style in progress 3/2019 – Deutsche Ausgabe

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SO LÄUFT’S

Fa s h i o n T ec h – L e a r n i n g s

WO OMNICHANNEL KEIN BUZZWORD IST Manche Direct-to-consumer-Marken in den USA verknĂŒpfen ihr Angebot mit einem Ă€ußerst persönlichen Service – und bieten auf inventarfreien FlĂ€chen eine Kundenberatung, von der sich der stationĂ€re Handel eine Scheibe abschneiden könnte. Text: Petrina Engelke, Nicoletta Schaper. Fotos: Firmen

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uerst einmal: GlĂŒckwunsch!“, sagt die Stylistin, die eine Kundin zur Anprobe begleitet. Jene sucht ein Outfit fĂŒr ein BewerbungsgesprĂ€ch als CEO und es hĂ€ngen schon passende VorschlĂ€ge in ihrer GrĂ¶ĂŸe parat. Solche Details wissen die Beraterinnen bei M. M. LaFleur, ehe sie im Showroom auf ihre Kundschaft treffen. M. M. LaFleur verkauft online Mode fĂŒr Karriere­frauen und bietet in zehn StĂ€dten dazu eine kostenlose, einstĂŒndige Beratung in einer Privatkabine an. „Out Of Office“ nennt das Unternehmen das. Termine macht man online und bei der Anmeldung ermittelt das Unternehmen direkt Daten, u. a. mit anklickbaren Silhouetten oder Fragen nach der HosengrĂ¶ĂŸe bei bestimmten anderen Marken, ein Extrafeld gilt dem Anlass und Fokus fĂŒr die Beratung. Der Showroom in New York hat etwas von einem Spa: Eine Rezeptionistin bringt zur BegrĂŒĂŸung Prosecco oder Kaffee und eine Stylistin fĂŒhrt die Kundin in einen eigenen Raum. Dort hĂ€ngen Kleider, die sie bereits mit Hilfe der Kundinnendaten zusammengestellt hat. Nun bespricht sie Schnitte, Materialien und WĂŒnsche mit der Kundin und aktualisiert die Auswahl, wĂ€hrend jene sich umzieht. In einem Test passt ausnahmslos alles und das gehört natĂŒrlich zum KalkĂŒl: Kundinnen sollen staunen, wie wohl man sich beim Anprobieren fĂŒhlen kann. Am Ende sucht die Kundin von „ihrer“ Stange aus, was in Frage kommt. Die Stylistin stellt die Auswahl auch im Onlineprofil der Kundin zusammen und ruft die Preise ab. Einen Kaufzwang gibt es nicht. Was nicht gekauft wird, wandert in die Wunschliste – so kann man Kundenbindung auch anlegen. Schon im Jahr 2011 brach Bonobos alle Regeln mit der Idee eines inventarfreien „Guide Shops“, den Kunden mit leeren HĂ€nden verlassen. 2017 kaufte der US-Handelsriese Walmart die Herrenmodemarke fĂŒr 310 Millionen US-Dollar und ließ sogleich verlauten: Am GeschĂ€ftsgebaren wird nicht gerĂŒttelt. Bonobos 124

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Das Prinzip Bento Box auf Kleidung ĂŒbertragen: M. M. LaFleur bietet Outfitberatung stationĂ€r und online.

eröffnet weitere „Guide Shops“, feuert seine Mitarbeiter allein schon bei der Anrede an – sie heißen unternehmensintern „Ninjas“ – und trainiert sie intensiv fĂŒr den Service, indem sie sowohl im Showroom als auch in der Datenanalyse Erfahrungen sammeln. Eine Lehre aus diesen Firmengeschichten kann heißen: Big Data helfen immens, und das GrĂŒnderfieber kleiner Start-ups wirkt sich positiv aufs Personal aus. Doch im Grunde signalisieren diese fortschrittlichen GeschĂ€ftsideen eine RĂŒckkehr zu den Wurzeln: Einkaufen beim KrĂ€mer oder Schneider, der einen genau kennt. Die Namen, GrĂ¶ĂŸen und Vorlieben der Stammkundschaft kann man schließlich im stationĂ€ren Handel auch festhalten, ob mit Software oder im Zettelkasten. Auch das Gehirn des Verkaufspersonals ist ein prima Datenspeicher – vorausgesetzt, man gibt seinem Besitzer genug Anreize dafĂŒr, sich persönlich zu engagieren.


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