SO LÄUFT’S
Fa s h i o n T ec h – L e a r n i n g s
das operative Geschäft konzentriert. Bei der Frage nach einem guten Händler denkt man an einen guten Kaufmann, der weiß, wie man ein gutes Sortiment, eine gute Produktlinie entwickelt. Man denkt auch an Lieferketten und daran, wie man Kosten reduzieren und das Produkt zur rechten Zeit an den rechten Ort bringen kann. Amazon fragt stattdessen: Was will der Kunde? Dort haben sie Aspekte wie Verbraucherfreundlichkeit verstanden, weil sie das gesamte Kauferlebnis mit Kundenaugen betrachten. Deshalb sammeln sie jede Menge Daten und holen das Höchstmaß aus den Daten heraus, um dem Kunden ein speziell auf ihn zugeschnittenes Erlebnis zu bieten. Und das ist überraschender- und erschreckenderweise eine andere Art von Einzelhandel. Ist es denn möglich, das Onlinekaufverhalten mit Angeboten zu verbinden, die man im Laden umsetzen kann? Der Komfort des Onlineshoppings ist echt gut für Wiederholungskäufe oder Gebrauchsgegenstände – meine Glühlampe ist kaputt und ich brauche Ersatz. Aber Recherchefieber, Entdeckergeist, das Finden neuer Sachen macht online nicht so viel Spaß wie im Laden. Insbesondere in puncto Mode gefällt es den Leuten, vorher nicht zu wissen, womit sie nach Hause kommen werden. Mode dreht sich um Neues, Innovation, Spaß, sexy Sachen. Und ich finde nicht, dass all die Worte Attribute von Onlineshopping sind. Und solange ihre Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen werden, werden die Menschen meiner Ansicht nach loyal sein, obwohl es tonnenweise Alternativen da draußen gibt. Schließlich bedeutet die Möglichkeit zum anderswo Suchen gleichzeitig Zeitaufwand. In Ihrem Buch lenken Sie den Blick nicht nur auf die Kundschaft, sondern Sie zeigen deren Einfluss auf Erfolg im Handel auch in einem einzigen Satz, nämlich: „Kunden wollen von jemandem, dem sie vertrauen, etwas kaufen, das sie wollen.“ Können Sie das ein wenig ausführen? Dieser Satz ist die Grundlage des Zwei-mal-zweiRasters, auf dem mein Buch basiert, und er steht für die Spalten: Was wollen Kunden von einem Händler? Einfach ausgedrückt, wollen sie ein gutes Produkt zu einem reellen Preis. Und das ist nichts Neues. Händler bieten schon lange gutes Design, gute Technologie oder Mode, zudem auf diversen Preisniveaus, die der Heterogenität der Preisvorlieben Rechnung tragen. Amazon hat den Teil mit dem Vertrauen hinzuge-
„Ich kann mir vorstellen, nach der unmittelbaren Information und der Sofortzahlung süchtig zu werden, die Apps bieten. Und ich meine, ich bin keine Digital Native, ich bin viel älter, aber ich sehe, wie bequem das ist, und welche endlosen Erlebnisse das bietet.“
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style in progress
„Selbst in kleinen Läden erwartet man mehr und mehr, dass ein Verkäufer ein iPad zieht und direkt abkassiert, nachdem man von ihm beraten wurde und kaufen will.“
fügt. Jetzt muss ein Händler sich nicht mehr nur um das Produkt kümmern, sondern auch um alles, was der Kunde rund um das Produkt mitbekommt. Das heißt, man will dem Händler vertrauen können, dass er einem das gibt, was man braucht. Man will darauf vertrauen, dass er die Produktvorzüge nicht übertreibt, nicht zu viel dafür verlangt, einem nichts andreht, das nicht authentisch ist. Viele Komponenten der Beziehung zwischen Händler und Kunde gehen weit über das eigentliche Produkt oder die Marke hinaus. Wo kann die Strategie eines Händlers ansetzen, um dieses Vertrauen zu gewinnen oder wiederzugewinnen? Es gibt viele verschiedene Strategien, aber lassen Sie uns über zwei Extreme sprechen. Eines sehen Sie bei vielen Schwergewichten wie Amazon oder Walmart, ebenso wie Net-a-Porter, Farfetch oder den Kaufhäusern: Datensammeln auf Kundenebene, Treuemodelle aufbauen und dann die Daten über eine weltweite Ebene nutzen, um exakt das zu liefern, was Kunden wollen, meist zusammen mit einer Online-OfflineOmnichannel-Experience. Die genannten Treueprogramme erfassen nicht nur die Käufe selbst, sondern auch andere Aspekte des Kaufs: Durch Websites kennen sie das Suchverhalten ihrer Kunden; Technologien wie Apps und Beacons erfassen, wohin sie im Laden gehen, was sie in die Umkleide bringen, was sie kaufen und was nicht. Einen ganz anderen Ansatz sieht man in kleinen Läden, etwa beim Aufstieg der unabhängigen Buchläden, aber auch bei Ketten wie Lululemon: Sie schaffen ein ladengebundenes Gemeinschaftserlebnis, wo man eine wirklich persönliche Beziehung mit seinem Laden vor Ort hat. In gewissem Sinne ist das eine Rückkehr zum Handel aus sehr alten Zeiten. Bisher haben wir meist über die Kundenperspektive gesprochen, aber nicht über verschiedene Arten von Kunden. Wie kann der Handel sich den Digital Natives nähern? Studien zufolge sind Konsumenten der Generation Z keine Gegner des stationären Handels, sie haben bloß andere Erwartungen und Bedürfnisse. Sie probieren gern. Sie mögen menschliches Miteinander. Manchmal wollen sie etwas sofort haben. Manchmal benutzen sie Läden zur Unterhaltung. Zum Beispiel füllen diese ganzen Instagram-kompatiblen Erlebniswelten gerade die Läden. Ich weiß nicht, ob sich der Trend halten wird oder ob das irgendwann langweilt. Aber dahinter steht, dass man in Läden etwas machen kann, das Spaß macht und Leute anzieht. Und was Mode betrifft: So einfach es ist, etwas zu bestellen, wenn man sechs Größen bekommt, muss man alle