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Vor Gericht

Leben mit bedingungslosem Grundeinkommen

Wie verändert ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Gesellschaft? Antworten darauf soll eine Studie liefern, die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erstellt und durch private Spenden finanziert wird. Drei Jahre lang bekommen 120 zufällig ausgewählte Menschen 1200 Euro pro Monat ausbezahlt. Sie müssen dafür keine Bedürftigkeit nachweisen und können unbegrenzt hinzuverdienen. Die Studie soll zeigen, ob und wie sich ihre Berufstätigkeit verändert, ob sie mit einem bedingungslosen Grundeinkommen zufriedener sind und ob sie sich gesellschaftlich stärker engagieren.

HINZ & KUNZT, HAMBURG

Deutsch lernen während Corona

20 000 Geflüchtete und Migrant*innen haben in Österreich während des Corona-Lockdowns OnlineKurse in Deutsch belegt. Die Kurse wurden auf einem eigens eingerichteten Sprachportal angeboten, da aufgrund der Covid-19-Sicherheitsbestimmungen Kurse mit physischer Anwesenheit nicht mehr möglich waren. Das frei zugängliche Angebot des Österreichischen Integrationsfonds soll auch künftig das reguläre Kursangebot ergänzen.

MEGAPHON, GRAZ

Ohne Krankenversicherung

143 000 Menschen besitzen in Deutschland keine Krankenversicherung, wie das Statistische Bundesamt vermeldet. 2015 waren es erst 79 000 Betroffene. Hilfsorganisationen gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, so vor allem bei Menschen ohne feste Bleibe sowie bei solchen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung.

Eine Schwalbe macht noch keinen Unfall

Es war letzten Februar, der Morgenverkehr wälzte sich durch die Stadt Zürich. Mittendrin der 53-jährige Beschuldigte mit seinem kleinen Elektro-BMW. Jetzt, Mitte September 2020, steht er vor einer Einzelrichterin des Bezirksgerichts und legt dar, weshalb er den Strafbefehl, den ihm die Ereignisse an jenem Morgen bescherten, anficht: «Alles ist krass falsch gelaufen. Der Auslöser des Vorfalls war ein Lastwagenfahrer, nicht ich. Der Bauarbeiter, den ich angefahren haben soll, erzählt Geschichten. Die zwei herbeigerufenen Polizisten waren überfordert. Nun sitze aber ich vor Gericht.» Der Strafbefehl lautet auf «Nichtbeachten eines Haltezeichens eines Bauarbeiters und fahrlässiges Nichtbeherrschen des Fahrzeugs». Inklusive Gebühren soll ihn die Sache 940 Franken kosten.

Unfug, wie der Beschuldigte beteuert. Er sei in der Kolonne gestanden, an der fraglichen Stelle habe die Strasse drei Spuren. Auf der mittleren wurde gebaut, Belagsarbeiten. In der Baustelle stand ein 30-Tönner – der begann, sich rückwärts in seine Richtung zu bewegen. Ohne dass jemand die Fahrt von aussen kontrollierte. Ein bedrohliches Szenario für den Beschuldigten: «Ganz nah fuhr er schliesslich entlang meiner Seite. Ich wusste nicht, ob er mich im Rückspiegel überhaupt sah. Er überfuhr den Fussgängerstreifen, wegen dem ich eine Lücke zum Auto vor mir gelassen hatte.»

In diese Lücke wollte der Lastwagenfahrer sich drücken. Da wurde es richtig eng. Der Beschuldigte wollte zur Seite ausweichen. Aber dort stand ein Bauarbeiter, gestikulierend. «Ich schrie ihn an», sagt der Mann. «Ich hatte Angst! Das war ein Monstertruck!» Der Bauarbeiter kippte plötzlich weg. Sofort stieg der Beschuldigte aus und fragte, ob alles okay ist. Doch der Bauarbeiter konnte kaum Deutsch. Als der Vorarbeiter hinzukam, sagte er, der Beschuldigte hätte ihn touchiert, am Oberschenkel. Das stimme nicht: «Ich stand still, als er nach rückwärts plumpste.» Um die Szene herum hupten entnervte Autofahrer, die Polizei kam, der Bauarbeiter wurde ins Spital gebracht.

Sein Anwalt fasst zusammen: Der Lastwagenchauffeur fuhr ein gefährliches Manöver ohne Hilfsperson. Damit habe dieser gegen die Verkehrsregeln verstossen: Unvorsichtiges Einführen in den Verkehr. Von wegen Ignorieren eines Haltezeichens! Der Bauarbeiter habe gefuchtelt, nicht den Verkehr geregelt. Völliger Unsinn auch der Vorwurf des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs: Sein Klient musste zwingend aus dem Weg! Er verlangt einen Freispruch und eine angemessene Entschädigung.

Nach einer kurzen Pause anerkennt die Richterin die Notstandssituation des beschuldigten Automobilisten. Die sei von vornherein nicht strafbar. Weshalb sie den Mann freispricht und mit 5000 Franken entschädigt. Nicht nur wegen der Not: Es sei Aussage gegen Aussage gestanden. Während die Schilderungen des Beschuldigten äusserst konstant gewesen seien, gebe es bei jenen des Bauarbeiters viele Ungereimtheiten. Es habe ihm mal da, mal dort wehgetan – derweil im Spital keinerlei Verletzungen festgestellt werden konnten. Die Einzelrichterin ist überzeugt: «Das war eine Schwalbe.»

YVONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin in Zürich.