der Schule der zweite Unterricht stattfindet. Dann, wenn die Mütter und Väter mit den Kindern Französisch-Vokabeln pauken oder Matheaufgaben lösen. Wir erleben auch zunehmend, dass die Kinder vormittags in der Schule sitzen und sich dann zu Hause die Erklärungen aus dem Internet holen. Um beim Beispiel des Nachhilfemarkts zu bleiben, sehen Sie es kritisch, dass Start­ ups Bildung nicht nur demokratisieren, sondern auch privatisieren? In ganz vielen Bereichen des Internets gibt es die, nennen wir sie mal kapitalistischen Kreuzritter, die durch die Lande reiten und überlegen, mit welchen Innovationen sie Geld machen können. Das ist die dominante Haltung im Silicon Valley. Aber Bildung hat auch mit einer Haltung des Teilens zu tun – share your knowledge! Hier begegnen einem Idealisten, die das machen, weil sie Spaß daran haben. So wie ein guter Lehrer, der sich aus Leidenschaft über den Unterricht hinaus engagiert. Wenn aber ein Industriezweig plötzlich meint, er könnte den Schul- und Bildungsraum kommerzialisieren, bin ich skeptisch. Schule sollte in meinem Verständnis ein Raum bleiben, der frei

und unabhängig agiert. Man sollte ihn daher zu direkten wirtschaftlichen Interessen abgrenzen, denn durch Bildung sollte das kritische Denken, auch gegenüber der Wirtschaft, gefördert werden. Es geht also um weit mehr als um rein utilitaristisches Denken, denn hier wird der Grundstein für die Kultur unserer Gesellschaft gelegt. Bildung ist mehr als Know-how! Und wie kommt dann die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen zustande? Das ist keine Bereitschaft, das ist eine Notwendigkeit und das gilt global: Ich habe zum Beispiel einen Freund, der in meinem Alter angefangen hat, Gitarre zu lernen. Sein Lehrer sitzt irgendwo in den USA und der Unterricht findet über Skype statt. Das mag absurd erscheinen, aber es klappt richtig gut. Heute wird die Welt zur Schule. Ich nutze beim Erlernen von Computersprachen Unterrichtsblöcke aus den USA oder aus Indien. Auch die Zeitperspektive darf man nicht unterschätzen: Früher war Bildung zeitlich auf die Schulzeit beschränkt. Speziell in technischen Bereichen ist der Fortschritt jedoch so schnell, dass wir ein ganzes Leben lang dazulernen müssten. Und das bedeutet, dass wir sehr früh die Kompetenz erlernen müssen, auch in anderen Kontexten, außerhalb von Schule, zu lernen. Denn der 40-jährige Arbeitnehmer wird wahrscheinlich nicht mehr die Schulbank drücken, wenn er neue technologische Entwicklungen verstehen und vorantreiben möchte. Doch mit den Innovationen des lebenslangen Lernens wird ihm das gelingen.

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Die muss man sich merken Ob Sprachen oder programmieren lernen diese zehn Edtech-Startups haben sich dem lebenslangen Lernen verschrieben. Zusammengestellt von Sarah Heuberger

Wenn Senioren surfen Viele Firmen glauben, für den perfekten Seniorencomputer seien eine große Schrift, ein integrierter Pillenalarm und Sudoku ausreichend, sagt Nepos-Gründer Paul Lunow im Interview mit Berlin Valley (Ausgabe Nr. 31). Diese Meinung teilt er nicht und bringt Ende diesen Jahres sein eigenes seniorenfreundliches Tablet heraus. Geschmackvoll soll es sein, denn „nur weil Menschen alt werden, verlieren sie nicht ihren Sinn für Ästhetik“, so Lunow. Das Tablet soll etwa 450 Euro kosten. nepos.de

Master machen oder Startup gründen? Raffaela Rein überlegte nicht lange und gründete 2013 in Berlin CareerFoundry, ein Weiterbildungsportal für IT-Berufe wie Web Developer oder User Experience Designer. Ein Teil ihrer Kunden kommt über Bildungsgutscheine vom Arbeitsamt zu CareerFoundry. Rein schafft es mit ihrem Portal gezielt Frauen anzusprechen: Fast die Hälfte der Teilnehmer ist weiblich, während es in der deutschen IT-Branche gerade mal 16 Prozent Frauen gibt. careerfoundry.com

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Vom Silicon Valley lernen Udacity verspricht Praxisnähe - die Weiterbildungsplattform arbeitet eng mit führenden Tech-Unternehmen zusammen. Auch seinen Sitz hat das Portal im Silicon Valley, einer der Mitgründer ist der umtriebige Deutsche Sebastian Thrun. Lernwillige können bei Udacity sogenannte Nanodegree-Programme belegen, zum Beispiel als Blockchain Developer. Kostenpunkt: 899 US-Dollar. udacity.com

Fotos: Nepos, Udacity, Lecturio

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Lernen auf Knopfdruck Die ursprüngliche Idee von Lecturio: Uni-Vorlesungen aufzuzeichnen und online zu stellen. Das scheiterte aber am Unwillen der deutschen Unis. Bereits 2008 von Studenten der Leipziger Handelshochschule gegründet, produziert das Startup nun eigene Inhalte im hauseigenen Videostudio. Lecturio hat sich auf die Fächer Jura und Medizin spezialisiert, produziert aber auch Schulungsvideos für deutschsprachige Unternehmen. lecturio.de

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Losbabbeln Ob indonesisch oder norwegisch - bei der deutschen Sprachenlern-App Babbel stehen mittlerweile 13 Sprachen zur Auswahl. Ein Halbjahresabo kostet knapp sechs Euro Monat. Anders als bei anderen Sprachen-Apps wie Duolingo spielen die Nutzer bei Babbel realitätsnahe Situationen wie zum Beispiel Restaurantbesuche durch. Passend zu seinem zehnten Geburtstag hat das Berliner Unternehmen in diesem Jahr in die USA expandiert. babbel.com

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Süß und programmierbar

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Zusammen lernt man besser Auf der Lernplattform Brainly helfen sich Schüler gegenseitig beim Lernen. In Krakau gegründet, gibt es die Plattform mittlerweile in mehr als 35 Ländern. Die Schüler können selbst Fragen stellen oder ihr Wissen mit anderen teilen. Die Hilfestellungen werden von Moderatoren betreut. Brainly hat nach eigenen Angaben mehr als 100 Millionen monatliche Nutzer, die jeden Tag mehr als 100.000 Fragen beantworten. Die meisten Inhalte und Features sind umsonst. brainly.co

Fotos: Anki, Dein erster Tag

Ein bisschen erinnert der handflächengroße Roboter Cozmo an Wall-E. Kein Wunder, an seinem Design hat auch ein ehemaliger Pixar-Mitarbeiter mitgewirkt. Der putzige Roboter ist nicht nur ein super Spielzeug, mit einer eigenen App können Kids ihre Cozmo auch selbst programmieren. Die kurzen Befehle schreiben sie in Scratch, einer einfachen Programmiersprache für Kinder. 200 Euro sind ein stolzer Preis, aber haben wir schon gesagt, dass Cozmo wirklich süß ist? anki.com/cozmo


Berlin Valley ist das Magazin für die digitale Revolution. Das Magazin berichtet zweimonatlich über die aktuellen Startup- und Tech-Themen, die wichtigsten Akteure und Trends, die unsere Zukunft verändern. Klingt spannend? Dann schließe jetzt unter berlinvalley.com/abo das Jahresabo ab: 6 Ausgaben zum Vorzugspreis von 40 Euro.

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Quo vadis, Krypto-Ökonomie? Nach dem Hype von 2017 ist Ruhe eingekehrt am Krypto-Markt. Das Beste, was dem Krypto-Ökosystem passieren konnte. Gastbeitrag von Sven Wagenknecht und Philipp Giese

Von außen betrachtet ist es ruhig geworden auf dem Krypto-Markt. Die Kurse von Bitcoin und Co. bewegen sich seit Monaten seitwärts. Auf den Titelseiten der großen Zeitungen tauchen Kryptowährungen mittlerweile seltener auf. Auch das Google-Suchvolumen nach kryptobezogenen Begriffen ist auf den Stand von Juli 2017 gefallen. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Quo vadis, Krypto? Wer Ende letzten Jahres oder in den ersten Januar-Tagen 2018 in den Krypto-Markt eingestiegen ist, wird sehr wahrscheinlich ein großes Minus in seinem Krypto-Portfolio vorfinden. Gegenwärtig befinden wir uns mit einer Gesamtmarktkapitalisierung von 200 Milliarden US-Dollar bei gerade einmal einem Viertel vom ehemaligen Allzeithoch. Die Party scheint vorbei – und Katerstimmung macht sich breit auf dem Krypto-Markt. Immer klarer wird vielen Investoren, dass ihre Erwartungen unrealistisch und überzogen waren. Die unzähligen ERC-20-Token-Projekte – der Ethereum-Standard, auf dem die meisten ICOs aufbauen – haben sich in ihrer Beliebigkeit selbst in die Bedeutungslosigkeit gewirtschaftet. Viele Projekte hatten nie einen durchdachten „Business Case“ besessen, sondern waren ausschließlich auf ein erfolgreiches ICO aus. Das erbrachte Vorschussvertrauen in die Projekte verflüchtigt sich zunehmend und immer öfter stellt sich die Frage, welches Blockchain-Projekt wirklich das Zeug dazu hat, erfolgreich zu werden.

Marktbereinigung und Stabilisierung Doch trotz Katerstimmung auf Investorenseite: Im Grunde ist die vermeintliche Ruhe am Krypto-Markt das Beste, was dem Krypto-Ökosystem nach dem Hype Ende letzten Jahres passieren konnte. Es findet eine Marktbereinigung statt, welche die schwachen oder unseriösen Akteure aus dem Markt drängt. Das vom Hype vollkommen überhitzte und überforderte Krypto-Ökosystem kann sich nun abkühlen, indem es sich an den Markt anpasst. Und vor allem: in puncto Sicherheit wichtige Baustellen beseitigen.

Es ist die Ruhe, die der Sturm benötigt. Dies gilt insbesondere für Krypto-Handelsbörsen, die zu Hochzeiten an ihrer Belastungsgrenze gearbeitet haben und weder Support noch eine sichere und schnelle Abwicklung der Handelsgeschäfte ermöglichen konnten. Gleichzeitig stiegen die Transaktionskosten und Zeiten von Bitcoin ins Absurde und machten diese – aller Euphorie zum Trotz – immer unattraktiver.

„Die Krypto-Ökonomie ist gekommen, um zu bleiben” Skalierung von Krypto-Transaktionen Damit rückt das Thema Skalierung in den Vordergrund. Und tatsächlich nutzt die Entwickler-Community gegenwärtig die Zeit, um effektive Lösungen zu finden, die das Ökosystem belastbarer machen. Denn eines ist klar: Ohne Lösungsansätze zur Skalierung von Krypto-Transaktionen hat das Krypto-Ökosystem keine Chance auf eine breitere Adaption. Es gibt bereits erste Ansätze wie zum Beispiel das Lightning Network. Zwar steht diese Technologie, die über einen „second layer” – also eine auf den Grundlagen aufbauende, zweite Technologie-Ebene – Transaktionen in „Lichtgeschwindigkeit” ermöglichen will, noch ganz am Anfang, aber wir sind hier deutlich weiter als zu Beginn des Jahres.

Die Corporates kommen Die zunehmende Professionalisierung der Krypto-Akteure führt dazu, dass vor allem etablierte Unternehmen der Old Economy immer stärker Blockchain und Krypto-Währungen für sich entdecken. War der Krypto-Markt

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„Institutionen sind mit der Innovationsgeschwindigkeit überfordert” Regulierte Investmentfonds für institutionelle Investoren So sind in den letzten Monaten mehrere voll regulierte Investmentfonds für institutionelle Investoren auf den Markt gekommen, die eine Geldanlage in Bitcoin ermöglichen. Auch werden an einer der größten Börsen der Welt, der Chicago Mercantile Exchange, Bitcoin Futures gehandelt, die maßgeblich den Kurs beeinflussen können.

Die Party ist vorbei: Mittlerweile ist Ruhe eingekehrt auf dem Krypto-Markt.

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Berlin Coin Berlin hat seit August dieses Jahres eine eigene Krypto-Währung. Mit der Berlin Coin (BRLN-Coin) will Consensys der Community die Möglichkeit geben, Token zu verdienen und eine dezentrale Live-Anwendung in Aktion zu erleben. Gleichzeitig will das Unternehmen, das Software auf Basis der Blockchain entwickelt, die Hemmschwelle dafür senken, mit Token zu handeln. Dabei hat die Berlin Coin keinen monetären Gegenwert. Sie wird projektbezogen im Rahmen von Bounties ausgesetzt, die als Belohnung für bestimmte Aufgaben verdient werden können. bounties.network

Die große Hoffnung vieler Investoren liegt jedoch auf den ETFs, also börsengehandelten Fonds. Sollte es hier zu einer Zulassung seitens der US-Börsenaufsicht SEC für einen Bitcoin-ETF kommen, dann wird ein massiver Kapitalzufluss in Bitcoin erwartet und eine neue Bitcoin-Kursrallye könnte in Gang gesetzt werden. Zwischen traditionellen Finanzdienstleistern und Krypto-Startups stehen die Zeichen auf Konvergenz. Die etablierten Unternehmen haben inzwischen verstanden, dass die Krypto-Ökonomie gekommen ist, um zu bleiben. Und es ist wichtig, hier nicht den Anschluss zu verpassen. Krypto-Startups bieten Innovation, während etablierte Finanzdienstleister über die begehrten Lizenzen verfügen. Entsprechend verwundert es nicht, dass es auf beiden Seiten immer öfter zu Kooperationen oder Zukäufen kommt.

Utility Token versus Security Token Zweifelsfrei gibt es klare Fortschritte in der Finanzmarkt­ regulierung – immer mehr regulierte Krypto-Finanzprodukte bekommen ihre Zulassung. Dennoch gibt es einen großen Belastungsfaktor, der das Krypto-Ökosystem fest im Würgegriff hält: die Zulassung von Security Token beziehungsweise die Frage, ab wann regulatorisch von einem Security Token zu sprechen ist. Neben klassischen Kryptowährungen wie Bitcoin oder Monero wird zwischen Utility und Security Token unterschieden. Utility Token wie Ether sind dafür konzipiert, Anwendungen oder Dienstleistungen auf einer Blockchain zu bezahlen, während Security Token als Pendant zu Anteilsscheinen, ergo Aktien, konzipiert sind. Utility Token verbriefen also in erster Linie ein Nutzungsrecht, Security Token dagegen ein Eigentumsrecht. In der Praxis werden bisher fast ausschließlich Utility Token herausgegeben, da diese geringere regulatorische Anforderungen als Security Token mit sich bringen. Die Folge ist, dass Unternehmen, die streng genommen lediglich Kapital für ihr Projekt einsammeln möchten, Pseudo-Utility-Token bei ihrem ICO herausgeben. Es werden also nutzlose Token emittiert, die keine sinnvolle Funktion im Blockchain-Netzwerk erfüllen. Die wenigsten Utility Token werden wirklich für eine Krypto-Dienstleistung genutzt, stattdessen dienen sie

Fotocredit: Pawel Janiak/Unsplash

bis vor wenigen Monaten noch fest in der Hand von Krypto-Startups, so sind es inzwischen Konzerne, Banken und regulierte Börsen, die die Nachrichtenlage im Krypto-Ökosystem dominieren. Seien es die Börse Stuttgart, die sich für den Krypto-Handel öffnet, der Autobauer Volkswagen, der praktisch jede Woche eine neue Meldung zur IOTA-Kooperation veröffentlicht, oder der Technologieriese IBM, der immer ausgefeiltere Blockchain-Lösungen für die Logistik-Branche hervorbringt. Neben dem Ausbau von privaten Blockchain-Lösungen, die keinen direkten Bezug zum Krypto-Markt bzw. dessen Kapitalisierung haben, sind es vor allem regulierte Finanzprodukte auf Bitcoin und Co., die als großes Versprechen über dem Investorenkreis schweben. Institutionelle Investoren hatten sich bislang bei Investitionen in den Krypto-Markt zurückgehalten. Genau dies soll sich nun durch regulierte Finanzprodukte ändern. So kritisch viele Krypto-Idealisten regulierte Finanzprodukte sehen, besteht gerade hier von der institutionellen Seite eine große Nachfrage, eigene Gelder oder Kundengelder im Krypto-Markt anzulegen beziehungsweise zu diversifizieren – ganz ohne Wallet und Private Key.


