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Lochmuster
Die aerodynamischen Eigenschaften von Golfbällen beschäftigen nicht nur Ingenieure und Forscher. Weil das physikalische Geschehen an der Balloberfläche während des Fluges nicht so einfach zu beobachten ist, kursieren hierzu immer wieder abenteuerliche Erklärungsversionen. Einige Kenntnisse über das Strömungsverhalten können hilfreich sein, wenn es darum geht, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden.
Es ist nicht eine perfekt glatte Oberfläche, welche am schnellsten ist; das hat auch schon die Natur herausgefunden. Die schnellsten Schwimmer in den Meeren – Haie oder Delfine –sind mit einer rauen Aussenhaut ausgerüstet, was ihnen neben ihrer stromlinienförmigen Form extreme Geschwindigkeiten bei geringem Energieverbrauch ermöglicht. Für einen Jäger kann das überlebenswichtig sein: in einen Jagdversuch darf er nicht mehr Energie stecken, als er bei einem Erfolg auch herausholen kann. Sonst verhungert er. Man kennt solche strömungstechnischen Facts aus zwei Sportarten, die vom Golfspiel ziemlich weit entfernt sind. In den achtziger Jahren befand sich der America’s Cup in einer extremen Experimentier- und Entwicklungsphase; der America’s Cup ist die prestigereiche Segelregatta, welche gegenwärtig von Alinghi und Hobbygolfer Bertarelli (Serono Industries) dominiert wird. Vor etwas über 20 Jahren verloren die Amerikaner des New York Yacht Club mit ihrem Skipper Dennis Conner den Pokal zum ersten Mal – gegen die Australier. Eine der zahlreichen Neuerungen, welche ihnen beim nächsten Mal den Sieg bringen sollte, waren sogenannte Haifischhäute für die Bootsrümpfe; raue, sich wie Schmirgelpapier anfühlende Klebefolien auf dem Kunststoffrumpf. Selbstverständlich wurden solche Hilfsmittel umgehend reglementiert.
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Auch der Skirennsport kennt das Problem, Materialoberflächen möglichst schnell zu machen. Nicht zuletzt die schweizerische Textilindustrie hat mitgeholfen, Anzüge zu entwickeln, welche die Bremswirkung der am Rennfahrer vorbeiströmenden Luft auf ein Minimum reduzieren – selbstverständlich sind auch hier Reglemente erlassen worden, welche den Anzugkrieg der Österreicher gegen die Schweizer Mannschaft (in der Zeit der Zurbriggen, Julen, Nadig, Müller & Co) limitierten.
Kontrollierte Luftwirbel
Im Vergleich zu einer Rennyacht, einem Skirennfahrer oder einem austrainierten Shark ist ein Golfball eine simple Sache. Irgendwie hatten aber schon die Golfer des 18. Jahrhunderts herausgefunden, dass Bälle mit glatter Aussenhaut weniger weit fliegen als solche mit rauer Oberfläche. Nachdem die «Featheries» – mit Vogelfedern gefüllte Lederbeutel – durch die ersten Gummibälle (Gutta Perchas) verdrängt worden waren, kamen natürliche Gummimischungen zum Einsatz, die bereits Vertiefungen auf der Oberfläche hatten, wie Linien, Kreise oder andere Muster. Heute sind nur Tischtennisbälle perfekte Kugeln mit glatter Oberfläche; Golfbälle müssen so weit wie möglich fliegen und nutzen deshalb die strömungstechnischen Erkenntnisse bestmöglich aus.
Ähnlich einem Kielwasser eines Bootes produziert ein Golfball, der mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft fliegt, hinter sich nämlich eine Zone von verwirbelter Luft. Im Kielwasser des Bootes bildet sich eine sogenannte Wirbelschleppe; im Wasser lassen sich die Wirbel direkt beobachten, anders als in der Luft. Es sind aber genau diese Wirbel, welche bremsen, und nicht etwa der Luftwiderstand an der Vorderseite des Balles. Dort strömt die Luft regelmässig – stromlinienförmig eben – und bremst wenig; diese Strömung wird laminar genannt. Hinter dem Ball aber beginnen die Wirbel, die einen Sog bewirken, der den Ball abbremst.
