SS 21_Shari Brunsmann

Page 1

Bildungsreise


Shari Brunsmann Prof. Kazu Blumfeld Hanada Sommersemester 2021 © msa | münster school of architecture 2021


Bildungsreise


Schulbau ist eine der aktuellsten und schönsten Aufgaben der Gegenwartsarchitektur. Alfred Roth, 1957


[01.01] Kinder der Montessori Schule, Delft, um 1966


Inhalt


Vorwort

01_[Reform] Pädagogik

008

010

Basis Anfänge Pausierung Umbruch Heute Morgen

02_Schulhaus

042

junge Typologie Bildungsreise Elemente

03_Stadtschule

175

Umgebung Konzept Entwurf

Literatur

242

Abbildungen

245


8

Vorwort


9

Ein Besuch der Schule von Hans Scharoun in Marl hat mir gezeigt, welch spannende Typologie das Schulhaus darstellt, wie viel Einfluss sie tatsächlich auf eine Person haben kann und wie unterschiedlich sowie facettenreich dieser Bereich der Architektur, aber auch der Gesellschaft ist. In jedem Kopf werden Erinnerungen geweckt, wenn es um das Thema Schule geht. Sei es ein bestimmter Ort, oder Menschen, welche die Schulzeit mit einem gemeinsam verbracht haben, oder bloß ein Geruch. Die Schule ist ein Ort, der uns alle verbindet und lebenslang prägt. Dort werden wir darauf vorbereitet, Teil der Gesellschaft zu werden, uns in diese zu integrieren und sie mitzugestalten. Genau wie die Gesellschaft momentan weitreichende Änderungen erfährt, beispielsweise durch das stärkere ökologische Bewusstsein, Globalisierung und jüngst durch die Corona-Pandemie, sind die Wirtschaft und auch das Bildungssystem von teils grundlegenden, strukturellen Veränderungen betroffen. Welche Werte sollen den Kindern und Jugendlichen in diesem sich rasch verändernden Umfeld mitgegeben werden? Wie flexibel muss ein Schulgebäude sein, um der fortschreitenden Digitalisierung gerecht zu werden? Inwiefern wird sich das Bildungssystem generell verändern? In dieser Arbeit wird die Schule als junge Typologie, aber auch aus pädagogischer Sicht, mit Konzentration auf Primar- und Sekundarstufe, eingehend betrachtet und analysiert. Dabei wird der Wandel im Laufe der Zeit durch pädagogische, gesellschaftliche und architektonische Gesichtspunkte erläutert und neue Tendenzen in der Schule als Bildungsstätte und Typologie aufgezeigt. Auf Basis der Erkenntnisse folgt ein Entwurf für eine Gesamtschule.


10

Basis

Basis

Das Konzept einer Person, welche anderen Personen Wissen vermittelt, ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Als soziale, in einer Gruppe agierende Lebewesen sind wir davon abhängig, voneinander zu lernen. Dabei geht es nicht nur um praktische oder geistige Fähigkeiten, sondern auch um soziale Verhaltensweisen. Über Jahrtausende war ein Schulhaus, welches wir heute als Standard sehen, quasi nicht existent. Wissensvermittlung in einer Art, welche dem heutigen Unterricht ähnelt, fand unter freiem Himmel oder in kleinen Hütten statt. Lange Zeit waren religiöse Einrichtungen wie beispielsweise Klöster, der einzige Ort der Wissensvermittlung. Lediglich die Geistlichen hatten hierbei Zugang zu Bildung. Die Bevölkerung indes konnte weder lesen noch schreiben, sodass die Kirche absolute Macht und Autorität hatte. Im späten Mittelalter entstanden kleine, religiös geprägte Schulen. Diese konnten nur von Kindern wohlhabender Eltern besucht werden. Die zunehmende Verstaatlichung der Schulen machte Bildung im 19. Jahrhundert für eine breitere Masse zugänglich. Mädchen wurden dabei fast vollständig vom Unterricht ausgeschlossen. Während der Kaiserzeit (1871 - 1918) hatte militärischer Drill oberste Priorität. Wissensvermittlung war zweitrangig. Die Schulen sollten möglichst viele systemtreue Untertanen und brauchbare Soldaten hervorbringen.


11

01_[Reform] Pädagogik

In der Schule wurden die Kinder durch die Lehrer(-innen) schikaniert, unter Druck gesetzt und häufig sogar körperlich gezüchtigt. Ein Schüler hatte zu gehorchen und sich zu fügen. Eigenständiges Denken und Handeln war undenkbar. Die Kinder mussten während des Unterrichts aufrecht und still dasitzen und den Lehrer als höchste Autorität hinnehmen. Freude oder Kreativität hatten dort keinen Platz. Der natürliche Bewegungsdrang der Kinder wurde ignoriert und die militärischen Leibesübungen, wie etwa marschieren, wurden diesem auch nicht gerecht. Audie J. Lynch fasst die Wesensmerkmale der „alte[n] Schule“ wie folgt zusammen: Aufmerksamkeit und Gehorsam, Abschreiben und Kopieren, keine Bewegung ohne Erlaubnis, kein Sprechen ohne Erlaubnis, kein Lachen ohne Erlaubnis, Konstitution auf besser und Bester sein, Konkurrenz und keine Hilfsbereitschaft.1 Um die Jahrhundertwende befand sich die Gesellschaft immer mehr im Umbruch. Die voranschreitende Industrialisierung zog eine nachhaltige Umwälzung gesellschaftlicher Strukturen mit sich, welche den Wandel von einer Agrar- hin zu einer Industrienation erfuhr. Diese Zeit war auch durch ein starkes Bevölkerungswachstum geprägt, mit einem Anstieg von 24 Millionen Menschen von 1871 bis 1910.2 Dies hatte auch eine starke Verjüngung der Bevölkerung zufolge, welche neue Herausforderungen mit sich brachte. Viele Menschen hatten durch den großen Wandel Hoffnung auf Veränderung ihrer Lebensumstände, was zu einer umfangreichen Binnenwanderung von Land zu Stadt und auch Auswanderungen, vorzugsweise nach Amerika, führte. Das rasante Wachstum der Städte zog zahlreiche Entwicklungen von Infrastruktur, Verkehr, Kommunikation, Handel, sozialer Organisation und Bildung nach sich. Allgemein standen die Menschen den Veränderungen positiv gegenüber, ebenso wie der stetigen Entwicklung zum modernen Sozialstaat. Kritische Stimmen wurden jedoch mit der Zeit immer lauter. Gegner sahen beispielsweise einen Untergang der Kultur in der zunehmenden Technisierung. Ärmere Sozialschichten, welche von der Technisierung unberührt blieben, fühlten sich massiv benachteiligt. Die Gesellschaft des späten Kaiserreichs war geprägt von Gegensätzen und unüberbrückbaren Widersprüchen. Militarismus und Friedensbewegung. Technisierung und Wissenschaftskritik. Frauenemanzipation und Minderheitendiskriminierung. Skepsis gegenüber vorhandenen sozialen Strukturen und lauten Stimmen der Zivilisations- und Kulturktritik brachten Ansätze des Aufbruchs mit sich. Neue Strömungen und Bewegungen wie Naturalismus, Jugendstil, Expressionismus, Werkbund und Reformpädagogik gewannen zunehmend an Aufmerksamkeit.3

3

1

vgl. 10 | 270

2

vgl. 10 | 50

vgl. 10 | 51-53


12

Anfänge

Anfänge

4

vgl. 10 | 376

Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht für alle Kinder, egal welchen Geschlechts oder sozialer Herkunft, wurde erstmalig in der Weimarer Verfassung von 1919 festgehalten und ebnete den Weg für eine erstmals flächendeckende Bildung in Deutschland (Abschnitt 4, Art. 145 (1) Weimarer Verfassung 1919: „Es besteht allgemeine Schulpflicht [...]“). Auch wenn gesetzlich festgehalten, besuchten noch immer nicht alle Kinder die Schule, welche noch immer von autoritären Strukturen und Frontalunterricht geprägt war. Immer mehr Pädagogen befanden einen grundlegenden strukturellen Wandel des Unterrichts für nötig. Die sogenannten Reformpädagogen haben eine Überwindung des stumpfen Frontalunterrichts zum gemeinsamen Ziel. Dies geschieht durch die Entwicklung neuer didaktisch-methodischer Formen,die Neudefinition der Lehrerrolle, welcher zu einem Lernbegleiter werden soll sowie durch eine bewusste pädagogische Funktionalisierung der (Lern-)Zeit und des (Lern-)Raumes; also eine grundlegende Neugestaltung der Schule im Ganzen.4 Auch wenn jeder Reformpädagoge ein eigenes Konzept entwickelt hat, weisen sie doch alle Gemeinsamkeiten auf. Die Reformpädagogik geht immer vom Kind aus. Aus ihm heraus wird die Schule gedacht. Es erfährt einen Wandel vom passiven Objekt der alten Schule zu einem aktiven Subjekt der neuen Schule. Das Kind lernt in der Gemeinschaft, durch sich selbst und von anderen Kindern. Es gibt keine autoritäre Lehrperson. Diese wird zum kindgerechten Helfer. Das Kind wird in seiner Natur akzeptiert und


13

01_[Reform] Pädagogik

soll sich frei entfalten dürfen. Jegliche Art physischer und psychischer Gewalt wird konsequent abgelehnt. Die Politik der Weimarer Republik stand der Reformpädagogik äußerst offen gegenüber und führte Gesetze ein, welche die Anwendung der neuen Konzepte ermöglichte. So wurde beispielsweise 1920 die gemeinsame vierjährige Grundschule in der Verfassung festgehalten. Weitere Zusammenlegungen wurden von Konservativen und von der Kirche verhindert. Die Reformpädagogen wollten alle Schulformen in der Gesamtschule bzw. Einheitsschule vereinen und so der Entwicklung von gesellschaftlichen Klassen entgegenwirken. Der Gedanke einer Reformschule ist nicht grundlegend neu. Viele Theorien der 1920er Jahre beruhen auf Überlegungen aus Zeiten der Aufklärung. Bereits im 17. Jahrhundert stellt Johann Amos Comenius (1592 - 1670) zahlreiche Untersuchungen zum Lernen und Lehren an. Dabei konzentriert er sich besonders auf Prinzipien, Lehrweisen und Ziele der Schule, um diese anschließend zu einer Vollständigkeit umzustrukturieren. Seine Motivation zur Forschung in diesem Feld liegt in seiner Kindheit begründet, welche für ihn mit vielen äußerst negativen Erinnerungen an seine Schulzeit verbunden ist. Für ihn ist die Schule ein Ort des „Kinderschreckens“ und der „Geistesfolter“ (Comenius, Johann Amos (1970): Große Didaktik, übersetzt und herausgegeben von Andreas Flitner, Düsseldorf und München: Verlag Helmut Küpper, S.65). Die Gesellschaft zur Zeit Comenius ist geprägt von einem religiös-christlichen Weltverständnis, welches den Menschen als den verantwortlichen Mitschöpfer seiner selbst und seiner Verhältnisse versteht. Comenius macht es sich zur Aufgabe, die Schule in einer Art zu gestalten, dass sie für Kinder anziehend wirkt und sie gerne freiwillig dort verweilen. Ihnen darf dabei nichts aufgezwungen werden und die Lehrperson wird zum behutsamen und liebevollen Vorgehen aufgefordert. Auch das Gebäude und die Umgebung sollen dafür hell und freundlich sein. Viele seiner Theorien begründet er mit Naturgesetzen. So bedarf das natürliche Wesen der Kinder einen entsprechenden Unterricht. Diese sollen anhand von eigenen Erfahrungen und nach dem Prinzip der Anschauung lernen. Die Kinder werden ermuntert, mit all ihren Sinnen zu lernen. Dabei kann es um das Ertasten und Riechen einer Baumrinde gehen oder dem Ermüden nach ausgiebigem Toben im Schulgarten. Das „Selbst“ hat entsprechend große Bedeutung für Comenius. Selbstsehen. Selbstsprechen. Selbsthandeln. Selbstanwenden. Ziel ist eine „menschenfreundliche Schule“, die nach Comenius nur kindgerecht ist, wenn der Unterricht dem Alter des Kindes entspricht, die natürliche Neugier des Kindes weckt und die Schule den kindlichen Bedürfnissen nach Geselligkeit, Spiel und Bewegung entgegenkommt.5

5

vgl. 10 | 36-38


14

Anfänge

Neben Johann A. Comenius gilt Jean-Jaques Rousseau (1712 - 1778) als einer der Wegbereiter der Reformpädagogik. Auch er legt seinen Schwerpunkt dabei auf Erlebnispädagogik, Selbsttätigkeit und der Schaffung einer Basis, welche das Kind dazu befähigt, sich selbst zu helfen. Sein wichtigstes literarisches Werk ist „Émile oder über Erziehung“ (1762), in dem er Beobachtungen eines Kindes festhält, welches annähernd ohne negative Einflüsse aufwächst und beinahe auf sich selbst angewiesen ist. Es wächst demnach ohne gesellschaftliche Konventionen und Normen auf, sodass es seine eigenen moralischen Vorstellungen hervorbringt. Dabei lernt es durch Erfahrung und Irrtum, wobei in Wirklichkeit der Erzieher durch „nichtdirektive Führung“ das Kind hinter dessen Rücken so stark beeinflusst, dass es mit der Meinung des Erziehers übereinstimmt. Diese Paradoxie kennzeichnet die Pädagogik Rousseaus. Grundlegend geht Rousseau von der Existenz verschiedener Lebensabschnitte aus, sodass er Kinder nicht als kleine Erwachsene, wie seinerzeits üblich, sondern tatsächlich als Kinder mit ihren ganz eigenen Bedürfnissen sieht. Diese soll das Kind in seiner Schule uneingeschränkt ausleben dürfen. Es wird lediglich inszenierte Lernszenen vorfinden, welche jedoch vom Kind nicht als solche wahrgenommen werden. Der Lehrer agiert begleitend mit Ermunterung und anregenden Fragen.

6

vgl. 1 | 16-18

Nicht nur in Deutschland fanden zu Anfang des 20. Jahrhunderts große Umwälzungen statt. Weltweit, besonders in Nordamerika und Europa entwickelten Pädagogen reformative Konzepte. Die Menschheit war geprägt durch großen Reformwillen und Aufbruch. Dieses Krisenbewusstsein ist die entscheidende Bedingung für die Entstehung und Etablierung der Reformpädagogik. Diese kann sich in einem Konzept oder grundlegenden, strukturellen Änderungen, die auch das Schulgebäude betreffen, äußern. Die neuen didaktischen Methoden, wie z.B. Selbsttätigkeit, benötigten entsprechende Arrangements. Zu Beginn waren die Reformpädagogen länderübergreifend miteinander vernetzt, sodass sich Theorien schnell verbreiteten und sie als eine geschlossene Gruppe in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Reformpädagogische Konzepte wurden zunächst in Privatschulen angewandt, sodass die breite Masse weiter nach den Prinzipien der Regelschule unterrichtet wurde, wobei die Reformpädagogen immer mehr in die Öffentlichkeit traten.6 Die Gründung des „Bund für Schulreform“ folgte 1908 als allgemeiner deutscher Verband für Erziehungs- und Unterrichtswesen, welcher später unter den Nazis aufgelöst wurde. Bis 1918 ging es vorrangig um die Arbeitsschule (allgemeine berufliche Bildung), das Landerziehungsheim, Erziehung zu Toleranz, die Einheitsschule und die Kunsterziehungsbewegung vor allem als Reaktion auf die Kulturkritik. Eine bedeutende Reformpädagogin war Helen Parkhurst (1887 - 1973), die 1917


15

01_[Reform] Pädagogik

den Dalton-Plan konzipiert. Sie verzichtet dabei beinahe komplett auf Frontalunterricht und das Kind trägt selbst die Verantwortung zur Aneignung von Wissen. Der Dalton-Plan ist heute noch in vielen Schulen der USA und den Niederlanden verbreitet. Die Idee zum Dalton-Plan kam Parkhurst nachdem sie als Lehrerin gleichzeitig sieben Klassen beschäftigen und teilweise noch mündlich instruieren musste. Sie überlegte sich Aufgaben um die Kinder möglichst lange in Selbsttätigkeit zu beschäftigen, bis sie Zeit gefunden hatte, sich aktiv mit diesen zu beschäftigen. Die älteren Kinder wies sie dazu an, den jüngeren zu helfen. In den Klassenräumen richtete sie verschiedene Bereiche ein, die jeweils einem anderen Fach gewidmet waren, die sog. „subject corners“. Die Sekundarstufe erhält zusätzlich die „Laboratories“ (Fachräume), in denen die Schüler in den entsprechenden Phasen der Freiarbeit ihr Pensum erarbeiten konnten. Parkhurst arbeitete ihr Individualisierungskonzept, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der sozialerzieherischen Komponente, immer weiter aus. Feste Zeiten für freie Lernphasen erhielten Einzug in den Schulalltag. Während dieser Zeit konnten die Schüler ihr Wochenpensum in eigener Geschwindigkeit bearbeiten. Der Dalton-Plan zielt vor allem auf die Aneignung von moralischen und sozialen Fähigkeiten sowie das Heranwachsen zu einem selbstbestimmten und -gesteuerten Teil der Gesellschaft ab. Er stützt sich auf ein einfaches Konzept, welches in bereits bestehende Schulen integriert werden kann und womöglich deshalb eine rasche Verbreitung erfuhr.7 Die Schuldruckerei ist untrennbar mit dem Reformpädagogen Célestin Freinet (1896 - 1966) verbunden. Freinet war bekennender Sozialist und träumte von einer klassenlosen Gesellschaft, welche in Kooperation und Kameradschaft agierte. Freinet war als Lehrer tätig und wollte nach seiner Rückkehr aus dem Krieg nicht mehr in alten Routinen verweilen. Sein Umfeld war geprägt von extremen sozialen Widersprüchen sowie internationalen Spannungen und Katastrophen. Freinet bettet die Erziehungsfrage in die damalige soziale Frage nach der Befreiung von ungerechter Herrschaft und Kapitalismus ein. Er möchte einen sozialen Raum mit angemessenen organisatorischen Formen und technischen Mitteln schaffen. Dabei möchte er Lernende und Lehrende von Zwängen der alten Schule befreien und den freien Ausdruck ermöglichen. Die Schüler sollten zu einer Gemeinschaft werden, die loyal und kameradschaftlich agiert. Im Jahr 1935 eröffnete er die erste „Privatschule für Proletarier“. Wie auch schon Comenius legt Freinet großen Wert auf das „Selbst“ mit Selbsterfahrung und handwerkliche Tätigkeiten. Das Kind muss selbst Erfahrungen machen. Voraussetzung dafür ist ein geeignetes Umfeld, bspw. mit Wiesen,

7

vgl. 10 | 269-286


16

8

9

vgl. 10 | 311-329

vgl. 1 | 270

Anfänge

Feldern, Arbeit, Tieren und Werkzeug. Der Erziehende steht dem Kind immer unterstützend zur Seite. Die Schuldruckerei, in der die Kinder ihre Texte und Aufsätze drucken und zu Büchern binden konnten, wird zum Markenzeichen der Freinet-Pädagogik. Heute, in Zeiten der Digitalisierung, verliert die Schuldruckerei allerdings zunehmend an Bedeutung. Am Nachmittag findet die „klasse promenade“ statt, in der Freinet mit seinen Schülern einen Spaziergang unternimmt. Generell stellt er den Lehrplan nicht in Frage, möchte ihn aber zugunsten der Interessen und Bedürfnisse der Kinder in einen „Allgemeinen Arbeitsplan“ umstrukturieren. Der Aufbau der Persönlichkeit des Kindes, und nicht die Wissensvermittlung, ist zentrales Thema. Seine Schule unterscheidet sich bereits in ihrer Erscheinung stark von anderen zeitgenössischen Schulen. Der Klassenraum soll groß sein, mit Gruppentischen und in verschiedene Zonen (Ateliers) unterteilt. Diese Ateliers dienen z.B. der Landwirtschaft, verschiedenen Handwerken und Haushalt, Handel, Naturwissenschaft, Kunst, Gestaltung, Kommunikation und einer Arbeitsbücherei. Heute werden sie u.a. durch Arbeit mit Projektoren, Tonband und Film ergänzt. Außerhalb des Unterrichtsraums, in der nahen Umgebung, gibt es Räume und Flächen, die der Garten- und Feldarbeit, sowie ggf. der Viehzucht gewidmet sind. Die fernere Umgebung dient den nachmittäglichen Spaziergängen bzw. Erkundungsgängen. Die Schulgemeinschaft organisiert sich durch einen Klassenrat, individuelle Arbeitspläne und der Wandzeitung, die für informative Zwecke und Feedback gedacht ist.8 Peter Petersen (1884 - 1952) setzt mit seinem Jena-Plan besonders auf die Zusammenarbeit von Schülern, Lehrern und Eltern. Im Jahr 1924 eröffnet Petersen seine Schule mit insgesamt 24 Kindern der Grundschuljahrgänge 1 bis 4. Diese soll keine Elite- oder Masseschule sein, sondern eine familienorientierte Schule überschaubarer Größe. Wie viele andere Reformpädagogen fordert Petersen die Zusammenlegung aller Schulformen zu einer Gesamtschule. In Deutschland gibt es heute rund fünfzig Schulen (Stand 2018), die nach diesem Konzept arbeiten.9 In der Jena-Plan-Schule, welche zu Beginn auch Universitätsschule genannt wurde, erprobt Petersen, der 1923 eine Professur für Erziehungswissenschaften an der Universität Jena innehat, praktisch sein Konzept einer alternativen Schule. Sein Anliegen ist die theoriefundierte Veränderung von Schule und Unterricht nach den Grundsätzen der „neuen Erziehung“, welche aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, u.a. der Fachbereiche Pädagogik und Psychologie, hervorging. Dort entwickelt er von 1924-1932 sein Schulkonzept, ausgehend von einer stetig wachsenden Kenntnislage, weiter. Petersen entwickelte ein Gesamtkonzept von schulischer Erziehung und Bildung, welches auf Koedukation und Inklusion großen Wert legte und jeden willkommen hieß. Auf


17

01_[Reform] Pädagogik

Jahrgangsklassen wurde verzichtet, die Kinder saßen an Gruppentischen zusammen, zu einer Zeit, in der festgeschraubte Bänke und Tische das Bild der Regelschulen prägten. Die Gruppen bestanden aus jeweils drei Jahrgängen. Jedes Kind durchlief die Position des Jüngsten und Ältesten, bis es sich mit Wechsel in die nächste Stufe (vierte Klasse) wieder als Jüngster wiederfindet. Das Kind erfährt dabei die Situation des Hilfebedürftigen sowie des Helfenden. Die Gemeinschaft, auf welche Petersen großen Wert legt wird hierdurch zunehmend gestärkt. Unterricht findet in der altersgemischten Kerngruppe neben dem, mit zunehmendem Alter der Kinder aufgefächerten Kursangebot nach individuellem Interesse und Leistungsvermögen statt. Anstelle von Noten gab es „Berichte“. In der halbjährigen „pädagogischen Rückschau“ führten Kinder in einer kleinen Gruppe, zu zweit oder selten alleine, die Ergebnisse ihrer Arbeiten, Projekte und Leistungen den Eltern vor. Petersen folgte dem Prinzip des Wochenplans. Dieser gibt individuell für jedes Kind bestimmte Aufgaben vor, die während der Freiarbeitsphase bis zum Ende der Schulwoche bearbeitet werden mussten. Einerseits übernahmen die Kinder Verantwortung für ihr Lernen, andererseits konnten sie nach ihren Interessen und Neigungen bei der Bearbeitung der Aufgaben vorgehen. Die Schule sollte einer „Lebensstätte“ nachkommen und eine wohnliche Gestaltung aufweisen. Dafür ließ Petersen sogar Schulmöbel nach den Entwürfen des Bauhauses in Dessau anfertigen [01.02]. Die (geistige) Bereicherung durch alle Mitglieder der Schulgemeinschaft und der Schwerpunkt auf musisch-künstlerischen Unterricht beschreiben den Kern der Jena-Plan-Schulen. Noch heute haben Arbeitsunterricht und Werkunterricht in Textil, Holz und Metallverarbeitung einen hohen Stellenwert.10

[01.02] Klassenzimmer der Jena-Plan Schule um 1924

10

vgl. 1 | 191-197


18

11

vgl. 11

12

vgl. 12

Anfänge

Die Industrialisierung war Auslöser für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Veränderungen. Die Städte waren durch das enorme Bevölkerungswachstum und enorme Urbanisierung an die Grenzen ihrer Kapazitäten gekommen. Rauch, Schmutz, unhygienische Zustände und Platzmangel bestimmten den Alltag der Einwohner. Gesundheitliche Schäden ließen nicht lange auf sich warten. Licht, Luft und Sonne wurden, besonders für Architekten und Städteplaner, zum Inbegriff und Aufgabe der folgenden Jahre. Auch Pädagogen und Ärzte brachten bald neue Konzepte hervor: die Freiluftschulen. Diese zeichnen sich durch eine starke Naturverbundenheit aus und sind in der Regel fernab der Städte angesiedelt. Viele Kinder litten unter dem Mangel an Frischluft, fehlender psychischer, sowie physischer Entspannung und dem verlorenen Bezug zur Natur. Bereits 1881 wollte der Kinderarzt Adolf Balinsky die erste Waldschule gründen. Sein Anliegen war die Gesundheitsförderung der Stadtkinder, welchen er eine Erholungsmöglichkeit bieten wollte. Der Bau der Schule wurde schlussendlich abgelehnt. Bernd Bendix und Hermann Neufert nahmen 1904 den Gedanken einer Waldschule wieder auf und wollten den geschwächten Stadtkindern eine mehrwöchige Kur, abseits der Großstadt, ermöglichen. Die Gründer legten hierbei großen Wert auf die Weiterführung des Unterrichts, sodass die Kinder nach dem Sommer ohne größere Bildungslücken wieder in den normalen Unterricht zurückkehren konnten. Realisiert wurde die Waldschule in Berlin Charlottenburg, nahe des Grunewalds [01.04]. Im Gegensatz zu den 40 bis 50 Schülern einer Klasse der Regelschulen umfassten jene der Waldschule maximal 25 Schüler. Das Zusammenleben sollte von Unbeschwertheit und Heiterkeit geprägt sein. Die Kinder arbeiteten selbsttätig und in Gruppen. Nicht zuletzt die Förderung durch den Preußischen Staat verhalf der Waldschule zu großem Zuwachs.11 Neben den Waldschulen gab es auch einige Freiluftschulen am Meer, wie beispielsweise die Schule auf Juist, welche von 1925 bis 1934 als privates Internat geführt wurde [01.03]. Meist waren es Kinder mit gesundheitlichen Einschränkungen, die von ihren Eltern zu dieser Schule geschickt wurden. Dort gab es zahlreiche Beschäftigungen im Freien, wie Wattwanderungen, Segeln, Herumtoben am Strand, das Erforschen von Flora und Fauna der Insel oder auch der Sportunterricht. Durch das Stattfinden dieser Tätigkeiten zu jeder Jahreszeit wurden die Kinder und Jugendlichen physisch stark abgehärtet.12 Die Schule am Meer zählt zu der Gruppe der Landerziehungsheime. Die Bezeichnung gibt bereits Aufschluss über dessen Konzept: „Land“ deutet auf die Absonderung von der unhygienischen Stadt hin, „Erziehung“ betont die neue Rolle der Pädagogen und schlussendlich soll die Schule dem Kind zum „Heim“