KRYPTOWÄHRUNG

„Die große Hoffnung vieler Investoren liegt auf ETFs”

Krypto für alle: Alles, was gehandelt werden kann, kann auch tokenisiert werden.

als Spekulationsobjekt und ähneln damit eher Aktien. Genau diesen Missstand gilt es zu beseitigen, weshalb viele Blockchain-Interessensvertreter den Dialog zu den Aufsichtsbehörden, wie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), suchen. Sollten hier in der nächsten Zeit bessere regulatorische Standards gefunden werden, dann würde dies der Krypto-Ökonomie sehr weiterhelfen.

ner Wohnung innerhalb von Sekunden einen bestimmten Prozentsatz seiner tokenisierten Eigentumswohnung an einer Börse handeln kann. Aus einem schwer handelbaren Asset soll so ein hoch liquider Vermögenswert werden. Mehrere Krypto-Startups auf der ganzen Welt arbeiten bereits an genau diesem Use Case. Die größten Hürden gehen dabei nicht von der Technologie selbst, sondern von der Regulierung aus. Nicht nur im Fall der Tokenisierung, sondern im gesamten Krypto-Diskurs sind öffentliche Institutionen mit der Innovationsgeschwindigkeit überfordert. Aufkommende Fragen zur Haftung, Verantwortlichkeit und Überwachung passen nur schwer in das regulatorische Korsett der Behörden. Hier eine neue digitale Offenheit seitens öffentlicher Institutionen zu schaffen, wird erfolgsentscheidend für den Blockchain-Standort Deutschland und die Krypto-Adaption sein. Es ist die Ruhe, der der Sturm folgt.

Wenn die Wohnung tokenisiert wird

Fotocredit: Unsplash, BTC-ECHO

Auch wenn es, insbesondere mit Blick auf die Kurse, nicht offensichtlich ist: Die Fortschritte in der Krypto-Adaption sind gewaltig. Dabei wurde der Turbo noch längst nicht gezündet. In den nächsten Monaten ist damit zu rechnen, dass die Tokenisierung eine neue Krypto-Dimension eröffnet. Der Gedanke dahinter ist simpel: Alles, was gehandelt werden kann, kann auch tokenisiert werden. Ganz gleich, ob Immobilie, Aktie oder Kunstwerk. Durch die Tokenisierung soll ein neuer Level an Markteffizienz und Handelbarkeit erreicht werden. In Zukunft soll es möglich sein, dass beispielsweise der Besitzer ei-

„Ein neuer Level an Markteffizienz und Handelbarkeit soll erreicht werden”

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KRYPTOWÄHRUNG

Die wichtigsten Krypto-Währungen Name der Währung

Bitcoin (BTC)

Ether (ETH)

Litecoin (LTC)

Website

bitcoin.org

ethereum.org

litecoin.org

Entstehungsjahr

2008/2009

2015

2011

Beschreibung

Bitcoin ist ein Peer-to-PeerNetzwerk, das auf der Blockchain-Technologie baisert - und der erfolgreiche Versuch, ein dezentrales Netzwerk aufzubauen. Weltweit die erste Krypto-Währung.

Ethereum ist keine reine Krypto-Währung, sondern auch eine Plattform für Dapps (Distributed Apps). Die Möglichkeit, Smart Contracts auf der Plattform ausführen zu können, eröffnet eine Vielzahl von Anwendungen. Ether ist die Währung des Ethereum-Netzwerks, wobei es erlaubt ist, beliebige weitere Währungen, sogenannte Tokens, zu erzeugen. Diese können dann für Ether gehandelt werden.

Litecoin baut auf dem Bitcoin-Protokoll auf. Allerdings können die Blocks hier mit einer schnelleren Frequenz erstellt werden, nämlich nicht alle zehn, sondern alle 2,5 Minuten.

Anwendungsbereich

Der Bitcoin ist die weltweit erste und definitiv am meisten gehandelte digitale Währung.

Mögliche Anwendungen sind E-Voting-Systeme, Identitätsmanagement und natürlich auch Crowdfunding. Die meisten ICOs werden über die Ethereum-Blockchain abgewickelt.

Die Litecoin wird ebenso wie die Bitcoin für die klassische Zahlungsabwicklung verwendet. Wie auch bei den anderen Krypto-Währungen kommt in der Praxis natürlich noch der Investment-Aspekt dazu.

Was steckt dahinter?

Der oder die Erfinder sind unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto bekannt.

Ethereum-Mitgründer Vitalik Buterin, ein junger kanadisch-russischer Programmierer, ist mittlerweile fast so etwas wie eine Legende der Krypto-Szene.

Litecoin wurde über einen Open-Source-Client von Charlie Lee auf GitHub veröffentlicht.

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KRYPTOWÄHRUNG

Ripple (XRP)

Monero (XMR)

IOTA

Dash (DASH)

ripple.com

monero.org

iota.org

dash.org

2013

2014

2016

2014

Ripple bietet einen Handelsplatz, der effektiv mit den Banken zusammenarbeitet. Ziel ist es, ein Zahlungsnetzwerk aufzubauen. Ähnlich wie SWIFT bietet Ripple eine Infrastruktur zur Transaktionsabwicklung für Banken an. Das Ripple-Netzwerk unterstützt jede beliebige Währung (Krypto und Fiat).

Monero ist vergleichbar mit Bitcoin, setzt jedoch einen stärkeren Fokus auf Privatsphäre und Dezentralisierung. Der Name „monero” entstammt der Kunstsprache Esperanto und bedeutet so viel wie „Währung” oder „Münze”.

IOTA will über eine verteilte Datenstruktur („distributed ledger“) die drei größten Probleme anderer Krypto-Währungen lösen: Skalierbarkeit, Übertragungsgeschwindigket und Transaktionskosten. Transaktionen werden nicht auf Basis einer verketteten Liste, sondern in einem gerichteten azyklischen Graphen erfasst.

DASH ist eine Open-Source-Krypto-Währung auf Peer-to-Peer-Basis. Ziel von DASH ist es, eine hohe Transaktionsgeschwindigkeit und mehr Datenschutz zu ermöglichen.

Internationale Zahlungen: Diese können über die Blockchain schneller und mit niedrigeren Transaktionskosten abgewickelt werden. Die Währung XRP wird als eine Gebühr für die Transaktionen gedacht.

Schutz der Privatsphäre durch anonymisierte Zahlungen.

Das Ziel von IOTA ist es, im Rahmen des Internet of Things eine sichere Kommunikation und Zahlung zwischen zwei Maschinen zu ermöglichen.

Dash ist eine klassische Krypto-Währung ähnlich der Bitcoin und soll als Bezahlmedium dienen. Ein Unterschied zu anderen Krypto-Währungen ist es, dass Transaktionsinformationen nicht öffentlich sind, sondern durch PrivateSend (vormals Darksend) mit den Transaktionen anderer Personen vermischt und damit verschleiert werden.

Die Idee von Ripple wird drei Kollaborateuren zugeschrieben: dem Web­ entwickler Ryan Fugger, dem Geschäftsmann Chris Larsen und dem Programmierer Jed McCaleb. Weiterentwickelt wird das Zahlungsnetzwerk von Ripple Labs.

Monero ist ein Gemeinschaftsprojekt, wobei das Kernteam aus sieben Mitgliedern bestehen soll, von denen die meisten jedoch anonym bleiben wollen.

IOTA wird von der IOTA-Stiftung beaufsichtigt, einer Nonprofit-Organisation, die mittlerweile über umfangreiche Industriekooperationen verfügt, unter anderem mit der Deutschen Telekom, Fujitsu und Samsung. 2017 erhielt IOTA eine Millionen-Investition von Robert Bosch Venture Capital.

DASH ging als XCoin beziehungsweise Darkcoin an den Start und erzeugte innerhalb von zwei Tagen zwei Millionen Coins. Allerdings gab es viel Kritik, weil die Gründer diese – und damit ein Viertel aller jemals erzeugbaren DASHCoins – auf sich verteilten.

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CONRAD FRITZSCH

ANNABELLE JENISCH

Head of New Agency Model, Daimler

Consultant, TLGG

PHILIPP ROSE

THOMAS BACHEM

CEO, Robert Bosch Venture Capital

CHIARA SOMMER

Investment Director, Intel Capital

CHRIS BOOS

CEO, arago

ALEŠ DRÁBEK

CEO, Conrad Connect

ANDREAS WINIARSKI

Partner, Earlybird Venture Capital

15. NOVEMBER 2018 Radialsystem, Berlin nkf-summit.com

Gründer und Kanzler, CODE University of Applied Sciences

FLORIAN HEINEMANN

Founding Partner, Project A

MARKUS BERGER-DE LEÓN

Digital Partner, McKinsey & Company

PHILIPP DEPIEREUX

Gründer und CEO, etventure

Und 40 weitere Speaker auf zwei Stages

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BURNING MAN

ERWARTE DAS ERWARTE Von der verrückten Kreativität des Burning Man lässt sich das Who-is-Who aus dem Silicon Valley inspirieren.

Foto: Yann Tincelin

Von Josefine Köhn-Haskins

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E

lon Musk, Mark Zuckerberg, Larry Page, Eric Smith, Jeff Bezos, sie alle waren dabei. Und Marcus Meurer, Gründer der Digitalen-Nomaden-Bewegung DNX mit Sitz in Berlin, hat Heidi Klum beim Küssen gesehen. Das berichtet er zumindest im DNX Podcast, übrigens einem sehr ehrlichen und auch kritischen Beitrag zum Burning Man, der zeigt, dass auch die Berliner Startup-Szene schon ganz gut beim „Namedropping” mitmischen kann. Das legendäre Festival in der heißen Wüste Nevadas hat sich seit den Anfängen in den 80ern zu einem Mega-Event entwickelt, an dem man einfach mal teilgenommen haben muss. Doch mit der Teilnehmerzahl (mittlerweile um die 70.000) steigt auch die Kritik am Festival – wie immer, wenn etwas in Richtung Mainstream wächst und gedeiht. Tickets für den 10-Tages-Event in Black Rock City kosten zwischen 500 und 1.000 US-Dollar, dazu kommen Ausrüstung, Schlafplätze sowie lange Autoschlangen vor dem Eingangstor. Und dennoch: Wer einmal mit dabei war, der bleibt für immer ein begeisterter „Burner”.

„Auf der Playa ist alles, was man tut, für alle sichtbar“ Fred Turner, Professor für Kommunikation in Stanford

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SPIELPLATZ FÜR PRODUKTENTWICKLUNG „Für viele Techies ist Burning Man ein Spielplatz für Produktentwicklung”, erklärt Fred Turner, Professor für Kommunikation in Stanford, der den Einfluss von Burning Man auf die Tech-Kultur seit über einem Jahrzehnt beobachtet. Mit einem riesen Unterschied: „Im alltäglichen Arbeitsleben geht es darum, die Vision anderer umzusetzen. Beim Burning Man erlebt man, was es bedeutet, die eigene Idee umzusetzen. Auf der Playa ist alles, was man tun, für alle sichtbar – und jeder feiert, was ihm gefällt”, zitieren die Stanford News den Wissenschaftler. Auch Alex Ljung, Mitgründer von Soundcloud, ließ sich schon auf dem Burning Man inspirieren. Unglücklicherweise genau zu einer Zeit, als die Musikplattform in die Kritik geriet, weil sie bisher keine tragfähige Monetarisierungs-Strategie vorweisen konnte – und viele das Unternehmen kurz vor dem Aus glaubten. Aller Bedenken zum Trotz existiert Soundcloud weiter – und auch der Freigeist von Burning Man wird weiterglühen und Funken fliegen lassen. Burner wie das Team der Hochschule OWL oder Kontist-Mitgründerin Madison Bell stecken an. Sie tragen die Utopie einer besseren Welt in den Alltag, den ungebrochenen Spirit von Unabhängigkeit, Gemeinschaftssinn und Freigiebigkeit, damit auch hier immer öfter Madisons Mantra gelten kann: „Erwarte das Unerwartete.”

Fotos: Bertrand Guez, Yann Tincelin

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Burning Man ist eine Erfahrung, die auch die Gründerszene auf einen neuen Level bringen kann. Ein Gastbeitrag von Madison Bell

Wenn ich am Standort unseres Lagers aus dem Auto steige, stockt mir jedes Mal wieder der Atem. Denn was ich sehe, ist nur ein leeres Stück Land – markiert mit blauen Vermessungs-Flaggen. In diesem Moment wird mir klar, dass wir unser Camp von Grund auf aus dem Nichts heraus neu aufbauen müssen. Alles, was wir haben, sind unser Wissen, unser Können, unser Körper und die Vorräte, die wir zur Veranstaltung mitgebracht haben. Sieben Mal war ich jetzt dabei und merke immer mehr, dass sich vieles, was ich hier beim „Burning Man” in der Wüste lerne, auch auf mein persönliches und berufliches Leben übertragen lässt. Gerade wenn es ums Gründen

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und das Startup-Leben geht: Die Kernprinzipien von „Burning Man” sind ein Leitfaden, der mich immer wieder inspiriert und auf den richtigen Weg bringt (siehe Infobox). Alleine für den Aufbau des Camps brauchen wir mit neun Leuten 18 Stunden an zwei Tagen. Neben der körperlichen Arbeit muss die Gruppe auch schnell Entscheidungen treffen, die sich auf die Gesundheit und das Wohlergehen des gesamten Lagers für die kommende Woche auswirken. Wo sollen wir aufbauen? Ist es wichtiger, die Sonne oder den Staub zu vermeiden? Sollen wir schnell und riskant bauen oder es langsamer angehen lassen? Sind unsere Strukturen gegen Regen und starken Wind geschützt?

Foto: Bertrand Guez, Yann Tincelin, übersetzt von Josefine Köhn-Haskins.

AUS DEM NICHTS HERAUS


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Zwischen radikaler Selbstständigkeit und Gemeinschaftsgeist Diese Entscheidungen sind überlebenswichtig und werden selten allein getroffen, doch außer oberflächliche Meinungsverschiedenheiten sind ernsthafte Auseinandersetzungen selten. Es ist die Balance zwischen radikaler Eigenverantwortung und Gemeinschaftsgeist, die den Fortschritt des Prozesses fast magisch erscheinen lassen. Wir bauen alle gemeinsam, obwohl die meisten nicht einmal erklären könnten, wie man baut. Unsere Fähigkeiten sind so unterschiedlich, einige sind ausgezeichnete Statiker, andere haben mehr praktische Erfahrung im Bauwesen. Einige wollen den Bau oder einzelne Bauabschnitte leiten, während andere einfach nur angeleitet werden wollen. Letztlich sind wir aber einem gemeinsamen Ziel verpflichtet: dem Aufbau des Camps. Ich habe viel darüber reflektiert, wie gerade diese Spannung zwischen radikaler Eigenverantwortung und Selbstständigkeit auf der einen sowie dem Engagement für die Gemeinschaft auf der anderen Seite dazu führt, dass wir am Ende ein sicheres Lager haben. Ein Thema, das mich auch in meiner Rolle als Gründerin immer wieder beschäftigt. Als Gründer muss man extrem selbstständig sein. Es gibt Tage, an denen andere deine Vision nicht teilen und du deine Idee gegen enormen Druck von außen verteidigen musst. Aber auch Gründer schaffen es nicht alleine. Du musst deine gnadenlose, dickköpfige Selbstständigkeit ausbalancieren mit dem Vertrauen in dein Team, deinem Glauben an Gemeinschaft.

Die zehn Burning-­ Man-Prinzipien: Burning Man ist ein radikales Experiment, das jedes Jahr im August stattfindet. Mehr als siebzigtausend Teilnehmer treffen sich in der brutalen, unerbittlichen Black Rock Desert. Die Temperatur kann zwischen 40 und 5 Grad Celsius schwanken, Staubstürme stehen auf der Tagesordnung. Das Einzige, was die Veranstalter vorab zur Verfügung stellen, sind Dixie-Klos. Alles andere müssen die Teilnehmer mitbringen, einschließlich Wasser, Essen und Unterkunft – und das Gelöbnis, sich an die folgenden zehn Prinzipien zu halten:

1. RADIKALE INKLUSION 2. UNKONDITIONALES GEBEN (GIFTING) 3. DEKOMMODIFIZIERUNG (IM SINNE VON TOTALER ABKOPPLUNG VON KONSUM, WERBUNG UND AUSBEUTUNG) 4. RADIKALE SELBSTVERANTWORTUNG 5. RADIKALE SELBSTDARSTELLUNG 6. GEMEINSCHAFTLICHE ANSTRENGUNG 7. GEGENSEITIGE VERANTWORTUNG 8. TEILNAHME 9. UNMITTELBARKEIT 10. KEINE SPUREN HINTERLASSEN

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Foto: Yann Tincelin

In nur wenigen Tagen entstehen beim Burning Man die skurrilsten Gebilde. Danach verschwindet die Science-­ Fiction-Szenerie wieder im Nichts.


