Stijlroyal 12 / Magazin aus dem Inneren

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Heimat/Neukölln Irgendwer hat mal geschrieben: „Heimat ist da, wo ich geliebt werde.“ Das hat mich berührt und nachdenklich zurückgelassen. Heimat ist für mich kein fester Ort, auf jeden Fall ist das nicht der Ort, an dem ich meine Kindheit verbracht habe, denn dort gab es nicht viel Liebe, sondern vor allem Enge und Intoleranz. In Berlin ist das anders. Hier finde ich für mich seit bald 20 Jahren Akzeptanz und Freiheit. Ich kann alles so machen oder sehen, wie ich das will – es ist schon okay. Nach langer Kreuzberger Zeit bin ich vor einigen Monaten umgezogen. Mein neuer Bezirk heißt Neukölln. Von Heimat kann nur bedingt die Rede sein. Alles ist fremd und faszinierend. Toleranz gibt es hier in rauen Mengen. Ob ich jetzt im Cocktailkleid oder im Morgenmantel rumlaufe, interessiert eigentlich niemanden. Aber ich fühle mich manchmal etwas verloren auf den Straßen, auf denen schon um neun das zweite Sterni geöffnet wird, während eine Neuköllnerin im Tschador mit Abstand ihrem Mann folgt. Auf denen es nach dem besten Schawarma riecht, die du jemals essen wirst. Und nach Erbrochenem. Auf den Straßen, die mich noch nirgendwo hinführen, weil ich hier noch kein Stammcafé und keine Lieblingsbar gefunden habe. Umso wichtiger ist für mich das Nach-Hause-kommen. Meine Wohnung ist sehr heimatlich, denn hierher kommen mit meiner Erlaubnis nur Menschen, die mir Gutes tun. Die weißen, leeren Räume sind genau der Gegenpol, den ich im Chaos Neukölln brauche; hier lärmen nur meine Punkplatten, hier riecht mein Essen, hier ploppen meine Korken, leuchten meine Blumen. Der Rest: Ruhe. Auch eine Heimat. Und wenn ich dann alleine mit der Freiheit am Küchentisch sitze, denk’ ich: Heimat ohne Fremde, das gibt es wahrscheinlich gar nicht.


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