Thcene Nr. 02/2013

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Die Propheten des Untergangs, die nimmermüden Boten der Apokalypse, sie waren bisher nicht wirklich verlässlich, oder? Ob nun der alte Nostradamus, die Zeugen Jehovas, Erich von Däniken oder zuletzt die Interpreten des ominösen Maya-Kalenders: Für viel mehr als bunte Science Fiction haben sie bisher alle nicht getaugt. Verlässlicher erscheint da vielen die Wissenschaft. Im vergangenen Jahr kursierte eine Liste in den Medien, auf der eine Gruppe von Zukunftsforschern die zehn wahrscheinlichsten Weltuntergangs-Szenarien zusammengestellt hatte. Das Bemerkenswerte an dieser Liste ist, dass die vorderen fünf Plätze ausschließlich menschengemacht sind. Demnach sind es künstliche Viren aus dem Labor, außer Kontrolle geratene physikalische Experimente und atomare Katastrophen, welche die größten Bedrohungen für die Menschheit darstellen. Naturgewalten wie Vulkanausbrüche oder Asteroiden-Einschläge landen dagegen erst auf den hinteren Plätzen. Was am Ende wieder einmal nichts anderes bedeutet, als dass der Mensch selbst des Menschen größter Feind ist und die Wissenschaft sich offenbar selbst nicht über den Weg traut. Der Philosoph Nick Bostrom vom Future of Humanity Institute in Oxford, einer der Co-Autoren der genannten Liste, begründet das folgendermaßen: Die Menschheit hat die letzten 100.000 Jahre überlebt, ohne von Naturkatastrophen ausgerottet worden zu sein – die Wahrscheinlichkeit, dass uns dies in nächster Zeit bevorsteht, ist also eher gering. Andererseits arbeitet die Menschheit erst seit relativ kurzer Zeit an technischen Innovationen und Erfindungen, für deren Risiken und Auswirkungen es noch keine Langzeit-Tests gibt, sprich: Ob und wie wir unsere eigenen Experimente überleben werden, kann noch niemand abschätzen. Am wahrscheinlichsten ist es also, dass wir uns selbst ausrotten. Misanthropen aller Länder dürfen nun applaudieren.

Raten also. Nur am eigentlichen Doomsday, dem 21. Dezember, ging es noch einmal hoch her: Es wurden diverse Bedrohungs-Szenarien diskutiert, "Experten" befragt und Weltuntergangs-Touristen präsentiert, die zu den Ruinen der Maya-Pyramiden nach Mexiko gereist waren. In den Neuen Medien dagegen, in Online-Blogs und Sozialen Netzwerken, trieben die Spekulationen über den möglichen Weltuntergang bereits seit Jahren wilde Blüten: Hier kämpften Killerplaneten, die Umkehrung der Pole, Sonnenstürme und Verschwörungstheorien um Aufmerksamkeit. Dabei waren die angeblichen Beweise und Quellen solcher Theorien so vage wie abenteuerlich. „Woher ich weiß, was 2012 passieren wird? Nun, ich kann keine Details nennen, aber ich habe genug recherchiert, um zu wissen, in welcher Gefahr sich die Menschheit befindetˮ, so wurde einer der zahlreichen Untergangspropheten im Internet zitiert. In diesem Ton waren die meisten der düsteren Voraussagen verfasst: Nichts Genaues weiß man nicht, aber es wird ganz sicher böse enden. Als das Jahr 2012 schließlich ohne Apokalypse zu Ende ging, da wurde schnell klar: Nach dem Weltuntergang ist immer auch vor dem Weltuntergang. Die nimmermüden Boten der Apokalypse arbeiten weiter und der nächste Doomsday wartet schon. Wie wäre es zum Beispiel mit dem 13. April 2029? Dann nämlich soll der Asteroid Apophis der Erde gefährlich nahe kommen. Oder auch im Jahre 2039? Rafft uns vielleicht vorher noch der Klimakollaps hinweg oder doch ein im Labor gezüchteter Supervirus? Kann das nicht mal schnell jemand googeln, irgendwo muss es doch verlässliche Informationen geben! Wenn es ein untrügliches Zeichen eines sich ankündigenden Untergangs gibt, dann das einer allgemein zunehmenden Dekadenz – so lehren es uns die Geschichtsbücher. Die Dekadenz unserer Zeit heißt unter anderem: Informationsverbreitung um jeden Preis, je schneller, desto besser.

Was aber wären wissenschaftliche Prognosen oder die Orakel der Endzeit-Propheten ohne ihre mediale Verbreitung? Was ich nicht weiß, macht mich nicht nur nicht heiß, es macht mir vor allem auch keine Angst. Nachrichtenmedien leben davon, uns Angst zu verkaufen. Und wovor sollten wir uns mehr fürchten als vor dem Ende der Welt? Trotzdem blieb im letzten Jahr der Weltuntergang als Thema in den Mainstream-Medien eher eine Randerscheinung aus der Abteilung "Special Interest". Die Titelseiten und Hauptsendezeiten blieben dem Kerngeschäft der Medien vorbehalten: den schnelllebigen Horrormeldungen aus Wirtschaft und Politik, dem täglichen Untergang auf

Am Ende lässt sich nur feststellen, dass wir das Ende eben noch nicht kennen. Unsere Welt kann auf vielfältige Weise untergehen: Politisch, religiös, mental oder atomar, sie wird sich vielleicht selbst abschaffen oder durch kosmische Einwirkung pulverisiert werden. Womöglich wird es aber auch ein sehr stilles, kaum merkliches Ende werden, das in Wirklichkeit eher einen Übergang in ein neues Zeitalter darstellt. Ein Ende, das ganz ohne Katastrophenmeldungen auskommen wird und über das kein Nachrichtenmedium berichten wird. Vielleicht erleben wir auch einfach nur das Ende aller Nachrichten… Und das wäre doch schon mal ein guter Anfang.

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