Isaak der Syrer von Ninive

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Wie oft bleibt die in Staunen versunkene Seele sogar ohne die Tätigkeit der gewöhnlichen, sich um natürliche Dinge kümmernden Gedanken wegen der neuen Wunderdinge, die ihr aus dem Meere der Geheimnisse der Schrift entgegenkommen! Wenn auch der Geist nur auf der Oberfläche ihrer Wasser schwimmt und nicht vermag, mit seinen Bewegungen bis auf deren tiefsten Grund einzudringen und alle in ihren Abgründen verborgenen Schätze zu schauen, so vermag doch diese Erforschung in ihrem Liebeseifer die Gedanken so mächtig durch jenen einen wunderbaren Gedanken zu fesseln, dass sie verhindert werden, zu der körperlichen Natur hinzueilen. Daher hat auch einer der Gottesträger gesagt: „Weil das Herz schwach ist, vermag es weder die von außen anstürmenden Leiden noch die Kämpfe von innen zu ertragen.“ Ihr wisst ja, wie schwer die vom Leibe herrührenden bösen Gedanken auf uns lasten; wenn also das Herz nicht mit der Lehre vertraut ist, kann es die Verwirrung, welche der Leib gegen es erregt, nicht überwinden. Denn die Schamhaftigkeit und Gottesfurcht verhält sich zu der Neigung des Geistes wie ein schweres Gewicht zu einer durch jeden Windstoß alsbald bewegten Wage. Was hier die Nichtbeschwerung der Wage ist, dem entspricht dort die übermäßige und willkürliche Herrschaft der Wahlfreiheit. Sobald hier das Gewicht vermindert wird, verlieren dadurch die Schalen ihre Ruhe und werden leicht beweglich. Ebenso bewegt sich auch die Wage des Geistes heftig nach allen Seiten, wenn die Willensfreiheit durch Hinwegnahme der Furcht von der Seele das Übergewicht erlangt hat. Es geht also die Veränderlichkeit aus der Willensfreiheit hervor, die Veränderungen des Geistes aber aus der Neigung. Mache einen recht sorgfältigen Anfang mit deinem Laufe auf dem Wege Gottes, so wirst du in wenigen Tagen ohne Umwege an dem Tore des Himmelreiches stehen!


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