19

01_[Reform] Pädagogik

[01.03]

[01.04]

[01.05]

[01.06]

[01.03] Schule am Meer. 1929 [01.04] Waldschule Grunewald. 1904 [01.05] Openluchtschool San Domenico Davio. Jos Bedaux. Goirle. 1960 [01.06] Schüler mit Sonnenhüten. London. 1933


20

13

vgl. 10 | 108

14

vgl. 1 | 218

15

vgl. 6 | 145

16

vgl. 1 | 281

Anfänge

und Wohnort werden. Bekannt sind vornehmlich das Landerziehungsheim von Hermann Lietz, mit täglichen Wanderungen, landwirtschaftlichen Arbeiten und Kunstübungen sowie die Summerhill School von Alexander S. Neill, der komplett auf einen autoritären Erziehungsstil verzichtete. Sie setzen beide auf Charakterbildung, Sittlichkeit und körperliche Erziehung und sind durch die Form eines Internats stark von äußeren Einflüssen abgeschirmt, finden sich dennoch in einer ansprechenden Umgebung wieder.13 Neill vertrat die Meinung, dass Kinder sich, entsprechend ihrer Möglichkeit und wenn sie nicht daran gehindert würden, selbst entfalten. Er ging sogar so weit, dass er es den Schülern freistellte, den Unterricht zu besuchen.14 Die Kinder sollten eher ihren natürlichen Trieben und Neigungen nachgehen. Spielen empfand Neill als grundlegendes Recht eines Kindes (nach Neill 1971; S. 42). Die wohl bekannteste (Reform-)Pädagogin ist Maria Montessori (1870 - 1952). Ihre Pädagogik steht für einen bedürfnisorientierten Bildungsweg des Kindes, für freiheitliches Lernen und achtsame Begleitung von jungen Kindern durch die Lehrenden, welche als Vorbild fungieren. Der Ausspruch „Hilf mir, es selbst zu tun!“ fasst ihre Pädagogik beinahe in einem Satz zusammen und ist bis heute ein Impulsgeber in Diskursen über ein inklusives Schulsystem. In Deutschland gibt es 400 Montessori-Schulen, ca. 25.000 weltweit15 in 126 Ländern und insgesamt, nach einer Schätzung der zusätzlichen Montessori-Schulen in China, rund 65.000 Einrichtungen. Damit ist die Montessori-Pädagogik seit Beginn das weltweit am häufigsten angewandte reformpädagogische Konzept. Maria Montessori, welche eigentlich Ärztin ist, arbeitet zunächst an einer Schule für behinderte Kinder. Erfolgreich erreicht sie ihr Ziel, diese Kinder an den Abschlussprüfungen der Regelschulen teilnehmen und bestehen zu lassen. Im Jahr 1902 gibt sie diese Tätigkeit zunächst auf, um an der Universität in Rom ein weiteres Studium mit dem Schwerpunkt in der (pädagogischen) Anthropologie zu beginnen. Montessori hospitiert in vielen Schulen und führt empirische Studien durch, wobei sie erforscht, inwiefern ihre Erkenntnisse aus der Arbeit mit behinderten Kindern, sich auch auf gesunde Kinder übertragen ließen.16 Nach Montessori sind Kinder individuelle Persönlichkeiten mit der Fähigkeit zur Eigenaktivität und zum freien Denken. Sie kritisiert das bestehende Bildungssystem besonders dahingehend, dass den Kindern unter Zwang und Bevormundung die Lust am Lernen genommen würde. Die vorherrschende „Paukschule“ sei Ausdruck einer „Pädagogik, die nach fertigen Vorstellungen Kinder formen und führen will, anstatt sich stärker an ihren individuellen Lernvoraussetzungen und Interessen zu orientieren“ (nach Klein-Landeck/


21

01_[Reform] Pädagogik

Pütz 2011). Montessori präferiert das freie Lernen in einer vorbereiteten Umgebung, welche das Kind zum selbsttätigen Handeln animiert. Diese Umgebung muss den verschiedenen, von Montessori definierten, Entwicklungsstufen gerecht werden. Diese dauern jeweils ca. sechs Jahre und in diesen sind die Kinder für bestimmte Einflüsse äußerst empfänglich und entwickeln spezifische Fähigkeiten. Sobald die verwendeten „Arbeitsmaterialien“ nicht mehr dem Lernund Entwicklungsstand des Kindes entsprechen, tritt dieses in die nächste Entwicklungsstufe ein.17 Das sogenannte Arbeitsmaterial wird in der täglichen „Freiarbeit“ vom Kind genutzt. Es behandelt jeweils nur eine Problemstellung, auf welche das Kind seine gesamte Aufmerksamkeit richten kann. Die Materialien enthalten zudem Möglichkeiten zur Selbstkontrolle, sodass das selbstständige Arbeiten weiter gefördert wird. Wie schon in anderen pädagogischen Konzepten sieht Montessori eine tägliche Zeit für Freiarbeit vor, in der sich die Kinder einer bestimmten Aufgabe zuwenden können. Dies kann alleine, in Teams oder Gruppen geschehen, wobei die Lehrperson als zurückhaltender Helfer fungiert. Der Raum muss hierfür entsprechend vorbereitet sein. Die Kinder brauchen großen Bewegungsspielraum, Materialien müssen selbstständig aus Regalen genommen und nach Bearbeitung wieder zurück gebracht werden können. Für ältere Kinder sieht sie eine komplett neue Umgebung an einem anderen Ort vor, an dem entsprechend andere Fähigkeiten erlernt werden können. Die Freiarbeit findet in altersgemischten Gruppen statt. So können Kinder unterschiedlicher Entwick-

[01.07] Schüler einer Montessori Schule während der Freiarbeit mit Arbeitsteppich

17

vgl. 1 | 182 + 276


22

18

vgl. 1 | 336

19

vgl. 1 | 186

20

vgl. 10 | 215

21

vgl. 10 | 266

Anfänge

lungsstufen miteinander und voneinander lernen. In den höheren Stufen wird die Freiarbeitszeit zunehmend reduziert und eher als Projektarbeit definiert. Spielerisches Lernen steigert die Hirnaktivität und macht es den Kindern leichter, zu lernen. Empirische Forschungen belegen die speziellen Fähigkeiten von Montessori-Schülern in Mathematik und Naturwissenschaften, aber ganz besonders in den sozialen Kompetenzen (vgl. Meisterjahn-Knebel, Eck 2012; Kowalewsky 2016). Eine weitere Studie (Suffenplan 2006) belegte signifikant höhere Lernstände der Montessori-Schüler in Geometrie und Sachrechnen, was wahrscheinlich auf das bildliche Arbeitsmaterial zurückzuführen ist.18 Das Kind hat die Aufgabe, sich in tätiger Auseinandersetzung mit der Umwelt zu einem selbstständigen Menschen zu entwickeln. Dieser unterliegt nach Montessori einem „kosmischen Gefüge“, in dem alles miteinander verbunden ist und jedes Handeln Folgen für den Kosmos hat. Für Montessori ist der Schöpfungsprozess nicht abgeschlossen und jeder Mensch muss diesen verantwortlich mitgestalten. So wird jedes Kind auf seine eigene „kosmische Mission“ vorbereitet, welche es im Laufe seines Lebens zu erfüllen hat.19 Die „kosmische Erziehung“ ist die einzige Abweichung vom Lehrplan, an dem standardmäßig an Montessori-Schulen festgehalten wird. Montessori geht es in ihrer Pädagogik generell eher um das „Wie“ als um das „Was“. Diese Methode lässt sich auf die Reformbewegungen des jungen 20. Jahrhunderts zurückführen. Der Einfluss der Kirche schrumpfte zusehends und die Menschen suchten nach neuen Ansichten und Leitbildern, welche die Gesellschaft voranbringen würden. Montessoris Denken ist hierbei von den wissenschaftlichen Strömungen des Positivismus sowie Naturalismus geprägt.20 Ihr Erziehungsbegriff beruht auf der Vorstellung des „normalisierten“ Kindes, das seiner „Natur“ und seinem „kosmischen Plan“ folgen soll. Es muss sich mit seiner Umwelt auseinandersetzten und zu einem selbstständigen Menschen entwickeln. Dabei kann es sich auf seine innere Stimme verlassen, die ihm ein Lehrmeister ist. Als einziger Reformpädagoge sieht Rudolf Steiner (1861 - 1925) seine Waldorfschule als ein Nebenprodukt einer allumfassenden Lebens-, Gesellschaftsund Weltbildreform. Er folgte der anthroposophischen Weltanschauung, die den Menschen als Spiegelbild des Kosmos sieht, welcher sich in einer vorherbestimmten Stufenfolge entwickelt. Der Mensch wird von Steiner in vier Leiber unterteilt, welche sich im Siebenjahresrhythmus entfalten. Zuerst gibt es die Phase der Nachahmung im physischen Leib, gefolgt von der Nachfolge im Ätherleib und dem sachlichen Prüfen und Denken im Astralleib, bis die Entwicklung in der Selbsterziehung durch das „Ich“ im Ich-Leib endet.21 Der Lehrplan folgt dabei der anthroposophischen Orientierung und einer künstlerischen Ausgestaltung des Unterrichts. Diese Ideologie wird von Außen oft


23

01_[Reform] Pädagogik

kritisiert, von den ehemaligen Schülern jedoch als nicht dominant empfunden, vielmehr sei ihrer Meinung nach die Waldorfschule sehr offen gegenüber Religionen und Weltanschauungen. Unter pädagogischen Gesichtspunkten hat die Waldorfpädagogik die Kulturkritik, das Denken vom Kinde aus, Kunst als Erziehungsmittel und die ganzheitliche menschliche Entwicklung zum Ziel. Die Klassen von bis zu 40 Schülern sollen stark durchmischt sein, sodass Kinder mit Eltern unterschiedlichster sozialer Schichten zusammen kommen. Die ersten acht Schuljahre gibt es einen Klassenlehrer oder eine Klassenlehrerin, welche/r mit den Kindern im Epochenunterricht arbeitet. Dabei beschäftigen sich die Kinder über mehrere Wochen intensiv mit einem bestimmten Thema. Großen Wert wird auf musisch-künstlerische sowie handwerkliche Ausbildung gelegt. Das Angebot reicht von Singen, Flöten, Rezitieren von Gedichten über Bewegungsspiele und Eurythmie bis hin zu Handarbeit, Schuhmacherei, Kochen, Gartenarbeit und Bildhauerei. Fremdsprachen werden bereits ab der ersten Klasse gelehrt.22 Für die Umsetzung des breit gefächerten Angebots sind entsprechende Umgebungen unerlässlich.

22

vgl. 6 | 124


24

Pausierung

Pausierung

23

vgl. 1 | 55-59

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden alle Institutionen, die anders als das Regime dachten, nach und nach verboten. Neben vielen künstlerischen Bereichen, wie z.B. die Lehre am Bauhaus, wurde auch die Reformpädagogik verboten. Der 1908 gegründete Bund zur Schulreform wurde aufgelöst. Viele Reformpädagogen gingen ins Exil und entwickelten ihre Konzepte im Ausland weiter. Mit ein paar Ausnahmen, wie beispielsweise Peter Petersen, welcher sogar der NSDAP beitrat und auch unter den Nazis seine Ideen bis zum Kriegsbeginn weiter entwickelte, erlebte die Reformpädagogik in Deutschland einen Stillstand. Außerhalb der Landesgrenzen allerdings blieben die Reformpädagogen aktiv. Die Landerziehungsheime stellten vielerorts eine Ausnahme dar. Sie konnten ihrer reformpädagogischen Unterrichtspraxis weitgehend nachgehen, da methodisch-didaktische Prinzipien wie z.B. Arbeits-, Gesamt-, Epochal-, Werkund Projektunterricht gut mit den Ideologien der Nazis vereinbar und fortwährend umzusetzen waren.23 Militärischer Drill und Charakterzüge der alten Schule hielten erneut Einzug in die Schulen. Die Kinder wurden nach der neuen Ideologie und Weltanschauung der Nationalsozialisten unterrichtet. Neue Lehrbücher wurden eingeführt und die ganze Struktur unterlag der Heranzüchtung von systemtreuen Untertanen und Soldaten. Im Sportunterricht beispielsweise mussten die Jugendlichen üben, Objekte, welche Handgranaten nachempfunden waren, zu werfen.


25

01_[Reform] Pädagogik

Während der Kriegszeit erfuhr die Schule ihre wohl bisher beschwerlichste Zeit. Zum Ende hin war Unterricht kaum mehr möglich und die Schulen wurden erstmalig über einen längeren Zeitraum komplett geschlossen. Dies lag neben den zerstörten Schulgebäuden auch an den fehlenden Lehrerkapazitäten und dem Kohlemangel im Winter. Viele junge Männer erhielten ein Notabitur, um möglichst schnell in den Krieg ziehen zu können. Viele der Schulen wurden auch zu Lazaretten umgenutzt, um verwundete Soldaten zu kurieren. Der Schulalltag war stets von Bombenalarmen geprägt, sodass regelmäßige Unterbrechungen zur Normalität wurden. Die Kinder waren stark verängstigt und kaum imstande, zu lernen. Während die Pädagogen nach dem Krieg für gestalterische Mittel, wie mehr Licht in den Schulen plädierten, schaute der Münchener Stadtschulrat Anton Fingerle positiv in die Zukunft: „Das Schulhaus soll nicht mehr aussehen wie ein Schulhaus.“24 Viele Architekten, wie Hans Scharoun, waren Teil der Umwälzungen der Nachkriegszeit und wollten die wiedergewonnene Freiheit und Demokratie in ihren Gebäuden sichtbar machen. Nach dem Krieg lief der Schulbetrieb erst schleppend an. Die alten Lehrbücher durften nicht weiter verwendet werden und Lehrer, welche Mitglied der NSDAP waren, durften nicht unterrichten, wodurch es praktisch kein Lehrpersonal gab. Die Schulen mussten neue Lehrpläne entwickeln, diese präzise beschreiben und den Behörden der Besatzungsmächte vorlegen. Nur, wenn diesen stattgegeben wurden, durften die Schulen wieder öffnen.

[01.08] Schüler beim Zeichenunterricht vor ihrer zerstörten Schule

24

vgl. 13


26

Umbruch

Umbruch

In der Nachkriegszeit brachte die deutsche Pädagogik zunächst keinen entscheidenden Wandel hervor. Der Fokus lag auf dem Wiederaufbau und Erholung des Landes. Die Teilung Deutschlands führte zu unterschiedlichen Bildungssystemen, deren Nachwirkungen bis heute andauern. Im Westen folgte die Demokratisierung der Schulen per Gesetz, während im Osten der Sozialismus der Sowjetpolitik 1950 Einzug erhielt. Der Lehrkraft beispielsweise wurde hier in ihrer Führungsrolle gestärkt. Ziel im Westen war es, die Schule auf Basis jener der Weimarer Republik wiederherzustellen. Der Unterricht konnte in der Nachkriegszeit noch immer nicht komplett aufgenommen werden, u.a. war der bloße Mangel an Räumlichkeiten durch die Kriegszerstörungen sowie Lehrer- und Lehrbüchermangel Grund dafür. Außerdem war ein großer Rückstand der Bildung im Vergleich zu anderen Ländern vorhanden, welcher aufgeholt werden musste. Die Reformbedürftigkeit des Schulwesens war zu spüren. Hinzu kam in den 1960er Jahren die Wandlung zum immer mehr technisch-industriell geprägten Land, woraus neue Berufe hervortraten, welche eine höhere Qualifikation benötigten. Das Bildungssystem sollte verbessert und Abiturientenzahlen erhöht werden, um wirtschaftlich stärker auftreten zu können. Dabei ging Quantität vor Qualität, sodass der Lernrückstand deutscher Schüler weiter vorhanden blieb. Mittelschulen und Gymnasien wurden dabei besonders stark gefördert. Die Zahl der Volksschulen (Hauptschulen) nahm rapide ab. Allgemein befand sich (West-)


27

01_[Reform] Pädagogik

Deutschland zu Anfang der 1960er Jahre in einer guten Ausgangslage für eine flächendeckende, radikale Umstrukturierung des Bildungssystems. Diese fand allerdings nicht statt, dafür aber in den skandinavischen Ländern, welche sich heute durch die besten Bildungssysteme auszeichnen.25 Die Politik öffnete sich zunehmend reformpädagogischen Gedanken, sodass z.B. die Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule in Göttingen und viele weitere Schulen auch heute noch notenfrei bis zum achten Jahrgang arbeiten dürfen. Zudem gibt es seit den 1970er Jahren die Möglichkeit, mit Wochenarbeitsplänen in deutschen Grundschulen zu arbeiten. Die noch immer angewendeten, veralteten Schulkonzepte stehen weiterhin im Widerspruch zur modernen didaktische Kenntnislage.26 Die Gesellschaft war auch nach dem Krieg durch patriarchale Strukturen geprägt. Ende der 1960er Jahre schlossen sich studierende und berufstätige Eltern zusammen, um einen alternativen Betreuungsort für ihre Kinder zu schaffen. Sie übten harte Kritik an der gesellschaftlichen und privaten Stellung der Frau als alleinige Verantwortliche der Kindererziehung. Insbesondere die Studentinnen der 1960er Jahre wollten sich nicht mehr damit abfinden, nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben zu müssen und nicht mehr Teil der Gesellschaft zu sein. Ferner kritisierten sie auch das mangelnde Betreuungsangebot für unter Sechsjährige und die autoritäre Kindererziehung. Sie orientierten sich an dem Reformpädagogen Neill und gründeten den Kinderladen, in dem die Kinder antiautoritär erzogen wurden. Der Name ist auf den ersten Ort rückzuführen, der damals ein leer stehender Tante-Emma-Laden war.27 In den 1970er Jahren begründete Loris Malaguzzi (1920 - 1994) seine ReggioPädagogik, dessen Kern aus vielfältiger Reflexion besteht. Sie ist besonders dafür bekannt, dass sie die Architektur als „dritten Pädagogen“ annimmt. Der erste Erzieher sind die anderen Kinder und der zweite Erzieher sind Lehrende und Eltern. In dem Schulbau wird großer Wert auf ein ausgeglichenes Verhältnis von privat und öffentlich, sowie Transparenz und Dichte gelegt. Dabei geht es um die Vernetzung der gesamten Schule, bis hin zu der Beziehung der Schüler untereinander. In einer Ausstellung von 1981-1996, mit Besuchern aus aller Welt, sorgte Malaguzzi mit seiner Pädagogik für viel Aufmerksamkeit, sodass es möglich ist, dass Italien zum zweiten Mal Ausgangspunkt einer weltweiten Erziehungsbewegung wurde. Nach Malaguzzi ist jedes Kind in der Lage, mit Neugier, Interesse, Phantasie, Forschergeist und Leidenschaft seinen Lernprozess mitzugestalten, sich an sozialen Interaktionen zu beteiligen und mit der Umwelt in einen konstruktiven Dialog einzutreten. Dabei hat das Kind die Möglichkeit, sich durch „Hun-

25

26

vgl. 1 | 139

vgl. 10 | 424

27

vgl. 1 | 361


28

Umbruch

[01.09]

[01.10]

[01.11]

[01.12]

[01.13]

[01.09] Titelbild „planning for play“. 1968 [01.10] Plaza New York. Jacob Riis. 1960er [01.11] Heckscher Playground. New York. Richard Dattner. 1972 [01.02] Röhrenexperimente. Neapel. Riccardo Dalisi. 1972 [01.13] speeltoestel. Aldo van Eyck


29

01_[Reform] Pädagogik

dert Sprachen“ auszudrücken: Mimik, Gestik, bildnerische und künstlerische Tätigkeiten, Symbole, logische Urteile, Aufbau von Beziehungen, Immigration, ethische Urteile, Metaphorik und viele mehr. In der Reggiopädagogik, die übrigens nach der gleichnamigen Stadt in Italien benannt wurde, findet außerdem Freiarbeit statt. Der Lehrende organisiert hierbei den Raum für die Gruppe, dokumentiert die Arbeiten der Kinder, stellt sie in Sammlungen aus und dekoriert den Raum beispielsweise mit Pflanzen. Neben dem Klassenraum befindet sich ein Atelier für künstlerische Arbeiten, welches immer einen Außenzugang hat. Kunst bzw. der Gebrauch der Hundert Sprachen wird als wesentlicher Bestandteil kognitiv-symbolischen Ausdrucks und des Lernens betrachtet. Ferner gibt es einen Gemeinschaftsraum für die ganze Schule, der für Theateraufführungen, als Arbeitsbereich oder als Speiseraum genutzt werden kann. Verbindungen zu den Klassenräumen werden durch Mauerdurchbrüche und halbhohe Wände ermöglicht. Während der Freiarbeit dokumentiert der Lehrende bzw. Erziehende die Projektarbeit der Kinder. Dazu wird die Aufgabe zu Anfang, während der Bearbeitung und das Endprodukt dokumentiert. Der Erziehende stellt dabei gezielte Fragen zum Vorgehen des Kindes, nicht als Kontrolle, sondern damit das Kind seine eigene Tätigkeit verbal reflektiert. Projektarbeit, Präsentationen und Zusammenarbeit verbinden die Kinder eng miteinander, die sich jederzeit an dem Prozess eines anderen Kindes orientieren und Inspiration für ihre eigenen Projekte beschaffen können. Malaguzzis „erziehender Unterricht“ zielt darauf ab, das Lernen von Kenntnissen (Unterricht) mit der Entwicklung eines reflektierten Selbstverständnisses der Kinder zum Gelernten (Erziehung) zu verbinden und so eine Handlungskompetenz zu fördern.28

Der Sputnik-Schock hielt die westliche Welt 1957 in Atem. Er geht zurück auf den sowjetischen Satellit „Sputnik I“, welcher am 4. Oktober 1957 den Orbit betrat. Erst die USA und wenig später viele andere Länder der westlichen Welt waren erstaunt und regelrecht schockiert über den technologischen Stand der Sowjetunion. Dieser Schock resultierte in vielen Ländern in einem Bildungsschock. Modernisierung und Ausweitung des Bildungssystems waren die Folge. Die Schüler sollten fortan so viel Bildung bekommen wie möglich. Oft wurden sie dabei entmenschlicht und als „Material“ gesehen. Bildungsinstitutionen wurden als „Untertanenfabrik“ bezeichnet. Die 1960er und 1970er Jahre waren vor allem von raschen, oft voreiligen und manchmal radikalen Ausweitungen der Institutionen des Lernens, Lehrens und Forschens geprägt. Forderungen nach Chancengleichheit und Demokratisierung, Integration und Desegregation sowie Partizipation und Emanzipation, in enger Verbundenheit zu Schule und Bildung, nahmen zu.29

28

vgl. 10 | 364-369

29

vgl. 5 | 10 + 16


30

Heute

Heute

In den 1980er Jahren war eine allmähliche Anpassung des Lehrplans an den Arbeitsmarkt zu erkennen. Dieser wurde zusehens globaler, sodass Fremdsprachenunterricht, der Umgang mit neuen Medien und naturwissenschaftlich- technischer Unterricht verstärkt wurden. Die Gesellschaft hatte in den 1960er Jahren den Richtungswechsel zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft erlebt. Damit hat sich das Gewicht ganzer sozialer Schichten nachhaltig verschoben. Die Arbeiterschicht schrumpfte erheblich, während die Mittelschicht stark expandierte. Hinzu kam außerdem eine große Migrationswelle der Gastarbeiter und deren Kinder. Das Bildungssystem stand nun vor der Aufgabe, diese in die Schulen zu integrieren. Rainer Geißler beschreibt dies als „Metamorphose der Arbeitertochter zum Migrantensohn“ (Geißler 2008). Seit der Flüchtlingswelle 2015 ist das Thema Migration wieder aktuell. Die 1990er waren geprägt von Ideen wie Schulautonomie, Schulkultur und Schulleben. Durch die internationale Konkurrenz der Globalisierung wurde das Bestreben um eine Schulreform groß. In dem Reformprogramm der 1980er und 199er Jahre geht es vor allem um die Stärkung der pädagogischen und sozialpädagogischen Komponenten. Im Jahr 2001 verfiel Deutschland in den PISA-Schock. Erstmalig wurde in den OECD-Mitgliedsstaaten eine Studie erhoben mit dem Ziel, den Bildungsstand der Schüler zu ermitteln. Deutsche Schüler lagen mit ihrer Leistungsfähigkeit deutlich unter dem Durchschnittswert. Interessant war dabei auch ein großes


