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Lockdown

Das Corona-Manifest

Lockdown Das «Maison du futur» hat mit Kultur im Zürcher Max-Frisch-Bad auf sich aufmerksam gemacht. Co-Leiter Samuel Schwarz rät den Kunstschaffenden: Seid solidarisch und erfindungsreich!

TEXT SAMUEL SCHWARZ

Das «Maison du futur» versteht sich als Kompetenzzentrum für kulturelle Teilhabe und Technologie. Wir führen im Folgenden zehn Punkte an, die jetzt umzusetzen sind. Insbesondere die Mitarbeiter*innen der hochsubventionierten Theater und Museen sollten sich zwingend für dieses Manifest einsetzen und ihre untätigen künstlerischen und kaufmännischen Leiter*innen aus der Schockstarre befreien – im Interesse aller künstlerischen Branchen, der freien Künstler*innen, Zulieferer und angehängten Gastrobetriebe. Die Umsetzung garantiert den Fortbestand des kulturellen Betriebs und ermöglicht alles: kulturelle Teilhabe, Einkommen, Innovation.

#1 — Ja, es ist elend.

Wir wissen es. Ok? Gut, fangen wir an. Die Klagen der subventionierten Kulturszene sind verständlich. Und doch nicht auszuhalten. Wieso nutzt niemand die Möglichkeiten der Privilegien? Ja, diese Kultur nimmt sich ihren Raum nicht, obschon niemand ihr diesen Raum streitig macht. Es gibt keine bösen SVP-Gesundheitsdirektoren oder bösen SP-Bundesrät*innen, die der Kultur irgendetwas «verbieten». Das Einzige, was aktuell nicht erlaubt ist – im Interesse der Schwachen und Kranken –, ist das Zusammenpferchen eines Publikums in zu enge Räumlichkeiten. Alles andere ist erlaubt. Man hat, wenn man euren Klagen zuhört, den Eindruck, als wäre die von Richard Wagner erfundene Darbietungsform der Zusammenpferchung in engen Räumen das Einzige, was für die Kultur möglich wäre. Vergesst Wagner!

#2 — Geht raus.

Zieht euch warm an, kauft gute Schuhe, macht ein Feuerchen für euch und fürs Publikum und spielt endlich. Aktuell reisen viele Kulturschaffende in die Berge, posten

Samuel Schwarz (links) nutzt alle technischen Mittel, um Kultur unter die Leute zu bringen. Rechts: Teammitglied Julian M. Grünthal.

© DSCHOINT VENTSCHR FILMPRODUKTION / PHILIPPE ANTONELLO FOTO:

Bilder von Skipisten etc. Aber unten im Flachland rauszugehen, in Parks zu spielen, auf Dächern, Bäumen und Kränen, kommt diesen Kulturschaffenden offenbar nicht in den Sinn. Man möchte ihnen zurufen: Seid ihr im falschen Beruf? Geht endlich raus. Beweist euren Grosseltern, dass ihr aus gutem Grund diese Existenzform gewählt habt. Weil ihr etwas auszudrücken habt mit eurer Kunst.

#3 — Ihr braucht Raum.

Fordert von den Ämtern Freiflächen ein, Freibäder, Parks, Brachen. Küsst das Sport- und Forstamt. Die Parks sind offen – die Wälder sind frei. Nutzt diese Räume für eure Kunst. Das Publikum wird es euch danken.

#4 — Streamt.

Ja, aber bitte nicht in private Räume, sondern auch von Waldrand zu Waldrand. Bleibt dabei in Bewegung, verharrt nicht in euren stickigen Proberäumen. Man kann auch von «draussen» nach «draussen» streamen. Und: Streamt bitte auch ins Altersheim.

#5 — Bildet Teams.

Macht museale Theater und theatrale Museen. Verwandelt Musicals in interaktive Audiowalks. Hängt Puppen in die Bäume. Helft einander. Seid solidarisch. Vergesst die spiessigen kleinkrämerischen Schrebergärten eurer Festivals, sondern macht zusammen ein Gross-Festival. Filmfestival Locarno: Vergesst die PIAZZA GRANDE. Macht mehrere PIAZZE GRANDI in Bern, Zürich, Neuenburg, Genf. Vergesst die Zentralisierung, fragmentiert euer Angebot.

#6 — Kuratiert euch selbst.

Hört (diesmal) nicht auf das, was euch eure Kurator*innen, Intendanzen und Chef*innen vorschlagen. Die wurden in anderen Zeiten in ihre Jobs gewählt und können mit dieser Krise nicht umgehen. Verzeiht ihnen ihre Unwissenheit. Weist ihnen den Weg. Und wenn sie nicht mitkommen, vergesst sie.

#7 — Be a spark in the dark.

Seid solidarisch mit der Veranstaltungstechnik. Ja, seid ein Funken der Hoffnung in diesem dunklen DüsterWinter. Bindet Licht-, Ton- und VFX-Techniker*innen ein, wo ihr nur könnt. Beamt die Bäume an, den Himmel, die Wolken und Getreidesilos. Es wird toll aussehen.

#8 — Spielt auch tagsüber.

Nutzt andere, fremdartige Timeslots für eure Kunst.

#9 — Streamt den Ton auf Kopfhörer.

Dies ist wichtig, weil ihr sonst die ganze Zeit Bewilligungen einfordern müsst für jeden Mucks, den ihr draussen macht. Verhindert unbedingt, dass böswillige Anwohner*innen Macht über euch bekommen.

#10 — Tanzt.

Haltet die Abstände ein. Aber tanzt (denn dafür braucht ihr den Raum).

Das «Maison du futur» setzt diese zehn Punkte seit Juli 2020 in der Corona Stage im Zürcher Max-Frisch-Bad um und spielt auch während des Kultur-Lockdowns. Es wird vom Bundesamt für Kultur und dem Migros Kulturprozent unterstützt. Das Programm umfasst verschiedene Kultursparten, von der Ausstellung über Konzerte bis hin zu Lesungen. Mittels analogem Funksystem in grossem Umkreis wird auch dann kulturelle Teilhabe ermöglicht, wenn sonst nichts mehr geht. maison-du-futur.ch

Hintergründe im Podcast: Radiojournalist Simon Berginz spricht mit der Kulturredaktorin Diana Frei über die Veränderungen, zu der die Pandemie die Kultur zwingt. surprise.ngo/talk

SAMUEL SCHWARZ, 49, ist ein Schweizer Film- und Theaterregisseur. Bekannt wurde er durch seine Theaterinszenierungen und Filme mit der Theatergruppe 400asa. Seit 2010 inszeniert Samuel Schwarz auch zunehmend Filme und konzentriert sich auf Projekte mit transmedialer Auswertung.