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„Wir Gründer haben die Möglichkeit, eine neue Kultur zu entwickeln“ Madison Bell, Mitgründerin Kontist

Was würdest du für eine Essiggurke tun Dieses Jahr habe ich Hunderte von Teilnehmern bei Burning Man gebeten, etwas von sich im Tausch für eine saure Gurke zu geben, die übrigens der perfekte Snack ist inmitten des alkalischen Wüstenstaubs. Der Ansturm war ziemlich groß: Die Leute posierten, parodierten, fotografierten und partizipierten mit den verrücktesten Ideen. Im Tausch dafür, dass sie sich uns gegenüber öffneten und etwas von sich teilten, sei es ihr Humor, ihre Passion oder einfach nur ihr Bedürfnis, etwas zu essen, bekamen sie von mir dann ihre Gurke. Bei Aktionen wie dieser wird mir immer wieder klar, wie wichtig zwei weitere Prinzipien des „Burning Man” im gegenseitigen Umgang miteinander sind: mitzumachen (participation) – und das direkt, persönlich und im Moment (immediacy). Denn die meisten Menschen wollen ihre Ideen, Geschichten, ihr Können und ihre Expertise teilen, aber die meisten brauchen erst einen Anstoß dafür. Daran versuche ich mich nach dem Burning-Man-Festival, für den Rest des Jahres zu erinnern, besonders als Gründerin. In einer Berufswelt, in der Menschen manchmal dafür bestraft werden, dass sie anders sind, haben wir Gründer

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die Möglichkeit, eine neue Kultur zu entwickeln. Eine Kultur, in der wir Vielfalt und Individualität als positive Werte schätzen und dazu einladen, sich einzubringen. Wir sollten in unserer Rolle als Gründer auch nicht vergessen, immer wieder mal innezuhalten und richtig hinzuhören, was andere zu sagen haben. Nur so können wir eine echte, offene Kultur schaffen und deren Vorteile nutzen. Letztlich ist Burning Man das, was man daraus macht. Das Festival hat mehr zu bieten als Partys, Musik und Kunst. Wenn du glaubst, dass jetzt die Zeit für dich gekommen ist, es selbst einmal zu erleben, dann habe ich hier noch ein paar Ratschläge für dich: Informiere dich gut, wähle deine Campmates mit Bedacht – und erwarte das Unerwartete.

Fotos: Bertrand Guez, Yann Tincelin, Marcus Meurer/DNX, Sven Gábor Jánszky

Ein Team, das mit dir kollaboriert und an deine Vision glaubt, aber gleichzeitig „Ownership”, also Verantwortung für sich und die entsprechenden Projekte übernimmt, kann über den Erfolg oder das Scheitern deines Unternehmens entscheiden. Und vielleicht noch wichtiger: Es kann dir helfen, dich nicht total verrückt zu machen und einen Burn-out zu vermeiden.


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MÖGLICH

Auch die deutsche StartupSzene lässt sich auf dem Burning Man inspirieren.

SVEN GÁBOR JÁNSZKY Managing Director der JANSZKY GmbH und Mitgründer des 2b Ahead Thinktanks und der Rulebreaker Society

MARCUS MEURER CEO von DNX Burning Man ist für uns die ultimative Grenzerfahrung und Bewusstseinserweiterung. Der Freiheitsgedanke, den wir mit der DNX-Bewegung vorleben, erreicht auf dem Burning Man in der Wüste von Nevada seinen Höhepunkt. Burning Man ist eine riesige Gemeinschaftskreation von 80.000 Menschen mit gleichen Werten, die die Welt zum Guten verändern. 2018 war unser erster Burn und das Event hat uns geholfen, noch grenzenloser und gigantischer zu denken. dnxfestival.de

Egal, was euch Startup-Berater und VC-Kenner erzählen: Ohne selbst beim Burn gewesen zu sein, lässt sich das Mindset des Silicon Valley nicht verstehen. 80.000 Menschen beweisen der Welt jedes Jahr wieder, dass es möglich ist, die Utopie zu leben, dass man nichts kaufen kann. Beim Burning Man gibt es kein Geld. Alles, was man braucht, wird verschenkt. Jeder schenkt, egal ob Glückskekse, Küsse, Workshops, ein Restaurant mit kostenlosem Essen, eine Bar mit kostenlosen Drinks, ein Varietétheater oder eine dieser gigantischen Skulpturen in der Wüste. Erst wenn du ein Teil davon bist, spürst du dieses Hippie-Mindset, das das Silicon Valley mehr als alles andere prägt: „Wir können die bessere Welt schaffen, wenn wir es nur stark genug wollen.“ trendforscher.eu, zukunft.business, rulebreaker-society.com

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PHILIP SIEFER Chief Executive Unicorn, Einhorn Wir fahren mit dem riesigen Wohnmobil in die Wüste, tiefer, immer tiefer, dabei trinken wir unendliche Mengen Rum, die aus großen Krügen immer wieder Gläser und Kehlen füllen. Aus unserem Auto werden zwei und plötzlich vier, wie in der Bibel sind plötzlich 20.000 Fahrzeuge auf dem Weg zur Playa, alle trinken Rum und sind unendlich froh. Wir erreichen die Schranke, wälzen uns im Staub des Lebens und werden willkommen geheißen. Es wird wild geknutscht, Menschen ziehen sich nackt aus, schreien schrill vor Freude. Plötzlich wird alles schwarz und dunkel, bunte Farben, Fahrräder, Staub, Nippel und Techno überall. einhorn.my

PAULA SCHWARZ Gründerin (Fondatrice),

Burning Man hat in mir die wichtigsten Gedanken für den Beginn des World Datanomic Forums ins Rollen gebracht. Ich habe supercoole Entwickler und Datenwissenschaftler kennengelernt. Es war einfach geil zu erfahren, wie man mit eigenen Kräften bis ans Ende der Welt kommt und dann noch mitten in der Wüste über die Ordnung von Daten sprechen kann. Mit dem humanitären Arm, Burners Without Borders, bin ich im Rahmen der Flüchtlingskrise auch wegen des Themas humanitäre Innovation (Startupboat) schon länger verbandelt. Es ist toll zu sehen, wie Burning Man über die Grenzen der Wüste hinauswächst – und die Truppe auch in neue Teile der Welt geht, etwa nach Afrika (Africa Burn) und Israel (Israel Burn oder auch Midburn). Ich hoffe sehr darauf, dass wir auch bei uns in Deutschland noch mehr Burning-Man-Kultur leben können! wd-forum.org

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Fotos: privat

The World Datanomic Forum


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NILS HERRMANN Managing Director, Hello Fresh DACH Die Zeit auf der Playa ist für mich wie ein mentaler Reset, der mir hilft, mich für Neues zu öffnen (1). Ich kann mich darauf besinnen, was wesentlich ist (2), und Kraft für neue Projekte schöpfen (3). (1) Die Playa ist ein risikofreier Raum, wo jeder Dinge einfach ausprobieren und sich auch dafür Zeit nehmen kann, weil es weder Verpflichtungen noch Handys gibt. Jeder kann sich dort ausleben in Workshops, Kunst und Vorträgen. (2) Es gibt sehr viel Interaktion zwischen den Teilnehmern, jedoch zeitgleich auch viele Momente und Orte, die zur inneren Reflexion anregen. Das Setting schafft in mir eine extrem positive und entspannte Grundhaltung, weil alles, was sonst im Alltag auf mich einprasselt, abwesend ist. Stattdessen gibt es viele Anregungen für Introversion. (3) Die Schönheit und Kreativität der Kunstinstallationen, Art Cars und Vorführungen führt mir stets vor Augen, dass alles möglich ist, man muss nur damit anfangen. Dieses Jahr habe ich mit meiner Schwester selbst ein Kunstprojekt eingebracht und war total positiv überrascht davon, wie schnell man Hilfe bekommt, wenn der Stein einmal ins Rollen gekommen ist. hellofresh.de

DANA SERTEL Marketing-Consultant und Yoga-Lehrerin Ein Spielplatz und Ort des Ausdrucks unfassbarer Kreativität. Der sonst leblose Ort explodiert in Ideen und wird zum fruchtbarsten Land. Das Gefühl von „alles ist möglich“ und „ich bin verantwortlich“ liegt in der Luft. Jede/-r hat Platz und kann sich ohne Zurückhaltung ausleben. Ich nehme mit, dass es möglich ist, jeden Ort in eine Atmosphäre von Toleranz und Offenheit zu bringen, wenn man es in Gemeinschaft tut. Das ist das Potenzial von echter Community. Mich hat es tief bewegt, welche Schönheit überall entstand und mit welcher Hingabe die Menschen dort die Zeit auskosten. Mich und meinen Partner einbezogen. Das hat mir vor Augen geführt, dass jeder Moment es wert ist, komplett gelebt zu werden. Es war eine tief greifende, bereichernde Erfahrung. daysofyoga.de

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EYES 16 Tage Wüste: Wie ein Studenten-Team aus Detmold es schaffte, mit einer gigantischen Kuppel das Festival zu verzaubern. „Aus der Mitte dringt der schwere Rhythmus. Ringsum die unzähligen Fahrzeuge mit ihrer jeweils eigenen, skurrilen Partystadt. Obwohl ich Hunderte Meter entfernt sitze, fühle ich, wie mein Herz im Takt dieses Chaos mitschlägt. Nur der Dome neben mir strahlt noch Ruhe und mittlerweile Vertrautheit aus”, beschreibt Ricarda Jacobi ihr Erlebnis. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HS OWL (Hochschule Ostwestfalen-Lippe) hatte sie das Burning-Man-Projekt der Hochschule betreut, bei dem das Kunstprojekt zweier Studenten bei diesem legendären Festival umgesetzt wurde.

Eine Spiegelwelt in der Wüste Im Rahmen eines Pflichtmoduls hatte Prof. Hans Sachs seinen CAAD-Studenten (Computer Aided Architectural Design) die Aufgabe gestellt, eine Plastik zu entwerfen, die auf dem Burning Man realisiert werden könnte. Von den aus aller Welt eingesandten Entwürfen überzeugten die beiden Studenten Pooya Kamranjam und Yonnie Kweon die Jury mit ihrem Vorschlag für Desert Eyes, einer futuristischen Kuppel, die durch ihre reflektierende Oberfläche eine Spiegelwelt schaffen sollte, in der Technik, Natur und Emotion im Einklang stehen.

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Im April erhielten sie die endgültige Zusage der Organisatoren sowie 10.000 US-Dollar und einige Tickets, um das Projekt auf dem Burning Man 2017 umsetzen zu können. Während die Studenten erste Prototypen auf dem Campus entwickelten, machte sich Ricarda daran, Sponsoren und Unterstützer für diese gigantische Aktion zu finden, die letztlich fast 60.000 Euro erforderte. „Wir brauchten mehr Geld, Materialien, Know-how und helfende Hände”, erinnert sie sich. Mit Unterstützung der Hochschule und externen Sponsoren war dann knapp vier Monate später alles bereit. Vieles wurde per Flugzeug verschickt, einiges vor Ort besorgt und ein Großteil der Elektronik verstaute das 22-köpfige Team (darunter 13 Studenten) im Gepäck. Vor Ort dann nichts als Wüste und ein paar rote Fähnchen, die zeigten, wo Desert Eyes entstehen sollte: Sechsundsechzig Hexagon-Strukturen aus Holz bildeten das Grundgerüst des Domes, durchbrochen von Röhren mit eingebauten LEDs und überzogen von einer spiegelnden Oberfläche. Sechs Tage dauerten die Aufbauarbeiten, bevor „zusammen mit dem Wind der Desert-Eyes-Sound­ track durch einen kleinen Lautsprecher im Inneren zu spielen begann”, erinnert sich Ricarda. „Wir haben es geschafft.”

Fotocredit: Lars Albert

Protokoll: Josefine Köhn-Haskins


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„Nur der Dome neben mir strahlt noch Ruhe und mittlerweile Vertrautheit aus“ Ricarda Jacobi, Hochschule-OWL Detmold

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BERLIN CUISINE FOODTRUCKS Contemporary Taste. Für Dein Event!

Foodtrucks. Populär auf Streetfood-Märkten. Viele große Events orientieren sich an diesem Trend und möchten das charakteristische Streetfood-Feeling auch für ihre Gäste erlebbar machen. Berlin Cuisine widmete sich bereits Anfang 2016 dem Thema und kam im sogenannten „FoodtruckKonzeptvergleich“ zu weitreichenden Erkenntnissen. Oft greifen die Eventplaner beispielsweise auf eine Auswahl an verschiedenen Food-Vendorn zurück. Berlin Cuisine CEO Max Jensen: „Das kann auf den ersten Blick zwar authentisch wirken, jedoch hat man in diesem Fall keine Kontrolle über Menge und Qualität der Speisen. Dabei kann es schnell passieren, dass die Burger auf der Veranstaltung ausgehen, wenn man sich für das falsche Konzept entscheidet. Außerdem spielt auf Streetfood-Märkten die Wartezeit keine Rolle. Ganz im Gegenteil, der Truck mit der längsten Schlange ist der erfolgreichste. - im Catering nicht!“ Die Zeit ist knapp und die Frustration der Gäste groß, sollte es in der Schlange mal zu lang dauern oder im schlimmsten Fall sogar das Essen ausgehen.

Berlin Cuisine, bereits 2017 vom Fachmagazin Catering Inside mit seinem Food-Konzept „The Taste“ zu Deutschlands Caterer des Jahres gewählt worden, möchte mit seinem innovativen Foodtruck-Konzept neue Maßstäbe setzen, um künftig sowohl für Veranstalter als auch für Gäste den Contemporary Taste zu garantieren. Das sogenannte „Konzept aus einer Hand“ zielt auf verschiedene Aspekte ab: Vom klassischen US-Burger bis hin zu koreanischem Bimbap: Streetfood von Berlin Cuisine hat einen authentischen Look und eine klare kulinarische Handschrift. Kurze Wartezeiten: Generell erfolgt eine professionelle Umsetzung mit Fokus auf Schnelligkeit bei der Speisenausgabe. Außerdem werden Ausgabe und Produktion aus dem Backbereich unterstützt. Wenn es dennoch zu Schlangenbildung kommt, werden Servicekräfte mit Food in die Schlange geschickt. Ein eingespieltes Team sichert die Qualität des Service und die Zufriedenheit der Teilnehmer, egal ob auf Tagungen, Konferenzen oder Feierlichkeiten.


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FACTORY BLOCKCHAIN

Marktplatz für Datenanalysen An der RWTH Aachen galten sie als Nerds, jetzt revolutionieren sie die Blockchain: Christian Junger und Dieter Schule erzählen. Das Gespräch führte Josefine Köhn-Haskins.

2016 hat Max Kordek mit seinem ICO für Lisk Millionen eingenommen. Spätestens dann muss es doch Interesse fürs Thema gegeben haben? Das Venture von Lisk Ende 2015 war tatsächlich ein riesen Ding. Mit über 14.000 eingenommenen Bitcoin ist Lisk nicht nur eines der ersten ICOs der Welt, sondern auch ein gemeinnütziges Blockchain-Projekt, das aufgrund der finanziellen Mittel und der engagierten Community sehr gut aufgestellt ist. Lisk will die Blockchain für jedermann zugänglich zu machen. Uns – also Madana und Lisk – verbindet nach wie vor der Bildungsauftrag, dem

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wir uns schon als Studenten verschrieben hatten. Denn auch wenn Bitcoin nun schon durch den ein oder anderen Hype in den Medien war, sind die Kenntnisse über die Blockchain-Technologie gering. Weil es in Deutschland damals nicht das entsprechende gesetzliche Rahmenwerk gab, musste Lisk in die Schweiz ausweichen. Wie ist das bei euch? Mit Madana haben wir es eineinhalb Jahre später geschafft, eines der ersten Blockchain-Unternehmen zu sein, die komplett unter deutschem Recht agieren. Und das als erstes großes Sidechain-Projekt auf der Lisk-Plattform. Dies ist ein Meilenstein in der jüngsten Geschichte der Blockchain-Industrie, da derzeit die meisten Tokenverkäufe über die Ethereum Blockchain abgewickelt werden. Max unterstützt uns als Advisor und hat im Januar dieses Jahres 200.000 Euro in Madana investiert. Die Kombination ist ideal, da wir mit Madana den Wert des Lisk-Ökosystems nachhaltig steigern.

