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Kulturförderung

«Alles zu digitalisieren, wünschen wir uns nicht»

Kulturförderung Auch in der Kultur spielt sich zurzeit vieles bloss online ab. Philipp Bischof, Direktor der Kulturstiftung Pro Helvetia, sagt, wieso er den realen Raum nach wie vor für wichtig hält. Und wo sich jetzt Chancen für Veränderungen auftun.

INTERVIEW DIANA FREI

Philipp Bischof, wird Corona die Kulturlandschaft auf längere Sicht prägen oder wird bald wieder alles beim Alten sein?

Ich glaube nicht, dass es eine Rückkehr zur sogenannten Normalität geben wird, denn die aktuelle Krise hat zu viel Handlungsbedarf im System aufgezeigt, der nicht einfach verdrängt werden kann. Die Situation ist für den Kultursektor belastend, kann aber auch eine Chance sein, weil es in der Kulturlandschaft Tendenzen gab, über die wir nicht glücklich sind. Covid hat deutlich gemacht, dass sich Ungleichheiten, die in der Gesellschaft bestehen, jetzt noch verstärken. Das stellen wir auch im Kulturbereich fest. Der eklatante Unterschied zwischen den abgesicherten subventionierten Institutionen und den Freischaffenden ist ein existenzielles Problem, das mittelfristig die Vielfalt des Kultursektors bedroht.

Wo sehen Sie vor allem Handlungsbedarf?

Bei der finanziell prekären Situation der Kulturszene und vor allem der freischaffenden Künstler*innen. Sie wurde nicht erst durch die Corona-Situation erzeugt. Diese hat aber schmerzhaft deutlich gemacht, wie viele Freischaffende – auch durchaus erfolgreiche – in prekären Lebenssituationen stecken, sobald das System stockt. Das politische Bewusstsein dafür, dass man die Absicherung der Kulturschaffenden und die Mittelverteilung dringend verbessern muss, ist gewachsen. Online-Plattformen zum Beispiel machen enorme Gewinne, von denen die Kulturschaffenden nur sehr begrenzt profitieren. Eine andere Tendenz im Kulturmarkt schon vor Covid war eine gewisse Überproduktion. Ein weltweiter Produktionsdruck, der dazu führte, dass sowohl Institutionen, Kulturschaffende als auch das Publikum ein Gefühl der Hetze und Getriebenheit hatten. Das ist eine alles andere als nachhaltige Situation.

Tut sich hier nun wirklich eine Chance auf, dass sich in Zukunft etwas ändert?

Ich hoffe, dass es gelingt, einige dieser grossen Themen anzugehen, zuvorderst die Frage der sozialen Absicherung der kreativen Berufe. Dann auch die Digitalisierung. Die Möglichkeiten, die es hier im Kulturbereich gäbe, sind nicht ausgeschöpft. Jetzt in der Pandemie wurden sie neu entdeckt und erfahren. Wir haben erlebt, dass mit digitalen Diskursformaten oder konferenzartigen, workshopartigen Formaten auch ohne lange Reisen spannende künstlerische Begegnungen entstehen können. Und es hat sich gezeigt, wie wichtig die Flexibilität und Innovationsbereitschaft der Strukturen sind.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Das Online-Literaturfestival Viral hat mich sehr beeindruckt. Es ist aus einer Gruppe von Literaturschaffenden wie -vermittler*innen entstanden, die ein queeres Literaturmagazin herausgibt. Sie hat für das Festival Facebook und ihr Netzwerk genutzt. Neue Akteure nutzten also die Chance und schufen neuartige Begegnungen. Trotzdem haben wir auch gemerkt, wie wichtig das Körperliche und das Reale, die konkrete Begegnung zwischen Menschen in der Kultur bleibt. Hier möchte ich ein klares Plädoyer für den Erhalt einer gelebten Begegnungskultur halten. Alles zu digitalisieren oder in virtuelle Formate zu

Kulturstiftung

Pro Helvetia fördert als autonome Stiftung des Bundes zeitgenössische Schweizer Kunst und Kultur mit Blick auf ihre Vielfalt. Sie ermöglicht neue künstlerische Werke, stärkt den kulturellen Austausch zwischen den Sprachregionen der Schweiz sowie zwischen der Schweiz und dem Ausland. DIF bringen, wünschen wir uns nicht, es geht um zusätzliche und hybride Formate. Denn etwas Wesentliches dürfen wir nicht vergessen: Kultur ist auch ein Angebot für die Demokratiebildung. Ist die konkrete Begegnung zwischen Menschen nicht vorhanden, verhindert das einen unmittelbaren Dialog oder Widerspruch. Dieser ist für die Gesellschaft, für die Politik und für die Kultur aber existenziell wichtig.

Inwiefern ist Kultur Demokratiebildung?

