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Urs Kessler

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Skiclub Riederalp

Skiclub Riederalp

Urs Kessler: Immer einen Schritt voraus

«Denken ohne Schranken» – das Losungswort eines Mannes, der nicht nur mit eigenen Beinen und Füssen allen immer einen Schritt voraus ist, sondern auch gedanklich. Er träumte schon lange von einer modernen und effizienten Bahn, die im Winter die Menschen schnell und sicher ins Skigebiet der Jungfrau Region, und in der schneelosen Zeit die Touristen aus der ganzen Welt ebenso geschwind und hoher Wirkkraft auf das «Jungfraujoch – Top of Europe» bringt. Der Traum heisst «V-Bahn», der Mann hört auf den Namen Urs Kessler, CEO der Jungfraubahnen. Der Traum ist bald Wirklichkeit.

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Herr Kessler, die V-Bahn ist vor der Vollendung, die legendäre Winterendveranstaltung SnowpenAir vor seiner letzten Runde. Das kommt nicht überraschend, ist der Entscheid endgültig? Urs Kessler: Die Idee vor über 20 Jahren war, die Saison zu verlängern und zu beweisen, dass auch im Frühling noch Top-Schneeverhältnisse in der Jungfrau Region herrschen. Das ist uns gelungen – ausnahmslos. Gewöhnlich setzt man mit einer runden Zahl den Schlusspunkt. Nun ist nach 23 Jahren Schluss. Nicht gewollt. Natürlich. Aber es ist ein Kompromiss, bei dem wir die Wichtigkeit der neuen Bahn entsprechend in die Waagschale gelegt haben. Der Entscheid ist endgültig. Richtig ist auch, dass wir andere Standorte geprüft haben. Es gibt keine befriedigende Alternative. Deshalb schliessen wir diese Erfolgsgeschichte mit einem zweitägigen musikalischen Feuerwerk ab.

Ein Kostenfaktor war das SnowpenAir nie? Wenn Sie die Finanzierung ansprechen, so lautet die Antwort: Nein. Das SnowpenAir war ein eigenes Profitcenter und nie von den Jungfraubahnen quersubventioniert. Darauf bin ich stolz.

Beim Start 1998 waren Florian Ast und Gotthard auf der Bühne und 3000 begeisterte Zuschauer im Schnee-Stadion. Zur letzten Austragung erwarten Sie rund 10 000 Zuschauer, so viel wie die letzten Jahre auch. Hand aufs Herz: Einfacher ist das Engagement von Künstlern wohl nicht geworden? Die Gagen sind in den letzten Jahren förmlich explodiert und haben unser Budget immer weiter in die Höhe getrieben. Dieses Jahr stehen 2,3 Millionen Franken auf der Einnahmen- und Ausgabenseite, 1,3 Millionen davon wenden wir für Gagen auf.

Die Namenliste mit Top Acts ist lang; wen haben Sie sich immer gewünscht und nie engagieren können? Tina Turner. Sie hätte den Eiger zum Beben gebracht. Und Bruce Springsteen. Das hätte allerdings unser SnowpenAir-Budget bei Weitem gesprengt.

Schnee, Sonne und Spass. Das sollte bei dieser Saisonendveranstaltung zum Ausdruck kommen. Der Schnee war, der Spass auch. Und die Sonne? In den sechs ersten Jahren hat es immer geschneit. Eigentlich beste Werbung, aber bei einem Openair will man auch die Sonne sehen. In der Folge war uns das Wetter aber immer günstig gestimmt.

An welches SnowpenAir erinnern sie sich besonders gerne? Vor vier Jahren plagte uns der Guggi-Föhn und am Freitagabend war noch nicht sicher, ob das Konzert stattfinden kann. Wir haben den Top Act mit Fanta 4 um 30 Minuten verkürzt und damit richtig gepokert.

Welche Austragung möchten Sie lieber vergessen? Die Liste der Spezialwünsche von Scorpions war wesentlich länger als der Auftritt selber. So etwas habe ich weder vor- noch nachher je wieder erlebt.