„Unser Ziel ist es, ein Ökosystem zu etablieren, bei dem jeder die Kontrolle über seine eigenen Daten behält“ Warum war euch die Gründung in Deutschland so wichtig? Diese Entscheidung hat uns tatsächlich viel Zeit und Geld für Rechtsberatung gekostet. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Schritt – ein langfristiges Business in Deutschland aufzubauen ohne Intention aus steuerrecht-

Foto: Madana

Lisk erhielt in ihrem ICO mehrere Millionen in Bitcoin. Madana ist das erste große – und vielversprechende – Projekt. Beide Projekte kommen aus Aachen – die neue Blockchain-Hochburg? Na ja, wir haben vor mehr als sechs Jahren während des Studiums an der RWTH Aachen angefangen, uns aktiv mit der Blockchain auseinanderzusetzen. Die Grundidee der Blockchain und das Potenzial von dezentralisierten Applikationen hat uns so sehr begeistert, dass wir es aktiv mit anderen Menschen teilen wollten. Denn egal, wie gut eine Idee ist, wenn sie keiner kennt, ist sie praktisch wertlos. Die Uni schien ein perfekter Startpunkt zu sein, um neuartige technologische Entwicklungen zu thematisieren und Gleichgesinnte zu finden. Allerdings wurden wir zu dem Zeitpunkt in 2013 eher als Nerds abgestempelt. Keiner nahm sich Zeit, das Thema zu verstehen, weshalb uns die Unterstützung der Uni für viele Jahre verwehrt blieb. Also haben wir die Sache selbst in die Hand genommen und die Bitcoin Aachen Gruppe gegründet. Damit waren wir eine der Ersten, die sich offiziell des Themas angenommen und Blockchain Meetups in Deutschland organisiert haben. Wir waren ein harter Kern von vier Leuten (Max Kordek, Yan Schreier, Eugen Salkutzan und Christian Junger), haben uns intensiv ausgetauscht und weitergebildet. Es hat aber Jahre gedauert, bis andere Leute in Aachen am Thema Blockchain Interesse gezeigt haben und zu unserem Meetup gekommen sind. Seit Ende letzten Jahres sitzen wir nun offiziell mit Madana in Crypto Capital Berlin.


BLOCKCHAIN lichen Gründen ins Ausland zu gehen – unsere ehrliche Motivation verdeutlicht und Madana einen Vertrauensvorsprung gegenüber anderen Projekten gibt. Besonders in der Startup-Szene wird oft in die USA geschaut – wir sehen in Deutschland großes, ungenutztes Potenzial für die Entwicklung von zukunftsweisenden Technologien. Dafür wollen wir uns bei Madana aktiv einsetzen. Wie schätzt ihr die momentane Situation ein? Die Blockchain-Industrie befindet sich in einer Phase, in der sich sprichwörtlich die Spreu vom Weizen trennen muss. Es werden sich Anwendungsfälle herauskristallisieren, für welche die Blockchain wirklich sinnvoll ist. Im vergangenen Jahr haben zu viele Projekte angefangen, den Hype auszunutzen, ohne wirklich Bedarf für eine Blockchain-basierte Lösung zu haben. Hinzu kommt, dass Steuerparadiese genutzt werden, um Firmen zu gründen, die kurze Zeit später wieder von der Bildfläche verschwinden. In diesem hochgradig politischen Thema haben wir einen Meilenstein gelegt und gezeigt, dass Blockchain-Startups auch in Deutschland möglich sind. Was genau macht Madana? Im Prinzip geht es um Datensicherheit, ein Thema, das unserer Ansicht nach die Zukunft bestimmen wird. Unser Grundkonzept war es deshalb, ein sicheres, dezentrales System zur Datenspeicherung und -verarbeitung zu entwickeln, einen geschützten Marktplatz für Datenanalysen. Ziel ist es, ein Ökosystem zu etablieren, bei dem jeder die Kontrolle über seine eigenen Daten behält und diese anonym monetarisieren kann. In dem Ökosystem, wie wir es uns vorstellen, gibt es drei verschiedene Rollen: Datenproduzenten, Datenanalysten und Personen oder Firmen, die an Analyseergebnissen interessiert sind. Da nur die Analyseergebnisse und keine Rohdaten ausgetauscht werden, behalten Datenproduzenten stets die volle Kontrolle über ihre Daten unter Schutz ihrer Privatsphäre. Und wie genau funktioniert das? Einzelpersonen können ihre Daten sicher monetarisieren, Analyseentwickler können mit dem Beisteuern von Analysealgorithmen Geld verdienen und Datenanaly-

Das Madana-Team: Stefan Lockowandt, Dieter Schule, Christian Junger, J.-Fabian Wenisch, Eugen Salkutzan, Julian Schiemann (v. l.)

se-Käufer erhalten Zugriff auf neuartige Erkenntnisse. Die Entlohnung geschieht über den PAX Token. So kann sichergestellt werden, dass Micropayments an alle Beteiligten ausgeschüttet werden. Smart Contracts schaffen das nötige Vertrauen zwischen den Teilnehmern und stellen sicher, dass eine Analyse nur dann durchgeführt werden kann, wenn jeder Teilnehmer einen fairen Anteil für seinen Beitrag erhält. Das heißt, du kannst deine Daten monetarisieren, ohne sie tatsächlich weiterzugeben. Denkbar wäre das anonyme Teilen des Aufenthaltsortes zur Optimierung von Nahverkehr, Planung neuer Infrastruktur oder Wegoptimierung. Wie finanziert ihr euch? Um unsere Ziele zu erreichen, setzen wir auf eine Skalierungsstrategie, in der wir mit Beratungsunternehmen zusammenarbeiten. So können wir unsere Lösung unterschiedlichen Firmen weltweit zur Verfügung stellen. Capgemini ist solch ein offizieller Partner. Jüngst hinzugekommen ist auch Accenture. Gemeinsam entwickeln wir bereits konkrete Anwendungsfälle für Kunden. Mit einzelnen Partnern werden wir 2019 Pilotprojekte umsetzen, welche das Madana-System demonstrieren. Darüber hinaus gibt es aktuell die Möglichkeit, in unserem laufenden Vorverkauf direkt in die Entwicklung von Madana zu investieren. Noch bis Ende Oktober können Interessierte unter madana.io den PAX Token im Pre-Sale zum Vorzugspreis erwerben. Der Main Sale als erster ICO auf der Lisk Blockchain findet im Laufe von 2019 statt und stellt mit dem ersten Sidechain-Projekt um Madana für das Lisk-Ökosystem einen großen Meilenstein dar.

Rollenverteilung im Ökosystem Jeder behält die Kontrolle über seine eigenen Daten.

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Der perfekte Start in den Tag für alle Startup-Enthusiasten

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DIGITALE DEBATTE

„Man hat jetzt verstanden, dass Digitalisierung eigentlich das coolste Thema ist“ Deutschland hat eine erste Staatsministerin für Digitalisierung. Warum hat man sich nicht für eine „lupenreine“ Digitalministerin entschieden? Losgelöst von meiner eigenen Person finde ich die Ernennung einer Digitalstaatsministerin eine sehr gute Lösung. Alleine ein Büro im Kanzleramt stellt schon einen Wert an sich dar, denn da gibt es keine Eifersüchteleien, das Kanzleramt ist quasi der neutrale Boden, die Uno, wo sich alle treffen können. Ich will aber nicht ausschließen, dass es in späteren Legislaturperioden auch mal ein Digitalministerium mit eigener Liegenschaft geben könnte. Wir müssen nun schauen, welche Strukturen sich bewähren und welche nicht. Vermissen Sie Kompetenzen oder Handlungsbefugnisse? Können Sie sich durchsetzen oder sprechen Sie primär Empfehlungen aus? Ich habe es mir schwieriger und komplizierter vorgestellt. Am Anfang hätte ich es als Erfolg gewertet, wenn ich gelegentlich in dem einen oder anderen Haus etwas hätte machen können. Das Gegenteil ist nun der Fall. Viele meiner Kollegen kommen auf mich zu und bitten mich um Unterstützung, sodass ich eigentlich gar nicht allen Wünschen gerecht werden kann. Damit hätte ich nie gerechnet. Mit dem Ausschuss Digitale Agenda, der Daten-Ethik-Kommission und der Enquete-Kommission künstliche Intelligenz, dem Digitalrat, dem Digitalkabinett und dem Innovation Council gibt es viele neue Initiativen. Haben Sie einen Überblick, was die verschiedenen Ausschüsse und Kommissionen tatsächlich machen?

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Das ist gar nicht so kompliziert. Den Ausschuss Digitale Agenda gab es schon in der letzten Legislaturperiode. Dieser ist kein Gremium der Bundesregierung, sondern ein ganz normaler Ausschuss im Deutschen Bundestag. Das Gleiche gilt für die Enquete-Kommission, die auch rein legislativ ist und mit der Bundesregierung nichts zu tun hat. Sie leistet aber auch einen wichtigen Beitrag in der Diskussion zum Umgang mit künstlicher Intelligenz. Das Thema ist auch der Bundesregierung wichtig; wir arbeiten an einer Strategie zur künstlichen Intelligenz, die wir beim Digital-Gipfel am 3. und 4. Dezember in Nürnberg

„Wir haben ein starkes Umsetzungsdefizit“ vorstellen werden. Das von mir gegründete Innovation Council besteht aus Experten, die mich als Digital-Staatsministerin beraten sollen. Zeitgleich darf man nicht unterschlagen, dass ich ja nicht nur Digital-Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin bin, sondern auch die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Denn es hat schon noch mal einen anderen Stellenwert, wenn man für die Gesamtkoordination der Bundesregierung zuständig ist. Der Digitalrat ist ein externes Expertengremium, das für die Bundeskanzlerin zur Verfügung steht. Damit Digitalisierung Durchschlagskraft entfalten kann, muss sie direkt bei der Kanzlerin angesiedelt sein. Und ich bin extrem stolz darauf, dass ich den Digitalrat mit im Koalitionsvertrag verankert habe.

Wie ist die Besetzung des Digitalrats zustande gekommen? Welche Kriterien wurden dabei angelegt? Für uns war die Mischung aus nationalen und internationalen Experten wichtig, damit wir international breit aufgestellt sind, gleichzeitig aber einen Bezug zu Deutschland behalten. Alle Mitglieder des Digitalrats sprechen deutsch, was nicht die höchste Priorität hatte. Wichtiger ist, dass die Mitglieder uns von außen beraten können und trotzdem Deutschland verstehen, beispielsweise das föderale System, und dass die Gesetzgebung daher manchmal anders läuft. Und wir haben nach Experten gesucht, die wirklich die Sache und nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen. Warum hat es kein Vertreter einer NGO in den Digitalrat geschafft? Bürgerrechte sind ja ein wichtiges Thema im Internet, beispielsweise beim Datenschutz. Jedes Mitglied des Digitalrats wurde als Individuum berufen. Es war ein wesentliches Kriterium, nicht nur Spezialist auf einem einzelnen Gebiet zu sein. Da sind auch die Interessen der Zivilgesellschaft vertreten. Nach der Verkündung des Digitalrats hatte man das Gefühl, dass es größtenteils um die kurzen Hosen von Ijad Madisch ging. Kann man an den Reaktionen ablesen, wo Deutschland oder die Medienszene gerade steht? Die einzige Frage, die unsere Boulevard-Medien bewegt hat, war „Darf man so zur Kanzlerin gehen?“ Und wenn Ijad Madisch einen Anzug angehabt hätte, wäre das bestimmt auch falsch gewesen. Es ist ja immer eine bigotte Diskussion. Als wir die 40 KI-Spezialisten hier hatten, gab es eine ähn-


DIGITALE DEBATTE liche Situation. Auf dem anschließenden Foto hatte Chris Boos ein T-Shirt an. Damals war die Reaktion darauf „Wenigstens einer hat ein T-Shirt an.“ Oder „Gott sei Dank, wenigstens einer kennt sich mit Internet aus.“ Umgekehrt bedeutet es wohl, dass jeder, der einen Anzug an hat, sich nicht mit Digitalisierung auskennt. Wenigstens konnte sich dieses Mal keiner über den Anteil der Frauen beschweren. Dafür gibt es dann halt andere Aufreger. Es ist schon eine etwas seltsame Diskussion. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen dem Digitalrat und dem Council? Wie schnell kann hier etwas umgesetzt werden? Der Digitalrat trifft sich öfter autark. Treffen mit der Bundesregierung sind zwei Mal im Jahr geplant, wobei das nächste Treffen bereits im November stattfinden wird, vor unserer Klausurtagung des Digitalkabinetts. Auch hier ist mittlerweile jedes Ministerium dabei. Man spürt eine breite Unterstützung, aber auch einen echten Wettbewerb zwischen den Häusern darüber, wer hier federführend ist. Man hat jetzt verstanden, dass Digitalisierung eigentlich das coolste Thema ist. Das finde ich positiv.

Aufmacher und Foto auf dieser Seite: Franziska Turner

„Ein Büro im Kanzleramt stellt schon einen Wert an sich dar“ Wenn diese Legislaturperiode in drei Jahren zu Ende ist, an welchen Parametern würden Sie eine erfolgreiche Arbeit des Digitalrats bewerten? Wichtig ist, dass etwas umgesetzt wurde. Wir haben genug Bestandsaufnahmen und auch kein Erkenntnisdefizit. Aber wir haben ein starkes Umsetzungsdefizit. Bleiben wir beim Beispiel Ijad Madisch: Wenn analog zu seiner Plattform etwas Vergleichbares auch für den Bildungsbereich in Deutschland entstanden sein könnte, dann wäre das schon einmal ein ganz wichtiges Projekt. Wir stehen ja auch kurz vor dem Launch unseres Bürgerportals. Hier sollen Bürgerinnen und Bürger tatsächlich nach drei Jahren signifikante Verbesserungen spüren können. Das Bürgerportal hat lange auf sich warten lassen. Irgendwie hat man das Ge-

Gegenseitiger Austausch ist der Staatsministerin für Digitalisierung wichtig.

fühl, dass in Deutschland alles immer länger dauert als in anderen Ländern. Das ist ein typisch deutsches Phänomen. Wir sind sehr perfektionistisch und warten lieber, bis wir 110 Prozent haben, anstatt mit 80 Prozent einfach mal loszulegen. Deswegen fangen wir jetzt mit unserem Bürgerportal im Oktober einfach mal an, auch wenn statt 16 Bundesländern nur vier und der Bund an Bord sind und statt der 575 Verwaltungsdienstleistungen nur fünf. Das Wichtige ist, loszulegen und dabei auch eine gewisse Fehlertoleranz zu haben. Wie priorisieren Sie denn die vielen unterschiedlichen Themen und Ziele, die man wahrscheinlich nicht so einfach auf einen Nenner bringen kann.

Ein Vorteil ist, dass ich mehr oder weniger schon alle kannte und viele Berührungspunkte hatte. Unterschätzt hatte ich die Bürgeranfragen. Hier hatten wir in den ersten zwei bis drei Wochen ca. 3.000 E-Mails, die von „Endlich können wir mal jemanden konkret ansprechen“ über „Wann funktioniert mein Personalausweis“ oder „Was ist mit der elektronischen Gesundheitskarte“ bis zu Anfragen zum Breitbandausbau reichten. Kann man denn Mega-Themen wie Arbeiten 4.0, Digitalisierung der Bildung, künstliche Intelligenz und den Breitbandausbau gegeneinander priorisieren? Wo möchten Sie nach drei Jahren sichtbare Ergebnisse erzielt haben?

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DIGITALE DEBATTE Diese Themen sind natürlich allesamt wichtig und müssen parallel behandelt werden. Trotzdem ist das wichtigste Thema von allen aus meiner Sicht der Gesundheitsbereich. Über die Digitalisierung in der Medizin kann man Menschen intellektuell am ehesten abholen. Wenn ein Familienmitglied chronisch krank ist, hat man noch einmal einen ganz anderen Zugang und ist offener für den Umgang mit Daten. So könnte man beispielsweise eine weltweite Vernetzung etablieren, die neue Therapieansätze und Diagnosen ermöglicht. Und „längeres, selbstbestimmtes Leben im Alter“ ist ein Thema, das die meisten Menschen berührt.

