Thcene Nr. 02/2013

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Medizin: Können Cannabinoide Krebs heilen? Text: Dr. Manuel Guzman

Cannabinoide, die aktiven Bestandteile von Cannabis, und ihre Abkömmlinge weisen bei KrebspatientInnen lindernde Eigenschaften auf, indem sie Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen verhindern und den Appetit steigern. Zudem hemmen diese Substanzen bei Labortieren – Mäusen und Ratten – das Wachstum von Tumorzellen. Allerdings gibt es zurzeit keine zuverlässigen Beweise, dass Cannabinoide – natürliche oder synthetische – wirksam Krebs beim Menschen heilen können, auch wenn in diesem Bereich geforscht wird. Verständliche Übersichten zu Cannabinoiden und Krebs – inklusive der Angabe wissenschaftlicher Quellen – finden sich auf der Internetseite von Cancer Research UK und auf der Internetseite des Nationalen Krebsinstituts der USA. Im Folgenden werden diese Informationen zusammengefasst und diskutiert. Was ist Krebs? Krebs ist ein in einem umfassenden Sinn verwendeter Begriff für Krankheiten, in denen sich Zellen ohne Kontrolle teilen und im Allgemeinen in andere Gewebe eindringen können. Krebs ist nicht nur eine, sondern viele Erkrankungen: Mehr als 100 verschiedene Krebsarten werden von der Weltgesundheitsorganisation hinsichtlich ihrer feingeweblichen Charakteristika beschrieben. Wahrscheinlich gibt es hunderte, wenn nicht tausende Krebsarten, wenn man sie hinsichtlich ihrer molekularen und genetischen Profile betrachtet. Was sind die häufigsten Krebsarten? Die meisten Krebsarten werden nach dem Organ oder den Zelltypen, in denen sie auftreten, benannt. Darüber hinaus werden Krebsarten im Allgemeinen in die folgenden Kategorien eingeteilt: – Karzinom: Krebs, der in der Haut oder in Geweben, die innere Organe auskleiden oder bedecken, auftritt. – Sarkom: Krebs, der in Knochen, Knorpeln, Fett, Muskulatur, Blutgefäßen oder anderen Binde- oder Stützgeweben auftritt. – Leukämie: Krebs, der in Blut bildenden Geweben wie dem Knochenmark auftritt und zur Produktion einer großen Zahl veränderter Blutzellen führt, die sich dann im Blut befinden. – Lymphom und Myelom: Krebs, der in den Zellen des Immunsystems auftritt. – Krebsarten des zentralen Nervensystems: Krebs, der in Geweben des Gehirns und des Rückenmarks auftritt.

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Hemmen Cannabinoide das Krebswachstum? Nahezu die gesamte Forschung zu Cannabinoiden und Krebszellen wurde bisher an Tiermodellen mit Krebszellen durchgeführt, die im Labor gezüchtet wurden. Viele wissenschaftliche Studien haben davon berichtet, dass verschiedene Cannabinoide (sowohl natürliche als auch synthetische) ein breites Spektrum an wachstumshemmenden Wirkungen auf Krebszellen ausüben. Dazu zählen: – Die Auslösung des Zelltodes durch einen Mechanismus, der als Apoptose bezeichnet wird. – Die Unterbrechung der Zellteilung. – Die Verhinderung der Bildung neuer Blutgefäße in Tumoren – der Vorgang der Bildung neuer Blutgefäße heißt Angiogenese. – Die Reduzierung der Möglichkeiten von Krebszellen, Tochtergeschwülste im Körper zu bilden, indem die Zellen davon abgehalten werden, sich zu bewegen oder in Nachbargewebe einzudringen. – Die Beschleunigung der zellinternen "Abfall-Ablagerungs-Maschine" – ein Prozess, der als Autophagie bezeichnet wird –, was zum Zelltod führen kann. Zusammengefasst sind Cannabinoide wirksame Substanzen, um zumindest einige Krebsarten bei Labortieren – Mäusen und Ratten – zu behandeln. Wie oben erwähnt, wurde nahezu die gesamte Forschung zur Untersuchung der Frage, ob Cannabinoide Krebs behandeln können, bisher im Labor durchgeführt. Es ist daher wichtig, sehr vorsichtig zu sein, wenn diese Ergebnisse auf PatientInnen übertragen werden sollen. Menschen sind wesentlich komplexer als eine Petrischale oder eine Maus. Anekdotische Ergebnisse zur Cannabisverwendung waren in der Geschichte hilfreich zur Vermittlung von Hinweisen auf biologische Prozesse, die vom Endocannabinoidsystem kontrolliert werden, sowie zum möglichen therapeutischen Nutzen von Cannabinoiden. Im konkreten Fall von Krebs gibt es Videos und Berichte im Internet, die argumentieren, dass Cannabis Krebs heilen kann. Diese anekdotischen Hinweise sind – zumindest bisher – extrem schwach und unklar. Hier einige Beispiele, die zur fehlenden Klarheit beitragen: – Wir wissen nicht, ob der (angenommene) Effekt von Cannabis auf einem Placebo-Effekt beruht. – Wir wissen nicht, ob der Tumor aus natürlichen/endogenen Gründen nicht mehr weiter wächst – einige Tumoren verschwinden spontan aufgrund der Abwehrkräfte des Körpers. – Wir wissen nicht, wie viele PatientInnen Cannabis verwendet und keinen therapeutischen Nutzen erzielt haben. Wir kennen daher nicht die (angenommene) Wirksamkeit einer Therapie auf Cannabisbasis. – Da die meisten PatientInnen vermutlich vor oder gleichzeitig mit der Cannabisverwendung eine Standardtherapie erhalten haben, wissen wir nicht, ob die (angenommene) Wirkung von Cannabis in der Tat – zumindest zum Teil – auf der Standardtherapie beruhte, möglicherweise durch Cannabis verstärkt wurde. Dafür haben wir zumindest keinen Beweis. – Wir kennen nicht die einzelnen Parameter des Tumorwachstums, die überwacht wurden, und wie lange der/die PatientIn überwacht wurde. Viele der möglichen nützlichen Wirkungen von Mitteln gegen Krebs (oder in diesem Fall von Cannabis) sind nur kurzzeitige Wirkungen. Was ist aber mit dem langzeitigen Überleben mit bzw. ohne Tumorwachstum? – Krebs ist eine sehr heterogene Krankheit mit unterschiedlichen Ausprägungen, und bisher hat niemand eine ausreichend große Zahl von PatientInnen mit einer bestimmten Krebserkrankung zusammengebracht, um die Auffassung unterstützen zu können, dass Cannabinoide bei dieser spezifischen Krebserkrankung wirksam sind.


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