Habitus

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Please don’t touch – this is an installation.


Daniel Hahn


You rebel!


Daniel Hahn


HABITUS RAKS DANIEL HAHN


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„Wenn unsere Arbeit nicht als Kritik verstanden werden kann, als unbequeme Frage und als Herausforderung der Macht, dann schreiben wir umsonst, dann sind wir positiv und schmücken das Schlachthaus mit Geranien.“ Raks

Günther Eich




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HABITUS

Schon lange bevor ich mit Graffiti anfing, habe ich an meiner Unterschrift gefeilt. Das war mir irgendwie wichtig. Für den Ernstfall gewappnet zu sein und ein Zeichen zu haben, hinter dem ich stehe. Authentischer klingt natürlich, den Beginn meines Graffitis so zu beschreiben, dass ich im Alter von 15 Jahren den sitzengebliebenen und somit älteren Mitschüler Tristan im Rücken sitzen hatte, dessen sehr liebevoll ausgestalteter Schriftzug „Saarbrücken-City“ mein Interesse weckte. Wahr ist das selbstverständlich auch, aber wo fängt die

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nennenswerte Biographie an? Nach welchen Kriterien stellt man eine repräsentative Vita zusammen? Im Verlauf einer ausführlichen Reflexion sind offenere Gedanken weitaus erfrischender. Erste ernsthafte Auseinandersetzungen mit Graffiti in Form von Skizzen fanden für mich somit im Jahre 2002 statt. Mit dem Finden des eigenen Pseudonyms und der individuellen Kombination der Buchstaben ist die eigene Welt schon fast beschlossen. Eigene Kompositionen der Buchstaben und Bildwelten ergeben sich im Vertrauen auf die eigenen Impulse. Dies passiert ganz von selbst, spätestens dann, wenn das Abackern diverser Vorbilder an Reiz verliert. Jeder einzelne Letter stammelt nach dem ersten intuitiven Skizzieren seine eigene Formensprache, vervollständigt durch immer mehr definierende Linien, die ihm als Vokabeln dienen, spricht er die Sprache nach und nach fließend. Mal braucht er eine Weile, mal lernt er schnell, mal klassisch, mal in eigentümlichsten Dialekten. Ein wenig ähnelt diese Auseinandersetzung mit dem Wort dem alltäglichen Schreiben, allerdings in eher tragischem Kontext: Man schreibt und schreibt; das Gefühl, sein Wort „richtig“ geschrieben zu haben, bleibt allerdings aus. Im besten Falle sieht es immer anders aus, immer neu. Der Fokus auf die wenigen auserwählten Buchstaben innerhalb des Pseudonyms schränkt somit nicht ein, im Gegenteil: Er dient als persönliche Linse, durch die immer noch alles Andere gesehen werden kann.

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„Graffiti sagt: Ich bin, ich existiere, ich bin wirklich, ich habe hier gelebt.“ 1 ( Mitzi Cunliffe )

In der Natur des Grafikers liegt es, dass er der Bildenden Kunst sehr nahe ist, sich mit ihr auseinandersetzt, jedoch in seinem Metier an die strukturierte Vermittlung von Information gebunden ist. Innerhalb der Kunst kann Schrift unterschiedlichste Rollen einnehmen, beispielsweise als Zitat, als Struktur, als grafisches Element oder direkte Ansprache. „Durch den Wechsel der Distributionskanäle der Schrift, von der Handschrift über die Druckschrift als beständige Information bis hin zur virtuellen Schrift im Rechner, erfährt die Schrift eine Veränderung vom heißen zum kalten Medium. Aber durch die Aufnahme der Schrift in die Kunst bekommt sie eine neue komplexe Rolle als Dimension der Erinnerung. Damit wechselt die Schrift noch einmal in die Sphäre des heißen Mediums.“ 2 Nach der Theorie des Geisteswissenschaftlers Marshall McLuhan ist ein heißes Medium ein Medium, welches möglichst viele der menschlichen Sinne anspricht. Eine besondere Entwicklung der Verwendung von Schrift führte hierbei die Konzeptkunst in den 1960er Jahren herbei, in der die Sprache als geschriebenes Wort zum primären Bildinhalt wurde. Darauffolgend und dem Missfallen gegenüber der Tatsache entsprungen, dass offiziell nur die Namen und Schriftzüge reicher, etablierter Großkonzerne

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das städtische Umfeld visuell prägen durften, bedient sich Graffiti somit der Schrift als dem ehrlichsten und auch natürlichsten Mittel der Inszenierung. Denn Schrift hat keine naturelle Größe, ihre Darstellung ist an nichts gebunden. In der modernen Kunst wurden Formen schon immer an ihre Grenzen getrieben. Innerhalb der Darstellung des menschlichen Körpers beispielsweise gab es zahlreiche Ansätze herauszufinden, wie weit man deren Verformung treiben kann, bevor sie nicht mehr als Menschen erkennbar sind. Und Graffiti treibt, neben zeitweilig aufgebrachten Hausbesitzern, die Formen der im Alltag gängigen Buchstaben in den Wahnsinn. „Die Gleichwertigkeit von Zeichen im digitalen Zeitalter erklärt den sukzessiven Verfall von Wörtern, die Herausforderung von Leerräumen und die Dekonstruktion von Bedeutung. Dem entspricht, dass multimediale Visualisierungselemente der Schrift buchstäblich den öffentlichen Raum erobert haben.“ 3 Interessant ist dabei, dass die Epoche des Graffitis und die des Internets eine ähnliche Neudeutung der Zeichen und Symbole gemeinsam haben und zudem nahezu zeitgleich aufkamen.