„Ich wünsche mir, dass es irrelevant ist, ob ich in der Stadt lebe oder auf dem Land“ Würde man tatsächlich weiter priorisieren, würde an Nummer zwei der Bildungsbereich kommen. Hier bringen 16 Bundesländer mit 16 Kultusministerien viele Herausforderungen mit sich, denn es hängt derzeit noch zu viel von der Leidenschaft und Begeisterung einzelner Schulleiterinnen oder einzelner Lehrer ab. Und dann ist natürlich „Mobilität der Zukunft“ ein großes Thema. Hier habe ich mich in letzten Jahren immer sehr stark

auch auf technische Aspekte konzentriert, also beispielsweise „Airmobility“, „Connected“ und „Shared“. Und daneben interessiert mich im neuen Amt auch viel stärker die gesellschaftliche Komponente und damit verbunden die Fragen „Was macht es mit uns? Was bedeutet es für unser Zusammenleben? Oder für den familiären Zusammenhalt? Wie leben und arbeiten wir in der Zukunft? Gibt es einen Einfluss auf unsere Ethik oder Wertvorstellungen?“ Grundsätzlich steht bei uns der Mensch im Mittelpunkt der Betrachtung und des Handelns. Das ist eine klare Abgrenzung zu den USA, wo die Konzerne im Mittelpunkt stehen. Oder zu China, wo der Staat im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Das ist unser absolutes Alleinstellungsmerkmal in Deutschland und auch in Europa. Wo steht Europa denn im internationalen Vergleich? Es wird immer vom „Digitalen Innovationsstau“ in Deutschland gesprochen. Jetzt versucht man, mit der KI-Strategie ein bisschen Hoffnung zu verbreiten. Besteht eine reale Chance? „Dum spiro, spero!“ – es gibt immer Hoffnung! Aus meiner Sicht sind nicht alle Züge abgefahren. Ich würde das im Gesamtzusammenhang sehen. Künstliche Intelligenz ist eines der ersten drei Themen des Digitalkabinetts. Daneben stehen Blockchain und Arbeit 4.0. Wir haben große Unternehmen in Deutschland, die zum Beispiel Watson weiterentwickelt haben und damit täglich arbeiten. Um einzuordnen, wo Deutschland insgesamt steht, muss man differenzieren. Wir haben so viele Bereiche, in denen wir wirklich herausragend sind: In der Sensorik sind wir Weltmarktführer. Wir sind Logistikweltmeister. Auch in der Medizin, Technik und bei KIs spielen wir – was die Grundlagenforschung

betrifft – ganz vorne mit. Nur in der Monetarisierung sind wir nicht gut. Da existiert das alte MP3-Trauma. Deswegen müssen wir in Bereichen wie Robotik einen anderen Weg einschlagen und da ist der Zug aus meiner Sicht noch nicht abgefahren. An den Universitäten entstehen viele tolle Unternehmen, die Weltmarktführerpotenzial haben könnten. Und auch in der Automobilindustrie kann uns keiner die 100-jährige Erfahrung nehmen. Das sieht man beispielsweise auch daran, dass das weltweite Hyperloop-Rennen jetzt zum dritten Mal in Folge von Studenten der TU München gewonnen wurde. Ein visionärer Ausblick: Was soll in den kommenden zehn Jahren „Digitales Deutschland“ alles passieren? Was wünschen Sie sich? Wo sollten wir stehen? Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass jeder – und mit jeder meine ich tatsächlich jeden Bürger – der Digitalisierung erst mal unvoreingenommen begegnet und erkennt, dass es für ihn persönlich in den meisten Bereichen eine absolute Lebenserleichterung mit sich bringt. Und dass man die Chancen nutzt. Ich wünsche mir, dass unser Land dann auch enger miteinander vernetzt ist und dass auch eine größere Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse entsteht. Und dass es irrelevant ist, ob ich in der Stadt lebe oder auf dem Land, was vor dem Hintergrund der Überhitzung unser Großstädte eine echte Chance ist. Und dass wir uns von starren Gegebenheiten, die wir in Deutschland haben, verabschieden. Hierzu zählt beispielsweise das Arbeitszeitgesetz, das viel individueller gestaltet werden und eine wesentlich stärkere Selbstbestimmung und somit auch eine größere Dezentralität ermöglichen könnte. Das würde ich mir wünschen.

Dorothee Bär Dorothee Bär wurde im März 2018 zur Staatsministerin für Digitales ernannt. Von 2009 bis 2013 war die dreifache Mutter Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, danach (Dezember 2013 bis März 2018) Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Diplom-Politologin ist seit 2002 Mitglied des Bundestages. Dorothee Bär kommt ursprünglich aus Bamberg und engagiert sich seit ihrem 14. Lebensjahr für Politik, zuerst als Mitglied der Jungen Union, ab 1994 dann für die Mutterpartei.

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Foto: Franziska Turner

Doro Bär: hier von ihrer nachdenklichen Seite


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DIGITALE DEBATTE

„Wir alle werden definieren müssen, wie Digitalisierung in Zukunft unser Leben verändern wird“

Foto: Franziska Turner

Digitalisierung – was bedeutet das eigentlich für die Startup-Welt und unsere Gesellschaft? Ein Thema, das wir ab sofort mit spannenden Persönlichkeiten aus dem politischen Umfeld diskutieren werden. Kooperationspartner Steffen Wenzel von Politik Digital erklärt, wa­ rum das Thema gerade jetzt brisant und wichtig ist. Warum ist das Thema Digitalisierung gerade jetzt interessant und relevant? Digitalisierung ist ein Thema, das sich mittlerweile durch alle Lebensbereiche zieht, da geht es einerseits um Arbeitsplätze, um die Modernisierung unserer Industrie und ob Deutschland als Wirtschaftsmacht den Anschluss verliert oder nicht. Andererseits geht es aber auch um Regulierung, Datenschutz, um Freiheit und den Schutz von Bürgerrechten. Das sind die ganz großen politischen Themen, die in unserer Demokratie zu diskutieren sind. Persönlich habe ich ja schon seit den Anfängen von Politik Digital im Jahr 1998/1999 ein eigenes Internetministerium gefordert, denn das zeigt, wie viel Macht und Bedeutung ich diesem Thema zuschreibe. Deshalb freut es mich sehr, dass wir mit Doro Bär jetzt eine Staatsministerin haben, die sich für das Thema Digitalisierung einsetzt. Das ist ein wichtiger Schritt. Politik Digital wurde als Nachfolgeprojekt von Wahlkampf98.de, der Online-Platt-

form zur Bundestagswahl 1998, gegründet. 2001 wurdet ihr mit dem Grimme Online Award für Medienkompetenz ausgezeichnet. Was hat sich seitdem verändert? Damals haben wir viel Überzeugungsund auch Lobbyarbeit für das Thema Digitalisierung geleistet, auch wenn es damals noch niemand so genannt hat. Wir haben seitdem aber selbst als Organisation eine digitale Transformation durchgemacht. Im Mittelpunkt unserer Arbeit stand immer die Kommunikation zwischen politisch Verantwortlichen und den Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben mit einer speziellen Chatsoftware über 600 solcher Gespräche organisiert, u. a. mit Angela Merkel, Johannes Rau u. v. m. Heute kann jeder, der so etwas regelmäßig machen möchte, Livestreams über Facebook oder Twitter-Interviews anbieten. Für uns als Dienstleister ist das natürlich erst mal schlecht, aber andererseits auch ein Erfolg – und es gibt uns den Raum dazu, den nächsten Schritt zu gehen. Was ist dabei euer Ziel? Unser Ziel war und ist es, ein Forum für politisch relevante Themen im Bereich Digitalisierung zu bieten. Egal ob Politiker, Unternehmens-Chef, Startup-Gründer oder Konsument, wir alle sind Gesellschaft und wir alle werden definieren müssen, wie die Digitalisierung in Zukunft unser Leben verändern wird. Und dafür müssen wir Räume schaffen

wie etwa die gemeinsame Interviewreihe von Politik Digital und Berlin Valley, unsere digitale Debatte. Warum ist Berlin Valley dabei der richtige Partner für euch? Eine erfolgreiche Startup-Kultur ist stark von der Politik abhängig: Wann bekommen wir in Deutschland eine bessere Breitband­ anbindung, welche gesetzlichen Regelungen sind notwendig, welche behindern Gründer? Gleichzeitig sind es die Startups, die die Veränderung vorantreiben – und durchaus auch als Berater für die Politik fungieren können. Diesen Austausch wollen wir fördern – und gleichzeitig die Startups in die Verantwortung holen. Es geht schließlich nicht nur darum, Forderungen an die Politik zu stellen und wirtschaftliche Interessen voranzutreiben, sondern auch darum, den digitalen Wandel sozial verantwortlich zu gestalten.

Steffen Wenzel Steffen Wenzel ist Mitgründer und Geschäftsführer von Politik Digital. Als europaweiter Verein konstituiert, betreibt Politik Digital seit dem Jahr 1998 eine der führenden unabhängigen Informations- und Kommunikationsplattformen zum Thema Internet, Politik und digitale Bildung in Deutschland. politik-digital.de

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ZUKUNFTSFORSCHUNG

„Die Pro­g­nose ist gestorben“ Als Zukunftsforscher geht es Johannes Kleske nicht darum, die eine Zukunft zu definieren. Er will Alternativen aufzeigen, die Lust auf Veränderung machen.

Foto: Patrick Desbrosses

Das Gespräch führten Aileen Moeck und Jan Thomas.

Johannes, warum hast du dich dazu entschieden, trotz Erfolgs im Job parallel noch einen Master in Zukunftsforschung zu starten? Brexit, Trump, das kolumbianische Friedensabkommen etc. haben deutlich gezeigt - 2016 ist die Prognose gestorben, und das, obwohl wir mehr Daten zur Verfügung haben als je zuvor. Es reicht also nicht mehr aus nur Trends von heute in die Zukunft zu extrapolieren und zu meinen man habe die Zukunft verstanden. Dafür ist die Welt viel zu komplex und volatil geworden. Durch meine Arbeit hatte ich bereits viel „Street Knowledge“ im Bereich angewandte Zukunftsforschung, aber ich wollte gerne meine Expertise ausbauen, daher das vertiefende Studium. Hier lernen und entwickeln wir Methoden zur Erforschung, Konstruktion, vor allem aber auch Reflexion von Zukunftsvorstellungen, die sich irgendwo zwischen Erkenntnistheorie und Kreativtechnik bewegen. Es geht vor allem darum Orientierungs- und Entscheidungswissen zu generieren. Dabei macht gute Zukunftsforschung aus, nicht die eine Zukunft zu definieren, sondern eine Vielfalt aufzumachen, also Alternativen zu zeigen und einen Diskurs darüber zu erzeugen. Deswegen benutzen wir zum Beispiel auch die Mehrzahl: „Zukünfte“.

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ZUKUNFTSFORSCHUNG

„Wandel ist nichts Einmaliges und hört eigentlich nie auf“ Wo arbeitest du als Zukunftsforscher? In meinem eigenen Unternehmen, Third Wave. Wir sind ein Mix aus Unternehmensberatung, Think Tank und strategischem Design-Studio und unterstützen Kunden bei strategischen Themen im Rahmen der digitalen Transformation. Basierend auf Methoden und Denkanstöße aus der Zukunftsforschung, regen wir unsere Kunden dazu an eigene Zukunftsnarrative zu entwickeln. Wir verkaufen aber keine klassische Zukunftsforschung, sondern eine klar strategische Beratung, häufig in Verbindung mit Leadership Coaching. Mit vielen unserer Kunden arbeiten wir bereits über mehrere Jahre und sehr intensiv zusammen, denn was viele oft vergessen: Wandel ist nichts Einmaliges, und hört eigentlich nie auf. Organisationen sollten sich also immer wieder neu fragen: Wie ticken die Menschen aktuell, die am Ende unser Produkt oder unseren Service nutzen? Dabei ist Zukunft ein noch viel emotionaleres Thema als zum Beispiel Digitalisierung. Über Zukunft macht sich jeder auch unbewusst Gedanken, sodass ich Menschen damit ganz anders erreichen und beraten kann.

1. Analyse von Zukünften

Wie bietet ihr Zukunftsforschung in eurer Arbeit mit den Kunden an? Ein Kunde nannte uns mal den Firmenpsychologen, der reinkommt und ganz viele, teils auch unbequeme Fragen stellt und Tabus offen anspricht. Wenn etwa der Kunde sagt: „Wir wollen auch ein Innovation Lab!“, dann fragen wir: „Aber wozu eigentlich? Wozu dient das am Ende?“ Im Alltagsstress, wenn es oft nur darum geht, ob wir bei unserem MVP (Minimum Viable Product) jetzt dieses oder jenes Feature einbauen, rücken die strategische Planung und das Erarbeiten von Roadmaps zunehmend in den Hintergrund. Gepaart mit dem Druck, jetzt auch mal innovativ sein zu müssen, führt das bei vielen Firmen dazu, dass sie ihren roten Faden aus den Augen verlieren. Wir unterstützen unsere Kunden hier, wieder klar eigene Ziele festzulegen: „Was wollt ihr erreichen, wo wollt ihr hin?“ Wenn jemand kommt und sagt: „Ich präsentiere euch eine Vision“, ist dabei meist die erste Reaktion: „Oh. Können wir bitte rational bleiben? Das wird uns jetzt zu emotional.“ Das aber ist genau der Kern. Es geht darum, starke Narrative zu bilden, sodass Leute Lust haben, sich in eine bestimmte Richtung mitzuentwickeln. Wir starten deshalb meist damit, 15-Jahre-Zukunftsbilder zu erarbeiten, um den Kopf aufzumachen. Dann gehen wir Schritt für Schritt zurück, bis man wieder bei sehr konkreten, strategischen Zwei-Jahres- oder Ein-Jahres-Themen rauskommt, die alternative Pfade aufzeigen. Das ist wichtig, da es einen resilienter gegenüber Veränderungen von außen macht und eine größere Handlungsflexibilität ermöglicht.

2. Entwicklung von Zukünften

AUSDRUCK DER „GESELLSCHAFT IN DEN ZUKÜNFTEN“

Gesellschaft

Zukünfte WIRKUNG VON „ZUKÜNFTEN IN DER GESELLSCHAFT“

(nach einem Modell des KIT ITAS)

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EINFLUSSFAKTOR 2 ENTWICK. 2 ENTWICK. 1

EINFLUSSFAKTOR 1 ENTWICKLUNG 1 ENTWICKLUNG 2


FACTORY ZUKUNFTSFORSCHUNG In einem deiner Blogartikel schreibst du von gegenwärtigen Zukünften. Was ist damit gemeint? Es meint das Verständnis darüber, dass Wissen und Bilder, die wir über die Zukunft heute haben, immer geprägt sind von Ereignissen der Gegenwart und nur in dieser stattfinden. Die Zukunftsforschung ist also eigentlich eine Gegenwartsforschung, denn Gegenwart und Zukunft strukturieren sich gegenseitig. So spiegelt sich in Zukunftsbildern wider, was unsere Gesellschaft aktuell bewegt, gleichzeitig beeinflussen existierende Zukunftsbilder stark die Gesellschaft. Wir sprechen im Alltag oft nur von Technologie und Engineering, was aber den Zukunftsdiskurs wirklich prägt, sind Bilder (siehe Abbildung 1).

Foto: Patrick Desbrosses

„Was Unternehmen heute brauchen, sind starke Narrative“ Welche Rolle spielen solche Zukunftsbilder für Innovationen? Bilder prägen uns stark. Verdanken wir Tablets vielleicht nur dem Zufall, dass bei Star Trek irgendjemand gesagt hat: „Hey, so ein ‚Device‘ macht Sinn!”? Die Kraft eines Zukunftsbildes sehen wir an Elon Musk, der sehr gut darin ist, sein Narrativ zu propagieren. Dieses Narrativ, nämlich, dass die Menschheit einen Backup-Plan braucht, bildet den Kern all seiner Innovationen bei SpaceX. Es bringt uns also nicht weit, wenn wir uns nur einzelne Technologien anschauen und überlegen, wo diese hinführen, stattdessen müssen wir auf die Visionen hinter den Technologien blicken und das damit verbundene Ökosystem verstehen. Also, statt sich nur auf Tesla zu konzentrieren, müssen wir schauen, welches Bild Musk von der Zukunft der Mobilität malt. Was mich hier je-

doch stört, ist, dass Musks Bild aktuell sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und es wenige Alternativen dazu gibt. Wir als Gesellschaft, aber auch die einzelnen Unternehmen, müssen endlich anfangen, eigene Bilder zu bauen, und ein Innovationsparadigma definieren. Das ist das, wo wir uns in Deutschland noch ein bisschen schwertun, sowohl auf der Unternehmens- als auch auf der politischen Ebene. Wir rennen immer noch zu viel hinterher, als endlich eigene Wege zu gehen. Was wäre denn so ein Ding, was noch kein anderer auf dem Schirm hat? Welche eigene Herangehensweise wollen wir gemeinsam etablieren? Bei Third Wave versuchen wir, den Kunden genau dieses Gefühl des „ich bin dem ausgeliefert“ zu nehmen und stattdessen dazu zu inspirieren, mit eigenen klaren Zukunftsbildern Lust auf Veränderung zu bekommen.