Der Grund für das Ende des SnowpenAirs ist ein offenes Geheimnis. Der von Ihnen angesprochene Kompromiss resultiert aus einer Abmachung mit einem Hotelier auf der Kleinen Scheidegg. Richtig. Ihm passt dieser Anlass überhaupt nicht. Er betreibt sein Hotel während sechs Monaten im Jahr, mit einer durchschnittlichen Auslastung von 25 Prozent; gleichzeitig huldigt er in Trümmelbach bei Lauterbrunnen dem Massentourismus. Seine Abneigung begründet er mit dem primitiven und einfältigen Publikum, das er nicht länger dulde auf der Kleinen Scheidegg. Jeder Zuschauer, der das SnowpenAir einmal besucht hat, kann aus dieser Aussage die eigenen Schlüsse ziehen ...

Immerhin: Damit konnten Sie eine von zuletzt 17 Einsprachen abhaken. Haben Sie überhaupt noch Nerven? (Lacht). Sie sind nach wie vor aus Stahl. Es ist indes zermürbend, dieser Verhinderungspolitik entgegenzuhalten. Es ist legitim und in

unserem Land rechtens, sich gegen ein Projekt auszusprechen. Es gilt die Vor- und Nachteile abzuwägen. Ganz gewiss. Man kämpfe der Sache wegen, wurde versichert. Letztlich ging es allen ums Geld. Und der «älteste Oberländer», die Missgunst, spielt auch immer mit.

Ihre Argumente hatten letztlich mehr Gewicht. Was antworten Sie Interessierten auf die Frage, was für die V-Bahn spreche? Die Antwort ist einfach und klar. Wir erzielen 30 bis 67 Millionen Franken zusätzliche Wertschöpfung, zwei bis drei Millionen mehr Steuereinnahmen für Grindelwald und voraussichtlich 180 bis 590 neue Arbeitsplätze. Ich schätze, die Zahl wird letztlich etwa in der Mitte liegen.

Die «grüne Welle» ist spätestens seit den letzten eidgenössischen Wahlen in unserem Land angekommen. Wie argumentieren Sie bei den grünen Politikern? Unsere Ausrichtung auf den öffentlichen Verkehr war von Beginn weg ein klares Bekenntnis. Der ÖV hat Zukunft, das ist keine Parole, sondern Tatsache. Eine halbe Million

URS KESSLER IM PORTRÄT

Geboren 27.1.1962 Zivilstand verheiratet Beruf Dipl. Betriebsdisponent Eidg. dipl. Marketingleiter Unternehmensführung Heutige Funktion Direktor Jungfraubahnen Hobbies Fussball, Fitness und Golf Was ich besonders mag Zeit mit der Familie Was ich gar nicht mag Gärtlidenken

Schweizer haben ein Generalabonnement, über 2,2 Millionen ein Halbtaxabonnement – Tendenz steigend. Aus dieser Erkenntnis ist ein Bahnanschuss beim Terminal in Grindelwald Grund entstanden. Bund und Kanton haben sich daran mit 7,7 Millionen Franken beteiligt.

Sie reisen seit Jahrzehnten um die halbe Welt für die Jungfraubahnen. Der Terminal in Grindelwald erinnert stark an einen Flughafen-Terminal. Haben Sie sich vor allem auf diesen Reisen inspirieren lassen? «Experience is the hardest kind of teacher.» Ich lerne aus Erfahrung. Ich habe viel Gutes auf meinen Reisen gesehen und daraus die entsprechenden Schlüsse gezogen. Dafür dürfen wir uns nicht zu schade sein – in der Schweiz nicht, im Berner Oberland schon gar nicht.

Reiten wir noch einmal auf der grünen Welle, weil es so aktuell ist: Seilbahnen brauchen Energie, Schnee produzieren auch. Diesen Aspekt wird man Ihnen gerne immer wieder vor die Augen führen? Wir sind Selbstversorger mit einem Fliesskraftwerk, das vor allem im Sommer produktiv ist. Die Überproduktion verkaufen wir, im Winter erwerben wir die zusätzlich benötigte Energie auf dem freien Markt. Wir rekuperieren ausserdem Strom mit unseren eigenen Zügen aufs Jungfraujoch. Mit drei talwärts fahrenden Wagenkompositionen gewinnen wir die nötige Energie zurück, um eine Bahn nach oben zu befördern. Der Anteil des Stromverbrauchs von allen Seilbahnen und Beschneiungsanlagen beträgt übrigens 0,27 Prozent vom Gesamtstromverbrauch in der Schweiz. Als «Stromfresser» kann man uns wahrlich nicht bezeichnen.