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„Kunst oder die Übersetzung einer Kultur in graphische Darstellung wird von der Art der Raumwahrnehmung bestimmt.“ 4 ( Marshall McLuhan )

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Im Allgemeinen ist es nicht verwerflich, dass die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein für die Graffiti-Kultur gewachsen sind und immer noch wachsen. Die Schau „Habitus“ ist ja auch ein kleiner Teil davon. Subkulturen beleben die Gesellschaft abseits ihrer bevorzugten Denkmuster. Nur so kann die Gesellschaft kulturell bestehen und vor Stagnation bewahrt werden. Die gesteigerte Wahrnehmung und Wertschätzung verändern aber auch das Bild, das diese Kultur in den Köpfen der Menschen auslöst. Es wird unterschieden zwischen visuellen Entwicklungen, die den gleichen Ursprung haben. Merke: Ein Baum ist nichts ohne seine Wurzeln. Graffiti dient sich selbst. Es geht um das Ausgestalten des Pseudonyms, mal hektisch, mal im Detail.

„Indem sie die Wände tätowieren, befreien sie sie von der Architektur und machen sie wieder zur lebendigen, immer noch sozialen Materie, zum beweglichen Körper der Stadt vor seiner funktionalen und institutionellen Markierung.“ 5 ( Jean Baudrillard ) Mit der Zeit entwickelte sich Graffiti zu einer jungen Kunstform, deren Ansehen stieg und auf deren Stilrichtungen immer mehr Sammler, Galerien und Unternehmen aufmerksam wurden und sie als potentes

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Utensil am Markt für sich entdeckten. Somit wurde ich anfangs relativ unreflektiert zu einem Teil des Kunstmarkts und der Galeriewelt. Inwiefern ist Graffiti aber noch in der Lage, den Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung zu leisten, wenn es in seiner Erscheinung und Anmutung immer mehr zum Gewohnten wird? Wenn die Entstehung unter anderen, zumeist legalen, Bedingungen geschieht, sich Werkzeuge sowie Materialien verändern und sich das Umfeld verlagert, verliert Graffiti langsam seine ursprüngliche Aussage. Nämlich die, dass es an jedem erdenklichen Ort, zu jeder erdenklichen Zeit, den öffentlichen Raum energisch und laut für sich beansprucht, ihn für sich nutzt und die Symbole und Zeichen für eine breite Masse visuell erfahrbar macht. Was also ist der nächste Schritt?

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Der öffentliche Raum scheint längst erobert zu sein. Die Ambivalenz, die dem ( illegalen ) Graffiti im urbanen Raum anheftet, verliert es in braverer Umgebung. Somit ist die potentielle kulturelle Befruchtung der Gesellschaft von den Fragen abhängig, die durch den Inhalt oder die Gestaltung der Werke aufgeworfen oder zu beantworten versucht werden. „Damit ein Kunstwerk nicht nur Gefühlssache ist, sondern auch begriffen und durchdrungen werden kann, muss es beides können: Affekte ermöglichen und sich vor beliebiger Affektproduktion hüten. Das Impulsive, rein Assoziative, muss einholbar bleiben von der Reflexion.“ 6 Somit kann es nur darum gehen, den öffentlichen Raum erobert bleiben zu lassen und an eben diesen Stellen, an denen diese Kunstform mutiert und ihr neue Eigenschaften zu teil werden, sich eben diesen auch zu stellen und zu reflektieren. Die Tatsache, dass es immer mehr Möglichkeiten für legales Graffiti im öffentlichen Raum gibt, bleibt ein Verdienst derer, die diesen erobert haben und halten. Deshalb wäre es nur konsequent, wenn diese neue Kunst auf der Inhaltsebene den Beitrag zur kulturellen Entwicklung beizusteuern versuchen würde, den Graffiti alleine nicht liefern kann. Neben dem ästhetischen Fokus auf Buchstaben und deren Formensprache liegt es mir am Herzen, die Gedanken der Graffiti-Kultur nicht unkommentiert in die Galerie zu transportieren, da sich dies ansonsten

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vielleicht zu schnell erschöpft. Das neue Umfeld sollte als Aufgabe und neue Herausforderung gesehen werden, als Spielwiese, denn es ist die nächste Etappe des Eroberungszuges.

„Der Künstler schafft das Mögliche mit dem Wirklichen.“ 7 ( Henri Bergson ) Graffiti steht in direkter Verbindung zu seiner Umgebung. Es inszeniert sich innerhalb dieser und reaktiviert Räume, die man zu kennen glaubte, indem es mit den vorhandenen Strukturen der Stadt arbeitet und sie für sich nutzt. Vielleicht liegt aus diesem Grund mein besonderes Augenmerk auf dem Phänomen der Inszenierung, sowohl in der Kunstwelt, als auch im Alltag und deren Verquickung. Ausstellungsräume, mit denen die Arbeiten auf neue Art und Weise interagieren können, sind somit eine neue Disziplin. Es geht darum, gerade im ästhetischen Kontext, Dinge nicht nur zu sehen, wie sie zu sein scheinen, sondern wie sie sein könnten, denn „Theater findet immer statt, egal wo man gerade ist. Kunst hilft einem nur, das zu erkennen.“ 8 Der Künstler Tobias Rehberger spricht sich für eine notwendige, befruchtende Verknüpfung einzelner Schaffensbereiche aus, nämlich dass man sich für die eigene Disziplin überall bedienen darf und alles nutzen kann, auch aus anderen Disziplinen. „Klaut nicht nur aus der Kunst, sondern klaut überall, wo ihr klauen