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ZUKUNFTSFORSCHUNG

„Wir als Gesellschaft, aber auch die einzelnen Unternehmen, müssen endlich anfangen, eigene Bilder zu bauen“

Gibt es so ein kleines Einmaleins der Zukunftsforschung für jedermann? Einfache Zukunftsforschung fängt damit an, einmal mehr die Frage zu stellen: „Was wäre, wenn.. ?“ Man erarbeitet, wie verschiedene Szenarien aussehen könnten, in welchen sich bestimmte Einflussfaktoren auf meine Ausgangsfrage unterschiedlich entwickeln, und fragt sich: „Was müsste dabei passieren, damit es zu dieser oder jener Welt kommt?“ Plötzlich fängt man an, in einer Vielfalt zu denken, und eröffnet einen Horizont, statt nur ein Bild vor Augen zu haben, von dem man hofft, dass es passiert (siehe Abbildung 2). Wenn du jetzt als Zukunftsforscher ein Startup gründen würdest, was würdest du anders machen? Ich würde ein sehr diverses Team aufstellen, um mehr Perspektiven reinzubringen. Die Mitarbeiter würde ich bewusst ermutigen, immer wieder den kritischen Zukunftsforscherhut aufzusetzen und nachzuhaken: „Was wäre, wenn dieses Szenario, diese Idee, die wir gerade haben, völlig schiefginge oder wir dieses und jenes komplett anders machen würden? Wo sind unsere blinden Flecken?“ Startups sind immer sehr auf Geschwindigkeit aus, ich glaube, bewusst angewandte Zukunftsforschung kann helfen, hier etwas langsamer zu gehen, dafür aber den Weg der „responsiven Innovation“. Gerade Start­ups sollten sich früh fragen, welche Auswirkungen ihr Handeln oder auch Nicht-Handeln im größeren Kontext haben kann. Da sitzt etwa ein Uber Engineer im Hauptquartier und codet den Algorithmus, der aus der Sternebewertung eines Fahrers Entscheidungen trifft. Am Ende aber hat genau das für eine Vielzahl von Menschen konkrete Auswirkungen.

JOHANNES KLESKE

Johannes Kleske ist Blogger der ersten Stunde. Regelmäßig steht er als Speaker auf der Bühne und berät bei Third Wave Unternehmen als kritischer Zukunftsforscher zum Thema digitale Transformation. johanneskleske.com, thirdwaveberlin.de

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„Über Zukunft macht sich jeder auch unbewusst Gedanken“

Foto: Patrick Desbrosses

Eine letzte Frage an den Zukunftsforscher: Es scheint, als ginge es zunehmend mehr um die Frage der Verantwortung als um die der Machbarkeit. Leitet das eine neue Ära der Philosophen ein? Ich denke schon und das kann eine tolle Chance für uns sein. Nach jeder Innovationswelle setzt auch immer eine Reflexion ein. Das wäre doch ein spannender Teil einer deutschen Digitalagenda. Wir sind zwar nicht immer die Ersten, aber wir sind relativ gut darin, noch einmal nachzufragen: „Ist es das, was wir wollen?“ Dinge zu hinterfragen, um sie dann bewusst anders zu gestalten, eröffnet Unternehmen aktuell einen ganz neuen Innovationsraum.


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Fotocredit: Foto: Simonmax. Migaj/Unsplash 100 Zeichen


CLEANTECH

Mit Cleantech gegen die Klimakrise Wirtschaftslobbyisten und Umweltschützer haben selten dieselben Interessen. Dabei gibt es gerade im Cleantech-Bereich immer mehr innovative Ansätze, die einen positiven ökonomischen Einfluss haben. Von Josefine Köhn-Haskins

Globale Erwärmung: Das Thema wird immer heißer – und das nicht nur wegen der kontroversen Diskussionen. Denn eines lässt sich nicht bestreiten. Die Temperaturen steigen und im Kampf um die Eindämmung der weltweiten Emission von Kohlendioxid macht man einfach immer noch nicht die Fortschritte, die nötig wären, um einen echten Umschwung einzuleiten. „Problematisch ist etwa, dass wir bei Startup-Gründungen aus dem Bereich Cleantech eine längere Entwicklungsphase haben, wobei frühzeitig viel Geld gebraucht wird, ohne absehen zu können, wann mit einem entsprechenden Return zu rechnen ist”, erklärt Linda Bergset, Projektleiterin der Green Startup Investment Alliance beim Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit. Ein Thema, das nicht nur die Szene in Deutschland bremst. Angefeuert von Al Gores Filmepos über die globale Erwärmung „Eine unbequeme Wahrheit“ wurden laut MIT im Silicon Valley zwischen 2006 und 2011 insgesamt 25 Milliarden Dollar Venture-Kapital in die Cleantech Industrie gesteckt. Die Hälfte davon ging in heißer Luft auf. Warum? Die Fracking-Revolution ließ die Gaspreise fallen und China produzierte viel preisgünstigere Solarplatten.

Ein lohnenswertes Risiko In Greentech zu investieren, war und ist ein Risiko, jedoch eines, das sich tatsächlich nicht immer lohnt – aber dafür immer öfter. Laut David Wortmann, Inhaber der Beratungsagentur DWR eco GmbH, „erleben wir gerade

eine zweite Gründerwelle im Cleantech-Bereich, mit einigen interessanten Erfolgsgeschichten.” Ein Beispiel etwa ist die Firma Sonnen, die in den vergangenen zwei Jahren 84 Millionen Euro einsammelte. Der Solarfilm-Hersteller Heliatek konnte sich 2016 über eine Wachstumsfinanzierung in Höhe von 80 Millionen Euro freuen und weitere 15 Millionen Euro im darauffolgenden Jahr. Auch in Thermondo wurde mit 23,5 Millionen Euro im Jahr 2016 und mit 21 Millionen 2017 kräftig investiert.

Cleantech als Modernisierungstreiber Tatsächlich schreibt der vom Bundesumweltministerium veröffentlichte Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland 2018 dem Cleantech-Bereich einen Anteil von 15 Prozent am Bruttoinlandsprodukt zu. 1,5 Millionen Menschen sind hier bereits beschäftigt – Tendenz steigend. Und Bundesumweltministerin Svenja Schulze erklärt „GreenTech made in Germany” sogar zum „Modernisierungstreiber unserer Wirtschaft. Umweltinnovationen werden immer stärker dazu beitragen, dass deutsche Unternehmen neue Arbeitsplätze schaffen und auf den weltweiten Zukunftsmärkten bestehen können.“ Wenn sie dabei auch noch die Schlüsselfrage lösen, wie die Grundbedürfnisse der Menschen weiterhin befriedigt werden können, ohne dabei die ökologischen Grundlagen der Erde zu zerstören, wären wir tatsächlich einen gewaltigen Schritt weiter. Denn angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und der zunehmenden Industrialisierung der Schwellenländer wird der Energiebedarf in

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CLEANTECH

Mowea Mikrowindanlagen Ziel von Mowea ist es, die Stromkosten mittels regenerativer Energiequellen zu senken. Im Mittelpunkt steht ein modulares Windenergiesystem, welches eine Vielzahl sogenannter Mikrowindanlagen zusammenschaltet und somit vielseitig und dezentral einsetzbar ist. Aktuell entwickelt das Startup neue Prototypen, die laut Gründer und CEO Till Naumann „der Serienproduktion schon sehr nahe kommen”. Noch diesen Herbst wird Mowea zwei Pilotprojekte starten. Zum einem wird ein Vodafone Telekommunikationsmast mit dem modularen System ausgestattet. Beim zweiten Projekt handelt es sich um eine Flachdach-Installation für die Aucoteam GmbH im urbanen Bereich. Zudem ist der Einsatz aber auch in abgelegenen Regionen ohne Anschluss an ein öffentliches Stromnetz möglich. mowea.world

Umwelttechnik wird für den deutschen Markt immer wichtiger 200

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0 Marktvolumen in Milliarden Euro; Quelle: Roland Berger (2017)

Fotos: Mowea, Heliatek

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den kommenden Jahren global weiter steigen. Von 2016 auf 2017 stieg der Verbrauch auf 13,576 Millionen Tonnen Rohöleinheiten. Das ist mit 2,1 Prozent eine doppelt so hohe Steigerung wie noch im Jahr zuvor. Dabei spielen fossile Energieträger wie Erdöl, Erdgas und Kohle mit 85 Prozent am Primärenergieverbrauch weiterhin eine Hauptrolle – und sind für zwei Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich.

17,3 Prozent der Startups setzen auf Grün Hoffnungsvoll stimmt, dass die Erzeugung durch regenerative Energiequellen mit 23 Prozent eine weitaus größere Steigerung verzeichnet. Auch wenn fossile Brennstoffe mit über 80 Prozent weiterhin die Hauptrolle im weltweiten Primärenergieverbrauch ausmachen, die Chancen von Greentech und Cleantech sind enorm. Laut einer Studie von Roland Berger lag der Anteil der grünen Start­ ups 2017 bei 17,3 Prozent, wobei neue Technologien und fortschreitende Digitalisierung – neben der traditionellen Energieerzeugung per Wind und Sonne – noch zahlreiche weitere Chancen für eine umweltfreundlichere Stromproduktion ermöglichen. Tado sorgt etwa mit smarten Thermostaten dafür, dass bis zu 31 Prozent der Heizkosten – und damit natürlich auch Energie – eingespart werden können. Sonnen, der mehrfach ausgezeichnete Anbieter von Solarstromspeichern und Energiedienstleister, hat gemeinsam mit dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet ein Projekt auf der

Heliatek Flexible Solarfolien Leicht, dünn und flexibel lassen sich die Solarfolien von Heliatek überall dort einsetzen, wo konventionelle Solarmodule an ihre Grenzen stoßen. Mit dem Heliafilm hat das Dresdner Startup eine kostengünstige Lösung zur Erzeugung von Solarstrom entwickelt, die direkt auf großflächige Bauelemente laminiert werden kann. Sogar auf Lkw-Anhängern und Autokarosserien könnte der Solarfilm in Zukunft für eine bessere Kohlendioxid-Bilanz sorgen. heliatek.com

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Radialsystem, Berlin nkf-summit.com/startups

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CLEANTECH

Suncrafter Mobile Sonnenenergie Mit den mobilen Solar-Ladestationen von Suncrafter wird der Strom genau dort erzeugt, wo er gebraucht wird. Einsatzgebiete sind Musikfestivals, Messen und Kongresse. Aber auch im Outdoorsport-Bereich, an Wanderwegen, auf Skipisten wie auch an E-Bike-Ladestationen sorgt Suncrafter mit seinen Solargeneratoren für grünen Strom. Mit Microhubs ermöglicht Suncrafter außerdem eine schnelle Notstromversorgung in Katastrophen- und Überschwemmungsgebieten. suncrafter.de

Blockchain gestartet. Ziel ist es, die Energieerzeugungsunterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland über Heimspeicher ausgleichen zu können. Und Thermondo macht durch ein digitalisiertes Vertriebskonzept den Wechsel zu energieeffizienten Heizungsanlagen einfach und kostengünstig. Dabei helfen auch verschiedene Förderungs- und Finanzierungsmodelle – übrigens ein weiterer wichtiger Punkt dafür, dass sich Cleantech erfolgreich weiterent-

wickeln kann. So stellten auch die Experten am MIT in ihrem „Energy Initiative Working Paper” die These auf, dass Venture Capital alleine das falsche Investitions-Modell für die traditionell langsamer wachsenden Cleantech-Unternehmen sei. Empfohlen wird eine diverse Aufstellung von Akteuren, also eine Mischung aus Venture Capital und staatlicher Förderung. Denn letztlich geht es bei der Energiewende ja nicht um Profitmaximierung, sondern um unsere Umwelt und das Einhalten der Klimaschutzziele.

Zaak Noch immer werden Jahr für Jahr Millionen Tonnen von Flugasche durch Kohlekraftwerke produziert. Zaak Technologies (Gründer Abbas Khan im Bild) hat ein innovatives und nachhaltiges Fertigungsverfahren entwickelt, welches es ermöglicht Industrie-Asche oder industrielle Nebenprodukte in ein hochwertiges Bauprodukt umzuwandeln. Die innovative, leichte Gesteinskörnung Lypors kann als Alternative zu herkömmlichem Bausand verwendet werden. Nach Einschätzung von Dritten kann der Einsatz dieses Materials beim Bau eines Einfamilienhauses mit 138 Quadratmetern Fläche durch bessere Wärmedämmung bis zu 2.300 Kilogramm CO2 pro Jahr einsparen. Zusätzlich entlastet das Berliner Startup mit der Herstellung von Lypors die teils knappen und endlichen Ressourcen für hochwertigen Bausand. zaaktechnologies.de

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Fotos: Zaak, Suncrafter

Upcycling von Industrie-Asche


Berlin gewinnt Wärme. Wenn die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) ihr schönes Porzellan herstellt, entsteht dabei auch viel Wärme. Diese blieb bisher ungenutzt. Darum kooperieren KPM und Vattenfall: Die überschüssige Wärme wird in das lokale Fernwärmesystem rund um den Tiergarten eingebunden. Denn die Herstellung drei kleiner Porzellan-

schalen entspricht immerhin der Energie für eine CO2-freie heiße Dusche. Ein weiterer Schritt, um innerhalb einer Generation ohne fossile Brennstoffe auszukommen. Begleiten Sie uns auf dem Weg dorthin: vattenfall.de/fossilfrei


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Bildmontage des Hofes in der Köpenicker Straße 154 a–157: das Gebäude heute und in den 1970er-Jahren.

DIE KRAFT DES BACKSTEINS Die denkmalgeschützten historischen Gewerbehöfe der GSG Berlin ziehen Startups magisch an. Text: Heidi Müller

MANUFAKTUREN UND FABRIKEN PRODUZIERTEN WAREN ALLER ART In der Ritterstraße in Kreuzberg gab es Zeiten, in denen bis zu 800 Mitarbeiter Armaturen gefertigt, verpackt und verladen haben. Manufakturen und Fabriken produzierten hier Waren aller Art, die bis nach Übersee exportiert wurden. Diese Zeiten sind längst vorbei. Das Kopfsteinpflaster, mit dem bis heute ein Teil der Kreuzberger Ritterstraße gepflastert ist, erinnert an das „Damals“ eines Kiezes, der als „Rollkutscher-“ oder „Export-Viertel“ Berlins bekannt war. Der Gewerbehof zwischen Ritter- und Lobeckstraße ist ein selbstbewusster Mix aus verschiedenen Bauten. Der denkmalgeschützte Altbau wurde von 1893 bis 1894 und von 1897 bis 1898 nach Plänen von Georg Lewy in zwei Bauabschnitten errichtet. Bauherr war die Armaturenfabrik Bernhard Joseph AG, die 1926 mit der Metallwa-

ren- und Lampenfabrik F. Butzke u. Co. fusionierte und in das mehrfarbige Backsteingebäude einzog. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Vorderhaus des Komplexes zerstört. Nur der hintere Riegel mit seiner sehr schönen, weitgehend erhaltenen Innenhoffassade blieb standhaft und bildet das heutige Kernstück im Stile alter Industriearchitektur. Der verbliebene Gebäudetorso der Industrieanlage wurde notdürftig instandgesetzt und erweitert. 1977 firmierten die Butzke-Werke um, führten ab sofort das Warenzeichen „AQUA“ im Firmennamen. Im Jahr 1997 lief hier die Fertigung aus: Das Areal unter bröckelnden, verblassenden Anstrichen mit dem blauen Schriftzug „AQUA Butzke-Werke AG“ verfiel zu einer der ödesten Ecken Kreuzbergs. Die Gebäude standen leer. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. In den 2000er-Jahren waren es vor allem Künstler, die dem Hof ein neues Gesicht gaben. Sie haben das Areal wieder zum Leben erweckt. Statt Industriemaschinen laufen nun die unterschiedlichsten kreativen Köpfe im AQUAHof heiß. So wurde lange vor den anderen inzwischen bekannten Startup-Gewerbehöfen das AQUA Butzke Areal ein Zentrum für neue Ideen der Kreuzberger Startup-Szene. Ein neues, 12.000 Quadratmeter großes Kreativzentrum erhebt sich inmitten von Kreuzberg wie Phönix aus der Asche, ein kraftvoller Mix aus Arbeit, Kreativität und Begegnung. Die Ritterstraße ist gefragt wie in ihren besten Zeiten. Der erweiterte und ge­ tunte Hof lässt mit rund 5.000 Quadratmetern neuer Atelier- und

Foto: GSG Berlin

Es war einmal vor langer, langer Zeit ein Baumeister, der hatte den Auftrag, ein allzu ansehnliches Verwaltungs- und Produktionsgebäude für den Industriestandort Berlin zu errichten. Und er schickte sich an, großzügig in seinen Ausmaßen zu planen, mit rotem Backstein, mächtigen Segmentbogenfenstern und eindrucksvollen Schmuckelementen. Und siehe da: Er schuf Prachtbauten. Firmen wie Siemens, Osram und Bechstein bezogen diese Industrietempel. Sie trotzten Krieg und Wandel und stehen nach wie vor selbstbewusst als Zeitzeugen einer erfolgreichen Epoche.


ANZEIGE Werkstattflächen für Startups, Kreative und kleine Unternehmen seine Muskeln spielen – ein Spannungsbogen der Architektur aus der Jahrhundertwende über die 80er-Jahre bis zur Neuzeit.