Einerseits wegen des kritischen Meinungsaustauschs. Anderseits kann Kultur zur Förderung von Diversität beitragen. Kultur ist in der Lage, Personen und Themen Stimmen zu geben, die sie in einer medialen, politischen oder institutionellen Landschaft nicht unbedingt haben. Wenn es gelingt, Kultur in diesem Sinne als politische Dimension zu verstehen, ist sie eine Austauschmöglichkeit über gesellschaftliche Werte. Sie leistet so einen wesentlichen Beitrag an die Verfeinerung unserer demokratischen Gesellschaft.

Pro Helvetia hat in einem Aufruf die Förderung von Projekten lanciert, die künstlerisch auf die Pandemie-Situation reagieren: sogenannte «Close Distance»Projekte. Sie haben aber auch schon gesagt, dass Sie den ständigen Zwang zum Output in der Kultur falsch finden. Ist es richtig zu sagen: Jetzt erfindet euch mal schnell neu?

Es ist ein systemischer Widerspruch, den Sie ansprechen. Wir wollten mit «Close Distance» primär ein Signal aus der Krise heraus für die Zukunft geben. Der Aufruf war ein Angebot, trotz der Krise kreativ und im Austausch mit Dritten bleiben zu können, auch international und über die Grenzen hinweg. Gleichzeitig ist es völlig logisch, dass jeder derartige Aufruf diejenigen, die Geld wollen, zu einer Art von Antrags-Innovation zwingt. Hier können

ANITA AFFENTRANGER

FOTO:

Direktor Pro Helvetia

Philippe Bischof, 54, ist seit 2017 Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Er begann seine Laufbahn als Regieassistent am Theater Basel und arbeitete als Regisseur und Dramaturg im In- und Ausland. Von 2008 bis 2011 baute er das Kulturzentrum Südpol in Luzern auf, von 2011 bis 2017 war er Leiter der Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt. DIF

wir das System nicht aufheben. Ausschlaggebend für unseren Call war, dass über Monate hinweg der internationale Kulturaustausch verunmöglicht wurde. Weil dieser so zentral ist im Auftrag von Pro Helvetia, haben wir gesagt: Wir wissen zwar, dass wir Innovationsdruck auslösen, aber wir möchten ihn zumindest in eine Richtung steuern, bei der es um die Entwicklung von internationalem Austausch geht. Dieser muss unbedingt erhalten bleiben, wenn wir Teil der Welt sein wollen.

Vieles verschiebt sich ins Digitale. Wäre nicht auch der öffentliche Raum eine Lösung?

Ich glaube nicht, und ich muss ehrlich sagen, ich hoffe es auch nicht unbedingt. Projekte im öffentlichen Raum sind ja nicht neu. Sie sind wertvoll, und das, was im öffentlichen Raum stattfindet, soll unbedingt weiterhin dort stattfinden. Aber ich glaube, gerade das Problem der Intimität und Austauschnähe kann im öffentlichen Raum nicht unbedingt ersetzt werden. Denn der Kunstraum kann, wenn er offen und zugänglich ist für viele, eine einzigartige Konzentration auslösen. Klar kann man eine Oper auf dem Marktplatz machen, aber das ist infrastrukturell dermassen teuer, dass man sich fragen muss, ob das Sinn ergibt. Wir haben Institutionen, die es sinnvoll zu nutzen gilt. Daher ist der öffentliche Raum nicht die Lösung des Problems, in dem sich die Kulturszene jetzt befindet.

Haben die digitalen Wege und Mittel die Kultur bereits verändert?

Ich beobachte, dass das Interesse am Prozesshaften auch bei den Zuschauer*innen zugenommen hat. Eine Lesung aus dem Wohnzimmer hat etwas Improvisiertes und Intimes, zu der auch das Erleben der Fragilität gehört. Wenn man sagen würde, man macht daraus eine Chance und lädt die Zuschauer*innen künftig stärker in den kreativen Prozess ein, in öffentliche Proben, in unfertige Projekte, dann könnte auch das Bild von Kunst wieder in eine Richtung verändert werden, die viel kreativer ist als die sehr stark Endproduktorientierte Konsumebene.

Pro Helvetia pflegt internationale Kooperationen. Wie steht die Schweiz im Vergleich mit andern Ländern da?

Finanziell steht die Schweiz bekanntlich sehr gut da. Auch Deutschland und Österreich haben inzwischen stark ausgeprägte staatliche Fördersysteme für Kultur. Aber es wird für Kulturinstitutionen sehr hart, wenn man nach Frankreich und Italien schaut, von Spanien gar nicht zu reden. Ausserhalb von Europa und auch in südlichen und östlichen europäischen Ländern ist die Sorge, dass wichtige Akteure schlichtweg verschwinden, riesig. Was fatalerweise auch damit zu tun hat, dass es Regimes gibt, die die Pandemie gerade sehr geschickt zu nutzen versuchen, um unliebsame Kulturangebote, Kulturschaffende und Institutionen zu gängeln. Das ist ein fatales Zusammengehen von fehlenden finanziellen Mitteln und politischer Kontrollabsicht. Es gibt leider schon Zeichen dafür, etwa in Polen, dass die Pandemie dort ziemlich starke Spuren hinterlassen wird.