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könnt, und benutzt die Beute für eure Zwecke – nicht im illegalen Sinne von ‚wegnehmen‘, sondern von Verwenden und für das eigene Feld urbar machen.“ 9 Diese Aussage hat zwar innerhalb des gerade beendeten Rechtsstreits zwischen Rehberger und der Künstlerin Bridget Riley, bei dem es eben um einen solchen Vorwurf der Kopie ihrer Arbeit „Movement in squares“ ( 1961 ) ging, einen faden Beigeschmack, transportiert aber trotzdem die Wichtigkeit des Schöpfens aus dem erweiterten Umfeld, denn wie in der Natur ermöglichen auch in anderen Milieus erst Neukombinationen und Mutationen das Überleben einzelner Gattungen. Als Kind ist es ja auch interessanter und belebender im Freien zu spielen, als lediglich in den eigenen vier Wänden. Im Zuge erster Ausstellungserfahrungen befand ich mich bezüglich meiner Werksbeschreibung und Biographie schon oft in unsicherer, ungewohnter Lage. Was ist nennenswert? Welche biographischen Stationen sind wirklich wichtig und aussagekräftig? Mir fällt es schwer, die eigenen Arbeiten zu beschreiben. Im Grunde versuche ich Dinge zu schaffen, die ihre Wurzeln nicht verleugnen und die, um den Vergleich naturgetreu zu vollenden, die eigene Umpflanzung und neue Umgebung überleben. Ein persönliches Schlüsselerlebnis für die Ausstellung „Habitus“ war eine Kunstmesse im vergangenen Jahr. Ich betrachtete die Arbeiten eines Künstlers, dessen Werk ich schon seit vielen Jahren schätze und genoss es somit, mir die Leinwandarbeiten von der ausstellenden

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Galerie aufs Neue erläutern zu lassen. Aufgrund meiner persönlichen Vorkenntnis war ich mir sicher, dass die mir daraufhin geschilderten Hintergründe zu seiner Arbeit erst im Nachhinein formuliert wurden. Wirklich neu war diese Tatsache für mich nicht. Bewusst erlebt habe ich es damals aber zum ersten Mal: Nicht die Kunst, sondern die Kunstvermarktung als meine persönliche Schnittstelle zum Kommunikationsdesign. Die Gier des Publikums füttern, indem Geschichten, Botschaften und spektakuläre Biographien gekonnt einheizen, um Interesse am jeweiligen Künstler zu erzeugen.

„Making money is art and working is art and good business is the best art.“ ( Andy Warhol )

Ich formuliere dabei gewiss nicht allgemein, aber muss der Künstler primär als Marke funktionieren, damit seine Kunst funktioniert? Muss er sich zeigen und sich erklärend zur Schau stellen? Inwiefern kann sein Werk alleine genügen, das rein Ästhetische? Der Kunstmarkt orientiert sich in erster Linie oftmals an Resonanz, nicht an Qualität. Aussagekräftig sind dafür bereits absolvierte Ausstellungen in Galerien und Museen, die Präsenz in Sammlungen oder das Potential in den Medien. „Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen der Produktion von Kunst und dem Füttern einer Produktlinie.“ 10 Eine überzeugende Idee, leichte

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Aufbewahrung, Schönheit, sorgfältigste Ausführung sowie die Verankerung in der Geschichte gehören, laut Francis Outred, dem Strategen des großen Auktionshauses „Christie’s“ in London, zu den relevanten Merkmalen überdauernder Kunst. Die Idee des spielerischen Inszenierens kam mir erstmals schon lange bevor ich überhaupt an Graffiti dachte. Ich habe mit mir selbst Interviews durchgespielt und Fragen, die damalige Fußball-Bundesliga-Akteure gestellt bekamen, für mich beantwortet; ausgehend von meiner jungen und bescheidenen Karriere beim SV Saar 05 Saarbrücken natürlich – man will ja ehrlich und authentisch bleiben. In der Ausstellung „Habitus“ zeigen sich hierzu Parallelen: Wenn nach Outred drei weitere Kriterien, die über die Marktzukunft eines Künstlers entscheiden, die Preisunterstützung einflussreicher Galerien, die strategische Platzierung in Auktionen und die Präsenz in der Museumswelt sind, dann inszeniere ich mich eben selbst auf den Titeln der Kunst -und Kulturmagazine. Und das in ironischem Kontext, da es, weil selbst erstellt, natürlich im Grunde nichts wert ist.