31

01_[Reform] Pädagogik

Gefälle zwischen den Bundesländern. Jene der ehemaligen DDR schnitten weitaus schlechter ab. Ein deutliches Bildungsgefälle innerhalb des Landes wurde durch die PISA-Studie aufgedeckt. Entsprechend groß war die Motivation zur Verbesserung der Bildung. Sprachkompetenz und Grundschulbildung sollten verbessert, benachteiligte Kinder gefördert und die Bildungseinrichtungen zu Ganztagsschulen ausgebaut werden. Die skandinavischen Länder, welche die Chance der Nachkriegszeit für umfangreiche Reformen genutzt hatten, waren in der PISA-Studie führend.30 Reformpädagogische Gedanken erhielten zunehmend Zugang in die Schule der Gegenwart. So gibt es beispielsweise in der Grundschule in den Jahrgängen eins und zwei keine Noten mehr. In Dänemark sogar die ersten sieben Schuljahre. Bereits in den 1970er Jahren hatte die Freie Arbeit mit dem Wochenarbeitsplan Einzug in die Grundschulen erhalten. Die neue Schule versucht immer mehr, die Bedürfnisse und Interessen des Kindes zu berücksichtigen sowie aktives, kreatives und lebensverbundenes Lernen zu ermöglichen. Die Schule soll eine Lebensgemeinschaft darstellen und als Ort des kooperativen, selbst- und mitverantwortlichen Lernens und Lebens wahrgenommen werden. Auch gibt es immer mehr Schulen, welche eine Zeit im Schultag zur freien Arbeit anbieten. Diese Definition erinnert an die angestrebte Humanisierung der Schulen der Reformpädagogik der 1920er Jahre. Heute wird die Reformpädagogik in klassische und neue Strömungen unterteilt. Zu der klassischen Reformpädagogik zählen u.a. die Konzepte von Waldorf, Montessori und der Jena-Plan. Bei der neuen Reformpädagogik ist die Sprache von Entwicklungen nach dem zweiten Weltkrieg. Dazu gehört die Reggio-Pädagogik und neue methodische Richtungen, wie der „Offene Unterricht“. Die Digitalisierung wird von beiden Strömungen unterschiedlich aufgenommen, wobei die neue Reformpädagogik der Digitalisierung äußerst offen gegenübersteht. Die klassische Reformpädagogik lehnt diese Technologie hingegen eher ab, was wohl eng mit der Tatsache verknüpft sein mag, dass in den 1920er Jahren an diese Technologie noch gar nicht zu denken war. Sie setzt ausschließlich auf analoge Erfahrungen, wie Naturerfahrungen, Werkzeuge, kulturelle Artefakte, Musikinstrumente und auch den Körper als Mittel zum Ausdruck. Für die klassische Reformpädagogik hat ein digitaler Pinsel niemals die gleiche Ausdrucksfähigkeit wie ein Borstenpinsel auf einer Leinwand. Der pädagogische Mehrwert der digitalen Medien wird als verschwindend gering angenommen und zeugt deshalb nicht von einer konservativen Grundhaltung der klassischen Reformpädagogik gegenüber Neuerungen.31 Schulen, welche heute nach reformpädagogischen Konzepten arbeiten, werden Alternativschulen genannt. Diese sind in der Regel nicht auf ein Konzept festgelegt, sondern nehmen vielmehr Bezug auf diverse Pädagogen. Viele Alternativschulen möchten dabei auf Noten verzichten, sind aber durch den

30

vgl. 1 | 133

31

vgl. 1 | 100


32

32

vgl. 1 | 224

33

vgl. 10 | 269

34

vgl. 10 | 423

Heute

Gesetzgeber dahingehend eingeschränkt. Es gibt oft Vorbehalte darüber, dass Kinder einer Alternativgrundschule öfters Probleme beim Wechsel auf eine Regelschule hätten. Dem widersprechen zahlreiche Untersuchungen, welche belegen, dass sich die Übergangsschwierigkeiten meistens nach wenigen Monaten verflüchtigen. Vielmehr fallen diese Kinder eher positiv im Unterrichtsgeschehen durch ihre ausgeprägte Selbstständigkeit, Teamfähigkeit und Kooperationsbereitschaft auf. Sie sind zudem selbstbewusst genug, um bei Verständnisschwierigkeiten nachzufragen, sodass eventuelle Wissenslücken schnell ausgeglichen werden können.32 In der staatlichen Regelschule geht es auch heute noch um das mittlere Leistungsniveau einer Klasse. Der Unterricht zielt auf den „Durchschnittsschüler“ ab und erreicht dadurch selten besonders begabte oder wenig begabte Kinder. Gerade diese beiden Gruppen finden sich oft in einer Unter- oder Überforderung wieder. Folge sind häufig Langeweile und Verdruss. Es ist keine Seltenheit, dass sich beispielsweise ein Migrantenkind mit schlechten Deutschkenntnissen immer weiter abgehängt und abschließend nicht als Teil der Gesellschaft fühlt. Diese Entwicklung treibt die Spaltung der Bevölkerung nur weiter voran.33 Im Unterricht herrscht noch immer eine Ein- und Gleichförmigkeit methodischen Handelns, die im großen Widerspruch zur Vielfalt der bekannten Theorien und Praxis steht. Lehrkräfte können den Unterricht weitaus näher am Kind gestalten und dieses bei der Themenauswahl zu Rate ziehen und ihm so das Gefühl geben, als eigenständiges Subjekt wahrgenommen und erkannt zu werden. Die Lehrenden werden in den Bildungsrichtlinien dazu angehalten, die noch immer vorherrschende Methode des Frontalunterrichts durch vielfältigere Formen, wie z.B. Gruppen- und Freiarbeit zu ergänzen. Gleichzeitig können Krisengespräche zum täglichen Bestandteil werden und so das Gemeinschaftsgefühl stärken. Die Vielfalt der Schülerschaft muss endlich Berücksichtigung finden. Schwache Schüler dürfen nicht vernachlässigt werden, sondern brauchen gezielte Förderung. Die Schule soll ein Ort des gesellschaftlichen Zusammenhalts werden. Sprachbenachteiligte Schüler profitieren von den Gruppenarbeiten, in denen sie von und mit Gleichaltrigen lernen. Um der frühen Spaltung nach sozialem Hintergrund entgegenzuwirken, schlagen Experten, wie auch schon die Reformpädagogen, die Zusammenlegung aller Schulen in Gemeinschaftsschulen vor.34 Die neuen Bestrebungen haben letztendlich ein starkes Konkurrenzverhalten der Schüler untereinander hervorgebracht. Die OECD und Ergebnisse der PISA-Studien bringen noch mehr Bildungsdruck mit sich. Durch die Einführung von G8 müssen Schüler zusätzlich mehr Stoff in weniger Zeit lernen. In Deutschland hat beinahe als Bildungsabschluss nur noch das Abitur einen gesellschaftlichen Wert. Die Qualifikationsanforderungen von beruflichen Tätig-


33

01_[Reform] Pädagogik

keiten sind in den letzten Jahren fernab triftiger Gründe angehoben worden. Viele der damals bemängelten Umstände scheinen noch heute von Gültigkeit. Das Verhältnis von Lehrenden und Schülern ist noch immer sehr asymmetrisch, das Bildungssystem in seinen Grundzügen bringt große Ungerechtigkeiten hervor und die Didaktik ist noch immer erstarrt und einseitig. Starke Expansion der Bildung fand in dem letzten Jahrzehnt vorrangig im Primarbereich statt. Von der Politik wurde vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Bildungsforschung erkannt, dass Bildungsreformen zur Förderung der Kompetenzen bereits von Kindern und des massiven qualitätsorientierten Ausbaus der Schulen der frühen Förderungen, in einer an hoher Qualifikation orientierten Gesellschaft, notwendig sind. Diese Entwicklung ist schon seit Jahren statistisch nachgewiesen. Hauptschulen sind rückläufig, wohingegen Gymnasien und andere Bildungseinrichtungen, die zur Hochschulzugangsberechtigung führen, expandieren. Diese Bewegung ist nicht Resultat einer Bildungsreform, sondern ergibt sich aus sozialem Wandel, mit immer höheren Forderungen nach Bildung und Kompetenz. Immer mehr Kinder kommen dabei aus einem sozioökonomischen Hintergrund, in dem die Eltern bereits hohe Bildungsabschlüsse haben und sich dies nun auch für ihre Kinder wünschen. Kritiker befürchten ein „mis-match“ des Bildungs- und Beschäftigungssystems durch die neuen Entwicklungen und Überforderung der nachwachsenden Generation.35 Laut Ehrenhard Skiera ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Reformpädagogik demnach aus zweierlei Gründen sinnvoll: Die Schule hat heute eine doppelte Aufgabe zu bewerkstelligen. Oft sind außerschulische Lern- und Erfahrungsräume für Schüler nicht existent, oder stark defizitär. Diese Schüler haben kaum die Chance zu Hause in eventuell beengten Verhältnissen und ohne eigenes Zimmer, weiterzulernen und aufgrund ihres „digitalen Alltags“ reale Erfahrungen zu machen. Durch das Ganztagsangebot kann (und muss) die Schule an dieser Stelle einen wichtigen Ankerpunkt darstellen. Zudem steigt die Zahl der Kinder aus instabilen sozialen Verhältnissen. Mit den richtigen Maßnahmen kann die Schule zu einer Art sicherer Basis mit Vertretung für starke, moralische Werte werden. Dies steht im engen Zusammenhang mit der Aufgabe der Integration von Schülern aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen, ethnischen Gruppen, Leistungs- und Entwicklungsstand sowie Behinderungen.36 Der Schule kommt somit heute, neben dem Bildungsauftrag, auch eine entscheidende soziale Aufgabe zu.

35

vgl. 1 | 116-118

36

vgl. 10 | 428


34

Morgen

Morgen

37

vgl. 1 | 437

Bei der Frage nach den Schulen von morgen zeichnen sich deutliche Tendenzen ab. Diese sind in zwei große Themen unterteilbar: Digitalisierung und Individualisierung. Folgen für die Schulen und das Bildungssystem durch die Corona-Pandemie werden erkennbar. Für Barz sind moderne Tendenzen in Richtung von beispielsweise Ökonomieaffinität die Nachfolger von dem, was in den 1960er und 1970er Jahren die Emanzipation und Befreiung von alten Denkmustern waren. Monitoring, Innovationsmanagement und Bildungsrendite sieht er als die neuen zentralen Themen an.37 Mit Beginn des 21. Jahrhunderts haben Schulen weltweit begonnen, ihre pädagogischen Konzepte in Frage zu stellen und entsprechend neuer gesellschaftlicher Tendenzen, wissenschaftlicher Erkenntnisse und Digitalisierung zu überarbeiten. Es gibt mehrere Institutionen, welche sich mit den Trends der Schulen beschäftigen, wie z.B. „Trendguide Schulen der Zukunft“, herausgegeben im Juli 2020 von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, auf deren Erkenntnisse sich dieses Kapitel hauptsächlich bezieht. Auch der „Trendreport Bildung“ sammelt Daten verschiedenster Schulen und stellt durch ein bestimmtes Bewertungsverfahren neue Tendenzen fest. Diese stimmen in nahezu jedem Punkt mit den Tendenzen der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit überein. Die Corona-Pandemie wird voraussichtlich erhebliche Langzeitfolgen von ver-


35

01_[Reform] Pädagogik

minderter Schulreife der Kindergartenkinder über eine erhöhte Versetzungsgefahr der Schüler bis hin zu einer Zunahme von Schulabbrüchen und eine daraus resultierende niedrigere Abschlussquote nach sich ziehen. Dies kann zukunftsperspektivisch sogar niedrigere Gehälter und somit steigende staatlich benötigte Hilfen zur Fogle haben. Generell hat der Corona-Schock alle Missstände im Bildungssystem aufgedeckt; von der verschlafenen Digitalisierung, zu Kommunikationsproblemen zwischen Schülern und Lehrenden, aber auch der Lehrerschaft untereinander, bis hin zu der fehlenden Unterstützung lernschwacher Schüler. Neben dem zweiten Weltkrieg gab es noch nie eine Zeit, in der die Schulen über längere Zeit geschlossen bleiben mussten. Die Pandemie hat die Schulen unvorbereitet getroffen, sodass in kürzester Zeit neue Konzepte entwickelt werden mussten, damit der Unterricht fortgesetzt werden konnte. Besonders die noch stark analog arbeitenden Schulen waren von der Pandemie stark betroffen. Die Schüler waren nicht zu erreichen und Online-Plattformen, in denen etwa Unterrichtsmaterial hochgeladen werden kann, waren nicht existent. Die Leidtragenden der verschlafenen Digitalisierung durch die konservative Regierung sind am Ende die Schüler, die „Generation-Corona“.38 Nur 14%, nicht mal jede siebte Schule, nutzte während des ersten Lockdowns Videokonferenzen, um Unterricht zu ermöglichen (zitiert nach Robert-Bosch-Stiftung und Die ZEIT, 2020). Zusätzlich waren die PISA-Ergebnisse der Studie von 2018 noch schlechter als jene aus dem Jahr 2001. Auch die Abhängigkeit der Ergebnisse von der sozialen Herkunft wurde untersucht und ist in Deutschland weit über dem Durchschnitt der OECD-Mitgliedsstaaten. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die wochenlangen Schulschließungen durch die Corona-Pandemie diese Tendenz noch verstärken. Diese Krise bietet, wie schon die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, den idealen Impuls oder Katalysator für eine grundlegende Änderung des Bildungssystems. Entwicklungen wurden stark beschleunigt, weil sie eben stattfinden mussten und nicht mehr auf freiwilliger Basis umgesetzt wurden. Viele Schulen wollen an den Neuerungen festhalten und sie weiterentwickeln. Die Corona-Pandemie hat vielen Lehrkräften die positive Seite der Digitalisierung aufgezeigt. Der Trendguide Schulen der Zukunft stellt vier Megatrends sowie verschiedene Prinzipien und Perspektiven für die moderne Schule vor. Die Trends werden benannt mit Konnektivität - vernetztes Lernen, Urbanisierung - Jenseits von Stadt und Land, Individualisierung und Globalisierung und zuletzt New York Die Arbeitswelt wird digitaler, diverser und inklusiver. Alle Trends haben sich in der Vergangenheit entwickelt und heute verstärkt, sind miteinander verknüpft und bedingen einander. In einer digitalen Gesellschaft können Schüler nicht genauso lernen wie vor 60 Jahren, in einer Zeit, in der das Leben analog stattfand. Kinder und Ju-

38

vgl. 14


36

Morgen

gendliche, die heute die Schule besuchen, wachsen bereits mit den digitalen Medien auf, sind digital mit ihren Freunden vernetzt oder spielen Videospiele. Die Schule bekommt immer mehr die Aufgabe, die fehlenden, analogen sozialen Interaktionen zu ermöglichen. Dennoch ist die Digitalisierung der Schulen notwendig, um die Schüler auf die tatsächliche moderne Welt vorzubereiten. Es gibt noch immer keine ausreichende Ausstattung der Schulen mit digitalen Endgeräten, geschweige denn funktionierendem WLAN. Im Vergleich: In Dänemark liegt die Quote bei knapp 100%, in Deutschland um die 25% (vgl. Sadigh Parvin. Zeit. 11 2019). Dabei stehen Schüler und Lehrende der Digitalisierung generell sehr offen gegenüber. Drei von vier Schülern sprechen sich sogar für Informatik als Pflichtfach aus. Die Schüler werden im späteren Berufsleben, welches auch immer digitaler wird, massiv benachteiligt, sofern bereits grundlegende Kenntnisse fehlen. Der Schulunterricht wird auch immer mehr fachübergreifend stattfinden und sich somit mehr am echten Leben orientieren, in dem ebenso alles in einem vernetzten Zusammenhang geschieht. Individualisiertes und teamorientierteres Lernen haben dabei oberste Priorität. Diese und viele andere Entwicklungen fordern zusätzlich eine Änderung der Rolle der Lehrperson, welche immer mehr vom Wissensvermittelnden zum Lernbegleitenden wird. Wahrscheinlich müssen sich Lehrkräfte von nun an ihr Leben lang weiterbilden, um der raschen Digitalisierung gerecht zu werden. Sie müssen Fähigkeiten und Kenntnisse in diesem Gebiet haben, um diese ggf. an die Schüler zu vermitteln oder auch, um den Umgang mit Online-Plattformen zu beherrschen. Digitalisierung und Individualisierung sind thematisch nicht weit entfernt von künstlicher Intelligenz. Die Microsoft Studie „Abschlussklasse 2030“ kommt zu dem Ergebnis, dass 98% der Schüler bessere Leistungen erzielen, wenn sie individuelle Aufgaben erhalten. Konzepte personalisierten Lernens lassen sich durch digitale Medien noch besser umsetzten. Dies kann beispielsweise durch ein Programm geschehen, welches den Lernfortschritt des Kindes mittels künstlicher Intelligenz erfasst und dementsprechend nach Aufgaben zur Bearbeitung sucht. Dadurch werden die Kinder individuell gefördert, was ihnen gerecht wird und sich auf Dauer positiv auswirken wird. Diese „Learning Analytics“ sind in Schulen in den USA bereits weit verbreitet. Die Technik lernt dabei mit dem Kind und stellt fest, mit welchem Lernstil das Kind am meisten Erfolg hat und basiert darauf individuelle Empfehlungen. So geht jeder Schüler, unterstützt durch die Analyse der Lerndaten, seinen ganz eigenen Bildungsweg. Es gibt keinen Unterricht mehr, der auf den Durchschnittsschüler abzielt. Ferner hat das Wohnumfeld Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, mit der das Kind studieren wird. Je weiter es von einem Universitätsstandort entfernt aufwächst, umso wahrscheinlicher ist es, dass es nicht studiert (Vgl. Helbig, M./


01_[Reform] Pädagogik

Jähnen, S./Marczuk, A. (2017): Eine Frage des Wohnorts. Zur Bedeutung der räumlichen Nähe von Hochschulen für die Studienentscheidung in Deutschland. In: Zeitschrift für Soziologie, Bd. 46, S. 55-70). Heterogenität gilt als größte Herausforderung an deutschen Schulen. Der Bildungsstand der Schüler unterscheidet sich stark durch soziale Herkunft, Migrationshintergrund und Zugang zu digitalen Medien. Eltern mit akademischem Hintergrund können ihre Kinder besser fördern, besonders in der Zeit der Corona-Pandemie sorgte dies für wachsende Ungleichheiten. Demnach gilt auch dem Ausbau der Ganztagsschulen hohe Priorität, in der die Kinder durch eine Nachmittagsbetreuung gefördert werden können. Die Chancengleichheit aller Schüler soll so gesteigert werden und jedes Kind, unabhängig vom Bildungsstand der Eltern, soll studieren können. Einer Schätzung des World Economic Forum (WEF) nach sind zwei Drittel der Berufe, die es im Jahr 2035 geben wird, heute noch unbekannt (vgl. Statistisches Bundesamt 2019: Pressemitteilung vom 8. Januar). Die Arbeitswelt wird zunehmend globaler, digitaler und inklusiver. Auch klassische Berufe, wie etwa des Handwerks, erleben eine Digitalisierung von verschiedenen Prozessen. Diese Entwicklung fordert mehr Offenheit gegenüber anderen Kulturen, Kreativität und Neugierde und die Fähigkeit zum Selbstlernen sowie gemeinsamem Lernen. Viele Berufstätige müssen sich künftig lebenslang weiterbilden. Laut OECD wird es in Zukunft vor allem auf Kreativität, Entrepreneurship und Offenheit für Neues ankommen. Dieser Wandel ist bis heute nicht in die deutschen Klassenzimmer vorgedrungen, weshalb die Berufsorientierung zu einer zentralen Herausforderung wird. Die Berufswünsche vieler 15-jähriger Schüler orientiert sich noch stark an traditionellen Berufen, welche kaummehr zukunftstauglich sind (vgl. OECD 2020). Als Fazit aus den Trends zieht Daniel Dettling die Individualisierung, Interaktion und Interdisziplinarität der Bildung als zentrale Disziplinen. Die Ausbildung wird zur Anschlussbildung, gefolgt von lebenslangem Lernen. Immer weniger Menschen werden in ihrem Leben nur noch einem Beruf nachgehen. Durch die neuen Berufsbilder werden neue Kompetenzen, wie Kommunikation, Kreativität sowie der Umgang mit Komplexität und kritischem Denken gefragt. Der Autor führt fünf Prinzipien auf, nach denen die Trends umgesetzt werden können: Kompetenz für das 21. Jahrhundert, Residenz der Selbstwirksamkeit, Diversität und Inklusion, Kultur der Führung und Verantwortung (Schulleitung), sowie Agilität. Wir befinden uns in einer Zeit vieler gleichzeitiger Krisen, wie Gesundheit, Klima, Migration und Globalisierung. Eine gewisse Risikokompetenz muss erlernt werden. Die Schüler und die Bevölkerung generell, müssen sich den Krisen bewusst sein und einen eigenen Standpunkt entwickeln. Fähigkeiten

37


38

Morgen

reichen von Anpassungsfähigkeit, Selbstvertrauen und Selbstdisziplin bis zur Selbstreflexion. Dafür werden auch die zuvor von Dettling zusammengestellten Fähigkeiten wichtig sein. Eigenständiges und vernetztes Denken. Zusammenhänge und Trends entwickeln. Arbeit in Teams und gemeinsames Entwickeln von Lösungen. Lebensnahe Aufgabenstellungen. Neben diesen „soft skills“ sollen auch „hard skills“, wie Wissen zur digitalen Nutzung von Lernplattformen, Umgang mit digitalen Tools und Grundwissen im Bereich der künstlichen Intelligenz vermittelt werden. An vielen deutschen Schulen ist der Alltag von Mehrsprachigkeit, Internationalität und Globalisierung geprägt. Dettling schlägt hierfür eine verantwortungsbewusste, auf Vielfalt ausgerichtete Lernkultur vor. Die Integrationsleistung der Schulen sei hierbei von essentieller Bedeutung. Es sind Rahmenbedingungen zu schaffen, welches kein Kind aufgrund seiner Sprachkenntnisse benachteiligt. „Nicht die Schülerinnen und Schüler müssen sich in das bestehende, starre System integrieren, sondern das System Schule muss dafür sorgen, dass alle Schülerinnen und Schüler mit ihren Fähigkeiten und Talenten am Unterricht teilnehmen können.“ (Dr. Dieter Dettling. Trendguide Schulen der Zukunft. 2020)

Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Lehrerkollegium und der Schulleitung ist in Zukunft unerlässlich. Es sind kreative und motivierte Pädagogen gefragt, welche die Zukunft der Schule durch gute methodisch-didaktischen Ideen aktiv mitgestalten. Besonders die Schulleitung hat hier einen großen Einfluss auf die Etablierung neuer, moderner Konzepte. Eine sich ständig ändernde Gesellschaft, beschleunigt durch den rasanten Fortschritt der Technik, benötigt sich stetig ändernde Schulen, mit der Bereitschaft zur Agilität und dem Mut zum eventuellen Scheitern neuer Ideen. Schlussendlich zeigt Dettling einige Perspektiven für die Schule der Zukunft auf. Diese bestehen im digitalen, sozialen und freiheitlichen Aufbruch sowie der individuellen Förderung und dem pädagogischen und föderalem Aufbruch. Deutschland hängt bei der Digitalisierung rund zehn Jahre hinterher. PISASieger wie Südkorea, Estland und Finnland haben Potentiale früher erkannt und entsprechend gehandelt. In Deutschland wurde nicht einmal ein erwähnenswerter Teil der vom Bildungsministerium geplanten Summe zur Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte ausgezahlt. Bereits die Ausbildung der Pädagogen sollte praxis- und zukunftsorientierter gestaltet sein. Viele Schulleitende fordern Autonomie über Schulstruktur, Verfügung über Budget und Klassengrößen. Sie argumentieren dahingehend, dass sie direkt


39

01_[Reform] Pädagogik

aus der Praxis kommen und ihre Schüler und deren Bedürfnisse besser kennt als es die Regierung täte. So können die Schulen vor allem jetzt (womöglich) zum Ende der Corona-Pandemie besser auf Leistungsrückstände einzelner Schüler eingehen und diese gezielt fördern. Von anderer Stelle gibt es Vorschläge zur Errichtung von temporären Sommerschulen, um pandemiebedingte Leistungsrückstände aufzuholen. Ferner geht Dettling auf die Struktur des Bildungssystems, besonders die Schulformen betreffend, ein. Durch die kurze Primarschulzeit kann sich die soziale Segregation weiter verschärfen. Auch eine Zusammenlegung der drei Sekundarschultypen scheint, wie es auch die Reformpädagogen anstrebten, auf lange Zeit gesehen sinnvoll zu sein. Chancengleichheit und Zusammenarbeit werden durch die Gesamtschule gefördert. Die Schüler werden stärker auf die heterogene Gesellschaft vorbereitet und möglichst zu verantwortungsvollen, toleranten und offenen Bürgern herangezogen. Diese Persönlichkeitsentwicklung soll laut Dettling Bestandteil der Bildung werden. Dabei geht es auch um die Vermittlung von überfachlichen Kompetenzen, wie Motivation, Beteiligung und Selbstwirksamkeit sowie die Fähigkeit zum Umgang mit Stress. Insgesamt soll die Schule als Teil des ganzen Lebens und nicht nur als bloßer Abschnitt gesehen werden. Beruf oder Studium und Schule sollen stärker kooperieren und Interessen und Fähigkeiten in den Kindern wecken und somit die Entscheidung für den Weg nach der Schule vereinfachen.39 Zusammenfassend lässt sich daraus ableiten, welche Aufgaben der Schule von morgen bevorstehen und welche Trends nachhaltig umzusetzen sind. Die langfristen Folgen der Corona-Pandemie sind abzuwarten, aber auch hier sind Missstände wie z.B. jener Schüler mit Migrationshintergrund schonungslos aufgedeckt und der Politik vorgehalten worden. Deutsche Schulen waren nun gezwungen, flächendeckend die Digitalisierung einzuführen. Nur Schulen, welche schon vor der Pandemie auf moderne, zeitgemäße Konzepte setzten, haben die Zeit der Schulschließungen verhältnismäßig gut überstanden. Neben der Digitalisierung nahmen hierfür auch die aus der Reformpädagogik stammenden Konzepte des Offenen Unterrichts und der Freien Arbeit eine Schlüsselrolle ein. Die Schüler konnten selbstständig ihre Aufgaben bearbeiten, da sie dies schon aus dem Unterricht kannten. Schulen, in denen noch immer vornehmlich frontal unterrichtet wird, hatten mit massiven Problemen zu kämpfen, da die Schüler komplett vom Lehrer abhängig waren. Das Konzept des Offenen Unterrichts stammt bereits aus der Zeit der großen Umwälzungen der 1960er und 1970er Jahre. Hier gibt der Lehrer lediglich leitende Strukturen vor, welche der Schüler eigenverantwortlich bearbeiten muss. In Einzelgesprächen nimmt der Lehrende sich dabei viel Zeit, um individuell auf den Lernstand des Kindes einzugehen. Oft gibt es Logbücher, in de-

39

vgl. 14


40

40

vgl. 10 | 378f

Morgen

nen Fortschritte und bearbeitete Aufgaben notiert sind. Didaktische Methoden sind die Freiarbeit, Projektunterricht, erforschendes Lernen und Wochenplanunterricht. Oft gibt es Teamarbeit oder Präsentationen der Arbeitsergebnisse vor der großen Gruppe. Generell sind die Kinder jedoch frei in der Reihenfolge, in der die Aufgaben bearbeitet werden können.40 Bei Bedarf kann, wie bei Freinet, die nähere Umgebung zum Lernbereich aufgenommen werden. Die Freie Arbeit ist ein didaktisch-methodisches Element des Offenen Unterrichts. Nahezu jeder Reformpädagoge hatte eine Art der freien Arbeit in seinem Konzept integriert. So ist es bei Freinet der freie Ausdruck im künstlerisch-musischen Bereich und bei Petersens Jenaplan eine Doppelstunde des Schultages zum freien Arbeiten an eigenen Projekten. Um diese Zeit qualitativ hochwertig zu gestalten, muss das Kind eine klare Aufgabenstellung erhalten und die verschiedenen Medien (Lernkarteien, Nachschlagewerke, Computer) umgehen können. In vielen staatlichen Grundschulen ist heute eine Art Freiarbeit vorgesehen. Sie ist eine wichtige Zeit, um soziale Kompetenzen zu erwerben. Das starre Bildungssystem muss sich den neuen Trends anpassen und sich stetig weiterentwickeln. Es muss auf die globale, digitale Welt reagieren und die Kinder auf ihr ganzes Leben und nicht nur auf einen Schulabschluss vorbereiten. Zudem müssen die Kinder gezielt in ihren Stärken und Schwächen gefordert bzw. gefördert werden. Die Schule der Zukunft muss darauf abzielen, Allen die bestmögliche Bildung, ungeachtet des sozialökonomischen Hintergrundes, zu ermöglichen. Für die Umsetzung der Trends braucht es nicht nur Veränderungen im Bildungssystem, sondern auch in dem Schulhaus selbst. Dieses muss künftig viel flexibler und offener sein, um den raschen Änderungen von Gesellschaft und Technik gerecht zu werden. Die Klassenzimmer erinnern mit ihren Gruppentischen eher an ein Atelier als an eine Schule. Die Erziehung möchte den Menschen auf psychischer und intellektueller Ebene erfassen und benötigt dafür eine Vielzahl von verschiedensten Beschäftigungen. Diese können durch differenzierte räumliche Organisation mit größtmöglicher Flexibilität ermöglicht werden. Anregende Umgebungen haben sich bereits die Reformpädagogen zunutze gemacht, um natürliche Impulse in den Kindern zu wecken. Wie genau sehen wir das Schulhaus der Zukunft?