Die Jungfraubahnen setzen seit Jahren erfolgreich auf asiatische Märkte. China scheint der prosperierende Markt schlechthin. Man redet von 300 Millionen Skifahrern, die dieses Land dereinst generieren soll. Stimmt das? Die Zahl ist natürlich viel zu hoch gegriffen. Das Potenzial ist aber riesig und dürfte sich vielleicht bei knapp zehn Prozent der genannten Zahl einpendeln. Es gibt aber auch wachsende Märkte in europäischen Ländern. Diese Erkenntnis wird bei unserer Marktbearbeitung eine wichtige Rolle spielen.

Der Wintersport in der Schweiz wird immer mehr zu einem hartumkämpften Markt. Ihre Strategie ist klar: Sie wollen darin eine wichtige Rolle spielen? Wir wollen grundsätzlich zwölf Monate stark sein – und dazu gehört der Wintersport. Wir haben allerdings nur noch in der Challengue League gespielt oder waren das Schlusslicht in der Super League. In Zukunft wollen wir Teil der Champions League sein. Mit der V-Bahn ist dieses Ziel realistisch und unabdingbar. Denn in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Entweder man gehört zu den Besten, oder geht unter.

Alleine der Skisport wird aber nicht ausreichen, um ganz oben mitzuspielen? Für die Jungfraubahnen gilt seit jeher der Anspruch, während des gesamten Jahres oben mitzuspielen. Der Wintersport wird in Zukunft multioptionaler. Das heisst, wir müssen auf allen Ebenen eine Top-Infrastruktur bieten. Daran arbeiten wir. Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen, sondern oberste Maxime ist ein hoher Qualitätsstandard. Den erreichen wir mit einer perfekten Infrastruktur und einer Limitierung der täglichen Transporte, die wir im Wintersport bei den Sportpässen auf 17 800 Personen im Tag ansetzen werden.

Trotzdem, die V-Bahn bringt mehr Leute. Kann die Region genügend Unterkunftsmöglichkeiten bieten? Es war von Anfang an klar, dass Investoren nur dann auf den Bau von neuen Hotels setzen, wenn die V-Bahn realisiert werden kann. Zwischenzeitlich wissen wir, dass alleine in Grindelwald in den nächsten Jahren 800 bis 1000 zusätzliche Hotelbetten geplant sind.

In Österreich spült der Staat viel Geld in den Tourismus. Diese Vorgehensweise vergisst man im Tourismusland Schweiz ab und an. Sie auch? Für mich ist das der falsche Ansatz. Wenn der Staat oder einzelne Orte in den Tourismus investieren, so setzt das falsche Anreize. Ich bin ein Verfechter der Marktwirtschaft. Geld, das man mit eigener Kraft verdient, setzt man bewusster ein.

Zum Schluss drei Stichworte, dazu drei kurze Antworten: Greta Thunberg? Ein Hype, der funktioniert. Pensionierung? Für mich ist das noch kein Thema. In erster Linie steht für mich die Entwicklung der V-Bahn im Vordergrund. Wenn sie den Breakeven-Point erreicht hat, ist es noch früh genug, mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Wunsch-Gast an der Eröffnung der V-Bahn? (Lacht). Wenn ich wünschen darf, dann hätte ich gerne den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping auf der Gästeliste.

JOSEPH WEIBEL

DIE V-BAHN IN KÜRZE

Der Spatenstich 3. Juli 2018 Betriebsbeginn der Männlichen Bahn 14. Dezember 2019 Einweihung Eiger-Express und Terminal 12. Dezember 2020 Gesamtprojektkosten 470 Millionen Franken Kapazitäten Männlichenbahn 1800 Personen/Stunde (bisher 900); Fahrzeit: 19 Minuten; 10 Sitzplätze pro Gondel Eigerexpress 2200 Personen/Stunde; Fahrzeit 15 Minuten; 26 Sitzplätze pro Gondel; Parkhaus Über 1000 Parkplätze mit direktem Zugang zum Terminal Reisezeitverkürzung Jungfraujoch und Skigebiet: durchschnittlich 47 Minuten Spezielles Grindelwald-Terminal mit Geschäften, Bistro, Skidepots und direktem Zugang zur ÖV-Station der Berner-Oberland-Bahn; separate Zugänge für Gruppen- und Einzelreisende.

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