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„Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden.“ ( Martin Kippenberger )

Es scheint, als ob es vermehrt nicht um die Kunst geht, sondern um die Marketingstrategie dahinter und dass auf dem Kunstmarkt sehr wenige über sehr viel zu entscheiden versuchen. „Nicht die Kunst, sondern der Markt braucht das Genie. Der Kult des Künstlers ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Publikum, Presse, Künstler. Diese entwarfen somit Rollen, die den Erwartungen und Wünschen der Presse und des Publikums entsprachen.“ 11 Dem gilt es etwas entgegenzusetzen. Das Werk sollte doch die Biographie tragen,

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nicht umgekehrt, das sogenannte „Huckepack-Szenario“ (A. d. Hrsg.). „Das Bild ist nicht zu inkriminieren. Es hat kein Mysterium. Plastisch und oberflächlich, manipulierbar, bleibt es ein fiktionserzeugendes Kunststück. Es gibt in diesem Sinn keine neuen Bilder, sondern lediglich neue Manipulationstechniken.“ 12 Die Inszenierung der Kunst manipuliert, sie beeinflusst das Qualitätsverständnis, nicht das Bild selbst. Unsere Erfahrung sagt uns, dass die ausgestellten Werke etwas besonderes sein müssen. Sonst würden sie ja nicht in diesen wichtigen Räumen hängen. „Die Kunsthaftigkeit von Objekten wird in der Regel nicht von ihnen selbst verbürgt, auch nicht von ihrer äußerlichen Erscheinung, sondern sie verdankt sich allein ihrer Inszenierung. Und diese Inszenierung ist oft eine des Marktes.“ 6 Dabei ist die Kommunikation zwischen Publikum und Bild doch essentieller und ertragreicher als die zwischen Publikum und Ausstellungsinformation, Herkunft oder Biografie des Künstlers. Der Kontext ist hierbei keinesfalls unwichtig, vielmehr will ich die Rangfolge beeinflussen, die Wichtigkeit verlagern, im Sinne des Werks. Wenn die hintergründigen Gedanken des Künstlers zu seinem Werk für das öffentliche Verständnis desselben so essentiell wären, die Theorie somit also das eigentliche Werk darstellte, dann wäre die visuelle Arbeit ja gar nicht mehr nötig. Man sollte nicht vergessen, welche Chance es doch eigentlich ist, sich den ganz eigenen Weg zu ermöglichen. „Wir sind so sehr daran gewöhnt, die Kunst

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mit einem Gefühl von Ehrfurcht wahrzunehmen, dass wir sie nicht mehr mit leidenschaftlichen Augen betrachten können oder gar ihre Legitimität in Frage stellen. Zuerst muss man die Kunst als null und nichtig erklären, um sie als das betrachten zu können, was sie ist.“ 13 Man kann sich beispielsweise im Kaufhaus nur schwer bewegen, ohne unterbewusst gesteuert und beeinflusst zu werden, durch diverse Techniken aus Psychologie, Meinungs -und Marktforschung, derer sich die Einrichter der Häuser bedienen. Somit ist es gerade innerhalb der Kunst legitim zu hinterfragen. „Wer Kunst liebt, der hasst sie auch. Es geht um den Hass auf die Scheinbotschaften, mit denen wir ständig bombardiert werden und die Bevormundungen, wie wir das, was wir sehen, zu interpretieren haben. Das Enttäuschende an der Kunst ist ihre ständige Forderung, bewundert zu werden.“ 14 Und darum ist es umso wichtiger, Hemmungen abzubauen und sich von übertriebener Ehrfurcht zu lösen. Ich habe mal gelesen, dass das Unterbewusstsein nicht unterscheiden kann, ob uns etwas Reales widerfährt oder wir uns etwas nur vorstellen. Vielleicht habe ich das aber auch gar nicht wirklich gelesen. „Menschliche Wahrnehmung ist nicht voraussetzungslos. Die Phantasie spielt hierbei eine wichtige Rolle, wie beispielsweise innerhalb des kulturellen Referenzrahmens, der erst den wahrgenommenen Dingen ihren Sinn und ihre Bedeutung verleiht. Jedes Sehen ist historisch und kulturell ermöglicht und eingeschränkt zugleich. Als solches

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ist es veränderbar, kontingent und zukunftsoffen.“ 15 Habitus bezeichnet das menschliche Sozialverhalten, sowie Gewohnheiten im Denken, Handeln und Fühlen, die Mitgliedern einer Gruppe gemeinsam sind. Prägend sind dabei die soziale Herkunft des Menschen, aber auch äußere Bedingungen wie Architektur und nähere Umgebung. Den generellen Betrachter gibt es somit nicht, da sich jeder mit einem anderen Vorwissen und Interesse und einer anderen Erwartung nähert. Im Zuge der Ausstellung werde ich mich dieser Tatsache annehmen, indem ich meinem Publikum im Vorhinein wichtige Informationen bewusst vorenthalte. Die von mir gestreuten Anhaltspunkte zu meiner Person und zu meinem Werk variieren, sind gehaltlos oder in ihrer Form zumindest unkonventionell. Die beiden Einladungen, die auf dem Postwege zugestellt werden, beinhalten unterschiedliche inhaltliche Auslegungen; zum eigentlichen Werk finden sich neben dem puren Bildmaterial in keiner der beiden detailliertere Informationen. Inwieweit können sich also Begeisterung und Dialoge entfachen, allein der Kunst wegen, ohne Vorinformation? Es gibt wohl wenig klare Antworten auf diese Fragen, daher möchte ich sie im künstlerischen Kontext in den Raum stellen, im wahrsten Sinne.