01_[Reform] Pädagogik

41

[01.14] Schüler beim Freien Arbeiten


42

junge Typologie

02_Schulbau

Schule ist seit jeher ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Daher überrascht es umso mehr, dass sich die architektonische Entwicklung des Schulhauses bloß auf die letzten ca. 125 Jahre zurückführen lässt. Die Typologie „Schulhaus“ ist noch ziemlich jung, hat aber dennoch bereits viele Änderungen erfahren. Gesellschaftliche Prozesse spiegeln sich in den Schulhäusern wider. Mit Beginn der Industrialisierung und der stark wachsenden Bevölkerung und Schülerschaft mussten schnell Orte für den Unterricht gefunden werden. Zunächst dienten hierfür ungenutzte Gebäude oder Lagerhallen. Während der industriellen Expansion fand eine willkürliche Ausweitung der Städte und Dörfer statt, sodass sich die Stadtform grundlegend wandelte. Architekten standen vor der Aufgabe Schulhäuser zu entwerfen, welche, bis auf ein paar Klosterschulen, noch nicht existent war. Es schien eine logische Schlussfolgerung zu sein, sich in der Gestaltung an repräsentativen, öffentlichen Gebäuden zu orientieren zu dem die Schule seit ihrer Verstaatlichung gezählt wurde. Die Architekten bedienten sich an den Elementen aller vergangenen Epochen, sodass einige Schulhäuser bald gotisch, barock oder klassizistisch aussahen. Dabei setzten die Architekten ihren Fokus auf die äußere Gestaltung und nicht auf innere Strukturen. Überdimensionierung war eine häufige Folge. Diese Entwicklung lag nicht nur in den Händen der Architekten, sondern resultierte auch aus den fehlenden pädagogischen Grundlagen und unklaren Raumprogrammen. Repräsentative Gebäude wurden an wichtigen Plätzen und Straßen der Städte verortet. Dieser Standort wurde meist auch für das Schulhaus gewählt, während die Bedürfnisse der Schüler außer Acht gelassen wurden. Die Anbindung


43

02_Schulhaus

[02.01] „Can our Cities survive?“ J. L. Sert + CIAM. New York

[02.02] Alexanderpoler project. Rotterdam. 1955 [02.01]

[02.02]

zum Wohngebiet und entsprechende Länge des Schulweges, Ruhe, Hygiene und ansprechende Umgebungen spielten keine Rolle. Aus Unwissenheit wurde der körperlichen Betätigung kaum Bedeutung beigemessen und Schulhöfe oft viel zu klein dimensioniert. Das Gebäude wurde bloß durch das Übereinanderstapeln ein und desselben Klassenzimmers charakterisiert. Dies wurde weder der Pädagogik, noch Hygiene oder Eigenart des Kindes gerecht. Es gab nur diesen einen Typ Klassenzimmer, da die damaligen Unterrichtsmethoden sich einseitig auf das Vermitteln abstrakten Wissens beschränkten. Ferner gab es weder fachspezifische, noch auf Bewegung ausgelegte Räume. Diese Schulbauten wurden oft als „Schulkaserne“ bezeichnet. In vielen Fällen wurde das Schulhaus von allen Seiten mit viergeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern umbaut, sodass die landschaftlichen Qualitäten zerstört wurden. Als weitere Belastung kam der stetig zunehmende Automobilverkehr hinzu, welcher neue Gefahren, Lärm und Schmutz mit sich brachte. Insofern die Schulen nicht an repräsentativen Orten errichtet wurden, geschieh dies in den neuen industriellen Vierteln. Dort standen sie dicht an dicht mit den Fabriken und Eisenbahnlinien. Unheilvolle Auswirkungen solcher Schulverhältnisse auf körperliches, geistiges und moralisches Heranwachsen sind keine Überraschung. Für Alfred Roth sind dies Folgen einer fehlerhaften Stadtplanung. Diese sei nicht klar und fundiert genug. Ziele, beispielsweise für die kommunale Schulbauplanung, sind nicht definiert. Pädagogische und räumliche Forderungen müssen formuliert und Voraussetzung für die Gestaltung werden. Zuletzt müssen die Schulen dort errichtet werden, wo sie benötigt werden: In den Wohngebieten.1 Die „Fehlentwicklung“ der Schulen kann laut Roth auch mit der Verstaatlichung der Schulen zusammenhängen. Zuvor wurden sie privat betrieben und nur ein kleiner Kreis von Schülern oberster sozioökonomischer Schichten hatten Zugang zu diesen Institutionen. Unterricht fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

1

vgl. 8 | 9-11


44

junge Typologie

[02.03] Stadtplanung Dessau. R. Steiger. W. Hess. 1933


45

02_Schulhaus

Im Laufe der Zeit gibt es verschiedene Stadtplanungsprojekte, welche immer mehr die Integration der Schulen in die Wohngebiete vorsahen (vgl. 02.02 + 02.03). Die demokratisierte Form des Erziehungswesens (kommunal, regional, national) macht die Schulbaufrage zum integrierten Bestandteil der Stadtplanung. Idealerweise sollte sich eine Quartierseinheit auf 5.000 Einwohner belaufen, wovon ca. 500 Schüler wären und eine angenehme Größe für die Volksschule darstellen, sodass sich günstige Verhältnisse für Länge und Gestaltung des Schulweges ergeben. Laut Roth soll der Schulweg einem angenehmen Spaziergang im Park nachkommen (vgl. Roth 1958). Das Kind verweilt in seinem gewohnten Umfeld und kann die Schule durch sichere und kurze Fußwege erreichen. Die ganze Umgebung ist Teil der Erziehung des Kindes. Elternhaus und Schule sind eng miteinander verbunden und sollen dem Kind entsprechend wohnlich und einladend gestaltet sein. Mit der Weimarer Verfassung wurde erstmalig eine Schulpflicht und Vorschriften zur Planung und Einrichtung von Schulen festgehalten. Der revolutionäre Geist dieser Zeit sollte sich fortan auch in der Architektur wiederfinden. Auch die Tuberkulose und unhygienischen Städte trugen zur Entwicklung des Pavillon-Typs bei. Nicht mehr der treue Untertan, sondern der mündige Bürger steht als Bild hinter diesen Entwürfen. Eingeschossige, teils weit ausufernde Schulhäuser repräsentieren den freien Geist. Die Open Air School von Baudoin und Lods in Suresnes aus dem Jahr 1935 ist hier ein repräsentatives Beispiel (s. S. 54). Die Schule befindet sich in einem Park und jede Klasse hat einen freistehenden Pavillon, welcher sich dreiseitig öffnen lässt. In den 1930er Jahren folgen gegenläufige Strömungen durch die sich etablierenden, autoritären Regime beispielsweise in Deutschland, Spanien und Italien. Gehorsam gegenüber dem Staat und körperliche Ertüchtigung werden zu Erziehungsidealen. Neuartige, offene Schulbauten werden geschlossen und die strengen „Kasernenschulen“ wieder aufgegriffen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde mit großen Reformen gerechnet. Im Jahr 1950 fanden Schulbautagungen in Stuttgart und Düsseldorf statt und 1951 wurde eine spezielle Kommission zum Studium der Schulbaufrage auf internationaler Grundlage gegründet (Architekten-Union, UIA). In den 1950er Jahren wurde viel Wert auf die soziale Bedeutung der Bildung und Erziehung gelegt, was sich auf die städtebauliche, architektonische und technische Entwicklung auswirkte. Schulen stehen während des Wiederaufbaus besonders im Zeichen des Neubeginns. Die Freiluftschule der 1920er und 1930er Jahre wurde erneut aufgegriffen und zum Sinnbild für die Befreiung von autoritären Reglements. Weit ausufernde Pavillonschulen entstehen, deren Klassenzimmer zweiseitig belichtet und belüftet sind (s. S.74 Grundschule Vogelsang. Behnisch). Parallel zu diesen Strömungen gibt es auch jene, welche sich der klassischen Moderne weiterhin verpflichtet fühlen (s. S.65 [02.35] Primarschule. A. del Fabbro).


46

3

vgl. 2 | 214

3

vgl. 8 | 13

junge Typologie

Die 1960er und 1970er brachten weitreichende gesellschaftliche Veränderungen mit sich, die nach und nach auch das Bildungswesen und den Schulbau beeinflussten. Nach dem Sputnik-Schock und den Oberstufenzentren, welche Abiturientenmaschinerien ähnelten, wurde das komplette Bildungssystem infrage gestellt. Der Wunsch die drei weiterführenden Schultypen zu vereinen wurde größer, sodass die ersten Gesamtschulen gegründet wurden. Selbstständiges Arbeiten in Gruppen, welches von nun an die Schultypologie immer weiter verändern sollte, wurde eingeführt. In den 1990er Jahren werden Schulbauten zunehmen kubischer und folgen einer klaren inneren Struktur. Vielen Schülern fällt es leichter sich in kleinen, übersichtlichen Schulen zu orientieren. Umso jünger die Schüler sind, umso kleiner, wohnlicher und näher am Elternhaus sollte die Schule orientiert sein.3 Nicht nur die Unterrichtsmethode, sondern auch das Schulhaus muss dem Alter der Kinder entsprechen. Schon Pestalozzi (1746 - 1827) erkannte den Zusammenhang zwischen Entwicklung und Umgebung. Sie hat einen direkten Einfluss auf das Kind und ist ebenso an der Erziehung beteiligt, wie die Schule und das Elternhaus.4 Findet das Kind in jungen Jahren eine wohnliche Atmosphäre in der Schule vor, wird die Trennung vom Elternhaus mit zunehmendem Alter immer leichter fallen. Heute ist die Schule nicht mehr auf die Vermittlung von Wissen beschränkt. Sie ist zum Lebens-, Bewegungs- und Freizeitraum für Schülerinnen und Schüler geworden. Eine Vielzahl verschiedenster Betätigungen innerhalb und außerhalb des Unterrichts verlangen nach unterschiedlichsten Räumen und größtmöglicher Flexibilität. Typische Tätigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen, manuelle Arbeit, körperliche Betätigung, Forschen, Veranstaltungen und sonstige soziale Interaktionen verlangen nach Räumen, in denen dies möglich ist. All diese Tätigkeiten brauchen entsprechende Ruhe- bzw. Lärmzonen, Größe, Belichtung, Umgebung und so weiter. Anregende Lernsituationen und Begegnungsflächen sollten geschaffen werden. Die Schule ist die Typologie in dem am meisten soziale Interaktion stattfindet und je nach architektonischer Struktur ein Zusammengehörigkeitsgefühl ähnlich einer Nachbarschaft erschaffen kann. Sie sollte nicht aus hermetisch abgeriegelten Räumen bestehen, sondern eine Gemeinschaft hervorbringen. Wie ein Mosaik sollten sich verschiedenste Prozesse der Schule überlappen und ineinander greifen, um eine Einheit darzustellen. Die Schule wird sinnbildlich zur Stadt.


47

02_Schulhaus

[02.05] Victory Boogie Woogie. Piet Mondrian. 1944

[02.04] Kinder an der Milchbar


48

Bildungsreise

Anfänge

Das Nichtexistieren eines Schulhauses wurde mit wachsender Schülerschaft zum Problem. Ungenutzte Gebäude und Lagerhallen dienten zunächst für den Unterricht. Schulhäuser waren dringend benötigt, die architektonische Gestaltung jedoch noch nicht deutlich. Zu jener Zeit wurden immer mehr Musterkataloge für alle öffentlichen Bauten, zu denen auch die Schulen gehörten, erstellt. Das Monatsblatt für Bauwesen veröffentlichte regelmäßig Musterzeichnungen für verschiedenste Bauten. Die dort 1821 von Gustav Vorherr abgebildeten Musterzeichnungen für Schulen enthielten Grundrisse, Ansichten, Fenster und Türen, welche beliebig miteinander kombiniert werden und auf diese Weise ein Schulhaus entstehen lassen konnten [02.05]. Dabei war der Grundriss kaum von den Musterzeichnungen Vorherrs beispielsweise für Pfarrhäuser zu unterscheiden. Dies zeugt umso mehr von der Unwissenheit und fehlenden Typologie der Schule. Es gab keine spezifischen Charakteristika, welche eine Schule als solche definieren würden. Ende des 19. Jahrhunderts wurden immer größere Schulhäuser aus Backstein und mit kantiger Gestalt gebaut. Sie kamen äußerlich einem Verwaltungs- oder Gerichtsgebäude nah und haben wohl auf kein Kind ansprechend gewirkt. Die innere Struktur folgt immer dem selben Schema. Es gibt einen Flur, von dem beidseitig Klassenzimmer abgehen. Fachräume oder eine Turnhalle gab es nicht. Aufgrund ihrer rationalen und kühlen Erscheinung wurden diese Schulen „Kasernenschule“ genannt. An Anlehnung an öffentliche Bauten wurde oft überproportional und am Maßstab des Kindes vorbei geplant und gebaut. Aus heutiger Sicht kommt dies den alten Schulgebäuden allerdings zugute. Die Klassenzimmer entsprechen den heutigen Maßstäben, da sich die Klassenstärke verringert hat und die alten Räumlichkeiten deshalb ohne großen Umbau weiter genutzt und an moderne Konzepte angepasst werden können.


49

02_Schulhaus

[02.05] Musterzeichnungen Schulhaus. 1821

[02.06] Schulgebäude Steglitz. 1890


50

Bildungsreise

„Das Schulhaus in Celle bedeutet zweifellos einen gewaltigen Fortschritt für die Ausgestaltung unserer Schulbauten; und hier kann das große Berlin von der kleinen Provinzstadt viel lernen!“ Berliner Morgenpost. 1928

4

vgl. 15

Erste deutliche Veränderungen erfuhr das Schulhaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Otto Haesler entwarf mit seiner Altstädter Schule 1928 ein sehr innovatives Gebäude. Er orientierte sich stark an den neuen Erkenntnissen der Pädagogen und entwickelte dabei vier Grundprinzipien zur Gestaltung: Licht, Luft, Reinlichkeit und Schaubarkeit für Schüler und Lehrende. Seine Schule zählt zudem zu einem der zehn wichtigsten Bauwerke des Bauhausstils. In den ersten zwei Jahren nach Fertigstellung besichtigten über 8.000 Besucher die Schule, was ihre architektonische Bedeutung unterstreicht.4 Das Gebäude ist dreiteilig aufgebaut. An den beiden Außenseiten sind die Klassenzimmer angeordnet und in der Mitte gibt es eine Turnhalle. Die kompakte und übersichtliche Anordnung macht die Orientierung im Gebäude äußerst einfach und garantiert kurze Wege. Durch farbige Akzente und abgerundete Wände möchte Haesler die Schule besonders ansprechend gestalten. Rund 1.800 Fenster brachten ihr den Spitznamen „Glasschule“ ein. Durch die langen, durchgehenden Fensterbänder wird ein großzügiger und gleichmäßiger Lichteinfall ermöglicht.

Eingang Schulgebäude [02.07] Turnhalle mit Oberlicht [02.08] Grundriss Obergeschoss[02.09] Klassenzimmer [02.10]


51

02_Schulhaus

[02.07]

[02.09]

[02.08]

[02.10]


52

Bildungsreise

Freiluftschulen der 1920er und 1930er Jahre Zunehmende Luftverschmutzung und unzureichende Hygiene, sowie der Ausbruch der Tuberkulose, forderten ein Umdenken des Schulhauses. Die Schulen wurden offener und zogen zunehmend an den Stadtrand oder in die Nähe von Wäldern. Die Freiluftschulen entstanden. Ursprünglich folgten sie dem medizinischen Zweck der Heilung von kranken und schwachen Kindern. Hierzu waren die Schulen mit einem Sanatorium verbunden und Fächer wie „Hygiene“ und „Ernährung“ wurden gelehrt. Es gab in der Regel einen großen Speisesaal und eine (Dach-) Terrasse, auf der die Kinder jeden Tag der verordneten Ruhe nachkamen. Neben diesen Freiluftschulen gab es auch jene, welche nicht einem medizinischen Zweck verfolgten, sondern nur der Bewegung zu einer offeneren Architektur nachkamen. Johannes Duikers Clioschool in Amsterdam aus dem Jahr 1930 ist ein sehr bekanntes Beispiel dieser Freiluftschulen. Sie wurde damals am Amsterdamer Stadtrand erbaut, ist jedoch heute komplett von drei- bis viergeschossigen Wohnhäusern umschlossen [02.11]. Schüler und auch Anwohner empfinden diese Situation, aufgrund des geringen Abstandes, als sehr unangenehm. Den Architekten war aufgrund mangelnder Kommunikation mit Pädagogen die räumlichen Auswirkungen auf die Kinder nicht bewusst. Er wollte in seiner Schule ein Maximum an Licht ermöglichen und entwarf schlussendlich ein turmartiges Gebäude. Jedes Geschoss beinhaltete zwei Klassenräume, welche dreiseitig belichtet werden konnten und über eine großzügige Terrasse miteinander verbunden waren. Dass Duiker eine gewisse Flexibilität des Unterrichts berücksichtigte wird in den Möbeln deutlich, die er für die Clioschool entwarf. Sie waren nicht am Boden verschraubt und die Stühle waren sogar klappbar [02.12].

[02.11] Lageplan

[02.12] Stuhl. Duiker


53

02_Schulhaus

[02.13] Clioschool. Amsterdam. Johannes Duiker. 1930

[02.14] Grundriss Obergeschoss

[02.15] Schnitt


54

Bildungsreise

[02.16]

[02.17]

[02.19]

[02.18]


55

02_Schulhaus

Die Freiluftschulen wurden als ultimative Verschmelzung von Innen und Außen gesehen. Die Freiluftklassenzimmer waren eine Innovation. Allerdings folgten sie den gleichen Regeln, wie die normalen Klassenzimmer, nur eben ohne Wände. Diese zu entfernen rief bereits ein Gefühl von Freiheit und Fortschritt hervor. Für die Schüler bedeuteten die Freiluftklassen oft mehr Ablenkung und Unbequemlichkeiten durch den direkten Einfluss des Wetters. Beinahe selbstverständlich weckt die Natur zusätzlich die Aufmerksamkeit des Kindes, welches aber weiterhin dazu gezwungen wird auf seinem Stuhl zu verweilen. Trotz möglicher Ablenkung hat die Natur positiven Einfluss auf die Schüler. Auch wenn die Freiluftschulen durchaus kritisch gesehen wurden, haben sie einen grundlegenden Beitrag zum Umdenken des Klassenzimmers geleistet. Sie sind Spiegel der sich öffnenden Gesellschaft, in der das Lernen und Lehren mehr in die Natur integriert werden sollte.5 Die Klassenzimmer der Open-Air-Schule in Suresnes von Eugene Beaudouin und Marcel Lods aus dem Jahr 1935 zeigen eine bis zu dem Zeitpunkt völlig neue Form auf. Sie sind vom Hauptgebäude losgelöst und über einen offenen Flur miteinander verbunden. Jedes Klassenzimmer besteht aus einem freistehenden Pavillon, welcher sich zu drei Seiten hin komplett öffnen lässt. Sie haben einen starken Bezug zum Außenraum und eine Dachterrasse. Der Umgebung wird hier zum ersten Mal eine Bedeutung zugesprochen. Es gibt viel Fläche für die Kinder zur körperlichen Betätigung und trotz der horizontalen Ausbreitung sind die Entfernungen innerhalb des Schulgebäudes fußläufig gut zu bewerkstelligen. Der Flur, welcher vorher nur verbindendes Element war, wird in der Schule von Beaudouin und Lods zu einem landschaftlichen Element. Die Landerziehungsheime und Waldschulen zählen meistens zu den Freiluftschulen [01.03-06]. Die Reformpädagogen erkannten früh die Bedeutung der natürlichen Umgebung in Verbindung mit der Erziehung.

[02.16] Lageplan [02.17] Klassenzimmer mit geöffneter Wand [02.18] Außenaufnahme Klassenpavillons [02.19] Grundriss Klassenzimmer

5

vgl. 3 | 15


56

Bildungsreise

Neutra‘s experimentelle Schulen Das neue Jahrhundert war geprägt von experimentellen Schulbauten. Immer mehr Architekten sahen den Schulbau als eine bedeutende Aufgabe an und entwarfen verschiedenste Gebäude. Besonders bekannt sind die experimentellen Schulen von Richard Neutra. Durch ein Erdbeben im Jahr 1923 wurden rund 230 Schulen in Los Angeles zerstört. Die Stadt rief ein großes Wiederaufbauprogramm ins Leben, in dem Architekten dazu aufgefordert waren experimentell zu arbeiten, mit offenen Raumkonzepten, leichten Konstruktionen und aufgrund der Dringlichkeit mit Fertigteilbau. Im Rahmen dieses Programms entwickelte Neutra seinen Entwurf für die Corona Avenue School, welche 1935 schließlich fertiggestellt wurde. Sein Entwurf war besonders durch den fließenden Übergang von Innen und Außen geprägt [02.21].Die Westseite besteht aus einer Glaswand, welche sich komplett zu einer Freiluftklasse öffnen lässt. Jedes Klassenzimmer hat außerdem einen eigenen Außenbereich. Neutra plante die Schule als Modul, sodass sie beliebig erweitert werden konnte. Die Erschließung erfolgt über einen offenen, überdachten Flur. Durch die Veröffentlichung in internationalen Fachmagazinen wurde Neutras Schule in kurzer Zeit zum wichtigen Vorbild für viele Architekten.

[02.20] Zeichnung Corona Avenue School. Richard Neutra


57

02_Schulhaus

[02.21] Zeichnung fließender Raum. Richard Neutra

[02.22] Grundriss Corona Avenue School


58

Bildungsreise

[02.23] Außenbereich Corona Avenue School

[02.24] Isometrie Corona Avenue School. Richard Neutra


59

02_Schulhaus

[02.25] Entwurf Ringschule für eine ideale Stadt. Richard Neutra. 1932

[02.26] Entwurf Richard Neutra School. R. Neutra + R. Alexander. Lemoore. USA. 1961


60

Bildungsreise

[02.28] Lageplan

[02.29] Grundriss

[02.30] Nebenraum

[02.27] Eingang


61

02_Schulhaus

[02.31] Gartenhof

Eine weitere wichtige Schule, welche Vorbild für viele Nachfolger wurde, ist die Crow Island School in Winnetka (USA) von E. & E. Saarinen aus dem Jahr 1940. Sie wurde in Zusammenarbeit mit dem Pädagogen C. Washburne errichtet und umfasst einen Kindergarten sowie eine Grundschule. Dieses Modell findet bei US-ameriaknischen Schulen häufig Verwendung. Die Schule ist auf 300 bis 400 Schüler bemessen, was nach Washburne die perfekte Größe für Grundschulkinder sei, um sich selbstständig zurechtfinden zu können.7 Sie ist dabei in zwei einfach zu überblickende Riegel geteilt, welche die Klassenzimmer beinhalten und die dadurch hervorgerufene räumliche Trennung wirkt beinahe clustermäßig. Durch die Platzierung des ebenerdigen Gebäudes auf dem weitläufigen Grundstück entstehen verschiedene hofähnliche Situationen, die für verschiedene Tätigkeiten genutzt werden können [02.28]. Jedes Klassenzimmer hat neben dem normalen Unterrichtsraum einen zusätzlichen Nebenraum und einen eigenen, windgeschützten Gartenhof. Dieser ist von der Nachbarklasse derart optisch und akustisch getrennt, dass er als vollwertiger Freiluft- Unterrichtsraum genutzt werden kann.

7

vgl. 8 | 110


62

Bildungsreise

Schule während und nach dem Krieg

8

vgl. 7

In Zeiten der Weltkriege (WK I 1914-1918, WK II 1939-1945) hatten Schulen mit massiven Einschränkungen des Unterrichts zu kämpfen. Viele Gebäude erlagen den Bombenangriffen oder mussten aus anderen Gründen bis zum Kriegsende schließen. Viele junge Männer erhielten gegen Kriegsende ein Notabitur, um möglichst schnell an der Front zu kämpfen. Bautätigkeiten blieben selbstverständlich, besonders in Deutschland, während dieser Zeit aus. Auch nach Kriegsende war der Unterricht zunächst stark erschwert, da Gebäudekapazitäten fehlten. Oft wurde auf die Räumlichkeiten von Gaststätten zurückgegriffen oder kurzerhand günstige Barackenschulen errichtet. In frühen Zeiten war die Schule nicht nur ein Ort der Bildung, sondern wurde von der gesamten Gemeinschaft genutzt. So diente der Dachstuhl oft den Bauern zum Trocknen des Strohs, nachdem ihre Scheunen aufgrund des Krieges zerstört wurden. Die Zeit nach dem Krieg wurde von Vielen als ein Neuanfang wahrgenommen. Die Freiluftklasse wird hierbei zum Sinnbild für die Befreiung. Schule unter dem Nazi-Regime fand nach den Prinzipien der „alten Schule“ statt, wohingegen sich die Freiluftschulen neueren, zeitgemäßen Konzepten verpflichteten. Im Jahr 1942 fand für die Zukunft der Schule im MoMa die Ausstellung „Modern Architecture for the Modern School“ von Elizabeth und Rudolph Mock statt. Während des Krieges reiste das Ehepaar durch die USA und suchte nach repräsentativen Beispielen (u.a. Corona Avenue und Crow Island), um in der anschließenden Ausstellung Anreize für Architekten zu geben, die Schultypologie weiter zu entwickeln und freier zu gestalten.8 Die Ausstellung bestand aus verschiedenen Täfelchen, welche einem bestimmten Thema zugeordnet waren. Zum Einen wurden architektonische Elemente, wie z.B. ein überdachter Flur [02.34] und zum Anderen collagenartige Plättchen mit Notizen zu den neusten pädagogischen Erkenntnissen [direct contact with nature + sense of security unit and freedom] ausgestellt. Neutras Schule an der Corona Avenue war für sie ein wegweisendes Modell, welches die neue Philosophie der kindlichen Entwicklung und des Lebens widerspiegelte. Sie wurde auf Grundlage der Bedürfnisse des Kindes entworfen, welches sich in der Schule frei bewegen und direkten Kontakt zur Natur haben konnte. Dies war revolutionär im Hinblick auf die Schulhäuser des 20. Jahrhunderts.