WO EINST KONRAD ZUSE DEN Z4-RECHNER ERFAND, POWERT HEUTE DER TURBO DER DIGITALEN REVOLUTION Das kreative Epizentrum ist einer von 22 historischen Gewerbehöfe der GSG Berlin, einer der größten Anbieter von Büro-, Gewerbe- und Lagerflächen in der Hauptstadt. Die historischen Höfe haben vor allem für Startups eine nahezu magische Anziehungskraft. Wenn die Ziegelsteine doch nur reden könnten. Dann würden sie vom kreativen Erfindergeist und unerschütterlicher Unternehmenskraft berichten. Vom Tischlermeister Knickmeyer, vom Maschinenbaumeister Schneggenburger oder vom Seifenhersteller Hermann. Oder von dem 85-Jährigen, der in den Kellergewölben der Oranienstraße 6 an einem der ersten Computer der Welt tüftelte. Wo einst Konrad Zuse den Z4-Rechner erfand, wo die Wiege der Computertechnologie stand, powert heute der Turbo der digitalen Revolution. Oranien Valley. In dem denkmalgeschützten und liebevoll sanierten Gewerbehof – hier hatte 1875 Zimmerermeister Robert Otto zur Straße hin ein Wohnhaus und 1897 Regierungsbaumeister Georg Lewy im rückwärtigen Teil einen fünfgeschossigen Gewerbebau errichtet – sitzen heute viele Unternehmen der IT-Branche. „Kann es einen besseren Ort für ein Technologieunternehmen geben – außer den Garagen von Bill Gates oder HP?“, fragt Fabian Schmidt, CEO von FanMiles. Das Startup hat im Januar 2017 seine Arbeit im historischen GSG-Gewerbehof aufgenommen. In einem historischen Gebäude zu arbeiten, sei der Traum eines jeden Startups. Und dann noch mit diesem legendären Vormieter – davon seien nicht nur die Programmierer energetisiert.

GSG Gewerbesiedlungs-Gesellschaft Berlin Fast 1.000.000 Quadratmeter Gewerbefläche, fast 2.000 Mieter. 49 Gewerbehöfe, davon 22 historische Industriestandorte. Innovativ am Markt mit der flexiblen Büroanmietung „Next Level Offices“ und Highspeed-Internet. Seit 53 Jahren verlässlicher Partner für die Berliner Wirtschaft. gsg.de

DIE TRADITION DER KREATIVINDUSTRIE HÄLT SICH BIS HEUTE In Kreuzberg spielt die Musik – seit eh und je. 1919 zog die Carl Lindström AG in die Schlesische Straße 27: mit Aufnahme-Konzertsaal, Studios, Plattenpresswerk, Druckerei und Gerätefabrik. 150.000 Schellackplatten und über 1.000 Abspielgeräte wurden in den besten Zeiten in Europas größter Musikfabrik produziert. Die Tradition der Kreativindustrie hält sich bis heute. Mehr noch: Das südliche Spreeufer erlebt eine wahre Kreativexplosion. In den alten Gewerbehöfen und Bauwerken powern kreative Startups ebenso wie die Größen der Medienwirtschaft. Um Genüsse ganz anderer Art ging es im GSG-Hof in der Urbanstraße 71 an der Bezirksgrenze zum gründungsintensiven Neukölln. Der Hof war einst durch die Marzipanmassenfabrik Georg Lemke & Co., 1902 von den beiden Apothekern Benno Markus und Georg Lemke gegründet, in aller Munde. Heute wird in dem denkmalgeschützten Hof wie früher immer noch gedruckt. Neben den Druckereien zählen international agierende Startups zu den Mietern, die hier ihren Erfolgsraum gefunden haben. Im Hof hat sich in nur drei Jahren ein Startup-Ökosystem entwickelt. Vom gehypten Insurtech wefox über den Coworking-Anbieter HeartSpace bis zum jüngsten Startup doctorly, einer digitalen Praxis-Management-Plattform. Hinter dem Firmen-Agglomerat stecken die Geschwister Teicke. „Wir sind in einem dynamischen Geschäft tätig und haben noch viel vor. Dazu brauchen wir die Möglichkeit zu expandieren. All das ist in dem Hof möglich“, sagt wefox-Gründer Julian Teicke. Auch die beiden Gewerbehöfe in der Köpenicker Straße sind standhafte Zeugen einer erfolgreichen Unternehmenskultur. Auf dem Gelände 154 a–157 wurden elektrische Geräte produziert – bis 1957 hatte hier Blaupunkt ein Werk –, Gamaschen hergestellt und Wäsche gewaschen. Zuvor hatte sich auf dem Gelände im Jahr 1760 Christoph Späth mit seiner Gärtnerei niedergelassen. Sein Sohn Ludwig baute später den Betrieb, den er 1860 in die Kölnische Heide verlegte, zur größten Baumschule Europas aus. Es sind all diese Geschichten von kleinen Krautern bis zu Weltmarktführern, die den historischen Höfen ihre Seele eingehaucht haben. Zwischen den verschiedenfarbig geklinkerten Mauern mit Rundbogenfenstern und Jugendstilverzierungen ist sie allgegenwärtig: die Energie des freudvollen Schaffens. Ihre Baumeister hätten allen Grund, stolz zu sein.

In der Oranienstraße 6 entwickelte Konrad Zuse die Rechenmaschine Z4.

Die Aqua-Höfe in der Kreuzberger Lobeckstraße erstrahlen im neuen Glanz.


COWORKING INTERNATIONAL

Oh, wie schรถn ist Panama In unserer Reihe stellen wir die schรถnsten Coworking Spaces der Welt vor. Dieses Mal: Cocovivo im Archipel von Bocas del Toro, Panama Von Cosima Justus

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Fotos: Scott Smith, Jennifer Grimm, Bocas del Toro Productions

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1 Atemberaubend: Blick von oben aufs Paradies. 2 | Inspirationen kann man sich auch gut in der Hängematte holen. 3 | Auch der Dresscode ist auf die Temperaturen abgestimmt.

4 | Für einen Szenewechsel geht es ins Tiki auf Stelzen. 5 | Die Cottages sind perfekt ür alle, die länger bleiben wollen. 6 | Hunde sind natürlich willkommen.

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COWORKING INTERNATIONAL

An der nördlichen Küste Panamas, ganz im Westen des Landes und teils nur per Boot zu erreichen: paradiesische Inseln, unberührte Natur, bunte Häuschen am Meer, strahlend türkises Wasser und hellblauer Himmel. Den Archipel von Bocas del Toro behausen insgesamt 13.000 Menschen und er lässt sich schwer in Worte fassen, so atemberaubend schön ist er. Bocas del Toro umfasst mehrere Inseln vor der Karibikküste und einen Teil des panamaischen Festlands. Die Hauptstadt der Provinz befindet sich auf der Isla Colón. Kleine Restaurants und Läden, günstige Unterkünfte und ein lustiges Nachtleben laden viele Backpacker dazu ein, vom Festland aus mit dem Wassertaxi zur Insel zu fahren. Cocovivo, unser vorgestellter Coworking Space, befindet sich auf der südlicher gelegenen Isla de San Cristóbal, die ausschließlich per Boot zu erreichen ist. Es ist ein Ort, an dem man weitaus mehr als nur co-worken kann. Beste Gastro-Spots Auf der Isla Cristóbal selbst befindet sich ein kleiner Laden und ein Restaurant, jedoch keine Straßen. Also: Kajak nehmen! In Cocovivo selbst wird allerdings auch leckeres Essen zubereitet.

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Must-see-Locations Der gesamte Archipel ist ein Must-see. Starfish Beach lockt mit zahlreichen Seesternen, Red Frog Beach mit weichem Sand. Die atemberaubende Unterwasserwelt kann man schnorchelnd oder tauchend entdecken. Cayo Zapatilla, eine kleine, wunderschöne, mit Kokosnüssen übersäte Insel, eignet sich für eine Tagestour. Der botanische Garten bei Colón zeigt die schönsten tropischen Blumen. Carmen und Lazare von Cocovivo haben zusätzlich Geheimtipps parat. Übernachtung Im Cocovivo!

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Fotos: Scott Smith, Jennifer Grimm

THIS IS BOCAS DEL TORO

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7 | Abhängen und entspannen: Auch das ist im Cocovivo erlaubt. 8 | Romantik pur: Blick vom Cottage aufs Meer. 9 | Ein Paradies umgeben von grün und blau. 10 | Abenteurer kommen bei Dschungel-Touren auf ihre Kosten. 11 | Zeit für eine Pause: Das Faultier zeigt, wie es geht.


Vier Fragen an Carmen, Managerin von Cocovivo

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Carmen, wie kam Cocovivo zustande? Ulrich Gall, ursprünglicher Besitzer von Cocovivo, hat den Ort vor zehn Jahren zum Wohnen und Arbeiten verwendet. Er hat Internetzugänge eingerichtet und immer wieder Freunde eingeladen, um dort zu arbeiten. Damals war Cocovivo noch abgelegener als heute, es war eine spannende Zeit. Ulrich hatte dann keine Zeit, das Projekt zu vermarkten, ohnehin war die exotische Coworking-Bewegung noch in ihren Anfängen. Lazare und ich übernahmen 2012 den Ort und entwickelten ihn weiter. Neue Hütten wurden gebaut, Menüs überlegt und ein starkes Team aus Einheimischen aufgebaut. Carmen, was macht Cocovivo besonders? Die Artenvielfalt der Insel und ihre Lagune machen Cocovivo unvergleichbar. Faultiere, Delfine, ein gesundes Korallenriff und biolumineszierendes Plankton: ein geradezu magisches Naturphänomen. Die Idee hinter Cocovivo ist es, der Natur näherzukommen. Unser Grundgedanke ist es, das Land und das Meer zu respektieren. Unseren Strom beziehen wir von Solarzellen, wir verwerten das Regenwasser und haben Komposttoiletten. Wir experimentieren mit Möglichkeiten, mit unserer Umgebung in Symbiose zu leben, und lehnen übermäßigen Konsum und Ressourcenverschwendung ab. Der Ort ist zum Rückzugsort aus der realen Welt geworden, an dem man sich wieder mit der Natur verbinden kann.

Cocovivo

Gibt es ein Cocovivo Geheimrezept? Gutes Wi-Fi! Und, ganz wichtig: gesunde Ablenkung! Power deinen Körper aus, während du die Umgebung erkundest und auf Abenteuersuche gehst, bevor du deinem Geist erlaubst, sich zu konzentrieren.

Inhaber: Carmen und Lazare (Manager), Ulrich Gall (Inhaber, aber nicht mehr da) Gründungsjahr: 2008, Coworking ab 2012 Adresse: Southern Tip of Isla San Cristobal, Bocas del Toro Province, Panama Öffnungszeiten: 24/7 Für: Startups, Freelancer, Paare, Familie Cocovivo.com

Was macht euren Standort besonders? Türkisfarbenes Meer, ein gesundes Korallenriff, die Geräusche des Dschungels, private Hüttchen am See, gutes Essen und tolle Menschen. Wir arbeiten stark daran, das Gefühl eines Zuhauses zu erschaffen und gleichzeitig ein exklusives Erlebnis. Unser Coworking-Ort ist nur für Leute offen, die auch ein paar Nächte bei uns bleiben, da wir so abgelegen sind.

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"Act like an activist – think like a scientist" Thimo V. Schmitt-Lord MBE, Head of Bayer Foundations

THE BEAUTY OF IMPACT – TRUTH IN TEN A Series of 10 publications by Bayer Foundations about impact startups who create new solutions for humanity’s grand challenges for better health and against global hunger. Edition 5 of 10: Pushing Humanity Forward - A Tribute to Food Pioneers (by Thimo V. Schmitt-Lord MBE)

Food and agriculture are the oldest industries of mankind – and the most inefficient ones today. Our broken food systems lead to food waste, malnourishment and environmental damage which cause an estimated €1.8 trillion a year in societal damage, lost productivity and medical bills. Around 30% of all produced food is wasted, only 10% of the world’s land is arable, 80% of this limited land is used just for the purpose of producing crops for cattle feeding - while breeding cattle requires too many resources, it is a main driver for global warming and by far the least sustainable way of feeding a growing world population.

Our food system is out of balance. Some two billion people go to bed hungry while another two billion are facing malnutrition and obesity. In a nutshell, there is insane waste of limited resources. Our planet will not survive if we simply adopt a ‘business as usual’ attitude. It is time for new approaches, for disruptive innovations that complement our systems and deliver new answers. The projects featured in this article are working on big ideas with potential to change food and agriculture as we know it. These are true pioneers – courageous men and women whose hunger for innovation has enabled them to excel in spheres never imagined. They have dared to brave the unknown for the purpose of shaping the future of mankind by creating new solutions for one of humanity’s biggest challenges: the food crisis. Their innovations have the collective power to solve unmet needs of the rising billions. They are icons of progress. Let’s embrace their innovations to create social fiction and desirable futures together.


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Bayer foundation CEO Thimo V. Schmitt-Lord talking about the impact of beautiful business at 48forward in Munich

ROLE MODEL 2: CLEARKARMA - BLOCKCHAIN BACKED SOLUTION FOR FOOD SAFETY AND SUPPLY (FRANCE)

Fotos: Bayer Foundations, SN Technologies Ltd.

Dan Watson, founder of SaftyNet Technologies

Processed food today contains many ingredients from a lot of individual supplies, often shipped across the globe. This makes tracing of contaminations complicated, and also lowers transparency on food ingredients. As one consequence, over 500 million cases of food-borne illnesses with over 350,000 death cases are reported every year. Furthermore, food contamination costs the society 75.5 billion dollars every year. ClearKarma has developed a block chain-backed solution that is capable to trace, validate and document any food any time everywhere thanks to the powerful capabilities of artificial intelligence and blockchain. ClearKarma’s systemic end-to-end smart food sourcing technology has the power to reform the food industry while preventing millions to suffer from food-borne illnesses.

ROLE MODEL 1: SAFETYNET - SMART LIGHTENING NETS FOR SELECTIVE FISHERY (UK)

ROLE MODEL 3: ACRAI - FUTURE FARMING AI ROBOTS REPLACING HERBICIDES (GERMANY)

Unwanted bycatch is a massive driver for over-fishing. 27mio tons of fish per year is unwanted bycatch and thrown back dead into the ocean – this is insane. The UK-based social startup SafetyNet creates Smart Lightening devices for Selective Fishery - the technology uses specific light spectrums to attract and de-attract fish species selectively into the nets. This avoids by catch and helps significantly to stop overfishing the oceans. In partnership with Bayer Foundations, SafetyNet will cooperate with fishing corporatives and NPOs in Indonesia, putting 120 lightening devices to work and analyzing its success as a basis for later scale-out into bigger fishing cooperatives across Oceania.

Herbicides have disrupted farming for the past decades – but with public acceptance for herbicides widely decreasing, their future becomes uncertain. Today, healthy diets and tech solutions are important aspects in our daily lives. So why not combine both? Acrai has the vision to make agriculture more sustainable and efficient by building autonomous robots, which use deep learning based computer vision to classify and localize crops and weeds. These robots are able to differentiate crops from unwanted plants. On the fields they are constantly spotting, plugging and removing unwanted plants from wanted crops, replacing herbicides.


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ROLE MODEL 4: LEONYTE - NEW STANDARD IN PATHOGENE DETECTION FOR FOOD SAFETY (GERMANY) There are roughly a million deaths p.a. due to food safety and STD risks. Epidemiologists are warning that a fast moving airborne pathogen could kill more than 30 million people in less than a year. Leonyte is a real-time, reliable bacteria detection system for food safety and health. It offers a new and simple, three step test for Salmonella, E.Coli and L. monocytogenes in 10 minutes max. In partnership with Bayer Foundation, Leonyte intends to develop a low-tech version of this revolutionary testing device for low-income markets in developing countries.

ROLE MODEL 5: COCKROACH MILK: AN UNEXPECTED SOLUTION FOR THE FOOD CRISIS (CHINA) China’s growing middle class population has an insatiable demand for milk products that cannot be met by means of regular production. New findings from researcher Leonard Chavas in China is working on an unexpected solution: the Pacific Beetle Cockroach feeds its bug babies with a formula remarkably rich in a protein mixture called “crystals”. This insect milk has three times the energy of an equivalent of buffalo milk, and about four times the equivalent of cow’s milk, and may someday be transformed into a food supplement for human consumption.

ROLE MODEL 6: KINOSOL - SOLAR POWERED FOOD DEHYDRATION DEVICES Food loss in sub-Saharan regions is huge – an estimated 45% of farm products get lost due to a lack of cooling and safe warehousing. Hence, dried fruits and dried vegetables are very important in these areas, providing a big advantage: they are as healthy as fresh fruits but much longer and easier to store. Kinosol’s mission for food waste reduction is simple: decrease post-harvest loss by using a solar-powered food dehydrator, the Orenda. It uses natural convection to dehydrate fruits and vegetables providing a simple, cheap and reliable preservation technology.