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Schon in frühen Jahren verließ Raks alias Daniel Hahn das Saarland, um im Sommer 1992 im Zuge mehrwöchiger Aufenthalte nach Südfrankreich und Spanien zu reisen und dort das Schwimmen zu erlernen. Zurück in der Heimat beschäftigte er sich im gleichen Jahr auf großen Parkplätzen der Region mit der Technik des Fahrradfahrens. Im funktionalen Ambiente dieses merkantilen Geländes, welches dann später großflächig modifiziert werden sollte, gelang es ihm nahezu zeitgleich seine leidenschaftliche Begeisterung für den Fußballsport auszuleben und zu entfalten. Beeinflusst durch diese beeindruckenden Erfahrungen lässt sich der Beginn seiner Vereinsperiode, heute weitestDaniel Hahn

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No ceiling, 140 × 100 cm, 2014


gehend verbreitet als „die Vereinsperiode“, auf das Jahr 1994 zurückverfolgen. Prägend waren zudem seine frühen Experimente und Erfahrungen im gewässernahen Schaffensbereich, welche Raks im Folgejahr mit dem Abzeichen des Seepferdchens besiegelte, was ihm einen Sprung vom Beckenrand, 25 m Schwimmen, sowie das Heraufholen eines Gegenstands mit den Händen aus schultertiefem Wasser abverlangte. Weitere Reisen sollten folgen, auf denen er unter anderem Eis aß, spazieren ging oder mit Gleichaltrigen spielte. Raks

Raks malt seine Buchstaben.

Einladungstext A

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Gold, 120 × 120 cm, 2014


Schon in frühen Jahren verließ Raks alias Daniel Hahn das Saarland, um im Sommer 1992 im Zuge mehrwöchiger Aufenthalte nach Südfrankreich und Spanien zu reisen und dort das Schwimmen zu erlernen. Zurück in der Heimat beschäftigte er sich im gleichen Jahr auf großen Parkplätzen der Region mit der Technik des Fahrradfahrens. Im funktionalen Ambiente dieses merkantilen Geländes, welches dann später großflächig modifiziert werden sollte, gelang es ihm nahezu zeitgleich seine leidenschaftliche Begeisterung für den Fußballsport auszuleben und zu entfalten. Beeinflusst durch diese beeindruckenden Erfahrungen lässt sich der Beginn seiner Vereinsperiode, heute weitestDaniel Hahn

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gehend verbreitet als „die Vereinsperiode“, auf das Jahr 1994 zurückverfolgen. Prägend waren zudem seine frühen Experimente und Erfahrungen im gewässernahen Schaffensbereich, welche Raks im Folgejahr mit dem Abzeichen des Seepferdchens besiegelte, was ihm einen Sprung vom Beckenrand, 25 m Schwimmen, sowie das Heraufholen eines Gegenstands mit den Händen aus schultertiefem Wasser abverlangte. Weitere Reisen sollten folgen, auf denen er unter anderem Eis aß, spazieren ging oder mit Gleichaltrigen spielte. Raks

Raks malt seine Buchstaben.

Einladungstext A

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Wie viele Künstler seiner Epoche wurde Raks alias Daniel Hahn weder in Hartford, Connecticut, als erstes von vier Kindern lituanisch-jüdischer Eltern in Philadelphia, noch im Londoner Stadtteil West Norwood als Sohn eines Professors der Mikrobiologie geboren. Im Sommer 1939 besuchte er keinen der Kurse der Art Students League bei Reginald Marsh, auch nicht das Goldsmiths College in London, geschweige denn das Royal College of Art, wo er sich intensiv mit Georges Seurats Werk hätte auseinandersetzen können. Anschließend besuchte er auch nicht die Phillips Academy Highschool in Andover, wo er somit auch keine Bekanntschaft mit dem minimalistischen Bildhauer Carl André oder 30

Lucky Stripe, 140 × 100 cm, 2014


dem Filmemacher Hollis Frampton machte. Das Princess of Wales Theatre in Toronto wurde im Jahre 1992 von jemand anderem gestaltet und seine Werke wurden bisher auch keinesfalls in mehr als 120 internationalen Einzelausstellungen und über 300 Gruppenausstellungen gezeigt. Mit Henry Geldzahler unternahm er 1963 keine Reise nach Persien und er begann 1967 auch nicht mit Farben zu experimentieren, weder zunächst nur mit Grau, auch später nicht mit weiteren Farben. In seinen Werken, die nie im MoMA in New York ausgestellt wurden, tauchen keine Gitterstrukturen aus Holz und Metall auf. Raks malt seine Buchstaben. Einladungstext B

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Dots, 100 × 100 cm, 2014


Wie viele Künstler seiner Epoche wurde Raks alias Daniel Hahn weder in Hartford, Connecticut, als erstes von vier Kindern lituanisch-jüdischer Eltern in Philadelphia, noch im Londoner Stadtteil West Norwood als Sohn eines Professors der Mikrobiologie geboren. Im Sommer 1939 besuchte er keinen der Kurse der Art Students League bei Reginald Marsh, auch nicht das Goldsmiths College in London, geschweige denn das Royal College of Art, wo er sich intensiv mit Georges Seurats Werk hätte auseinandersetzen können. Anschließend besuchte er auch nicht die Phillips Academy Highschool in Andover, wo er somit auch keine Bekanntschaft mit dem minimalistischen Bildhauer Carl André oder 32


dem Filmemacher Hollis Frampton machte. Das Princess of Wales Theatre in Toronto wurde im Jahre 1992 von jemand anderem gestaltet und seine Werke wurden bisher auch keinesfalls in mehr als 120 internationalen Einzelausstellungen und 체ber 300 Gruppenausstellungen gezeigt. Mit Henry Geldzahler unternahm er 1963 keine Reise nach Persien und er begann 1967 auch nicht mit Farben zu experimentieren, weder zun채chst nur mit Grau, auch sp채ter nicht mit weiteren Farben. In seinen Werken, die nie im MoMA in New York ausgestellt wurden, tauchen keine Gitterstrukturen aus Holz und Metall auf. Raks malt seine Buchstaben. Einladungstext B

