3 minute read

Buch

ZVG FOTOS:

Li ist in diesem Punkt wie eine Umkehrung zu uns anderen. Er verspürte nicht den Drang, sich gegen eine Mehrheit auflehnen zu müssen», sagt der Regisseur, der viele Jahre als Journalist die Welt bereiste, dreizehn Jahre in New York lebte und sich dort mit dem Filmemachen einen Jugendtraum erfüllte: 1996 entstand sein erster Langfilm «Morocco», zurück in der Schweiz 2013 der Dokumentarfilm «Von heute auf morgen».

Der Preis der Globalisierung

«Parallel Lives», benannt nach den Parallelbiografien des antiken griechischen Schriftstellers Plutarch, zeigt neben den Lebensgeschichten mittels klug gewähltem Archivmaterial die Spuren, welche das Zeitgeschehen in einzelnen Menschen hinterlässt. Oder auch nicht, wie das Beispiel der Mondlandung zeigt: Während Frank Matter damals zum ersten Mal spätabends fernsehen durfte, erfuhr Zukiswa nichts vom angeblich grossen Schritt für die Menschheit. Das ApartheidRegime sorgte dafür, dass man in den Townships kaum mitbekam, was im Rest der Welt vor sich ging. Es existiert eben kein kollektives globales Gedächtnis, das für alle gültig wäre. «Nicht jedes grosse Ereignis hatte für alle den gleichen Stellenwert, selbst die Mondlandung nicht. Die CoronaPandemie scheint nun aber das erste Ereignis zu sein, das jeden Menschen zeitgleich tangiert.» Mit «Parallel Lives» habe er auch ergründen wollen, wie die Menschheit in dieser globalisierten Welt an den Punkt gelangen konnte, an dem sie sich heute befindet. «Wir sind in den letzten knapp sechzig Jahren freier und emanzipierter geworden als je zuvor, zahlen dafür aber einen Preis in Form von Vereinzelung oder Entsolidarisierung», so Frank Matter.

Der Film stellt sich dieser Tendenz entgegen, sucht und findet das Verbindende. Und er macht deutlich: Der Mensch ist nicht nur die Summe seiner Gene oder Entscheidungen, sondern immer auch ein Spiegel des Zeitgeistes.

«Parallel Lives», Dokumentarfilm von Frank Matter, Schweiz 2021, 140 Minuten. Ab 10. Februar im Kino. Buch Die Strichmännchen von @kriegundfreitag verzaubern uns auf Twitter & Co. und in Buchform mit Witz und Magie.

Der Cartoonist Tobias Vogel aka @kriegundfreitag macht mit Strichmännchen grosses Kopfkino. Mit Strichmännchen ohne Augen, Nase, Mund oder Ohren. Mit leeren Gesichtern, die doch alles ausdrücken, weil wir, die Zuschauer*innen in diesem Kopfkino, die Leerstellen füllen, die Mimik ergänzen und die kleinen Gestalten beleben. Das hat was von der Magie des Schattentheaters mit Händen oder Scherenschnitten. Vielleicht sind die kleinen Gesellen uns deshalb – und sicher auch, weil jede*r schon mal solche hingekritzelt hat – so nah und vertraut.

Aber wie funktioniert diese Magie? Die so beiläufig daherkommt und doch eine Kunst ist. Des Pudels Kern beginnt schon beim «nom de guerre» des Cartoonisten: @kriegundfreitag. Angeblich soll dieser bei der Sucheingabe ins Handy durch die Autokorrektur entstanden sein, die statt dem Dostojewskischen «Frieden» «Freitag» vorschlug. Das mag ein augenzwinkernder Mythos sein. Auf jeden Fall bringt es eines auf den Punkt: Tobias Vogel jongliert gerne mit Wörtern. Er nimmt die Sprache beim Wort und spielt mit ihr. Mal philosophisch oder poetisch, mal schlitzohrig oder auch kalauernd. Und all das, was er seinen Strichmännchen an Geistesblitzen und witzen in den fehlenden Mund legt, gibt diesen klasse Kritzeleien ein Gesicht. Magie pur.

Ursprünglich und üblicherweise zeichnet Tobias Vogel im virtuellen Raum. Seit 2017 postet er seine Cartoons auf Twitter, Facebook oder Instagram und hat es so auf rund 200 000 Follower gebracht. Der 2019 mit dem Grimme Online Award und 2020 mit dem MaxundMoritzPublikumspreis ausgezeichnete Cartoonist hat inzwischen seinen Brotjob als Sachbearbeiter einer Versicherung aufgegeben und lebt vom Verkauf von Originalzeichnungen, allerlei Merchandising und vermehrt auch von Büchern. 2019 etwa erschien das wunderbare «Schweres Geknitter» und aktuell sein neustes Werk «Psyche, du kleiner Schlingel».

So tummeln sich seine linienzarten Gestalten wieder Seite für Seite, und der Zeichner überrascht uns immer wieder aufs Neue. Er spielt mit seinem Werkzeug (ein Fineliner zum Strichmännchen: «I am your father»), mit Material (ein «Reisverschluss» aus Reiskörnern), mit Wortklang (eine Gestalt mit Tasse hat ein Teejàvu) oder Tiefsinn («Manchmal kannst du nur hilflos danebenstehen, wenn jemand, der dir nahesteht, neben sich steht.»). Das ist im besten Sinne komisch, auch weil es zugleich zum Lachen und zum Denken anregt. CHRISTOPHER ZIMMER

ZVG

FOTO:

@kriegundfreitag: Psyche, du kleiner Schlingel

Lappan 2021. CHF 23.90