”Our planet will not survive if we simply adopt a ‘business as usual’ attitude.” Thimo V. Schmitt-Lord MBE, Head of Bayer Foundations

ROLE MODEL 7: MLOUMA - REAL-TIME ONLINE MARKETPLACE FOR SMALL FARM PRODUCTS (SENEGAL)

ROLE MODEL 9: BUGSOLUTELY: INSECT BASED SUSTAINABLE SUPERFOOD (THAILAND)

Many small holder farmers lack safe storage facilities for farm products and also they don’t have access to sub-urban markets or buyers. They are forced to sell around harvest day at comparable low prices to easy-accessible near-by markets or middle-man buyers who are driving-by. MLouma has created a solution: a real-time online platform for farm products with information on prices, location and availability. Farmers and buyers are connected online and supported via internet, SMS notifications and call center experts to quickly find out where to buy or sell products at a good price. MLouma has created a user base of 75,000 farmers/buyers in only 6 months and aims to cover Senegal’s entire agricultural sector with inroads into neighboring countries in the next 6 months.

Our planet will not survive if we keep eating beef. Breeding cattle requires too many resources and is a main driver for global warming. Insects instead are healthy and sustainable, which makes them a great substitute in principle – but many people just can’t imagine eating them. Bugsolutely’s Cricket Pasta is something new on the fast-growing market of bug-based products: a sustainable superfood containing 20% cricket flour with exceptional high nutritional values include high levels of protein, non-dairy calcium, and iron, vitamin B12 and Omega fatty acids. According to chefs and customers it is not just healthy but also delicious. Products like Cricket Pasta can help to feed a growing population in a healthy way - good for us and the environment. If they reduce animal suffering: even better.

ROLE MODEL 8: PROFARM - STRESS RESILIENT PLANTS WITHOUT GMO (FINLAND)

ROLE MODEL 10: THRIVING GREEN - FUTURE FARMING WITH SUPERFOOD SPIRULINA (GERMANY)

Abiotic plant stress is a massive problem for farms on a global level, putting more and more harvests at risks in light of climate change. GMO is a solution – but with low acceptance rates in a broader public, GMO farming can be a business risk for growers, particularly when focusing on high-margin premium eco-markets. ProFarm has a solution: core-based molecular-matrix-enriched seed treatments and fertilizers capable to make plants strong and resilient towards abiotic stress – resulting in increased yields under harsh conditions, GMO free.

Bayer Foundations @ Berlin Valley The “The Beauty of Impact” publishing series of Bayer Foundations and Berlin Valley is a tribute to the extraordinary work of selected impact pioneers who dedicate their pioneering spirit and tech competencies to solve the challenges of mankind. Thimo V. Schmitt Lord MBE is an innovation enthusiast and Head of Bayer Foundations. His special interests are social innovations, impact investment and the transfer of business excellence into the non-profit sector. More info at: BAYER-FOUNDATIONS.COM #SOCIALFICTION

North Kenya is one of the most life-threatening areas worldwide. It is too hot and too dry for conventional farming, and the big Lake Turkana is too salty and too alkaline to grow farm products. That’s why one in four children in this area sadly dies before reaching the age of five; another half of the people is unemployed and suffers from severe consequences of malnutrition. A team of students from Regensburg University has developed a smart pilot solution for such regions: a cultivation system for spirulina-algae - an absolute superfood, rich in protein and b-vitamins, but just in need of 1% of water consumption compared to cattle farming and able to take up 16-times the CO2-biofixation compared to a rain forest: the farming of tomorrow to combat hunger today.


MEDIEN

„Positiv überrascht“: Contentshift-Leiterin Cigdem Aker lobt die Qualität und Professionalität der Pitches in diesem Jahr.

„Wir sind ein Sprungbrett“ Contentshift-Leiterin Cigdem Aker über Innovation im Buchmarkt Interview: Marisa Strobel

Liest du Bücher gedruckt oder digital? Ich lese tatsächlich am liebsten digital, weil es sowohl unterwegs als auch zu Hause im Bett einfach komfortabler ist. Besonders toll ist das integrierte Wörterbuch, das mir fremdsprachige Begriffe gleich übersetzt.

Fotos: Frankfurter Buchmesse, Christina Weiß

Wie hat sich der Buchmarkt verändert? Die Zahl der verschiedenen Medien, Formate und Kanäle, die der Konsument online über ein einziges Gerät nutzen kann, hat sich vervielfacht. Alles ist internationaler und globaler geworden. Autoren können sich nicht mehr nur über einen Verlag, sondern auch auf anderen Wegen etablieren. Die Schnelllebigkeit führt dazu, dass sich auch das Innovationsrad immer schneller drehen muss. Wie hat sich Contentshift entwickelt? Wir haben uns in der Startup-Szene wie auch in der Buchbranche etabliert und sind internationaler geworden. Zwei Startups aus Rumänien und aus Lettland sind im aktuellen Batch dabei. Osteuropa hat großes Start­up-Potenzial. Wie ist die Qualität der Startups? Wir sind positiv überrascht, wie hoch die Qualität und Professionalität der Pitches in diesem Jahr war. Inzwischen bewerben sich auch mehr Startups, die nicht mehr ganz Early Stage sind, weil sie spüren, dass wir ein

Sprungbrett sein können. An unserem Gewinner von 2016, Papego, hat sich beispielsweise im vergangenen Jahr Thalia beteiligt. Welchen Fokus haben eure Startups? Unsere Startups bieten meist Dienstleistungen für Verlage oder den Handel. Spannend finde ich es, wenn auch Crowdfunding und Crowdsourcing eine Rolle spielen. Zwei Autorinnen etwa haben auf diesem Weg ein Buchprojekt über Feminismus und Buchheldinnen zum internationalen Bestseller entwickelt. Der Hanser-Verlag hat das Buch für Deutschland lizenziert. Die neuen Wege, Leute einzubinden, finde ich spannend.

Nicht verpassen Cigdem Aker verantwortet im Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V. den Bereich Strategie & Innovation und leitet das Startup-Projekt Contentshift. Die fünf Finalisten des diesjährigen Accelerator-Programms: das mobile Kinder-Sprachlabor Ekidz.eu, der Wissenstrainer Mindzip, das Blockchain-Ökosystem Scienceroot, der Content-Marketing-Chatbot Sigmund Talks und der AI-Analyse-Dienst Summarize Bot. Die Startups präsentieren ihre Ideen am 11. Oktober im Rahmen der Frankfurter Buchmesse (10. bis 14.10.). contentshift.de

Was sind Hürden für Startups? Die Finanzierung beziehungsweise das Risiko. Viele Projekte scheitern ja nicht, weil die Idee schlecht ist, sondern weil der Zeitpunkt nicht der richtige war. Viele Investitionen schlagen sich nicht sofort positiv nieder. Ein gelungenes Beispiel für Innovation im deutschen Buchmarkt? Die Tonies, diese Hörbuchfiguren. Die Innovation macht digitale Technologie greifbar. Was hast du zuletzt gelesen? „Dunkelgrün, fast schwarz“ von Mareike Fallwickl und Anne Girards „Madame Picasso“.

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MEDIEN

Recruiting, Videotech und SprachKI im NMA-Batch nma.vc/apply-now Bis zum Demo Day am 17. Dezember haben acht Early-Stage-Start­ ups aus fünf Ländern Zeit, ihre Produkte im Next Media Accelerator in Hamburg zu entwickeln. Mit dabei sind beispielsweise Shuut aus Tallinn, das Nutzern hilft, Werbevideos und Kampag­ nen für Social Media zu erstellen und zu steuern, oder Voimada aus Helsinki: Über die KI-gestütz-

te Speech-to-Text-Technologie können Blogger und andere Publisher ihre Texte einfach einsprechen. Das Leipziger Startup Whyapply gestaltet Bewerbungsprozesse im Recruiting völlig neu. Statt einer Stellenanzeige posten Unternehmen über die Plattform eine Aufgabenstellung, auf die Bewerber mit ihrer Idee zur Problemlösung antworten können. Die Startups werden von Mentoren aus der Medien- und Technologiebranche gefördert und erhalten eine Investition von bis zu 50.000 Euro. Die Bewerbungsfrist für Batch 8 – startet im Januar – läuft noch bis 31. Oktober 2018.

Batch 7: Seit 2015 beschleunigt der Next Media Accelerator mediennahe Startups mit einem sechsmonatigen Programm.

Auferstanden aus Ruin „Ich schloss mich in meinem alten Kinderzimmer ein und ließ die Jalousien runter. Ich war am Ende.“ Dieser Satz markiert den Wendepunkt in Frank Thelens Autobiogafie. Auf S. 288 berichtet der Seriengründer und „Höhle der Löwen“-Juror aus seinem bisherigen Leben, von der Kindheit in Bonn, seinen ersten Gehversuchen als Unternehmer, vom „Hinfallen, Aufstehen, die Welt verändern“, wie das Buch „Startup-DNA“ untertitelt ist. Eine Geschichte über Erfolge und Niederlagen – schonungslos und immer persönlich.

„Startup“ geht in die dritte Runde amazon.de/PrimeVideo/

Ziele systematisch erreichen

Ab dem 1. November 2018 läuft die dritte Staffel der Cyber­crimeSerie beim US-TV-Sender Crackle (hier bei Amazon Prime). Nach der Entwicklung der Kryptowährung Gencoin und dem alternativen Darknet Araknet bekommt es das Gründerteam um Nick (Adam Brody), Izzy (Otmara Marrero) und Ronald (Edi Gathegi) nun mit der NSA-Agentin Rebecca Stroud (Mira Sorvino) zu tun.

24,90 Euro | Vahlen

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„OKRs haben uns zu zehnfachem Wachstum verholfen – immer wieder“, schreibt Google-Gründer Larry Page im Vorwort zu John Doerrs Manager-Lektüre „OKR – Objectives & Key Results“. Das Buch ist eine Anleitung für kennzahlengestützte Führung. OKRs definieren quantitative Ziele und stellen sicher, alle Aktivitäten auf die gleichen Ziele

der gesamten Organisation zu fokussieren. Der Autor und Investor bei Kleiner Perkins Caufield & Byers erklärt das Konzept auf 254 Seiten anhand von Fallbeispielen. Wir verlosen fünf Exemplare des Buchs. Schreibt eine E-Mail (Betreff: OKR) an verlosung@berlinvalley.com. Einsendeschluss ist der 30. November 2018. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

CHE N MI T M A D UN NEN GE W IN

Fotos: Sony Pictures Entertainment, obs/dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH/Teresa Enhiak Nanni

ab 14,99 Euro | Murmann Publishers


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Das ganze OnlineMarketing-Wissen in Ihren Händen!

Drei Bücher für Gründer und Neudenker zum Mitreden – zusammengestellt von Blinkist

Auch als E-Book u nd im Bund le!

„The Creative Curve. How to Develop the Right Idea, at the Right Time“ Allen Gannett | 2018 Dass in uns allen ein kreativer Geist schlummert, der nur wachgekitzelt werden muss, ist die Prämisse in The Creative Curve. Tatsächlich ist kreativer Erfolg nämlich viel vorherseh- und lenkbarer, als man bisher erahnt hatte.

555 Seiten, Klappbroschur, 34,90 Euro ISBN 978-3-8362-6231-6

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„Bullshit Jobs. A Theory“

David Graeber | 2018 Millionen Menschen führen sie täglich aus: sinnlose Bullshit Jobs. Arbeitsstunden schießen trotz bahnbrechender technologischer Fortschritte immer weiter in die Höhe – doch nicht der Sinngehalt unserer Arbeit. Wie können wir das ändern?

1.038 Seiten, gebunden, 59,90 Euro ISBN 978-3-8362-6689-5

„Biohacking. Optimiere dich selbst.“ Max Gotzler | 2018 Besser schlafen. Mehr leisten. Ausgeglichener sein. Länger leben. Lerne in Biohacking Methoden kennen, um Stress, Stimmungstiefs und Energielosigkeit abzubauen und Körper und Geist auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts einzustellen.

Blinkist Die App macht Wissen aus Sachbüchern einfacher zugänglich. Die Kernaussagen werden in clevere Kurz­texte – sogenannte Blinks – verpackt, die sich in 15 Minuten unterwegs lesen oder anhören lassen. blinkist.com

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390 Seiten, broschiert, 34,90 Euro ISBN 978-3-8362-5935-4


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Der High-Tech Gründerfonds (HTGF) ist seit 2005 ein starker Motor für erfolgreiche High-Tech-Gründer. Mit Know-how, Entrepreneurial-Spirit und Leidenschaft begleitet das erfahrene Team aus Investment-Managern und StartupExperten an den Standorten Bonn und Berlin die besten Unternehmen auf ihrem Weg von der Gründung bis zum Erfolg. Eines dieser Unternehmen ist GWA Hygiene aus Stralsund. Mit dem entwickelten Händehygiene-MonitoringSystem NosoEx sollen die Infektionen durch Krankenhauskeime reduziert werden. Die IoT-Lösung, die über Sensortechnik jede Spenderbetätigung sowie die zugehörige Abgabemenge erfasst, ist bereits in 15 Gesundheitseinrichtungen in der DACH-Region im Einsatz.

Förderfinanzierung ist hinten raus superattraktiv. Doch wer viele kleine Schritte auf hochdynamischem Boden geht, hat schlicht keine Ressourcen für den aufwändigen Förderprozess übrig. förderbar nimmt Unternehmern den ganz wesentlichen Teil des Aufwands ab. Wir planen das Projekt, realisieren die Umsetzung durch Fördermittel und begleiten die gesamte Projektlaufzeit. Die Unternehmer können sich so auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und gewinnen Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit. In mehr als 100 erfolgreichen Projekten konnten wir so über 70 Millionen Euro an Fördermitteln einwerben. Zu unseren Erfolgsbeispielen zählen Lemoncat, 6Wunderkinder, Contentful, sofatutor und viele mehr.

GWA Hygiene GmbH Heinrich-Mann-Straße 11 18435 Stralsund gwa-hygiene.de

förderbar GmbH Jean-Monnet-Straße 2 10557 Berlin foerderbar.de

Airbnb für Kreativräume

#verschiedenistnormal

Die Plattform BESPACED bietet Unternehmen die Möglichkeit, Räume und Flächen, die vorübergehend leer stehen oder selten genutzt werden, für Business- und Networking-Events zu vermieten. Mit dem Smart Hosting will die Gründerin Dr. Tatiana Chapovalova die Effizienz der Nutzung urbaner Räume steigern. Die Plattform funktioniert dabei wie Airbnb: Galerien, Showrooms, Cafés, Werkstätten oder einfach coole Büros stellen ihre Räume für Gruppenveranstaltungen zur Verfügung. Gebucht wird stündlich oder tageweise von Unternehmen und Selbstständigen, die auf der Suche nach kreativen Räumen sind. Damit lässt der Gastgeber die Fläche für sich arbeiten, kommt gleichzeitig ins Gespräch und prägt die lokale Kultur- und Businesslandschaft.

Diversicon fördert, vermittelt und coacht qualifizierte Fachkräfte mit Autismus. Wir bringen Autist*innen und Arbeitgeber zusammen und setzen dabei an beiden Seiten an: Zum einen arbeiten wir daran, die Arbeitswelt diverser und inklusiver zu machen, zum anderen bereiten wir in der DiversiconAcade­my unsere Teilnehmenden auf gegenwärtige Situationen am Arbeitsmarkt vor. Wir sind überzeugt davon, dass Menschen, die anders denken, in Teams einen wesentlichen Mehrwert leisten. Mit unserem sozialunternehmerischen Ansatz möchten wir die hohe Arbeitslosigkeit von Menschen mit Autismus verringern und gleichzeitig Arbeitgeber dabei begleiten, Inklusion und Diversity tagtäglich zu leben.

BESPACED UG Hoffeldstraße 88 40235 Düsseldorf bespaced.com

Diversicon HR GmbH Oranienstraße 183 10999 Berlin diversicon.de

Fotos: Rawpixel.com (förderbar)

GWA Hygiene: IoT-Assistent Wir schaffen Freiheit


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Berlin Valley erscheint sechsmal im Jahr in der NKF Media GmbH, Gustav-Meyer-Allee 25, 13355 Berlin, Telefon: 030 46777251, www.nkf.media Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlags. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die in diesem Magazin enthaltenen Angaben werden nach bestem Wissen erstellt und mit großer Sorgfalt auf ihre Richtigkeit überprüft. Trotzdem sind inhaltliche und sachliche Fehler nicht vollständig auszuschließen. NKF Media GmbH übernimmt keinerlei Garantie und Haftung für die Richtigkeit, Aktualität und Vollständigkeit der bereitgestellten Informationen. Alle Angaben sind ohne Gewähr.

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