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„Wenn Menschen sich auf Kunst einlassen, können sie anfangen zu verstehen, wie zwangsläufig ideologisch unser Denken immer ist. Und Kunst befreit sie davon, indem sie diesen Bruch deutlich macht, die Spaltung, diese Art von Disparität.“ 16 ( Mark Lombardi )

Ich arbeite mit der Sicherheit, in der sich der vorbereitete Besucher wiegt und breche gängige Abläufe auf, indem die inhaltliche Einführung fehlt. Ähnlich der Idee des Märchens „Des Kaisers neue Kleider“, in der die Menschen aus Angst um ihren sozialen Status den Betrug der beiden Schneider nicht laut hinterfragen und aufdecken wollen, geht es mir darum, dem Publikum das Aufdrängen einer Marke zu ersparen. Daher umgehe ich im Vorfeld der Ausstellung bewusst die Vermittlung von greifbaren Anhaltspunkten. Die Bilder stehen erstmal für sich. Innerhalb einer Ausstellung finden sich Abläufe und Rituale, die es zu beleben gilt. Was bewirkt die Absperrung um ein Bild beim Betrachter, wenn daneben die gleiche Arbeit hängt, ohne Absperrung? Was tun, ohne die gewohnten Begleitinformationen zu Künstler und Werk? Wie wichtig ist dem Publikum die Rede und deren tatsächlicher Informationsgehalt? Und ist eine Arbeit wirklich visuell bedeutender, wenn sie schon an vielen populären Orten gezeigt wurde?

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The most famous work in this exhibition.

Shown at famous places:

Most famous


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amous. famous


Most


( New York, 2013 )

famous


Whitney Museum of American Art, NY

Most


famous


Opera Gallery, NY

Most


National Museum of the American Indian, NY

famous


Underground Station at Times Square, NY

Most


famous


Most


Solomon R. Guggenheim Museum, NY

famous


National Academy Museum, NY

Most


MoMA Museum of Modern Art, NY

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The Metropolitan Museum of Art, NY

Most


An impressed couple.

famous


Most fa Included artwork: Raks, »Yelling«, 594 × 420 cm, Marker on paper, 2012

Most


amous. famous


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Yelling, 594 × 420 cm, 2012


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Most famous

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„Ich glaube, dass jemand, der sich zu sehr auf die Sprache verlässt, um mit der Welt in Verbindung zu stehen, seine Chance, sie zu erleben, verringert.“ 17  Daniel Hahn

Roni Horn


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Gelernte Rituale, beispielsweise in Form der Laudatio, Gelernte Rituale, beisp bewirken das Gewohnte. Was der Redner zu Beginn bewirken das Gewohn der Vernissage in einem ganz bestimmten Ambiente, der Vernissage in einem mit einer ganz bestimmten Sprache, beschreibt, wird mit einer ganz bestimm eher akzeptiert und verinnerlicht, als wenn er inhaltlich eher akzeptiert und ve genau das Gleiche in Jeans und T-Shirt auf offener genau das Gleiche in Je Straße zwischen zwei parkenden Autos ausführen würde. Straße zwischen zwei p „Die Sprache ist ein wichtiges Mittel in der Kunst, um „Die Sprache ist ein w zwischen Werk und Betrachter zu übersetzen. Dabei zwischen Werk und Be schwankt die Sprache zwischen Wahn und Wirklichschwankt die Sprache keit.“ 18 In diesem hypnoseähnlichen Zustand des Publikeit.“ 18 In diesem hypn kums werden geeignete Phrasen weniger hinterfragt. kums werden geeignet Die Ausstrahlung des Redners trägt ebenfalls zu dessen Die Ausstrahlung des R Glaubhaftigkeit bei. Wirken er und die Rede wichtig, Glaubhaftigkeit bei. W dann scheint sie inhaltlich auch richtiger. Man hört dann scheint sie inhalt sehr interessiert zu, auch dann, wenn man im Grunde sehr interessiert zu, au recht wenig versteht – denn man darf sich ja nichts recht wenig versteht – anmerken lassen. anmerken lassen. Das Ritual der Rede selbst trägt also bedeutend Das Ritual der R dazu bei, dass ihre Wirksamkeit gestärkt wird und dazu bei, dass ihre Wi wird somit innerhalb meiner Ausstellung zum Teil der wird somit innerhalb m künstlerischen Aussage, um sie nicht in die Hand des künstlerischen Aussage Gewöhnlichen zu geben. Gewöhnlichen zu gebe

die Rede

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Daniel Hahn Raks

pielsweise in Form der Laudatio, te. Was der Redner zu Beginn m ganz bestimmten Ambiente, mten Sprache, beschreibt, wird rinnerlicht, als wenn er inhaltlich eans und T-Shirt auf offener parkenden Autos ausführen würde. ichtiges Mittel in der Kunst, um etrachter zu übersetzen. Dabei zwischen Wahn und Wirklichnoseähnlichen Zustand des Publie Phrasen weniger hinterfragt. Redners trägt ebenfalls zu dessen irken er und die Rede wichtig, lich auch richtiger. Man hört ch dann, wenn man im Grunde denn man darf sich ja nichts