63

02_Schulhaus

[02.32]

[02.33]

„What about post war schools? Thousands will be needed to meet the growing shortage. It‘s up to YOU to insist that they be modern schools for modern education - a stimulating environment for democratic living.“ Beschriftung auf Täfelchen der Ausstellung

[02.34]


64

Bildungsreise

Bildung am Stadtrand in den 1950ern

9

vgl. 8 | 81

Viele Schulen der 1950er Jahre wurden nicht mehr im stickigen Stadtkern, sondern am Stadtrand oder in Parks errichtet. Sie fanden sich in einer weitläufigen, ansprechenden Landschaft wieder. Dadurch bestachen sie vor allem mit der ruhigen Lage und einer möglichen Naturverbundenheit. Diese Schulen erscheinen von Außen meist heimisch und privat. Die Primarschule Untermoos beispielsweise erinnert fast an eine Wohnhaussiedlung [02.39]. Die Architekten setzten sich immer mehr mit einer tatsächlichen Typologie auseinander und definierten bestimmte Elemente und Besonderheiten. Vor allem die Themen der Integration in die Umgebung, Erschließung und Gestaltung des Klassenzimmers bestimmten den Schulbau der 1950er Jahre. In der Primarschule Untermoos [02.35] verschmitzte durch die Anordnung der Schulbaukörper die Erschließung mit dem Innenhof. Sie wurde zu einem überdachter Außenraum anstelle eines abgeschlossenen Ganges. Dieses Prinzip fand sich auch bei der Primarschule Wasgenring [02.44], welche die Klassenpavillons mit einem überdachten Gang zum Hauptgebäude, verband. In vielen Schulen ist zu erkennen, dass Belichtung eine immer größere Rolle spielte. Einige Klassenzimmer erhielten Pultdächer, um Belichtung und Belüftung durch mehrere, gegenüberliegende Fenster zu ermöglichen [02.36, Schnitt Schule am Herigswill, 02.46]. Die North Hillborough School [02.45] und die High Lawn Primary School [02.38] gliederten sich aktiv in die Landschaft ein. North Hillborough folgte dabei einer linearen Struktur, welche Parallel zu dem abfallenden Gelände platziert war, wohingegen High Lawn in Clustern angelegt wurde und somit individuell dem Gelände angepasst wurde. Die High Lawn Primary School folgte einem alternativen Konzept, nach dem es Freien Unterricht ermöglichte.9 Der Grundriss eines Klassenpavillons unterschied sich stark von jenen anderer Beispiele. Jeweils zwei Klassenzimmer teilten sich einen gemeinsamen Vorraum, welcher mit dem restlichen Schulgebäude verbunden war. Die Klassenzimmer konnten mittels mobiler Wände zusammen geschlossen werden und verfügten über eine großzügige, teilweise überdachte Terrasse.

Primarschule Untermoos. Zürich. E. del Fabro. 1954 [02.35] Klassenzimmer Untermoos [02.36] Schule am Herigswill. Luzern. Schaad + Jauch. 1952 [02.37] High Lawn Primary School. Bolton. Claydon + Foy. 1953 [02.38]


65

02_Schulhaus

[02.35]

[02.37]

[02.38]

[02.36]


66

Bildungsreise

[02.39]

[02.40]

Außenbereich Untermoos [02.39] Schulgarten Schule am Herigswill [02.40] école primaire Parc Geisendorf. Genf. CH. Brera + Waltenspuhl. 1952 [02.41] Innenhof école primaire [02.42] Primarschule Wasgenring. Haller. Basel. CH. 1955 [02.43] überdachter Gang Wasgenring [02.44] North Hillborough School. Kalifornien. USA. E. Kump. 1954 [02.45] Klassenzimmer North Hillborough [02.46]


67

02_Schulhaus

[02.41]

[02.42]

[02.43]

[02.44]

[02.45]

[02.46]


68

Bildungsreise

Effiziente Strukturen

10

vgl. 9 | 87

11

vgl. 9 | 169

In der Nachkriegszeit mussten die Gebäude in schnellster Zeit wieder aufgebaut werden. Um dies möglichst einfach und effizient zu bewerkstelligen wurde auf leichte Konstruktionen und Fertigteilbauweise zurückgegriffen. Viele Schulen der DDR wurden nach eigens entwickelten Musterbauplänen in Plattenbauweise und mit Elementfassaden in kürzester Zeit errichtet. Die Hoover Elementary School in Wayne (USA) von Charles Altwood wurde 1955 als Ausweichschule errichtet, nachdem im Hauptgebäude der Schule die Kapazitäten nicht mehr ausreichten. Aufgrund des einfachen, genormten und großteils vorgefertigten Systems wurde die Schule nach nur vier Monaten Bauzeit fertiggestellt.10 Der Baukörper wurde äußerst kompakt und flexibel gehalten, wodurch beinahe komplett auf Flure verzichtet werden konnte [02.47+48+52]. Die Wände zwischen den Klassenzimmern waren beweglich und ermöglichten auf diese Art verschiedene Formen des Unterrichts [02.49+50]. In ähnlicher Weise wurde 1955 die Belair Primary School in San Angelo (USA) von Caucill, Rowlett, Scott und Goss entworfen und gebaut [02.53]. Ähnlich wie die Hoover Elementary konnte auch hier durch die zentrale Anordnung beinahe komplett auf Flure verzichtet werden [02.54]. Im Zentrum des Kreises, welcher zu dieser Zeit eine neuartige Grundrissform darstellte, befand sich ein Veranstaltungsraum, der mittels mobiler Trennwände noch erweitert werden konnte [02.51]. Die Klassenzimmer sind mit 90m2 ziemlich groß bemessen, für US-amerikanische Schulen allerdings durchaus üblich, da dort Unterricht vergleichsweise früh in einer offenen Form eingeführt wurde.11 Neben dem runden Grundriss wird der Baukörper von einem quadratischen, weit auskragendem Dach charakterisiert. Dieses sollte in der heißen Region in der im Sommer Temperaturen bis zu 50°C erreicht werden einen Aufenthalt im Freien ermöglichen.

Grundriss + Schnitt Hoover Elementary [02.47] Hoover Elementary School. Wayne. USA. C. Altwood. 1955 [02.48] Innenraum Hoover Elementary [02.49] Klassenzimmer Hoover Elementary [02.50] Isometrie Belair Primary [02.51] Konstruktion Hoover Elementary [02.52] Belair Primary School. San Angelo. USA. Caudill u.a. 1955 [02.53] Grundriss Belair Primary [02.54]


69

02_Schulhaus

[02.47]

[02.48]

[02.50]

[02.49]

[02.51]

[02.52]

[02.54] [02.53]


70

Bildungsreise

Aufleben der Pavillonschulen

Als weitere wichtige Strömung der Schularchitektur der Nachkriegszeit wurden die Pavillonschulen der 1920er und 1930er Jahre wieder aufgenommen. Eine der wichtigsten Schulen dieser Strömung ist die netzförmige Munkeggaard Schule in Gentofte (DK) aus dem Jahr 1956 von Arne Jacobsen [02.59]. Hierbei handelt es sich um eine Primar- und Sekundarschule für ca. 800 Schüler und Schülerinnen, welche eine konzentriert, kompakte Pavillonschule darstellt. Jedes Klassenzimmer hat einen Vor- bzw. Gruppenarbeitsraum, den Hauptraum und einen Gartenhof, welcher nach Süden ausgerichtet ist. Arne Jacobsen wählte für die Klassenzimmer einen quadratischen Grundriss, welcher immer ein Höchstmaß an Flexibilität ermöglicht. Der Lehrende ist nicht mehr das alleinige Zentrum. Durch die clevere Wahl des Pultdachs und zusätzliche Fenster kann das Klassenzimmer über die komplette Tiefe belichtet werden [02.58+60].

Gartenhof [02.55] Gruppenraum [02.56 überdachter Korridor [02.57] Klassenzimmer [02.58] Außenaufnahme Munkegaard School [02.59] Schnitt [02.60] Grundriss [02.61]


71

02_Schulhaus

[02.55]

[02.56]

[02.57]

[02.60]

[02.58]

[02.61]

[02.59]


72

Bildungsreise

[02.62]

Als weiteres Beispiel für die Pavillonschule mit Elementen der Moderne ist die Primar- und Sekundarschule Riedenhalde (1959) in Zürich von Roland Gross zu nennen [02.64]. Besonders in ihrer architektonischen Gestaltung unterschied sie sich stark von der Munkegaard Schule. Von einem gemeinsamen Eingang, kann über einen der vielen Höfe [02.65+66] entweder die Primar- oder die Sekundarstufe erschlossen werden. Während der Sekundarbereich turmartig, mit einem zentralen Treppenhaus und dreiseitiger Belichtung der Klassenzimmer angelegt ist, gruppieren sich die Klassenzimmer der Primarschule um einen eigenen Innenhof. Jeweils zwei Klassenzimmer haben einen gemeinsamen Vorraum und eine Terrasse für Freiluftunterricht im eigenen Garten [02.63].

[02.63]


73

02_Schulhaus

[02.64]

[02.65]

[02.66]

[02.62] Grundriss [02.63] Freiluftklasse Primarstufe [02.64] Luftbild Riedenhalde [02.65] Innenhof Sekundarstufe [02.66] Innenhof Primarstufe [02.67] Schnitt Sekundarklassenzimmer

[02.67]


74

Bildungsreise

Im Gegensatz zu den sehr orthogonalen, kompakten Strukturen von Munkegaard und Riedenhalde gab es auch Pavillonschulen, welche eher organisch erscheinen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die 1961 errichtete Vogelsangschule in Stuttgart von Günter Behnisch. Die Schule ist durch ihre Kleinteiligkeit perfekt an das innerstädtische, abfallende Grundstück angepasst. Der zentrale Bereich, welcher von den acht eingeschossigen Klassenpavillons umrahmt wird, ist organisch abgetreppt.

[02.68]

[02.69]


75

02_Schulhaus

[02.70]

[02.68] Schnitt [02.69] Innenhof [02.70] Grundriss [02.71] Perspektive [02.72] Grundriss Klassenzimmer [02.73] Luftaufnahme Innenhof

[02.72]

[02.71]

[02.73]


76

Bildungsreise

[02.74]

Wenn es um Pavillonschulen und Nachkriegszeit geht kommt man nicht um Hans Scharoun herum. Seine Schulen in Lünen und Marl haben den deutschen Schulbau nachträglich revolutioniert. Nach dem Krieg wollte Scharoun den neuen demokratischen Zeitgeist, durch den die deutschen Kinder fortan geprägt werden sollen, in seinen Entwürfen darstellen. Er wollte die Gesellschaft symbolisch zusammen bringen. Die Schule wurde dabei in ihrem Aufbau einer kleinen Stadt nachempfunden: die 16 Klassenpavillons (Schulwohnung) wurden in Vierergruppen zu einer Nachbarschaft angeordnet. Die Aula und die Haupterschließung stellten den Hauptplatz und öffentlichen Bezirk dar. Scharoun spielte hier mit verschiedenen Maßstäben, welche unterschiedliche Situationen zwischen privat und öffentlich zufolge hatten. Vielfältige Raumlandschaften, Sichtachsen und Niveaus schafften ein abwechslungsreiches Gesamtbild. Diese Überlegungen fanden bereits 1951 bei Entwürfen für die Volksschule in Darmstadt statt. Scharoun unterteilte die Schule hier in drei Bezirke: Sphäre des Elementaren (A), Sphäre des Erfahrens und Bildens (B) und Sphäre des Geistigen (C). Durch die organische Anordnung erhielt jedes Klassenzimmer einen Außenbereich für Freiluftunterricht und den direkten Bezug zur Natur. Die vielfach differenzierte Raumlandschaft, wie auch die zentrale Form, ermöglichen verschiedenste Lernsituationen.

[02.75]


77

02_Schulhaus

[02.76]

[02.77]

[02.78]

[02.74] Modell Schule Darmstadt 1951 [02.75] Konzept Darmstadt [02.76] Außenaufnahme Schule Marl 1967 [02.77] Klassenzimmer Marl [02.78] Grundriss Marl [02.79] Grundriss Schule Lünen 1961

[02.79]


78

Bildungsreise

Kompakte Formen moderner Strömungen

Neben den Strömungen der Pavillonschulen, gab es auch Architekten, welche der architektonischen Moderne folgten. Im äußerlich großen Kontrast zu Scharoun befindet sich die Kantonschule Freudenberg (1960) in Zürich von Jaques Schader, welche sich in einem großen Park befindet [02.83+84]. Die Baumassen sind stark konzentriert und die Mittel- und Handelsschule deutlich voneinander getrennt [02.81]. Die Schulhoffläche befindet sich auf der Dachterrasse, welche sich aus dem abfälligen Gelände ergab [02.80]. Auch die Primarschule Riedhof (1963) in Zürich von Alfred Roth ist sehr kompakt und linear gehalten. Dennoch schmiegt sich die Schule in die vorhandene Hanglage ein [S. 80 Abb. Schnitt], welche Roth geschickt nutzte und alle Räume so ausrichtete, dass sie freie Sicht ins Grüne erhielten. Die Klassenzimmer gestaltete er mit einer zusätzlichen Nische, beispielsweise für Bastelarbeiten und einem großzügigen Oberlicht für ausreichende Belichtung [02.88]. Ferner gibt es Schulen, welche Mischformen aus verschiedenen Typen darstellen. Die Glenmore County Junior School (1963) in Wigston (GB) von Farmer und Dark wurde pavillonartig gestaltet und gleichzeitig durch die dominierende Form des Kreises zentral angeordnet. Nach Westen öffnet sich die Schule in Richtung Stadt und im Osten, wo sich die Klassenzimmer befinden, in Richtung offene Landschaft. In der Mitte befindet sich die Mehrzweckhalle, an der kleine Patios vorbei führen, welche mit den Klassenzimmern verbunden sind [02.89]. Die trapezförmigen Klassenzimmer haben eine Ecke für Gruppenarbeit und Bücher, sowie eine Bastelecke und eine Terrasse, zusammen mit dem benachbarten Klassenzimmer [02.93]. Auffällig ist, dass vor allem bei Roth und Farmer + Dark reformpädagogische Gedanken in den Grundrissen zu finden sind. Immer mehr Elemente entwickeln sich weiter, oder kommen hinzu. Mittlerweile scheinen die Architekten eine Typologie begründet zu haben, welche bestimmte Ansprüche an ein Raumprogramm, Belichtung, Erschließung, Elemente für einen bestimmten Raum und Bezug zur Umgebung stellt.

Schulhofterrasse [02.80] Grundriss Kantonschule [02.81] Fachklasse Kunst [02.82] Aufgang I [02.83] Aufgang II [02.84] Eingang [02.85]


79

02_Schulhaus

[02.80]

[02.82]

[02.81]

[02.83]

[02.84]

[02.85]


80

Bildungsreise

Schnitt

[02.86]

[02.87]

[02.88]


81

02_Schulhaus

[02.89]

[02.93]

[02.92]

[02.90]

[02.89] Innenhof Glenmore County [02.90] Vorraum Klassenzimmer [02.91] Klassenzimmer [02.92] Grundriss [02.93] Detail Klassenzimmer

[02.90]


82

Bildungsreise

Potential des Flurs

12

vgl. 9 | 169

Im Gegensatz zu vielen anderen Architekten, verfolgt Herman Hertzberger den Ansatz Korridore und Flure als Erweiterung des Klassenzimmers und nicht als bloße Erschließungsfläche zu sehen. Bis auf die überdachten Gänge beispielsweise der Primarschulen Wasgenring und Untermoos gab es zuvor keine weiteren Ansätze dieser Art (s. S. 64-67). Die Montessori Schule in Delft (1966) ist Hertzbergers erste Schule. Im Laufe seiner Karriere folgen über 30 weitere Schulbauten. Dies macht ihn zu einem der bedeutendsten Architekten für Schulbauten. Sein umfangreiches Wissen hält er in Publikationen fest und er hält regelmäßig Vorträge. Bereits in seiner ersten Schule erkennt Hertzberger das Potential des Flurs. Da er selbst als Kind eine Montessori-Schule besucht, ist er mit der Pädagogik vertraut und kann entsprechend optimale Räumlichkeiten schaffen. Der Flur wird zur wichtigen Gemeinschaftsfläche mit vielen Möglichkeiten zum Aufenthalt und zur Arbeit. Rücksprünge vor jedem Klassenzimmer artikulieren den Eingang und eine Arbeitsnische [02.101]. Über Jahre hinweg wurde die Schule erweitert, sodass der Flur langsam zur „Lernstraße“ heranwuchs [02.94]. Dieses Prinzip verfolgt Hertzberger in allen seinen folgenden Schulen und entwickelt es zu dem „overall learning space“ weiter.12 Die Straße wirkt wie eine Spirale, welche die Kinder tiefer in sich aufnimmt [02.95]. Ein ähnlicher Effekt ist bei der Scuola Materna con Asilo Nodo von Guido Canella zu beobachten. Der spiralförmige Grundriss beinhaltet im Zentrum den Speise- und Versammlungssaal [02.96+97].

Walking about Sitting + standing

Hall

[02.94]

Rest

[02.95]


83

02_Schulhaus

[02.96]

[02.97]

[02.99]

[02.98]

[02.94] Grundriss [02.95] Schema Spirale [02.96] Scuola Materna con Asilo Nodo. Mailand. IT. Guido Canella. 1975 [02.97] Grundriss Scuola Materna [02.98] Kinder Montessori Schule [02.99] Arbeitsnische Klassenzimmer


84

Bildungsreise

[02.100]

[02.101]

[02.103]

[02.102]


85

02_Schulhaus

Hertzberger nimmt in seiner Schule in Delft Abstand von der typischen, rechteckigen Grundfläche des Klassenzimmers. Dazu gestaltet er so viele Ecken und Nischen wie nur möglich, gewährleistet aber gleichzeitig ein störungsfreies Arbeiten für jedes Kind. Hertzberger gibt dem Klassenzimmer eine L-Form, welche er in verschiedene Zonen, von introvertiert bis extrovertiert, einteilt. Diese sind räumlich beispielsweise durch halbhohe Wände welche als Regal für das Arbeitsmaterial dienen oder Stufen voneinander getrennt.

[02.100] Kinder im Klassenzimmer [02.101] Grundriss Klassenzimmer [02.102] Arbeitsplatz am Fenster [02.103] Außenbereich


86

Bildungsreise

Schulbau nach Sputnik

13

vgl. 5 | 16-18

14

vgl. 5 | 39

Nachdem der sowjetische Satellit „Sputnik I“ im Oktober 1957 den Orbit betritt, wirft er die westliche Welt aus ihren gewohnten Bahnen. Der Schock darüber, wie fortgeschritten die Sowjetunion ist, sitzt tief. Pläne zur Modernisierung und Ausweitung des Bildungssystems werden eingeführt. Teils radikale Alternativen versuchen die Befreiung und Selbstbestimmtheit im Raum darzustellen. Mehrgeschossige „open-plan“ Schulen werden zum Ideal der 1960er und 1970er Jahre. Diese Strömung gerät zunächst in Vergessenheit, ist aber mittlerweile in modernen Schulen wieder erstrebenswert (s. S.105 Ørested College, DK, 2007). In dieser Zeit etabliert sich durch die zunehmende Forderung nach Chancengleichheit und Demokratisierung allmählich die Gesamtschule. Jugendliche aller sozialen Schichten sollen dort gefördert werden. Vermehrt entstehen auch die sogenannten Oberstufenschulzentren, welche nach der Realschule besucht werden können, um die Hochschulreife zu erwerben. Zweiunddreißig Oberstufenzentren werden bis zum Anfang der 1980er Jahre allein in West Berlin gebaut. Eins davon ist das OSZ Wedding von Pysall und Strahlenberg + Partner aus dem Jahr 1977 [02.104]. Wie viele andere Schulen wird das OSZ Wedding unter der Prämisse „Verflechtung“ entworfen. Die Schule soll auch einen Mehrwert für die Nachbarschaft bringen. Die Aula [02.105] kann für öffentliche Zwecke und der Schulhof für die Nachbarskinder genutzt werden. Architekten wollen gegen Ende der 1960er Jahre zunehmend personalisierte Lernumgebungen schaffen und sich vom unmodernen, autoritären System lösen [02.106]. Die Architektur soll nun die neuen gesellschaftlichen Werte Offenheit und Kooperation symbolisieren. Die Bildungsreformen zielen darauf ab, möglichst viele Abiturienten und Abiturientinnen hervorzubringen. Oft werden sie nur noch als Zahl wahrgenommen. Die Qualität des Abschlusses ist zweitrangig.13 Der Bildungswahn hat eine weitere immense Aufgabe zu bewerkstelligen: die 1960er sind zudem durch die vielen Gastarbeiter, welche dabei helfen Deutschland wieder aufzubauen, geprägt. Ihre Kinder müssen in das Bildungssystem integriert werden. Niemals zuvor hatte es die Aufgabe gegeben solch eine große Zahl von Schülern, ohne Deutschkenntnisse, zu unterrichten und zu integrieren. Sie müssen intensiver betreut werden und gemeinschaftliche Räume werden mehr denn je gebraucht, um die Menschen auch symbolisch miteinander zu vereinen.14


87

02_Schulhaus

[02.104]

[02.105]

[02.104] Eingang OSZ [02.105] Aula [02.106] Grundriss 1.OG

[02.106]


88

Bildungsreise

[02.109]

[02.110]

[02.107]

[02.108]

[02.111]

[02.112]


89

02_Schulhaus

Querverbindung zur Stadt

Die Grundschule in Saleggi ist das Ergebnis eines öffentlichen Wettbewerbs, den Livio Vacchini 1970 gewann. Der Bau erfolgt von 1972 bis 1975 in drei Schritten und endet 1979 mit der Fertigstellung der Turnhalle. Die erste Gruppe der Klassenzimmer ist parallel zum Wohngebiet und die zweite Gruppe ist zum Wald hin orientiert. Alle Klassenzimmer sind zweiseitig belichtet und begehbar, mit einer Seite vom Außenraum und der anderen Seite von den kleinen Innenhöfen kommend. Trotz der starren, orthogonalen Kompaktheit erscheint das Gebäude durch viele Öffnungen und Verbindungen sehr offen und durchlässig [02.108+110]. Die netzartige Struktur erinnert an die Munkegaard School von Arne Jacobsen (vgl. S. 71). Dabei werden die Gänge nicht nur von den Schülern genutzt sondern sind auch ein öffentlicher Weg, welcher zwei Stadtbezirke miteinander verbindet. Das Schulleben wird zu einem Aspekt der Nachbarschaft und findet unter den Augen aller statt ohne dabei gestört zu werden. Das alte Bestandsgebäude beinhaltet Verwaltung und fachspezifische Räume. Dieses Gebäude wird auch als „Stadtgebäude“ der Schule bezeichnet. Nach der Schulzeit können öffentliche Aktivitäten, Sportveranstaltungen und kulturelle Treffen dort veranstaltet werden.15

[02.107] Grundriss + Außenansicht [02.108] Querverbindung [02.109] Klassenhof [02.110] überdachter Gang [02.111] Eingang Osten [02.112] Klassenzimmer

15

vgl. 17


90

Bildungsreise

[02.113]

[02.114]

[02.116]

Schnitt [02.113] Klassenzimmer + Korridor [02.114] [02.115]

vertikaler Raum [02.115] Schema Verbindung [02.116] Grundrisse [02.117]


91

02_Schulhaus

[02.117]

Vertikal denken

Bei den Apolloscholen in Amsterdam (1983) beschränkt sich Herman Hertzberger auf zwei kubische, komplett identische Baukörper. Zu Beginn gibt es vier Dachterrassen, von denen mittlerweile drei zwecks Flächenmangel überbaut sind. Hertzberger sieht die ganze Schule als eine Art Mikrokosmos16, sodass für ihn die Zonen außerhalb der Klassenzimmer die gleiche Bedeutung wie diesen zukommt. In der Apolloschule arbeitet er zum ersten Mal mit einem Splitlevel und Amphitheater in der zentralen Halle. Fast unbeabsichtigt entsteht hierdurch eine Vielzahl an Querverbindungen und Blickbeziehungen. Diese vertikale Verbindung ist in allen seinen Schulen ein wichtiges Element.

16

vgl. 4 | 154


92

Bildungsreise

[02.118]

[02.120]

[02.119]

Eingang [02.118] Kinder Außenraum [02.119] Isometrie [02.120] Luftaufnahme [02.121] Innenraum I [02.122] Innenraum II [02.123]

[02.121]


93

02_Schulhaus

[02.122]

[02.123]

Hertzberger will in seinem Entwurf aktiv gegen die typischen Flurschulen arbeiten und entwickelt seinen ganz eigenen Typus. Die Übergangsräume zwischen Klassenzimmer und Korridor werden zu hochwertigen Lernzonen, mit eigener Belichtung und räumlicher Trennung durch halbhohe Wände.


94

Bildungsreise

Korridor als Aufenthaltsraum

17

vgl. 3 | 32

Im Montessori College Oost (2000) in Amsterdam entwickelt Herman Hertzberger seine vertikalen Räume immer mehr zu Aufenthaltsräumen weiter. Er reduziert die Korridore auf ein Minimum, erschafft dadurch eine räumliche Kontinuität, wendet die Türen von der Haupterschließung ab und verstärkt so das Gemeinschaftsgefühl. Alle Etagen sind durch direkten Sichtkontakt miteinander verbunden was die stetige Interaktion aller Nutzer zufolge hat. Hertzberger sieht seine Schule wie eine Stadt. Der offene Raum in der Mitte ist der Hauptplatz an dem alle öffentlich zusammen kommen und nicht mehr bloß im Klassenverband interagieren, sondern zum Individuum werden.17 „Es muss in einer Stadt unbestimmte Räume geben, der Architekt sollte nicht alles festlegen.“ Herman Hertzberger 2008

Von Außen erscheint die Schule relativ heimisch. Die Holzverkleidung und angedeuteten Balkone erinnern an die umliegende Wohnbebauung. In diesem ersten Neubau einer weiterführenden Montessori-Schule, sieht Hertzberger seine Architekturauffassung nicht zu stark an der Pädagogik orientiert. Er möchte bloß einen Rahmen schaffen, welcher generell die freie Entfaltung des Kindes fördert.

