Snowactive März 2018 Deutsch

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Menschen // Nostalski

Früher nannte man sie «Sternchenfahrer». Es waren jene mit hohen Startnummern, die bei prekären Pistenverhältnissen für die andern eine vernünftige Spur legen sollten. Der ehemalige Rennfahrer Ralf Kreuzer ist quasi der olympische Spurfahrer. Als «Delegierter für Sion 2026» fährt er mit einem virtuellen Kompass.

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om Staatsrat, also der Walliser Regierung, ist Kreuzer mit diesem Job betraut worden. «Zu den Hauptaufgaben als Delegierter des Kantons Wallis für die Olympischen Winterspiele 2026 gehören das Präsidium und die Führung der internen Arbeitsgruppe», ist sein Pflichtenheft im trockenen Amtsdeutsch umschrieben. «Ich bin die Schnittstelle zwischen Kanton und Kandidaturkomitee», erläutert Kreuzer, der in dieser Funktion auch zehn Tage an den Olympischen Spielen in PyeongChang weilte.

FOTO: KEYSTONE

Zwiespältige Gefühle Bei einem Ex-Rennfahrer weckt ein solcher Aufenthalt zwangsläufig zwiespältige Gefühle. «Selbstverständlich», sagt Kreuzer, «geht einem manchmal durch den Kopf: Es wäre cool, als Aktiver dabei zu sein. Aber ich weiss auch, was es braucht und wie viel dahinter steckt, um so weit zu kommen. Das Kapitel Rennfahrer ist abgeschlossen. Es stimmt für mich, was ich jetzt mache. Ich habe andere Sachen im Fokus.» Dabei wäre er im besten Rennfahreralter, 34-jährig. In PyeongChang sind Aksel Lund Svindal und Andre Myhrer Olympiasieger geworden. Beide sind ein Jahr älter. Aber Kreuzer hat im Frühjahr 2012 «dieses Kapitel abgeschlossen», wie er sich ausdrückt. Nach der vierten schweren Knieverletzung in fünf Jahren beendete er seine Karriere, die einst vielversprechend begonnen hatte. Vom Verletzungspech verfolgt Im Winter 2005/06 war Kreuzer im Super-G in seinem Jahrgang 1983 hinter dem Österreicher Mario Scheiber die Nummer 2 der Welt. An der Schweizermeisterschaft auf der Lauchernalp wurde er Zweiter, vor Didier Défago, Daniel Albrecht, Carlo Janka, Patrick Küng oder Silvan Zurbriggen. Aber dann gings los mit den Ver-

letzungen, einmal ein schwerer Meniskusschaden, dreimal das Kreuzband. Eigentlich müsste man es in Kreuzerband umbenennen. So schaffte er in fünf Jahren ganze 15 Weltcuprennen. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm jenes im November 2008 in Lake Louise. Gegen Olivier Brand und Beat Feuz fuhr er im Training eine Qualifikation um den letzten Startplatz, die er dank der drittbesten Zeit vor Cracks wie Svindal, Guay, Walchhofer oder Innerhofer gewann. Beat Feuz war in jener Quali gestürzt und hatte sich das Kreuzband gerissen, auch er. Des Einen Glück ... Kreuzer wollte im Rennen seine Chance packen, attackierte und stürzte ebenfalls – Knieverletzung Nr. 3, Saisonende schon im November. Kreuzer findet mit Galgenhumor trotzdem einen positiven Bezug zu jenem Crash: «Ich lancierte damit die Karriere von Carlo Janka ...» Wie bitte? Kreuzer: «Bis ich nach meiner Verletzung abtransportiert worden war, verging viel Zeit. Während dieses Unterbruchs wechselten die Witterungsverhältnisse. Für jene mit höheren Nummern wurde die Piste schneller. Carlo nutzte die Chance und wurde mit der Startnummer 65 Zweiter.» Es war sein erster Podestplatz. Da mit Feuz und Kreuzer gleich beide Salomon-Piloten ausfielen, wurde deren Servicemann Bruno Inniger arbeitslos. Salomon delegierte ihn in den Europacup ab, wo Patrick Küng zu einer Siegesserie ansetzte. Ein Jahr später nahm Kreuzer an der Seite von Küng, mit dem er den Servicemann Franz Nadig teilte, einen neuen Anlauf im Weltcup. Glücklos Janka, Feuz und Küng stiegen im Umfeld von Kreuzer in höchste Sphären. Napoléon hatte sich früher jeweils erkundigt, bevor er einen Offizier beförderte: «Hat der Mann Glück?» Bei Kreuzer wäre die Antwort einfach: Nein, er nicht, aber die um ihn herum. Wenn das für «Sion 2026» kein gutes Omen ist ... Für den glücklosen Ralf Kreuzer war, wie erwähnt, nach seiner vierten Knieverletzung, die er sich im Sommertraining im argentinischen Las Leñas zuzog, definitiv Schluss. Kreuzer ergab sich nicht dem Schicksal und nutzte seine Verletzungspausen. Parallel zur Reha trieb er sein Studium voran: «Ich machte in dieser Zeit den Bachelor in Wirtschaft und Marketing und den Anfang des Masters, den ich kurz nach meinem Rücktritt abschloss. So konnte ich nach meiner Rennfahrer-Karriere direkt ins Berufsleben einsteigen.» Auf der Managerseite Dreieinhalb Jahre arbeitete er bei der Agentur GFC von Giusep Fry und managte u. a. das Marketing des Weltcup-Finales 2013/14 in der