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die Rede


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Gelernte Rituale, beispielsweise in Form der Laudatio, bewirken das Gewohnte. Was der Redner zu Beginn der Vernissage in einem ganz bestimmten Ambiente, mit einer ganz bestimmten Sprache, beschreibt, wird eher akzeptiert und verinnerlicht, als wenn er inhaltlich genau das Gleiche in Jeans und T-Shirt auf offener Straße zwischen zwei parkenden Autos ausführen würde. „Die Sprache ist ein wichtiges Mittel in der Kunst, um zwischen Werk und Betrachter zu übersetzen. Dabei schwankt die Sprache zwischen Wahn und Wirklichkeit.“ 18 In diesem hypnoseähnlichen Zustand des Publikums werden geeignete Phrasen weniger hinterfragt. Die Ausstrahlung des Redners trägt ebenfalls zu dessen Glaubhaftigkeit bei. Wirken er und die Rede wichtig, dann scheint sie inhaltlich auch richtiger. Man hört sehr interessiert zu, auch dann, wenn man im Grunde recht wenig versteht – denn man darf sich ja nichts anmerken lassen. Das Ritual der Rede selbst trägt also bedeutend dazu bei, dass ihre Wirksamkeit gestärkt wird und wird somit innerhalb meiner Ausstellung zum Teil der künstlerischen Aussage, um sie nicht in die Hand des Gewöhnlichen zu geben.

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Mit Eingriffen wie der ironischen Interpretation der Absperrung und der Linie auf dem Boden nehme ich die Kunst von der Empore. Das hat mit meiner persönlichen Einstellung zu tun, hinzu kommt, dass im Graffiti die Arbeit in den Straßen ebenfalls ungeschützt der Kritik der Leute ausgesetzt ist, da sie ebenso rough angebracht ist wie auch die Kritik es sein könnte, die ihr in der Theorie jeder Passant hinzufügen kann. Das Interessante an diesen Interventionen sind die damit verbundenen, immanenten Erwartungen und Reaktionen des Publikums. Ich versuche anhand neuer Übersetzungen und grafischer Mittel, dem Gewohnten und Gängigen etwas hinzuzufügen und dem Betrachter Aufgaben zu stellen – unterschiedlichster Natur. Eine dieser Aufgaben ist bereits gelöst, denn ohne Missachten des bedruckten Umschlags dieser Publikation, nämlich „Please don’t touch, this is an installation“, würde diese Textzeile hier niemand lesen, Sie Rebell! Ich mag es, wenn mich Kunst irritier t. Irritation ist hierbei nichts rein Negatives, sondern etwas Neues in Form einer Herausforderung, die das Interesse weckt. Solange parallel eine ästhetische Auseinandersetzung

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stattfindet, ist Irritation auch etwas Erfrischendes, da sie einen gedanklichen Umbruch beinhaltet. „Kunst ist nie selbstverständlich. Sie ist immer umstritten. (…) Einen Tisch erkennen wir an seiner Form, ohne dass es zusätzlicher Aktion oder Erklärung braucht. Wir müssen nicht an einem Tisch essen, um ihn als Tisch zu erkennen. Ein Kunstwerk hingegen erschließt sich nicht einfach über seine Form, wir müssen es erfahren.“ 19 Eine Video-Installation der Künstlerin Monika Marklinger stellt dem Publikum die Frage, wieso es dort draußen Menschen gibt, die der Malerei nachgehen. Abgesehen davon, dass der Mitschnitt der Arbeit 20 eine Schleife ist und über eine Stunde dauert, wird diese Frage nie langweilig. Nicht zuletzt, weil das „Why?“ so gesprochen ist, dass es schon geheimnisvoll erscheint, dass jemand überhaupt malt, und gleichzeitig so, als ob die Antwort auch nur eine sehr geringe Rolle spielen würde, weil es sie vielleicht auch gar nicht gibt. Oder besser: Wenn es sie klar formuliert und eindeutig gäbe, wäre die Spannung jeder Arbeit dahin. Diese Tatsache ist essentiell, wie ich finde. Und wunderbar transportiert.

Kunst hört nicht auf irgendeine Definition. Kunst hört nicht auf.

„Der Maler liefert lediglich das Bild-Projekt, das, ähnlich wie bei einem Spiel, die Karten und die Regeln