[02.124] Skizzen Hertzberger


95

02_Schulhaus

[02.125] Schnitt

Bildtitel

[02.126] vertikaler Raum


96

Bildungsreise

[02.127]

[02.128]

Grundrisse [02.127] Skizze Luftraum [02.128] Aufenthalt [02.129] Schema [02.130]

[02.129]


97

02_Schulhaus

[02.130]

„Dazu gehört es meines Erachtens auch, dass eine Schule nicht einfach nur aus Klassenzimmern und Korridoren besteht. Die Schule sollte vielmehr eine Art ‚home base‘, ein Zuhause, sein. Es geht nicht nur darum, Mathematik und Sprachen zu lernen, es ist in einer multikulturellen Gesellschaft wichtiger, dass die Kinder lernen, miteinander zu leben anstatt sich zu attackieren.“ (Hertzberger, Detail 2003 S152)

Hertzberger schafft auf verschiedene Arten Aufenthaltsqualitäten in dem Montessori College Oost. Er integriert Klapptische in die Brüstungen, Treppen werden zu Sitzgelegenheiten und überall gibt es Stufen oder sonstige Sitzmöglichkeiten. Alle gemeinschaftlichen Angebote der Schule finden in und um den großen zentralen Platz herum statt: Präsentationen, Performances, Computer, Tischtennis und Beobachtungsspots. Zudem gibt es (für eine Schule) ungewöhnliche Räume wie ein Buffet, einen Filmsaal und eine Dachterrasse. Zweck all dieser Räume ist es das Gemeinschaftsgefühl zu verstärken. Hertzberger hat erkannt, dass dies besonders für Kinder der weiterführenden Schule einen wichtigen Faktor darstellt.


98

18

vgl. 3 | 125

Bildungsreise

Zudem ist er fasziniert von den Schülerströmen während der Pausen. Er sieht diese nicht als hinnehmbares Übel, sondern als ein bedeutendes Element der Gemeinschaft an. Besonders in der weiterführenden Schule sind Sichtbezügen eine größere Bedeutung zuzuschreiben. Älteren Schülern ist das Gemeinschaftsgefühl mit der ganzen Schule wichtiger, als nur mit der eigenen Klasse. Dementsprechend sollte die Erschließung nicht versteckt werden. Hertzberger macht sie zum bestimmenden Element seiner Schule. Keine der zahlreichen Treppen ist direkt über der anderen platziert, wodurch interessante und abwechslungsreiche Beziehungen unter den Nutzern entstehen. Durch diese Querverbindung wird die Schule zum Ganzen und nicht nur einzelne, voneinander getrennte Geschosse. All diese Aspekte führen dazu, dass sich die Schule wie aus kleinen Bausteinen zu einer stadtähnlichen Struktur zusammen setzt.18

[02.131]


99

02_Schulhaus

[02.132]


100

Bildungsreise

Helmut Wimmer organisiert seine Grundschule in Wien (1997) über zwei parallele „Hauptverkehrsstraßen“. An diesen sind Verwaltung, Bibliothek und sonstige Räume orientiert. Querverbindungen leiten zu den Klassenräumen welche sich in der Mitte des Gebäudes befinden, wodurch ein hohes Maß an Privatsphäre entsteht. Diese simple Struktur und Gesamtgröße (120 Schüler) macht die Orientierung für die Kinder sehr einfach. Der Parkettboden trägt zusätzlich zu einem heimischen Gefühl bei. Alle Klassenzimmer sind in Zweiergruppen zusammen geschlossen, nach Westen orientiert und haben einen eigenen Außenbereich für Freiluftunterricht.

1 Pausenhof 2 Eingang 4 Schulleitung 5 Lehrerzimmer 7 Sozialräume 8 Klassenzimmer 10 Zusatzunterricht 11 Mehrzweckraum 12 Zeichnen 13 Bibliothek [02.133]

15 Werken


101

02_Schulhaus

[02.134]

[02.133] Grundriss [02.134] Innenhof [02.135] Eingang

[02.135]


102

19

vgl. 18

Bildungsreise

Der Bürgermeister von Minami Yamashiro (JPN), wünschte sich eine Schule, welche die lokale Gemeinschaft wieder vereinen und regenerieren könnte. Zudem sollte das Gebäude auch als Gemeindezentrum fungieren. Der umgesetzte Entwurf für die Minami-Yamashiro Primary School (2007) von Richard Rogers Partnership bietet schlussendlich, neben der Tagesschule für die Kinder, auch die Möglichkeit zu Abendkursen für Erwachsene. Ferner steht die Sporthalle der Gemeinde für Versammlungen zur Verfügung. Die Schule ist auf einem Raster von 8.1x8.1m aufgebaut wobei für den Bau langlebige und wartungsarme Materialien verwendet wurden. Jeweils zwei Klassenzimmer sind miteinander verbunden und verfügen über einen gemeinsamen zusätzlichen Raum. Für spezielle Projekte und gemeinsame Aktivitäten können die Klassenzimmer in der Mitte geöffnet werden.19

[02.136]


103

02_Schulhaus

[02.136] Grundriss [02.137] Fassade [02.138] Korridor

[02.137]

[02.138]


104

Bildungsreise

moderne Tendenzen

20

vgl. 19

Architektur und Schule stehen momentan, vielleicht sogar mehr denn je, im Zeichen der Veränderung. Erst der PISA-Schock und ganz aktuell der CoronaSchock haben die Diskussion über das Bildungssystem in Fahrt gebracht. Verschlafene Trends wie beispielsweise die Digitalisierung mussten und müssen weiterhin in kürzester Zeit aufgeholt werden. Neue Tendenzen der Pädagogik fordern außerdem andere Räumlichkeiten. Die Schule als Typologie hat sich über die letzten knapp 125 Jahre heraus entwickelt und sich dabei stetig an gesellschaftliche Veränderungen angepasst. Auch wenn es Pädagogen gibt, die davon überzeugt sind, dass die Lehrenden nach einer gewissen Zeit wieder in alte Lehrmuster fallen werden, sehen viele wiederum positiv und motiviert in die Zukunft und betrachten den Corona-Schock als Katalysator. Bereits im letzten Jahrzehnt zeichnen sich generelle Trends im Schulbau ab und reformpädagogische Gedanken finden immer mehr ihren Weg in die Regelschulen. Während die alte Schule die Schüler während des Unterrichts noch verschlungen hat und die Korridore menschenleer waren, öffnet sich die neue Schule immer mehr bis Klassenzimmer und Korridor fast miteinander verschmelzen. Es gibt zunehmend offene Bereiche zwischen Flur und Klassenzimmer welches den Frontalunterricht immer mehr hinter sich lässt. Bereits in den 1960er 1970er Jahren hat es Entwürfe mit offenen Grundrissen als starke Gegenbewegung zu den alten Schulen der Vorkriegszeit gegeben [02.140]. Ein zeitgenössisches Beispiel hierfür ist das Ørestad College in Kopenhagen von 3XN aus dem Jahr 2007 [02.139+141-143]. Diese Schule basiert als erste auf den neuen Visionen von Inhalten, Themen, Organisation und Lernsystemen von Bildungsreformen in Dänemark aus dem Jahr 2004. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem interdisziplinären Lernen, der Beseitigung der traditionellen Trennung zwischen Wissenschaft und Geisteswissenschaft sowie der Vielfalt von Studien- und Arbeitsmethoden. Kommunikation und Interaktion zwischen allen Nutzern steht an oberster Priorität.20 Es gibt in Ørestad fünf Stufen der Gemeinschaft: individuell, Partner, Gruppe, Klasse und Schule. Die Schule ist in vier Lernzonen unterteilt. Jede Zone befindet sich auf einer Ebene und bietet maximale organisatorische Flexibilität, sowie die Möglichkeit zur individuellen Anpassung um unterschiedliche Räume, Lerngruppen und Gruppengrößen zu erstellen. Durch die große Öffnung in der Mitte und die rotierenden Ebenen sind alle Etagen visuell miteinander verbunden, ähnlich wie bei dem Montessori College Oost von Herman Hertzberger (s. S.94). Zudem setzt die Schule auf Digitalisierung, sodass beispielsweise an mehreren Stellen Beamer installiert wurden, über die jederzeit Präsentationen stattfinden können. Für einen generellen Input gibt es weiterhin geschlossene „Klassen-


105

02_Schulhaus

[02.140]

[02.139] Ørestad College [02.140] Secondary School. Athen. Takis Zenethos. 1974 [02.141] Blick durch Ebenen [02.139]

[02.142] Grundriss 4.OG [02.143] Innenraum

[02.142]

[02.141]

[02.143]


106

Bildungsreise

[02.144]

[02.147]

[02.145]

[02.148]

Marktplatz [02.144] Innenhof I [02.145] Innenhof II [02.146] Cluster [02.147] [02.146]

Grundriss [02.148]


107

02_Schulhaus

zimmer“. Ein eigener Dachgarten steht dem Biologieunterricht zur Verfügung. Mit einem Schulgebäude welches in dem Maße von der „Norm“ abweicht,sind Änderungen des Schulwesens und Unterrichts unumgänglich. Auch die Lehrenden müssen ihre Methoden entsprechend anpassen und weiter entwickeln. Generell muss sich das Schulgebäude einer sich schnell verändernden Gesellschaft anpassen und deshalb ein Höchstmaß an Flexibilität und Nutzungsvielfalt ermöglichen können. Momentan ändert sich die Pädagogik so rasant, dass kaum jemand sagen kann wie der Unterricht in 30 bis 50 Jahren aussehen wird. Es ist nur klar, dass Online-Unterricht niemals den Unterricht in Präsenz ablösen wird. Zwar mag Wissen auch online vermittelbar sein, soziale Kompetenzen hingegen nicht. Umso wichtiger wird es in Zukunft sein Orte welche für gemeinschaftliche Zwecke genutzt werden können in die Schulen zu integrieren. Ein Experiment in Bouaké (Elfenbeinküste) bewies dies schon 1981. Schülern in ländlichen Gebieten wurde als Alternative zum Frontalunterricht über aufgestellte Fernseher und Radioprogramme versucht, effektiv Wissen zu übermitteln. Die Ergebnisse waren durchweg schlechter, als von Vergleichschulen.21 Die zunehmende Inklusion hat weitreichende Auswirkungen auf den Schulbau. Zunehmend setzt sich die Gesamtschule durch und immer öfter wird eine Kombination von verschiedenen Betreuungen angestrebt. Kindergarten und Schule in einem Gebäude sind schon lange in Europa angekommen. Umso inklusiver das Angebot wird, desto größer wird das Gebäude, sodass teilweise ganze Bildungscampus geplant werden welche dorfähnliche Strukturen aufweisen. Nennenswert ist an dieser Stelle der Bildungscampus Sonnwendviertel in Wien von PPAG Architects aus dem Jahr 2014 welcher Teil eines neuen Wohn- und Arbeitsviertel ist [02.144-148]. Der Bildungscampus setzt sich aus einem Kindergarten, einer Grundschule und der Sekundarstufe zusammen. Regelmäßig finden altersübergreifende Aktivitäten statt. Jede Bildungseinrichtung besteht aus vier Clustern, die von jeweils 100 Kindern (insgesamt rund 1.100 Kinder) besucht werden. Je Cluster [02.147] ordnen sich vier „Bildungsräume“, ein Teamraum und ein Projektraum rund um den „Marktplatz“ (Lernlandschaft) an. Im gemeinsam genutzten Zentrum des Bildungscampus befinden sich die Bibliothek, ein Mehrzweckraum, der Sportbereich und eine Theater-/ Kinotreppe.22 Bei der Betrachtung eines Schulgebäudes ist oft nicht festzustellen welcher Schulform oder Pädagogik diese folgt. Jedoch gibt es Unterschiede und Elemente welche sich eher in einer Grundschule anstelle eines Gymnasiums finden lassen. In Grundschulen gibt es öfters den Ansatz Klassenzimmer miteinander zu verbinden, wohingegen in Sekundarschulen eher ein öffentlicher Gemeinschaftsbereich genutzt wird, um in durchmischten Gruppen zu arbeiten. Beim Thema der Digitalisierung wird diese für ältere Kinder und Jugend-

21

vgl. 5 | 30

22

vgl. 20


108

23

vgl. 21

24

vgl. 4 | 52

Bildungsreise

liche häufiger angewandt und immer wichtiger als in der Grundschule, in der es erst einmal um eine Wissensbasis geht, welche durch analoge Erfahrungen angeeignet wird. Die Anordnung verschiedener Klassenräume und sonstiger Räume in Clustern wird wieder angestrebt. Bereits in der High Lawn Primary School von 1953 (s. S. 65) werden je zwei Klassenräume und ein Vorraum zu einem Cluster verbunden. Schulleiter haben den pädagogischen Mehrwert dieser Anordnung erkannt. Die räumliche Trennung zum Rest der Schule vermittelt den Eindruck von Intimität und Häuslichkeit. Kinder verschiedener Altersgruppen kommen in den offeneren Bereichen zusammen und können miteinander sowie voneinander lernen. In einigen Schulen gibt es zudem freier gestalteten Unterricht nach Vorbild der Reformpädagogik. Der Eindruck wird geweckt, dass heute der Raum den Kindern und nicht mehr den Lehrern gehört. Wulf Architekten haben ein modulares System entworfen, welches sie beliebig kombinieren können um den rasant wachsenden Bedarf nach Schulgebäuden in München decken zu können. Die im Jahr 2017 fertig gestellte Grundschule Gustl-Bayrhammer-Straße ist eine dieser Schulen. Im Cluster gibt es vier Klassenräume, zwei Gruppenräume, einen Teamraum für die Pädagogen und einen großen Raum in der Mitte. In jedem der Klassenräume ist jeweils ein Jahrgang untergebracht, sodass sich aus allen vier Jahrgängen der Grundschule eine Klasse je Cluster befindet.23 Der Sichtbeton kann allerdings, auch wenn teilweise Holz verwendet wurde, sehr kalt und abweisend auf die Nutzer wirken, sodass die Schule den wichtigen Aspekt des zweiten zu Hause verliert. Neben dem modularen Cluster-System von Wulf Architekten hat auch Herman Hertzberger 2012 eine auf Clustern basierte Schule in Rom fertig gestellt. Zwar folgt diese Schule noch immer großteils dem Frontalunterricht, die Möglichkeit für Freiluftklassen ist jedoch für Italien bereits ziemlich fortschrittlich. Das Bildungssystem ist noch immer sehr konservativ und von autoritären Strukturen geprägt.24 In dieser Schule werden acht Klassenzimmer, welche in der Mitte einen Patio haben, zu einem Cluster zusammen gefasst. Hertzberger ließ sich hierbei von den traditionellen italienischen Häusern inspirieren. Verschiedene Innenhöfe und Außenbereiche ermöglichen den Freiluftunterricht. Typisch Hertzberger hat auch diese Schule einen offenen Gemeinschaftsbereich mit großer Treppe und einer Art Bühne.

Grundriss Grundschule. München [02.149] Cluster [02.150] Mosaici School. Rom [02.151] Gemeinschaftstreppe [02.152]


109

02_Schulhaus

[02.149]

[02.150]

[02.151]

[02.152]

[02.153]

[02.154] [02.153] Freiluftklasse [02.154] offener Bereich [02.155] Grundriss

[02.155]


110

25

vgl. 22

Bildungsreise

Die Schulen haben neben der klassischen Aufgabe der Wissensvermittlung und der neuen Aufgabe betreffend der sozialen Kompetenzen in Zukunft auch noch eine weitere zu erfüllen. Kinder und Jugendliche bewegen sich zunehmend weniger. Sei es die Zeit die nun mit digitalen Medien verbracht wird oder die Eltern, welche sich keine Vereinsgebühr leisten können. Die bewegte Schule möchte dem entgegen wirken und die Bewegung aktiv in den Schulalltag einbinden. Mentale Entspannung und Entlastungsbewegung soll hier durch eine bewegungsfördernde Gestaltung der Schule ermöglicht werden. Henning Larsen und GPP Architektur haben 2016 für ihre Bewegungsschule in Aarhus (DK) in Zusammenarbeit mit der dänischen Künstlerin Rosen Eken ein Design entwickelt welches von ganz offensichtlichen bis hin zu unscheinbaren Elementen die Kinder ihrem Alter entsprechend zur Bewegung anregen sollen. Das pädagogische Konzept ist auf die Stärkung des Selbstwertgefühls, Professionalität, sozialem Verständnis und der Fähigkeit zur Zusammenarbeit aufgebaut. Dabei ist der Lernprozess generell wichtiger als das Ergebnis. Die Kinder und Jugendlichen sollen über ihre Grenzen gehen und dadurch belastbarer werden. Das Klassenzimmer unterscheidet sich stark von anderen Schulen. Es gibt drei Zonen die im Laufe des Tages auf unterschiedliche Arten genutzt werden. Dazu gehört ein offener Raum welcher der Kommunikation dient, ein Projektraum mit Gruppentischen zum Arbeiten und eine ruhige Nische zur individuellen Arbeit.25 Die Bewegungsschule in Aarhus ist die erste Schule in Dänemark welche die Anforderungen der dänischen Schulreform von 2013 erfüllt. Das Gesetz konzentriert sich auf das Lernen durch Bewegung und Sensation sowie auf Offenheit und Schaffung von Gemeinschaft. Teil der Reform ist die Forderung nach mindestens 45 Minuten Bewegung und Aktivität während der gesamten Schulzeit. Neben subtilen Formen auf dem Boden gibt es Kletterwände, einen Seilgarten und ein Basketballfeld auf der Dachterrasse. Auch die Bewegungsschule in Aarhus ist in Cluster unterteilt. Jedes beinhaltet einen zentralen Raum der für freies Lernen und freie Aktivitäten zur Verfügung steht. Durch den recycelten Klinker welcher von abgerissenen umliegenden Bauten stammt, die Nähe zum Jugendzentrum und den öffentlichen Zugang zu den Sportanlagen, wird die Schule zu einer Bereicherung für die ganze Nachbarschaft.


111

02_Schulhaus

[02.156]

[02.157]

[02.161]

[02.158]

[02.159]

[02.156] Außenansicht [02.157] Halle mit Kletterwand [02.158] Klassenzimmer [02.159] Bewegungsdesign [02.160] Dachterrassen [02.161] Grundriss

[02.160]


112

Elemente

Elemente des Schulhauses


113

02_Schulhaus

Corona Avenue School. Los Angeles. Richard Neutra. 1935


114

Elemente

Stadt

„A house must be like a small city if it‘s to be a real house, a city like a large house if it‘s to be a real city.“ (Towards a Configurative Discipline, Aldo van Eyck, 1962)

Viele Elemente der Stadt lassen sich auf das Schulhaus übertragen. Ein stetiger Wechsel zwischen öffentlich und privat bestimmt das Bild. Es gibt zufällige Begegnungen auf dem Marktplatz oder auch Treffen mit Bekannten in der eigenen Wohnung. Denkt man bei einer Wohnung an ein Klassenzimmer oder beim Marktplatz an die Aula, beziehungsweise einen Ort zur Versammlung, erkennt man die Parallelen zur Stadt. Einige Architekten haben sich für ihre Entwürfe an diesen Strukturen orientiert. Dabei geht es nicht nur um das bloße Übertragen von einem Park, oder einer öffentlichen Treppe. Der ganze Aufbau des Gebäudes gleicht durch unterschiedliche Vernetzungen dem einer Stadt. Orte entstehen welche so gestaltet sind, dass sie den Menschen Möglichkeit zur Begegnung einräumen. Eine Treppe hat nicht nur die Funktion verschiedene Ebenen miteinander zu verbinden, sie kann vielmehr noch zur Sitzmöglichkeit und somit zum sozialen Treffpunkt werden. Zudem wird die Schule zu einer Art geschützten Raum in dem die Kinder und Jugendlichen sich auf das spätere Leben in dem sie Teil der Gesellschaft sein sollen vorbereiten können.

Apollo Schools. Herman Hertzberger [02.162] Columbia University. New York [02.163] Nankai Hawks Stadion Osaka [02.164] Allgemeine höhere Schule. Henke + Schreieck. 2002 [02.165] Dioklethianpalast. 3. Jahrhundert n. Chr. [02.166]


115

02_Schulhaus

[02.162]

[02.163]

[02.164]

[02.165]

[02.166]


116

Elemente

Landschaft

26

vgl.8 | 43

In modernen Schulhäusern wird oft wenig Wert auf die landschaftliche Einbettung gelegt. Viele Schulen finden sich zudem in urbanen Situationen ohne ansprechende Umgebung wieder. Hat die Schule eine ablehnende Haltung gegenüber der Landschaft wird die Schule im übertragenden Sinne zum Gefängnis ohne Kommunikation nach außen. Eine naturnahe Situation bringt zudem viele Vorteile für die Schüler mit sich. So bleiben sie mit der Natur verbunden, lernen diese besser kennen und können von dem beruhigenden Einfluss profitieren. Pflanzen und Bäume reinigen und kühlen zusätzlich die Luft und schützen vor zu viel Wind. Alfred Roth schlägt bereits 1958 in seinem Buch „The New Schoolhouse/ Das Neue Schulhaus/ La Nouvelle Ecole“ das Anlegen eines kleinen botanischen Gartens und Gemüsebeet mit Bepflanzung durch die Kinder, vor.26

Primarschule Matt

Wasgenring

Schule am Herigswill. Schaal + Jauch. 1952 [02.40] Primarschule Zürich. Steiner. 1950er [02.168] Wasgenring. Haller. 1955 [02.43] Apollo Schools. Hertzberger. 1983 [02.121] Play Place. Hirs + Breed. 1983 [02.169] North Hillborough School. Kump 1954. [02.45] North Hillborough


117

02_Schulhaus

[02.40]

[02.168]

[02.121] [02.43]

[02.45]

[02.169]


118

Elemente

Luft

Die Luft wurde besonders in Zeiten der Industrialisierung und der Tuberkulose zu einem bestimmenden Thema. Hierzu gibt es zahlreiche Beispiele an Freiluftschulen, Landerziehungsheimen und Waldschulen (s. S. 19). Die Freiluftklassen waren auch unter dem Begriff al fresco (im Frischen) bekannt. Da sie meistens in unmittelbarer Nähe zur Natur lagen, regte dies die Kinder zur Bewegung und Interaktion mit der Umgebung an. Bis heute schaffen Architekten die Möglichkeit für Freiluftklassen, dies aber bei Weitem nicht mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie in den 1920er und 1930er Jahren. Manchmal gibt es eine kleine Terrasse, die von den meisten Pädagogen unbeachtet bleibt. Frische Luft kann sich dabei nur positiv auf die Schüler, deren Konzentration und Gesundheit auswirken, wie jüngst die Corona-Pandemie gezeigt hat. Kinder, besonders in Städten lebende, verlieren immer mehr den Bezug zur Natur welcher durch Freiluftklassen und Schulgärten wiederhergestellt werden kann.

[02.170] Buitenschool an de Vriesweg. 1930


119

02_Schulhaus

[02.171]

[02.172]

[02.174]

[02.173] Zuidwaldschool. Den Haag. 1933

[02.175] Buitenschool. 1961

[02.63] Riedenhalde. Gross. 1959


120

Elemente

Park

Als Äquivalent zum Park ist der Schulhof zu sehen. Sie beide stellen eine (grüne) Oase der Entspannung dar. Die frühe Intention des Schulhofes lag darin, dass die Schüler und Schülerinnen ihre überschüssige Energie vom Stillsitzen loswerden konnten. Dies kam am Ende einer alles oder nichts Situation zwischen Stillhalten und Bewegung gleich. Wie auch ein Park soll der Schulhof für die Kinder ansprechend und anregend gestaltet sein. Einfache und reduzierte Formen regen die Phantasie der Kinder an. Der Park ist neben dem Aspekt der Bewegung auch ein Ort für verschiedenste soziale Interaktionen. Manche treffen sich dort zum Fußballspielen, zum Picknicken oder einfach um in der Sonne zu liegen. Ein ansprechender Schulhof kann auch Ausgleich zu einer wenig ansprechenden Umgebung sein. Je nach Struktur des Schulgebäudes kann er auch sehr öffentlich oder eher privat und geschützt sein.

De Koperwiek. Hertzberger. 1997 [02.176] Spielplatz Bertelmanplein. Amsterdam. van Eyck. 1962 [02.177] Apollo Schools. Hertzberger. 1983 [02.119] Orphanage. van Eyck. 1960 [02.178] Meerwijk Extended School. Hertzberger. 2007 [02.179]


121

02_Schulhaus

[02.177] [02.176]

[02.178]

[02.119]

[02.179]


122

Elemente

[02.180]

[02.181]

[02.35]


123

02_Schulhaus

[02.182]

[02.24]

[02.183]

[02.180] Bridgewater. Elementary School. The Architects‘ Collaborative. 1955 [02.181] Schule am Assmannkanal. Seitz. 1954 [02.35] Primarschule Untermoos. del Farbro. 1954 [02.182] Open-Air-School. Beaudouin + Lods. 1935 [02.24] Corona Avenue School. Neutra. 1935 [02.183] Sekundarschule Letzi. Gisel. 1957


124

Elemente

Straße

Eine Straße hat viele verschiedene Gesichter. Mal ist sie offen und breit, mal ist sie ganz klein und trägt nur ein paar Fußgänger. Dabei ist sie immer ein Element der Verbindung ähnlich wie die Treppe. Die Verbindungen müssen entsprechend nicht immer horizontal,sondern können auch vertikal sein. Die Straßen (Flure) der Schule haben sich von einem bloßen Verbindungselement, welches entsprechend der Schülerströme dimensioniert wurde, zu einem Teil des Schulalltags entwickelt. Immer mehr (pädagogische) Aufgaben werden ihnen zugetragen.

[02.184] école primaire Parc Geisendorf.

[02.185] Bridgewater Elementary School.