Lenzerheide. Danach wechselte er zum Sportrechtevermarkter Infront, «um nach dem nationalen auch das internationale Business kennenzulernen». Als die Stelle des Olympia-Delegierten ausgeschrieben wurde, bewarb er sich dafür: «Es ist ein spannendes Projekt, in meiner Heimat. Ich kann voll dahinterstehen, mit dem neuen Ansatz des IOC, zurück in die Berge, wo der Wintersport zu Hause ist, auf der Basis bestehender Wettkampfanlagen und Strukturen. Ich bin überzeugt, dass das für das Wallis und die ganze Schweiz ein Top-Projekt ist, das im Sport und in der Wirtschaft grosse Dynamik auslösen wird – zum Nutzen von allen.» Harscher Gegenwind Doch ihm ist bewusst: «Es wird nicht einfach.» Von verschiedenen Seiten weht harscher Gegenwind. Er hat dafür gewisses Verständnis: «Im Zusammenhang mit dem IOC und den Spielen lief in der Vergangenheit einiges nicht optimal.» Information und Emotion sind seine Schlüsselworte: «Wir möchten die Bevölkerung aufklären und Begeisterung wecken, wie das beispielsweise Ramon Zenhäusern getan hat, der ja theoretisch auch 2026 noch starten könnte.» Kreuzer – auch ein Walliser Die Silbermedaille von Ramon Zenhäusern ist für die Abstimmung vom 10. Juni, wenn die Walliser Bevölkerung über einen Kredit von 62 Millionen zu entscheiden hat, fast ein Geschenk des Himmels. Aus dieser Optik stand der «richtige» Athlet auf dem Podest. Wobei Kreuzer maliziös relativiert: «Auch die andern Slalomfahrer wären ja Walliser gewesen ...» Kreuzer kann seine Herkunft – er stammt aus Visperterminen – nicht verleugnen. Nach Abstechern ins Bündnerland, den Aargau und den Kanton Zug wohnt die Familie mit zwei kleinen Kindern wieder im Wallis, im Grimisuat ob Sion. Der «Plan 2026» Je nach Ausgang der Kandidatur-Geschichte könnte der Aufenthalt längere Zeit dauern: «Mein Plan ist bis im 2026 für dieses Projekt zu arbeiten.» Natürlich im Wissen, dass bis dahin noch einige Hürden zu nehmen sind. Selber die Werbetrommel rühren wird er nicht: Als Vertreter des Kantons ist gewisse Zurückhaltung angebracht, an der Abstimmungskampagne darf es sich aus formalen Gründen nicht beteiligen: «Aber in den Kontakten mit den Akteuren des Komitees und den privaten Befürwortern ist meine positive Grundhaltung natürlich erkennbar.» Als Ex-Rennfahrer braucht er das auch nicht zu verstecken. Seine Glaubwürdigkeit ist das grösste Kapital. Das zeichnete ihn schon immer aus. Viel Glück! R I CHA RD H E G G L I N

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