Dimples
Es ist das Ziel der Entwicklungsabteilungen bei den führenden Ballherstellern wie Titleist, Callaway, Bridgestone, Wilson oder Srixon, durch die Beschaffenheit der Oberfläche des Balles für eine geringstmögliche Bremswirkung durch die Luftwirbel zu sorgen. Zwei Bereiche bieten sich an: das Material und die Dimples. In beiden Bereichen wird eine extreme Geheimniskrämerei betrieben; mit dem kleinen Unterschied, dass man uns Verbrauchern bezüglich Materialien der verschiedenen Ballmodelle ir-
Dimples
gend etwas auftischen kann, während man Form und Zahl der Dimples wenigstens von Auge erkennen kann. Wie sich allerdings die verschiedenen Dimple-Formen auswirken, das bleibt wiederum den subjektiven Eindrücken jedes Spielers und der Spekulation überlassen.
Streit um des Kaisers Bart
Zum Ball findet der interessierte Golfer auf der Website der USGA weitere Informationen. Insbesondere erfährt er dort, dass alles Material genau reglementiert ist. Jeder Ball, der neu in den Handel kommen soll, muss der USGA oder dem R&A als oberste Regelinstanzen vorgelegt werden. Testverfahren ermitteln die exakten Daten des neuen Balles; wenn dieser auf dem Markt Verkaufschancen haben soll, muss er regelkonform sein. Die USGA führt eine ständig aktualisierte Liste der konformen Golfbälle (www.usga.org).
Eine der Regeln schreibt vor, dass ein Ball bei definierten Testbedingungen und gehauen von einem Roboter nicht weiter als eine gewisse Distanz fliegen und rollen darf. Diese Distanz liegt gegenwärtig bei 295 Yards. Dabei sind die genauen Parameter, wie Swing Speed, Luftbedingungen, Bodenbeschaffenheit und so weiter vorgegeben. Bälle, die regelkonform sein wollen, können also gar nicht «länger» sein.
Das hat noch nichts mit den individuellen Gegebenheiten eines Golfers zu tun. Wie der Ball schliesslich tatsächlich fliegt, wird auch vom Golfclub, dem Clubface, der Qualität des Kontakts, der Compression des Balles und weiteren Fakten beeinflusst; insbesondere die richtige Backspin-Ratio ist extrem wichtig, und die lässt sich mit modernsten Mitteln so abstimmen, dass ein bestimmter Driver mit dem bestmöglich zu ihm passenden Ball kombiniert werden kann. Das Ergebnis wird dann auch eine ideale Kombination von Flugstrecke und Rollstrecke sein, was wiederum von der richtigen Mischung von Abflugwinkel und Backspin mitbestimmt wird.

Und von den Dimples – jedenfalls vielleicht. Wie bei der nahezu endlosen Diskussion um die Trampolinwirkung von Schlagflächen bei Drivern, die einen Unterschied in der Länge von einigen wenigen Metern ausmachen können, gilt wohl auch bei den Bällen, dass der perfekte Treffer wichtiger ist als jedes noch so interessante Dimple-Muster. Ein square und voll getroffener Ball wird immer das beste sein, was zu haben ist. Ungenaues Schwingen und damit Energieverlust beim Treffen wird nie aufzuholen sein.
Die prominenten Hersteller von Golfbällen unterscheiden sich punkto Aussehen ihrer führenden Modelle allerdings deutlich voneinander. Nicht nur Anzahl und Form der Dimples können sehr verschieden sein, sondern beispielsweise auch die Kanten, die Grösse und die Anordnung dieser Vertiefungen und die Tiefe selber – die neuen Bälle von Wilson Staff haben flache, nicht sehr tiefe Dimples, während die meisten anderen Bälle gewölbte Dimples zeigen.
Ebenfalls eine eigenständige, selbstverständlich patentgeschützte Lösung hat Callaway mit den bienenwabenförmigen Dimples gewählt; die Sechsecke reduzieren die Länge der Kanten.
Patente spielen in dieser Szene eine grosse Rolle – in diesem Zusammenhang ist interessant, dass Srixon derjenige Hersteller mit den meisten patentierten Neuerungen ist. ■ Urs
Eine Auswahl von TopBällen aus dem Proshop, die natürlich alle regelkonform und «approved» sind. Das beste Beispiel für nicht regelkonforme Bälle sind sogenannte «X-Outs» – Bälle, die in der hauseigenen Qualitätskontrolle der Hersteller knapp gescheitert sind, weil sie einen minimalen Produktionsfehler haben. Sie werden mit «X» gestempelt, kommen zu viel günstigeren Preisen in den Handel und dürfen nur zu Trainingszwecken verwendet werden.
Bretscher