Brera + Geisenspuhl. 1952

The Architects‘ Collaborative. 1956


125

02_Schulhaus

[02.116]

[02.186] Apollo Schools. Hertzberger. 1983

[02.187] Montessori College Oost. Hertzberger. 2000


126

Elemente

[02.188]

[02.190]

[02.189]

[02.188] Primarschule Wasgenring. Haller. 1955 [02.189] Scuola Elementare. Livio Vacchini. 1978 [02.190] Scuola Elementare. Livio Vacchini. 1978 [02.44] Primarschule Wasgenring. Haller. 1955

[02.44]


127

02_Schulhaus

[02.191]

[02.192] Flur mit flexiblen Möbeln. Montessori Schule. Hertzberger. 1966


128

Elemente

Marktplatz

27

vgl.3 | 133

Die Schule ist womöglich die Typologie in der am meisten soziale Interaktion stattfindet. Um diese zu ermöglichen müssen passende Räumlichkeiten verfügbar sein. Neben Straßen und Parks sind Marktplätze soziale Treffpunkte der Städte. Dort finden Märkte, Konzerte und sonstige Veranstaltungen statt. Im Gegensatz zu den Straßen ist der Marktplatz eher ein Ort, der zu bestimmten Anlässen aufgesucht wird. Oft ist der Marktplatz das Herzstück einer Stadt und schon im Luftbild deutlich zu erkennen. Beinahe alle Straßen laufen auf diesen zu. Hertzberger beobachtete einen Platz in Italien [02.194]. Dieser erinnerte ihn an eine Halle mit verschiedenen Ebenen. Terrassen werden zu aussichtsgebenden Balkonen. Die täglichen Wege der Bewohner kreuzen sich. Für Veranstaltungen wird dieser Ort zu jenem des Aufenthalts.27 Der zentrale Platz einer Schule kann beispielsweise durch eine Milchbar oder einen Kiosk an dem die Schüler Zeit miteinanderverbringen können, zusätzlich aufgewertet werden.

[02.42] école primaire Parc Geisendorf. Brera + Geisenspuhl. 1952


129

02_Schulhaus

[02.193] Montessori Basisschool de Eilanden. Hertzberger. 2002

[02.194] Castel Vittorio, Italien


130

Elemente

[02.195] Ørestad College. 3XN. 2007

[02.196] Schoolvereniging Aerdenhout Bentveld. Hertzberger. 1989


131

02_Schulhaus

[02.197] Titaan. Hertzberger. 2004


132

Elemente

Gemeinschaft

Im Gegensatz zur Stadt, zur Straße und zum Park ist die Gemeinschaft nicht greifbar. Gemeinschaft ist ein Gefühl. Ein Gefühl von Zusammenhalt, Kooperation und Inklusion. Sie kann nur unter den richtigen Voraussetzungen entstehen. Die Architektur kann durch einige Elemente die Basis für Gemeinschaft schaffen. Von daher ist die Gemeinschaft stark an die physischen Elemente des Schulbaus gebunden.

[02.198] Spielplatz in Amsterdam. van Eyck. 1962


133

02_Schulhaus

[01.12] Experimente mit Röhren. Riccardo Dalisi. 1972.

[02.04] Kinder an der Milchbar.

[02.199] Lehrerzimmer


134

Elemente

[02.200]

[02.201] Eingangsbereich. de Evenaar. Hertzberger. 1986.

[02.202] Meerwijk Extended School. Hertzberger. 2007


135

02_Schulhaus

[02.203] Buitenschool an de Vriesweg

[02.204] Kinder spielen am Metallbügel für Fahrräder


136

Elemente

Wohnung

Ein weiteres, essenzielles Element der Stadt ist die Wohnung oder das Haus. Es ist der privateste Bereich jedes Einwohners. Hier reduziert sich die Gesellschaft und die geltenden Regeln, Ethik und Moral auf die wenigen Bewohner einer Wohnung. Sie bildet fast einen Mikrokosmos in der Stadt. Dabei ist jede Wohnung so individuell wie seine Bewohner. In dem Schulgebäude ist das Klassenzimmer das Äquivalent zur Wohnung. Die Bewohner sind die Schüler und Lehrer,welche miteinander leben und lernen. Es ist der Raum in dem traditioneller Weise das Wissen weitergegeben wird. Wie die Wohntypologie hat sich auch das Klassenzimmer im Laufe der Zeit verändert und den gesellschaftlichen Bedürfnissen angepasst. Dabei ist das Klassenzimmer gleichzeitig Spiegel des Unterrichtsgeschehens. Die Anordnung der Tische in Reihen, Gruppen oder Einzelplätze deuten auf das pädagogische Konzept hin. Aufgrund der gleichbleibenden Gruppe wird das Klassenzimmer von den Schülern oft als sicherer Rückzugsort betrachtet. Außerhalb dieses Raumes muss das Kind seinen eigenen Platz in der Schule finden.

[02.205] Kester Avenue School. Neutra. 1949


137

02_Schulhaus

[02.206] Schule am Assmannkanal. Seitz . 1955


138

Elemente

Es kommt dem Klassenzimmer generell zugute, wenn es ein wenig überdimensioniert ist. Als eine ideale Grundform hat sich, besonders in der Regelschule, das Quadrat etabliert. Diese Form hat das Zentrum nicht an einer Seite sondern in der Mitte. Dies impliziert die Verlagerung des Fokus vom Lehrenden auf den Schüler. Zudem kann diese Form uneingeschränkt auf Veränderungen reagieren und sich vielen verschiedenen Unterrichtsmethoden und -situationen anpassen. The Architects‘ Collaborative hat 1956 im Rahmen eines Wettbewerbs ein flexibles Klassenzimmer entworfen [02.207]. Dieses ist in Clustern angeordnet und lässt sich beliebig zusammen fassen und erweitern. Verschiedenste Raumgefüge können so entstehen.


139

02_Schulhaus

[02.207] Bridgewater Elementary School. The Architects* Collaborative. 1956


140

Elemente

[02.208] articulated classroom. horizontal und vertikal. Hertzberger

28

vgl.3 | 11

Herman Hertzberger schlägt vor mehrere Zentren im Klassenzimmer oder auch in der ganzen Schule zu schaffen. Dies gibt Möglichkeit zu Gruppen- und Individualarbeiten [02.208]. Um den Zonen einen pädagogischen Sinn zu geben müssen diese ausreichend durchdacht und für die Schüler überschaubar sein. Durch Gesten wie etwa halbhohe Wände, Plateaus und Nischen soll der Raum artikuliert, aber nicht fragmentiert sein. Die Schule darf dabei formal nicht in kleine Stücke zerfallen, sondern muss immer noch die Gemeinschaft bewahren. Diese Gestaltung eignet sich besonders gut für Unterricht in dem der Lehrende nicht dauerhaft das Zentrum der Aufmerksamkeit darstellt. Durch die verschiedenen Zentren können die Kinder in unterschiedlichen Formen (Gruppe, individuell, ...) arbeiten, ohne sich gegenseitig zu stören.28 Neben dem Hauptraum und verschiedenen Arbeitszonen kann auch eine Nische zwischen Klassenzimmer und Flur geschaffen werden welche einen räumlichen Übergang artikuliert. Diese Geste schließt den Flur aktiv in den Unterricht mit ein und kann eine Auflockerung des starren Klassenverbands zur Folge haben, da die Schüler mehr untereinander kommunizieren und sich in der ganzen Schule verstreuen. Hertzberger mag bei diesen Überlegungen von seiner eigenen Schulzeit geprägt sein. Er war Schüler einer Montessori-Schule und kannte den Unterricht nur in einer offenen Form.


02_Schulhaus

141

[02.209] Klassenräume mit verschiedenen Zentren

[02.210] Crow Island School. Saarinen. 1940


142

Elemente

[02.211] 1st Montessori School Amsterdam. 1927

[02.212] High Lawn Primary School. Claydon + Foy. 1953


143

02_Schulhaus

[02.100]

[02.99]

Montessori School. Hertzberger. 1966


144

Elemente

[02.36] Primarschule Untermoos. del Fabro. 1954


02_Schulhaus

145

[02.213] Primarschule Wasgenring. Haller. 1955


146

Elemente

Geschwister Scholl Schule. Scharoun. 1961

Oberstufe. Klassenwohnung

Unterstufe. Klassenwohnung


147

02_Schulhaus

[02.214]

[02.215]


148

Elemente

[02.216]

[02.217] Hellerup Skole. Arkitema. 2002


02_Schulhaus

149

[02.158]

[02.218] Bewegungsschule. Henning Larsen + GPP Architektur. 2016


150

Elemente

[02.143]

Ørestad College. 3XN. 2007

[02.219]


151

02_Schulhaus

[02.170]

[02.220] Mosaici School. Hertzberger. 2012


152

Elemente

Licht

Das Licht ist Ursprung vieler Prozesse. Es lässt Pflanzen wachsen, ermöglicht uns zu sehen und aktiv zu sein. Luft und Licht sind zwei nicht-physische Elemente die einen großen Einfluss auf das Schulhaus haben. Durch physische Elemente wie Fenster können sie in das Gebäude eintreten und ihre Wirkung entfalten. Die bewusste Lenkung des Lichts kann den Raum verändern. Dunkle Zonen sind eher privat, helle wirken dagegen offener und anziehend. Licht wird zu einem Grundstein für soziale Kontakte. Durch Lichtkegel entsteht eine Zone der Aufmerksamkeit. Dies wird teilweise gezielt eingesetzt, damit sich die Schüler besser konzentrieren können (s. S 149).

[02.122] Apollo Schools. Herzberger. 1983


153

02_Schulhaus

[02.221] Primarschule Wasgenring. Haller. 1955

[02.222] Schule für individuelle Lernförderung. (se)arch. 2005


154

Elemente

[02.223] Riedveld-Schröder Haus. Riedveld. 1924


155

02_Schulhaus

[02.224] Montessori School. Hertzberger. 1966


156

Elemente

[02.225] Clioschool. Duiker. 1930er

[02.226] Schule am Herigswill. Schaad + Jauch. 1952


157

02_Schulhaus

[02.227] Allgemeine höhere Schule. Henke + Schreieck Architekten. 2002

Im Grundsatz gilt es so viel Licht in das Schulhaus zu bekommen wie möglich. Abhängig von der Klimazone geschieht dies auf unterschiedliche Art und Weise. Schulen in warmen/ heißen Regionen sind eher nach Norden gerichtet, wohingegen Schulen in kühlen Regionen oft nach Süden hin sehr offen gestaltet sind. Ist die Fassade jedoch zu offen und die umliegende Bebauung zu nah, können große Fensterflächen nicht nur ein Störfaktor durch Ablenkung sein, vielmehr lösen sie Unbehagen bei den Nutzern (und Anwohnern) aus. Neben der Clioschool von Duiker (s. S.53), sind auch die Nutzer der allgemeinen höheren Schule in Wien unzufrieden mit der verglasten Fassade welche sich durch das ganze Gebäude zieht. Die Schüler fühlen sich unwohl und beobachtet, sind aber auch schnell von dem möglichen Geschehen in der Umgebung abgelenkt.


158

Elemente

Möbel

Um die Stadt oder die Wohnung detailreicher und animierender zu gestalten, sind Möbel notwendig. Diese können fest installiert oder beweglich sein. Geht es um die Schule sind es vor allem Stuhl und Tisch welche den Schülern ein unterschiedliches Maß an Flexibilität ermöglichen. Waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bank und Tisch aus einem Möbelstück gefertigt und sogar am Boden verschraubt, wurden diese mit der Zeit immer individueller, stets dem Vorbild der Pädagogik folgend. Auffällig ist dabei dass dieser Wandel schon sehr früh in den Montessori-Schulen stattgefunden hat und die Regelschulen erst viel später nachzogen. In den modernen, offenen Schulen werden freistehende Möbelstücke zu Ankerpunkten und definieren den großen Raum. Dies ist kein Rückschritt zu den Schulbänken von vor über 100 Jahren. Moderne Möbel sind auf Kommunikation und Teamarbeit ausgelegt und erlauben dabei eine Vielzahl von freien Nutzungsmöglichkeiten. Möbel beschränken sich nicht bloß auf den Innenraum. Stühle und Tische können von den Schülerinnen und Schülern zu entsprechenden Freiflächen transportiert werden oder die Architektur bietet bereits integrierte Sitzmöglichkeiten an.

[02.228] Außenraumgestaltung. van Eyck


159

02_Schulhaus

[02.229] Eingang. Schule in Marl. Scharoun. 1961

[02.230] Orphanage. van Eyck. 1960


160

Elemente

[02.233] Secondary School Brändö. Helsinki. Järvi. 1955

[02.232] Munkegaard Schule. Arne Jacobsen. 1956

[02.233] Montessori School. Oestgeest. Kloos. 1955


161

02_Schulhaus

[01.02] Klassenzimmer der Jena-Plan Schule um 1924

[02.234] de Polygon Primary School. Hertzberger. 1992


162

Elemente

[02.235] mobile learning station. Chris Abel. 1967 kleine Lernzellen, in denen der Schüler alleine, oder zusammengeschlossen mit anderen lernen kann

[02.236] Skizzen Hertzberger. Montessori College Oost


163

02_Schulhaus

[02.237] Mobile Teaching Package. Bussat + El Jack. 1972

[02.238] klappbarer Arbeitsplatz. Hertzberger


164

Elemente

[02.239] flexible Garderobe Hoover Elementary School. 1955


165

02_Schulhaus

[02.240] Garderobe Aerdenhout Bentveld. Hertzberger. 1989

[02.241] Garderobe Altstädter Schule. Otto Haesler. 1928


166

03_Stadtschule


167

[03.00] Circles. Molly Haslund. 2013


168

Intention

Intention


169

03_Stadtschule

Nach dieser umfangreichen Recherche über das Schulhaus aus pädagogischer und architektonischer Sicht, ist die Intention dieser Arbeit schließlich eine Schule zu entwerfen. Das Wissen über die Vergangenheit und vermeintliche Zukunft der Schule geben Anhaltspunkte um eigene Überlegungen hervorzubringen. Die Tendenz liegt dabei klar in einer sich öffnenden Schule. Innerlich wie äußerlich. Wissensvermittlung ist nicht an ein Gebäude gekoppelt. Überall im Leben findet Lernen statt. Die räumliche Trennung zwischen dem Schulhaus und dem Rest der Welt verschwindet. In diesem Entwurf wird geprüft inwiefern die Umgebung außerhalb eines Gebäudes zum Lernort werden kann. Hierfür werden signifikante Orte welche sich im Umkreis des gewählten Standorts befinden in das Schulkonzept eingebunden, sodass die Stadt Teil der Schule wird und die Schule wiederum Teil der Stadt. Ziel ist dabei einen Ort zu schaffen welcher von dem Potential der Stadt profitiert und Verbindungen schafft, aber gleichermaßen auch die Stadt positiv prägt, indem das Gebäude nicht nur Schülerinnen und Schülern offen steht, sondern jedem Bürger.


170

Lage

[03.01] Luftbild Münster. Quelle: Apple Karten


171

03_Stadtschule

Münster Zentrum

Der gewählte Ort befindet sich im innersten Stadtring Münsters. An dieser Stelle gibt es zahlreiche kulturelle Angebote, Freizeit- und Erholungsflächen sowie eine gute Anbindung zur Infrastruktur, sodass hier viel Potential für die offene Schulstruktur vorhanden ist. In Abbildung [03.01] sind interessante Orte, wie Museen und Kunstwerke oder auch die Musikschule markiert. Mit der Positionierung an Münsters Promenade ist ein Ort gewählt worden welcher sich zwar in unmittelbarer Zentrumsnähe befindet, aber dennoch viele ruhige Orte aufweist, die eine Schule an dieser Stelle denkbar machen.


VECTORWORKS EDU

172

Lage

Münsters Schulen


UCATIONAL VERSION

173

03_Stadtschule

0

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

100

250

500


174

Lage

Münsters Schulen

In Münsters Stadtgebiet befinden sich 99 Schulen mit insgesamt 51.045 Schülerinnen und Schüler (SuS) aller Bildungsformen. Dreiviertel der SuS entfallen hierbei auf die Grundschule und das Gymnasium [03.02]. Der bundesweite Trend, dass Kinder nach der Grundschule vornehmlich auf das Gymnasium wechseln ist auch in Münster deutlich zu erkennen. Haupt- und Realschule verlieren immer mehr Schüler [03.03] Viele Schulen wurden in den letzten zehn Jahren geschlossen oder umstrukturiert. So entstand beispielsweise 2015 die Gesamtschule Mitte nachdem die Paul-Gerhardt-Realschule aufgelöst wurde. Ein deutlicher Anstieg der Schülerzahlen ist nur in den Gesamtschulen zu verzeichnen was dafür spricht, dass diese Schulform immer beliebter wird.

Grundschule Hauptschule Realschule Gesamtschule Gymnasium

[03.02] Schülerverteilung nach Schulform Jahresbericht Schulstatistik. Amt für Schule und Weiterbildung. 2020/ 2021


175

03_Stadtschule

14.000

10.500

7.000

3.500

0 2009

2019 [03.03] Entwicklung Schülerzahlen nach Schulform Jahresstatistik Bildung und Kultur. Stadtplanungsamt. 2019


Grundschule

176 Lage


177

Reformschule

Sekundarschule

03_Stadtschule

M 1_10.000


178

Lage

[03.04] Promenade Münster. Höhe Ludgeriplatz


179

03_Stadtschule

Promenade

Auf den Mauern der ehemaligen Befestigungsanlage befindet sich heute ein grüner Stadtring, die Promenade. Sie wird ausschließlich von Fußgängern und Radfahrern genutzt und stellt eine der wichtigsten Infrastrukturen der Innenstadt dar. Mehrere tausend Menschen benutzen täglich die 4,5km lange Promenade. Durch sie sind alle wichtigen Orte der Innenstadt auf schnellste Weise zu erreichen und miteinander verbunden. Dabei ist sie nicht nur ein wichtiger Teil der Verkehrsinfrastruktur, sondern auch bedeutend für Münsters Ökosystem. Mit ihren Linden und zahlreichen Grünflächen ist die Promenade die grüne Lunge der Stadt und lädt zum Verweilen ein. Für die münsteraner „Skulpturprojekte“ war die Promenade von Anfang an Schaufläche für zahlreiche Skulpturen von denen einige noch heute vorhanden sind. Weitere Veranstaltungen wie der Promenadenflohmarkt und Konzerte im Sommer finden dort statt. An einigen Stellen ist die Geschichte der Promenade noch heute ersichtlich. Der Zwinger, der Buddenturm und ein Teil der alten Stadtmauer lassen sich an verschiedenen Stellen ausmachen. Zudem verlaufen die wichtigesten Verkehrsstraßen entlang der alten Stadttore. Dass die Promenade heute noch als beinahe geschlossener Ring vorhanden ist, macht sie zu einer einzigartigen historischen Grünanlage, die es in dieser Form bundesweit nur ein Mal gibt.


180

Lage

[03.05] Promenade Münster. Höhe Kreuzschanze. Um 1900

1

vgl.23

Münsters Befestigungsanlage entstand im 13. Jahrhundert. Mehrere Ringe bestehend aus Wassergräben und aufgeschütteten Erdwällen mit Wachhäusern und Türmen bilden die Anlage aus. An den Stellen der stark ausgebauten Bastionen sind heute Grünflächen angelegt. In Abbildung 03.06 ist die Befestigungsanlage aus dem Jahr 1626 zu sehen. Sie wurde bewusst unmaßstäblich dargestellt um sie wehrhafter erscheinen zu lassen. Nach dem Verlieren des siebenjährigen Krieges (1756-1763) wurde die Stadtmauer geschliffen, da sie ihrem Zweck nicht mehr gerecht wurde und nicht mehr ausreichend gegen die modernen Waffen schützte. Ab 1764 wurde unter der Leitung von Franz von Fürstenberg die Stadtmauer abgetragen. Johann Conrad Schlaun schlug vor auf dem äußersten Ring eine vierreihige Lindenallee anzulegen. Auch die Zitadelle sollte dem Schloss weichen. Sie ist Formgeber des heutigen Schlossgartens. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Promenade nach Schlauns Plänen umgebaut. Die neu entstandenen Grundstücke an der Stelle der inneren Ringe gingen schnell in private Hände über. Die Gräben wurden großteils zugeschüttet und es wurde viel Aufwand in eine hübsch angelegte Parkanlage nach damaligem Verständnis betrieben. Nachdem die Promenade im zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört wurde erfolgte der Wiederaufbau in vereinfachter Form. An der Kreuzschanze erhebt sich die Promenade erheblich [03.05]. An dieser Stelle befand sich ursprünglich eine Bastion für Kanonen. Benannt nach ihrem Bauherren ist auch die Engelenschanze heute ein Park.1


181

03_Stadtschule

[03.06] Befestigungsanlage Münster nach dem Alerdinck-Plan. 1636


Prom

enade

Lage

182

Hi

Aa m

m

el

i re

ch

al

e le


183

03_Stadtschule

Zoo + Aasee

Im Jahr 1874 erwarb Hermann Landois ein inselgleiches Grundstück am südwestlichen Rand der Promenade welches zuvor Standort des Sommertheaters war. Seine Intention war es dort den ersten münsteraner Zoo beziehungsweise zoologischen Garten zu errichten. Nach den ersten Gehegen kam auch ein Naturkundemuseum hinzu in dem sich heute die Musikschule befindet. Dieses Gebäude, das Haus des Zoodirektors und das Eulenhaus sind die einzigen Gebäude die vom alten Zoo erhalten sind. In den 1970er Jahren wurde der Zoo an eine andere freie Stelle gesetzt und auf dem Gelände entstand der Neubau für die Westdeutsche Landesbank nach dem Entwurf von Harald Deilmann. 2 Der Aasee basiert in seinen Ursprüngen ebenfalls einer Idee Landois‘. Die Aa zog sich quer durch das Stadtgebiet und überschwemmte bei Hochwasser regelmäßig die umliegenden Gebäude. Die Landschaft außerhalb der Stadtmauern war zudem sumpfig und moorig [03.09]. Um die Umgebung aufzuwerten und Überschwemmungen zu vermeiden schlug Landois vor das Wasser in einem See vor der Stadt zu stauen. Er entwarf zusätzlich einen Plan zur Gestaltung der Anlage welche sich auch nach Norden fortsetzte. Erst lange nach seinem Tod wurde 1925 mit den Bauarbeiten begonnen und knapp 10 Jahre später war der Aasee fertiggestellt. Nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte die Erweiterung auf die heutige Größe. 3

[03.09] Gebiet des Aasees vor dem Ausbau. 1926 links [03.07+08] Insel und Grünanlagen nach Schlaun

2

vgl.24

3

vgl.25


184

Lage

Kunst in Münster

Münsters Stadtgebiet ist geprägt von einem breiten künstlerischen Angebot. Neben dem großen Museum für Kunst und Kultur welches sich gegenüber des Doms befindet, lassen sich an vielen Stellen Skulpturen von bedeutenden Künstlern wie z.B. Henry Moore, Eduardo Chillida und Richard Serra ausmachen. Über die Landesgrenzen hinweg ist Münster zudem bekannt für die im Zehnjahresrhythmus stattfindenden „Skulpturprojekte“. Seit 1977 wird Münsters Stadtgebiet somit alle zehn Jahre zum Schauplatz für verschiedenste Skulpturen und Installationen. Einige Projekte sind bis heute erhalten und prägen das Stadtbild. Der Pier von Jorge Pardo aus dem Jahr 1997 bildet beispielsweise einen beliebten Treffpunkt. Nicht nur für die Radfahrer sondern auch für die Künstler besteht großes Potential in der Promenade. Sie hat viele verschiedene Qualitäten (große Grünflächen, Naturraum im Stadtraum, Entschleunigung durch ausschließliche Erreichbarkeit durch Fuß und Rad) und wurde schon oft mit ihrer unmittelbaren Umgebung zum Standort für Skulpturen [03.10].


185

03_Stadtschule

[03.10] Standort (ehemaliger) Skulpturen um die Promenade



Bäume



Bebauung



Durchwegung



193

03_Stadtschule

Wasser


Lage

Verortung

Aufgrund verschiedener Faktoren bieten sich Flächen rund um die Promenade für eine kleine Schule an. Es gibt zahlreiche Grünflächen und eine Umgebung welche in ihrer Gesamtheit sehr ansprechend ist. Viele Bereiche sind ruhig, manche hingegen hoch frequentiert. Für den Entwurf der Stadtschule eignet sich am Besten der südwestliche Teil der Promenade zwischen Schlossgarten und Aasee. Der Teil des alten Zoogeländes stellt durch einige historische Objekte den Bezug zur Geschichte der Stadt her. Das Aabett welches die Stadt vor Überflutungen schützen sollte, stellt mit der Aa als nördliche Begrenzung und der Promenade als südliche Begrenzung eine besondere räumliche Situation dar. Verschiedene Charakteristika geben dem Ort das Potential eine Schulnutzung zu ermöglichen. Die umliegende Bebauung und die dichte Bepflanzung wirken wie eine Schallmauer, sodass sich der Ort zwar mitten im Zentrum befindet, aber dennoch durch eine ruhige Atmosphäre geprägt ist. Zudem bieten die vielen verschiedenen räumlichen Situationen eine abwechslungsreiche Umgebung mit vielen verschiedenen Eindrücken.


195

03_Stadtschule

[03.11] Verortung


196

Lage

Umgebung

Das Grundstück wird von vier Straßen begrenzt wovon jene im Osten vierspurig ist. Sie stellt eine der innerstädtischen Hauptverkehrsverbindungen dar. Die anderen drei Straßen sind mäßig frequentiert, sodass das Grundstück trotz seiner zentralen Lage insgesamt sehr ruhig ist. Positiv auf den Schallschutz wirkt sich auch die beinahe geschlossene Bebauung am nördlichen und östlichen Rand des Grundstücks aus. Entlang der Promenade lassen sich viele Grünflächen und ein dichter Baumbestand ausmachen. Betrachtet man nur die Bäume sind bereits alle innerstädtischen Strukturen zu erkennen (s. S.193 Transparent Bäume). Das gewählte Grundstück bietet eine Variation an Szenen. Im Bereich des alten Zoos ist ein dichter Baumbestand vorhanden, in den man komplett eintauchen kann. Die Verbindung zur Außenwelt scheint wie abgebrochen. Im Kontrast hierzu steht das Aabett. Hierbei handelt es sich um eine weitläufige, flache Freifläche welche lediglich von der Promenade und Bäumen umrahmt wird.


197

03_Stadtschule

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

B54

alter Zoo

Aabett 0

25

50

100m

[03.12] Bäume VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION


198

Lage

Umgebung

Aa

Aabett

Promenade

Adenauerallee

Aasee

Neben den Grünflächen und dem dichten Baumbestand wird das Grundstück durch sein Höhenprofil charakterisiert. Münster ist generell ziemlich flach, sodass an dieser spezifischen Stelle Erhebungen und Absenkungen umso stärker wahrnehmbar sind. Die Promenade ist auf dem Grundstück deutlich erhöht. Dies ist in dieser Art an keiner anderen Stelle vorzufinden. In Kombination mit dem dichten Baumbestand wirkt die Promenade wie eine Wand. Das Aabett erscheint bis auf die Verbindung zur Straße im Osten als eine eigene, abgeschlossene Einheit. Privat und öffentlich zugleich.

