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Mit Tränen in den Augen
Acht Spieler waren es, 1860, in Prestwick an der schottischen Westküste, die das erste Open von Grossbritannien unter sich austrugen. Diese acht Pioniere hatten natürlich nicht die geringste Vorstellung davon, was aus ihrem «Turnierchen» in einer entfernten Zukunft einmal werden wollte. Wir wissen es: das wichtigste aller Turniere, mit der prestigereichsten Siegerliste, den besten Golfplätzen, mit dem besten Publikum und mit den schwierigsten Wetterverhältnissen. Wie sollte «The Open» nicht alle Golfer der Welt faszinieren?
Pro Tag 50000 Zuschauer wurden Zeugen einer denkwürdigen Auflage – die emotionalen Momente folgten sich Schlag auf Schlag. Alles begann mit den beiden Schweigeminuten zu Ehren der Opfer der Terroranschläge in London. Spieler und Zuschauer verdrückten Tränen: zwei Minuten lang absolute Stille, so dass man eine Fliege hätte brummen hören.
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Am Abend des zweiten Tages stand Jack Nicklaus im Mittelpunkt. Es war sein letztes Open, aber trotz seines Alters von 65 Jahren verpasste er den Cut bloss ganz knapp. Die letzten Holes, welche er zusammen mit Tom Watson spielte, wurden zu einem regelrechten Triumphmarsch. Überall Standing Ovations, immer wieder grüsste der Meister nach links, nach rechts, und der Applaus steigerte sich immer weiter. Nach einem gelungenen Abschlag auf dem 18. Loch musste die Gruppe auf der Swilcen Bridge minutenlang posieren, und erst als Jack Nicklaus selber zum Weiterspielen aufforderte, ging das Spiel weiter. Mit zwei Schlägen lag Nicklaus auf diesem kurzen Par 4 sechs Meter neben dem Loch, und wie wir das in seiner beispiellosen Karriere immer wieder bewundert hatten, versenkte er auch diesen Putt auf einer Links-nach-rechts-Linie mitten ins Loch zum Birdie. Wem ein solcher Moment nicht unter die Haut ging...

Uneingeschränkt gefreut hatte man sich über die Qualifikation von André Bossert; der Zürcher war an einem Quali-Turnier in Südafrika Zweiter geworden, was ihm einen Startplatz am Open sicherte. Dort allerdings konnte er nie mithalten in der Auseinandersetzung um den Cut – was uns Schweizer ein bisschen traurig stimmte. Nick Faldo ist einer der Helden dieses Turniers und wird das auch immer bleiben. Der dreimalige Open-Sieger schaffte es unter die Top Ten, indem er auf dem zweitletz- ten Green zum Birdie einlochte, nur um auf dem letzten Loch einen Eagle-Putt von ausserhalb des Greens zu verwandeln!
Doch in den Augen des schottischen Publikums war lange Zeit Colin Montgomerie, in Troon (unweit von Prestwick gelegen...) geboren, der Held und der Fokus aller Hoffnungen. Monty hatte sich nach neun Holes in der Schlussrunde noch immer bloss zwei Längen hinter Tiger gehalten, was ihm immer wieder tosenden Beifall einbrachte. Als er dann mehrere Bogeys hinnehmen musste und klar wurde, dass niemand in der Lage war, Woods noch zu bedrängen, fiel «sein»Publikum nicht etwa von ihm ab – aber der Beifall wurde ein bisschen höflicher.
Routiniert spielte Tiger Woods seinen Vorsprung nach Hause; er war Leader nach allen vier Runden gewesen, ohne allerdings einen Auf- und Davon-Sieg zu erringen wie bei seinem ersten Sieg in St. Andrews im Jahr 2000. Damals hatte er neun Schläge Vorsprung auf ... na ja, den Rest der Welt. Das ist es auch, was nach dem Abebben der Emotionen dieser Tage bleiben wird. Die statistische Information nämlich, dass der Amerikaner Tiger Woods sein zehntes Major gewonnen hatte, nach dem US Masters das zweite im aktuellen Jahr. Wenn ihm Michael Campbell am US Open nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, würden wir jetzt voller Spannung einem der grössten Momente der Sportgeschichte entgegenfiebern. Dann hätte Tiger Woods als erster Golfer überhaupt nämlich die Chance, einen Grand Slam moderner Prägung zu erringen – also alle vier Majors im gleichen Jahr. Als Bobby Jones 1930 seinen Grand Slam schaffte, gab es noch kein US Masters – er gewann als Amateur das US Open und das British Open sowie die Amateur-Meisterschaften der beiden Länder. Doch Woods hat das Open seines Landes nicht gewonnen, so dass der Grand Slam für dieses Jahr ausfällt und vielleicht gar nie erreicht werden wird. Die PGA Championship, das letzte Major dieses Jahres, werden so zu einem «gewöhnlichen» Major.

Übrigens: Paul Lawrie war vor sechs Jahren der letzte europäische Major-Sieger. Die Chance, dass diese Durststrecke gerade in Baltusrol auf einem typisch amerikanischen Parcours zu Ende geht, ist gering.
■ Jacques Houriet