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vorgibt. Das Spiel, sprich das Werk, vollzieht sich dann im Prozess der Wahrnehmung.“ 21 Keine künstlerische Arbeit funktioniert ohne Interaktion. Wichtig ist zudem, dass in der Kunst nicht mehr alles vom rein handwerklichen Prozess abhängig ist. Das mentale Konstrukt dahinter kommt immer mehr zum Tragen, neben dem das Technische als klares Qualitätsmerkmal keinen ausschlaggebenden Stellenwert mehr hat. Daher sollte ein Bewusstsein dafür entwickelt werden, dass jedem einzelnen Pinselstrich eine Entscheidung vorausgegangen sein muss. Und fordern nicht gerade das bewusste Weglassen und Reduzieren eine besondere Entschlossenheit? Die Tatsache, dass innerhalb einer gebührenden Auseinandersetzung mit moderneren Arbeiten weitere Ebenen hinzukommen können, führt schnell zu Skepsis auf Seiten des Betrachters, da ihm dies womöglich eine weitaus intensivere gedankliche Hingabe abverlangt. „Zeitgenössische Kunst schwebt in einem Raum, in dem noch alles möglich ist.“ 22 Ein Raum, in dem zumindest nachhaltige Bewertungen noch ausstehen, weil sie ganz einfach noch nicht möglich sind. Somit gibt es also keine Regeln und bedarf es keinerlei Anweisung, um über Kunst zu sprechen und sich auf sie einzulassen. Wie viel Kraft hat ein Werk, wenn es ungeachtet in einem menschenleeren Raum verweilt? – Keine. Erst durch den Betrachter kann etwas entstehen. Nur er allein macht es zu etwas Besonderem. Das Maß der Herausforderung gegenüber dem Publikum hat dabei etwas mit der künstlerischen Wertschätzung und Ernst-

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haftigkeit zu tun. Es gleicht somit zwar einer Mutprobe, in Kauf zu nehmen, dass sich Teile der Öffentlichkeit aufgrund meiner Eingriffe verloren oder verunsichert fühlen könnten. Dieses Risiko gilt es jedoch einzugehen, denn die Kunst lebt von der Reflexion, dem eigenen individuellen Gefühl, unbeeinflusst vom Strom. Lieber Zulassen als zu lassen. Man denke nur an die Geranien.

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2 ×Karo, 60 × 50 cm, 2014



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( Raks )

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Zeitspiel, 200 × 150 cm, 2013

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Red, 160 × 120 cm, 2014

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Outdoor, 560 × 280 cm, 2013

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Quellenverzeichnis

1 Mitzi Cunliffe, In: Jean Baudrilliard, Kool Killer, hrsg. von Merve Verlag, Berlin 1978, S. 38

12 René Denizot: Die Vereinnahmung, In: Bilderstreit. Widerspruch, Einheit und Fragment in der Kunst seit 1960, hrsg. von DuMont, Köln 1989

2 Cordula Meier: Zugänge zur aktuellen Kunstrezeption im Licht digitaler Speicher, München 2002, S. 91

13 Sylvère Lotringer, In: Jean Baudrilliard: Philosophie und Kunst, hrsg. von Merve Verlag, Berlin 2005, S. 166

3 Claudia Pohl: Zeichen. Sprache. Bilder. Schrift in der Kunst seit 1960, hrsg. von Städtische Galerie Karlsruhe, Karlsruhe 2013, S. 99

14 Nicole Zepter über Steve Lowe, In: Kunst hassen, hrsg. von Tropen, Leipzig 2013, S. 131

4 Marshall McLuhan: Das Medium ist die Massage, hrsg. von Tropen, Leipzig 2012, S. 56

15 Christoph Wulf, In: Jean Baudrilliard: Philosophie und Kunst, hrsg. von Merve Verlag, Berlin 2005, S. 207

5 Jean Baudrilliard: Kool Killer, hrsg. von Merve Verlag, Berlin 1978, S. 35

16 Mark Lombardi, In: Kunst und Konspiration, Ein Film von Mareike Wegener, 2012

6 Hanno Rauterberg: Achtung, sehr süß!, Zeit Online vom 28.10.2012

17 Roni Horn, In: Wort – das andere Bild, Institut für moderne Kunst Nürnberg e.V., Nürnberg 1995, S. 119

7 Henri Bergson, In: Jean Baudrilliard: Philosophie und Kunst, hrsg. von Merve Verlag, Berlin 2005, S. 223

18 Nicole Zepter, In: Kunst hassen, hrsg. von Tropen, Leipzig 2013, S. 102

8 John Cage, In: Marshall McLuhan: Das Medium ist die Massage, hrsg. von Tropen, Leipzig 2012, S. 119

19 Nicole Zepter über Georg Bertram, In: Kunst hassen, hrsg. von Tropen, Leipzig 2013, S. 24

9 Tobias Rehberger, In: Bright! Typography between Illustration and Art, hrsg. von Daab Media, Köln 2012, S. 27

20 https://www.youtube.com/ watch?v=eWsvCePlJ2g 21 Markus Brüderle über Rémy Zaugg, In: Wolfgang Kemp: Zeitgenössische Kunst und ihre Betrachter, Köln 1996, S. 65

10 Matthias Thibaut über Francis Outred, In: Die Rezession entzaubert die PR-Künstler, Handelsblatt Online vom 21.8.2010

22 Nicole Zepter, In: Kunst hassen, hrsg. von Tropen, Leipzig 2013, S. 41

11 Peter Weibel: Der Kult des Auktionskünstlers, Die Welt Online vom 2.10.2008

links: MoMA Design and Book Store, New York

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Impressum

Gestaltung & Konzept: Daniel Hahn

Papier: Circle Offset

Druck: Farbraum GmbH

Danke: Ivica Maksimovic, Benjamin Knur, Andreas Bayer, Hartmut Wagner

Auflage: 100 Schriften: Aperçu, Life

Alex, Lukas, Alisa, Tobi, Felix www.raks1.de © Daniel Hahn 2014



Raks

Daniel Hahn

„If you could say it with words, there would be no reason to paint.“ ( Edward Hopper )

Habitus


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