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Film

Die Kinder des 8. Juni 1964

Film In seinem Dokumentarfilm «Parallel Lives» verknüpft Frank Matter die Biografien von vier Menschen, die am selben Tag wie er geboren wurden, mit seiner Lebensgeschichte und dem Zeitgeschehen.

TEXT MONIKA BETTSCHEN

Der 8. Juni 1964 war für die meisten Menschen ein Tag wie jeder andere. Aber für manche markierte er den Beginn des Lebens: Der Baselbieter Regisseur Frank Matter erblickte an jenem Montag das Licht der Welt. Ebenso die in einer Township aufgewachsene Südafrikanerin Zukiswa, der nach Los Angeles ausgewanderte Modedesigner Michel, die amerikanische Soldatentochter Melissa und der Chinese Li, dessen Kindheit von der Kulturrevolution überschattet wurde. Durch einen Aufruf in den Sozialen Medien fand Matter diese vier Datumsgeschwister, die er nun neben sich selbst im Dokumentarfilm «Parallel Lives» porträtiert. «Ich wollte schauen, wie stark uns Einflüsse wie die Familie oder das Weltgeschehen prägen und inwiefern man an einem anderen Ort wohl ein anderer Mensch geworden wäre. Dafür wollte ich meine Lebenserfahrungen mit anderen vergleichen, die genau gleich alt sind wie ich, und darüber hinaus erfahren, ob es noch weitere Gemeinsamkeiten gibt, eine Weltsicht oder eine Art Grundstimmung», sagt Frank Matter im Telefongespräch.

Eine Gemeinsamkeit scheint das Erstaunen darüber zu sein, wie rasend schnell sich die Welt seit den 1960erJahren verändert hat. Diese Empfindung äussert Melissa, deren Vater dreimal in Vietnam kämpfte, ebenso wie Li, der im Film den Rohbau seiner Wohnung besucht. Der Nachkriegsboom bescherte den westlichen Ländern einen hohen Lebensstandard, der amerikanische Traum wurde für alle immer greifbarer. Und heute blickt Li auf die Neubauten, die in seiner Heimatstadt Hangzhou in den Himmel wachsen, und sagt: «Verglichen mit früher leben wir heute im Paradies.» Li erlebte während der Kulturrevolution Hunger und Entbehrungen. Sein Vater kam wegen politischer Probleme in ein Umerziehungslager. Gleichwohl findet er mit Blick auf den heutigen Wohlstand, dass diese Opfer es wert waren.

«Viele Menschen glauben, sie würden im besten Land der Welt leben. Es gibt überall erstarkende politische Kräfte, die daraus Kapital schlagen. Dennoch erstaunt es ein europäisches Publikum, dass jemand wie Li mit ebenso viel Stolz wie etwa ein Amerikaner über sein Land spricht, das wir als Diktatur wahrnehmen», so Matter. Es gebe aber trotzdem einen interessanten Unterschied zu den anderen. «Melissa, Michel, Zukiswa und ich rebellierten in unserer Jugend auf individueller Ebene gegen bestehende Systeme, ich selbst während der Jugendunruhen der 1980erJahre. In China aber befand sich während der Kulturrevolution die ganze Gesellschaft in einem Zustand des Aufruhrs.

Regisseur

Frank Matter, 57, arbeitete zunächst als freischaffender Journalist und Reporter für verschiedene Schweizer Zeitungen. Ab 1993 lebte und arbeitete Matter in Brooklyn/ New York, wo er als Tonmann, Produktionsassistent, Regisseur, Reportagenschreiber und Interviewer tätig war. 2006 ist er nach Basel zurückgekehrt.