[03.13] Profil M 1_1.500


199

03_Stadtschule

6.5

8.5

[03.

13]

10

7.5

12

9

9 6

3

3

6

[03.14] Höhen


200

Lage


03_Stadtschule

201

im Uhrzeigersinn We are still and reflective. Martin Boyce. 2007 letzte Überreste der hist. Stadtmauer Large Vertebrae. Henry Moore. 1968 Giant Pool Balls. Claes Oldenburg. 1977 Pier. Jorge Pardo. 1997 Ohne Titel. Donald Jupp. 1977 Wewerka Pavillon. Stefan Wewerka. 1987 Wasser-Plastik. Heinz Mack. 1977 Abluftplastik. Friedrich Gräsel. 1972 Wasserbär der alten Befestigungsanlage [03.15]


202

Konzept

Pädagogisches Konzept

Die Schule ist als eine Art Gesamtschule, einschließlich der Primarschule, angedacht. Somit haben die Kinder die Möglichkeit im Laufe ihrer Schulzeit besonders gefördert zu werden. Für dieses breite Altersspektrum (6-18 Jahre) sind entsprechende Räumlichkeiten zu planen. Der Unterricht findet in altersgemischten Gruppen statt, sodass die Kinder sich gegenseitig helfen und unterstützen können. Gruppe 1 sind die Klassenstufen 1-4, Gruppe 2 die Klassenstufen 5-7, Gruppe 3 die Klassenstufen 8-10 und Gruppe 4 sind die Oberstufenklassen 11-12. Je Klassenstufe sind 10 Schülerinnen und Schüler angedacht. Wie in vielen reformpädagogischen Konzepten gibt es die Möglichkeit zur freien Arbeit, aber auch zum Input im geschlossenen Verband. Diese Form der Unterrichtsorganisation benötigt flexible und offene Räume. Es müssen verschiedene Möglichkeiten für abwechslungsreiche Lernformen bereitgestellt werden. Als Anlehnung an die Montessori-Pädagogik sind die Gruppen räumlich voneinander getrennt und für jedes Alter gibt es eine entsprechende Umgebung. Der Schwerpunkt der Schule liegt auf der künstlerischen Erziehung. Hierfür werden besondere Fachräume und Ateliers benötigt, welche die Kinder und Jugendlichen in ihrer Kreativität unterstützen und fördern können. Hierzu zählt neben der Kunsterziehung auch Musik, Literatur und die physische Betätigung. Nach Freinet sind „Spaziergänge“ Bestandteil des Schulalltags. Um zu den verschiedenen Räumen zu gelangen muss das Gebiet durchlaufen werden. Der Standort um die Promenade ermöglicht einen ruhigen, naturnahen Raum welcher viele verschiedene Besonderheiten aufweist und durch den beliebten Skulpturenstandort zur Kreativität einlädt. Als Stadtschule gibt es zudem weitere Orte in Kooperation mit der Stadt und den Organisationen, die von den Schülerinnen und Schülern genutzt werden können. Darunter fällt beispielsweise der botanische Garten in dem die Kinder die Natur mit all ihren Sinnen erleben können.


203

03_Stadtschule

[03.16] Schulklasse bei einem Ausflug an der Promenade. 1960er


204

Konzept

Stadtschule

Bei genauerer Betrachtung eröffnen sich verschiedenen Möglichkeiten zum gegenseitigen Nutzen. Der Radius wurde hierbei so angelegt, dass alle Orte für Kinder schnell und unkompliziert zu erreichen sind und sich somit, bis auf eine Ausnahme innerhalb der Promenade, befinden. In direkter Nachbarschaft liegt das Gymnasium Paulinum, dessen Sporthalle und Naturwissenschaftsräume mitgenutzt werden können welche zum Großteil des Schulalltags ohnehin leer stehen. Der Schwimmunterricht kann im Stadtbad Mitte stattfinden welches sich am nördlichen Rand des Aabetts befindet und somit direkt erschlossen werden kann. Das Aabett stellt zudem eine potentielle Pausenfläche dar, da sie sehr geschützt ist, kann aber auch wie der Schlossgarten oder weitere nahe gelegene Grünflächen für sportliche Aktivitäten genutzt werden. In der Segelschule am Aasee können die Kinder zudem segeln lernen. Die Promenade stellt nicht nur einen Verkehrsweg, sondern auch eine ideale Laufstrecke dar. Im Überkreuzen dieser während des Schulalltags lernen die Kinder Selbstständigkeit und können sich zunehmend sicherer und selbstbewusster fühlen. Auch der botanische Garten lädt zu Exkursionen für den Biologieunterricht ein. Innerhalb des Innenstadtrings sind es vor allem kulturelle Einrichtungen wie etwa Museen, Theater und auch die Architektur welche eine Verbindung zur Stadtschule bilden. Ferner sind Kooperationen mit Museen und Hochschulen (z.B. Hochschule für Musik, Kunstakademie) denkbar. Die Räumlichkeiten der Stadtschule sind problemlos mit öffentlichem Programm z.B. für Veranstaltungen, Malkurse, Abendschule, Essen in der Mensa zu vereinen. Die Umstrukturierung des Gefälles der Promenade in eine Art Theater auf der zum Aabett gerichteten Seite, dient nicht nur der Schule für Versammlungen und Freiluftunterricht, sondern ist auch der Öffentlichkeit stets zugänglich. All diese Verbindungen sowie die architektonische Gestaltung der Schule schaffen eine enge Beziehung zur Stadt. Sie wird zum alltäglichen Begleiter und Lernort.


205

12

50

10

00

75

0

50

0

25

0

03_Stadtschule

[03.17] Stadtpotential


206

Ate

lie

k

he iot

r

on

ati

pir

Ins

Entspannung

Kunst

rer

h Le

ibl

B

Ar

be

its

pla tz

Handwerk

Konzept Raumprogramm

Verwaltung

Eigenverantwortung

Be

Fa

we

ch

gu

rau

m

Natur

Tr

eff

pu

Sp

nk

t

ort

ng

Au

la

ten

zei

s hre

Ca

Ja

Ankommen

Le

hr

ch

e


207

03_Stadtschule

Umgebung

Grünflächen

Kommunikation Geborgenheit

Promenade

lt

tha

zim

Lic

ht

n pe

up

Gr

me

r

Ko

nz

en

tra

tio

n

l

be

Atmosphäre

en

Eingang

ss

A

Garderobe

Kla

n ufe


208

Konzept

Konzept

Der Kreis ist eine geometrische Form die sich in Münster an einer Vielzahl von Beispielen wiederfinden lässt. Betrachtet man Münster aus der Luft sticht allem voran die grüne, annähernd kreisförmige Promenade und auch der halbkreisförmige Prinzipalmarkt heraus. Ferner auch der Innenstadtring und weitere Schnellstraßen welche rundlich um die Außenbezirke verlaufen. Weitere Elemente wie der Buddenturm, der Zwinger und der Ludgerikreis (Münsters einziger mehrspuriger Kreisverkehr) prägen das Stadtbild. An dieser Stelle ist ein kreisförmiges Gebäude also nicht ortsfremd. Die Positionierung der Stadtschule am südöstlichen Rand der Promenade hat eine starke Verbundenheit zur Stadt zufolge welche durch ein kreisförmiges Gebäude weiter verstärkt wird. Neben der optischen und ortsbezogenen Bedeutung hat der Kreis auch an sich eine starke Symbolkraft. Er hat kein Anfang und kein Ende, er ist vollkommen und steht auch durch den (Ehe-) Ring für Verbundenheit. Der Kreis bedingt zudem immer ein Zentrum auf das alles gleichwertig gerichtet ist.


VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

209

03_Stadtschule

[03.18] Positionierung

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION


210

Konzept

[03.18] Beethoven Poster. Josef Müller-Brockmann. Analyse von Kimberly Elam


03_Stadtschule

211

[03.19] Prozessmodelle


212

Konzept

[03.20] Entwurfsprozess

Lageplan

Die Stadtschule ist in zwei 7,5m breite, unterschiedlich große Ringe gegliedert. Sie sind beinahe an prominentester Stelle des Grundstücks in direkter Nachbarschaft zum Aaseeufer platziert. Ein Großteil des Gebäudes ist bereits von der Straße aus einzusehen. Bei der Struktur des Gebäudes kommt der Topografie eine hohe Bedeutung zu, denn die beiden Ringe befinden sich auf unterschiedlichen Niveaus und sind mit einer kreisförmigen Brücke miteinander verbunden. Der rechte Ring ist auf Höhe der Promenade platziert, sodass diese zur Haupterschließung wird. Eine Unterbrechung des Gebäudes erlaubt einen ungehinderten Fahrrad- und Fußgängerstrom durch das Gebäude hinweg. Der Ring wird an dieser Stelle von einer Überdachung fortgeführt, sodass Passanten umso mehr das Gefühl bekommen tatsächlich während des Ablaufen der Promenade Teil des Gebäudes zu sein. Dies trägt im hohen Maße zum öffentlichen Teil des Entwurfs bei. Über einen schmalen Ring welcher auf der rechten Seite an die Mensa angrenzt, gelangt man auf das Dach des linken Rings. Über eine Treppe ist das Erdgeschoss zu erschließen. Einige Unterbrechungen der Gebäudestruktur erlauben einen direkten Blickbezug durch den linken Ring bis zu Moores Skulptur und der Aa.


213

03_Stadtschule

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

0

0

0

50

50100

100

250

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

25

250

50

500

100m

500

[03.21] Lageplan


214

Konzept

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION


215

03_Stadtschule

Nutzungen Den Kern der Stadtschule bilden die vier Gruppenräume, welche and das spezifische Alter der Schüler und Schülerinnen angepasst sind. Das vertiefte Angebot der künstlerischen Bildung kann in großzügigen Räumlichkeiten mit Ateliers und Werkstätten stattfinden. Ferner gibt es eine Bibliothek mit Zonen zum gemeinschaftlichen sowie individuellen Lernen. Der gesellschaftliche Kern bildet sich neben den Außenflächen auch im Veranstaltungsraum, der Mensa und dem Lehrerzimmer. Diese Nutzungen sind an zentralster Position angegliedert und somit gut zu erreichen.

Gruppenräume

Lehrerzimmer

Kunst

Mensa/ Veranstaltung

Bibliothek

Technik

Umlauf Zur Wahrung der Kontinuität des Kreises ist der Grundriss so gestaltet, dass ein kontinuierlicher Umlauf durch alle Nutzungseinheiten und Freiflächen hindurch gesichert ist. Auf diese Art wird die dominierende Form des Gebäudes in diesem akzentuiert und stärker wahrnehmbar. Kein Weg ist eine bloße gerade Linie. Der Umlauf bildet zudem die innere Erschließung des Gebäudes. Diese ist zur Innenseite des Kreises gerichtet, sodass beim Durchschreiten des Gebäudes stets ein enger (Blick-) Kontakt mit dem restlichen Gebäude und der Schule bestehen bleibt.


216

Konzept

G2 VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

G4

G1

G3

Schlossgarten VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

Stadtzentrum

Aasee


217

03_Stadtschule

Wanderung Im Laufe des Schullebens durchwandert der Schüler/ die Schülerin das komplette Gebäude. Die Gruppe 1 (1-4) ist am östlichen Rand der Schule am Aabett untergebracht. Hier befindet sich die ruhigste und sicherste Position. Gruppe 2 (5-7) liegt in direkter Nachbarschaft und profitiert auch von der ruhigen Lage des Aabetts. Die Nord-Süd-Orientierung ermöglicht bereits neue Eindrücke. Die Gruppe 3 (8-10) befindet sich am südlichen Rand des rechten Rings, auf der linken Seite der Promenade mit direkter Orientierung zum Aasee. Kinder diesen Alters sind in ihrer Entwicklung bereits weit voran geschritten und müssen sich mehr auf das Lernen konzentrieren. Zwar bleibt der Bezug zu den jüngeren Jahrgängen bestehen, durch den starken Perspektivwechsel wird jedoch ihre zunehmende Unabhängigkeit unterstrichen. Die ältesten Kinder der Gruppe 4 (11-12) sind als einzige Gruppe im linken Teil der Schule angedacht. Sie sind in ihrer Entwicklung so weit, dass sie mit beinahe kompletter Unabhängigkeit und Selbstständigkeit konfrontiert werden können. Sie gehören zur Gemeinschaft der Schule, haben aber dennoch eigene Gemeinschaftsbereiche welche den altersbedingten Interessen deutlich mehr entsprechen.

Sicht Die offene Bauweise und Anordnung der Grundrisse erlauben eine beinahe vollständige 360° Sicht nach Innen und Außen. Einerseits kann so ein Gefühl von Zusammenhalt, andererseits aber auch die Verbindung zur Umgebung bewahrt werden. Zwischen jeder Nutzungseinheit befindet sich ein Freiraum welcher weitere Ein- und Durchblicke ermöglicht und die Gebäudestruktur auflockert. Die komplette Durchsicht des linken Rings mit Blick auf die Skulptur von Henry Moore schafft Offenheit und verbindet die Stadtschule stärker mit der Umgebung. Von verschiedenen Standpunkten aus ergibt sich eine Vielzahl von Eindrücken. Nach Süden ist ein freier Blick auf den Aasee möglich. An anderen Positionen sind der Schlossgarten oder die Kirchtürme des Doms, der Lambertikirche und der Überwasserkirche zu sehen. Eine wichtige Blickbeziehung.


218

Entwurf

TIONAL VERSION

0

25

50

100m

[03.22] Erdgeschoss M 1_1.500


219

[03.2

5]

03_Stadtschule

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

[03.23] Obergeschoss M 1_1.500

0


220

Entwurf

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

0

25

50

100m


03_Stadtschule

221

[03.24] Erdgeschoss


222 222

Entwurf

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

0

25

50

100m


03_Stadtschule

223

[03.25] Obergeschoss


224

Entwurf

62 58 51

+ 13.00

+ 1.00 + 0.00

- 4.30

Wasser-Plastik. Heinz Mack. 1977

0

5

10

15

20

25

50


225

03_Stadtschule

66 62 56

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

Large Vertebrae. Henry Moore. 1968

[03.26] Ansicht


226

Entwurf

58

51

+ 14.00

+ 5.30 + 4.30

+ 1.00 + 0.00

62 58 51

- 8.60

0

5

10

15

20

25

50


227

03_Stadtschule

66

62

66 62 56

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

[03.26] Ansicht


228

0

Entwurf

5

10

15

20

25

50


229

03_Stadtschule

66 62

66 62

56

54

+ 14.00

+ 5.30 + 4.30

+ 1.00 + 0.00

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

- 6.50

[03.27] Schnitt


230

Entwurf

66 62

56

66 62 56

0

5

10

15

20

25

50


231

03_Stadtschule

+ 14.00

+ 5.30 + 4.30

+ 1.00 + 0.00

66 62

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

54 - 7.00

[03.27] Schnitt


232

Entwurf

Konstruktion

Das Tragwerk bildet ein Stahlskelett in Verbindung mit einem Fachwerkträger. Zusätzliche Aussteifung bringt ein IPE-Träger, welcher mit den HEB-Stützen verschraubt ist und einen Ringbalken in Querrichtung bildet. Durch die Wahl der Skelettbauweise wirkt das Gebäude trotz seiner Größe sehr leicht und gliedert sich gut in die Umgebung ein. Jener Teil auf Niveau der Promenade kann weiterhin komplett durchlaufen werden und stört die üblichen Fußgängerströme nicht. Weitere Fassadenteile sind aus Stahl und Aluminium gefertigt. Geschlossene Bereiche sind mit einem verzinkten, vertikal verlaufenden Wellblech verkleidet. Die Fenster sind Außen mit Aluminium verkleidet, zum Innenraum jedoch in Holz ausgeführt. Als Kontrast zum kalten Metall sind Boden und Wände im Innenraum mit Fichtenholz belegt. Das Tragwerk sowie das Trapezblech bleiben im Innenraum weiß lackiert sichtbar und schaffen so eine kontinuierliche Verbindung von Innen und Außen. VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

[03.28] Konstruktion Schema


03_Stadtschule

233

[03.29] isometrische Darstellung


VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

234

Dachaufbau Holzdielen Kiefer 140/ 40mm Lattung Kiefer 1240/ 40 mm Gefälleestrich 60 mm Filtervlies Wärmedämmung 140 mm Abdichtung Verbunddecke: Stahlbeton/ Trapezblech 150mm Tragwerk: HEB 180, Rundrohre 20mm

Gründung Holzdielen Kiefer 140/ 40mm Dampfsperre Estrich 55 mm Trittschalldämmung 20 mm Wärmedämmung 50 mm Abdichtung Bitumenbahn 5 mm Stahlbeton 200 mm

Konstruktion

4.0

3.5

0.0

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION


235

03_Stadtschule

Wandaufbau Wellblech 40 mm Lattung 40 mm Dämmung 180 mm Metallständerwerk 70 mm Lattung Kiefer 14 mm

0

0

0,3 0,7

0.2

0.4

0.6

0.8

1

1

1,3 1,7

2

2m

VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION

[03.30] Fassadendetail M 1_35


236

Konstruktion


03_Stadtschule

237

[03.31] perspektivischer Detailschnitt


238

Konstruktion


03_Stadtschule

239

[03.32] offener Lernbereich


240

Modellfotos


03_Stadtschule

241


242

Modellfotos


03_Stadtschule

243

Umgebungsmodell


244

Modellfotos


03_Stadtschule

245

Umgebungsmodell


246

Modellfotos


03_Stadtschule

247

Umgebungsmodell


248

Modellfotos


03_Stadtschule

249

Umgebungsmodell


250

Modellfotos


03_Stadtschule

251

Konstruktionsmodell


252

Modellfotos


253

03_Stadtschule

Konstruktionsmodell


254

Modellfotos


03_Stadtschule

255

Konstruktionsmodell


256

Modellfotos


03_Stadtschule

257

Konstruktionsmodell


258

Modellfotos


03_Stadtschule

259

Konstruktionsmodell


260

Danksagung


261

Ich habe im Laufe meines Studiums einige Kurse bei Herrn Kazu Blumfeld Hanada besucht und möchte mich hiermit bei ihm für seine offene Lehre, die uns Studenten positiv in unserem architektonischen Denken beeinflusst und dafür, dass er uns immer in unseren Ideen und Projekten unterstützt hat, bedanken. Ich bedanke mich zudem bei einem lieben Kommilitonen und meinem Freund dafür, dass ich immer auf sie zählen konnte.


262

BIBLIOGRAPHIE

01_Barz,Heiner. Handbuch Bildungsreform und Reformpädagogik. 2018. Springer VS. Wiesbaden

02_Detail - Zeitschrift für Architektur. 43. Serie. 2003. Heft 3

03_Hertzberger, Herman. Space and Learning - Lessons in Architecture 3. 2008. 010 Publishers. Rotterdam

04_Hertzberger, Herman. The Schools of Herman Hertzberger - Alle scholen. 2009. 010 Publishers. Rotterdam. ISBN 9789064506468

05_Holert, Tom. Politics of Learning, Politics of Space - Architecture and the Education Shock of the 1960s and 1970s. 2021. De Gruyter

06_Idel und Ullrich, Handbuch Reformpädagogik, 2017 Beltz Verlag, Weinheim Basel // Auszüge aus Kapitel II Der Kanon der Reformpädagogik Ideen Gründungen Wirkungen

07_Kat. Ausst. Modern Architecture for the Modern School. Museum of Modern Arts New York 1942. New York 1942

08_Roth, Alfred. The New Schoolhouse/ Das Neue Schulhaus/ La Nouvelle Ecole. 1958. Frederick A. Praeger, Inc. New York. 2. Auflage

09_Roth, Alfred. The New Schoolhouse/ Das Neue Schulhaus/ La Nouvelle Ecole. 1966. Verlag für Architektur (Artemis). Zürich. 4 .Auflage

10_Dr. Skiera,Ehrenhard. Reformpädagogik - In Geschichte und Gegenwart - Eine kritische Einführung. 2003. R. Oldenbourg Wissenschaftsverlag. München


263

Literatur

INTERNETQUELLEN

11_Waldschule (23.05.21) https://www.wikiwand.com/de/Waldschule

12_Mogge, Winfried, „Luserke, Martin“ in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 533 f. Online-Version (29.05.21) https://www.deutsche-biographie.de/pnd118575376.html#ndbcontent

13_Schule während des zweiten Weltkrieges (27.05.21) a.http://www.hans-adlhoch-schule.de/über-uns/100-jahre-hans-adlhoch-schule/1940-1949/ b.https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/229629/schulgeschichte-bis-1945

14_Dr. Daniel Dettling, Trendguide: Schulen der Zukunft - Prinzipien, Perspektiven, Pioniere, 2020, Hrsg. FriedrichNaumann-Stiftung für die Freiheit (01.06.21) https://schulen-der-zukunft.freiheit.org/trend-guide-schulen-der-zukunft/trendguide-schulen-der-zukunft/

15_Altstädter Schule „Glasschule“. Celle. Otto Haesler. 1928 (13.05.21) .http://otto-haesler-initiative.de/bauten/1926-28/altstädter-schule

16_Corona Avenue School. Los Angeles. USA. Richard Neutra. 1934 (21.05.21) https://drawingmatter.org/richard-j-neutra/

17_Scuola elementare Ai Saleggi. Locarno. Schweiz. Livio Vacchini. 1978 (21.05.2021) http://www.studiovacchini.ch/opere/10/lan:en

18_Minami-Yamashiro Primary School. Kyoto. Japan. Richard Rogers Partnership. 2003 (21.05.21) https://www.rsh-p.com/projects/minami-yamashiro-elementary-school/

19_Ørestad College. Kopenhagen. Dänemark. 3XN, 2007 (05.05.21) https://3xn.com/project/orestad-college

20_Bildungscampus Sonnwendviertel. Wien. Österreich. PPAG. 2014 (29.05.21) https://www.ppag.at/de/projects/bildungscampus/

21_Lernhaus München, Wulf Architekten, 2017 (23.05.21) https://www.baunetzwissen.de/beton/objekte/bildung/grundschule-mit-kindertagesstaette-in-muenchen-5547528


264

Literatur

22_Bewegungsschule in Aarhus, DK, Henning Larsen + GPP Architektur, 2016 (22.05.21) a.https://www.archdaily.com/799521/frederiksbjerg-school-henning-larsen-architects-plus-gpp-architects/582bf829e58ecee4050000d4frederiksbjerg-school-henning-larsen-architects-plus-gpp-architects-photo b.https://frederiksbjergskole.aarhus.dk

23_Promenade in Münster (22.06.21) https://www.lwl.org/geodatenkultur/objekt/253029

24_Zoo in Münster (22.06.21) https://www.sto-ms.de/bildgeschichte/über-den-alten-zoo-und-was-aus-ihm-wurde/

25_Geschichte des Aasees in Münster (22.06.21) https://www.sto-ms.de/bildgeschichte/professor-landois-und-der-aasee/


265

Abbildungen

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

01.05 Bedeaux Goirle, Jos 02.69, 02.73 Behnisch, Günter 02.27, 02.30, 02.31, 02.210 Blessing, Hedrich. Chicago 02.63-66, 02.82, 02.86-88 Binder, Walter. Zürich / Comet. Zürich 02.216, 02.217 Brecht, Tobias 02.76, 02.77, 03.04, 03.15 Brunsmann, Shari 02.35, 02.36, 02.39 Brügger, Erwin. Zürich 02.96 Canella, Guido 02.115 Charles, Martin 02.178 Cornelius, Violette 01.12 Dalisi, Riccardo 01.11 Dattner, Richard 02.179 de Witt, René 02.177, 02.211 Dienst Publieke Werken, Afdeling Stadsontwikkeling Amsterdam 02.99 Diepraam, Willem 02.118, 02.186 Dijkof, Frits 02.187 Drey, Sabine 02.85 Fachklasse für Fotografie. Schule für Gestaltung. Zürich 02.108-112, 02.189, 02.190 Flammer, Alberto 02.150 González, Brigida 02.229 Gruber, Magdalena 02.141 Goodwin, Marc 03.00 Haaning, Matilde 02.55-59 Hansen, Erik. Kopenhagen 02.183 Hellstern, Max. Zürich 01:01, 07, 14, Hertzberger, Herman 02:100, 102, 103, 122, 123, 126, 132, 194, 197, 200-202, 224, 234, 238 02.156-158, 02.160 Hufton + Crow 02.144-146 Hurnhaus, Hertha 02.83+84 Hill, John 02.241 Jacobs, Markus 02.222 Janzer, Wolfram 02.119 Kinold, Klaus 02.41, 02.42, 02.184 Klemm G. + Bacchetta, L. Genève 02.89-91 Lambert, Sam. Zürich 02.218 Larsen, Henning 03.05, 03.09, 03.16 LWL Museum für Kunst und Kultur


266

Abbildungen

02.231 Makinen, Taskinen. Helsinki 02.131, 02.153, 02.154 Malagamba, Duccio 02.38, 02.212 Mann + Cooper. Manchester 2.53 Mears, Dewey G. Austin 02.04, 02.43, 02.44, 02.188, Moosbrügger, Bernhard. Zürich 02.213, 02.221 02:139, 143, 195, 219 Mørk, Adam 02.13, 02.225 N.V. Verenigde Fotobureaux. Amsterdam 02.233 d‘Oliveira, Jaap. Amsterdam 01.06 Past Pix/ TopFoto.co.uk 02.104. 02.105 Pysall + Jensen + Strahlenberg 02.180, 02.185 Reens, Louis. New York 02.203, 02.204 Regional Archief Dordrecht 02.137, 02.138 Richard Rogers Partnership 02.193 Richters, Christian 01.10 Riis, Jacob 02.199 Roelli + Mertens, Zürich 02.06 Savin, A. 02.80 Schader, Jaques 02.214, 02.215 Schwarz, Eva 02.205 Shulam, Julius. L.A. 02.134, 02.135, 02.227 Spiluttini, Margherita 02.228 Stadtarchiv Amsterdam 02.08, 02.10 Stadtarchiv Celle 02.45, 02.46 Sturtevant, Roger. San Francisco 02.32-34 Sunami, Soichi 02.181, 02.206 Troeger, Eberhard 02.196, 02.240 United Photos de Boer 02.129, 02.181, 02.192 Van der Burg, Jan-Dirk 02.98 Van der Keuken, Johann 02.121 Van der Vlugt, Ger 02.151, 02.152, 02.176, 02.220 Van Doorn, Herman 01.13, 02.230 Van Eyk, Aldo 02.169 Versnel, Jan 02.159 Virklund Sport 02.37, 02.40, 02.226 Waldvogel, Fred. Zürich 01:02-04, 08-09, Unbekannt 02:01, 07, 17, 18, 23, 168, 170175, 182, 198, 223, 239


267


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.