Bildende Kunst Die Kunst-Werkstatt Das junge Unternehmen Kunstbetrieb AG im Walzwerk Münchenstein lässt Künstlerträume wahr werden: Hier wird gebaut, was morgen im Museum steht.
Es ist ein Bild des Jammers. Die Beine, der Deckel, die Tastatur, ja selbst der Hocker – alles schlapp und kraftlos, als sei der Konzertflügel bei einer besonders einfühlsam gespielten Mozart-Serenade zerflossen wie eine Wachsfigur im Backofen. Und doch – das bedauernswerte Objekt ist hart wie Stahl. Wer hats erfunden? Urs Fischer, in Zürich aufgewachsener Künstler mit internationalem Renommee. Wer hats gebaut? Eine kleine Firma in Münchenstein/BL, Kunstbetrieb AG, der Ort, wo Künstlerträume wahr werden. Vor drei Jahren wurde das Unternehmen gegründet, heute sind die Auftragsbücher voll, der Ruf folgt den Werken über die Region hinaus, auch nach New York, wo Urs Fischer derzeit eine grosse Soloshow im «New Museum» zeigt. Auf 1300 Quadratmetern residiert die Kunstbetrieb AG, auf dem Industrieareal Walzwerk ausserhalb des Dorfs. Es riecht nach Lösungsmittel, nach Epoxidharz, Holzleim und tausend anderen Stoffen. Irgendwo sirrt eine Schleifmaschine, irgendwo trommelt eine Waschmaschine zum finalen Schleudergang. Auf den grauen Overalls steht das Firmenlogo: «Kunstbetrieb». Das Unternehmen wurde vor drei Jahren von Michèle Elsener und Martin Hansen, Glockengiesser aus St. Gallen, sowie von der Basler Kulturmanagerin Annina Zimmermann gegründet. Das Startkapital war klein, das Beziehungsnetz gross, und seit der Stahlgiesser Peter Gerber mit an Bord ist – er hat seine mächtigen Gussöfen mitgebracht –, ist hier (fast) alles möglich. Was man nicht selber fertigbringt, wird an befreundete Firmen weitergegeben. Von der Krise spürt man nichts. Oder nichts mehr. Anfang des letzten Jahres, da bekam man kalte Füsse, als plötzlich Stillstand herrschte, just nachdem man eine zweite, grössere Halle dazugemietet hatte. Vor allem dank international tätigen Künstlern wie Urs Fischer, Ugo Rondinone oder Andro Wekua hat sich die Lage entspannt. Dass Angus Fairhurst, Gründungsmitglied der Young British Artists, vor seinem Freitod 2008 seine letzten Bronzeaffen hier giessen liess, hat sich herumgesprochen. «Es war einer unserer ersten Aufträge überhaupt», sagt Zimmermann. Kunstbetrieb? Von Kunst ist erst einmal nicht viel zu sehen, die Betonung liegt klar auf den letzten zwei Silben. Auf einem fahrbaren Arbeitstisch stehen immerhin drei schlanke Grazien in Bronze, eben erst einer Gussform aus Silikon entschlüpft: Peter Moilliet, Mitbegründer der «Gruppe 48», lässt sie hier giessen. Manchmal kommt der 88-Jährige selbst vorbei, bespricht die Patinierung, wählt den Sockel. Ganz hinten befindet sich die Giesserei, das Herzstück der Kunstfabrik. Zwei Schmelzöfen und Schmelztiegel, daneben sieht es aus wie im Tresor der Nationalbank: Auf Paletten stapeln sich Barren aus Aluminium, Bronze, Zinn, Messing und warten auf ihre Kunstwerdung. Acht Kunstwerker sind hier beschäftigt, jeder hat sein angestammtes Metier. In der kleineren Halle wird mit Wachs und Kunststoff gearbeitet, in der grossen mit Holz und Metall. Kunst hat viele Gesichter, das fordert Flexibilität und viele Fähigkeiten: Ein Modellbauer ist dabei, zwei Kunstgiesser, ein Möbelschreiner und Innenarchitekt, eine Requisiteurin, eine Buchbinderin und neu eine Tierpräparatorin. Nur Künstler arbeiten hier nicht, offenSURPRISE 217/10
BILD: ZVG
VON ALEXANDER MARZAHN
(Kunst-) Handwerk: Kunstbetriebler, mit einer Skulptur des Künstlers Urs Fischer.
bar stellen sie ihr Talent ungern in den Dienst erfolgreicher Kollegen. «Wichtig ist, dass man sich nicht zu sehr auf ein Material spezialisiert hat», sagt Zimmermann, die im Büro die Fäden in der Hand hält, Offerten macht, Produktionspläne erstellt. Kleine Objekte sind für wenige Hundert Franken zu haben. Bei aufwendigen Produktionen wie dem Flügel sind sechsstellige Summen schnell erreicht. Meistens gehts hier um grössere Dimensionen, plastische Wagnisse wie das Bergmassiv, welches vom Künstlerduo Studer/van den Berg am Bildschirm entworfen wurde und nun als begehbare Installation auf grossen bedruckten Aluplatten verräumlicht werden soll. Manche Künstler helfen, wie Moilliet, aktiv mit, andere schicken per Mail eine digitale Vorlage und sehen ihr eigenes Werk erst in ihrer Galerie in Paris oder New York. Denn die Zeiten, in denen der eine mit Bronze, der andere mit Kunststoff arbeitet, sind vorbei. Am Anfang steht eine Idee, die Wahl des adäquaten Materials folgt erst danach. Der Kunstbetrieb leistet Geburtshilfe, berät und begleitet. Nur als Künstler sehen sich die Mitarbeiter nicht. «Ziel ist es, die eigene Arbeit zum Verschwinden zu bringen», sagt Zimmermann. «Die Handschrift des Betriebs ist unwichtig, das Objekt soll sich nahtlos ins Œuvre des jeweiligen Künstlers einreihen.» ■
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